Kitabı oku: «Der Aufstand Der Drachen », sayfa 10
KAPITEL VIERZEHN
Alec hatte den Kopf in die Hände gestützt und versuchte seine Kopfschmerzen loszuwerden, während der Wagen, vollgestopft mit Jungen, über die Landstraße holperte, wie schon die ganze Nacht hindurch. Die Schlaglöcher schienen kein Ende zu nehmen, und dieser primitive Holzwagen, mit seinen eisernen Gitterstäben und den hölzernen Rädern schien dazu gemacht worden zu sein, so unbequem wie nur möglich zu sein. Mit jedem Schlagloch schlug Alecs Kopf gegen das Holz hinter ihm. Zunächst hatte er geglaubt, dass es nicht lange so weitergehen konnte, dass sie bald zu einer besseren Straße kommen würden.
Doch Stunde um Stunde verging, und die Straße schien nur noch schlimmer zu werden. Er war die ganze Nacht lang ohne Hoffnung auf Schlaf wach gewesen – wenn die Schlaglöcher es nicht waren, die ihn wach hielten, dann war es der Gestank der anderen Jungen und ihr Gedränge, das ihn aus dem Schlaf riss. Die ganze Nach lang waren sie von einem Dorf zum nächsten gefahren, und immer mehr Jungen waren in den engen Wagen gestopft worden. Alec konnte spüren, wie sie ihn ansahen, ein Meer niedergeschlagener Gesichert, die Augen voller Zorn. Sie waren alle älter als er, schlecht gelaunt, und suchten nach einem Ventil für ihre Aggression.
Alec hatte zuerst angenommen, dass es eine Solidarität unter den Jungen geben musste, da sie schließlich alle im selben Boot saßen; doch er hatte schnell lernen müssen, dass dem nicht so war. Jeder Junge war auf sich allein gestellt und wenn Alec eines spürte, dann war es Feindseligkeit. Unter ihnen waren Jungen mit groben Gesichtern, unrasiert, mit Pockennarben und Nasen, die mehr als einmal gebrochen gewesen waren. Langsam dämmerte es Alec, dass nicht alle hier gerade erst das 18. Lebensjahr erreicht hatten – manche waren deutlich älter und vom Leben gezeichnet. Sie sahen aus wie Verbrecher: Diebe, Vergewaltiger, Mörder, die alle hier mit ihm im Wagen saßen, auf dem Weg zu den Flammen.
Alex, der eingepfercht auf dem harten Holzboden saß, hatte das Gefühl, als befände er sich auf einer Reise in die Hölle, und war sich sicher, dass es unmöglich noch schlimmer kommen konnte; doch immer wieder hielt der Wagen an, und immer mehr Jungen wurden hinter den Gitterstäben eingepfercht. Als er hineingeworfen worden war, war es ihm mit einem Dutzend Jungen eng vorgekommen, doch jetzt mit mehr als zwei Dutzend Jungenhatte Alec das Gefühl, kaum noch atmen zu können. Die Jungen, die später gekommen waren, waren gezwungen, zu stehen, und versuchten verzweifelt, sich an der Decke festzuhalten, doch oft rutschten sie aus und fielen auf die anderen. Mehr als nur ein wütender Junge rempelte zurück, und immer wieder kam es zu Handgemengen. Ungläubig sah Alec zu, wie ein Junge dem anderen das Ohr abbiss. Ein Glück nur, dass sie kaum Platz hatten, sich zu bewegen, nicht einmal, um auszuholen und zuzuschlagen; darum endeten die Auseinandersetzungen schnell, meist mit dem Schwur, später weiterzumachen.
Alec hörte Vögel singen und als er sich mit müden Augen umsah, konnte er das erste Licht des Sonnenaufgangs sehen, das durch die Gitterstäbe fiel. Er staunte über den neuen Tag und darüber, dass er diese längste Nacht seines Lebens überstanden hatte.
Als die Sonne den Wagen erhellte, konnte Alec die anderen Jungen besser erkennen. Er war eindeutig der jüngste der Gruppe – und, so schien es zumindest, der harmloseste. Es war eine Gruppe muskelbepackter, jähzorniger Jungen voller Narben, manche sogar tätowiert, die aussahen, wie der von der Gesellschaft vergessen. Sie waren alle nervös, bitter von der langen Nacht, und Alec spürte, dass die Stimmung im Wagen zum Zerreißen angespannt war.
„Du siehst viel zu jung aus, um hier zu sein“, sagte eine tiefe Stimme.
Alec drehte sich um und sah einen Jungen, der nicht mehr als ein, vielleicht zwei Jahre älter war als er neben sich sitzen. Gegen ihn war er die ganze Nacht über gedrückt worden – ein Junge mit breiten Schultern, definierten Muskeln und dem unschuldigen, einfachen Gesicht eines Bauern. Sein Gesicht unterschied sich deutlich von den anderen. Er wirkte offen und freundlich, vielleicht sogar ein wenig naiv, doch Alec spürte in ihm eine verwandte Seele.
„Ich bin anstelle meines Bruders gegangen“, antwortete Alec schlicht.
„Hatte er Angst?“, fragte der Junge erstaunt.
Alec schüttelte den Kopf.
„Er ist ein Krüppel“, korrigierte Alec.
Der andere nickte, als ob er verstanden hatte und sah Alec plötzlich respektvoll an.
Die schwiegen und Alec musterte den Jungen.
„Und du?“, fragte er. „Du siehst auch nicht aus, als wärest du schon achtzehn.“
„Siebzehn“, sagte er.
Alec überlegte.
„Warum bist du dann hier?“, fragte er.
„Hab mich freiwillig gemeldet.“
Alec war überrascht.
„Freiwillig gemeldet? Warum das denn?“
Der Junge senkte den Blick und zuckte mit den Schultern.
„Ich wollte weg“, erklärte er.
„Weg von was?“, fragte Alec erstaunt.
Der Junge schwieg und Alec konnte den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht sehen. Alec rechnete schon nicht mehr mit einer Antwort, als er murmelte: „Von zu Hause.“
Alec sah sein trauriges Gesicht und verstand. Offensichtlich musste zu Hause bei diesem Jungen etwas ganz und gar nicht stimmen, besonders Anbetracht der blauen Flecken überall an seinen Armen und dem Ausdruck von Trauer und Wut in seinen Augen.
„Tut mir leid“, antwortete Alec.
Der junge sah ihn überrascht an, als hätte er in diesem Wagen kein Mitgefühl erwartet. Plötzlich streckte er ihm die Hand entgegen.
„Marco“, sagte er.
„Alec.“
Sie gaben sich die Hand, wobei die des anderen Jungen doppelt so groß wie Alecs war, mit einem festen Griff. Alec spürte, dass er in Marco einen Freund gefunden hatte, und er war erleichtert, besonders angesichts der grimmigen Mienen um ihn herum.
„Ich nehme an, dass du der einzige Freiwillige bist“, sagte Alec.
Marco sah sich um und zuckte mit den Schultern.
„Hast wahrscheinlich Recht“, sagte er. „Die meisten hier sind dazu eingezogen oder verurteilt worden.“
„Verurteilt?“, fragte Alec überrascht.
Marco nickte.
„Die Hüter bestehen nicht nur aus Wehrpflichtigen, sondern auch aus einer Menge Verbrecher.“
„Wen nennst du hier Verbrecher, Junge?“, hörte er eine grobe Stimme.
Sie drehten sich um und sahen einen der Jungen, der vom harten Leben frühzeitig gealtert war. Er sah aus als wäre er vierzig, dabei war er nicht älter als zwanzig, mit pockennarbigem Gesicht und matten Augen. Er ging in die Hocke und starrte Marco an.
„Ich hab nicht mit dir geredet“, antwortete Marco trotzig.
„Dann redest du jetzt eben mit mir“, zischte er, offensichtlich Streit suchend. „Sag es noch einmal. Willst du mir ins Gesicht sagen, dass ich ein Verbrecher bin?“
Marco wurde rot und biss die Zähne zusammen. Nun wurde er selbst wütend.
„Wenn du dich angesprochen fühlst“, erwiderte er.
Der andere Junge lief rot an, und Alec bewunderte Marcos Renitenz, seine Furchtlosigkeit. Der Junge stürzte sich auf Marco, schloss die Hände um seinen Hals und drückte zu.
Alles geschah so schnell, dass Marco vollkommen überrascht war – und dann auch noch in diesem Gedränge, wo er kaum Platz hatte, sich zu wehren. Seine Augen traten aus den Höhlen, als er erfolglos versuchte, die Hände des Jungen von seinem Hals zu lösen. Marco war größer als er, doch der andere hatte drahtige, schwielige Hände, offenbar von Jahren des Mordens, und Marco konnte ihn nicht abschütteln.
„KÄMPFT! KÄMPFT! KÄMPFT!“, riefen die anderen Jungen.
Mit wenig Interesse beobachteten sie die Gewalt, eines von Dutzenden von Handgemengen, die über Nacht ausgebrochen waren.
Marco wehrte sich, riss seinen Kopf hoch und rammte ihm die Stirn gegen die Nase. Man konnte sie brechen hören, und Blut schoss ihm über das Gesicht. Marco wollte aufstehen, doch der Stiefel eines anderen Jungen auf seiner Schulter hielt ihn am Boden fest. In diesem Augenblick griff der blutende Angreifer an seinen Gürtel und zog etwas Glänzendes hervor. Es blitzte im Licht des frühen Morgens und Alec erkannte erschrocken, dass es ein Dolch war. Alles geschah so schnell, dass Marco keine Zeit hatte, zu reagieren.
Der Junge stieß zu, und zielte dabei auf Marcos Herz.
Doch Alec reagierte. Er hechtete vor, packte mit beiden Händen das Handgelenk des Angreifers, drückte es zu Boden, und rettete Marco so vor dem tödlichen Stoß einen Augenblick, bevor die Klinge in seine Brust eindringen konnte. Die Spitze kratzte ihn nur und zerriss sein Hemd, doch er blutete nicht einmal.
Alec und der Junge stürzten zu Boden und kämpften um den Dolch während Marco den Stiefel des anderen packte und ihm mit einer schnellen Bewegung den Knöchel brach.
Alec spürte schmierige Hände in seinem Gesicht und die Fingernägel des Jungen, die ihn kratzten und nach seinen Augen tasteten. Alec wusste, dass er schnell handeln musste. Er ließ die Hand mit dem Dolch los, wirbelte herum und hörte ein befriedigendes Krachen, als sein Ellbogen in den Kiefer des anderen einschlug. Der Junge wurde von ihm geworfen und schlug mit dem Gesicht voran auf dem Boden auf.
Alec atmete schwer, und sein Gesicht brannte von den Kratzern, doch es gelang ihm, aufzuspringen, Marco stand neben ihm, eingezwängt zwischen all den anderen. Sie standen Seite an Seite und blickten auf die beiden Angreifer hinab, die nun regungslos am Boden lagen. Alecs Herz raste, und er entschied, dass es sicherer war, zu stehen. Im Sitzen war er einem Angriff von oben zu sehr ausgeliefert. Lieber wollte er den Rest des Weges stehen, egal wie lang die Reise auch war.
Alec sah sich um und sah die feindseligen Blicke, und diesmal erwiderte er sie, anstatt die Augen zu senken, denn er sah ein, dass er selbstbewusst erscheinen musste, wenn er in diesem Pack überleben wollte. Schließlich sahen ihn einige mit einem Anflug von Respekt an, bevor sie den Blick abwandten.
Marco betrachtete den Riss in seinem Hemd, wo der Dolch beinahe in seine Brust eingedrungen wäre. Er sah Alec an und Dankbarkeit lag in seinem Blick.
„Alec, damit hast du einen Freund fürs Leben gewonnen“, sagte er aus tiefstem Herzen.
Er griff nach Alecs Arm und drückte ihn. Es fühlte sich gut an. Ein Freund – das war genau das, was er brauchte.
KAPITEL FÜNFZEHN
Kyra öffnete langsam ihre Augen. Sie war desorientiert und fragte sich, wo sie war. Sie sah eine steinerne Decke über sich, das Licht von Fackeln, das an den Wänden flackerte und spürte, dass sie auf einem luxuriösen Bett aus Fellen lag. Sie konnte es nicht verstehen; das letzte, an was sie sich erinnern konnte war, dass sie in den Schnee gestürzt und sicher gewesen war, dass sie sterben würde.
Kyra hob den Kopf und sah sich um. Sie erwartete, den verschneiten Wald um sich zu sehen, doch stattdessen sah sie eine Reihe bekannter Gesichter, die um sie herumstanden – ihr Vater, ihre Brüder Brandon, Braxton und Aidan, Anvin, Arthfael, Vidar und ein Dutzend der besten Krieger ihres Vaters. Sie war zurück in der Festung, in ihrer Kammer, in ihrem Bett, und die Männer sahen sie besorgt an. Kyra spürte einen Druck auf ihrem Arm, und als sie Lyrah, die Heilerin, mit ihren großen braunen Augen und silbernen Haaren, die ihren Puls las.
Kyra öffnete die Augen ganz, als sie bemerkte, dass sie nicht mehr im Wald war. Irgendwie hatte sie es zurück geschafft. Sie hörte ein Winseln neben sich und spürte, wie Leo ihre Hand mit seiner Nase anstupste. Da begriff sie, dass er die Männer zu ihr geführt haben musste.
„Was ist passiert?“, fragte sie, immer noch verwirrt.
Die Männer schienen erleichtert zu sein, sie wach zu sehen, und ihr Vater trat mit reuevollem Gesicht an ihr Bett heran und ergriff ihre Hand. Aidan stürmte zu ihr und nahm ihre andere Hand, und sie lächelte ihren kleinen Bruder an.
„Kyra“, sagte ihr Vater mit mitfühlender Stimme. „Du bist jetzt zu Hause. Du bist in Sicherheit.“
Kyra sah die Schuldgefühle im Blick ihres Vaters und ihr fiel alles wieder ein: ihr Streit in der vorangegangenen Nacht… Sie realisierte, dass er sich verantwortlich fühlte. Es waren schließlich seine Worte, die sie dazu gebracht hatten, wegzulaufen.
Kyra schrie auf vor Schmerz als Lyrah ihr mit einem kühlen Lappen die Wange abtupfte; er war mit irgendeiner Tinktur getränkt, und nachdem das Brennen nachließ, fühlte sich ihre Wunde kühler an.
„Lilienwasser“, erklärte Lyrah mit beruhigender Stimme. „Ich habe sechs verschiedene Tinkturen ausprobieren müssen, bis ich die richtige gefunden habe, um deine Wunde zu behandeln. Du hast Glück, dass ich sie behandeln kann – die Infektion war schon weit fortgeschritten.“
Ihr Vater sah besorgt ihre Wange an.
„Sag uns, was passiert ist“, sagte er. „Wer hat dir das angetan?“
Kyra stützte sich auf ihren Ellbogen. Ihr wurde schwindelig dabei, doch als alle Männer sie ansahen und gebannt warteten, versuchte sie sich zu erinnern.
„Ich erinnere mich…“, begann sie mit heiserer Stimme. „Der Sturm… die Flammen… der Dornenwald.“
Ihr Vater runzelte besorgt die Stirn.
„Warum bist du dorthin gegangen?“, fragte er. „Warum bist du in einer solchen Nacht so weit gewandert?“
Sie versuchte, sich zu erinnern.
„Ich wollte die Flammen mit eigenen Augen sehen“, sagte sie. „Und dann… habe ich einen Unterschlupf gesucht. Ich… erinnere mich… der See der Träume… und dann… eine Frau.“
„Eine Frau?“, fragte er. „Im Dornenwald?“
„Sie war… uralt… der Schnee konnte ihr nichts anhaben.“
„Eine Hexe“, keuchte Vidar.
„Solche Wesen treiben sich in der Nacht des Wintermonds herum“, fügte Arthfael hinzu.
„Und was hat sie gesagt?“, fragte ihr Vater nervös.
Kyra konnte die Verwirrung und die Sorge in all ihren Gesichtern sehen und sie entschloss sich, ihnen nichts von der Prophezeiung und ihrer Zukunft zu erzählen. Sie versuchte ja selbst noch, alles zu verstehen – und machte sich sorgen, dass sie sie für verrückt halten würden, wenn sie ihnen davon erzählte.
„Ich… ich kann mich nicht erinnern“, sagte sie.
„Hat sie dir das angetan?“, fragte ihr Vater und deutete auf ihre Wange.
Kyra schüttelte den Kopf und hustete mit trockenem Hals und Lyrah beeilte sich, ihr etwas Wasser zu trinken zu geben. Sie trank es gierig und merkte erst jetzt, wie durstig sie war.
„Ich habe einen Schrei gehört“, fuhr Kyra fort, „anders als alles andere, was ich je gehört habe.“
Sie setzte sich auf, und fühlte sich wacher, als die Erinnerungen zurückkamen. Sie sah ihren Vater an und fragte sich, wie er darauf reagieren würde.
„Es war der Schrei eines Drachen“, sagte sie schlicht, und wappnete sich gegen die Reaktion der Männer, die ihr sicher nicht glauben würden.
Sie hörte deutliche Ausgerungen des Unglaubens von den Männern und sie starrten sie irritiert an. Eine angespannte Stille breitete sich aus, und sie sahen geschockter aus, als sie sie jemals zuvor gesehen hatte.
Es fühlte sich an wie eine Ewigkeit, bis ihr Vater schließlich den Kopf schüttelte.
„Die Drachen haben seit Tausend Jahren Escalon nicht mehr besucht“, sagte er. Du musst etwas anderes gehört haben. Vielleicht haben dir deine Ohren nur einen Streich gespielt.
Thonos, der alte Geschichtsschreiber und Philosoph des Königs, der jetzt auch in Volis residierte, trat mit seinem langen grauen Bart vor und stützte sich auf seinen Gehstock. Er sprach selten und wenn er es tat, zollte man ihm immer großen Respekt, denn er war eine schier unerschöpfliche Quelle vergessenen Wissens.
„In der Nacht des Wintermondes“, sagte er mit der gebrochenen Stimme eines alten Mannes“, sind solche Dinge durchaus möglich.“
„Ich habe ihn gesehen“, beharrte Kyra. „Und ich habe ihn gerettet.“
„Gerettet?“, fragte ihr Vater, und sah sie dabei an, als wäre sie verrückt geworden. „Du hast einen Drachen gerettet?“
Alle Männer sahen sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
„Es muss die Verletzung sein“, sagte Vidar. „Sie muss sie verwirrt haben.“
Kyra wurde rot, denn sie wollte so sehr, dass sie ihr glaubten.
„Ich bin nicht verwirrt“, beharrte sie. „Ich lüge nicht!“
Sie sah sie verzweifelt an.
„Wann habe ich euch je angelogen?“, fragte sie.
Die Männer sahen sie verunsichert an.
„Gebt dem Mädchen eine Chance“, sagte Vidar. „Lasst sie die Geschichte erzählen.“
Ihr Vater nickte.
„Erzähl uns davon“, sagte er.
Kyra benetzte ihre Lippen und begann, „Der Drache war verletzt“, erinnerte sie sich. „Die Männer des Lords hatten ihn in die Enge getrieben. Sie waren im Begriff, ihn zu töten. Ich konnte ihn nicht sterben lassen – nicht so!“
„Was hast du getan?“, fragte Anvin, der weniger skeptisch als die anderen klang.
„Ich habe sie getötet“, sagte sie und ihr Blick war dabei ins Leere gerichtet, ihre Stimmer ernst. Plötzlich begriff sie, wie fantastisch sich die Geschichte anhörte. Sie konnte es ja selbst kaum glauben. „Ich habe sie alle getötet.“
Eine lange Stille breitete sich aus, ernster als zuvor.
„Ich weiß, dass ihr mir nicht glauben werdet“, fügte sie schließlich hinzu.
Ihr Vater räusperte sich und drückte ihre Hand.
„Kyra“, sagte er ernst. „Wir haben fünf tote Männer ganz in deiner Nähe gefunden – Männer des Lords. Wenn das, was du sagst wahr ist, begreifst du, wie ernst das ist? Verstehst du, was du getan hast?“
„Ich hatte keine Wahl, Vater“, sagte sie. Das Wappen unseres Hauses, Vater… wir dürfen ein verwundetes Tier nicht sterben lassen.“
„Ein Drachen ist kein Tier!“, gab er erbost zurück. „Ein Drachen ist ein…“
Er verstummte, denn er wusste offensichtlich nicht, was er sagen sollte.
„Wenn die Männer der Lords alle tot sind“, mischte sich Arthfael ein und rieb sich den Bart, „Was macht es dann schon aus? Wer soll je erfahren, dass sie sie getötet hat? Wer sollte ihren Tod mit uns in Verbindung bringen?“
Kyras Magen zog sich zusammen, doch sie wusste, dass sie ihnen die ganze Wahrheit erzählen musste.
„Da war noch einer“, fügte sie zögernd hinzu. „Ein Knappe. Ein Junge. Er hat es gesehen. Er ist davongeritten.“
Die Männer sahen sie ernst an.
Maltren trat mit missbilligender Miene vor.
„Und warum hast du ihn am Leben gelassen?“, fragte er.
„Er war nur ein Junge“, sagte sie. „Unbewaffnet. Er ritt davon und hatte mir den Rücken zugekehrt. Hätte ich ihm etwa in den Rücken schießen sollen?“
„Ich bezweifle, dass du auch nur einen von ihnen getötet hast“, knurrte Maltren. „Doch wenn du es getan hast, warum hast du den verdammten Jungen am Leben gelassen und uns alle dem Tod ausgeliefert?“
„Niemand hat uns dem Tod ausgeliefert“, schalt ihr Vater Maltren.
„Hat sie nicht?“, fragte er. „Wenn sie nicht lügt, und es einen Zeugen dafür gibt, werden sie Volis die Schuld geben und wir sind alle erledigt!“
Ihr Vater wandte sich ihr zu, die Miene ernster, als sie ihn je zuvor gesehen hatte.
„Das sind wahrlich ernste Neuigkeiten“, sagte er, und klang unendlich alt.
„Es tut mir leid Vater“, sagte sie. „Ich wollte keinen Ärger machen.“
„Wolltest keinen Ärger machen?“, zeterte Maltren. „Nein, du hast rein zufällig fünf Pandesier getötet? Und weshalb?“
„Um den Drachen zu retten“, sagte sie. „Das habe ich schon mal gesagt.“
„Um den imaginären Drachen zu retten“, lachte er bitter. „Das macht alles besser. Einen Drachen, der – wenn er denn existierte – dich zum Dank in der Luft zerrissen hätte!“
„Er hat mich aber nicht in der Luft zerrissen“, gab sie zurück.
„Schluss mit dem blödsinnigen Gerede von einem Drachen“, sagte ihr Vater mit lauterer Stimme. „Sag die Wahrheit. Wir sind alle gestandene Männer hier. Was immer auch passiert ist, sag es uns. Wir werden dich nicht dafür verurteilen.“
Ihr war zum Weinen zumute.
„Ich habe es euch schon gesagt“, sagte sie.
„Ich glaube ihr“, sagte Aidan und stand vom Bett auf. Sie war ihm dankbar dafür. Doch als sie die Gesichter der anderen betrachtete, wusste sie, dass niemand sonst ihr glaubte.
„Es ist unmöglich, Kyra“, sagte ihr Vater schließlich sanft.
„Es ist möglich“, kam eine dunkle Stimme.
Sie drehten sich um, als die Tür zur Kammer aufschlug, einige der Männer ihres Vaters eintraten, und sich den Schnee von den Fellen abklopften. Das Gesicht des Mannes, der es gesagt hatte, war immer noch rot von der Kälte und er sah sie fast ehrfürchtig an.
„Wir haben Spuren gefunden“, sagte er. „Am Fluss, dort, wo wir die Leichen gefunden haben. Spuren, die viel zu groß sind, um aus Escalon zu stammen. Es sind die Spuren eines Drachen.“
Die Männer sahen Kyra wieder an, plötzlich unsicher.
„Und wo ist der Drache dann?“, fragte Maltren.
„Die Spur führt zum Fluss“, berichtete der Mann.
„Er konnte nicht fliegen“, erklärte Kyra. „Er war verletzt, wie ich schon gesagt habe. Er ist in den Fluss gerutscht, und danach habe ich ihn nicht mehr gesehen.
„Du sagst, du hast diesen Drachen gesehen?“, fragte ihr Vater.
Sie nickte.
„Ich war ihm so nah, wie du mir jetzt bist“, antwortete sie.
„Und wie hast du das überlebt?“, fragte er.
Sie schluckte, denn sie wusste es selbst nicht.
„Daher habe ich den Kratzer“, sagte sie und berührte ihre Wange.
Alle sahen ihre Verletzung nun in einem völlig anderen Licht und waren sprachlos.
Als Kyra mit ihren Fingern darüber strich, spürte sie, dass sie eine Narbe davontragen würde, die sie für immer verändern würde; doch seltsamerweise störte es sie nicht.
„Doch ich glaube nicht, dass er mich verletzten wollte“, fügte sie hinzu.
Sie starrten sie an, als hätte sie den Verstand verloren. Sie wollte ihnen die Bindung mit dem Drachen erklären, doch sie fürchtete, dass sie es nicht verstehen würden.
All diese erfahrenen Krieger starrten sie sprachlos an, und schließlich fragte ihr Vater:
„Warum hast du dein Leben riskiert, um einen Drachen zu retten? Warum würdest du uns alle in Gefahr bringen?“
Es war eine gute Frage, auf die Kyra keine Antwort wusste. Sie wünschte, sie hätte eine. Sie konnte die Gefühle nicht in Worte fassen, dieses Gefühl des Schicksals, das sie überkam, als sie neben dem Drachen gestanden war – und sie glaubte auch nicht, dass diese Männer es je verstehen würden. Doch sie wusste, dass sie sie alle in Gefahr gebracht hatte, und fühlte sich schrecklich deswegen.
Alles, was sie tun konnte, war den Kopf zu senken und zu sagen, „Vergib mir, Vater.“
„Das ist vollkommen unmöglich“, sagte Maltren aufgebracht. „Es ist unmöglich einem Drachen zu begegnen, und es zu überleben!“
„Es sei denn“, sagte Anvin, und warf Kyra einen seltsamen Blick zu. „Es sei denn, Kyra ist die…“
Ihr Vater warf Anvin einen Blick zu, der ihn sofort verstummen ließ.
Kyra sah die beiden Männer irritiert an und fragte sich, was Anvin hatte sagen wollen.
„Es sei denn ich bin was?“, wollte sie wissen.
Doch Anvin wandte den Blick ab und schwieg. Der ganze Raum schwieg und als sie die Männer ansah bemerkte sie, dass die Männer ihrem Blick auswichen, als teilten sie alle ein Geheimnis, das sie betraf.
Plötzlich stand ihr Vater auf und ließ ihre Hand los. Er richtete sich auf und signalisierte damit, dass die Zusammenkunft beendet war.
„Du musst dich jetzt ausruhen“, sagte er. Dann wandte er sich ernst an seine Männer. „Eine Armee dürfte hierher unterwegs sein. Wir müssen uns vorbereiten.“