Kitabı oku: «Queste der Helden», sayfa 10
KAPITEL VIERZEHN
Thor saß an einem Holztisch, fleißig mit dem Pfeil und Bogen beschäftigt, die in Einzelteilen vor ihm lagen. Neben ihm saß Reece, zusammen mit mehreren anderen der Legion. Sie alle waren über ihre Waffen gebeugt, schwer damit beschäftigt, die Bogen zu schnitzen und die Sehnen zu spannen.
„Ein Krieger weiß, wie er seinen eigenen Bogen bespannt“, rief Kolk aus, während er die Reihen der Jungen auf und ab schritt, sich über sie lehnte, und die Arbeit jedes einzelnen begutachtete. „Die Spannung muss genau richtig sein. Zu lose, und euer Pfeil wird das Ziel nicht erreichen. Zu fest, und ihr könnt nicht gut zielen. Waffen brechen im Kampf. Waffen brechen auf der Reise. Ihr müsst wissen, wie ihr sie unterwegs reparieren könnt. Der größte Krieger ist auch ein Schmied, ein Tischler, ein Schuster, einer, der alles Kaputte wieder richten kann. Und ihr kennt eure Waffen nicht richtig, bevor ihr sie nicht selbst repariert habt.“
Kolk blieb hinter Thor stehen und beugte sich über seine Schulter. Er riss den Holzbogen aus Thors Hand, wobei die Sehne ihn an der Handfläche verletzte.
„Die Sehne ist nicht straff genug“, tadelte er. „Der Bogen ist ungerade. Wenn du eine solche Waffe im Kampf verwendest, wirst du mit Sicherheit sterben. Und dein Partner wird mit dir mit sterben.“
Kolk knallte den Bogen auf den Tisch zurück und zog weiter; einige andere Jungen kicherten. Thor wurde rot, als er die Sehne wieder in die Hand nahm, sie so straff spannte, wie er nur konnte, und sie um die Kerbe im Bogen wickelte. Er saß schon seit Stunden daran, der krönende Abschluss eines erschöpfenden Tages voll körperlicher Arbeit und niederer Aufgaben.
Die meisten anderen hatten ihn mit Training, Übungen, Schwertkampf verbracht. Er hatte hochgesehen und in der Ferne seine Brüder gesehen, alle drei, wie sie lachend ihre Holzschwerter gegeneinander schlugen; wie immer fühlte sich Thor, als würden sie überlegen sein, während er in ihrem Schatten zurück blieb. Es war ungerecht. Er fühlte sich immer mehr, als wäre er hier unerwünscht, als wäre er kein wahres Mitglied der Legion.
„Keine Sorge, du kriegst es schon noch raus“, sagte O’Connor neben ihm.
Thors Handflächen waren von den vielen Versuchen ganz wund; er zog die Sehne ein letztes Mal zurück, diesmal mit aller Kraft, und endlich, zu seiner Überraschung, hakte sie ein. Die Sehne passte sauber in die Kerbe, und Thor zog mit aller Kraft daran, bis er schwitzte. Er verspürte eine enorme Zufriedenheit mit seinem Bogen, der nun so stark war, wie er sein sollte.
Die Schatten wurden schon länger, als Thor mit dem Handrücken über seine Stirn wischte und sich fragte, wie lange es noch so weitergehen würde. Er grübelte darüber, was es bedeutete, ein Krieger zu sein. In seinem Kopf hatte er es anders gesehen. Er hatte es sich als ständiges Training vorgestellt, die ganze Zeit. Aber er nahm an, das hier war auch eine Art Training.
„Ich habe mir das hier auch anders vorgestellt“, sagte O’Connor, als würde er seine Gedanken lesen.
Thor drehte sich um und war beruhigt, als er das beständige Lächeln seines Freundes erblickte.
„Ich komme aus der Nordprovinz“, sprach er weiter. „Ich habe auch mein ganzes Leben davon geträumt, zur Legion zu kommen. Ich glaube, ich habe es mir als ein ständiges Üben und Kämpfen vorgestellt. Nicht all diese niederen Aufgaben. Aber es wird besser werden. Das ist nur, weil wir die Neuen sind. Es ist eine Art Aufnahmeprüfung. Es scheint hier eine Rangordnung zu geben. Noch dazu sind wir die Jüngsten. Ich sehe nicht, dass die Neunzehnjährigen so was hier tun. Es kann nicht ewig so weiter gehen. Außerdem ist es ganz nützlich, diese Fertigkeit zu lernen.“
Ein Horn erklang. Thor blickte hinüber und sah, wie der Rest der Legion sich neben einer hohen Steinmauer in der Mitte des Feldes versammelte. Seile waren über sie gelegt, im Abstand von je zehn Fuß. Die Mauer musste dreißig Fuß hoch sein, und unter ihr waren Heuballen aufgebreitet.
„Worauf wartet ihr?“, brüllte Kolk. „BEWEGUNG!“
Die Silbernen scharten sich um sie, fingen zu schreien an, und ehe Thor es sich versah, waren alle anderen von ihren Bänken aufgesprungen und rannten über das Feld zur Mauer.
Bald waren sie alle dort versammelt und standen vor den Seilen. Eine gespannte Aufregung lag in der Luft, während alle Legionäre beieinander standen. Thor war außer sich vor Freude, endlich etwas mit den anderen gemeinsam zu tun, und er merkte, wie es ihn zu Reece hinüberzog, der mit einem weiteren seiner Freunde beisammenstand. O’Connor gesellte sich ebenfalls zu ihnen.
„In der Schlacht werdet ihr feststellen, dass die meisten Städte befestigt sind“, dröhnte Kolk, sein Blick über die Gesichter der Jungen schweifend. „Die Befestigungen zu durchbrechen, ist die Aufgabe der Soldaten. Bei einer typischen Belagerung werden Seile und Fanghaken verwendet, ähnlich derer, die wir hier über diese Mauer geworfen haben, und das Hochklettern an einer Mauer ist eines der gefährlichsten Dinge, die euch in einer Schlacht unterkommen werden. Nur in wenigen anderen Fällen werdet ihr so freistehend, so angreifbar sein. Der Feind wird geschmolzenes Blei auf euch gießen. Sie werden mit Pfeilen schießen. Mit Felsbrocken werfen. Klettert keine Mauer hoch, bevor der Augenblick perfekt ist. Und wenn ihr es dann tut, klettert um euer Leben—sonst riskiert ihr den Tod.“
Kolk holte tief Luft und brüllte dann: „LOS!“
Um ihn herum sprangen die Jungen in Aktion, jeder stürmte auf ein Seil zu. Thor lief auf ein freies Seil zu und war gerade dabei, es zu packen, als ein älterer Junge es zuerst erwischte und ihn aus dem Weg rempelte. Thor stolperte umher und packte sich das nächste Seil, das er finden konnte, ein dickes, knotiges Tau. Thors Herz klopfte, als er langsam seinen Weg die Mauer hinauf kletterte.
Der Tag war nebelig geworden und Thors Füße rutschten auf dem feuchten Stein. Trotzdem kam er gut voran und musste feststellen, dass er schneller als die meisten anderen war, beinahe in Führung, während er sich weiter hochzog. Zum ersten Mal an diesem Tag fing er an, sich gut zu fühlen, einen Sinn von Stolz zu verspüren.
Plötzlich traf ihn etwas Hartes an der Schulter. Er blickte hoch und sah Angehörige der Silbernen oben auf der Mauer, die kleine Felsbrocken herunterwarfen, Holzstücke, alle Arten von Schutt. Der Junge am Seil neben Thor hob eine Hand, um sein Gesicht abzuschirmen, verlor den Halt und fiel rücklings auf den Boden hinunter. Er fiel gut zwanzig Fuß und landete in einem Heuhaufen unter ihnen.
Thor verlor auch langsam den Halt, schaffte es aber irgendwie, sich festzuhalten. Eine Keule segelte herunter und traf Thor kräftig am Rücken, doch er kletterte weiter. Er kam gut voran und dachte schon, dass er vielleicht der Erste oben sein würde, als er plötzlich einen starken Tritt in die Rippen spürte. Er konnte nicht einmal verstehen, woher es kam, bis er hinüberblickte und einen der Jungen neben sich sah, der zur Seite schwang. Bevor Thor reagieren konnte, trat der Junge erneut auf ihn ein.
Diesmal verlor Thor seinen Halt und segelte rückwärts durch die Luft, mit rudernden Armen. Er landete mit seinem Rücken im Heu, erschrocken, aber unverletzt.
Thor raffte sich auf Hände und Knie auf, kam wieder zu Atem und blickte sich um: überall um ihn herum fielen Jungen wie die Fliegen von den Seilen und landeten im Heu, von jemand anderem getreten oder gestoßen—oder wenn nicht, dann von den Silbernen oben heruntergetreten. Wer nicht fiel, dessen Seil wurde durchtrennt, so dass auch sie herunterkrachten. Kein Einziger von ihnen kam oben an.
„Auf die Füße!“, schrie Kolk. Thor sprang auf, so wie die anderen auch.
„SCHWERTER!“
Die Jungen rannten gesammelt zu einem riesigen Gestell mit Holzschwertern. Thor schloss sich ihnen an und griff sich eines, schockiert darüber, wie schwer es war. Es wog zweimal so viel wie jede Waffe, die er je gehoben hatte. Er konnte es kaum halten.
„Schwere Schwerter, los!“, kam ein Aufruf.
Thor blickte hoch und sah diesen riesigen Tölpel Elden—den Jungen, der ihn am ersten Tag, als er zur Legion kam, angegriffen hatte. Thor erinnerte sich nur allzu gut an ihn: sein Gesicht schmerzte immer noch von den Beulen, die er ihm verpasst hatte. Elden ging auf ihn los, mit hoch erhobenem Schwert und einem Ausdruck glühender Wut auf dem Gesicht.
Thor hob sein Schwert im letzten Moment und schaffte es, Eldens Hieb abzuwehren, doch das Schwert war so schwer, dass er ihn kaum zurückhalten konnte. Elden, der größer und schwerer war als er, beugte sich herum und trat Thor kräftig in die Rippen.
Thor fiel schmerzend auf die Knie. Elden holte noch einmal aus, um ihm ins Gesicht zu schlagen, doch Thor schaffte es, die Arme zu heben und den Schlag im letzten Moment abzuwehren. Doch Elden war zu flink und stark; er schwang das Schwert herum und traf Thor am Bein, und er fiel seitlich zu Boden.
Eine kleine Schar an Jungen versammelte sich um sie, jubelnd und johlend, und ihr Kampf zog alle Aufmerksamkeit auf sich. Es schien, als würden alle auf Eldens Seite stehen.
Elden schwang sein Schwert nochmals mit einem kräftigen Hieb abwärts, und Thor rollte aus dem Weg—der Hieb verfehlte nur knapp seinen Rücken. Thor war einen Moment lang im Vorteil und nutzte ihn: er holte aus und traf den Tölpel hart in der Kniekehle. Es war ein Schwachpunkt, und es reichte aus, um ihn zurückzuwerfen; dann ging er zu Boden und landete auf dem Hintern.
Thor nutzte die Gelegenheit, um sich aufzuraffen und auf die Beine zu kommen. Elden stand auf, hochrot im Gesicht, noch wütender als davor, und nun standen sich die beiden gegenüber.
Thor wusste, er konnte nicht einfach so dastehen; er griff an und holte aus. Aber dieses Übungsschwert war aus einem seltsamen Holz gemacht und einfach zu schwer; sein Hieb ging daneben. Elden wehrte ihn mit Leichtigkeit ab, dann stach er Thor fest in die Rippen.
Er traf eine Schwachstelle und Thor klappte zusammen und ließ sein Schwert fallen. Der Schlag raubte ihm den Atem.
Die anderen Jungen schrien vor Entzücken. Thor kniete unbewaffnet da und spürte, wie sich die Spitze von Eldens Schwert in seinen Halsansatz bohrte.
„Ergib dich!“, forderte Elden.
Thor funkelte ihn an, den salzigen Geschmack von Blut auf seinen Lippen.
„Niemals“, sagte er trotzend.
Elden verzog das Gesicht, hob sein Schwert und war bereit, zuzuschlagen. Thor konnte nichts dagegen tun. Er machte sich auf einen heftigen Schlag gefasst.
Als das Schwert abwärts fuhr, schloss Thor seine Augen und konzentrierte sich. Er fühlte die Welt langsamer werden, spürte, wie er in eine andere Welt versetzt wurde. Plötzlich konnte er den Schwung des Schwertes in der Luft fühlen, seine Bewegung abschätzen, und er versuchte, das Universum mit seiner Willenskraft dazu zu bringen, es aufzuhalten.
Er spürte, wie sein Körper wärmer wurde, kribbelte, und als er sich konzentrierte, spürte er, wie etwas passierte. Er fühlte, wie er selbst es steuern konnte.
Plötzlich erstarrte das Schwert mitten in der Luft. Thor hatte es irgendwie zustandegebracht, es mit seinen Kräften zu stoppen.
Als Elden dastand und verwirrt das Schwert hielt, nutzte Thor seine Geisteskraft dazu, Eldens Handgelenk zu packen und zuzudrücken. Er drückte im Geiste fester und fester zu, und Augenblicke später schrie Elden auf und ließ das Schwert fallen.
Alle Jungen verstummten, standen wie erstarrt da, und blickten Thor mit vor Angst und Schrecken weit aufgerissenen Augen an.
„Er ist ein Dämon!“, rief einer aus.
„Ein Zauberer!“, schrie ein anderer.
Thor war überwältigt. Er hatte keinen Begriff davon, was er gerade getan hatte. Aber er wusste, es war nicht natürlich. Er war zugleich stolz und verlegen, bestärkt und verängstigt.
Kolk trat vor, in den Kreis hinein, und stellte sich zwischen Thor und Elden.
„Hier ist kein Ort für Zaubersprüche, Junge, wer immer du sein magst“, wies er Thor zurecht. „Es ist ein Ort für Kämpfe. Du hast dich unseren Kampfregeln widersetzt. Du wirst darüber nachdenken, was du getan hast. Ich werde dich an einen Ort senden, wo echte Gefahren lauern, und dann werden wir sehen, wie gut dich deine Sprüche dort beschützen. Melde dich zur Wachpatrouille am Canyon.“
Die Legion hielt gesammelt den Atem an, und alle wurden still. Thor verstand nicht, was das genau bedeutete, aber er wusste: was immer es war, es konnte nichts Gutes sein.
„Ihr könnt ihn nicht zum Canyon schicken!“, protestierte Reece. „Er ist zu frisch. Er könnte verletzt werden.“
„Ich werde tun, was immer ich für richtig halte, Junge“, murrte Kolk Reece an. „Dein Vater ist nicht hier, um dich jetzt zu beschützen. Oder ihn. Und ich leite diese Legion. Und du hütest besser deine Zunge—nur, weil du königlich bist, heißt das nicht, dass du vorlaut sein kannst.“
„Fein“, antwortete Reece. „Dann werde ich mich ihm anschließen!“
„Und ich ebenso!“, fiel O’Connor mit ein und trat vor.
Kolk betrachtete sie und schüttelte langsam den Kopf.
„Narren. Das ist eure Entscheidung. Geht mit ihm mit, wenn ihr es so wollt.“
Kolk drehte sich um und sah Elden an. „Glaub nicht, dass du so einfach davonkommst“, sagte er zu ihm. „Du hast diesen Kampf angefangen. Auch du wirst den Preis dafür bezahlen müssen. Du wirst heute Abend mit ihnen auf Patrouille gehen.“
„Aber Herr, Ihr könnt mich nicht zum Canyon schicken!“, protestierte Elden mit schreckgeweiteten Augen. Es war das erste Mal, dass Thor ihn sah, wie er vor irgendetwas Angst hatte.
Kolk machte einen Schritt auf Elden zu und stemmte die Hand in die Hüfte. „Kann ich nicht?“, sagte er. „Ich kann dich nicht nur dorthin schicken—ich kann dich auch endgültig wegschicken, raus aus der Legion, und in das letzte Eck dieses Königreichs, wenn du mir noch einmal widersprichst.“
Elden blickte zur Seite, zu durcheinander für eine Antwort.
„Möchte sich noch jemand ihnen anschließen?“, rief Kolk aus.
Die anderen Jungen, größer und älter und stärker, wandten alle vor Angst ihren Blick ab. Thor schluckte, als er auf die nervösen Gesichter um ihn herum blickte, und fragte sich, wie schlimm der Canyon wirklich sein könnte.
KAPITEL FÜNFZEHN
Thor wanderte die gut bereiste Landstraße entlang, flankiert von Reece, O’Connor und Elden. Die vier hatten seit ihrer Abreise kaum ein Wort miteinander gesprochen, immer noch in Schock. Thor blickte mit einem Gefühl von Dankbarkeit zu Reece und O’Connor hinüber, das er so nie gekannt hatte. Er konnte kaum glauben, dass sie sich derartig für ihn in die Schusslinie gestellt hatten. Er spürte, dass er wahre Freunde gefunden hatte, eher noch etwas wie Brüder. Er hatte keine Ahnung, was sie am Canyon erwartete, doch was auch immer ihnen begegnen würde, er war froh, sie an seiner Seite zu haben.
Elden versuchte er erst gar nicht anzusehen. Er konnte sehen, wie er brodelnd vor Zorn gegen Steine trat, wie entnervt und aufgebracht er darüber war, hier mit ihnen auf Patrouille sein zu müssen. Doch Thor hatte kein Mitleid für ihn. Wie Kolk gesagt hatte, er hatte die ganze Sache angezettelt. Es geschah im ganz recht.
Die vier, eine bunt zusammengewürfelte Bande, zogen der Wegbeschreibung folgend die Straße entlang. Sie waren schon stundenlang unterwegs, es war spät am Nachmittag und Thors Beine wurden langsam schwer. Er hatte auch Hunger. Er hatte nur eine kleine Schüssel Gersten-Eintopf zu Mittag bekommen und hoffte, dass da, wo sie auch immer hinkamen, etwas Essen auf sie warten würde.
Aber er hatte größere Sorgen als das. Er blickte auf seine neue Rüstung hinunter und wusste, sie hätten sie ihm nicht gegeben, wenn es nicht einen wichtigen Grund dafür gäbe. Bevor sie weggeschickt wurden, hatte man sie alle vier mit einer neue Knappen-Rüstung ausgestattet: Leder, mit Kettenpanzerung ausgekleidet. Sie erhielten auch Kurzschwerter aus einem groben Metall—kaum der feine Stahl, der zum Schmieden eines Ritterschwerts verwendet wurde, aber auf alle Fälle besser als gar nichts. Es fühlte sich gut an, eine handfeste Waffe am Gürtel zu haben—zusätzlich natürlich zu seiner Schleuder, die er nach wie vor trug. Doch er wusste: wenn sie heute in echte Probleme geraten würden, würden die Waffen und Rüstung, mit denen sie ausgestattet worden waren, möglicherweise nicht ausreichen. Er sehnte sich nach den hochwertigen Rüstungen und Waffen seiner Kumpanen in der Legion: Einhand- und Langschwerter aus feinstem Metall, Kurzspeere, Streitkolben, Dolche, Hellebarden. Aber diese gehörten Jungen von Ruhm und Ehre, aus berühmten Familien, die sich solche Dinge leisten konnten. Thor war das nicht, er war der Sohn eines einfachen Hirten.
Als sie so die unendliche Straße entlang marschierten, in den zweiten Sonnenuntergang hinein, fernab von den einladenden Toren von Königshof, auf die ferne Abgrenzung des Canyon zu, wurde Thor das Gefühl nicht los, dass es alles seine Schuld war. Aus irgendeinem Grund konnten ihn einige der Legionäre scheinbar nicht ausstehen, als hätten sie mit seiner Anwesenheit ein Problem. Es ergab keinen Sinn. Und es gab ihm ein ungutes Gefühl. Sein ganzes Leben hatte er nichts mehr gewollt, als zu ihnen zu gehören. Nun fühlte er sich, als hätte er sich hineingeschummelt; würde er von seinen Kameraden je wirklich angenommen werden?
Und jetzt war er noch dazu ausgesondert und zum Canyondienst davongeschickt worden. Es war ungerecht. Er hatte den Kampf nicht angefangen, und als er seine Kräfte eingesetzt hatte, was immer sie auch waren, war es keine Absicht gewesen. Er verstand sie nach wie vor nicht, wusste nicht, woher sie kamen, wie er sie rief, oder wie er sie abstellen konnte. Er sollte dafür nicht bestraft werden.
Thor hatte keine Ahnung, was Canyondienst bedeutete, aber den Gesichtern der anderen nach zu schließen war es nichts Erstrebenswertes. Er fragte sich, ob er zum Sterben fortgeschickt worden war, ob dies ihre Art und Weise war, ihn aus der Legion zu drängen. Er war fest entschlossen, nicht aufzugeben.
„Wie viel weiter kann es bis zum Canyon noch sein?“, fragte O’Connor und brach so das Schweigen.
„Nicht weit genug“, antwortete Elden. „Wir würden nicht in diesem Schlamassel stecken, wenn Thor nicht wäre.“
„Du hast den Kampf angefangen, schon vergessen?“, unterbrach ihn Reece.
„Aber ich habe sauber gekämpft, er nicht“, protestierte Elden. „Und überhaupt, er hatte es verdient.“
„Wofür?“, fragte Thor; er wollte eine Antwort auf die Frage, die ihm schon seit einiger Zeit im Inneren brannte. „Wofür habe ich das verdient?“
„Weil du nicht hierher gehörst, zu uns. Du hast deinen Posten in der Legion gestohlen. Der Rest von uns wurde gewählt. Du hast dich hineingekämpft.“
„Aber ist es nicht das, worum es bei der Legion geht? Kämpfen?“, antwortete Reece. „Ich würde sagen, dass Thor sich seinen Platz mehr verdient hat als jeder andere von uns. Wir sind nur ausgewählt worden. Er hat sich abgemüht und gekämpft, um das zu erreichen, was ihm nicht gegeben wurde.“
Elden zuckte unbeeindruckt mit den Schultern.
„Die Regeln sind die Regeln. Er wurde nicht ausgewählt. Er sollte nicht bei uns sein. Deswegen habe ich mit ihm gekämpft.“
„Nun, ich werde nicht einfach verschwinden, und du kannst mich nicht dazu zwingen“, erwiderte Thor mit zitternder Stimme, fest entschlossen, akzeptiert zu werden.
„Naja, wir werden sehen“, murmelte Elden finster.
„Und was genau soll das bitte heißen?“, fragte O’Connor.
Elden gab nichts weiter preis, sondern setzte seinen Weg schweigend fort. Thors Magen zog sich zusammen. Er hatte das unweigerliche Gefühl, dass er sich zu viele Feinde gemacht hatte, obwohl er nicht verstehen konnte, warum. Das Gefühl mochte er gar nicht.
„Achte einfach nicht auf ihn“, sagte Reece zu Thor, laut genug, um gehört zu werden. „Du hast nichts Falsches getan. Sie haben dich zum Canyondienst geschickt, weil sie Potential in dir sehen. Sie möchten dich abhärten, ansonsten würden sie sich nicht die Mühe machen. Sie haben dich auch wegen deiner Sonderbehandlung durch meinen Vater im Visier. Das ist alles.“
„Aber was ist Canyondienst überhaupt?“, fragte er.
Reece räusperte sich und sah nervös aus.
„Ich hatte selber noch keinen. Aber ich habe Geschichten gehört. Von einigen der älteren Jungs, und von meinen Brüdern. Es ist ein Patrouillendienst. Aber auf der anderen Seite des Canyon.“
„Auf der anderen Seite?“, fragte O’Connor mit purem Grauen in der Stimme.
„Was meinst du mit ‚der anderen Seite‘?“, fragte Thor ahnungslos.
Reece betrachtete ihn eingehend.
„Warst du noch nie beim Canyon?“
Thor fühlte, wie die anderen ihn anstarrten, und schüttelte verlegen den Kopf.
„Du machst Witze“, fuhr Elden ihn an.
„Wirklich?“, setzte O’Connor nach. „Nicht ein einziges Mal in deinem Leben?“
Thor schüttelte den Kopf und wurde rot. „Mein Vater hat uns nie irgendwo hingebracht. Ich hab davon gehört.“
„Du warst wahrscheinlich noch nie außerhalb deines eigenen Dorfes, Junge“, sagte Elden. „Stimmts?“
Thor zuckte die Schultern und schwieg. War es so offensichtlich?
„Es stimmt“, fuhr Elden ungläubig fort. „Unfassbar.“
„Halts Maul“, sagte Reece. „Lass ihn in Ruhe. Das macht dich auch nicht zu etwas Besserem als ihn.“
Elden fauchte Reece an und hob kurz die Hand an seine Schwertscheide; doch dann entspannte er sie wieder. Anscheinend, obwohl er größer war als Reece, wollte er den Sohn des Königs nicht herausfordern.
„Der Canyon ist das Einzige, was unser Königreich des Rings beschützt“, erklärte Reece. „Nichts sonst steht zwischen uns und den Horden der Welt. Sollten die wilden Völker aus den Wildlanden ihn überwinden, wären wir alle am Ende. Der gesamte Ring ist auf uns, des Königs Mannen, angewiesen, um sie zu beschützen. Wir haben zu allen Zeiten Patrouillen, die ihn bewachen—größtenteils auf unserer Seite, und gelegentlich auf der anderen. Es gibt nur eine Brücke, die darüber führt, nur einen Weg hinein oder hinaus, und die höchste Elite der Silbernen steht rund um die Uhr auf ihr Wache.“
Thor hatte sein ganzes Leben lang vom Canyon gehört, hatte Horrorgeschichten von dem Bösen, das auf der anderen Seite lauerte, erzählt bekommen, vom riesigen, bösen Imperium, das den Ring umlagerte, und davon, wie nahe sie alle am Grauen lebten. Es war einer der Gründe, warum er zur Legion des Königs wollte: um mitzuhelfen, seine Familie und sein Königreich zu beschützen. Er hasste den Gedanken, dass andere Männer da draußen waren und ihn ständig beschützten, während er bequem in den Armen des Königreichs lebte. Er wollte seinen Dienst tun und mithelfen, die bösartigen Horden abzuwehren. Er konnte sich nichts Tapfereres vorstellen als die Männer, die die Passage am Canyon bewachten.
„Der Canyon ist eine Meile breit und umfasst den gesamten Ring“, erklärte Reece. „Er ist nicht einfach zu überwinden. Aber natürlich sind unsere Mannen nicht das Einzige, was die Horden in Schach hält. Es gibt Millionen dieser Kreaturen da draußen, und wenn sie diesen Canyon wirklich überrennen wollten, könnten sie das schon durch reine Willenskraft in einem Wimpernschlag. Unsere Bemannung dient nur der Unterstützung des Energie-Schildes am Canyon. Die wahre Macht, die sie in Schach hält, ist die Macht des Schwertes.“
Thor fuhr herum. „Welches Schwert?“
Reece starrte ihn an.
„Das Schicksalsschwert. Kennst du die Legende nicht?“
„Dieses Landei hat wahrscheinlich noch nie davon gehört“, mischte sich Elden ein.
„Natürlich kenne ich sie“, schnauzte Thor zur Verteidigung zurück. Er kannte sie nicht nur, er hatte bereits viele Stunden seines Lebens damit verbracht, über die Legende nachzugrübeln. Er hatte es schon immer einmal sehen wollen: das sagenumwobene Schicksalsschwert, das magische Schwert, dessen Energie den Ring beschützte, den Canyon mit mächtigen Kräften füllte, die den Ring vor Eindringlingen schützten.
„Das Schwert liegt in Königshof?“, fragte Thor.
Reece nickte.
„Es ist schon seit Generationen im Gewahrsam der königlichen Familie. Ohne es wäre das Königreich nichts wert. Der Ring würde überrannt werden.“
„Wenn wir so gut geschützt sind, warum patrouillieren wir dann den Canyon überhaupt?“, fragte Thor.
„Das Schwert weist nur die größeren Bedrohungen ab“, erklärte Reece. „Eine kleine und vereinzelte böse Kreatur kann hier und da hereinschlüpfen. Dafür brauchen wir unsere Mannen. Ein einzelnes Wesen kann den Canyon überwinden, oder sogar eine kleine Gruppe—sie könnten sogar so dreist sein, zu versuchen, die Brücke zu überqueren, oder sie könnten es mit Geschick versuchen und die Wand des Canyons auf der einen Seite hinunter und auf der anderen wieder hinauf klettern. Unsere Aufgabe ist es, sie draußen zu halten. Selbst eine einzelne Kreatur kann großen Schaden anrichten. Vor Jahren schlüpfte eine hindurch und ermordete die Hälfte aller Kinder in einem Dorf, bevor sie eingefangen werden konnte. Das Schwert erledigt die meiste Arbeit, aber wir sind ein unentbehrlicher Teil.“
Thor hörte sich das alles an und dachte darüber nach. Der Canyon schien so gewaltig, ihre Pflicht so bedeutend, dass er kaum glauben konnte, schon bald Teil dieser großen Aufgabe zu sein.
„Aber selbst mit all dem—ich habe es nicht besonders gut erklärt“, sagte Reece. „Es ist noch mehr am Canyon dran als nur das“, sagte er; und verstummte.
Thor sah ihn an und entdeckte etwas wie Angst oder Ehrfurcht in seinen Augen.
„Wie kann ich es erklären?“, sagte Reece, nach den richtigen Worten ringend. Er räusperte sich. „Der Canyon ist viel größer als wir alle. Der Canyon ist...“
„Der Canyon ist ein Ort für Männer“, dröhnte eine Stimme.
Sie alle fuhren herum, als die Stimme ertönte und ein Pferd aufstampfte.
Thor konnte es nicht glauben. Da, in voller Kettenrüstung auf sie zutrabend, mit langen, schimmernden Waffen, die an der Seite seines unglaublichen Pferdes hinunterhingen, war Erec. Er lächelte auf sie hinunter, die Augen gebannt auf Thor gerichtet.
Thor blickte erstarrt hoch.
„Es ist ein Ort, der einen zum Mann macht“, fügte Erec hinzu, „wenn man nicht schon einer ist.“
Thor hatte Erec seit seinem Turnierkampf nicht mehr gesehen, und er fühlte sich so erleichtert durch seine Anwesenheit; einen echten Ritter hier bei sich zu haben, während sie dem Canyon entgegenreisten—noch dazu Erec höchstpersönlich. Er fühlte sich unbesiegbar neben ihm, und betete, dass er ihretwegen hier war.
„Was führt Euch hierher?“, fragte Thor. „Begleitet Ihr uns?“, fragte er und hoffte, nicht übereifrig zu klingen.
Erec lehnte sich zurück und lachte.
„Keine Sorge, junger Mann“, sagte er. „Ich komme mit euch.“
„Wirklich?“, fragte Reece.
„Es ist Tradition, dass ein Angehöriger der Silbernen Legionäre auf ihre erste Patrouille begleitet. Ich habe mich freiwillig gemeldet.“
Erec wandte sich an Thor.
„Immerhin hast du mir gestern geholfen.“
Thor fühlte, wie sein Herz wärmer wurde, aufgeheitert durch Erecs Gegenwart. Er hatte auch das Gefühl, dass er im Ansehen seiner Freunde stieg. Hier war er also, begleitet vom größten Ritter des Königreichs, auf dem Weg zum Canyon. Ein großer Teil seiner Angst fiel von ihm ab.
„Natürlich werde ich nicht mit euch patrouillieren“, fügte Erec hinzu. „Aber ich werde euch über die Brücke führen, und zu eurem Lager. Von dort an ist es eure Aufgabe, auf Patrouille auszuziehen—alleine.“
„Es ist eine große Ehre, mein Herr“, sagte Reece.
„Vielen Dank“, tönten O’Connor und Elden gleichzeitig.
Erec blickte auf Thor hinunter und lächelte.
„Immerhin, wenn du jetzt mein Erster Knappe bist, kann ich dich nicht gleich sterben lassen.“
„Erster?“, fragte Thor, und sein Herz setzte aus.
„Feithgold brach sich im Turnierkampf das Bein. Er wird für mindestens acht Wochen außer Gefecht sein. Damit bist du jetzt mein Erster Knappe. Und unser Training kann genauso gut gleich beginnen, nicht wahr?“
„Selbstverständlich, mein Herr“, antwortete Thor.
Thors Gedanken verschwammen. Er konnte es kaum glauben. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er das Gefühl, als ob das Glück langsam auf seiner Seite wäre. Nun war er Erster Knappe für den größten Ritter von allen. Es fühlte sich an, als hätte er Bocksprünge über alle seine Freunde hinweg gemacht.
Zu fünft zogen sie weiter, gen Westen in die untergehende Sonne, Erec langsam im Schritt auf seinem Pferd neben ihnen her.
„Ich nehme an, Ihr wart schon beim Canyon, mein Herr?“, fragte Thor.
„Viele Male“, antwortete Erec. „Bei meiner ersten Patrouille war ich sogar etwa in deinem Alter.“
„Und wie fandet Ihr es?“, fragte Reece.
Alle vier Jungen drehten sich herum und starrten ihn im Gehen mit gebannter Aufmerksamkeit an. Erec ritt eine Weile schweigend vor sich hin und blickte mit angespanntem Gesicht geradeaus.
„Dein erstes Mal ist ein Erlebnis, das du nie vergessen wirst. Es ist schwer zu erklären. Es ist ein seltsamer und fremder und mystischer und wunderschöner Ort. Auf der anderen Seite lauern unvorstellbare Gefahren. Die Brücke hinüber ist lang und steil. Es sind viele von uns auf Patrouille unterwegs—und doch fühlst du dich stets alleine. Er ist die Natur von ihrer besten Seite. In seinem Schatten wird ein Mann winzigklein. Unsere Mannen patrouillieren ihn schon seit Hunderten von Jahren. Es ist eine Aufnahmeprüfung. Ohne sie hast du Gefahr noch nicht wirklich verstanden; ohne sie kannst du nicht zum Ritter werden.“