Kitabı oku: «Queste der Helden», sayfa 17
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
Thor spürte, wie ihn ein Fuß sanft in die Rippen stieß, und öffnete langsam und mühevoll die Augen. Er lag mit dem Gesicht nach unten auf einem Haufen Stroh und wusste für einen Moment nicht, wo er war. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er eine Million Pfund wiegen, seine Kehle war trockener als je zuvor, und seine Augen und sein Kopf brachten ihn um. Er fühlte sich, als wäre er vom Pferd gefallen.
Wieder stupste ihn etwas an, und er setzte sich auf. Der Raum drehte sich heftig. Er beugte sich vornüber und übergab sich, wieder und wieder würgend.
Ein schallendes Gelächter brach rund um ihn aus, und er blickte auf und sah Reece, O’Connor, Elden und die Zwillinge über ihn gebeugt auf ihn hinunterblicken.
„Endlich, der Schönheitsschlaf ist beendet!“, rief Reece und lächelte.
„Wir dachten schon, du wachst gar nicht mehr auf“, sagte O’Connor.
„Gehts dir gut?“, fragte Elden.
Thor setzte sich auf, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und versuchte, alles zu verarbeiten. Da jaulte Krohn auf, der wenige Fuß von ihm entfernt gelegen hatte, und rannte zu ihm herüber, sprang in seine Arme hoch und vergrub seinen Kopf in seinem Hemd. Thor war erleichtert, ihn zu sehen, und froh, ihn an seiner Seite zu haben. Er versuchte, sich zu erinnern.
„Wo bin ich?“, fragte Thor. „Was ist letzte Nacht passiert?“
Die drei lachten.
„Ich fürchte, du hattest einen zuviel, mein Freund. Hier verträgt einer das Trinken nicht. Erinnerst du dich nicht? Die Kneipe?“
Thor schloss die Augen, rieb sich die Schläfen und versuchte, sich zurückzuerinnern. Es kam in Bruchstücken. Er erinnerte sich an die Jagd...als sie die Kneipe betraten...das Bier. Er erinnerte sich daran, nach oben geführt zu werden...das Freudenhaus. Alles danach war schwarz.
Sein Herz schlug schneller, als er an Gwendolyn dachte. Hatte er mit dem Mädchen dort etwas Dummes gemacht? Hatte er seine Chancen mit Gwen vermasselt?
„Was ist passiert?“, drängte er Reece, ernsthaft, und umklammerte seine Handgelenke. „Bitte, sags mir. Sag mir, dass ich mit dieser Frau nichts angestellt habe.“
Die anderen lachten, aber Reece starrte ernsthaft zurück zu seinem Freund und erkannte, wie aufgebracht er war.
„Keine Sorge, Freund“, antwortete er. „Du hast gar nichts getan. Außer dich zu übergeben und auf ihrem Fußboden zusammenzubrechen!“
Die anderen lachten wieder.
„Soviel zu deinem ersten Mal“, sagte Elden.
Doch Thor fühlte sich zutiefst erleichtert. Er hatte Gwen nicht befremdet.
„Das war das letzte Mal, dass ich dir eine Frau kaufe!“, sagte Colven.
„Eine völlige Geldverschwendung“, sagte Caven. „Sie wollte es nicht einmal zurückgeben!“
Die Jungen lachten erneut. Thor schämte sich, war aber enorm erleichtert, dass er nicht alles ruiniert hatte.
Er nahm Reece am Arm und zog ihn zur Seite.
„Deine Schwester“, flüsterte er eindringlich. „Sie weiß nichts von all dem hier, oder?“
Ein Lächeln breitete sich langsam über Reeces Gesicht, und er legte ihm einen Arm um die Schulter.
„Dein Geheimnis ist bei mir sicher, auch wenn du gar nichts getan hast. Sie weiß nichts. Und ich kann sehen, wie wichtig sie dir ist, und das schätze sich sehr“, sagte er mit einem Gesichtsausdruck, der ernst wurde. „Ich sehe, dass dir wirklich sehr viel an ihr liegt. Wenn du zu huren begonnen hättest, das wäre nicht der Schwager gewesen, den ich gewollt hätte. Übrigens wurde ich gebeten, dir diese Nachricht zu überreichen.“
Reece steckte Thor eine kleine Schriftrolle in die Hand, und Thor schaute verwirrt auf sie hinunter. Er sah das königliche Siegel darauf, das rosafarbene Papier, und er wusste Bescheid. Sein Herz schlug höher.
„Von meiner Schwester“, fügte Reece hinzu.
„Ooooh!“, ertönte ein Chor von Stimmen.
„Da hat jemand einen Liebesbrief erhalten!“, sagte O’Connor.
„Lies ihn uns vor!“, schrie Elden.
Die anderen stimmten in ihr Gelächter ein.
Doch für Thor war das persönlich; er eilte an die Seite der Kaserne, weg von den anderen. Sein Kopf schmerzte höllisch, und der Raum drehte sich immer noch—aber das war ihm jetzt egal. Er rollte das zarte Pergament auf und las die Nachricht mit zitternden Händen.
„Triff mich zu Mittag in Waldklipp. Komm nicht zu spät. Und errege keine Aufmerksamkeit.“
Thor stopfte sich die Nachricht in seine Tasche.
„Was stand drin, Frauenheld?“, rief Calven ihm zu.
Thor eilte zu Reece hinüber; er wusste, dass er ihm trauen konnte.
„Die Legion hat heute keine Übungen, stimmts?“, fragte Thor.
Reece schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht. Heute ist ein Feiertag.“
„Wo liegt Waldklipp?“, fragte Thor.
Reece lächelte. „Ah, Gwens Lieblingsort“, sagte er. „Nimm die östliche Straße, die aus dem Hof führt, und halte dich rechts. Steig den Hügel hinauf, und es beginnt hinter der zweiten Anhöhe.“
Thor sah Reece an.
„Bitte, ich möchte nicht, dass irgendjemand Bescheid weiß.“
Reece lächelte.
„Das sieht sie bestimmt auch so. Wenn meine Mutter das herausfindet, würde sie euch beide umbringen. Sie würde meine Schwester in ihrem Zimmer einsperren und dich ans Südende des Königreichs verbannen.“
Thor schluckte bei dem Gedanken schwer.
„Wirklich?“, fragte er.
Reece nickte zurück.
„Sie kann dich nicht leiden. Ich weiß nicht, warum, aber ihre Meinung steht fest. Geh schnell, und sage es keiner Menschenseele. Und keine Sorge“, sagte er und packte seine Hand. „Das werde ich auch nicht.“
*
Thor ging schnellen Schrittes durch den frühen Morgen, Krohn neben sich, und tat sein Bestes, nicht gesehen zu werden. Er folgte Reeces Wegbeschreibung so gut er konnte, wiederholte sie im Kopf, während er am Rande des königlichen Hofes vorbei eilte, einen kleinen Hügel hinauf und dem Rand eines dichten Waldes entlang. Zu seiner Linken fiel der Boden steil ab, womit ihm ein schmaler Pfad am Rand eines steilen Grates blieb, mit einer Klippe zu seiner Linken und dem Wald zu seiner Rechten. Waldklipp. Sie hatte gesagt, dass er sie hier treffen sollte. Meinte sie es ernst? Oder spielte sie nur mit ihm?
Hatte dieser schnöselige Adelige Alton recht? War Thor für sie nur eine Vergnügung? Würde sie seiner bald müde sein? Er hoffte mehr als alles andere, dass das nicht der Fall sein würde. Er wollte glauben, dass ihre Gefühle für ihn echt waren; und doch fand er es schwer, sich vorzustellen, wie das der Fall sein könnte. Sie kannte ihn kaum. Und sie stammte aus der königlichen Familie. Welches Interesse konnte sie schon an ihm haben? Ganz zu schweigen davon, dass sie ein Jahr oder zwei älter war als er, und sich noch nie ein älteres Mädchen für ihn interessiert hatte; überhaupt hatte sich noch nie irgendein Mädchen für ihn interessiert. Nicht, dass es in seinem kleinen Dorf eine große Auswahl an Mädchen gegeben hätte.
Thor hatte noch nie so viel über Mädchen nachgedacht. Er war nicht mit Schwestern aufgewachsen, und die Auswahl an Mädchen in seinem Dorf war klein. Keiner der Jungen in seinem Alter hatte sich großartig darum Gedanken gemacht. Die meisten Jungen schienen um ihr achtzehntes Jahr herum zu heiraten, in arrangierten Ehen—in Wahrheit mehr wie geschäftliche Vereinbarungen. Jene von hohem Rang, die bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Jahr nicht verheiratet waren, erreichten ihren Kür-Tag: sie waren verpflichtet, entweder eine Braut zu küren oder auszuziehen, um eine zu finden. Doch das traf auf Thor nicht zu. Er war arm, und Leute von seinem Stand wurden üblicherweise nur auf eine Art wegverheiratet, die den Familien nutzte. Es war wie Viehhandel.
Doch als Thor Gwendolyn zum ersten Mal sah, hatte das alles geändert. Zum ersten Mal war er von etwas berührt, einem Gefühl so tief und stark und eindringlich, das es ihm kaum erlaubte, an etwas anderes zu denken. Beide Male, da er sie gesehen hatte, war dieses Gefühl nur tiefer geworden. Er verstand es kaum, doch es schmerzte ihn, von ihr fern zu sein.
Thor verdoppelte seinen Schritt am Grat entlang, suchte die Gegend nach ihr ab, fragte sich, wo genau sie auf ihn warten würde—oder ob sie überhaupt auf ihn warten würde. Die erste Sonne stieg höher und die ersten Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. Ihm war immer noch schlecht und mulmig von den Nachwirkungen der letzten Nacht. Als die Sonne noch höher stieg und seine Suche nach ihr sich als zwecklos erwies, fragte er sich langsam, ob sie ihn wirklich überhaupt treffen würde. Er fragte sich auch langsam, in wie viel Gefahr er sie brachte: wenn ihre Mutter, die Königin, wirklich so stark gegen ihn eingestellt war, würde sie ihn wirklich aus dem Königreich ausweisen? Aus der Legion? Weg von allem, was er kannte und liebte? Was würde er dann tun?
Als er darüber nachdachte, beschloss er, dass es das trotzdem alles wert war, für die Chance, mit ihr zusammen zu sein. Er war bereit, alles für diese Chance zu riskieren. Er hoffte nur, dass er nicht zum Narren gehalten wurde, oder voreilige Schlüsse darüber zog, wie stark ihre Gefühle für ihn waren.
„Willst du einfach so an mir vorbeilaufen?“, kam eine Stimme, gefolgt von einem Kichern.
Thor erschrak heftig, dann blieb er stehen und drehte sich um. Da, im Schatten einer riesigen Fichte, stand Gwendolyn und lächelte ihm entgegen. Sein Herz stieg beim Anblick dieses Lächelns höher. Er konnte die Liebe in ihren Augen sehen, und all seine Sorgen und Befürchtungen schmolzen mit einem Mal dahin. Er schimpfte mit sich selbst, wie er nur so dämlich sein konnte, sie je zu hinterfragen.
Krohn quiekte, als er sie sah.
„Und wen haben wir da!?“, rief sie entzückt aus.
Sie kniete nieder, und Krohn kam auf sie zugelaufen und sprang ihr mit einem Wimmern in die Arme; sie hob ihn hoch, hielt und streichelte ihn.
„Er ist so niedlich“, sagte sie und drückte ihn sanft. Er leckte ihr das Gesicht. Sie kicherte und küsste ihn zurück.
„Und wie heißt du, mein Kleiner?“, fragte sie.
„Krohn“, sagte Thor. Diesmal endlich war er nicht ganz so sprachlos wie zuvor.
„Krohn“, sprach sie ihm nach und sah dem Kleinen in die Augen. „Und reist du jeden Tag einfach so mit einem Leopardenfreund herum?“, fragte sie Thor mit einem Lachen.
„Ich habe ihn gefunden“, sagte Thor, und fühlte sich verlegen, wie immer neben ihr. „Im Wald—bei der Jagd. Dein Bruder sagte, ich solle ihn behalten, weil ich ihn gefunden habe. Das es so bestimmt war.“
Sie sah ihn an, und ihr Ausdruck wurde ernst.
„Tja, da hat er recht. Tiere sind etwas sehr Heiliges. Man findet sie nicht. Sie finden dich.“
„Ich hoffe, es macht dir nichts aus, dass er sich zu uns gesellt“, sagte Thor.
Sie kicherte.
„Ich wäre betrübt, wenn er es nicht täte“, antwortete sie.
Sie blickte zu beiden Seiten, wie um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtete; dann griff sie nach Thors Hand und zog ihn in den Wald hinein.
„Gehen wir“, flüsterte sie. „Bevor uns jemand entdeckt.“
Thor war ganz selig bei ihrer Berührung, als sie ihn weiter auf den Waldpfad führte. Sie gingen raschen Schrittes tiefer in den Wald hinein. Der Pfad wandte und schlängelte sich zwischen den hohen Fichten hindurch. Sie ließ seine Hand los, doch er vergaß nicht, wie es sich anfühlte.
Er fühlte sich langsam sicherer, dass sie ihn tatsächlich gern hatte, und es war offensichtlich, dass auch sie nicht entdeckt werden wollte, wahrscheinlich von ihrer Mutter. Es war ihr sichtlich ernst, da auch sie etwas zu verlieren hatte, wenn sie mit ihm gesehen wurde.
Dann wiederum, dachte Thor, vielleicht wollte sie nur nicht von Alton entdeckt werden—oder von irgendwelchen anderen Jungen, mit denen sie sich traf. Vielleicht hatte Alton recht gehabt. Vielleicht war es ihr in Wahrheit peinlich, mit Thor gesehen zu werden.
Alle diese gemischten Gefühle schwirrten in Thor umher.
„Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte sie und brach damit endlich das Schweigen.
Thor fühlte sich hin und her gerissen: er wollte die Sache mit ihr nicht vermasseln, indem er ihr sagte, was er sich dachte—doch gleichzeitig fühlte er, er musste seine Sorgen endgültig begraben. Er musste wissen, wo sie wirklich stand. Er konnte es nicht länger zurückhalten.
„Als du letztes Mal weg warst, lief mir Alton über den Weg. Er hat mich konfrontiert.“
Gwendolyns Gesichtsausdruck wurde finster, ihre gute Laune mit einem Mal ruiniert—und Thor fühlte sich sofort schuldig, dass er es erwähnt hatte. Er schätzte ihre gute Stimmung, ihren Frohsinn, und wünschte, er könnte es zurücknehmen. Er wollte aufhören, doch es war zu spät. Es gab jetzt kein Zurück mehr.
„Und was hat er gesagt?“, sagte sie mit ernster Stimme.
„Er befahl mir, mich von dir fernzuhalten. Er sagte, ich würde dir nicht wirklich etwas bedeuten. Er sagte, ich wäre nur eine Vergnügung für dich. Dass du nach einem oder zwei Tagen von mir genug haben würdest. Er sagte auch, dass du und er dazu bestimmt waren, zu heiraten, und dass eure Heirat bereits arrangiert war.“
Gwendolyn stieß ein wütendes, spöttisches Lachen aus.
„Hat er das also?“, prustete sie. „Dieser Junge ist das arroganteste, unerträglichste kleine Gör“, fügte sie wütend hinzu. „Er ist mir schon ein Dorn im Auge, seit ich laufen kann. Nur, weil unsere Eltern Cousins sind, denkt er, er gehört zur königlichen Familie. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der so viele Ansprüche hat und sie so wenig verdient. Noch schlimmer, er hat es sich irgendwie in den Kopf gesetzt, dass wir beide dazu bestimmt sind, zu heiraten. Als würde ich einfach so das tun, was meine Eltern mir aufzwingen wollen. Niemals. Und bestimmt nicht mit ihm. Ich kann seinen Anblick nicht ertragen.“
Thor fühlte sich bei ihren Worten so erleichtert, dass er sich eine Million Pfund leichter fühlte; ihm war danach, von den Baumwipfeln zu trällern. Genau das hatte er hören müssen. Nun tat es ihm leid, dass er ihr für nichts die Laune verdorben hatte. Doch er war noch nicht ganz zufriedengestellt; ihm fiel auf, dass sie noch immer nicht gesagt hatte, ob sie ihn, Thor, wirklich gern hatte.
„Was dich angeht“, sagte sie, ihn verstohlen anblickend und dann wegschauend. „Ich kenne dich kaum. Ich muss mich wohl kaum jetzt sofort zu meinen Gefühlen bekennen. Aber ich würde sagen, dass ich nicht glaube, dass ich mit dir Zeit verbringen würde, wenn ich dich so wenig leiden könnte. Es steht mir natürlich zu, es mir anders zu überlegen, wie es mir einfällt, und ich kann wankelmütig sein—aber nicht, wenn es um die Liebe geht.“
Mehr brauchte Thor gar nicht. Er war beeindruckt von ihrer Ernsthaftigkeit, und noch mehr beeindruckt von der Wahl ihrer Worte: „Liebe“. Er fühlte sich wie neu.
„Und übrigens, ich könnte dich genau dasselbe fragen“, sagte sie und drehte den Spieß um. „In Wirklichkeit habe ich, denke ich, sehr viel mehr zu verlieren als du. Immerhin bin ich aus der königlichen Familie, und du bist aus dem gemeinen Volk. Ich bin älter und du bist jünger. Meinst du nicht, ich sollte diejenige sein, die vorsichtiger ist? Gerüchte erreichen mich am Hof über deine Absichten, deinen sozialen Aufstieg, dass du mich nur benutzt, um zu einem Rang zu kommen. Dass du die Gunst des Königs willst. Soll ich das alles glauben?“
Thor war entsetzt.
„Nein, edle Dame! Niemals. Solche Dinge sind mir noch nicht einmal in den Sinn gekommen. Ich bin bei dir, weil ich nicht daran denken kann, irgendwo anders zu sein. Weil ich es möchte. Weil, wenn ich nicht bei dir bin, ich an nichts anderes denken kann.“
Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel und er konnte sehen, wie ihr Gesichtsausdruck freudiger wurde.
„Du bist neu hier“, sagte sie. „Du bist neu in Königshof, in der Welt der Adeligen. Du brauchst Zeit, um zu sehen, wie die Dinge wirklich laufen. Hier meint niemand das, was er sagt. Jeder hat versteckte Absichten. Jeder angelt nach Macht—oder Rang oder Wohlstand oder Reichtum oder Titeln. Niemanden kann man dem Anschein nach beurteilen. Jeder hat seine eigenen Spione, und Interessen, und Absichten. Als Alton dir zum Beispiel erzählte, dass meine Hochzeit bereits arrangiert ist, wollte er in Wirklichkeit dadurch herausfinden, wie nahe wir beide uns stehen. Er fühlt sich bedroht. Und es kann sein, dass er für jemanden spioniert. Für ihn bedeutet Heirat nicht Liebe. Es ist eine Vereinigung. Rein für finanziellen Gewinn, für Rang. Für Besitz. An unserem königlichen Hof ist nichts, wie es scheint.“
Auf einmal rannte Krohn an ihnen vorbei, den Waldpfad hinunter und auf eine Lichtung hinaus.
Gwen sah zu Thor und kicherte; sie nahm seine Hand und lief mit ihm davon.
„Komm schon!“, rief sie aufgeregt.
Die beiden liefen den Pfad hinunter und platzten lachend in die große Lichtung. Thor war vom Anblick verblüfft: es war eine wunderschöne Waldwiese voller Wildblumen von jeder erdenklichen Farbe, die bis an ihre Knie wuchsen. Bienen und Schmetterlinge in allen Farben und Größen tanzten und flogen durch die Luft, und ein Zwitschern erfüllte die Wiese mit Leben. Die Sonne schien leuchtend herunter, und es fühlte sich wie ein geheimer Ort an, der hier inmitten dieses hohen, dunklen Waldes versteckt war.
„Hast du schon einmal Blinde Kuh gespielt?“, fragte sie lachend.
Thor schüttelte den Kopf, und bevor er sich wehren konnte, nahm sie ein Tuch von ihrem Hals, streckte die Hände aus und band es Thor um die Augen. Er konnte nichts sehen, und sie kicherte ihm laut ins Ohr.
„Du bist es!“, sagte sie.
Dann hörte er, wie sie durch das Gras davonlief.
Er lächelte.
„Und was mache ich jetzt?“, rief er ihr zu.
„Mich finden!“, rief sie zurück.
Ihre Stimme war jetzt schon weit weg.
Mit verbundenen Augen begann Thor, ihr nachzulaufen, und stolperte dabei umher. Er lauschte aufmerksam nach dem Rascheln ihres Kleides, um ihre Richtung auszumachen. Es war schwierig, und er rannte mit vor sich ausgestreckten Armen umher, stets befürchtend, dass er in einen Baum krachen könnte, obwohl er wusste, dass es eine offene Lichtung war. In wenigen Augenblicken hatte er die Orientierung verloren und kam sich vor, als würde er im Kreis laufen.
Doch er horchte weiter und hörte den Klang ihres Kicherns in weiter Ferne, stellte sich darauf ein, und lief los. Manchmal hörte es sich näher an, dann weiter weg. Er fühlte sich langsam schwindelig.
Er hörte Krohn neben sich laufen, japsen, und er horchte stattdessen auf Krohn und folgte seinen Schritten. Als er das tat, wurde Gwens Kichern lauter und Thor erkannte, dass Krohn ihn zu ihr führte. Er war erstaunt, wie schlau Krohn war, und wie er mitspielte.
Bald konnte er sie nur wenige Fuß von ihm entfernt hören; er jagte sie, lief ihr im Zickzack durch das Feld hinterher. Er streckte die Hand aus und sie schrie entzückt auf, als er einen Zipfel ihres Kleides erwischte. Als er sie packte, stolperte er, und sie beide plumpsten zu Boden, in die weiche Wiese hinein. In letzter Sekunde drehte er sich herum, sodass er zuerst aufschlug und sie auf ihn fiel, und er ihren Sturz abfangen konnte.
Thor landete am Boden, und sie mit einem überraschten Aufschrei auf ihm. Sie kicherte immer noch, als sie ihm das Tuch von den Augen zog.
Thors Herz klopfte stärker, als er ihr Gesicht so nahe an seinem sah. Er fühlte ihr Gewicht auf seinem, in ihrem dünnen Sommerkleid, fühlte jeden Umriss ihres Körpers. Sie kam mit ihrem ganzen Gewicht auf ihm zu liegen, und sie machte keine Anstalten, das zu ändern. Sie blickte ihm tief in die Augen, ihr Atem war flach, und sie wandte ihren Blick nicht ab. Er auch nicht. Thors Herz pochte so schnell, dass er Schwierigkeiten hatte, scharf zu sehen.
Plötzlich beugte sie sich vor und drückte ihre Lippen auf seine. Sie waren weicher, als er sich je vorstellen konnte, und als sie aufeinander trafen, fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben richtig lebendig.
Er schloss seine Augen, und sie schloss ihre, und sie hielten still; ihre Lippen berührten einander—er wusste nicht, wie lange. Er wollte diesen Augenblick für immer festhalten.
Schließlich zog sie sich langsam zurück. Sie lächelte immer noch, als sie langsam ihre Augen öffnete, und sie lag immer noch da, ihr Körper auf seinem.
Eine lange Weile lagen sie so da, einander tief in die Augen blickend.
„Woher kommst du denn?“, fragte sie sanft, und lächelte.
Er lächelte zurück. Er wusste nicht, wie er antworten sollte.
„Ich bin nur ein einfacher Junge“, sagte er.
Sie schüttelte ihren Kopf und lächelte.
„Nein, das bist du nicht. Ich kann es spüren. Ich habe den Verdacht, dass du weitaus mehr als das bist.“
Sie beugte sich vor und küsste ihn noch einmal, und diesmal berührten ihre Lippen seine für eine viel längere Zeit. Er langte hoch und fuhr mit seinen Fingern durch ihr Haar, und sie durch seines. Er konnte nicht verhindern, dass seine Gedanken rasten.
Er fragte sich jetzt schon, wie das alles enden würde. War es überhaupt möglich, dass sie zusammen waren, bei all den Mächten zwischen ihnen? War es ihnen möglich, wirklich ein Paar zu sein?
Thor hoffte, mehr als alles andere in seinem Leben, dass es möglich war. Er wollte jetzt mit ihr zusammen sein, sogar noch mehr, als er in der Legion sein wollte.
Während er diesen Gedanken nachhing, hörte er ein plötzliches Rascheln im Gras, und die beiden fuhren erschrocken herum. Krohn sprang durch das Gras, nur wenige Fuß entfernt, und ein weiteres Rascheln ertönte. Krohn wimmerte, dann knurrte er—dann ertönte ein Hissen. Darauf folgte Stille.
Gwen rollte sich von Thor hinunter und sie setzten sich beide auf und blickten sich um. Thor sprang auf die Füße, Gwen beschützen wollend, und sich fragend, was es sein konnte. Er konnte meilenweit niemanden sehen. Aber irgendjemand—oder irgendetwas—musste da sein, nur wenige Fuß entfernt, im hohen Gras.
Krohn tauchte vor ihnen auf; in seinem Maul, zwischen seinen kleinen rasiermesserscharfen Zähnen, baumelte eine riesige, erschlaffte weiße Schlange. Sie war bestimmt zehn Fuß lang, ihre Haut von leuchtendem, schimmerndem Weiß, so dick wie ein großer Ast.
Thor erkannte sofort, was passiert war: Krohn hatte die beiden vor einem Angriff dieses tödlichen Reptils bewahrt. Sein Herz raste in Dankbarkeit für den Kleinen.
Gwen sog die Luft ein.
„Eine Weißrücken“, sagte sie. „Das tödlichste Reptil im gesamten Königreich.“
Thor starrte es ehrfurchtsvoll an.
„Ich dachte, diese Schlange existiert nicht. Ich dachte, es ist nur eine Legende.“
„Sie sind äußerst selten“, sagte Gwen. „Ich habe in meinem Leben erst eine gesehen. An dem Tag, als der Vater meines Vaters starb. Es ist ein Omen.“
Sie blickte Thor an.
„Es bedeutet, dass der Tod nahe ist. Der Tod von jemandem Nahestehenden.“
Thor fühlte, wie ein Schauer über seinen Rücken lief. Eine plötzliche kalte Brise wehte an diesem Sommertag über die Waldwiese, und er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sie recht hatte.