Kitabı oku: «Gefunden », sayfa 3
Doch dann wiederum hatte sie auch keine Ahnung, wo sie nach Scarlet suchen sollte. Sie verspürte eine zunehmende Hoffnungslosigkeit.
Plötzlich erschien ein Schafhirte im Tor und schritt langsam auf den Dorfplatz hinaus, gefolgt von seiner Schafherde. Er trug eine lange, weiße Robe mit einer Kapuze, die seinen Kopf vor der Sonne schützte, und ging auf sie zu, einen Stab in der Hand. Zuerst dachte Caitlin, dass er direkt auf sie zu kam. Doch dann erkannte sie: der Brunnen. Er war einfach nur auf etwas zu trinken aus, und sie waren im Weg.
Als er hereinkam, scharten sich die Schafe um ihn herum, erfüllten den Dorfplatz, alle auf den Brunnen zu. Sie mussten gewusst haben, dass es Tränkzeit war. In wenigen Augenblicken fanden sich Caitlin und Caleb inmitten der Herde wieder, und die zarten Tiere schubsten sie zur Seite, damit sie zum Wasser gelangen konnten. Ihr ungeduldiges Blöken erfüllte die Luft, während sie darauf warteten, dass ihr Hirte sie versorgte.
Caitlin und Caleb machten Platz, als der Hirte auf den Brunnen herantrat, die rostige Kurbel drehte und langsam den Eimer heraufholte. Als er sich daranmachte, ihn herauszuheben, ließ er die Kapuze fallen.
Caitlin war überrascht darüber, wie jung er war. Er hatte dichtes blondes Haar, einen blonden Bart und hellblaue Augen. Er lächelte, und sie konnte die Sonnenfalten auf seinem Gesicht sehen, um seine Augen herum, und konnte die Wärme und Güte von ihm ausstrahlen spüren.
Er nahm den übervollen Eimer, und trotz des Schweißes auf seiner Stirn, trotz der Tatsache, dass er durstig wirkte, drehte er sich herum und goss den ersten Krug Wasser in den Trog am Fuß des Brunnens. Die Schafe drängten sich heran, blökend und einander aus dem Weg schubsend, während sie tranken.
Caitlin überkam das seltsamste Gefühl, dass dieser Mann vielleicht etwas wusste, dass er vielleicht aus gutem Grund ihren Weg gekreuzt hatte. Wenn Jesus in dieser Zeit lebte, überlegte sie, vielleicht hatte dieser Mann dann von ihm gehört?
Caitlin verspürte einen Schub von Nervosität, als sie sich räusperte.
„Entschuldigung?“, fragte sie.
Der Mann drehte sich zu ihr herum und blickte sie an, und sie konnte die Intensität seiner Augen spüren.
„Wir sind auf der Suche nach jemandem. Ich frage mich, ob Sie vielleicht wissen, ob er hier lebt.“
Der Mann kniff die Augen zusammen, und Caitlin bekam dabei das Gefühl, als würde er direkt durch sie sehen. Es war unheimlich.
„Er lebt“, antwortete der Mann, als würde er ihre Gedanken lesen. „Aber er ist nicht länger an diesem Ort.“
Caitlin konnte es kaum glauben. Es war also wahr.
„Wohin ist er gegangen?“, fragte Caleb. Caitlin hörte die Eindringlichkeit in seiner Stimme und konnte spüren, wie dringend er es wissen wollte.
Der Mann richtete seinen Blick auf Caleb.
„Na, nach Galiläa natürlich“, erwiderte der Mann, als wäre das offensichtlich. „Ans Meer.“
Caleb kniff die Augen zusammen.
„Kapernaum?“, fragte Caleb vorsichtig.
Der Mann nickte zur Antwort.
Calebs Augen weiteten sich verstehend.
„Viele Anhänger sind auf dem Pfad“, sagte der Mann kryptisch. „Suchet, so werdet ihr finden.“
Der Hirte senkte plötzlich den Kopf, wandte sich um und ging davon, die Schafe hinter ihm her. Bald schon hatte er den Platz durchquert.
Caitlin konnte ihn nicht gehen lassen. Noch nicht. Sie musste mehr erfahren. Und sie hatte das Gefühl, dass er etwas zurückhielt.
„Warten Sie!“, rief sie aus.
Der Hirte hielt an, drehte sich herum und starrte sie an.
„Kennen Sie meinen Vater?“, fragte sie.
Zu Caitlins Überraschung nickte der Mann langsam.
„Wo ist er?“, fragte Caitlin.
„Es liegt an dir, das herauszufinden“, sagte er. „Du bist diejenige, die die Schlüssel trägt.“
„Wer ist er?“, fragte Caitlin, es unbedingt wissen wollend.
Langsam schüttelte der Mann den Kopf.
„Ich bin nur ein Hirte auf meinem Weg.“
„Aber ich weiß nicht einmal, wo ich suchen soll!“, erwiderte Caitlin verzweifelt. „Bitte. Ich muss ihn finden.“
Der Hirte fing langsam zu lächeln an.
„Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist“, sagte er.
Und damit bedeckte er seinen Kopf, drehte sich herum und durchquerte den Platz. Er trat durch den Torbogen und einen Augenblick später war er verschwunden, seine Schafe hinterher.
Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist.
Seine Worte hallten Caitlin durch den Kopf. Irgendwie ahnte sie, dass es mehr war als nur eine Allegorie. Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr hatte sie das Gefühl, es war wortwörtlich gemeint. Als wollte er ihr sagen, dass es genau hier einen Hinweis gab, wo sie stand.
Caitlin drehte sich plötzlich herum und suchte den Brunnen ab, die Stelle, an der sie gesessen hatten. Nun spürte sie etwas.
Stets ist der beste Ort zum Suchen genau da, wo du bist.
Sie kniete nieder und fuhr mit den Händen über die uralte, glatte Steinmauer. Sie fühlte sie der Länge nach ab, immer überzeugter, dass da etwas war, dass sie an einen Hinweis geführt worden war.
„Was tust du?“, fragte Caleb.
Caitlin suchte krampfhaft, untersuchte alle Risse in allen Steinen, fühlte, dass sie auf der richtigen Spur war.
Schließlich, halb um den Brunnen herum, hielt sie inne. Sie fand eine Ritze, die etwas größer war als die anderen. Gerade groß genug, um ihren Finger hineinzustecken. Der Stein um sie herum war einfach ein klein wenig zu glatt, und die Ritze einfach ein klein wenig zu groß.
Caitlin fasste hinein und versuchte, ihn herauszubekommen. Bald schon fing der Stein zu wackeln an, dann bewegte er sich. Der Stein lockerte sich und ließ sich aus der Brunnenmauer ziehen. Dahinter, stellte sie erstaunt fest, lag ein kleines Versteck.
Caleb kam näher, über ihre Schulter gebeugt, als sie in die Dunkelheit hineinfasste. Sie spürte etwas Kaltes und Metallisches in ihrer Hand und holte es langsam hervor.
Sie hob ihre Hand ins Licht und öffnete sie langsam.
Sie konnte nicht glauben, was sich darin befand.
KAPITEL FÜNF
Scarlet stand mit Ruth am Ende der Sackgasse, mit dem Rücken zur Wand, und musste ängstlich zusehen, wie die fiesen Kerle ihren Hund auf sie hetzten. Augenblicke später ging der riesige wilde Hund auf sie los, knurrte und zielte direkt auf ihre Kehle. Alles ging so schnell, dass Scarlet kaum wusste, was sie tun sollte.
Bevor sie reagieren konnte, fauchte Ruth plötzlich und stürzte sich auf den Hund. Sie sprang in die Luft und traf auf halber Strecke auf den Hund, und versenkte ihre Zähne in seinem Hals. Ruth landete auf ihm und drückte ihn zu Boden. Der Hund muss doppelt so groß wie Ruth gewesen sein, und doch hielt Ruth ihn mühelos fest und ließ ihn nicht hochkommen. Sie drückte mit aller Kraft ihre Zähne zusammen und schon bald hörte der Hund auf, sich zu wehren, und war tot.
„Du kleines Miststück!“, schrie der Anführer wütend.
Er sprang aus der Gruppe hervor und ging direkt auf Ruth los. Er hob einen Stock, der an einem Ende zu einer Speerspitze geschnitzt war, und schlug damit direkt auf Ruths ungeschützten Rücken zu.
Scarlets Reflexe setzten ein und sie sprang in Aktion. Ohne überhaupt nachzudenken lief sie auf den Jungen los und fing seinen Stock in der Luft ab, knapp bevor er Ruth damit traf. Dann zog sie ihn an sich, holte aus und trat ihm kräftig in die Rippen.
Er beugte sich vornüber und sie trat erneut zu, diesmal ins Gesicht mit einem Rundum-Tritt. Es wirbelte ihn herum und er landete mit dem Gesicht voran auf dem Steinboden.
Ruth drehte sich herum und ging auf den Trupp Jungs los. Sie sprang hoch in die Luft und bohrte ihre Zähne in den Hals eines der Jungen, und drückte ihn zu Boden. Somit blieben nur noch drei von ihnen übrig.
Scarlet stand da, ihnen zugewandt, und plötzlich durchzog sie ein neues Gefühl. Sie fühlte sich nicht länger ängstlich; sie wollte nicht länger vor diesen Jungen davonlaufen; sie wollte sich nicht länger zusammenkauern und verstecken; sie wollte nicht länger von Mama und Papa beschützt werden.
Etwas in ihr schaltete um, als sie eine unsichtbare Linie überschritt, einen Knackpunkt. Sie fühlte, zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie niemand anderen brauchte. Alles, was sie brauchte, war sie selbst. Anstatt den Moment zu fürchten, genoss sie ihn nun.
Scarlet spürte, wie sie von Wut durchflossen wurde, die aus ihren Zehenspitzen aufstieg, durch ihren Körper, bis in die Haarspitzen. Es war eine elektrische Emotion, die sie nicht verstand, eine, die sie noch nie zuvor erlebt hatte. Sie wollte nicht länger vor diesen Jungs davonlaufen. Sie wollte auch nicht, dass sie davonkamen.
Nun wollte sie Rache.
Während die drei Jungs dastanden und schockiert starrten, griff Scarlet an. Alles ging so schnell, dass sie es kaum verarbeiten konnte. Ihre Reflexe waren so viel schneller als die der Jungs, als würden sie sich in Zeitlupe bewegen.
Scarlet sprang in die Luft, höher als je zuvor, und trat den Jungen in der Mitte mit beiden Füßen in die Brust. Er flog rücklings wie eine Kanonenkugel durch die Gasse, bis er in die Mauer krachte und zusammenbrach.
Bevor die anderen beiden noch reagieren konnten, wirbelte sie herum und schlug einem von ihnen den Ellbogen ins Gesicht, dann trat sie dem anderen in die Magengrube. Beide gingen bewusstlos zu Boden.
Scarlet stand mit Ruth da und atmete schwer. Sie blickte sich um und sah alle fünf Jungs um sie herum ausgestreckt liegen und sich nicht bewegen. Und dann erkannte sie: sie war der Sieger.
Sie war nicht länger die Scarlet, die sie einst gekannt hatte.
*
Scarlet streunte stundenlang durch die Gassen, Ruth an ihrer Seite, und brachte so viel Abstand wie sie nur konnte zwischen sich und diese Jungs. Sie bog in eine Gasse nach der anderen in der Hitze, verlief sich im Labyrinth der schmalen Seitengassen in der Altstadt von Jerusalem. Die Mittagssonne brannte auf sie herunter, und sie fühlte sich langsam schwindelig davon; sie fühlte sich auch schwindelig vom Mangel an Nahrung und Wasser. Sie konnte Ruth neben sich schwer hecheln hören, während sie sich durch die Menge schlängelten, und sie konnte sehen, dass auch sie litt.
Ein Kind kam an Ruth vorbei und packte sie am Rücken, zerrte spielerisch an ihr, aber zu fest. Ruth drehte sich herum und schnappte nach ihm, knurrte und fletschte die Zähne. Das Kind schrie, fing zu weinen an und rannte davon. Es sah Ruth nicht ähnlich, sich so zu verhalten; normalerweise war sie so duldsam. Doch es schien, als würden die Hitze und der Hunger auch ihr zusetzen. Sie spiegelte auch Scarlets eigene Wut und ihren Frust wieder.
So sehr sie sich bemühte, wusste Scarlet nicht, wie sie ihre restlichen Wutgefühle abschalten sollte. Es war, als wäre etwas in ihr entfesselt worden, und sie konnte es nicht wieder zügeln. Sie spürte ihre Adern pochen, die Wut pulsieren, und als sie an einem Händler nach dem anderen vorbeikam, die alle Arten von Speisen anboten, die sie und Ruth sich nicht leisten konnten, wurde ihr Zorn nur noch größer. Ihr wurde auch langsam klar, dass das, was sie durchmachte, ihre intensiven Hungerschmerzen, keine gewöhnlichen Hungergefühle waren. Es war etwas anderes, erkannte sie. Etwas Tieferes, Primitiveres. Sie wollte nicht einfach Nahrung. Sie wollte Blut. Sie hatte den Drang, zu trinken.
Scarlet wusste nicht, was mit ihr passierte, und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie konnte einen Brocken Fleisch riechen und drückte sich durch die Menge, direkt darauf zu, und starrte es an. Ruth drängte sich neben sie.
Scarlet drängelte sich einen Weg bis ganz nach vorne, und dabei schubste ein missbilligender Mann in der Menge sie zurück.
„He Mädchen, pass auf, wo du hintrittst!“, schnappte er.
Ohne überhaupt nachzudenken drehte Scarlet sich herum und schubste den Mann. Er war mehr als doppelt so groß wie sie, doch er flog nach hinten und warf mehrere Obststände um, während er zu Boden fiel.
Er rappelte sich schockiert wieder auf, blickte Scarlet an und versuchte, dahinterzukommen, wie ein so kleines Mädchen ihn so überwältigen konnte. Dann, mit einem ängstlichen Blick, war er weise genug, sich abzuwenden und davonzueilen.
Der Verkäufer blickte grimmig zu Scarlet hinunter, nichts Gutes ahnend.
„Du willst Fleisch?“, schnappte er. „Hast du das Geld, dafür zu bezahlen?“
Aber Ruth konnte sich nicht länger zusammenreißen. Sie sprang vor, grub ihre Zähne in den riesigen Fleischbrocken, riss ein Stück heraus und verschlang es. Bevor noch irgendjemand reagieren konnte, sprang sie noch einmal vor und schnappte nach einem weiteren Bissen.
Diesmal schlug der Händler mit seiner Hand zu, so fest er konnte, auf Ruths Nase zielend.
Doch Scarlet spürte es kommen. Tatsächlich passierte etwas Neues mit ihrem Gefühl für Geschwindigkeit und Zeit. Als die Hand des Händlers langsam herunterfuhr, schoss Scarlets Hand von selbst hoch, beinahe ohne ihr Zutun, und packte das Handgelenk des Händlers, knapp bevor er Ruth traf.
Der Händler blickte auf Scarlet hinunter, mit weit aufgerissenen Augen, schockiert, dass ein so kleines Mädchen so fest zupacken konnte. Scarlet drückte das Handgelenk des Mannes zusammen, fester und fester, bis sein ganzer Arm zu zittern begann. Sie blickte grimmig zu ihm hoch, unfähig, ihre Wut unter Kontrolle zu halten.
„Fass ja nicht meinen Wolf an“, fauchte Scarlet dem Mann entgegen.
„Es…tut mir leid“, sagte der Mann, sein Arm vor Schmerzen zitternd, seine Augen weit vor Schreck.
Endlich lockerte Scarlet ihren Griff und eilte vom Stand davon, Ruth an ihrer Seite. Während sie sich beeilte, so weit wie möglich weg zu kommen, hörte sie ein Pfeifen hinter sich, dann hektische Rufe nach der Wache.
„Weg hier, Ruth!“, sagte Scarlet, und die beiden eilten die Gasse hinunter davon und verloren sich in der Menge. Zumindest hatte Ruth nun gefressen.
Doch Scarlets eigener Hunger war überwältigend, und sie wusste nicht, ob sie ihn noch viel länger in Zaum halten konnte. Sie wusste nicht, was mit ihr passierte, doch als sie eine Straße nach der anderen hinunterliefen, stellte sie fest, dass sie die Hälse der Menschen untersuchte. Sie fokussierte auf ihre Adern, sah ihr Blut pulsieren. Sie ertappte sich dabei, wie sie sich die Lippen leckte und den Wunsch—den Drang—verspürte, ihre Zähne hineinzubohren. Sie dachte mit Begierde daran, ihr Blut zu trinken, und ertappte sich dabei, sich auszumalen, wie es sich anfühlen würde, wenn das Blut ihre Kehle hinunterrann. Sie konnte es nicht verstehen. War sie überhaupt noch menschlich? Verwandelte sie sich in ein wildes Tier?
Scarlet wollte niemandem wehtun. Im Kopf versuchte sie, sich zurückzuhalten.
Doch im Körper wurde sie von etwas überwältigt. Es stieg aus ihren Zehenspitzen hoch, in ihre Beine, durch ihren Oberkörper bis an ihren Scheitel und in die Fingerspitzen. Es war ein Verlangen. Ein unaufhaltsames, unstillbares Verlangen. Es übernahm ihre Gedanken, sagte ihr, was sie denken sollte, wie sie handeln sollte.
Plötzlich entdeckte Scarlet etwas: in der Ferne, irgendwo hinter ihr, jagte ein Trupp römischer Soldaten hinter ihr her. Ihr neues, hochempfindliches Gehör warnte sie durch den Laut ihrer Sandalen, die über den Steinboden klapperten. Sie wusste Bescheid, obwohl sie noch mehrere Häuserblocks entfernt waren.
Das Geräusch der Sandalen auf dem Stein reizte sie nur noch mehr; die Laute mischten sich in ihrem Kopf mit den Rufen der Händler, den lachenden Kindern, den bellenden Hunden… Es wurde ihr alles zu viel. Ihr Gehörsinn wurde zu intensiv, und sie war zu genervt von all dem Lärm. Auch die Sonne fühlte sich kräftiger an, als würde sie nur auf sie hinunterbrennen. Es war alles zu viel. Sie fühlte sich, als stünde sie unter dem Mikroskop der Welt und würde gleich explodieren.
Plötzlich lehnte sich Scarlet zurück, vor Wut überschwappend, und spürte etwas Neues mit ihren Zähnen geschehen. Sie spürte, wie ihre beiden Schneidezähne sich ausdehnten, spürte lange, scharfe Hauer hervorwachsen und aus ihnen hervorstehen. Sie wusste kaum, was das Gefühl war, doch sie wusste, dass sie sich verwandelte, in etwas, das sie kaum wiedererkennen oder kontrollieren konnte. Plötzlich entdeckte sie einen großen, fetten, betrunkenen Mann durch die Gasse stolpern. Scarlet wusste, dass sie entweder trinken musste, oder selbst sterben. Und etwas in ihr wollte überleben.
Scarlet hörte sich fauchen und war schockiert. Der Laut, so urgewaltig, erschreckte selbst sie. Sie fühlte sich, als wäre sie außerhalb ihres Körpers, als sie hochsprang und durch die Luft direkt auf den Mann zusprang. Sie sah wie in Zeitlupe zu, wie er sich ihr zu drehte, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Sie spürte, wie sich ihre beiden Vorderzähne in sein Fleisch bohrten, in die Adern an seinem Hals. Und einen Augenblick später spürte sie sein heißes Blut in ihre Kehle rinnen, ihre Adern füllen.
Sie hörte den Mann schreien, für nur einen Moment. Denn eine Sekunde später lag er zusammengebrochen am Boden, und sie war auf ihm und saugte all sein Blut aus ihm. Langsam spürte sie ein neues Leben, eine neuer Energie, ihren Körper durchdringen.
Sie wollte zu trinken aufhören, diesen Mann am Leben lassen. Doch das konnte sie nicht. Sie brauchte das. Sie musste überleben.
Sie musste trinken.
KAPITEL SECHS
Sam rannte durch die Gassen von Jerusalem, fauchend, rot vor Zorn. Er wollte zerstören, alles in Sicht zerfetzen. Als er an einer Reihe Händler vorbeilief, streckte er die Hand aus und streifte ihre Buden, und sie fielen um wie Dominosteine. Er rempelte Leute absichtlich an, so fest er konnte, und warf sie in alle Richtungen um. Er war wie eine Abrissbirne, außer Kontrolle, warf sich durch die Gasse und schmiss alles um, was ihm im Weg war.
Chaos folgte; Schreie erhoben sich. Menschen fingen an, ihn zu bemerken, und sie flüchteten oder sprangen ihm aus dem Weg. Er war wie ein Güterzug der Zerstörung.
Die Sonne machte ihn wahnsinnig. Sie brannte auf seinen Kopf herunter, als wäre sie etwas Lebendiges, und erfüllte ihn mit immer mehr Rage. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, was wahre Rage war. Nichts schien ihn zufriedenzustellen.
Er sah einen großen, schlanken Mann und warf sich auf ihn, ihm die Zähne in den Hals bohrend. Dies alles geschah innerhalb eines Sekundenbruchteils; er saugte ihm das Blut aus und eilte dann weiter, seine Zähne in einen weiteren Hals bohrend. Er zog von einer Person zur nächsten, versenkte seine Zähne und saugte ihr Blut. Er bewegte sich so schnell, dass niemandem Zeit blieb, zu reagieren. Sie sackten alle zu Boden, einer nach dem anderen, und er hinterließ einen Pfad von ihnen. Er befand sich in einem Fressrausch, und er konnte spüren, wie sein Körper von ihrem Blut anschwoll. Und es war noch nicht genug.
Die Sonne brachte ihn an den Rand des Wahnsinns. Er brauchte Schatten, und zwar schnell. Er entdeckte ein großes Gebäude in der Ferne, ein offiziell wirkender, kunstvoll gestalteter Palast aus Kalkstein mit Säulen und riesigen gewölbten Toren. Ohne nachzudenken platzte er über den Vorhof und stürmte darauf zu, und trat das Tor auf.
Es war kühler hier drin, und endlich konnte Sam wieder atmen. Alleine die Sonne von seinem Kopf zu bekommen machte einen Unterschied. Er konnte seine Augen öffnen, und langsam passten sie sich an.
Sam entgegen starrten die verblüfften Gesichter von dutzenden Menschen. Die meisten von ihnen saßen in kleinen Becken, einzelnen Badewannen, während andere herumspazierten, barfuß auf dem Steinboden. Sie waren alle nackt. Und da erkannte Sam: er befand sich in einem Badehaus. Einem römischen Badehaus.
Die Decken waren hoch und gewölbt, Licht einlassend, und der Raum war von großen, gewölbten Säulen durchzogen. Der Boden war aus glänzendem Marmor, und kleine Becken füllten den weiten Raum. Leute lagen faul herum, sichtlich entspannend.
Das heißt, bis sie ihn sahen. Sie setzten sich hastig auf, und ihre Mienen wurden ängstlich.
Sam hasste den Anblick dieser Menschen—dieser faulen, reichen Leute, die herumgammelten, als hätten sie keine Sorgen auf der Welt. Er würde sie alle bezahlen lassen. Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte.
Der Großteil der Menge war klug genug, sich davonzumachen, zu ihren Handtüchern und Roben zu eilen und so schnell wie möglich hier raus zu kommen.
Doch sie hatten nicht den Hauch einer Chance. Sam warf sich nach vorne, sprang die Näheste von ihnen an und versenkte seine Zähne in ihrem Hals. Er saugte ihr das Blut aus und sie brach auf dem Boden zusammen und kullerte in eine Badewanne, die sich rot färbte.
Er tat dies wieder und wieder, von einem Opfer zum nächsten springend, Männer wie Frauen. Schon bald war das Badehaus mit Leichen gefüllt, überall schwammen Tote, all die Becken waren rot gefärbt.
Plötzlich krachte es am Tor, und Sam wirbelte herum, um zu sehen, was es war.
Der Eingang war voll mit dutzenden römischen Soldaten. Sie trugen offizielle Uniformen—kurze Tuniken, Römersandalen, federbesetzte Helme—und führten Schilde und Kurzschwerter. Einige weitere führten Pfeil und Bogen. Sie legten an und zielten auf Sam.
„Bleib, wo du bist!“, schrie der Anführer.
Sam fauchte und drehte sich herum, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und fing an, auf sie zuzumarschieren.
Die Schüsse kamen. Dutzende Pfeile schossen durch die Luft, direkt auf ihn zu. Sam konnte sie in Zeitlupe glitzernd sehen, ihre silbernen Spitzen direkt auf ihn zu.
Doch er war schneller als sogar ihre Pfeile. Bevor sie ihn erreichen konnten, war er bereits hoch in die Luft gesprungen und machten einen Salto über sie alle hinweg. Mit Leichtigkeit durchquerte er den gesamten Raum—fünfzehn Meter—bevor die Bogenschützen auch nur ihre Hände locker ließen.
Sam kam mit den Füßen voran heruntergeschossen und trat den Mittleren von ihnen mit solcher Kraft in die Brust, dass er die gesamte Gruppe umstieß wie eine Reihe Dominosteine. Ein Dutzend Soldaten gingen zu Boden.
Bevor die anderen reagieren konnten, hatte sich Sam zwei Schwerter aus den Händen der Soldaten geschnappt. Er wirbelte und schnitt in alle Richtungen.
Sein Ziel war perfekt. Er schnitt einen Kopf nach dem anderen ab, dann drehte er sich herum und durchstieß den Überlebenden das Herz. Er schnitt sich durch die Menge wie durch Butter. In wenigen Sekunden waren dutzende Soldaten leblos zu Boden gesackt.
Sam fiel auf die Knie und bohrte jedem von ihnen seine Zähne ins Herz, trank und trank. Er kniete auf allen Vieren, vornübergebeugt wie ein Tier, schlemmte ihr Blut, immer noch im Versuch, seine Rage zu erfüllen, die grenzenlos war.
Dann war Sam fertig, aber immer noch nicht zufrieden. Er fühlte sich, als müsste er ganze Armeen bekämpfen, Massen der Menschheit auf einmal töten. Er würde wochenlang schlemmen müssen. Und selbst dann würde es nicht genug sein.
„SAMSON!“, kreischte eine fremde Frauenstimme.
Sam blieb wie angewurzelt stehen. Es war eine Stimme, die er schon jahrhundertelang nicht mehr gehört hatte. Es war eine Stimme, die er beinahe vergessen hatte, eine, von der er nie gedacht hatte, dass er sie je wieder hören würde.
Nur eine Person auf dieser Welt hatte ihn je Samson genannt.
Es war die Stimme seiner Schöpferin.
Da über ihm, auf ihn hinabblickend, ein Lächeln auf ihrem wunderschönen Gesicht, stand Sams erste wahre Liebe.
Da stand Samantha.