Kitabı oku: «Das Trauma des "Königsmordes"», sayfa 8
Der »tiefe Eindruck«, den der Tod des Königs hinterließ, entwickelte sich sehr bald zu einem Bürgerkrieg im Innern Frankreichs und führte zur Erklärung eines »Vernichtungskrieges« des übrigen Europas gegen die »Königsmörder«.16 Jedoch, so Mathiez, der Tod des Monarchen »traf das traditionelle und mystische Ansehen des Königtums ins Herz. Mochten die Bourbonen wiederkommen, nie wieder werden sie im Herzen der Völker von der Aureole des Gottesgnadentums umstrahlt sein«17; der Königsgedanke erschien seitdem »fast nur noch als Anhängsel aristokratischer oder klerikaler Strömungen oder als Deckmantel bourgeoiser Klassenbestrebungen«18, wie Griewank bemerkt. Nach Walter Grabs Auffassung kennzeichnet der Tod des Königs den endgültigen Bruch zwischen dem der konstitutionellen Monarchie anhängenden Liberalismus und der nach der Republik strebenden Demokratie; von gesamtfranzösischer Warte aus gesehen, bedeutet er den Riß der »Bande des Landes mit seiner Vergangenheit und mit Europa«, ohne einen Weg zurück.19 Eine solche dramatische Interpretation ist es wohl auch, die Alex Karmel gar folgern läßt, die Revolution habe mit dem Tod des Königs »begonnen«, da mit ihm das Legitimitätsprinzip auf politischer Ebene für immer eingestürzt sei: »Eine tausendjährige Geschichte wurde ignoriert.«20 Historiker, die die Revolution als sozialen Prozeß begreifen, widersprechen gemeinhin dieser Auslegung. Schon Mitte des letzten Jahrhunderts erklärte Lorenz von Stein, nach dem Sturz der Monarchie hätten der Prozeß und die Hinrichtung des Königs keinerlei Einfluß auf den weiteren Verlauf der Revolution gehabt, und Karmel selbst weist darauf hin, daß in der herkömmlichen marxistischen Interpretation der Umwälzung der König kaum erwähnt werde: »Die Monarchie wird lediglich als ein Bestandteil des feudalen Systems und der König als Oberhaupt der Aristokratie angesehen.«21 Karmels Behauptung ist zweifelsohne übertrieben; wie dem aber auch sei, es genügt, an die verärgerte Kritk Kropotkins an den vielen »pathetischen Worten« und »Tränen« der Historiker, wenn sie vom Prozeß des Königs berichteten, zu erinnern, um einzusehen, daß es sich hierbei um ein sowohl für die Revolution als auch für deren historiographische Rezeption höchst bedeutsames Ereignis handelt.22 In dieser Hinsicht bleibt es sich gleich, ob Louis Blanc zur Schlußfolgerung gelangt, die Hinrichtung des Monarchen sei »ein gewaltiger Mißgriff, wenn auch kein unberechtigter« gewesen, denn »das Ziel der Revolutionäre war, die monarchische Idee zu töten, das Schafott aber hat sie erhöht und veredelt«23, oder ob sie Griewank lobt, weil sie »den Schimmer der Unverletzlichkeit, […] der bis dahin das Königtum immernoch für das einfachste Empfinden umgeben hatte«, zum Verschwinden gebracht habe.24 Beide Bezugnahmen enthalten die für unsere These relevanten Elemente: den Kode der Auflehnung gegen die Autorität (die Tötung der monarchischen Idee), den Kode der Gewalt (die Hinrichtung selbst), den Kode der Emanzipation (Liquidierung des Schimmers der Unverletzlichkeit) und den Kode der Ambivalenz, der sich in den Folgen des Ereignisses manifestiert, zumindest nach der Interpretation Louis Blancs.
Wie schon gesagt, ist aus diesen Kodes das fundamentale Netz der Matrix gewoben, durch welche die Revolution rezipiert und interpretiert wird. Wir vertreten daher die Ansicht, daß die nun folgenden Worte Aulards, gesprochen am 12. März 1886 anläßlich der Einweihungsfeier des Lehrstuhls für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne, eine mehr als nur politische Bedeutung aufweisen. Mit Bezug auf auf die Wichtigkeit des Revolutionsereignisses für das französische Volk erklärt er:
»Unser ganzer Charakter mit seinen guten und schlechten Eigenschaften ist dabei in Erscheinung getreten, und für den Zurückblickenden erscheint die Französische Revolution wie ein Spiegel, in dem Frankreich sich wiedererkennt, sich seiner selbst bewußt wird, sich seine Gewissensbisse, seine Freuden, seine Befürchtungen und seine Hoffnungen erklärt. Die Revolution kennen heißt für dieses Volk: sich selbst in der Tiefe seiner Instinkte kennen, sich seiner Stärke und seiner Schwäche bewußt werden und entdecken, wessen es in einer Stunde höchsten Lebenskampfes fähig ist.«25
Gerade die zweiwertige Tendenz in den Worten Aulards und der ihnen anhaftende verallgemeinernde Charakter – dies zu einer Zeit, da die Französische Revolution sozusagen offiziell zum bestimmenden Maßstab für das französische Selbstbild aufgewertet und zum unteilbaren »Block« deklariert wird – lassen die zunächst unzusammenhängend erscheinenden Fragen aufkommen: Welchen Ursprungs ist diese durch die Revolutions-Kodes hervorgerufene Zweideutigkeit? Was ist so sehr revolutionär an der Zerstörung der Gottesgnadentum-Aureole und an der Übertretung des »Unverletzlichkeits«gebots? Was bedeutet der Bürgerkrieg nach der Hinrichtung des Königs? Was steckt hinter der auf das Kollektivsubjekt »Frankreich« bezogenen Zusammenfügung von »Freuden«, »Befürchtungen«, »Gewissensbisse« und »Hoffnungen« in den Worten Aulards, und in welcher Verbindung steht diese Zusammenfügung mit den ebenfalls erwähnten »Instinkten« des besagten Subjekts?
Es gibt scheinbar einfache Antworten hierauf. Wie wir im komprimierten historiographischen Abriß des ersten Kapitels angedeutet haben, lassen sie sich ohne weiteres in den antagonistischen Klasseninteressen oder in den politisch-ideologischen Kämpfen, welche (den verschiedenen Interpretationsschulen zufolge) den gesamten Revolutionsverlauf kennzeichneten, verankern. Einer verwandten Denkweise gemäß, nimmt es auch kein Wunder, wenn ein blutiges Ereignis, wie es die Französische Revolution nun mal war, die Moral alarmiert und das Gewissen peinigt; andererseits überrascht es nicht, wenn es Freuden und Hoffnungen erweckt – haftete ihm doch eine emanzipatorische Verheißung an. Das Revolutionäre und das Neue am Ereignis ist also in der Auflehnung gegen die historischen Institutionen und im Schlachtruf gegen menschliche Konventionen zu sehen. Alle diese Erklärungen sind richtig und bewahren auch weiterhin ihre Gültigkeit; unserer Ansicht nach erfassen sie jedoch nicht mit erforderlicher Tiefe die Bedeutung der dem Tode des Königs einwohnenden traumatischen Dimension und die aus ihr resultierende Idiosynkrasie in allen Phasen der nunmehr fast 200 Jahre währenden Rezeptionsgeschichte der Revolution. »In seiner Monumentalität« behauptet Hermann Bortfeldt, »war dieser Tod ein Faktor der Beunruhigung für alle. Hundert Zusammenstöße innerhalb und außerhalb des Parlaments zwischen Gironde und Jakobinern, bei denen es immer um mehr Freiheit oder mehr Gleichheit ging, zeigten in ihrer Form, die schärfer und schließlich tödlich wurde, die Sensibilisierung der Nation im Punkte Königsmord, gesehen als Beseitigung eines Phallussymbols oder als Vatermord.«26
Die Feststellung Bortfeldts ist, unserer Auffassung nach, von gewichtigster Bedeutung; indem er den »Königsmord« einem »Vatermord« gleichsetzt, verleiht er dem historischen Ereignis der Tötung des Königs gewissermaßen einen »ahistorischen« Rang und somit eine für die Klärung des mentalen Aspekts der Hinrichtung Ludwigs XVI. sehr nützliche archetypische Dimension. Seine Analogie lehnt sich an einen der Schlüsselbegriffe der Freudschen psychoanalytischen Theorie an. Auch uns dienen – wie oben angezeigt – Elemente dieser Lehre als theoretische Stütze bei der Herausarbeitung der die Kode-Matrix der Französischen Revolution konstituierenden psychischen Grundlage. Es scheint daher angebracht, die in unserer These zur Anwendung kommenden Grundrisse der Lehre in Kürze darzulegen.
Auf der Basis der Darwinschen Theorie der »Urhorde« geht Freud von der Annahme einer prähistorischen Existenz solch einer Horde aus, in der ein »gewalttätiger, eifersüchtiger Vater, der alle Weibchen für sich behält und die heranwachsenden Söhne vertreibt«, herrscht. Er postuliert: »Eines Tages taten sich die ausgetriebenen Brüder zusammen, erschlugen und verzehrten den Vater und machten so der Vaterhorde ein Ende.« Er fügt noch betonend hinzu: »Vereint wagten sie und brachten zustande, was dem Einzelnen unmöglich geblieben wäre.«27 Dieses »Ereignis« nun gebraucht Freud als Grundhypothese, von der sich sowohl seine phylogenetische Kulturtheorie der Menschheit als auch seine ontogenetische Persönlichkeitslehre ableiten.28 Beide Sphären sind nicht auseinanderzuhalten, denn laut Freud »handelt es sich hier nicht um ein einmaliges Ereignis. Es wiederholt sich im Verlauf der Geschichte der Menschheit und der Geschichte jedes Einzelnen immer wieder.«29 Wir verfolgen zunächst die phylogenetische These, welche da besagt, der Urmord habe seinen Ursprung in den ambivalenten Gefühlen der Brüder dem Vater gegenüber gehabt: Sie haßten den Vater, weil sie durch sein Monopol zum Verzicht auf Macht und Lust gezwungen wurden, aber natürlicherweise liebten und verehrten sie ihn auch, eben als ihren biologischen Vater. Daher kam in ihnen, nach seiner Beseitigung und nachdem sie ihre Haßgefühle befriedigt hatten, eine Empfindung der Reue und ein Gefühl der Schuld auf. Dieses Gefühl ist es nun, das die Grundlage für alle folgenden Entwicklungen bildet. Der Einfluß des toten Vaters wurde gar größer als der des lebendigen; die Sehnsucht nach ihm brachte den Vaterersatz in der Gestalt des Totemtieres hervor, und nachdem er so wieder auferstanden war, schufen die Brüder »aus dem Schuldbewußtsein des Sohnes« zwei Tabus, mit denen sie ihr Verbrechen sühnten: Das Tabu, das Totemtier zu töten, einerseits und das Tabu, sich mit den nun freigewordenen Weibchen der Horde zu paaren, andererseits. Im zweiten Verbot sieht Freud den Ursprung des sogenannten Inzest-Tabus. Wichtiger für unsere Darlegung ist jedoch die dem ersten Tabu beigemessene Bedeutung, wonach im Totemismus der erste Versuch vorliege, eine Religion zu schaffen:
»Die Totemreligion war aus dem Schuldbewußtsein der Söhne hervorgegangen als Versuch, dies Gefühl zu beschwichtigen und den beleidigten Vater durch den nachträglichen Gehorsam zu versöhnen. Alle späteren Religionen erweisen sich als Lösungsversuche desselben Problems, variabel je nach dem kulturellen Zustand, in dem sie unternommen werden, und nach den Wegen, die sie einschlagen, aber es sind alle gleichzielende Reaktionen auf dieselbe große Begebenheit, mit der die Kultur begonnen hat und die seitdem die Menschheit nicht zur Ruhe kommen läßt.«30
Freud beruft sich hierbei auf Beschreibungen von Totemriten primitiver Stämme in zeitgenössischen anthropologischen Veröffentlichungen. Von besonderer Bedeutung erscheint ihm der Kult der Totemmahlzeit, in dem das Totemtier als Opfer geschlachtet und gemeinsam verzehrt wird. Die kollektive Aktion sei es, welche die Tabuübertretung einer Tötung des heiligen Totemtieres ermögliche, ihre Rechtfertigung müsse darin gesehen werden, daß »nur auf diesem Wege das heilige Band hergestellt werden kann, welches dieTeilnehmer untereinander und mit ihrem Gotte einigt.«31 Die Sitte gebietet eine der Opferhandlung unmittelbar folgende Trauerreaktion der Teilnehmer; der ganze Stamm beweint das Opfer, um sich so der Schuld der durch den Tötungsakt vollzogenen Tabuübertretung zu entledigen. Bald danach jedoch bricht der Stamm in eine ekstatische, alle Triebe entfesselnde Freude aus, mit der das Vergehen gefeiert wird. In dieser Weise wird mit der Opferung des Totemtieres der Vatermord rituell wiederholt und die mit ihm einhergehenden Ambivalenzgefühle zeremoniell formalisiert.
Diese primitive Form der Religion, die (wie gesagt) als kulturelle Reproduktion der prähistorischen Begebenheit begriffen wird, bildet für Freud die Ausgangsbasis einer Weiterverfolgung der historischen Evolution der religiösen Institution bis hin zu ihrer entwickeltsten Form, der monotheistischen Religion.32 Jeder Entwicklungsphase liegt jenes Urmuster in verschiedenen Varianten zugrunde, in jeder wird die »Vatersehnsucht« deutlich, so daß die Schlußfolgerung unumgänglich scheint, »daß Gott im Grunde nichts anderes ist als ein erhöhter Vater.«33 Im entscheidenden Moment, als sich das Christentum von diesem Urmuster loszulösen versucht, reproduziert es paradoxerweise die verbrecherische Tat: Jesus opfert sein Leben, um seine Brüder von der Erbsünde zu befreien. Mit diesem Akt wird dem Vater vermeintlich die höchste Sühne geboten.
»Aber nun fordert das psychologische Verhängnis der Ambivalenz seine Rechte. Mit der gleichen Tat, welche dem Vater die größtmögliche Sühne bietet, erreicht auch der Sohn das Ziel seiner Wünsche gegen den Vater. Er wird selbst zum Gott neben, eigetlich an Stelle des Vaters. Die Sohnesreligion löst die Vaterreligion ab. Zum Zeichen dieser Ersetzung wird die alte Totemmahlzeit als Kommunion wiederbelebt, in welcher nun die Brüderschar vom Fleisch und Blut des Sohnes, nicht mehr des Vaters, genießt, sich durch diesen Genuß heiligt und mit ihm identifiziert. […] Die christliche Kommunion ist aber im Grunde eine neuerliche Beseitigung des Vaters, eine Wiederholung der zu sühnenden Tat.«34
Diese »anthropologische«35 Theorie beschränkt sich nicht auf die historische Rekonstruktion einer hypothetischen Entwicklung der religösen Institution. Dasselbe Gefühl der Ambivalenz, aus dem das Schuldbewußtsein hervorgeht, erweist sich auch als relevant für die Erklärung kollektiver Gefühle von Untergebenen in allen von der Zivilisation hervorgebrachten hierarchischen Situationen, Situationen der »institutionalisierten sozialen und politischen Herrschaft«, wie sie Herbert Marcuse nennt.36 In dieser Hinsicht gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den kollektiven Psychologien der in Kirche und Heer organisierten »künstlichen Massen«.37 Am deutlichsten drückt sich dies aber in der Beziehung der Untertanen zum König aus, wobei die Tabus eine wiederum tragende Rolle spielen.
Zwei sich ergänzende Grundsätze bestimmen das Verhalten »primitiver Völker« ihren Häuptlingen, Königen und Priestern gegenüber: »Man muß sich vor ihnen hüten, und man muß sie behüten. Beides geschieht vermittels einer Unzahl von Tabuvorschriften.«38 So kann z.B. die Berührung mit dem König einerseits eine gefährliche, ja tödliche, andererseits aber eine beschützende und sogar heilende Bedeutung haben. Solche Vorstellungen und die Notwendigkeit, den König vor den ihn bedrohenden Gefahren zu beschützen, haben eine zunehmende Isolation des Herrschers gezeitigt, und je sakraler die ihm beigemessenen Eigenschaften waren, desto strenger wurden die Isolationsbräuche gehandhabt. So wurden alle Körperteile des Mikados von Japan als dermaßen heilig aufgefaßt, daß man es verhinderte, sie der frischen Luft und den Sonnenstrahlen auszusetzen; es war verboten, sein Kopfhaar, seinen Bart und seine Fingernägel zu schneiden. Ein Nachhall dieses Tabus läßt sich noch in der Beziehung der Römer zum Flamen Dialis, dem Hohepriester Jupiters, finden; nur ein freier Mann durfte sein Haar schneiden, und die geschnittenen Haare sowie seine Nägelabfälle mußten unter einem glückbringenden Baum vergraben werden. Freud erkennt auch in diesem Zusammenhang das gespaltene Verhältnis zum physischen Kontakt mit dem Herrscher: Die vom König ausgehende und in guter Absicht initiierte Körperberührung gilt als schützend und heilend, wohingegen die vom gemeinen Mann am König oder Königlichen verübte Berührung als gefährlich angesehen wird,«wahrscheinlich weil sie an aggressive Tendenzen mahnen kann«. Hieraus ergibt sich die Schlußfolgerung, »daß der Verehrung, ja Vergötterung [der Herrscher] im Unbewußten eine intensive feindselige Strömung entgegensteht, daß also hier […] die Situation der ambivalenten Gefühlseinstellung verwirklicht ist.«39
Es läßt sich behaupten, daß Freuds Lehre von der Kollektivpsychologie in der Konzeption einer sich zwischen zwei konträr entgegengesetzten Polen bewegenden Gefühlsregung fußt. Der Kampf um die Beilegung dieses Widerspruchs ist es, der die Entwicklung psychischer Mechanismen hervorbringt, in denen die Entstehung zivilisatorischer Institutionen wurzelt, die aber ihrerseits auch wieder ein beredtes Zeugnis von der Fortwirkung der dialektischen Dynamik zwischen den beiden Polen abgeben. In einem solchen umfassenden Sinne gibt es denn auch keinen eigentlichen kollektiv-psychischen Unterschied zwischen den archetypischen Gestalten des Vaters, des Königs und des Gottes. Dieses gesamte theoretische Gebilde würde jedoch ein, wenn auch brillanter, intellektueller Jongleurakt geblieben sein, wäre es nicht mit der ontogenetischen Lehre Freuds verknüpft. Im Grunde bildete sie den Ausgangspunkt für das bisher Dargestellte; es ist demnach kein Zufall, daß Freud die meisten seiner metapsychologischen Schriften in seinen letzten Lebensjahren verfaßte.
Die Mittelachse der psychoanalytischen Theorie ist in der ödipalen Situation als einem ersten »Höhepunkt« in den frühen Entwicklungsphasen des (männlichen) Kindes, wo es seine Mutter begehrt und seinen Vater als Gegner ansieht, verkörpert. Die Kastrationsdrohung zwingt das Kind jedoch, seine Einstellung aufzugeben; es verläßt den ödipalen Komplex, verdrängt ihn und »im normalsten Fall« zerstört ihn gar gründlich, um »als sein Erbe ein strenges Über-Ich« einzusetzen.40 Diese schicksalsträchtige Entwicklung hat zwei zentrale Aspekte: Einerseits stellt sich in ihr der Übergang vom Lust- zum Realitätsprinzip dar; andererseits erwächst aus diesem Übergang selbst eine zusätzliche Schicht im System der menschlichen Psyche. Dieses System läßt sich sodann in folgender komprimierten Form beschreiben: Es besteht aus einem primitiven Es, aus dem sich das Ich abteilt. Jener Bereich im Es, »der mit den Normen des Ichs unvereinbar ist«, bildet den verdrängten Teil der Persönlichkeitsstruktur, wohingegen sich ein anderer Teil des Ichs zum gesonderten Über-Ich entwickelt41, dem die Funktion des Gewissens beigegeben ist, also die, welche »die Handlungen und Absichten des Ichs zu überwachen und zu beurteilen hat,« und somit »eine zensorische Tätigkeit ausübt«.42 Mit anderen Worten: Wenn sich das Über-Ich als Vertreter der moralischen Forderungen definieren läßt, so vertritt das Ich »Vernunft und Besonnenheit«, das Es hingegen »die ungezähmten Leidenschaften«.43
Es stellt sich also heraus, daß sich der Lebensraum der Gegensätze im Menschen selbst befindet: Ein animalischer, vorkultureller, gewissermaßen überzeitlicher Teil – jenes chaotische Es, das, vom Lustprinzip angetrieben, die permanente Befriedigung erstrebt – lebt und strömt in ihm; er wird jedoch unentwegt von einem leidvoll gequälten Ich aufgehalten, das widerum durch die objektive Realität der Außenwelt einerseits und durch einen grausam gestrengen Richter in der Gestalt des ihn mit scharfen Ge- und Verboten überschüttenden Über-Ichs andererseits in die Schranken gewiesen wird. Dem Ich wird also die vermittelnde Funktion zugeschrieben, »die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken«.44 Die gewaltige Anstrengung und die große Schwierigkeit, die sich mit der Erfüllung dieser Funktion verbinden, machen es klar, was Freud meint, wenn er vom »Unbehagen« des Menschen an der Kultur spricht, und was Marcuse dazu bewegt, die Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip als »das große traumatische Ereignis« der sowohl phylogenetischen als auch ontogenetischen menschlichen Entwicklung anzusehen.45 Denn: Freud analogisiert die psychische Ambivalenz, welche die Grundlage für das Verbrechen am Urvater gebildet hatte, mit der, die das Kind in der Phase des ödipalen Konflikts beherrscht; und ähnlich wie die prähistorischen Söhne im Laufe der Zeit durch Verdrängung der Gewalttat einerseits und durch Idealisierung des Vaters bis hin zur seiner Erhöhung zum Gott andererseits reagierten, so verdrängt auch das Kind, nachdem es mit seiner eigenen realen Ohnmacht konfrontiert worden ist, das ödipale Ereignis in den Abgrund seines Unterbewußtseins und »sühnt« die seinem Vater gegenüber empfundene Aggression mit der Bildung jenes Über-Ichs, das dann zunehmend anschwillt, bis es sich zum kompromißlosen psychischen Hemm-Mechanismus ausbildet; die ursprünglich gegen den Vater gerichtete Aggression kehrt in einem Introjektionsprozeß zum Ich zurück, indem sich das sie nunmehr beherrschende Gewissen gegen das Ich richtet. In dieser Weise wird dem Vater ein machtvolles Monument im Über-Ich errichtet, genauso wie am Ende des Prozesses, der zur Schaffung der Religion geführt hatte, der Urvater zum Gott erhöht wurde.
Es sei betont, daß Freud die Existenz des Schuldbewußtseins keineswegs mit der realen Vollführung des Verbrechens gegen den Vater in Verbindung bringt:
»Es ist wirklich nicht entscheidend, ob man den Vater getötet oder sich der Tat enthalten hat, man muß sich in beiden Fällen schuldig finden, denn das Schuldgefühl ist der Ausdruck des Ambivalenzkonflikts, des ewigen Kampfes zwischen dem Eros und dem Destruktions- oder Todestrieb. Dieser Konflikt wird angefacht, sobald den Menschen die Aufgabe des Zusammenlebens gestellt wird; solange diese Gemeinschaft nur die Form der Familie kennt, muß er sich im Ödipuskomplex äußern, das Gewissen einsetzen, das erste Schuldgefühl schaffen. Wenn eine Erweiterung dieser Gemeinschaft versucht wird, wird derselbe Konflikt in Formen, die von der Vergangenheit abhängig sind, fortgesetzt, verstärkt und hat eine weitere Steigerung des Schuldgefühls zur Folge.«46
Der psychischen Realität wird somit eine Macht zugesprochen, die in ihrem den Menschen antreibenden Einfluß nicht geringer zu schätzen ist als die der objektiven Realität; dennoch ist diese psychische Prädisposition nicht im Nichts entstanden: »Im Anfang war die Tat«, postuliert Freud in dem seine Schrift »Totem und Tabu« abschließenden Satz.47
Dies ist ein für unser Anliegen überaus bedeutsamer Punkt. Er impliziert, »daß im Seelenleben nichts, was einmal gebildet wurde, untergehen kann, daß alles irgendwie erhalten bleibt und unter geeigneten Umständen, z.B. durch eine so weit reichende Regression, wieder zum Vorschein gebracht werden kann.«48 Es ist wohl kein Zufall, daß Freud zur Illustration dieser Erklärung die Analogie der Arbeit des Historikers heranzieht; denn es läßt sich behaupten, daß sich nicht nur in der individuellen Biographie, sondern auch in der kollektiven Geschichte das mental und kulturell Gewordene »erhält«. Das eindrucksvolle Beispiel einer solchen Konservierung haben wir mit der Beschreibung der in der phylogenetischen Theorie aufgeführten Entwicklung der religiösen Institution gegeben, in welcher sich die immer wiederkehrende Reproduktion eines mentalen Patterns, dessen Ursprung in jener verbrecherischen Tat aus weit zurückliegender, längst verdrängter Vergangenheit zu sehen ist, wie ein roter Faden durchzieht. Die Tatsache, daß unser kollektives Gedächtnis nur bestimmte Teile der Vergangenheit erinnert, besagt nicht, daß die unbewußten Teile sich nicht auf unser mentales Verhalten in der Gegenwart indirekt auswirken; ihre Verdrängung in die Sphäre des Unbewußten (wenn man will: des unbewußten Gedächtnisses) beeinträchtigt nicht ihren symptomatisch auszumachenden Einfluß auf die Auseinandersetzung des Menschen mit den zivilisatorischen Einrichtungen und Prozessen, an denen er teilhat. Nietzsche hat den diesem Verdrängungspattern innewohnenden Mechanismus treffend formuliert: »›Das habe ich getan‹, sagt mein Gedächtnis. ›Das kann ich nicht getan haben‹ – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.«49 Langfristig hilft indes das Nachgeben des Gedächtnisses nicht sehr viel. Das Verdrängte pocht auf sein Recht zur Wiederkehr, und es vollzieht sie durch die Hintertür, heimlich und mit socher Raffinesse, daß seine ursprüngliche Gestalt kaum noch erkennbar ist, und schon gar nicht der infantile Anteil – der frühe Ambivalenzkonflikt – in ihr.
Hierin manifestiert sich die pessimistische und bedrohliche Aussage der Freudschen Lehre. Dies ist der den Menschen in seiner Konfrontation mit der fortschreitenden Zivilisation umschließende, deterministische Teufelskreis; in ihm wird die paradoxe Bedeutung dessen, was man »die infantile Kultur« genannt hat50, deutlich sichtbar. Dies ist aber auch, vielleicht mehr als alles andere, die Grundlage für eine in dieser Lehre enthaltene emanzipatorische Verheißung. Die tiefe Einsicht Freuds in die Kultursituation des Menschen gestattet es ihm nicht, sich dem illusionären Begriff eines freien Willens hinzugeben. Er weiß, daß man um die Befreiung des Willens kämpfen muß, und daß dieser Kampf mit Qualen und Leid verbunden ist: Die biologische Dimension der Entwicklung, die objektive Abhängigkeit von den Eltern und die reale Ohnmacht unterliegen nicht der Beherrschung durch das Kind. Der ödipale Konflikt kann ihm nicht erspart werden. Es ist zur Ambivalenz und zum Schuldbewußtsein sozusagen verurteilt. Der Triebverzicht bedeutet die Überführung der nicht befriedigten aggressiven Regungen ins Über-Ich, das sie seinerseits gegen das Ich richtet. »Die Aggression des Gewissens konserviert die Aggression der Autorität«.51 Von hieraus begreift sich also das emanzipierende Ziel der Psychoanalyse: Ihre Absicht ist, »das Ich zu stärken, sein Wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, so daß es sich neue Stücke des Es aneignen kann. Wo Es war, soll Ich werden.«52
Die Erweiterung des Bewußtseins wird so zum befreienden Akt, der sich vor allem in der Auflehnung gegen die Autorität niederschlägt. Der »Vatermord«, in seiner Bedeutung als Loslösung und Abschiednahme von der Anhänglichkeit an die Autorität und der Abhängigkeit von ihrer kontrollierenden Bevormundung, erweist sich also als unumgängliche »Station« auf dem Emanzipationsweg des Ichs, auf dem Weg der Werdung eines mündigen Subjekts, das die Verantwortung für das eigene Schicksal bewußt übernimmt. Demselben verdrängten Urereignis mit den antiemanzipatorischen, hemmenden Auswirkungen wird nun im Prozeß der das Unbewußte durchdringenden Selbstreflexion53 eine emanzipierend-befreiende Bedeutung beigemessen. Der Kampf um die Emanzipation ist allerdings ein qualvoller Ablauf. Eine Bereitschaft des Menschen, ihn durchzustehen, ist ganz und gar nicht selbstverständlich, denn er ist unweigerlich mit dem schweren Preis des Verzichts auf bekannte Pattern, mit der Loslösung von der beschützten Geborgenheit einer infantilen Verantwortungslosigkeit und mit der Beschreitung eines unbekannten neuen Weges verbunden. So besehen gibt es einen engen Zusammenhang zwischen der individuellen Neurose und dem, was Marx als »Opium für die Massen« und Freud als »das süße – oder bittersüße – Gift« verurteilen54, wenn sie vom kollektiven Phänomen der Religion sprechen:
»Religion ist ein Versuch, die Sinnenwelt, in der wir gestellt sind, mittels der Wunschwelt zu bewältigen, die wir infolge biologischer und psychologischer Notwendigkeiten in uns entwickelt haben. Aber sie kann es nicht leisten. Ihre Lehren tragen das Gepräge der Zeiten, in denen sie entstanden sind, der unwissenden Kinderzeiten der Menschheit. Ihre Tröstungen verdienen kein Vertrauen. Die Erfahrung lehrt uns: Die Welt ist keine Kinderstube. […] Versucht man, die Religion in den Entwicklungsgang der Menschheit einzureihen, so erscheint sie nicht als ein Dauererwerb, sondern als ein Gegenstück der Neurose, die der einzelne Kulturmensch auf seinem Wege von der Kindheit zur Reife durchzumachen hat.«55
Emanzipation bedeutet also die leidvolle Wegbeschreitung des Reifungsprozesses, samt der ihm immanenten notwendigen Auflehnung gegen die beschränkende Autorität und des schweren Verzichts auf Illusionen, die das Bewußtsein und somit die Öffnung zur Realität versperren. In dieser Hinsicht gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem den Weg zur »vaterlosen Gesellschaft« bahnenden Freudianer Alexander Mitscherlich und dem Jung-Schüler Erich Neumann, der den Helden als den »Feind des alten Herrschaftssystems, der alten Kulturwerte und des herrschenden Gewissens« sieht, der somit »notwendig in Gegensatz zu den Vätern und ihrem Repräsentanten, dem persönlichen Vater, der im Umkreis des Sohnes das herrschende Kultursystem verkörpert«, trete.56 Neumann unterscheidet zwar zwischen dem Archetypen des transpersonalen Vaters und der Gestalt des persönlichen Vaters und behauptet, es sei die »Stimme« des ersten, die den Sohn zur Auflehnung treibe und ihm die Mission der Weltveränderung auferlege, aber auch er gelangt zur Schlußfolgerung, daß obgleich in historisch soziologisch verschiedenen Situationen »der transpersonale Faktor auf verschiedene Objekte projiziert« werde, so erfolge doch in jedem Fall eine Auseinandersetzung mit diesem transpersonalen Faktor, »denn ohne ›Vater‹mord ist keine Bewußtseins- und Persönlichkeitsentwicklung möglich.«57
Lenkt man die Aufmerksamkeit auf die Hinrichtung des Königs als traumatisches Schlüsselereignis, stellt sich also heraus, daß es eine Übereinstimmung gibt zwischen zentralen Erkenntnissen der Freudschen Lehre und jenen Begriffen, die wir als Hauptkodes der der historiographischen Rezeption der Französischen Revolution unterlegten Matrix beschrieben haben.
Allein schon der Umstand, daß es sich bei dem hingerichteten Monarchen um einen König »von Gottes Gnaden« gehandelt hat, weist darauf hin, wie unerhört dreist die in dieser Tat verkörperte Übertretung des Tabus erscheinen mußte. Die Institution des europäischen Königtums durchlief viele Wandlungen bis es zu einer Form gelangt war, dergemäß die Autorität des Königs aus der ihm von Gott übertragenen Macht resultierte. Die theologische Basis für diese Entwicklung läßt sich zwar schon in den Paulinischen Postulaten, daß es keine Macht außer der Macht Gottes gebe, und daß alles, was der Mensch sei, er infolge der Gnade Gottes sei, finden; Zeugnisse von dem Ausdruck »von Gottes Gnaden« gibt es zwar schon im sechsten Jahrhundert für die lombardischen und im siebten für die angelsächsischen Könige; aber erst im achten Jahrhundert – so Walter Ullmann – wurde dieser Ausdruck zum Titel standardisiert: