Kitabı oku: «Das Trauma des "Königsmordes"», sayfa 9

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»Der König, der bislang durch das Volk oder durch die ihn repräsentierende Körperschaft gewählt worden war, machte es mit dieser Betitelung eindeutig klar, daß sein Königtum auf dem Wohlwollen, der Gunst und der ›Gnade‹ Gottes beruhe. Der wesentliche Punkt ist, daß somit die engen Beziehungen, die er mit dem Volk unterhalten hatte, abgebrochen wurden; das Volk verlieh ihm ja keine Macht mehr, konnte sie ihm demgemäß auch nicht mit legalen Mitteln absprechen, und es war ihm lediglich [zu Gehorsam] verpflichtet.«58

Ab dem 8. Jahrhundert begann sich also der König allmählich vom Volk zu lösen. Darin lag durchaus eine Umkehrung der ursprünglichen Grundsätze, und es verging doch noch eine recht lange Zeit, ehe sich die papistisch-monarchistische Auffassung durchsetzte, die jegliches Recht der Untertanen, sich der Autorität des Königs zu widersetzen, endgültig untergrub. Die von Ullmann in diesem Zusammenhang erörterten rivalisierenden Theorien der monarchischen Machtvollkommenheit – nach deren ersten das Volk dem König die Macht verleiht (ascending theory), nach der zweiten indes der König seine Autorität der von Gott übertragenen Macht entnimmt (descending theory) – spiegeln jenes ambivalente Verhältnis gegenüber der Institution der Herrschaft wider, welches Freud in den Grundsätzen verkörpert sieht, daß man den König beschützen, sich gleichwohl vor ihm aber auch schützen solle. Das Volk, das seinen König krönt, beschützt ihn, um sich seiner Schirmherrschaft zu versichern; demgegenüber muß man sich vor einem König von Gottes Gnaden hüten, denn er besitzt eine übermenschliche Kraft, und die Berührung mit dem Göttlichen ist verboten: Die Loslösung des Königs vom Volke gerade zu dem Zeitpunkt, als er sich die himmlische Autorität zulegt, wird so verständlich. Die latente Funktion dieser Trennung liegt jedoch im prophylaktischen Schutz vor der potentiellen Aggression der Untertanen, denn gerade die Steigerung der herrschaftlichen Autorität bringt die mögliche Pervertierung des »christlichen Fürsten« zum repressiven Tyrannen mit sich. Nicht von ungefähr tauchten im Laufe der Zeit mannigfaltige Theorien über das Recht zur Auflehnung und zum Tyrannenmord auf.59

Andererseits wird der König aber auch als wohlwollender Beschützer aufgefaßt. Kraft seiner göttlichen Attribute bekämpft er das Böse, seine Aufgabe ist es, für Frieden und Wohlstand seiner Untertanen zu sorgen. In bestimmten Epochen wird seiner physischen Berührung heilende Wirkung zugeschrieben, und seine Erscheinung erweckt eine fast sakrale Ehrfurcht.60 Der Wille des Königs ist unumstößlich, der Gehorsam der Untertanen geheiligte Pflicht. Die Legitimatonsbasis solcher patriarchalischer Beziehungen steht in engem Zusammenhang mit der göttlichen Legitimation des Herrschers und mit einer Auffassung, wonach das Volk ein einem Kind vergleichbares Kollektivsubjekt darstelle:

»Das Volk selbst, weit davon entfernt, mit autonomer oder angeborener Macht ausgestattet zu sein, wurde sowohl praktisch als auch theoretisch von Gott der Herrschaft des Königs anvertraut bzw. übergeben. Angesichts seiner Unfähigkeit, seine eigenen Angelegenheiten zu meistern, sollte nicht nur die Doktrin das Volk des Königreiches in den juristischen Stand eines minderjährigen Unmündigen versetzen, sondern die köngliche Praxis und Doktrin […] behandelte das Volk bezeichnenderweise als unter dem Munt des Königs befindlich. Der Munt […] drückte also die Idee des Schutzes in der eindrucksvollsten Weise aus. Es war dieselbe Art von Schutz, die der Vater seinem Sohn zuteil werden läßt, in keiner Weise verschieden von dem Schutz, den der Vormund dem Mündel gibt oder im angelsächsischen England der Gatte seiner Frau zu geben pflegte. Der Beschützer wußte angeblich am besten, wann die Interessen seines Mündels Aktion erforderten. […] Dadurch, daß der Beschützer im Besitz des Munt war, unterstand das Mündel, mittelalterlichen Auffassungen gemäß, dessen Gerichtsbarkeit.«

Ein Überbleibsel dieses hierarchischen Verhältnisses findet sich im deutschen Begriff »Vormund«, und Reste seines symbolischen Ausdrucks (wie etwa des erhöhten Throns) lassen sich an Begriffen wie »Royal Highness« oder »Obrigkeit« ablesen.61

Wir können also behaupten, daß sich in der Entwicklungsgeschichte der monarchischen Institution die Ambivalenz in den Beziehungen zwischen dem König-Vater und den Untertanen-Kindern sowohl in der Sphäre theoretischer Legitimation als auch in der kollektiv-psychischer Introjektion widerspiegelt. Der Rahmen dieser Untersuchung ermöglicht es nicht, den langsamen, evolutionären historischen Prozeß zu verfolgen, der zuletzt dazu führte, daß die Theorie über das Recht der Untertanen zum Tyrannenmord als »häretisch, schimpflich und aufrührerisch«, folglich also »religiös und moralisch irrig« sigmatisiert wurde.62 Es sei indes angemerkt: Am Ende mündete dieser Prozeß im Absolutismus, der in der Gestalt Ludwigs XIV. seinen prägnantesten Ausdruck erhielt. Die Macht des Königs war nunmehr »unbegrenzt«, unter anderem deshalb, weil sich die theokratische Legitimationsbasis zunehmend verfestigte.

Es versteht sich von selbst, daß diese absolutisitische Aureole im Laufe des 18. Jahrhunderts immer mehr verblaßte. Für unser Anliegen ist indes nicht so sehr die objektive Macht des Königs relevant, als vielmehr die Tatsache, daß die Franzosen des Jahres 1789 wohl eine Revolution begannen, in mentaler Hinsicht jedoch recht stark von der historisch bedingten Verinnerlichung der Monarchie als integralen Bestandteil ihrer nationalen und gesellschaftlichen Identität geprägt waren; den Sturz der Monarchie beabsichtigten die Revolutionäre am Anfang gar nicht. Und dennoch ist in der Antwort Mirabeaus an den Zeremonienmeister die erste Auflehnungstat der Revolution gegen die Autorität verkörpert. Unserer Auffassung nach ist es kein Zufall, daß sich dieser symbolische Akt gerade im zeremoniellen Kontext abspielte; stellt sich doch gerade in den Formen des höfischen Zeremoniells jene Tabuvorschrift der Trennung zwischen dem König und seinen Untertanen dar.63 Der Ungehorsam dem Zeremonienmeister gegenüber ist demnach nichts anderes, als eine Übertretung des Tabus und somit ein Akt gegen die Autorität, die es mit diesem Tabu zu schützen gilt. Von diesem Gesichtspunkt aus lassen sich die Geschehnisse in Versailles am 5. und 6. Oktober 1789 ähnlich interpretieren. Einerseits hebt Lefebvre hervor, die Bevölkerung hätte in den Tagen nach diesen Ereignisse dem König Zeichen ihrer »Zuneigung« und Loyalität gegeben, und Michelet behauptet gar: »Alle meinten, daß man niemals Hungers sterben könnte, wenn man den König bei sich habe. Alle waren noch Royalisten und freuten sich sehr, daß sie diesen ›guten Papa‹ endlich in gute Hände geben konnten«64; andererseits waren jedoch eben diese Ereignisse mit Gewalttaten, bei denen einige von den Leibwächtern des Königs ums Leben kamen, und mit einer schroffen Übertretung der Etikette, in deren Verlauf Leute aus der Menge bis ans Schlafgemach der Königin hervordrangen, verbunden. Das Berührungstabu wurde somit konkret verletzt. Mehr noch, man hat das gesamte Ereignis als einen symbolischen Akt zu begreifen, der einen bedeutungsvollen Wendepunkt schon in den ersten Phasen der Revolution darstellt: Die dem König aufgezwungene Rückkehr zum Zentrum des Geschehens in Paris durchbricht sowohl physisch als auch zeremoniell die traditionelle Trennungsmauer zwischen dem Monarchen und seinen Untertanen – ein Tatbestand, der sich deutlich im grotesken Zug von Versailles in die Hauptstadt manifestiert; von nun an wird der König zwar noch eine Zeitlang »über seinem Volk« stehen, aber er wird unter und mit ihm leben müssen; die so geschaffene physische und mentale Annäherung symbolisiert die ambivalente Bedeutung des gesamten Ereignisses: Das Volk wirbt zwar um die Zuneigung des Königs, es setzt ihn aber auch einer größeren aggressiven Bedrohung als in der Vergangenheit aus. Das Freudengeschrei der hungrigen Fischverkäuferinnen im Laufe ihrer Rückkehr nach Paris, ihre Freude darüber, daß sie »den Bäcker, die Bäckerin und den kleinen Bäckerburschen« heimbringen, enthält demnach zweierlei Botschaften: Wohl kann der König die Not des Volkes lindern, wehe ihm jedoch, man möchte fast sagen: gnade ihm Gott, wenn er es nicht tut.

Dies soll nicht besagen, daß sich die Revolutionäre und ihre Anhänger im Volk der vollen Bedeutung der Auflehnung gegen die Autorität bewußt waren. Die Parole der Brüderlichkeit (oder wenn man will: der Aufruf zur Konsolidierung der Brudergemeinschaft), die sich zunehmend mit der des Patriotismus (also des Bestrebens, die Stellung des pater zu erobern) verbindet, illustriert im nachhinein den Sinn der sich aus der Auflehnung ergebenden Entwicklungen; es läßt sich aber vermuten, daß die Panikwellen und die kollektive Angst, welche breite Teile der Bevölkerung in den Anfängen der Revolution erfaßten, ein authentischeres Symptom für deren mentale Verfassung in der Auseinandersetzung mit der neuen Situation abgeben. »Der Verlust des Führers in irgendeinem Sinne, das Irrewerden an ihm, bringt die Panik bei gleichbleibender Gefahr zum Ausbruch« sagt Freud und begründet dies damit, daß »mit der Bindung an den Führer […] – in der Regel – auch die gegenseitigen Bindungen der Massenindividuen« schwänden.65 Vovelle sieht in der »Großen Furcht« (Grande Peur), die in der zweiten Julihälfte des Jahres 1789 die Bauern erfaßte und sich sehr bald über weite Teile Frankreichs verbreitete, ein »verzerrtes Echo der urbanen Revolutionen im ländlichen Raum«. Die Bewohner dieser Gegenden hätten zu den Waffen gegriffen, weil verschiedene Gerüchte über imagnäre Gefahren in Umlauf gekommen seien. Obgleich sich die Furcht bald gelöst hat, sei sie »zum Anstoß für die Agrarrevolte« geworden und »setzte sich in der Plünderung der Schlösser und der Verbrennung der seigneurialen Rechtstitel fort«. Vovelle behauptet, diese Bewegung habe zur Mobilisierung der Bauern geführt und symbolisiere »deren offiziellen Eintritt in den revolutionären Kampf«.66

Wir vertreten die Auffassung, daß die kurze Zeitspanne zwischen der Bestürmung der Bastille, welche mehr als vieles andere die Auflehnung gegen die Autorität symbolisiert, und dem Ausbruch der »Großen Furcht«, die vermeintlich keiner rationalen Erklärung unterliegt, die Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen beiden Ereignissen suggeriert. Am 17. Juni konstituiert sich die Nationalversammlung, am 20. Juni findet der berühmte Ballhausschwur statt, am 9. Juli erklärt sich die Nationalversammlung zur Konstituante, und am 14. Juli wird die Bastille erobert. Neben dem euphorischen Hochgefühl der Emanzipation mußte eine solche Ansammlung sich der Autorität widersetzender Akte auch die komplementäre Dunkelseite eben dieses Gefühls hervorbringen – das Erlebnis des Verlustes. »Der Verlust ist ein reales Ereignis, zugleich aber auch eine Wahrnehmung, die das Individuum veranlaßt, diesem Ereignis symbolische Bedeutung beizumessen«, behaupten F. Weinstein und G.M. Platt. »Selbst das Aufhören einer gewohnten Form der Unterdrückung kann dann als Verlust empfunden werden, wenn sie einem zuvor das Gefühl der Herrschaft über sie gestattete und falls man einigen sekundären Gewinn aus ihr ableiten konnte […]«.67 Das ist im Grunde der eigentliche Preis der Ambivalenz: Der Emanzipationsprozeß verläuft nie linear. Er ist seinem Wesen nach dialektisch, weil jeder revolutionäre Schritt vorwärts unweigerlich mit der Abschiednahme von bekannten Konventionen verbunden ist; und je größer die Notwendigkeit einer Loslösung durchdringt, desto stärker erweist sich die Empfindung des Verlustes. Die für die Emanzipation unumgängliche Auflehnung gegen die Autorität und das unmittelbare Gefühl des Verlustes, das in Angst oder gar Panik umschlagen kann, hängen engstens miteinander zusammen. Damit soll nicht der Versuch unternommen werden, gängige historiographische Interpretationen zu widerlegen; wir meinen, daß es sich hierbei um verschiedene Erklärungsebenen für ein und dasselbe Geschehen handle. Wenn es so etwas wie den revolutionären Heroismus gibt, so stellt er sich für uns nicht so sehr in der moralisierenden Aufteilung zwischen »guten Unterdrückten« und »bösen Unterdrückern«, sondern eher im Mut, den Leidensweg der Emanzipation einzuschlagen, dar.

In ähnlicher Weise läßt sich die Panik der »Septembermorde« auslegen; bei diesem Ereignis trat allerdings die Komplementärdimension der Angst, die gewalttätige Aggression, aufs extremste zutage. Die Gefahren und Bedrohungen sind diesmal deutlich faßbar: Fremde Heere sind in Frankreich eingedrungen, und, damit zusammenhängend, ist die Möglichkeit einer aristokratischen Konspiration ungleich wahrscheinlicher geworden; ausgerechnet in einer solchen kritischen Situation schwillt nun das Problem der Autoritätsvakanz zu bis dahin unbekannten Ausmaßen an: Der König ist gefangen, und die Entscheidungsbefugnis liegt in den Händen einer provisorischen Exekutivgewalt. Auch Dantons beeindruckender Auftritt zur Verhinderung der allergrößten Katastrophe zeichnet sich letztlich durch einen eher improvisierten Charakter aus. Die panische Angst, die auch im vorliegenden Fall im relativ plötzlichen Verschwinden der herkömmlich anerkannten Führungsautorität wurzelt, fordert ihren Tribut. Alles hängt von der Einigkeit der Brüderschar ab, und diese »definiert« sie mittels einer Eleminierung der »Abweichler«, einer Liquidierung der Aristokraten, der eidverweigernden Priester und der Kriminellen. Wir sind nicht der Meinung, daß der Auswahl der Opfer eine revolutionäre Dimension – politisch oder sozial – beizumessen sei. Der Haß auf die in den Gefängnissen Assignaten fälschenden Kriminellen und auf die gegen die Revolution konspirierenden Aristokraten oder Priester ist nicht die Ursache, sondern der Anlaß für den gewalttätigen Ausbruch, für die Entladung der schrecklichen im Angesicht der Bedrohung und infolge der panischen Angst entfachten Aggression. »Die panische Angst vor dem Verrat […] vernebelte das Gewissen«, schreiben Furet und Richet68, und wir fügen hinzu: Wo die reale Autorität im Gefängnis sitzt, verliert auch die ins Über-Ich verlagerte Autorität zunächst mal ihre Macht.

Im nachhinein lassen sich die »Septembermorde« als Bindeglied zwischen dem 10. August, dem Tag der Bestürmung der Tuileries und des Sturzes der Monarchie, und dem 21. September, dem Tag der Errichtung der Republik, begreifen. Die Manifestation der Kode-Matrix ist in diesen beiden Monaten besonders prägnant; fast will es scheinen, als durchlaufe die Auflehnung gegen die Autorität die Gewalttätigkeit, um in die Emanzipation einzumünden. Der Übergang zur Republik selbst verdeutlicht freilich die zwangsläufige Ambivalenz, die mit diesem Vorgang einhergeht. »Wenn Paris kein Königtum mehr haben will, will es darum die Republik?« fragt Aulard, »[…] Haß auf das Königtum, Zaudern, sich für die Republik zu erklären – diese beiden widerspruchsvollen, aber tatsächlichen Empfindungen leben beieinander im Geiste des Pariser Volkes […]«.69 Der Auflehnungsakt gegenüber den Mächten der Vergangenheit wird also von einer Unentschlossenheit, die Regierungsform auszurufen, welche die Souveränität und die neuerlich gewonnene Freiheit repräsentieren soll, begleitet. Im Grunde wird »die Republik […] nicht ausgerufen; sie entsteht erst am nächsten Tag, fast verstohlen, durch die Entscheidung, daß fortan alle amtlichen Aktenstücke ›aus dem Jahr I der Republik.‹ zu datieren sind«.70 Die erste Aufnahme des neuen Zustandes durch die Bevölkerung ist dementsprechend »ziemlich kühl«; die meisten Zeitungen feiern »eher die Abschaffung des Königtums als die Aufrichtung der Republik.« Sogar im Jakobinerklub hütet man sich, das Wort ausdrücklich zu erwähnen. »Erst am 24. September beschlossen sie, ihr Protokoll vom Jahre I der Republik zu datieren.«71 Die Revolutionäre wußten sehr wohl, daß die Anhänglichkeit an den König noch überall in Frankreich recht weit verbreitet war. Auch ohne Robespierres Monarchismus im Jahre 1789 hervorzuheben, kann man behaupten, daß sowohl er als auch andere radikale Führer der Revolution sich dessen bewußt waren, daß »der Monarch von einer riesigen, als ›Volk‹ bekannten Menge – den Arbeitern und den Bauern – geliebt wurde, und dies nicht nur religiöser Sentimente halber oder wegen des der geheiligten Person des Königs beigemessenen, legendären Prestiges (obschon diese Empfindungen nicht außer acht gelassen werden sollten)«, sondern weil er als Beschützer der Bauern vor der Tyrannei des örtlichen Adels gilt, und weil »die große Macht der Monarchie als politische Institution darin liegt, daß sie die Kontinuität gewährleistet.«72 Es waren Vermutungen solcherart, die Befürchtungen und Zweifel im Herzen eines Mannes wie Marat haben aufkommen lassen: »Er war der Meinung, die Republik sei schwach; die Franzosen seien keine guten Republikaner und nicht für die Freiheit geboren. Die Worte République française riefen bei ihnen offensichtlich keinerlei Gefühlsaufwallungen hervor. […] Deshalb weigerte er sich, an die Republik zu glauben, bis Ludwigs Haupt von seinen Schultern getrennt wurde.«73

Angesichts dieser Gegebenheiten geht man wohl nicht fehl, wenn man der Hinrichtung des Königs, dem konkreten »Vatermord«, die Funktion eines Kriteriums für die Bereitschaft und Fähigkeit der französischen Bevölkerung, den begonnenen politischen Emanzipationsprozeß durchzustehen, beimißt. Der Prozeß des Königs wird somit zu ihrer letzten Prüfung vor der endgültigen Entscheidung über das Schicksal der Revolution. Je näher aber der unumgängliche Entscheidungsmoment heranrückt, desto stärker bricht die Ambivalenz bei den Revolutionären durch, wie sowohl den gegensätzlichen Positionen der Girondisten und der Montagnards als auch der Weise, wie jede der Seiten seine Position der Öffentlichkeit präsentiert, zu entnehmen ist. Robiquets Bemerkung, daß weder die Sitzungen des Konvents noch die langwährende Abstimmung über die Verurteilung des Königs von einer sonderlich »schweren und schmerzerfüllten« Stimmung gekennzeichnet gewesen seien, erfährt eine unserer Darlegung gemäße Deutung, wenn man der Darstellung Gascars folgt:

»So haben die Girondisten durch allerlei Aktivitäten versucht, das Erscheinen des Königs vor der in einen Gerichtshof verwandelten Versammlung hinauszuzögern. Sie hatten zwar selbst die Maßnahme verlangt, fürchten aber nun ihren Ausgang und wagen nicht die Nachsicht, die sie mit dem gestürzten Monarchen haben, konsequent zu vertreten. Die Montagnards dagegen sind zwar entschlossen, ihn zum Tode verurteilen zu lassen, hüten sich jedoch, die Strafe auch offen zu verlangen; sie wissen nur zu gut um den unklaren Respekt, den ein Großteil der Bevölkerung noch immer vor der Person des Königs empfindet. Wegen dieser zwar gegensätzlichen, aber auf beiden Seiten nicht eindeutig zum Ausdruck gebrachten Haltung vollziehen sich der Prozeß Ludwigs XVI. und wenig später die namentliche Abstimmung der Abgeordneten ohne laute, lärmende Debatten in gleichsam schemenhaften Halbdunkel.«74

Wir meinen, daß die sich in der Äußerungssweise der streitenden Positionen widerspiegelnde Ambiguität mehr als nur politisches Kalkül zum Inhalt hat. Die Tatsache, daß viele der Versammlungsmitglieder ihre Meinung im Laufe der Sitzungen geändert haben, die girondistische Forderung, eine Volksbefragung bezüglich der Urteilsfrage zu veranstalten und die Weigerung der Jakobiner, dieser Forderung nachzukommen, sowie die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Girondisten selbst und die knappen Ergebnisse der Abstimmung – all diese deuten nicht nur darauf hin, daß »die große Mehrheit der Franzosen noch immer Royalisten« waren, sondern auch, daß ein nicht unbedeutender Teil der Volksvertreter selbst vor dem »Odium des Königsmordes« zurückschreckte.75 Soboul hat demnach zwar recht mit seiner Behauptung, daß wenn man den Tag des 10. August nicht verurteilen wollte, man tatsächlich gezwungen gewesen sei, den König für schuldig zu erklären, aber man sollte die Schwierigkeit der Verwirklichung einer solchen zweckrationalen Unumgänglichkeit im Spiegel der Aussagen vieler der Versammlungsmitglieder bewerten, die bezeugten, »wie sehr die Tatsache sie bewegte und erschütterte, daß ein ehemaliger König vor der Vertretung seines Volkes als Angeklagter erschien.«76

Eine solche Verknüpfung von erklärten politischen Zielsetzungen und (der Ambivalenz Ausdruck verleihenden) emotionalen Äußerungen lassen sich auch deutlich an den Reden der Delegierten im Laufe des Prozesses des Königs ablesen. »Bürger,« ruft Saint-Just am 13. November, »wenn das römische Volk nach sechs Jahrhunderten der Tugend und des Hasses gegen die Könige, wenn Großbritannien nach Cromwells Tod das Königtum trotz seiner Energie wieder aufleben sahen, was müssen bei uns nicht die guten Bürger, die Freunde der Freiheit fürchten, wenn sie das Beil in unsern Händen zittern sehen, wenn sie ein Volk erblicken, welches am ersten Tag seiner Freiheit vor der Erinnerung an seine Ketten Scheu hat! Welche Republik wollen Sie mitten unter unsern innern Kämpfen und unserer gemeinsamen Schwäche errichten?«77

Die rhetorische Frage, die den Delegierten das Irrationale ihrer Reaktion auf den möglichen Tod des Königs vor Augen führen soll, deckt gerade jene Sphäre auf, die sich eines rein rationalen Zuganges entzieht. Die Hand zittert, weil sie das Beil zur Vollbringung einer Tat führen soll, der gegenüber das Herz zwiespältig empfindet; sie kann diese Tat nicht wie selbstverständlich ausführen, genauso wie der Schwenker des Beils seine Freiheit nicht auf Befehl zu empfinden vermag, eben weil er sich mit der psychischen Realität von Erinnerungen, die ihn paralysieren, auseinanderzusetzen hat. Es handelt sich demnach um den Versuch, die Ambivalenz zu überwinden, wenn Saint-Just feststellt: »Dieselben Menschen, welche Ludwig richten sollen, haben eine Republik zu gründen; diejenigen, welche der gerechten Bestrafung eines Königs irgendwelche Wichtigkeit beilegen, werden niemals eine Republik gründen.«78 Ähnlich stellt auch Jacques Roux das Problem als eine Dichotomie ohne möglichen Zwischenweg dar: »Entweder fällt Louis’ Kopf oder wir werden uns unter den Trümmern der Republik begraben.«79 Es erhebt sich die Frage, warum es die Revolutionäre so sehen. Welchen Schaden kann schon der gestürzte und eingesperrte Ludwig noch verursachen? Die Antwort hierauf dürfte klar sein: Nicht in seiner Fähigkeit zu handeln und zu schaden liegt Ludwigs Macht, sondern in der Art, wie die durch ihn verkörperte Institution verinnerlicht worden ist; die ihm durch die psychische Realität verliehene Macht ist ungleich größer als seine objektive. Dies fühlt offensichtlich auch Robespierre, als er im November 1792 behauptet: »Bürger, wenn es euch schwerer fällt, einen König zu bestrafen als einen schuldigen Bürger zu belangen; wenn eure Strenge in umgekehrtem Verhältnis zur Größe des Verbrechens und zu der Schwäche des Verbrechers steht, dann seid ihr noch sehr weit von der Freiheit entfernt; dann besitzt ihr noch immer die Seele und die Vorstellungen von Sklaven.«80

Die Seele von Sklaven ist die Seele von Menschen, die in einen repressiven Zustand hineingeboren wurden, die die Freiheit nicht als eine Grunderfahrung verinnerlichen gelernt und daher eine psychische Verfassung der Abhängigkeit entwickelt haben. Sklaven sind fast so machtlos wie Kinder; Robespierres rügende Worte spiegeln also ein objektives Paradox wider: Er wendet sich an die Versammlungsmitglieder als rationale Erwachsene, ahnt jedoch auch, daß sie in der Zwickmühle der Ambivalenz eingezwengt sind. Er muß daher seine Zuhörer in einen quasi prämoralischen Zustand versetzen: »Wenn eine Nation gezwungen gewesen ist, auf das Recht des Aufstandes zurückzugreifen, tritt sie dem Tyrannen gegenüber in den Naturzustand zurück.« Und in diesem Sinne erhält die Beziehung zum König eine neue Bedeutung: »Es gibt hier keinen Prozeß zu führen. Ludwig ist kein Angeklagter. Ihr seid keine Richter. Ihr seid lediglich Vertreter des Staates und Repräsentanten der Nation und könnt auch nichts anderes sein. Ihr habt kein Urteil für oder gegen einen Menschen zu fällen, sondern eine Maßnahme im Interesse der Öffentlichkeit zu ergreifen und einen Akt auszuführen, der für das Schicksal der Nation bedeutungsvoll ist.«81 Im Naturzustand gibt es kein Gewissen und keine herkömmliche Moral, sondern ein natürliches Recht zur Auflehnung; ein solcher Zustand ermöglicht auch die Verwendung mythischer Bilder, um die Gestalt des Vaters zu eliminieren und die Erinnerung an ihn auszumerzen: »Die Völker richten nicht auf die gleiche Weise wie die Gerichtshöfe; sie fällen keine Urteile, sondern sie schleudern Blitze; sie verurteilen die Könige nicht, sondern werfen sie ins Nichts zurück«.82 Robespierre weiß aber auch, daß sich das Problem vor allem in den Revolutionären selbst befindet; er wendet sich daher an die Girondisten: »Man sagt, es handele sich um einen Fall von größter Bedeutung und man müsse mit Weisheit und bedächtiger Umsicht urteilen. Aber ihr allein seid es, die einen großen Fall daraus machen. […] Ihr macht einen großen Fall daraus, aber was findet ihr daran eigentlich so groß? […] Was ist das Motiv dieser ewigen Verzögerungen, die ihr uns anempfehlt?« Er beantwortet die Frage selber, indem er den Spieß umdreht und jene Argumentationslinie gebraucht, die er späterhin heranziehen wird, um sich dann allerdings der Volksbefragung zu widersetzen: »[…] als ob das Volk eine gemeine Herde von Sklaven wäre und einfältig an einen hinterhältigen Tyrannen noch hinge, nachdem es ihn längst verbannt hat, und als ob es sich um jeden Preis in Niedrigkeit und in Knechtschaft wälzen wollte. […] Ihr glaubt also noch an die eingeborene Liebe zur Tyrannei?«83 Es ist ganz und gar nicht klar, ob sich Robespierre selber dessen sicher ist, daß sich das Volk schon von seiner traditionellen Loyalität dem Monarchen gegenüber emanzipiert habe; er wendet sich an die Delegierten, als sähe er die traumatischen Auswirkungen der Hinrichtung des Herrschers voraus, als wüßte er um die psychologische Bedeutung der Verdrängung: »Warum erscheint uns etwas klar, was uns später dunkel vorkommt?« Der Fragende kennt anscheinend die Antwort; er ahnt, daß das Gedächtnis dem Gewissen nachgibt; er ist daher bestrebt, die Revolution im Gewissen selbst hervorzurufen: »[…] ihr stellt immer noch die Person des Königs zwischen uns und der Freiheit! Im Namen unseres Gewissens sollten wir uns davor fürchten, zu Verbrechern zu werden; wir sollten fürchten, daß wir uns selbst an die Stelle des Schuldigen setzen, wenn wir ihm zu viel Nachsicht erweisen.« Als Beispiel gibt Robespierre sich selber – er habe es geschafft, sich vom König emotional zu lösen: »[…] ich empfinde für Ludwig weder Liebe noch Haß; ich hasse nur seine Missetaten.« Aus all dem folgert er also: »Ludwig muß sterben, weil das Vaterland leben muß.«84

Dieser letzte Satz enthält in komprimiertester Dichte die gesamte dialektische Logik des »Vatermordes« und seines emanzipatorischen Sinns: Anstatt der traditionellen Formel »Der König stirbt niemals!« und ihrer historischen Entwicklung »Der König ist tot, es lebe der König!«85, tritt nun das revolutionäre Postulat, daß der König, sozusagen der »Vater«, sterben muß, damit die »Brüderschar« leben kann, ihn also beerben kann, um sich alsdann in eine neue, nunmehr das Vaterland beherrschende »Vater«-Kategorie zu verwandeln. Unter diesem archetypischen Gesichtspunkt ist es nicht so sehr relevant, daß sich die Versammlungsmitglieder in ihrer Stimmabgabe von keinem Ressentiment Ludwig gegenüber haben leiten lassen, wie Furet und Richet hervorheben, sondern vielmehr, daß sie einerseits der durch ihn verkörperten Institution überdrüssig waren, es ihnen aber andererseits dennoch schwer fiel, gegen ihn zu stimmen. In diesem Sinn vermitteln Robespierres Worte nach der Entscheidung mehr als ein nur persönliches Bekenntnis: »Ich fühlte in meinem Herzen die republikanische Tugendstrenge wankend werden, als ich den gedemütigten Schuldigen vor der souveränen Gewalt stehen sah.«86

Ludwig selber verkörperte nicht gerade die Idealgestalt des Schuldigen. Einerseits spielte er zwar vom Anbeginn der Revolution durch sein Zaudern, durch Versuche, seine Stellung auch in verlorenen Situationen zu wahren, durch pathetische Handlungen, wie etwa das gescheiterte Fluchtunternehmen, und durch aberwitzige Ungereimtheiten, wie die systematische Sammlung von Dokumenten, die seine konspirativen Absichten bezeugten, im eisernen Schrank seines Schlosses, in die Hände der Revolutionäre. Andererseits erweckte aber der dickliche, etwas einfältige König doch die Sympathie seiner Untertanen. Im Grunde bestand anfangs kein Ziel, ihn zu stürzen. Die meisten Revolutionäre vertraten die Auffassung, daß wenn es gelänge, ihn vom Einfluß der Hofleute zu separieren und zur Unterstützung der ersten Revolutionsphasen zu bewegen, so wäre dies noch immer der wünschenswerteste Zustand. Die realen revolutionären Begebenheiten amplifizierten daher die Ambivalenz dem Monarchen gegenüber umso mehr–eine Tatsache, die sich in der Forderung, den »gekrönten Verräter« zu bestrafen, einerseits und in den Gnade erflehenden Petitionen andererseits ausdrückte.87 Eine solche Situation erschwerte zweifelsohne die Lage derjenigen im Konvent, die seine Verurteilung anstrebten. Man konnte Ludwig wohl als Verräter darstellen, aber die immer wieder zu hörende Bezeichnung seiner Person als »Tyrannen« kennzeichnete weniger eine tatsächlich so empfundene Realität, als vielmehr den hilflosen Versuch, sich mit der psychologischen Archaik der Gesamtsituation auseinanderzusetzen. Unter solchen Umständen wird das Bedürfnis der Anlehnung an den historischen Präzendenzfall der Hinrichtung Karls I. von England sowohl unter den Konventsmitgliedern als auch bei der Bevölkerung verständlich.88 Das Präzedens forciert gewissermaßen die Motivation zur Handlung, wobei es das kontingenzbedingte Unbekannte sozusagen eliminiert. Das Bedürfnis nach Bekräftigungen ist an den Äußerungen der Delegierten nach der Abstimmung und der Entscheidung über den Tod des Königs deutlich erkennbar: »[…] von allen Opfern, die ich meinem Heimatland dargebracht habe, ist dieses das einzige, das würdig ist, registriert zu werden«, bekennt Roger Ducos, und Lebas schreibt am 20. Januar, einem Tag vor Vollzug des Urteils: »Jetzt sind wir auf dem Weg, die Brücken hinter uns sind zerstört; ob wir wollen oder nicht, wir müssen vorwärts gehen; und besonders für diesen Augenblick gilt der Satz: in Freiheit leben oder sterben.«89

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