Kitabı oku: «Arena Eins: Die Sklaventreiber », sayfa 6
Ich öffnete die Tür und wusste sofort, dass es dies Mal anders war. Etwas war ganz, ganz verkehrt. Mein Vater stand in voller Uniform da. Das machte keinen Sinn. Er hatte seine Uniform jahrelang nicht getragen. Warum sollte er sie jetzt tragen?
„Du bist kein Mann!“, brüllte meine Mutter ihn an. „Du bist ein Feigling! Du verlässt Deine Familie. Wozu? Um unschuldige Menschen zu töten?“
Das Gesicht meines Vaters wurde rot, wie immer, wenn er zornig war.
„Du hast keine Ahnung, wovon Du redest!“, schrie er zurück. „Ich tue meine Pflicht für mein Land. Das ist auf jeden Fall das Richtige.“
„Das Richtige für wen?”, zischte sie zurück. „Du weißt nicht einmal, wofür Du kämpfst. Für einen dummen Haufen Politiker?“
„Ich weiß genau, wofür ich kämpfe: für den Zusammenhalt unserer Nation.“
„Achso, na dann, Verzeihung, Mister America!“, brüllte sie zurück. „Du kannst das drehen und wenden wie Du willst, aber in Wahrheit gehst Du, weil Du mich nicht ertragen kannst. Weil Du nie damit zurechtgekommen bist, normal in einem Haushalt zu leben. Weil Du zu dumm warst, etwas aus Deinem Leben nach dem Korps zu machen. Also springst Du einfach auf und läufst bei der ersten Gelegenheit davon –“
Mein Vater stoppte sie mit einem harten Schlag in das Gesicht. Ich höre das Geräusch immer noch in meinem Kopf.
Ich war entsetzt. Ich hatte noch nie gesehen, dass er Hand an sie gelegt hatte. Ich fühlte, wie mich meine Kraft verließ, als wäre ich selbst geschlagen worden. Ich starrte ihn an und konnte ihn kaum noch erkennen. War das wirklich mein Vater? Ich war so verblüfft, dass ich mein Buch fallen ließt, es landete mit einem dumpfen Aufprall.
Beide drehten sich um und sahen mich an. Wie abgetötet wandte ich mich ab und rannte den Flur entlang in mein Schlafzimmer, ich knallte die Tür hinter mir zu. Ich wusste nicht, wie ich auf all das reagieren sollte und musste einfach weg von ihnen.
Nur wenige Momente später klopfte es leise an meiner Tür.
„Brooke, ich bin es“, sagte mein Vater mit einer lesen, reuevollen Stimme. „Es tut mir leid, dass Du das ansehen musstest. Bitte, lass mich rein.“
„Geh weg!“, brüllte ich zurück.
Ein langes Schweigen folgte. Aber er ging immer noch nicht.
„Brooke, ich muss jetzt gehen. Ich würde Dich gerne ein letztes Mal sehen, bevor ich gehe. Bitte. Komm raus und verabschiede Dich von mir.“
Ich fing an zu weinen.
„Geh weg!“, schnappte ich wieder. Ich war so überwältigt, so wütend auf ihn, weil er meine Mutter geschlagen hatte, und noch wütender, weil er uns verließ. Und tief drinnen hatte ich Angst, dass er nie wiederkommen würde.
„Ich gehe jetzt, Brooke“, sagte er. „Du musst die Tür nicht aufmachen. Aber ich möchte, dass Du weißt, wie sehr ich Dich liebe. Und dass ich immer bei Dir sein werde. Denk daran, Brooke, Du bist die starke. Pass auf diese Familie auf. Ich zähle auf Dich. Pass auf sie „.
Und dann hörte ich die Schritte meines Vaters, wie er ging. Sie wurden leiser und leiser. Nur Momente später hörte ich, wie die Vordertür sich öffnete und dann wieder schloss.
Und dann nichts mehr.
Minuten – es fühlte sich wie Tage an – öffnete ich langsam meine Tür. Ich spürte es schon. Er war weg. Und ich bereute es schon. Ich wünschte, ich hätte mich verabschiedet. Weil ich tief drinnen schon fühlte, dass er nie wiederkommen würde.
Mama saß am Küchentisch und weinte leiste, den Kopf in ihre Hände gelegt. Ich wusste, dass die Dinge sich an diesem Tag dauerhaft verändert hatten, dass sie nie wieder so sein würden wie zuvor – dass sie nie wieder dieselbe sein würde. Und ich auch nicht.
Und ich hatte Recht. Wie ich jetzt hier sitze und in die Glut des erlöschenden Feuers sehe, mit schweren Augen, wird mir bewusst, das seit diesem Tag nichts mehr jemals wieder war wie zuvor.
*
Ich stehe hier in unserer alten Wohnung in Manhattan. Ich weiß nicht, warum ich hier tue oder wie ich hierher gekommen bin. Nichts scheint einen Sinn zu machen, weil die Wohnung ganz und gar nicht so ist, wie ich sie in Erinnerung habe. Es stehen absolut keine Möbel mehr darin, als hätten wir nie dort gelebt. Ich bin die Einzige hier.
Plötzlich klopft es an der Tür, und herein kommt mein Vater, in voller Uniform, er trägt eine Aktentasche. Seine Augen wirken leer, als wäre er gerade durch die Hölle und zurück gegangen.
„Papa!“ Ich versuche zu schreien. Aber die Worte kommen nicht heraus. Ich sehe nach unten und erkenne, dass ich am Boden festgeklebt bin, hinter einer Wand, und er mich nicht sehen kann. Wie sehr ich mich auch bemühe, mich zu befreien, zu ihm zu rennen, seinen Namen zu rufen, ich kann nicht. Ich bin gezwungen, hilflos zuzusehen, wie er durch die leere Wohnung geht und sich überall umsieht.
„Brooke?“, ruft er aus. „Bist Du hier? Ist irgendjemand zu Hause?“
Ich versuche wieder, zu antworten, aber meine Stimme versagt. Er sucht in jedem Zimmer.
„Ich habe doch gesagt, ich komme zurück“, sagt er. „Warum hat denn niemand auf mich gewartet?“
Dann bricht er in Tränen aus.
Mein Herz bricht, und ich versuche mit aller Kraft, zu ihm zu rufen. Aber wie sehr ich es auch versuche, nichts kommt heraus.
Schließlich wendet er sich ab und verlässt die Wohnung, vorsichtig schließt er die Tür hinter sich. Das Klicken des Griffs hallt in der Leere nach.
„PAPA!“ Ich schreie, endlich ist meine Stimme wieder da.
Aber es ist zu spät. Ich weiß, dass er für immer weg ist, und es irgendwie alles meine Schuld.
Ich blinzele, und das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich wieder zurück in den Bergen bin, in Papas Haus, ich sitze in seinem Lieblingssessel neben dem Feuer. Papa sitzt auf der Couch, lehnt sich nach vorne, mit dem Kopf nach unten, und spielt mit seinem Messer vom Marine Corps. Ich bin entsetzt, als ich bemerke, dass die Hälfte seines Gesichtes weggeschmolzen ist, bis auf die Knochen; ich kann tatsächlich die Hälfte seines Schädels sehen.
Er sieht zu mir hoch, und ich habe Angst.
„Du kannst Dich nicht für immer hier verstecken, Brooke“, sagt er, in einem ruhigen Ton. „Du denkst, Du wärst hier sicher. Aber sie werden Dich holen kommen. Nimm Bree und versteck Dich.“
Er steht auf, kommt zu mir herüber, greift mich an den Schultern und schüttelt mich, seine Augen brennen vor Intensität. „HAST DU MICH GEHÖRT, SOLDAT?!“, schreit er.
Er verschwindet, und zugleich werden alle Türen und Fenster geöffnet, in eine Kakophonie aus splitterndem Glas.
Und in unser Haus stürmen ein Dutzend Sklaventreiber mit gezogenen Gewehren. Gekleidet in ihre gänzliche schwarzen Uniformen, ihr Markenzeichen, von Kopf bis Fuß, mit schwarzen Atemschutzmasken, rasen sie durch jeden Winkel des Hauses. Einer von ihnen greift Bree von der Couch und trägt sie mit sich fort, schreiend, während ein anderer direkt auf mich zuläuft, seine Finger in meinen Arm krallt und seine Pistole direkt auf mein Gesicht richtet.
Er drückt ab.
Ich erwachse, schreiend.
Ich fühle, wie sich tatsächlich Finger in meinen Arm krallen und in der Verwirrung zwischen meinem Traum und der Wirklichkeit bin ich bin bereit, zuzuschlagen. Aber als ich aufsehe, ist es Bree, die dort steht und meinen Arm schüttelt.
Ich sitze immer noch in Papas Stuhl, und das Zimmer ist mit Sonnenlicht durchflutet. Bree weint hysterisch.
Ich muss mehrmals blinzeln, während ich mich aufsetze und versuche, mich wieder zurechtzufinden. War das alles nur ein Traum? Es hat sich so real angefühlt.
„Ich hatte einen fürchterlichen Traum!“ Bree weint und hält immer noch meinen Arm fest.
Ich sehe herüber, sehe, dass das Feuer längst ausgegangen ist. Dann sehe ich das helle Sonnenlicht und erkenne, dass es spät am Vormittag sein muss. Ich kann nicht glauben, dass ich in dem Stuhl eingeschlafen bin – das ist mir noch nie passiert.
Ich schüttele meinen Kopf, um die gefühlten Spinnweben herauszubekommen. Der Traum hat sich so real angefühlt, es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass das nicht passiert ist. Ich habe vorher schon oft von meinem Vater geträumt, aber noch nie etwas mit dieser Unmittelbarkeit. Es fällt mir schwer zu glauben, dass er nicht immer noch bei mir im Zimmer ist, und ich sehe mich wieder im Raum um, um sicher zu gehen.
Bree hält sich immer noch untröstlich an meinem Arm fest. Ich habe sie noch nie so gesehen.
Ich knie mich hin und umarme sie. Sie klammert sich an mich.
„Ich habe geträumt, dass diese gemeinen Männer gekommen sind und mich mitgenommen haben! Und Du warst nicht hier, um mich zu retten!“ Bree weint in meine Schulter hinein. „Geh nicht!“, fleht sie hysterisch. „Bitte, geh nicht. Verlass mich nicht!“
„Ich gehe nirgendwohin“, sage ich und umarme sie fest. „Schschsch … Es ist in Ordnung… Du musst Dir keine Sorgen machen. Es ist alles in Ordnung.“
Aber tief drinnen kann ich nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass nicht alles in Ordnung ist. Im Gegenteil. Mein Traum verstört mich wirklich, und dass Bree auch so einen schlechten Traum hatte – über Dasselbe – tröstet mich nicht gerade. Ich glaube nicht an Omen, aber ich kann mir nicht helfen, ich frage mich, ob das alles ein Zeichen ist. Andererseits höre ich kein Geräusch und spüre keine Bewegung, und wenn da irgendjemand auch nur einen Kilometer entfernt wäre, wüsste ich das sicherlich.
Ich hebe Brees Kinn hoch, wischen ihre Tränen weg. „Atme mal tief durch“, sage ich.
Bree hört zu, langsam bekommt sie wieder Luft. Ich zwinge mich, zu lächeln. „Siehst Du“, sage ich. „Ich bin doch hier. Alles ist in Ordnung. Es war nur ein schlechter Traum. Okay?“
Langsam nickt Bree.
„Du bist nur übermüdet“, sage ich. „Und Du hast Fieber. Deswegen hast Du schlechte Träume. Es wird alles in Ordnung sein.“
Als ich dort knie und Bree umarme, wird mir klar, dass ich langsam in die Gänge kommen muss, auf den Berg klettern, unser neues Haus noch einmal prüfen und Essen besorgen. Mir schwindet der Mut, als mir klar wird, dass ich Bree das sagen muss, und ich weiß nicht, wie sie darauf reagieren wird. Mein Timing könnte nicht schlechter sein, das ist klar. Wie kann ich ihr jetzt nur sagen, dass ich weggehen muss? Auch wenn es nur für eine oder zwei Stunden ist? Ein Teil von mir will hier bleiben, sie den ganzen Tag im Auge behalten. Aber ich weiß auch, dass ich gehen muss, und: Je schneller ich das erledigt habe, desto eher werden wir in Sicherheit sein. Ich kann nicht einfach den ganzen Tag hier sitzen und nichts tun, außer auf die Dunkelheit zu warten. Und ich kann nicht nur wegen unseren dummen Träume riskieren, den Plan zu ändern und den Umzug bei Tageslicht zu machen.
Ich ziehe Bree zurück, streiche ihr das Haar aus dem Gesicht und lächle so lieb, wie ich kann. Ich zwinge mich zur stärksten, erwachsensten Stimmlage, über die ich verfüge.
„Bree, Du musst mir zuhören“, sage ich. „Ich muss jetzt rausgehen, nur ganz kurz –“
„NEIN!“, jammert sie. „Ich WUSSTE es! Genau wie in meinem Traum! Du wirst mich verlassen! Und Du kommst nie mehr zurück!“
Ich halte sie an den Schultern fest und versuche, sie zu trösten.
„So ist es nicht“, sage ich mit fester Stimme. „Ich muss nur für eine Stunde oder zwei weg. Ich muss sicherstellen, dass unser neues Haus für unseren Umzug heute Abend sicher ist. Und ich muss jagen. Bitte, Bree, versteh das. Ich würde Dich mitnehmen, aber Du bist noch zu krank und musst Dich ausruhen. Ich bin ein paar Stunden schon zurück. Ich verspreche es. Und heute Abend gehen wir dann zusammen dort hoch. Und weißt Du, was das Beste ist?“
Langsam sieht sie zu mir hoch, sie weint immer noch, und schließlich schüttelt sie den Kopf.
„Ab heute Abend werden wir zusammen dort oben sein, sicher und geborgen, und wir werden jeden Abend ein Feuer haben und alles Essen, was wir wollen. Und ich kann direkt vor dem Häuschen jagen und fischen und alles andere tun, was ich tun muss. Ich werde Dich nie wieder alleine lassen müssen.“
„Und Sasha kann auch mit?“, fragt sie, durch ihre Tränen hindurch.
„Natürlich kommt Sasha mit“, sage ich. „Ich verspreche es. Bitte vertrau mir. Ich komme zurück und hole Dich. Ich würde Dich nie verlassen.“
„Versprichst Du es?“, fragt sie.
Ich bringe alle Feierlichkeit auf, zu der ich fähig bin, und sehe ihr ernst in die Augen.
„Ich verspreche es“, antworte ich.
Bree hört langsam auf, zu weinen, und schließlich nickt sie, anscheinend zufrieden.
Es bricht mir das Herz, aber ich beuge mich schnell nach vorne und küsse sie auf die Stirn. Dann stehe ich auf, durchquere das Zimmer und gehe durch die Tür hinaus. Ich weiß, dass, wenn ich auch nur eine Sekunde länger bleibe, ich nie wieder den Mut aufbringen werde, tatsächlich zu gehen.
Und als die Tür hinter mir zuschlägt, kann ich das entsetzliche Gefühl nicht abschütteln, dass ich meine Schwester nie wiedersehen werde.
DREI
Ich wandere im hellen Morgenlicht den Berg hinauf, der Schnee spiegelt das Licht intensiv wider. Es ist ein weißes Universum. Die Sonne scheint so stark, ich kann kaum sehen, so geblendet bin ich. Ich würde alles für eine Sonnenbrille geben, oder eine Baseballmütze.
Heute ist es glücklicherweise windstill, wärmer als gestern, und während ich wandere, kann ich den Schnee überall um mich herum schmelzen hören, wie er in kleinen Bächen bergab tröpfelt und in großen Klumpen aus Tannenzweigen fällt. Der Schnee ist auch weicher, und das Gehen ist leichter.
Ich sehe wieder über meine Schulter, behalte das Tal unter mir im Blick und sehe, dass die Straßen in der Morgensonne teilweise wieder sichtbar sind. Das besorgt mich, aber dann schelte ich mich selbst, genervt, dass ich mir erlaube, mich von Omen verstören zu lassen. Ich sollte tougher sein. Rationaler, wie Papa.
Ich habe meine Kapuze auf, aber als ich meinen Kopf in den Wind senke, der stärker wird, je höher ich komme, wünsche ich mir doch, ich hätte meinen neuen Schal mitgenommen. Ich reibe meine Hände aneinander und wünsche mir auch Handschuhe, aber alles, was ich tun kann, ist, doppelt so schnell zu gehen. Ich bin entschlossen, schnell dorthin zu kommen, das Haus zu prüfen, nach dem Reh zu suchen und dann schnell wieder nach unten zu gehen, zu Bree. Vielleicht kann ich auch noch ein paar Gläser Marmelade mitnehmen, das wird Brees Laune verbessern.
Ich folge meinen Spuren von gestern, die im schmelzenden Schnee noch sichtbar sind, und dieses Mal ist das Gehen einfacher. Innerhalb von zwanzig Minuten bin ich wieder da, wo ich gestern war, und umrunde das höchste Plateau.
Ich bin sicher, dass ich an derselben Stelle wie gestern bin, aber als ich nach dem Haus suche, kann ich es nicht finden. Es ist so gut versteckt, dass ich es, obwohl ich weiß, wo ich suchen muss, nicht finde. Ich fange an, mich zu fragen, ob ich an der richtigen Stell bin. Ich gehe weiter, meinen eigenen Fußspuren folgend, bis ich an genau der Stelle stehe, wo ich gestern stand. Ich recke meinen Hals und schließlich kann ich es sehen. Ich bin wieder verblüfft, wie gut es versteckt ist, und freue mich noch mehr darauf, hier zu leben.
Ich stehe und lausche. Alles ist still außer dem Klang des plätschernden Bachs. Ich prüfe den Schnee sorgfältig, suche nach irgendwelchen Spuren – außer meinen von gestern. Ich finde keine.
Ich gehe zur Tür, stehe vor dem Haus und sehe mich rundum um, suche die Wälder in jeder Richtung ab, prüfe die Bäume, suche nach irgendeinem Zeichen einer Störung, irgendeinem Beweis dafür, dass jemand anderes hier gewesen sein könnte. Mindestens noch eine Minute stehe ich dort und lausche. Da ist nichts. Absolut nichts.
Schließlich bin ich zufrieden, erleichtert, dass dieser Platz wirklich unserer ist, und unserer allein.
Ich ziehe die schwere Tür zurück, die noch vom Schnee blockiert ist, und helles Licht durchflutet den Innenraum. Als ich mich ducke und eintrete, fühle ich mich, als würde ich es zum ersten Mal bei Licht sehen. Es ist immer noch so klein und gemütlich, wie ich es in Erinnerung habe. Ich sehe, dass das Haus diese noch im Originalzustand erhaltenen Dielenböden hat, die aussehen, als wären sie mindestens hundert Jahre alt. Es ist ruhig hier. Die kleinen offenen Fenster auf beiden Seiten lassen viel Tageslicht herein.
Ich prüfe das Zimmer in dem Licht, suche nach etwas, das ich möglicherweise übersehen haben könnte – aber ich finde nichts. Ich sehe hinunter und finde den Griff für die Falltür, knie mich hin und ziehe sie auf. Als sie sich öffnet, fliegt eine Staubwolke auf und schwimmt im Sonnenlicht.
Ich klettere die Leiter runter und dieses Mal, mit all dem reflektierten Licht, kann ich das Lager hier unten viel besser erkennen. Das müssen hunderte Gläser sein. Ich entdecke noch mehrere Gläser mit Himbeermarmelade, greife zwei von ihnen und packe sie jeweils in eine meiner Taschen. Bree wird sie lieben. Sasha auch.
Schnell werfe ich einen Blick auf die anderen Gläser und entdecke alle möglichen Lebensmittel: Gurken, Tomaten, Oliven und Sauerkraut. Mehrere Marmeladensorten finde ich ebenfalls, jeweils mindestens ein Dutzend Gläser. Dahinter sind sogar noch mehr, aber ich habe nicht die Zeit, jetzt genauer nachzusehen. Der Gedanke an Bree liegt mir schwer auf meiner Seele.
Ich klettere die Leiter wieder hoch, schließe die Falltür und eile aus dem Häuschen hinaus, die Tür schließe ich fest hinter mir. Ich stehe dort und beobachte wieder meine Umgebung, bereite mich geistig darauf vor, dass mich jemand beobachtet haben könnte. Ich habe immer noch Angst, dass das alles zu gut ist, um wahr zu sein. Aber wieder ist da gar nichts. Vielleicht bin ich einfach nur zu sehr auf der Hut inzwischen.
Ich breche in die Richtung auf, wo ich das Reh entdeckt habe, etwa dreißig Meter entfernt. Als ich dort ankomme, nehme ich das Jagdmesser meines Vaters heraus und halte es an meiner Seite. Ich weiß, dass es nur ein Versuch ist, aber vielleicht ist dieses Tier, genau wie ich, ein Gewohnheitstier. Auf keinen Fall werde ich schnell genug sein, um es zu jagen, oder um es zu packen – ein Gewehr oder eine wirkliche Jagdwaffe habe ich auch nicht. Aber ich habe eine Chance, und das ist mein Messer. Ich war immer stolz auf meine Fähigkeit, ein Ziel auf dreißig Meter Entfernung zu treffen. Das Messerwerfen war die eine meiner Fähigkeiten, von denen mein Vater immer beeindruckt zu sein schien – immerhin beeindruckt genug, um nicht zu versuchen, mich zu korrigieren oder zu verbessern. Stattdessen schrieb er es sich selbst zugute, sagte, dieses mein Talent wäre ihm zu verdanken. In Wirklichkeit jedoch konnte er ein Messer nicht halb so gut werfen wie ich.
Ich knie dort, wo ich gestern gewesen bin, verstecke mich hinter einem Baum und beobachte das Plateau. Ich halte das Messer in meiner Hand und warte. Und bete. Alles, was ich höre, ist das Rauschen des Windes.
Ich gehe im Kopf durch, was ich tun werde, wenn ich das Reh sehe: Ich werde langsam aufstehen, zielen und das Messer werfen. Ich denke zuerst, ich werde auf die Augen zielen, entschließe mich dann aber, auf seinen Hals zu zielen: Wenn ich den um ein paar Zentimeter verpasse, habe ich immer noch die Chance, ihn woanders zu treffen. Wenn meine Hände nicht zu gefroren sind und wenn ich genau bin, kann ich es vielleicht, nur vielleicht, schaffen. Aber mir wird klar, dass das alles große „Wenn“s sind.
Die Minuten vergehen. Es fühlt sich an wie zehn, zwanzig, dreißig … Der Wind ebbt ab, kommt dann in Böen zurück, dabei spüre ich, wie die feinen Schneeflocken aus den Bäumen herausgepustet werden und in mein Gesicht. Als noch mehr Zeit vergeht, wird mir kälter, meine Glieder werden tauber, und ich fange an, mich zu fragen, ob das eine schlechte Idee ist. Aber dann werde ich wieder furchtbar hungrig und ich weiß, dass ich es versuchen muss. Ich werde alles Protein brauchen, das ich bekommen kann, um diesen Umzug möglich zu machen – besonders, wenn ich dieses Motorrad bergauf schieben will.
Nach fast einer Stunde des Wartens bin ich bin völlig durchgefroren. Ich diskutiere mit mir selbst, ob ich einfach aufgeben sollte und den Berg wieder hinuntergehen. Vielleicht sollte ich versuchen, stattdessen angeln zu gehen.
Ich beschließe, aufzustehen und herumzugehen, meine Glieder wieder zu durchbluten und meine Hände zu bewegen; wenn ich sie jetzt benutzen müsste, wären sie wahrscheinlich nutzlos. Als ich aufstehe, schmerzen meine Knie und mein Rücken, so steif sind sie. Ich beginne, durch den Schnee zu laufen, mit kleinen Schritten beginnend. Ich hebe und beuge meine Knie, drehe meinen Rücken nach links und rechts. Ich stecke das Messer wieder in meinen Gürtel, dann reibe ich meine Hände aneinander, puste sie wieder an, versuche, wieder ein Gefühl in ihnen zu bekommen.
Plötzlich erstarre ich. In der Ferne knickt ein Zweig ab, und ich spüre Bewegung.
Langsam drehe ich mich um. Da, über dem Gipfel des Hügels, zeigt sich ein Reh. Langsam und vorsichtig schreitet es durch den Schnee, hebt und senkt langsam seine Hufe. Es senkt seinen Kopf, kaut auf einem Blatt, macht dann vorsichtig einen weiteren Schritt nach vorn.
Mein Herz klopft vor Aufregung. Ich fühle selten, dass mein Vater bei mir ist, aber heute. Ich kann seine Stimme jetzt in meinem Kopf hören: Ruhig. Atme langsam. Lass es nicht wissen, dass Du hier bist. Konzentrier Dich. Wenn ich dieses Tier kriege, heißt das Essen – richtiges Essen – für Bree und Sascha und mich, für mindestens eine Woche. Wir brauchen das.
Noch ein paar Schritte in die Lichtung, und ich kann es besser sehen: Ein großes Reh, und es steht vielleicht dreißig Meter entfernt. Ich würde mich wesentlich besser fühlen, wenn es vielleicht nur zehn Meter entfernt stünde, oder sogar zwanzig. Ich weiß nicht, ob ich es auf diese Entfernung treffen kann. Wenn es wärmer wäre, und wenn es sich nicht bewegen würde, dann ja. Aber meine Hände sind taub, und das Reh bewegt sich, und da sind so viele Bäume im Weg. Ich weiß einfach nicht. Ich weiß aber, wenn ich es verpasse, wird es nie wieder zurückkommen.
Ich warte, beobachte es, habe Angst, es zu erschrecken. Ich will, dass es näher kommt. Aber das scheint es nicht zu wollen.
Ich frage mich, was ich tun soll. Ich kann es herausfordern, so nahe wie möglich herankommen und dann werfen. Aber das wäre dumm: Nach nur einem Meter würde es schon weglaufen. Ich frage mich, ob ich versuchen sollte, heranzukriechen. Aber auch dabei bezweifle ich, dass es funktionieren wird. Das geringste Geräusch, und es wird weg sein.
So stehe ich da und frage mich, was ich tun soll. Ich mache einen kleinen Schritt nach vorn, positioniere mich so, dass ich das Messer werfen kann, falls es sein muss. Und dieser eine kleine Schritt ist mein Fehler.
Unter meinen Füßen knackt ein Zweig, und das Reh hebt sofort den Kopf und dreht sich zu mir. Unsere Blicke treffen sich. Ich weiß, dass es mich sieht und im Begriff ist, wegzurennen. Mein Herz klopft, ich weiß, dass das meine einzige Chance ist. Mein Denken friert ein.
Dann trete ich in Aktion. Ich beuge mich hinunter, greife das Messer, mache einen großen Schritt nach vorn und auf der Grundlage aller meiner Fähigkeiten lehne ich mich zurück und werfe das Messer, ziele auf seinen Hals.
Das schwere Messer meines Vaters vom Marine Corps überschlägt sich in der Luft und ich bete, dass es nicht zuerst einen Baum trifft. Als ich dabei beobachte, wie es in der Luft rotiert und das Licht widerspiegelt, ist es wunderschön. In demselben Moment sehe ich, wie das Reh sich umdreht und zu laufen beginnt.
Es ist viel zu weit weg, als dass ich genau sehen könnte, was passiert, aber einen Moment später bin ich mir sicher, dass ich das Geräusch eines Messers höre, das sich in Fleisch bohrt. Das Reh jedoch ist weg und ich kann nicht sagen, ob es verwundet ist.
Ich laufe ihm nach. Ich erreiche die Stelle, wo es stand, und bin sehr überrascht, hellrotes Blut im Schnee zu sehen. Mein Herz macht einen Sprung, ich fasse wieder Mut.
Ich folge der Blutspur. laufe und laufe, springe über die Felsen, und nach etwa fünfzig Metern finde ich es: Da ist es, im Schnee zusammengebrochen, liegt es auf der Seite, seine Beine zucken. Ich sehe das Messer in seiner Kehle. Genau die Stelle, auf die ich gezielt habe.
Das Reh lebt noch, und ich weiß nicht, wie ich es von seinem Elend erlösen soll. Ich kann sein Leiden fühlen und ich fühle mich schrecklich. Ich will ihm einen schnellen und schmerzlosen Tod schenken, aber ich weiß nicht, wie.
Ich knie mich hin und ziehe das Messer heraus, lehne mich dann über das Reh und ziehe es in einer schnellen Bewegung über seine Kehle in der Hoffnung, dass es funktioniert. Nur wenige Momente später strömt das Blut aus ihm heraus und nach etwa weiteren zehn Sekunden hören die Beine des Rehs schließlich auf, sich zu bewegen. Auch seine Augen flattern nicht mehr und schließlich weiß ich, dass es tot ist.
Ich stehe dort, starre hinunter, das Messer in meiner Hand, und fühle mich von Schuld überwältigt. Ich fühle mich geradezu barbarisch, weil ich so ein wunderschönes, wehrloses Wesen getötet habe. In dem Moment fällt es mir schwer, daran zu denken, wie dringend wir dieses Essen brauchen, was für ein Glück ich habe, dass ich es gefangen habe. Ich kann nur daran denken, dass es vor ein paar Minuten noch geatmet hat, am Leben war wie ich. Und jetzt ist es tot. Ich sehe hinter, wie es da so absolut still im Schnee liegt, und wider Willen schäme ich mich dafür.
In dem Moment höre ich es zuerst. Zuerst nehme ich es nicht ernst, nehme an, dass ich schon Dinge höre, weil es einfach nicht möglich ist. Aber nach ein paar Momenten wird es etwas lauter, deutlicher, und ich weiß, dass es wirklich ist. Mein Herz beginnt, wie verrückt zu klopfen, als ich das Geräusch erkenne. Das Geräusch habe ich hier oben erst einmal zuvor gehört. Es ist das Aufheulen eines Motors. Des Motors eines Autos.
Ich stehe dort, erstaunt, zu erstarrt, um mich noch zu bewegen. Die Motoren werden lauter, deutlicher, und ich weiß, dass das kann nur eines bedeuten kann. Slaventreiber. Niemand anders würde es wagen, so hoch nach oben zu fahren, oder hätte einen Grund dazu.
Ich renne los, lasse das Reh zurück, laufe durch die Wälder, am Haus vorbei, den Hügel hinunter. Es kann gar nicht schnell genug gehen. Ich denke an Bree, wie sie dort sitzt, alleine im Haus, während die Motoren immer lauter und lauter werden. Ich versuche, noch schneller zu werden, rase den verschneiten Hang hinunter, stolpere beim Laufen, mein Herz klopft in meinem Hals.
Ich renne so schnell, dass ich falle, mit dem Gesicht auf den Boden, auch meine Knie und Ellenbogen bekommen etwas ab, und der Wind schlägt mir entgegen. Ich kämpfe mich wieder auf die Füße, bemerke das Blut auf meinem Knie und meinem Arm, aber das interessiert mich jetzt nicht. Ich zwinge mich, weiterzulaufen, dann wieder zu rennen.
Rutschend und schlitternd erreiche ich schließlich ein Plateau und von dort aus kann ich den Berg hinuntersehen, bis zu unserem Haus. Mein Herz klopft in meinem Hals: Da sind eindeutige Autospuren im Schnee, die direkt zu unserem Haus führen. Unsere Haustür steht offen. Und das Bedenklichste ist, dass ich Sasha nicht bellen höre.
Ich renne, weiter und weiter nach unten, und inzwischen kann ich die zwei Fahrzeuge gut erkennen, die vor unserem Haus parken: Autos von Sklaventreibern. Beide schwarz, tiefergelegt, sie wirken wie Muskel-Autos auf Steroiden, mit riesigen Reifen und Gittern vor allen Fenstern. Ihre Motorhauben sind mit dem Emblem der Arena Eins geschmückt, das ist sogar von hier oben aus gut sichtbar – ein Diamant mit einem Schakal in seiner Mitte. Sie sind hier, um die Arena zu füttern.
Ich renne den Hügel weiter hinunter. Ich muss leichter werden. Ich fasse in meine Taschen, ziehe die Marmeladengläser heraus und werfe sie auf den Boden. Ich höre das Glas hinter mir zerschlagen, aber es ist mir egal. Nichts anderes ist im Moment wichtig.
Ich bin kaum noch hundert Meter entfernt, als ich sehe, dass die Fahrzeuge starten und losfahren. Sie brechen auf, um die kurvenreiche Straße wieder herunterzufahren. Ich will in Tränen ausbrechen, als mir klar wird, was passiert ist.
Dreißig Sekunden später habe ich das Haus erreicht und renne daran vorbei, direkt auf die Straße, in der Hoffnung, sie noch zu erwischen. Ich weiß ja schon, dass das Haus leer ist.
Ich bin zu spät. Die Autospuren erzählen die Geschichte. Als ich den Berg heruntersehe, kann ich sie sehen, etwa achthundert Meter entfernt, wie sie schneller werden. Zu Fuß kann ich sie auf gar keinen Fall einholen.
Ich renne zurück zum Haus, nur für den Fall, dass es die winzige Chance gibt, dass Bree es geschafft hat, sich zu verstecken, oder sie sie zurückgelassen haben. Schnell gehe ich durch die offene Vordertür herein und bin entsetzt über den Anblick, der sich mir bietet: Überall Blut. Auf dem Boden liegt ein toter Sklaventreiber, in seiner kompletten schwarzen Uniform, Blut fließt aus seiner Kehle. Neben ihm liegt Sasha auf der Seite, tot. Aus ihrer Seite fließt Blut, aus etwas, das wie eine Schusswunde aussieht. Ihre Zähne sind immer noch in die Kehle der Leiche eingegraben. Es ist klar, was passiert ist: Sasha muss versucht haben, Bree zu schützen. Sie hat den Mann angefallen, als er das Haus betreten hat, und ihre Zähne in seinen Hals versenkt. Die anderen müssen sie erschossen haben. Aber dennoch hat sie nicht losgelassen.
Ich laufe durch das Haus, von Zimmer zu Zimmer, rufe Brees Namen, höre die Verzweiflung in meiner eigenen Stimme. Es ist eine Stimme, die ich nicht mehr erkenne: die Stimme einer Verrückten.
Aber alle Türen sind weit geöffnet, und alles ist leer.
Die Sklaventreiber haben meine Schwester geraubt.