Kitabı oku: «Arena Eins: Die Sklaventreiber », sayfa 20

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EINUND DREISSIG

Mein Herz klopft mir bis zum Hals, als ich nach dem dicken, knotigen Seil greife. Ich halte es in der Luft fest, als ginge es um mein Leben. Wie an einem Pendel schwinge ich daran, rase mit voller Geschwindigkeit durch die Luft, auf den gigantischen Körper der rostigen Barkasse zu. Das Metall fliegt auf mich zu und ich bereite mich auf den Aufprall vor.

Der Schmerz ist kaum auszuhalten, als ich mit voller Geschwindigkeit mit der Seite meines Kopfes, den Rippen und der Schulter gegen das Metall schlage. Der Schmerz und der Schock des Aufpralls reichen fast, dass ich das Seil loslasse. Tatsächlich rutsche ich ein paar Meter ab, aber irgendwie schaffe ich es, dann wieder festzuhalten.

Ich wickle meine Füße um das Seil, bevor ich weiter ins Wasser hinunterrutsche. Ich klammere mich daran fest, baumele daran, während die Barkasse weiter Fahrt aufnimmt. Logan hat es auch geschafft, seins zu fangen, und klammert sich ebenfalls fest. Er baumelt ein paar Meter entfernt von mir an seinem Seil.

Ich sehe in die rauen Gewässer ein paar Meter unter mir hinunter, die weiß aufschäumen, als die Barkasse sich ihren Weg durch den Fluss sucht. Es gibt immense Unterströmungen, besonders für einen Fluss, stark genug, um diese riesige Barkasse auf und ab zu schleudern.

Zu meiner Rechten thront die Freiheitsstatue über uns. Faszinierenderweise ist sie intakt geblieben. Als ich sie sehe, fühle ich mich inspiriert, als ob ich es auch schaffen könnte.

Glücklicherweise ist Governors Island nah, knapp eine Fahrtminute nur. Ich erinnere mich, wie ich mit Bree an heißen Sommertagen mit der Fähre hergekommen bin, und wie erstaunt wir jedes Mal waren, dass es so nah ist. Jetzt bin ich dankbar dafür: Wenn es auch nur etwas weiter weg wäre, weiß ich nicht, ob ich mich so lange festhalten könnte. Das nasse Seil gräbt sich in meine eiskalten Hände, jede Sekunde ist ein Kampf. Ich frage mich, wie ich aus dieser misslichen Lage wieder herauskommen soll. An der Seite des Bootes gibt es keine Leiter. Wenn wir erst einmal die Insel erreicht haben, wird es keine andere Möglichkeit geben, das Seil loszulassen und im Wasser unterzutauchen. Wo ich sicherlich erfrieren würde.

Ich sehe aus dem Augenwinkel eine Bewegung, schaue zu Logan und stelle fest, dass er langsam am Seil hochklettert. Er hat eine geniale Methode entwickelt, seine Knie anzuheben, sich mit den Innenseiten seiner Füße fest an dem dicken Seil festzuklemmen und sich dann mit den Beinen selbst hochzuziehen.

Ich versuche es. Ich hebe meine Knie und klemme meine Füße genauso in das Seil. Ich bin sehr positiv überrascht, dass meine Stiefel halt finden. Ich strecke meine Beine und ziehe mich ein Stück hoch. Es funktioniert. Ich mache es wieder und wieder, folge Logan, und innerhalb der Minute, die es braucht, um die Insel zu erreichen, bin ich oben am Seil angekommen. Logan wartet dort mit ausgestreckter Hand. Ich greife danach, und er zieht mich schnell und leise über den Rand.

Wir kriechen beide hinter einen Metallcontainer und sehen uns verstohlen um. Vor uns steht mit dem Rücken zu uns eine Gruppe von Wachen mit Maschinengewehren. Sie bewachen ein Dutzend junger Mädchen, dirigieren sie eine lange Rampe hinunter, die vom Boot abgeht. Der Anblick lässt mich vor Empörung kochen, am liebsten würde ich sie sofort angreifen. Aber ich zwinge mich zu warten, diszipliniert zu bleiben. Das würde mir zwar vorübergehende Befriedigung verschaffen, aber so bekomme ich Bree nie zurück.

Die Gruppe setzt sich in Bewegung, Ketten rasseln, bis sie alle von der Rampe runter und auf der Insel sind. Als das Boot leer ist, nicken Logan und ich einander zu und verlassen die Barkasse ganz leise, aber schnell entlang der Reling. Wir eilen die Rampe hinunter, ein gutes Stück hinter allen anderen. Glücklicherweise sieht sich niemand nach uns um.

In wenigen Augenblicken sind wir an Land. Wir eilen durch den Schnee und verstecken uns hinter einem kleinen Gebäude, verstecken uns außerhalb ihrer Sichtweite, um zu beobachten, so sie die Mädchen hinbringen. Die Sklaventreiber steuern auf ein großes, rundes Backsteingebäude zu, das wie eine Kreuzung zwischen einem Amphitheater und einem Gefängnis aussieht. Es ist rundherum mit Eisengittern versehen.

Wir folgen ihrer Spur, verstecken uns alle zwanzig Meter hinter einem Busch, rennen von Baum zu Baum und achten darauf, nicht gesehen zu werden. Ich fühle nach meiner Pistole, für den Fall, dass ich sie benutzen muss. Logan macht dasselbe. Sie könnten uns jeden Augenblick bemerken, und wir müssen bereit sein. Es wäre ein Fehler, abzufeuern – das würde zu schnell zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken. Aber wenn es sein muss, muss es sein.

Sie schieben die Mädchen in eine offene Tür des Gebäudes und verschwinden dann in der Dunkelheit.

Wir rennen hinter ihnen her.

Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Zu meiner Rechten, um eine Ecke, führt eine Gruppe von Sklaventreibern die neuen Mädchen. Zu unserer Linken läuft ein einzelnes Sklaventreiber einen Gang entlang. Logan und ich tauschen einen wissenden Blick aus und beschließen wortlos, dem einzelnen Sklaventreiber zu folgen.

Leise eilen wir den Korridor entlang, nur wenige Meter hinter ihm, und warten auf unsere Chance. Er kommt zu einer großen Eisentür, zieht einen Schlüsselring hervor und beginnt, sie aufzuschließen. Das Metall scheppert, es hallt in den leeren Gängen wider. Bevor ich reagieren kann, zieht Logan ein Messer, greift den Sklaventreiber an, packt ihn am Hinterkopf und schneidet ihm in einer schnellen Bewegung die Kehle durch. Blut spritzt überall hin, als er zusammenbricht, ein lebloser Haufen auf dem Boden.

Ich greife nach seinen Schlüsseln, die noch im Schloss stecken, drehe es um und ziehe die schwere Eisentür zurück. Ich halte sie auf, Logan rennt hinein und ich folge ihm.

Wir sind im Zellenblock. Er ist lang und schmal, ein Halbkreis mit kleinen Zellen. Ich renne an den Zellen entlang, schaue nach links und rechts, suche die gequälten, hohlwangigen Gesichter der jungen Mädchen ab. Sie blicken mich hoffnungslos und verzweifelt an. Sie sehen aus, als wären sie schon ewig hier.

Mein Herz schlägt wild. Verzweifelt suche ich nach meiner Schwester. Ich kann fühlen, dass sie in der Nähe ist. Als ich an ihnen vorbeilaufe, kommen die Mädchen an ihre Zellentüren und stecken ihre Hände hindurch. Sie müssen merken, dass wir keine Sklaventreiber sind.

„BITTE!“, weint eine. „Hilf mir!“

„LASST MICH HIER RAUS!“, weint eine andere.

Bald ist es ein ganzer Chor aus Brüllen und Flehen. Das zieht zu viel Aufmerksamkeit auf uns und macht mir Sorgen. Ich will jedem von diesem Mädchen helfen, aber ich kann nicht. Nicht jetzt. Ich muss erst Bree finden.

„BREE!”, schreie ich verzweifelt.

Ich laufe noch schneller, jogge schon, renne von Zelle zu Zelle.

„BREE? KANNST DU MICH HÖREN? ICH BIN ES! BROOKE! BREE? BIST DU HIER?!“

Ein Mädchen packt aus einer Zelle heraus meinen Arm und zieht mich zu ihr.

„Ich weiß, wo sie ist!“, sagt sie.

Ich halte an und starre sie an. Ihr Gesicht ist so verzweifelt wie die der anderen.

„Lass mich hier raus, und ich werde es Dir sagen!“, sagt sie.

Wenn ich sie freilasse, könnte sie vielleicht unerwünschte Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Andererseits ist sie meine beste Chance.

Ich schaue nach, wie ihre Zellennummer ist, dann suche ich sie in den Schlüsseln in meiner Hand. Ich schließe sie auf und das Mädchen kommt herausgerannt.

„LASS MICH AUCH RAUS!“, brüllt ein anderes Mädchen.

„MICH AUCH!“

Alle Mädchen fangen an zu brüllen.

Ich packe das Mädchen an den Schultern.

„Wo ist sie?!“, frage ich.

„Sie ist in der Villa. Sie haben sie heute früh mitgenommen.“

„Die Villa?“, frage ich.

„Da bringen sie die neuen Mädchen hin. Um angelernt zu werden.“

„Angelernt?“, frage ich entsetzt.

„Für Sex“, antwortet sie. „Fürs erste Mal.“

Mein Herz rutscht mir bei ihren Worten in die Knie.

„Wo?“, frage ich. „WO IST DIESE VILLA?“

„Folge mir“, sagt sie und beginnt zu laufen.

Ich will ihr gerade folgen, aber dann halte ich plötzlich inne.

„Warte“, sage ich und halte sie an der Taille fest.

Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Ich weiß, dass ich einfach hier rausrennen sollte, mich darauf konzentrieren, Bree zu retten. Ich weiß, dass keine Zeit ist, und ich weiß, wenn ich den anderen helfe, das nur zu unerwünschter Aufmerksamkeit führen kann und meine Pläne ruinieren.

Aber in mir regt sich etwas, eine tiefe Empörung. Ich kann mich einfach nicht überwinden, die anderen Mädchen hier so zurückzulassen.

Wider besseres Wissen drehe ich also um und renne wieder von einer Zelle zur nächsten. Und bei jeder Zelle suche ich den Schlüssel heraus und schließe sie auf. Eine nach der anderen befreie ich alle Mädchen. Sie kommen alle herausgerannt und rennen hysterisch in alle Richtungen. Der Lärm ist ohrenbetäubend.

Ich renne zu der ersten zurück, die ich befreit habe. Glücklicherweise wartet sie immer noch bei Logan.

Sie rennt und wir folgen hier, rennen Gang um Gang entlang. Wenige Momente sind wir aus dem Gebäude raus und stehen im blendenden Tageslicht.

Während wir rennen, kann ich den Chor der Mädchen hinter uns schreien hören, die in ihre Freiheit laufen. Es wird nicht lange dauern, bis alle Soldaten hinter uns her sind. Ich renne schneller.

Das Mädchen hält an und zeigt auf die andere Seite des Hofes.

„Dort!“, sagt sie. „Das Gebäude! Das große alte Haus. Am Wasser. Die Villa des Gouverneurs. Das ist sie! Viel Glück!“, ruft sie, dann dreht sie sich um und rennt in die andere Richtung weg.

Ich laufe auf das Gebäude zu, Logan direkt neben mir.

Wir rennen über das riesige Feld, der Schnee reicht uns bis zu den Oberschenkeln, und wir halten nach den Sklaventreibern Ausschau. Glücklicherweise sind sie noch nicht hinter uns her.

Die kalte Luft brennt in meinen Lungen. Ich denke an Bree, dass sie irgendwo hingebracht wird, um Sex zu haben, und ich kann gar nicht schnell genug dort ankommen. Ich bin so nah dran. Ich kann nicht zulassen, dass sie ihr wehtun. Nicht jetzt. Nicht nach all dem. Nicht, wenn ich nur noch wenige Meter entfernt bin.

Ich zwinge mich, voranzukommen, hole keine Luft mehr. Ich erreiche die Vordertür und bin nicht einmal vorsichtig. Ich halte nicht an, um mich umzusehen, sondern renne einfach hinein und trete sie auf.

Die Tür springt auf und ich renne weiter, direkt ins Haus hinein. Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll, aber ich sehe eine Treppe und mein Instinkt sagt mir, dass ich da hoch muss. Ich renne direkt darauf zu, spüre Logan direkt hinter mir.

Als ich den Absatz am oberen Ende der Stufen erreiche, platzt ein Sklaventreiber aus einem Raum, er hat seine Maske abgenommen. Er sieht mich an, seine Augen weit geöffnet vor Schreck, und greift nach seiner Pistole.

Ich zögere nicht. Meine ist schon gezogen. Ich schieße ihm direkt in den Kopf. Er geht nieder, der Schuss war ohrenbetäubend in diesem abgeschlossenen Raum.

Ich gehe den Flur hinunter und suche mir einen zufälligen Raum aus. Als ich die Tür auftrete, finde ich zu meinem Entsetzen einen Mann auf einem jungen Mädchen vor, das an ein Bett gefesselt ist. Es ist nicht Bree, aber der Anblick macht mich dennoch krank. Der Mann – ein Sklaventreiber ohne Maske – springt auf, sieht mich voller Angst an und fummelt nach seiner Waffe. Ich schieße ihm zwischen die Augen. Das kleine Mädchen schreit, als sein Blut über sie spritzt. Wenigstens ist er tot.

Ich renne durch den Flur zurück, trete die Türen aller Zimmer auf. In jedem befindet sich ein anderer Mann, der mit einem angeketteten Mädchen Sex hat. Ich suche weiter verzweifelt nach Bree.

Als ich am Ende des Flurs angekommen bin, ist nur noch eine letzte Tür übrig. Ich trete sie auf, Logan hinter mir, und stürme hinein. Ich erstarre.

Ein Himmelbett dominiert den Raum. Darauf liegt ein großer, fetter, nackter Mann, der Sex mit einem jungen Mädchen hat, das mit einem Seil an sein Bett gefesselt ist. Ich kann sehen, dass das Mädchen bewusstlos ist, und frage mich, ob sie unter Drogen steht. Der Mann muss wichtig sein, denn neben ihm sitzt ein Sklaventreiber als Wache.

Ich ziele auf den fetten Mann, und als er sich umdreht, schieße ich ihm einmal in den Bauch. Er bricht auf dem Boden zusammen, stöhnend, und ich schieße ein zweites Mal auf ihn – dieses Mal aber in den Kopf.

Aber ich war unvorsichtig. Jetzt richtet der Wächter seine Waffe auf mich, und ich kann aus dem Augenwinkel sehen, dass er drauf und dran ist, zu schießen. Das war ein dummer Fehler. Ich hätte ihn zuerst erschießen sollen.

Ich höre einen Schuss und zucke zusammen.

Ich bin noch am Leben. Die Wache ist tot. Logan steht mit gezogener Waffe über ihm.

Auf der anderen Seite des Raumes sitzen zwei junge Mädchen, beide an ihre Stühle gekettet. Sie sind komplett bekleidet, zittern vor Angst, ganz offensichtlich sind sie die nächsten, die zu dem Bett gebracht werden sollten. Mein Herz schlägt höher. Eine von ihnen ist Bree.

Bree sitzt dort, angekettet und verängstigt, die Augen weit geöffnet. Aber sie ist sicher. Unberührt. Ich habe es gerade noch rechtzeitig geschafft. Einige Minuten später, und ich bin mir sicher, sie wäre der Barmherzigkeit dieses fetten Mannes ausgeliefert gewesen.

„Brooke!“, schreit sie hysterisch und bricht in Tränen aus.

Ich renne zu ihr, knie mich hin und umarme sie. Sie umarmt mich zurück, so gut es mit den Ketten geht, weint über meine Schulter.

Logan taucht auf, er hat den Schlüssel vom Gürtel des toten Sklaventreiber gelöst, und schließt die Ketten der beiden Mädchen auf. Bree springt in meine Arme, umarmt mich, ihr ganzer Körper zittert. Sie klammert sich an mich, als wolle sie mich nie wieder loslassen.

Ich kann fühlen, wie Tränen meine Wangen herunterfließen, als ich sie zurück umarme. Ich kann es noch kaum glauben: Sie ist es wirklich.

„Ich habe doch gesagt, ich komme zurück“, sage ich.

Ich will sie ewig festhalten, aber ich weiß, dass wir keine Zeit haben. Bald wird dieser Raum voller Sklaventreiber sein.

Ich ziehe sie zurück und nehme ihre Hand. „Lass uns gehen“, sage ich, und will losrennen.

„Warte!“, brüllt Bree und bleibt stehen.

Ich bleibe auch stehen und drehe mich um.

„Wir müssen Rose auch mitnehmen!“, sagt Bree.

Das Mädchen neben Bree schaut zu uns hoch, so hoffnungslos und verloren. Es ist merkwürdig, aber sie ähnelt tatsächlich. Mit ihrem langen schwarzen Haar und ihren großen braunen Augen könnten die beiden tatsächlich als Schwestern durchgehen.

„Bree, es tut mir leid, aber das können wir nicht. Wir haben keine Zeit und–“

„Rose ist meine Freundin!“, brüllt Bree. „Wir können sie nicht einfach zurücklassen. Das geht nicht!“

Ich sehe Rose an, und mein Herz wird mir schwer bei dem Anblick. Ich schaue Logan an, der mir einen missbilligenden Blick zuwirft – der aber zugleich sagt, dass ich das entscheiden muss.

Rose mitzunehmen, wird uns langsamer machen. Und es wird ein weiterer Mund sein, den wir füttern müssen. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben insistiert Bree – und hier herumzustehen, macht uns auch langsamer. Ganz zu schweigen davon, dass Rose so süß ist und mich so sehr an Bree erinnert, und dass ich sehen kann, wie nahe die zwei sich schon stehen. Und es ist das Richtige.

Wider besseres Wissen sage ich also: „Okay.“

Ich laufe zu dem bewusstlosen Mädchen hinüber, die noch ans Bett gefesselt ist, und schneide mit meinem Messer als vier Enden des Seils durch. Ihre Hände und Füße entspannen sich, fallen aufs Bett. Sie ist immer noch bewusstlos und ich kann nicht sagen, ob sie krank, unter Drogen oder tot ist. Aber damit kann ich mich jetzt nicht beschäftigen. Wenigstens ist sie frei.

Wir stürmen alle vier aus dem Zimmer und treffen sofort auf zwei Wachen, die auf uns zustürmen und ihre Waffen ziehen. Ich reagiere schnell und schieße einem in den Kopf, während Logan den anderen erschießt. Die Mädchen schreien bei den Schüssen.

Ich greife nach Brees Hand und Logan greift sich Rose, dann rennen wir die Treppen hinunter, nehmen immer zwei Stufen auf einmal. Einen Moment später stürzen wir aus dem Haus, in den blendenden Schnee hinein. Von der anderen Seite des Hofes aus kommen Wachen auf uns zu. Ich kann nur hoffen, dass wir eine Möglichkeit finden, diese Insel zu verlassen, bevor wir überwältigt werden.

ZWEIUND DREISSIG

Ich schaue mich panisch um, auf der Suche nach einem Ausweg. Ich hoffe auf ein Fahrzeug, finde aber keins. Dann suche ich mit meinen Augen das Wasser ab, das Ufer. Und da sehe ich es: Direkt hinter der Villa des Gouverneurs ist an einem einsamen Pier ein kleines, luxuriöses Motorboot festgemacht. Ich bin mir sicher, dass es für die wenigen Privilegierten reserviert ist, die diese Insel als ihren Spielplatz benutzen.

„Dort!“, sage ich und zeige dorthin.

Logan sieht es auch und wir rennen zum Ufer.

Wir rennen direkt zu dem wunderschönen, strahlenden Motorboot, groß genug für sechs Personen. Es schaukelt wild im rauen Gewässer und wirkt doch kraftvoll, wie ein Luxusgegenstand. Ich habe so ein Gefühl, dass dieses Boot von dem fetten, nackten Mann benutzt wurde. Umso mehr Genugtuung.

Es schaukelt so wild, dass ich nicht riskieren will, dass Bree und Rose alleine hineinklettern, also hebe ich Bree hinein, während Logan sich um Rose kümmert.

„Schneid das Seil durch!“, sagt Logan und zeigt dorthin.

Ein dickes Seil hält das Boot an einer Holzstange fest, also renne ich hinüber, ziehe mein Messer und schneide es durch. Ich renne zurück zum Boot, in dem Logan schon drin steht und es am Pier festhält, damit es nicht wegschwimmt. Er streckt eine Hand aus und hilft mir hinein. Als ich über meine Schulter schaue, sehe ich ein Dutzend Sklaventreiber auf uns zukommen. Sie sind nur noch zwanzig Meter entfernt und kommen schnell näher.

„Ich hab sie im Griff“, sagt Logan. „Nimm Du das Steuer.“

Ich beeile mich, auf den Fahrersitz zu kommen. Glücklicherweise bin ich mein ganzes Leben lang schon Boote gefahren. Logan schiebt uns vom Ufer weg und nimmt eine Position hinten im Boot ein, kniet sich hin und schießt auf die herankommenden Soldaten. Sie gehen in Deckung und sie werden langsamer.

Ich schaue hinunter, und meine Zuversicht schwindet, als ich sehe, dass keine Schlüssel im Zündschloss stecken. Ich sehe auf dem Armaturenbrett nach, dann auf den Vordersitzen, mein Herz klopft. Was mache ich, wenn sie nicht hier sind?

Ich schaue über meine Schulter und sehe, dass die Sklaventreiber noch näher sind, kaum noch zehn Meter entfernt.

„FAHR LOS!“, brüllt Logan über den Lärm seiner Schüsse hinweg.

Plötzlich habe ich eine Idee und sehe voller Hoffnung im Handschuhfach nach. Mein Herz macht einen Sprung, als ich sie finde. Ich stecke den Schlüssel in das Zündschloss und drehe ihn um. Der Motor heult auf. Schwarzer Rauch steigt auf, und die Benzin-Anzeige schlägt komplett aus. Ein voller Tank.

Ich trete aufs Gaspedal und werde nach hinten gedrückt, als das Boot losfährt. Ich kann hören, dass die anderen hinter mir auch hingefallen sind, und als ich mich umschaue, stelle ich fest, dass es in der Tat auch Bree und Rose, sogar Logan umgeworfen hat. Ich schätze, ich habe zu viel Gas gegeben – glücklicherweise ist niemand über Bord gegangen.

Glück haben wir auch, weil die Sklaventreiber inzwischen am Ufer angekommen sind, sie sind nur noch zehn Meter entfernt. Ich bin gerade noch rechtzeitig losgefahren. Sie schießen zurück, aber weil jeder unten liegt, fliegen die Kugeln über unsere Köpfe hinweg. Eine von den Kugeln berührt die Holzvertäfelung, eine andere zerstört meinen Außenspiegel.

„UNTEN BLEIBEN!“, schreit Logan die Mädchen an.

Er kniet wieder hinten, taucht kurz auf und schießt zurück. Im Rückspiegel kann ich sehen, wie er mehrere von ihnen erwischt.

Ich gebe weiter Gas, hole alles aus dem Motor raus, was möglich ist, und in wenigen Augenblicken sind wir weit von der Insel. Fünfzig Meter, dann hundert, dann zweihundert … Bald sind wir sicher, außerhalb der Reichweite ihrer Kugeln. Die Sklaventreiber stehen hilflos am Ufer, nur noch Punkte am Horizont, die uns nur noch zusehen können, wie wir wegfahren.

Ich kann es nicht glauben. Wir sind frei.

*

Als wir uns weiter vom Ufer entfernen, weiß ich, dass ich in der Mitte des Flusses bleiben sollte, so weit wie möglich von beiden Ufern weg, und flussaufwärts steuern, so weit wie möglich weg von der Stadt. Aber etwas in mir hält mich auf. Die Gedanken an Ben kommen zurück, und ich kann ihn nicht so einfach loslassen. Was, wenn es irgendwie doch noch bis zum Seehafen geschafft hat? Was, wenn er nur zu spät war?

Ich kann das nicht einfach auf sich beruhen lassen. Wenn er durch irgendeinen Zufall doch noch da ist, kann ich ihn nicht einfach im Stich lassen. Ich muss nachsehen. Ich muss es wissen.

Statt also flussaufwärts zu steuern, steuere ich direkt auf das gegenüberliegende Ufer zu – zurück in Richtung Seehafen. Innerhalb von wenigen Momenten rauscht das Ufer von Manhattan auf uns zu, näher und näher. Mein Herz klopft bei dem Gedanken an die potentielle Gefahr, die uns erwarten könnte – eine beliebige Anzahl an bewaffneten Sklaventreibern, die am Ufer nur darauf warten, auf uns zu schießen.

Logan wird klar, dass ich in die falsche Richtung fahre und kommt zu mir, wütend.

„Wo willst Du hin?“, brüllt er. „Du fährst zur Stadt zurück!“

„Ich muss etwas überprüfen“, sage ich, „bevor wir fahren.“

„Was überprüfen?“!

„Ben“, antworte ich. „Er könnte da sein.“

Logan wirft mir einen grimmigen Blick zu.

„Das ist verrückt!“, sagt er. „Du bringst uns direkt ins Wespennest zurück. Du bringst uns alle in Gefahr! Er hatte seine Chance. Er war nicht dort!“

„Ich muss es überprüfen“, brülle ich zurück. Ich bin entschlossen, und nichts kann mich aufhalten. Mir wird klar, dass ich in einigen Punkten genau wie meine Mutter bin.

Logan dreht sich weg, ich kann seine Missbilligung spüren. Ich kann es ihm nicht verübeln. Aber ich muss das tun. Ich weiß, dass wenn Ben an meiner Stelle wäre, er auch zurückkommen würde und nachsehen.

Innerhalb von wenigen Augenblicken ist der Seehafen in Sicht. Wir kommen näher, noch 300 Meter … 200 … Noch hundert Meter, und ich könnte schwören, dass ich dort jemanden sehe, der alleine am Ende des Piers steht. Er schaut auf das Wasser hinaus, und mein Herz macht einen Sprung.

Es ist Ben.

Ich kann es kaum glauben. Er ist wirklich dort. Er ist am Leben. Er steht dort, bis zu seinen Hüften im Schnee, zitternd. Meine Zuversicht schwindet, als ich erkenne, dass er allein ist. Das kann nur eins bedeuten: Sein Bruder hat es nicht geschafft.

Wir sind jetzt ganz nah dran, vielleicht noch zwanzig Meter, nah genug, dass ich die Linien in Bens Gesicht sehen kann, die die Trauer gegraben hat. In der Ferne sehe ich eine Karawane von Sklaventreiber-Fahrzeugen, die durch den Schnee rasen, direkt auf den Pier zu. Es ist nicht viel Zeit.

Ich bremse das Boot und fahre an den Pier heran. Ben läuft bis an den Rand vor. Wir schaukeln wild in den Wellen und ich frage mich plötzlich, wie Ben ins Boot kommen soll. Das ist gut drei Meter von da oben bis hier unten. Ben schaut herunter, Angst in seinen Augen, und er muss dasselbe denken, sich fragen, wie er springen soll.

„Nicht springen!“, schreit Logan. „Das könnte das Boot zerstören!“

Ben hält inne und sieht ihn an, erstarrt vor Angst.

„Knie Dich hin, dreh Dich um und lass Dich langsam rückwärts runter“, kommandiert Logan. „Lass Dich langsam runter. Halt Dich am Rand vom Pier fest, nur mit den Händen, und lass Dich hängen. Ich werde Dich auffangen.“

Ben tut, was er ihm sagt, und lässt sich langsam über den Rand herunterrutschen, bis er nur noch an seinen Händen hängt. Logan hält, was er versprochen hat, hält ihn und greift ihn und lässt ihn ins Boot gleiten. Gerade noch rechtzeitig: Die Sklaventreiber sind kaum noch fünfzig Meter entfernt und kommen schnell näher.

„LOS!“, schreit Logan.

Ich trete aufs Gaspedal und wir fahren los, fliegen flussaufwärts. Wieder fallen Schüsse, knapp an unserem Boot vorbei, und schlagen neben uns im Wasser auf. Logan kniet sich wieder hin und feuert zurück.

Glücklicherweise sind wir zu schnell für sie: Innerhalb von wenigen Augenblicken sind wir weit weg vom Ufer, in der Mitte des Flusses, außerhalb der Reichweite ihrer Waffen. Ich steuere Richtung Norden, flussaufwärts, zurück in Richtung Heimat.

Jetzt, endlich, gibt es nichts mehr, was uns aufhalten könnte.

Jetzt sind wir frei.

*

Wir rasen den East River hinauf und es ist außergewöhnlich, die Ruinen der zerstörten Brücken so aus der Nähe zu sehen. Wir fliegen an den Überresten der Brooklyn Bridge vorbei, das verrostete Metall ragt aus dem Wasser wie ein prähistorischer Gegenstand. Sie thront über uns, so hoch wie mehrere Stockwerke, wie ein Wolkenkratzer, der sich aus dem Wasser erhebt. Ich fühle mich wie ein Zwerg, als wir daran vorbeifahren, und kann nicht anders, als mich zu fragen, ob irgendwas von all dem jemals wieder aufgebaut werden wird.

In der Nähe ragt das Wracks des Militärflugzeuges aus dem Wasser, und ich fahre einen großen Bogen darum herum, um genug Abstand zu haben. Ich weiß nicht, was für Metall da überall aus dem eiskalten Wasser ragt, aber ich möchte es auch nicht herausfinden.

Bald passieren wir die Überreste der Manhattan Bridge, dann der Williamsburg Bridge. Ich trete aufs Gaspedal, will uns möglichst schnell an all diesen schrecklichen Anblicken vorbeifahren.

Bald rasen wir an dem vorbei, was einst Roosevelt Island war, jetzt ist es ein dünner Streifen Einöde, wie alles andere. Als ich links abbiege, stelle ich fest, dass auch die 59th Street Bridge zerstört worden ist – zusammen mit der Straßenbahn, die die Insel mit Manhattan verbunden hat. Die Straßenbahn, verrostet und demoliert, schaukelt wie eine riesige Boje im Wasser. Ich achte darauf, sie zu umfahren, aber die Wasserstraße wird schmaler.

Ich rase weiter flussaufwärts, weiter und weiter, wir passieren nichts als Zerstörung. Schließlich biege ich links in den Harlem River ab. Dieser ist noch schmaler, nur noch 50 Meter trennen uns auf beiden Seiten vom Land. Hier bin ich viel nervöser. Ich suche mit meinen Augen die Ufer ab, habe Angst vor einem Hinterhalt.

Aber ich kann nichts erkennen. Vielleicht bin ich nur paranoid. Wenn die Sklaventreiber hinter uns her sind – und ich bin mir sicher, das sind sie – haben wir mindestens eine Stunde Vorsprung. Besonders, bei all dem Schnee. Und bis dahin sind wir hoffentlich weit genug den Hudson hochgekommen, dass sie uns auch nicht mehr kriegen können.

Der Harlem River trennt Manhattan und die Bronx, und entlässt und schließlich in den breiten, weit offenen Hudson River. Der Hudson ist so breit wie zehn Fußballfelder, und ich habe das Gefühl, wir sind gerade in einen Ozean hinein. Endlich fühle ich mich wieder wohl. Endlich sind wir wieder auf dem Fluss, an den ich mich erinnere. Dem Fluss, der nach Hause führt.

Ich drehe nach rechts und steuere nach Norden, und wir rasen in Richtung Heimat, in Richtung Catskills. Schon in zwei Stunden werden wir dort sein.

Nicht, dass ich vorhätte, nach Hause zurückzukehren. Habe ich nicht. Jetzt zurückzukehren, wäre unvernünftig: Die Sklaventreiber wissen, wo wir leben, und das ist sicher der erste Ort, an dem sie nach uns suchen werden. Ich möchte zu Hause anhalten, um Sasha zu begraben, um mich zu verabschieden. Aber ich werde nicht dortbleiben. Unser Ziel wird viel weiter im Norden liegen müssen. So weit weg, wie möglich.

Ich denke an das steinerne Cottage, das ich gefunden habe, ganz oben auf dem Berg, und empfinde fast einen stechenden Schmerz, wenn ich mich erinnere, wie unbedingt ich dort leben wollte. Ich weiß, dass das eines Tages ein großartiges Zuhause für uns werden könnte. Aber dieser Tag ist nicht heute. Es ist zu nah an unserem ehemaligen Zuhause, es ist jetzt zu gefährlich. Wir müssen warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Vielleicht können wir eines Tages zurückkommen. Außerdem sind wir jetzt zu fünft. Fünf Münder, die gefüttert werden müssen. Wir müssen einen Ort finden, an dem wir alle überlegen können.

Je weiter wir flussaufwärts fahren, desto mehr kann ich endlich anfangen, mich zu entspannen. Ich fühle, wie die Anspannung langsam aus meinem Nacken und meinen Schultern weicht. Zum ersten Mal atme ich tief durch. Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben. Das ist mehr, als ich verarbeiten kann. Ich fühle die Schmerzen und Verletzungen an meinem ganzen Körper, aber nichts davon spielt jetzt noch eine Rolle. Ich bin einfach nur glücklich, dass Bree in Sicherheit ist. Dass wir zusammen sind.

Ich nehme mir einen Moment Zeit, um mich umzusehen, wie es den anderen im Boot geht. Ich war so darauf konzentriert, uns von der Stadt wegzubekommen, dass ich noch gar nicht dazu gekommen bin, darüber nachzudenken. Ich schaue zu Logen hinüber, der zufrieden im Beifahrersitz neben mit sitzt. Als ich mich weiter umdrehe, sehe ich die anderen in den Reihen hinter mir sitzen. Alle sehen aufs Wasser hinaus, alle in eine andere Richtung, alle in ihren eigenen Gedankenwelten verloren.

Ich tippe Logan auf die Schulter. Er dreht sich zu mir.

„Kannst Du mal kurz das Steuer übernehmen?“, frage ich.

Er erhebt sich schnell aus seinem Sitz, leistet meiner Bitte gerne Folge und greift nach dem Lenkrad, während wir die Plätze tauschen.

Ich klettere in den hinteren Teil des Bootes. Ich muss unbedingt mit Bree sprechen, und ich muss unbedingt mit Ben sprechen, um herauszufinden, was mit seinem Bruder geschehen ist. Als ich mich nach hinten aufmache, sehe ich, dass Ben in einer Art Schockzustand ist, er starrt auf den Fluss hinaus. Er sieht aus, als wäre er über Nacht um zehn Jahre gealtert, die Trauer hat sich in sein Gesicht gegraben. Ich kann mir nur vorstellen, welche Hölle er durchlebt haben muss, wie schuldig er sich fühlen muss, dass er seinen Bruder nicht retten konnte. Wenn ich an seiner Stelle wäre, weiß ich nicht, wie ich damit fertigwerden würde. Ich bewundere ihn dafür, dass er es bis hierher geschafft hat.

Ich will mit ihm sprechen, aber zuerst muss ich nach Bree schauen. Ich gehe in die letzte Reihe und setze mich zu ihr. Ihre Augen leuchten auf, als sie mich sieht. Wir umarmen uns für eine lange Zeit. Sie hält mich fest, will mich gar nicht mehr loslassen.

Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
09 eylül 2019
Hacim:
363 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9781632910479
İndirme biçimi:
Serideki Birinci kitap "Trilogie Des Überlebens"
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