Kitabı oku: «Der Aufstand Der Drachen », sayfa 8
KAPITEL ZEHN
Merk stand auf dem Weg ein Mann tot zu seinen Füssen, und sah die anderen sieben Diebe an, die ihn mit offenen Mündern angafften. Plötzlich lag Respekt und Angst in ihren Augen, da sie offensichtlich erkannt hatten, dass sie einen Fehler gemacht hatten, als sie ihn für einen normalen, verwundbaren Reisenden gehalten hatten.
„Ich bin das Töten leid“, sagte Merk leise mit einem Lächeln auf den Lippen. „Heute ist euer Glückstag. Ich gebe euch die Gelegenheit, davonzulaufen.“
Eine lange, angespannte Stille legte sich über sie, als die Männer einander ansahen und überlegten, was sie tun sollten.
„Das ist unser Freund, den du getötet hast“, zischte einer.
„Er war euer Freund“, korrigierte Merk. „Und wenn du so weitermachst, bist du der nächste.“
Der Dieb schnitt eine Grimasse und hob seine Keule.
„Wir sind immer noch sieben gegen einen. Lass dein Messer fallen und heb langsam deine Hände, dann werden wir dich vielleicht nicht in Stücke reißen.“
Merks Lächeln wurde breiter. Er war es leid, sich dem Drang zu töten zu widersetzen, zu leugnen wer er war. Es war so viel einfacher, nicht dagegen anzukämpfen, und wieder zu dem Killer zu werden, der er immer gewesen war.
„Ich habe euch gewarnt“, sagte er kopfschüttelnd.
Der Dieb stürmte los und schwang wild seine Keule.
Merk war überrascht. Für einen so großen Mann war er schneller, als er gedacht hatte. Doch er war schwerfällig, und Merk duckte sich nur, und stach ihm in den Bauch. Dann zog er das Messer heraus, und ließ ihn zu Boden fallen.
Ein weiterer Dieb griff an, hob seinen Dolch und zielte auf Merks Schulter. Doch Merk ergriff sein Handgelenk, bog es, und rammte dem Mann den eigenen Dolch ins Herz.
Merk sah, wie ein anderer Dieb seinen Bogen hob und zielte. Schnell packte er einen Mann, wirbelte ihn herum und benutzte ihn als menschlichen Schild. Der Mann schrie auf, als er von einem Pfeil getroffen wurde. Merk stieß den sterbenden Mann von sich, direkt auf den Dieb mit dem Bogen, dann holte er mit seinem Dolch aus und warf ihn. Zischend flog er durch die Luft und blieb im Hals des Schützen stecken.
Damit waren noch drei Diebe übrig, die Merk nun unsicher ansahen, als ob sie überlegte, ob sie angreifen oder davonlaufen sollten.
„Wir sind drei, und er ist alleine!“, rief einer von ihnen. „Lasst uns zusammen angreifen!“
Sie stürmten gemeinsam auf ihn los und Merk erwartete sie mit entspannter Miene. Er war unbewaffnet, und so gefiel es ihm; der beste Weg, einen Gegner zu bezwingen, besonders wenn man zahlenmäßig in der Unterzahl war, war es oft, die Waffen des Feindes gegen ihn zu verwenden.
Merk wartete, bis der erste nach ihm Schlug, ein Ochse von einem Jungen, der ungeschickt mit dem Schwert auf ihn zu stolperte – pure Kraft ohne jede Technik. Merk trat einen Schritt beiseite, packte das Handgelenk des Jungen und brach es. Dann nahm er ihm die Waffe ab und schlitzte ihm damit den Hals auf. Als der zweite Angreifer kam, wirbelte Merk herum, und schlitzte ihm die Brust auf. Dann drehte er sich um, zielte und warf das Schwert nach dem dritten Dieb – ein Zug, den dieser nicht erwartet hatte. Es flog in hohem Bogen durch die Luft und durchbohrte seine Brust.
Merk stand ruhig da, und betrachtete die acht toten Männer um sich herum. Mit geübtem Auge nahm er Bestand auf. Er bemerkte, dass einer von ihnen, der mit der Keule, noch am Leben war und sich am Boden wand. Der alte Merk übernahm die Kontrolle und er ging zu dem Mann hinüber. Lass nie einen Feind am Leben. Niemals. Lass nie jemanden dein Gesicht sehen.
Merk drehte den Mann mit seinem Stiefel um. Der Dieb blickte mit angsterfüllten Augen zu ihm auf.
„Bitte… tu’s nicht“, bettelte er. „Ich hätte dich gehen lassen.“
Merk lächelte.
„Hättest du das?“, sagte er. „Wäre das nach der Folter gewesen oder davor?“
„Bitte“, rief der Mann, und fing an zu wimmern. „Du hast gesagt, dass du der Gewalt abgeschworen hast!“
Merk richtete sich auf und dachte darüber nach.
„Du hast recht“, sagte er.
Der Mann blinzelte ihn hoffnungsvoll an.
„Das habe ich“, fügte Merk hinzu. „Doch das Problem ist, dass du und deine Kumpane heute in mir etwas aufgewühlt haben; etwas, das ich lieber unterdrückt hätte.“
„Bitte!“, kreischte der Mann.
„Ich frage mich“, sagte Merk nachdenklich, „wie viele unschuldige Frauen und Kinder du auf dieser Straße getötet hast?“
Der Mann schluchzte.
„ANTWORTE MIR!“, schrie Merk.
„Wen interessiert das schon?“, schrie der Mann.
Merk senkte die Spitze des Schwertes auf den Hals des Mannes.
„Mich“, sagte Merk. „Und zwar sehr.“
„Schon gut, schon gut!“, rief der Dieb. „Ich weiß nicht! Dutzende? Hunderte? Ich mache das schon mein ganzes Leben lang!“
Merk dachte darüber nach. Zumindest war es eine ehrliche Antwort.
„Ich habe selbst viele Männer getötet“, sagte Merk. „Nicht auf alle bin ich stolz – doch es war immer aus gutem Grund, für einen Zweck. Manchmal bin ich getäuscht worden und habe einen Unschuldigen getötet – doch wenn ich es herausgefunden habe, habe ich den getötet, der mich angeheuert hat. Ich habe nie Unschuldigen oder Wehrlosen aufgelauert. Ich habe nie gestohlen und nie betrogen. Ich denke, das macht mich vergleichen mit dir zu einem Heiligen“, sagte Merk und musste über seinen eigenen Humor lächeln.
Er seufzte.
„Doch du“, fuhr er fort. „Du bist Abschaum.“
„Bitte“, flehte der Mann. „Du kannst doch keinen unbewaffneten Mann töten!“
Merk dachte darüber nach.
„Du hast Recht“, sagte er und sah sich um. „Siehst du das Schwert da neben dir? Nimm es.“
Der Mann sah es ängstlich an.
„Nein“, wimmerte er mit Tränen in den Augen.
„Nimm es“, sagte Merk und drückte die Spitze seines Schwertes gegen seinen Hals, „oder ich werde dich töten.“
Schließlich griff der Dieb nach dem Griff des Schwertes und hielt es mit zitternden Händen fest.
„Du kannst mich nicht töten“, rief der Mann. „Du hast geschworen, nie wieder zu töten!“
Merk lächelte und stieß mit einer schnellen Bewegung sein Schwert in die Brust des Mannes.
„Das Schöne an einem neuen Anfang ist, dass es immer ein Morgen gibt.“
KAPITEL ELF
Kyra rannte durch den Schnee und schob die Äste beiseite, die auf den Weg hingen.
Der Schrei des Drachens hallte immer noch in ihren Ohren stürmte sie auf eine Lichtung hinaus und blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. All ihre Erwartungen hatten sie nicht auf diesen Anblick vorbereitet.
Es nahm ihr den Atem – nicht der Sturm oder die Kälte – sondern der Anblick von etwas, was sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie hatte die Geschichten gehört, Nacht um Nacht in der Kammer ihres Vaters, die alten Legenden von Drachen, und hatte sich gefragt, ob sie wahr waren. Sie hatte versucht, sie sich vorzustellen, und war viele Nächte lang wach gelegen und hatte von ihnen geträumt, und nie hatte sie glauben können, dass es sie gab.
Bis jetzt.
Vor ihr, kaum mehr als sechs Meter entfernt, war ein echter, lebender, atmender Drache. Er war furchteinflößend – und doch wunderbar. Er kreischte, während er auf der Seite lang und vergeblich versuchte, aufzustehen. Er flatterte mit einem Flügel und der andere schien gebrochen zu sein. Er war riesig; jede einzelne seiner scharlachroten Schuppen war fast so groß wie sie. Kyra bemerkte, dass der Drache Dutzende von Bäumen umgerissen hatte, und erkannte, dass er vom Himmel gestürzt sein musste und damit diese Lichtung geschaffen hatte. Er lag auf einer Schneeverwehung am steilen Ufer eines Flusses.
Kyra starrte ihn an und konnte nicht fassen, dass da ein Drache vor ihr lag. Ein Drache. Hier, in Escalon. In Volis, im Dornenwald. Es war vollkommen unmöglich. Sie wusste, dass Drachen auf der anderen Seite der Welt lebten, und nie solange sie lebte, oder zu Lebzeiten ihres Vaters und Großvaters war je ein Drache in Escalon gesehen worden – und schon gar nicht in der Nähe von Volis. Es ergab keinen Sinn.
Sie blinzelte ein paarmal und rieb sich die Augen: es musste eine Illusion sein.
Und doch lag er vor ihr und schrie wieder. Er grub seine Klauen in den Schnee, der von seinem Blut rot gefärbt wurde. Er war definitiv verletzt; und er war definitiv ein Drache.
Kyra wusste, dass sie sich umdrehen und fliehen sollte, und ein Teil von ihr wollte es auch; schließlich konnte dieser Drache sie wahrscheinlich mit einem einzigen Atemzug töten, oder mit dem Schlag einer seiner Klauen. Sie hatte die Geschichten von dem Schaden gehört, den Drachen anrichten konnten, von ihrem Hass auf die Menschen, davon, dass sie einen Menschen in Stücke reißen konnten oder ein ganzes Dorf mit einem einzigen feurigen Hauch auslöschen konnten.
Doch etwas ließ Kyra nicht gehen. Sie wusste nicht, ob es Mut oder Dummheit oder ihre eigene Verzweiflung war – oder etwas Tiefgreifenderes. Denn tief im Inneren, so lächerlich es auch klang, spürte sie eine Bindung zu dem Tier, die sie nicht verstehen konnte.
Es blinzelte langsam und sah sie genauso überrascht an; und als er sie ansah, waren es nicht seine Fangzähne, oder seine Krallen oder seine schiere Größe, die ihr Angst macht, sondern ihre Augen. Es waren riesige, leuchtend gelbe Augen, so wild, so alt, so seelenvoll – und sie blickten direkt in ihre Augen. Die Haare an ihren Armen stellten sich auf als sie erkannte, dass das genau jene Augen waren, die sie in ihrer Reflexion im See der Träume gesehen hatte.
Kyra wappnete sich und rechnete damit, eingeäschert zu werden – doch der Drache spie kein Feuer. Stattdessen starrte er sie nur an. Er blutete, und sein Blut rann über den Schnee in den Fluss. Kyra tat schon der Anblick weh. Sie wollte ihm helfen. Viel mehr noch: sie fühlte sich dazu verpflichtet. Jedes Haus im Königreich hatte einen heiligen Kodex, nach dem die Angehörigen lebten, ein heiliges Familiengesetz, an das sie sich halten mussten, um keinen Fluch über die Familie zu bringen. Das Gesetz ihrer Familie, das über Generationen weitergegeben wurde, war es, nie ein verwundetes Tier zu töten – und es lag im Wappen ihrer Familie: ein Ritter hielt einen Wolf. Ihre Familie hatte sich über Generationen daran gehalten und das Gesetz dahingehend ausgeweitet, dass sie jedem verwundeten Tier helfen mussten, dem sie begegneten.
Als Kyra den angestrengten Atem des Drachen sah, sein Keuchen, tat er ihr leid uns sie dachte an die Verpflichtung ihrer Familie. Sie wusste, dass es einen schrecklichen Fluch über ihre Familie bringen würde, wenn sie ihm nicht half – und sie war fest entschlossen, alles zu versuchen, egal wie riskant es auch sein mochte.
Als Kyra wie hypnotisiert dastand und sich nicht regen konnte, erkannte sie, dass es noch einen anderen Grund gab, warum sie nicht einfach gehen konnte: sie spürte eine stärkere Bindung zu diesem Tier, als sie je zuvor gespürt hat, tiefer noch sogar als die zu Leo, der wie ein Bruder für sie war. Sie hatte das Gefühl, wieder mit einem lange verlorenen Freund vereint zu sein. Sie konnte die unglaubliche Macht und den Stolz des Drachen spüren, und nur in seiner Nähe zu sein, inspirierte sie. Er gab ihr das Gefühl, dass ihr Horizont mit einem Mal viel weiter war.
Als Kyra am Rande der Lichtung stand, und überlegte, was sie tun sollte, erschrak sie, als sie einen Zweig brechen hörte, gefolgt von Gelächter – dem grausamen Gelächter eines Mannes. Sie sah einen Krieger der in roter Rüstung und Fellen gekleidet war, der ihn als einen wichtigen Mann des Lords auswiesen, der auf die Lichtung geschlendert kam und sich mit einem Speer über dem Drachen aufbaute.
Kyra zuckte zusammen, als der Mann dem Drachen den Speer zwischen die Rippen rammte. Das Tier kreischte auf und krümmte sich; plötzlich fühlte sie sich, als wäre sie selbst verletzt worden. Offensichtlich nutzte der Krieger die Verletzung des Drachen, und wollte ihn töten, doch nicht ohne ihn vorher zu quälen. Der Gedanke schmerzte Kyra ohne Ende.
„Meine Axt, Junge!“, schrie der Krieger.
Ein Junge von vielleicht dreizehn Jahren, der ein Pferd an den Zügeln führte, betrat zögernd die Lichtung. Er sah aus wie ein Knappe und schien vollkommen verängstigt zu sein, als er näher kam und dabei argwöhnisch den Drachen beobachtete. Er tat, wie ihm geheißen, löste eine lange Axt vom Sattel und reichte sie seinem Meister.
Kyra sah mit Grauen zu, wie der Krieger sich dem Drachen näherte, während seine Klinge im Mondlicht aufblitzte.
„Ich würde sagen, dass er eine großartige Trophäe abgibt“, sagte er stolz. „Über Generationen werden sie von mir singen – das ist die Trophäe aller Trophäen.“
„Aber ihr habt ihn nicht getötet!“, protestierte der Knappe. „Ihr habt ihn verwundet gefunden!“
Der Krieger fuhr herum, und drückte bedrohlich seinen Dolch an den Hals des Jungen.
„Ich habe ihn getötet, Junge. Hast du verstanden?“
Der Junge schluckte und nickte langsam.
Der Krieger wandte sich wieder dem Tier zu, hob seine Axt und betrachtete den ungeschützten Hals des Drachen. Der Drache versuchte noch immer sich aufzurichten, doch er war hilflos.
Plötzlich wandte der Drache den Kopf und starrte Kyra hilfesuchend an, als hätte er sich an sie erinnert. Seine gelben Augen leuchteten und sie konnte spüren, wie er sie anflehte.
Kyra konnte sich nicht länger zurückhalten.
„NEIN!“, schrie sie.
Ohne nachzudenken rannte Kyra auf die Lichtung, und rutschte den Hang hinunter durch den Schnee, dicht gefolgt von Leo. Sie dachte nicht einmal daran, dass die Todesstrafe darauf stand, einen der Männer des Lords anzugreifen; dass sie allein und ungeschützt hier draußen war; und dass ihre Handlungen sie womöglich umbringen würden. Sie dachte einzig und allein daran, das Leben des Drachen zu retten – daran, das unschuldige Tier zu schützen.
Als sie auf die Lichtung rannte, griff sie instinktiv nach ihrem Bogen, legte einen Pfeil an, und zielte auf den Krieger.
Der Mann war überrascht, hier draußen noch einen anderen Menschen zu sehen. Hier mitten im Nirgendwo hatte er mit niemandem gerechnet – und schon gar nicht mit einem Mädchen, das ihn mit einem Bogen bedrohte. Er hielt seine Axt über seinem Kopf, wie eingefroren, dann senkte er sie langsam, während er sich umdrehte, um sie anzusehen.
Kyras Arm bebte, während sie die Sehne hielt und auf die Brust des Mannes zielte. Sie wollte nicht schießen, wenn sie es nicht musste. Sie hatte noch nie zuvor einen Mann getötet, und wusste auch nicht, ob sie es konnte.
„Leg deine Axt hin“, befahl sie, und versuchte, so selbstbewusst wie möglich zu klingen. In diesem Augenblick wünschte sie sich, die tiefe Stimme ihres Vaters.
„Und wer befiehlt mir das?“, rief der Mann mit höhnischer Stimme zurück. Er schien sich über sie lustig zu machen.
„Ich bin Kyra“, rief sie, „Tochter von Duncan, Kommandant von Volis“, sie betonte den letzten Teil in der Hoffnung, dass es ihn beeindrucken würde.
Doch er grinste nur.
„Ein leerer Titel“, konterte er. „Ihr seid alle Leibeigene Pandesias, genau wie der Rest von Escalon. Ihr untersteht dem Lord Regenten – genau wie jeder andere auch.“
Er musterte sie von oben nach unten und leckte sich die Lippen. Dann trat er offensichtlich unbeeindruckt einen Schritt auf sie zu.
„Weißt du, welche Strafe darauf steht, eine Waffe auf einen Mann des Lords zu richten, Mädchen? Ich könnte dich, deinen Vater und alle eure Leute dafür einsperren.“
Der Drache begann plötzlich zu keuchen, und der Krieger drehte sich um und sah ihn an. Er versuchte offensichtlich Feuer zu speien, doch es gelang ihm nicht.
Der Krieger sah Kyra wieder an.
„Ich habe zu arbeiten!“, herrschte er sie ungeduldig an. „Heute ist dein Glückstag. Geh zurück zu deinem Vater und sei froh, dass ich dich am Leben lasse. Hau ab!“
Er wandte ihr den Rücken zu und ignorierte sie, als wäre sie keine Bedrohung. Er hob wieder seine Axt und machte einen Schritt nach vorn, über den Hals des Drachen.
Kyra wurde rot vor Wut.
„Ich warne dich nicht noch einmal!“, rief sie, diesmal mit tieferer Stimme, die sie selbst überraschte.
Sie spannte ihren Bogen, und der Krieger wandte sich ihr wieder zu, diesmal ohne zu lächeln, als hätte er begriffen, dass sie es ernst meinte. Kyra war irritiert, als er über ihre Schulter blickte, als ob er etwas hinter ihr beobachtete. Dann plötzlich bemerkte sie eine Bewegung im Augenwinkel – doch es war zu spät. Sie wurde von der Seite angesprungen, und ließ den Bogen fallen, als ein schwerer Körper auf ihr landete, und sie zu Boden riss. Sie landete so tief im Schnee, dass sie kaum atmen konnte.
Desorientiert kämpfte sich Kyra zurück an die Oberfläche und sah auf sich einen Krieger, der sie zu Boden presste. Sie sah vier der Männer des Lords über sich stehen und erkannte, dass sich die anderen im Wald versteckt hatten. Wie dumm sie doch gewesen war, anzunehmen, dass dieser Mann allein her war. Darum hatte er keine Angst gehabt, als sie den Bogen auf ihn gerichtet hatte.
Zwei der Männer zerrten sie grob auf die Beine, während die anderen hinzukamen. Sie sahen grob und ungeschlacht aus, mit grausamen Gesichtern, unrasiert, lüstern nach Blut – oder Schlimmerem.
Einer begann, seinen Gürtel zu öffnen.
„Ein kleines Mädchen mit einem Bogen“, machte sich einer lustig.
„Du hättest zu Hause in der Festung deines Vaters bleiben sollen“, sagte ein anderer.
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als ein knurren zu hören war: Leo raste durch den Schnee und riss ihn zu Boden.
Einer der anderen Männer trat nach Leo, doch dieser wirbelte herum und biss ihm ins Bein. Leo knurrte und ließ nicht von den Männern ab, selbst wenn sie ihn von sich traten.
Die beiden anderen Krieger jedoch konzentrierten sich auf Kyra, und da Leo beschäftigt war, stieg Panik in ihr auf. Doch seltsamerweise fürchtete sie sich nicht um sich selbst, sondern um den Drachen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie der erste Krieger wieder seine Axt hob und auf das Tier zuging und in diesem Augenblick wusste sie, dass er sich durch nichts aufhalten lassen würde.
Kyra reagierte instinktiv. Als der Mann, der sie festhielt, von Leo abgelenkt für einen Augenblick den Griff um ihren Arm lockerte, riss sie sich los und zog ihren Stab, der über ihren Rücken hing, Sie wirbelte herum und schlug wie der Blitz zu. Einen der Männer traf sie an der Schläfe und schlug ihn bewusstlos, bevor er es überhaupt kommen sah.
Dann griff sie um und rammte dem anderen Krieger die Spitze gegen den Nasenrücken. Er schrie auf, Blut lief ihm über die Hände, die er vors Gesicht geschlagen hatte, und er ging zu Boden.
Kyra wusste, dass dies ihre Chance war, die beiden Männer zu erledigen. Sie lagen am Boden während Leo die beiden anderen beschäftigte.
Doch ihr Herz war immer noch beim Drachen – sie konnte an nichts anderes denken – und sie wusste, dass sie keine Zeit zu verlieren hatte. Darum rannte sie zu ihrem Bogen, hob ihn auf und legte einen Pfeil an. Sie hatte einen Schuss, und der musste sitzen. Es würde der erste Schuss sein, den sie jemals in einem richtigen Kampf abgab, noch dazu in der Nacht, mitten in einem Schneesturm zwischen abgeknickten Bäumen und Ästen. Ihr Ziel war fast 20 Meter weit weg, und es war auch der erste Schuss, den sie jemals unter Lebensgefahr abgab.
Kyra konzentrierte sich und rief sich all ihr Training in Erinnerung – all die langen Tage und Nächte, die sie im Wald und in Fighter’s Gate verbracht hatte. Sie wurde eins mit ihrem Bogen.
Kyra spannte und ließ den Pfeil fliegen, und die Zeit schien unendlich langsam abzulaufen, als sie zusah, wie der Pfeil durch die Luft flog, das Zischen hörte, und sich nicht sicher war, ob sie treffen würde. Zu viele Variablen waren im Spiel: von einem Windstoß, zu sich wiegenden Ästen, von ihren eigenen vor Kälte steifen Händen zu den Bewegungen des Kriegers.
Kyra hörte den Einschlag, als der Pfeil sein Ziel fand, gefolgt vom Schrei des Mannes. Im Mondlicht sah sie, wie der Mann vor Schmerz das Gesicht verzerrte, und sah zu, wie seine Axt harmlos neben ihm in den Schnee fiel, bevor er selbst tot zusammenbrach.
Der Drachen sah Kyra an und ihre Blicke begegneten sich. Seine riesigen gelben Augen, die selbst in der Dunkelheit zu leuchten schienen, schienen anzuerkennen, was sie getan hatte, und in diesem Augenblick hatte sie das Gefühl, dass er wusste, dass sie ihn gerettet hatte und sie damit einen lebenslangen Bund geschlossen hatten.
Kyra stand schockiert da und konnte kaum fassen, was sie getan hatte. Hatte sie gerade wirklich einen Mann getötet? Und nicht nur irgendeinen Mann – sondern einen der Männer des Lords. Sie hatte Pandesias Gesetz gebrochen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Damit hatte sie womöglich einen Krieg ausgelöst in den ganz Escalon hineingezogen werden würde. Was hatte sie nur getan?
Doch aus irgendeinem Grund spürte sie keine Reue und keine Zweifel über das, was sie getan hatte. Sie spürte, dass sie ihrem Schicksal gefolgt war.
Ein brennender Schmerz in ihrem Gesicht riss sie aus ihren Gedanken, als Kyra den Einschlag von dicken, schwieligen Fingerknochen auf ihrer Wange spürte. Sie sah Sterne, alles drehte sich, und sie fiel auf Hände und Knie in den Schnee. Bevor sie sich aufrappeln konnte trat er ihr in die Rippen und ein weiterer Krieger drückte ihr Gesicht in den Schnee. Kyra rang nach Luft, als der Mann sie hochriss. Sie fand sich den beiden Männern gegenüber, die sie am Leben gelassen hatte. Leo knurrte, doch er hatte selbst mit den beiden anderen zu kämpfen. Einer der Männer hatte eine zertrümmerte Nase und der andere blutete aus einer Platzwunde an der Schläfe und Kyra erkannte, dass sie sie hätte töten sollen, als sie die Gelegenheit gehabt hatte. Sie wehrte sich mit aller Kraft, um sich aus ihrem Griff zu befreien, doch es half nichts. Sie konnte den Blutdurst in ihren Augen sehen.
Einer von ihnen warf seinem toten Kommandanten einen Blick zu, dann packte er sie beim Kinn, kam ganz dicht an sie heran und zischte „Glückwunsch! Morgen früh werden wir dein Fort und alle Menschen darin dem Erdboden gleich machen.“
Er ohrfeigte sie, und unter Schmerzen stolperte sie zurück. Der andere Krieger packte sie und drückte ihr den Dolch gegen den Hals, während der erste, nach seinem Gürtel griff.
„Doch bevor du stirbst, werden wir dafür sorgen, dass deine letzte Erinnerung, die Erinnerung an uns ist.“
Kyra hörte Leos Winseln und als sie hinüberblickte, sah sie, dass einer der Männer auf ihn einstach. Sie zuckte zusammen, als wäre sie selbst getroffen worden, doch Leo, furchtlos wie immer, wirbelte herum und grub seine Zähne in den Arm des Kriegers.
Kyra spürte die Klinge an ihrem Hals, und sie wusste, dass sie auf sich allein gestellt war. Doch sie spürte keine Angst – sie spürte sich befreit. Sie fühlte ihren Zorn und ihren Rachedurst gegen die Männer des Lords in sich aufsteigen. Und dieser Mann war das perfekte Ziel. Vielleicht würde heute sterben, doch sie würde es nicht kampflos tun.
Sie wartete bis zum letzten Augenblick, in dem der Pandesier auf sie zukam und nach ihren Kleidern greifen wollte; schnell riss sie ihr Knie hoch und rammte es mit aller Kraft zwischen seine Beine. Er schrie auf und fiel auf die Knie. Im selben Augenblick gelang es Leo, seine Angreifer abzuwehren; er stürzte sich auf den Mann, den sie zu Boden geschickt hatte und biss ihm in den Hals.
Sie wirbelte herum, um sich dem anderen Mann zu stellen, dem letzten, der noch stand. Er zog sein Schwert, und als Kyra ihren Stab aufhob, lachte er.
„Ein Stöckchen gegen ein Schwert“, höhnte er. „Du solltest lieber gleich aufgeben, dein Tod wird dann nicht ganz so schmerzhaft sein.“
Er holte aus und hieb mit dem Schwert nach ihr. In diesem Augenblick übernahm Kyras Instinkt wieder die Kontrolle; sie stellte sich vor, wieder in Fighter’s Gate zu sein. Sie wich seinen Hieben aus, duckte sich und nutzte ihre Geschwindigkeit zu ihrem Vorteil. Der Krieger war goss und stark und sein Schwert war schwer – doch sie war leicht und wurde nicht von schwerem Rüstzeug belastet. Als er sein Schwert auf sie herabsausen ließ, wich sie aus und er verlor das Gleichgewicht im Schnee; sie wirbelte ihren Stab herum und schlug ihm damit auf das Handgelenk, woraufhin er das Schwert fallen ließ und es im Schnee verschwand.
Er sah sie schockiert an, dann schnitt er eine Grimasse und stürzte sich mit bloßen Händen auf sie. Kyra wartete. Im letzten Augenblick ließ sie sich in die Hocke fallen und rammte die Spitze ihres Stabs in die Höhe, gegen sein Kinn. Der Einschlag ließ krachend seinen Kopf in den Nacken schlagen und er stürzte und blieb regungslos liegen. Um sicherzugehen, dass er auch wirklich tot war, stürzte sich Leo auf ihn und zerfetzte seinen Hals.
Kyra, die annahm, dass nun alle Krieger tot waren, war irritiert, als sie ein Geräusch hinter sich hörte. Sie fuhr herum und sah, wie einer der beiden Krieger, mit denen Leo gekämpft hatte, sich doch wieder aufgerappelt hatte, zu seinem Pferd hinkt und ein Schwert aus seinem Sattel zog. Blutverschmiert stürmte er auf Leo zu, der immer noch seine Zähne in den Hals des anderen gegraben und ihm den Rücken zugekehrt hatte.
Kyras Herz raste, sie war zu weit weg, ihn rechtzeitig zu erreichen.
„LEO!“, schrie sie.
Doch Leo hörte sie nicht.
Kyra wusste, dass sie schnell etwas tun musste, wenn sie nicht wollte, dass Leo vor ihren Augen getötet wurde.
Ihr Bogen lag zu weit weg im Schnee.
Sie dachte schnell nach, hob ihren Stab und brach ihn über ihrem Knie entzwei. Sie nahm eine der Hälften, dessen Spitze scharf gebrochen war, zielte und warf sie wie einen Speer.
Der Stab flog zischend durch die Luft und sie betete, dass er sein Ziel finden würde.
Kyra atmete erleichtert auf, als sie zusah, wie er den Hals des Mannes durchbohrte, bevor er Leo erreichen konnte. Er stolperte und fiel tot neben Leo in den Schnee.
Kyra stand in der Stille des Waldes, atmete schwer, und betrachtete das Blutbad um sie herum; alle fünf Männer lagen im Schnee und färbten ihn rot, und sie konnte kaum fassen, was sie getan hatte. Doch bevor sie alles verarbeiten konnte, bemerkte sie erneut eine Bewegung. Sie wirbelte herum und sah den Knappen, der zu seinem Pferd rannte.
„Warte!“, rief Kyra.
Sie wusste, dass sie ihn aufhalten musste. Wenn er es zurück zum Lord Regenten schaffte, würde er berichten, was geschehen war. Sie würden herausfinden, dass sie es gewesen war und ihr Vater und alle Menschen in Volis würden sterben.
Kyra hob ihren Bogen auf, zielte und wartete, bis sie ein freies Schussfeld hatte. Schließlich rissen die Wolken auf und als der Junge zwischen den Bäumen hervor kam, hatte sie ihre Chance.
Doch sie konnte es nicht tun. Der Junge hatte ihr nichts getan und etwas in ihr ließ nicht zu, einen Unschuldigen zu töten.
Mit zitternden Händen senkte sie den Bogen und sah zu, wie er davonritt. Ihr war übel, denn sie wusste, dass das ihr Todesurteil war. Das bedeutete sicher Krieg.
Jetzt, wo der Knappe auf der Flucht war, wusste Kyra, dass ihr nicht viel Zeit blieb. Sie sollte durch den Wald zurück zur Festung ihres Vaters laufen und sie alarmieren. Sie brauchten Zeit, das Fort für einen Krieg vorzubereiten und die Mauern zu versiegeln – oder um zu fliehen. Sie spürte ein schreckliches Gefühl der Schuld, jedoch auch eines der Pflicht.
Doch Kyra ging nirgendwo hin. Stattdessen stand sie da, und beobachtete fasziniert, wie der Drache mit seinem gesunden Flügel flatterte und sie ansah. Sie spürte, dass er sie brauchte.
Sie stapfte durch den Schnee, zum Flussufer hinunter, bis sie vor dem Drachen stand. Er hob den Hals ein wenig und ihre Blicke trafen sich. In seinen Augen lag ein unergründlicher Ausdruck. Sie sah Dankbarkeit – doch auch Wut. Sie konnte es nicht verstehen.
Sie ging näher heran, bis sie nur noch ein paar Meter entfernt war. Leo knurrte neben ihr. Kyra stockte der Atem; sie konnte kaum fassen, dass sie so dicht neben einer so prachtvollen Kreatur stand. Sie wusste, wie gefährlich es war, wusste, dass der Drache sie jederzeit töten konnte, wenn er wollte.
Sie hob ihre Hand und mit vor Angst pochendem Herzen berührte sie seine Schuppen. Seine Haut war so rau und dick, so urzeitlich – es war, als berührte sie etwas vom Anbeginn der Zeit. Ihre Hand zitterte, als sie ihn streichelte – jedoch nicht vor Kälte.
Seine Gegenwart war ein derartiges Mysterium und zahllose Fragen kreisten in ihrem Kopf.
„Was hat dich verletzt?“, fragte sie, während sie seine Schuppen streichelte. „Was tust du hier, auf dieser Seite der Welt?“
Tief aus seinem Hals kam ein Knurren, und Kyra zog ängstlich ihre Hand zurück. Sie konnte das Tier nicht verstehen, und auch wenn sie gerade sein Leben gerettet hatte, hatte sie plötzlich das Gefühl, dass es keine gute Idee war, ihm so nahe zu kommen.
Der Drache sah Kyra an und hob langsam eine seiner Krallen, bis sie Kyras Hals berührte. Kyra stand wie angewurzelt da, starr vor Angst, und fürchtete, dass er ihr den Hals aufschneiden würde.
Doch etwas blitzte in seinen Augen auf, und er schien seine Meinung zu ändern. Er zog seine Krallen zurück und ließ sie fallen.
Kyra spürte einen brennenden Schmerz in ihrem Gesicht und schrie auf, als die Kralle über ihre Wange kratzte. Sie blutete. Es war nur ein Kratzer, das spürte Kyra, doch er war tief genug, um eine Narbe zurückzubehalten.
Kyra berührte die Wundem sah das Blut an ihren Händen und fühlte sich hintergangen und verwirrt. Sie sah in die gelben Augen des Drachen, die voller Trotz waren, und konnte ihn einfach nicht verstehen. Hasste er sie etwa? War es ein Fehler gewesen, sein Leben zu retten? Warum hatte er sie nur gekratzt, wo er sie doch so leicht hätte töten können?“