Kitabı oku: «Herz über Bord», sayfa 2

Yazı tipi:

«Tut mir leid, Süße. Alles, was dir hilft, ist okay für mich. Ich wünsche mir nur, dass deine Situation nicht noch schlimmer wird.» Hanna lächelte ihre Freundin an.

«Ich weiß. Es bedeutet mir viel, dass du so denkst. Ich spüre, dass er mir guttut. Er wird mich nicht wieder verletzen.» Simon hörte zu, wusste aber nicht so richtig, was er dazu sagen sollte. War er fehl am Platz? Wäre es für Hanna vielleicht besser gewesen, wenn er nicht gekommen wäre?

«Ich werde Hanna nie wieder verletzen, ich verspreche es», sagte er dann ganz leise. «Alles, was zählt, ist sie und was sie möchte.»

«Ich möchte mit dir rudern gehen», erklärte Hanna. Laura nickte – und lächelte.

Simon wusste, warum er sie sofort wiedererkannt hatte. Es war die alte Laura von damals. Das gleiche offene, herzliche Lachen Hanna gegenüber, das gleiche böse Funkeln in den Augen, wenn sie ihn, Simon anblickte. Ihre Haare waren kürzer, ihre Hüften ein bisschen breiter – aber ihr Gesicht war jugendlich schön wie eh und je.

«Ich werde euch nicht im Weg stehen, versprochen. Du hast recht, Simon, alles, was jetzt zählt, ist, dass Hanna wieder auf die Beine kommt.

Kapitel 5

Es war ein schönes, modernes Haus mit Flachdach, es war grau, doch ein Teil war mit Holz eingekleidet. Die Namen S. Fischer und H. Caminada standen auf dem Schild neben der Klingel. Er brauchte sie nur zu drücken. Es war nicht sonderlich schwierig gewesen die Adresse ausfindig zu machen. Trotz der Bekanntheit der beiden Bewohner. Hier lebten sie also. Oder hatten gelebt … Was sollte er schon sagen? Sebastians Tod war gerade ein paar Tage her. Seither hatten sich die Ereignisse überschlagen und er hatte keine Zeit gehabt, alles zu sortieren.

Die Seite mit dem Eingang hatte tatsächlich kein einziges Fenster. Das Haus war seltsam gebaut, es stand in einem Hang, weshalb es auf der oberen Seite eher klein schien, aber von unten her gesehen richtig gross war. Die Fenster waren an der Seite. Und wenn er den schmalen Kiesweg, der links um das Haus herumführte, ein Stück hinunterging, konnte er durch die Terrassentür ins Wohnzimmer sehen. Es brannten keine Lichter. Was nicht erstaunlich war, es war fast Mittag und es war hell genug. Aber so konnte er nicht erkennen, ob jemand zuhause war oder nicht.

Er ging zurück zur Eingangstür und hob seinen Finger erneut an die Klingel. Und drückte erneut nicht darauf. Es ging nicht. Er schaffte es nicht. Hatte keinen Mut. Er ließ seinen Arm sinken. Dann drehte er sich um. Plötzlich hörte er etwas an der Innenseite der Tür. Er hechtete, so schnell er konnte, um die holzverkleidete Garage herum und schlüpfte um die Ecke, wo er sich gegen die Wand drückte. Die Tür ging auf.

Kapitel 6

Direkt nach dem Frühstück schlüpfte ich in meinen alten Einteiler. Ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr getragen. Aber ich hatte mich nie dazu aufraffen können ihn wegzugeben oder zu entsorgen. Zu viele Erinnerungen hingen daran. Früher war er hauteng gewesen, jetzt war er viel zu groß. Früher hatte ich nur aus Muskeln bestanden, jetzt war ich nur noch Haut und Knochen. Ich zog einen Trainingsanzug darüber und schnappte mir meine Turnschuhe. Das konnte ja heiter werden. Meine Kraft würde wohl nur bis in die Mitte des Sees reichen – und nicht wieder zurück.

«Bist du bereit?», fragte Simon.

«Ja.»

Wir mussten mein Auto nehmen, da Simon mit dem Taxi hergekommen war. Er erklärte sich jedoch bereit zu fahren. Ich drückte auf den Knopf, der das Garagentor öffnete. Wir fuhren rückwärts hinaus und Simon bog nach links auf die Strasse ab. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, im Rückspiegel Sebastian zu sehen. «Was ist los?», wollte Simon wissen, der mir den Schrecken im Gesicht wohl angesehen hatte. «Ich dachte, da wäre Sebastian gewesen. Ich sehe schon Gespenster.»

«Das ist sicherlich normal», meinte Simon. «Es ist erst so kurz her. Magst du noch rudern?»

«Ja», sagte ich so zuversichtlich wie ich konnte. Ich freute mich wirklich auf den Ausflug im Boot.

Schon kurze Zeit später kamen wir beim Ruderclub an. Erneut hatte ich den Eindruck, Sebastian zu sehen, dieses Mal in einem Auto oben an der Straße. Ich musste verrückt werden. Und das wollte ich nicht. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte mich auf das bevorstehende Rudern zu konzentrieren.

Ich stieg aus dem Auto und schaute mich um. Ich war seit zwölf Jahren nicht mehr hier gewesen und erstaunt, wie wenig sich verändert hatte. Die beiden Gebäude sahen von außen aus wie früher. Ich fühlte mich auf einmal auf eine sonderbare Weise geborgen. Es war ein bisschen wie nach Hause kommen. Auf der rechten Seite des Kieswegs stand die altehrwürdige Villa, das eigentliche Clubhaus. Es war zweistöckig und umzäunt. Ich betrachtete das Fenster neben der Tür. Damals, als ich Simon ganz neu kennengelernt hatte und er noch mein Lehrer gewesen war, hatte ich durch dieses Fenster nach draußen klettern wollen, weil die Tür abgesperrt gewesen war. Ich war vom Stuhl gefallen und Simon hatte mich zum ersten Mal geküsst. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich ihn geliebt.

Er bemerkte meine Blicke in Richtung Fenster. Er griff nach meiner Hand und drückte sie. Er wusste, was ich dachte und er dachte dasselbe. Vor fünfzehn Jahren hatte es angefangen, seit zwölf Jahren war es vorbei. Bis heute.

«Komm, wir holen uns ein Boot», riss mich Simon aus meinen Gedanken.

Auf der linken Seite des Kiesweges stand ein alter Holzschuppen. Dort waren die Boote gelagert. Ein Zugang auf der anderen Seite der Tür führte direkt zum See.

Alles, was ich jetzt brauchte, waren ein Boot und zwei Ruder. «Ich ziehe mich schnell um», erklärte Simon. «Ich habe da drinnen einen Einteiler. Magst du mitkommen oder wartest du hier?»

«Ich setze mich da vorne an den See», antwortete ich. Es würde nicht lange dauern und ich wollte mich mit der Umgebung, die ich so gut gekannt hatte, erneut vertraut machen.

Simon kam schon nach ein paar Minuten zurück und führte mich zum Lagerhaus. Er war inzwischen im Clubvorstand und hatte damit freien Zugang zu allen Bereichen. Eine Funktion als Assistenztrainer hatte er jedoch nicht mehr inne, wie er mir auf der Hinfahrt zögerlich erzählt hatte. Er hatte sich gescheut mir etwas von sich zu erzählen. Es ginge jetzt um mich, hatte er gemeint.

«Welches Boot magst du haben?» Ich stand staunend vor den ganzen Reihen, dutzende Boote in allen Farben und Längen waren hier übereinander gelagert. Früher war dieser Anblick Alltag gewesen. Jetzt war er sonderbar, doch ich bemerkte, wie er doch ein leises Kribbeln in mir auslöste. Hatte ich das Rudern vermisst, ohne es überhaupt bemerkt zu haben? «Weißt du noch, welche Größe dir passt?» Natürlich hatte ich es nicht vergessen, aber Simon brauchte meine Antwort nicht.

Er hob, ohne meine Antwort abzuwarten, ein Boot herunter und trug es zum Wasser. Er wusste viel besser als ich, welches Boot ich brauchte. Dann kam er zurück und reichte mir zwei Ruder. Anschließend nahm er ein Boot und Ruder für sich selbst.

«Komm», sagte er und nickte mir aufmunternd zu. Es war ein kühler Herbstmorgen und einige Nebelschwaden hingen tief über dem See. Das verlieh dem Ganzen eine traurige Stimmung, was in diesem Augenblick gut zu mir passte. Ich setzte mich ins Boot und packte die Ruder. Das Boot wackelte ein bisschen. «Brauchst du Hilfe?» Ich schüttelte den Kopf und stieß die Ruder ins Wasser und hatte bald das Gleichgewicht gefunden. Es war ein bisschen wie Fahrrad fahren – man verlernt es nicht, wenn man es mal gekonnt hatte. Und ich hatte es mal wirklich gut gekonnt. Ich lächelte ein bisschen, als ich mich daran erinnerte. Insbesondere an meinen Karrierehöhepunkt, den Olympiasieg. Das war schon acht Jahre her. Trotzdem, meine Arme waren eingerostet und diese spezifische Bewegung nicht mehr gewohnt. Ich würde üblen Muskelkater haben. Aber ich fühlte mich gut. Simon ruderte neben mir her. Ich hatte kein Bedürfnis zu sprechen und er bemerkte dies und schwieg ebenfalls. Nachdem er sich sicher sein konnte, dass ich nicht kentern würde, ging er sogar einen Schritt weiter und stoppte sein Boot. So ruderte ich alleine weiter durch den Nebel. Ich lauschte dem leisen Plätschern des Wassers, wenn ich die Ruder hob und wieder hineinstieß.

Als ich Simon zugesagt hatte, mit ihm rudern zu gehen, hatte ich mir vorgestellt, dass ich mit ihm über Sebastian sprechen würde oder ich wenigstens über ihn und seinen Unfall nachdenken würde. Doch jetzt waren all diese Gedanken auf einmal weg. Ich konnte auf einmal an gar nichts mehr denken. Das verwirrte mich. Ich spürte nur, wie mir die Tränen über die Wangen liefen und verstand noch nicht einmal, weshalb. Es war nicht nur Trauer, es war auch dieses seltsame Gefühl, dass ich angekommen war. Ich hatte das Rudern vermisst – und es war mir gar nie bewusst gewesen. Ich erkannte so viele Dinge, eine Bank am Ufer, einen Baum, einen großen Stein. Tausende Male war ich daran vorbeigerudert und das alles hatte sich in mein Hirn eingebrannt. Es war erstaunlich, wie ich mich auf einmal an alles erinnerte und wie ich mich um über ein Jahrzehnt in die Vergangenheit versetzt fühlte.

Ich ruderte einmal durchs Seebecken auf die andere Seite. Simon war stehengeblieben. Als ich mich drehte, konnte ich ihn in der Ferne erblicken. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht fuhr ich langsam zu ihm zurück.

«Alles okay?», fragte er mich, als ich wieder auf seiner Höhe war.

«Alles okay», versicherte ich ihm. «Es hat mir wahnsinnig gutgetan. Danke, dass du mich dazu überredet hast. Es war, als wäre ich nie weggewesen. Es hat meine vielen Gedanken gestoppt.»

«So geht es mir immer. Deshalb habe ich auch nie damit aufgehört.» Simon half mir, das Boot und die Ruder im Bootshaus zu verstauen.

«Wir können das jederzeit wiederholen, wenn du magst.»

«Ja, das möchte ich wirklich gerne. Wenn du Zeit hast.»

Kapitel 7

Am Nachmittag saßen sie zusammen auf dem Sofa. Sie schwiegen beide. Simon war hin- und hergerissen. Er wollte nicht gehen, er wollte aber auch nicht ohne Hannas Einverständnis bleiben. Und wenn er bleiben würde, musste er einige Dinge in die Wege leiten. Hanna schien ganz in ihre Gedanken versunken und er wollte sie nicht mit seinen Problemchen belasten. Deshalb beschloss er abzuwarten. Nach einer langen Weile blickte sie ihn an.

«Kannst du noch ein bisschen bleiben?» Sie räusperte sich. «Ich meine, du musst natürlich nicht. Ich verstehe, wenn du gehen musst, wirklich. Du hast schon viel für mich getan.»

«Ich würde sehr gerne bleiben», hörte er sich sagen.

«Kannst du das denn überhaupt?»

«Ja, ich denke schon. Ich muss nur ein paar Dinge erledigen.»

«Lisa?» Er nickte.

«Sie sollte wenigstens wissen, wo ich bin.»

«Bitte bleib nicht, wenn sie das nicht will, okay? Es war schon sehr egoistisch von mir, dich um Hilfe zu bitten. Ich möchte uns nicht wieder alle drei herunterreißen, so wie damals. Du kannst nicht hierbleiben, wenn du noch mit ihr zusammen bist.»

Er hätte am liebsten laut aufgelacht. Lisa würde ihm den Hals umdrehen. Aber es war ihm egal. Ja, er war mit ihr zusammen. Gefangen in einer Ehe, die noch nie so richtig glücklich gewesen war. Mit einer Frau, die kaum noch mit ihm redete. Die ihm nichts mehr zu sagen hatte. Und der er nichts mehr zu sagen hatte. Er konnte nicht behaupten, er hätte sich in der letzten Zeit sonderlich um sie bemüht. Sie war einfach immer da gewesen. Eine Selbstverständlichkeit. Er kam sich so daneben vor, wie er über sie dachte. Es war nicht okay. Sie hatten auch schöne Zeiten gehabt und sie war die Mutter seines Sohnes. Aber er wusste genau, wie sich Liebe anfühlte. Und damit hatte die Beziehung zu Lisa nichts zu tun. Er überlegte, wie viele Paare er kannte, die in Gewohnheit verharrten, unfähig und mutlos, daran etwas zu ändern und um ihr eigenes Glück zu kämpfen. So wie er. Hannas Schicksal hatte ihm gezeigt, wie schnell das Leben vorbei sein konnte. Musste er nicht alles tun, um selbst glücklich zu sein?

«Mache dir darüber keine Gedanken, Hanna. Ich bin ein großer Junge und ich bin vernünftig geworden. Ich weiß genau, was ich tue. Und wenn ich bei dir bleiben möchte, dann kann mich niemand davon abhalten. Auch nicht Lisa.»

Trotzdem war ihm bewusst: Er würde sich gleich in die Höhle des Löwen begeben. Aber da musste er jetzt durch. Er brauchte ein paar Klamotten und er musste Lisa wenigstens eine Erklärung liefern und sicherstellen, dass Elias gut versorgt war. Er hatte seine Entscheidung bereits gefällt. In einer Woche würden die Herbstferien beginnen. Bis dahin würde er sich krankmelden. Danach hatte er zwei Wochen Urlaub und somit konnte er ohne Probleme drei Wochen bei Hanna bleiben – wenn sie ihn so lange bei sich haben wollte. Und auch sonst würde ihm die Auszeit guttun.

Sein Sohn Elias war inzwischen neun Jahre alt. Ein zweites Kind war ihm und Lisa verwehrt geblieben. Er fragte sich, ob ausschließlich Hannas Rückkehr in sein Leben dazu geführt hatte, dass seine Ehe ihm jetzt so gleichgültig war. Er wusste, er durfte sich nicht an Hanna klammern. Jede Entscheidung, die er fällte, musste er ganz alleine für sich selbst fällen. Und wegen Elias. Er überlegte sich jetzt erst auf die drei Wochen zu konzentrieren und die Zeit zu nutzen, sich vor allem Gedanken über seine eigene Zukunft zu machen. Das Glück war so zerbrechlich. Und so wundervoll. Er wusste, dass er bisher in seinem Leben nicht viel Glück gehabt hatte. Was vor allem deshalb der Fall war, weil er es nicht gesucht hatte. Er war immer mit dem halbleeren Becher zufrieden gewesen. Auf einmal machte ihn das wütend. Wütend auf sich selbst. Er würde ab sofort keine Zeit mehr vergeuden und versuchen sein eigenes Glück zu finden.

Er musste für den Rückweg wieder ein Taxi nutzen. Er fuhr mit einem unguten Gefühl im Bauch nach Hause. Lisa erwartete ihn im Wohnzimmer. Und auch sie war wütend. Nicht auf sich selbst, sondern auf ihn, Simon. «Wo ist Elias?», fragte er.

«Wo warst du? Und warum bist du nicht ans Handy gegangen?» Er betrachtete sie. Er wusste, dass er sie nicht liebte. Und er vermutete, dass es ihr umgekehrt genauso ging. Wahrscheinlich wäre auch sie glücklicher ohne ihn.

«Ich war bei Hanna», erwiderte er ruhig. «Wo ist Elias?»

«Hanna!», presste sie hervor. «Und was wolltest du bei ihr?»

«Ich erkläre dir gleich alles, sag mir nur, wo Elias ist.»

«Er ist mit meinen Eltern im Zoo, wie abgemacht.» Er fühlte sich als schlechter Vater, weil er wusste, dass er die heile Welt des Jungen zerstören würde – und er konnte es ihm noch nicht mal persönlich erklären.

«Ich wollte Hanna helfen. Nein, ich will ihr helfen. Ich werde gleich wieder zu ihr fahren.»

«Wenn du das tust, sind wir beide Geschichte», drohte sie. Er schaute sie traurig an.

«Lisa, wir beide sind längst Geschichte. Du weißt es genauso gut wie ich. Wir waren beide nur zu feige das zuzugeben.» Er versuchte ruhig zu bleiben.

«Und dann kommt Hanna und du denkst, du kannst einfach dort weitermachen, wo du vor x Jahren aufgehört hast?» Sie redete sich in Rage.

«Darum geht es nicht. Hanna hat ihre eigenen Probleme. Und ich habe meine. Alles, was ich weiß, ist, dass ich nicht mehr so weitermachen kann und werde. Ich bin noch jung genug, um noch einmal glücklich zu sein.» Er schaute sie an. «Wir haben alles versucht, doch uns beiden gemeinsam ist das Glück nicht vergönnt, das weißt du genau. Wir haben eine Zweckbeziehung, weil wir beide nicht mutig genug sind, die Komfortzone zu verlassen. Doch das soll sich jetzt ändern. Brich auch du aus, Lisa. Tue, was du schon immer mal tun wolltest. Geh in die Welt hinaus.»

«Und Elias? Du zerstörst seine Familie.»

«Ich hoffe, wir beide werden vernünftig genug sein, um ihm gute Eltern zu bleiben. Elias ist das Wichtigste für mich. Ich werde weiterhin alles für ihn tun, das verspreche ich. Du kannst dir überlegen, wie du es dir vorstellst. Ob du die Wohnung behalten möchtest, wie viel du arbeiten willst, wann Elias bei dir sein soll und wann bei mir. Denk darüber nach. Ich werde die nächsten Wochen nutzen und ebenfalls darüber nachdenken. Und dann suchen wir gemeinsam nach einer guten Lösung.»

«Geh nicht», flehte sie. Er ließ sich nicht beirren.

«Ich werde in drei Wochen wiederkommen. Elias kann jederzeit bei mir sein, gib mir einfach Bescheid, wann ich ihn holen soll, okay?» Er hatte sich überlegt, dass er dann einfach mit Elias in einem Hotel übernachten würde.

«Nach den drei Wochen können wir in Ruhe reden. Ich hoffe, dass du dir bis dahin ein paar Gedanken machen wirst. Einverstanden?» Sie saß wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa. Er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn nicht liebte. Es war viel mehr das Gefühl der persönlichen Niederlage, das sie so traurig machte. Das Gefühl, gescheitert zu sein. Dass sie ihn nicht hatte halten können. Ihn womöglich nach all dem Kampf doch noch an Hanna verlor. Hanna. Er durfte nicht daran denken, was vielleicht sein könnte. Wichtig war jetzt nur, ihr zu helfen. Wenn sie ihn danach zum Teufel schickte, würde er es hinnehmen.

Er holte eine große Tasche und packte ein paar Kleider, Duschgel, Shampoo und eine Zahnbürste ein. Er brauchte nicht viel. Auch sein Handyladegerät und seinen Laptop nahm er mit. Dazu noch zwei Bücher, die er schon lange hatte lesen wollen. Er würde zunächst in den Zoo fahren, um Elias zu erklären, dass er für einige Zeit verreisen würde. Er wollte ihn noch nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Er hoffte, der Junge würde es verstehen. Dann würde er den Rektor der Schule anrufen und sich krankmelden.

Kapitel 8

Als er wieder bei Hannas Haus ankam, war diese weg. Ihre Eltern hätten sie abgeholt und würden mit ihr und Julia zusammen einen Ausflug unternehmen, erklärte ihm Laura. Es war die Gelegenheit für die beiden, sich endlich auszusprechen. Laura hatte Simon nie gemocht – sie hatte immer ihm die Schuld daran gegeben, dass es Hanna so dreckig gegangen war. Und sie hatte damit recht gehabt.

Simon wusste, dass Hanna ihn oft in Schutz genommen und seine Gefühle für sie betont hatte. Aber Laura hatte bald die Geduld verloren. Simon wunderte sich heute manchmal noch, weshalb Hanna sein Hin und Her so lange mitgemacht hatte. Weil sie ihn geliebt hatte. Aufrichtig geliebt.

«Lass uns einen Kaffee trinken», bat er Hannas beste Freundin. Sie nickte. «Es ist gut, wenn wir mal reden.» Sie gingen in die Küche und Laura legte eine Kapsel in die Kaffeemaschine. Simon wollte ihr helfen, doch sie winkte ab. So setzte er sich an den Esstisch. Kurz darauf kam Laura mit zwei dampfenden Tassen und stellte eine vor ihn hin. Keiner von ihnen wusste, wie er beginnen sollte und so saßen sie eine ganze Weile schweigend am Tisch.

«Ich bin froh, dass du hier bist», brach Simon schließlich das Schweigen.

«Das hast du bereits gesagt», erwiderte Laura schnippisch. So kamen sie nicht weiter, dachte Simon.

«Können wir das, was damals geschah, nicht einfach hinter uns lassen und wie Erwachsene zusammen reden?»

«Nein, Simon, das können wir nicht. Du hast dich damals verhalten wie das letzte Arschloch. Hanna hat unglaublich lange gebraucht, bis sie wieder einigermaßen Tritt fassen konnte. Du kannst jetzt nicht einfach hierherkommen und so tun, als wäre nichts gewesen.» Simon schluckte schuldbewusst. Er hatte diese Worte verdient, das war ihm klar.

«Du hast recht», begann er zögernd. «Es ist jetzt schon so lange her, und alles, was ich tun kann, ist mich dafür zu entschuldigen und es besser zu machen.»

«Warum?», flüsterte Laura.

«Damit du mich verstehen kannst, muss ich dir die Geschichte meiner Kindheit erzählen und ich weiß nicht, ob ich das kann.»

«Kennt Hanna die Geschichte?»

«Ja. Ich glaube, sie hat mich auch ein Stückweit verstanden. Nie so ganz – sie hat immer geglaubt, dass es einen Weg für uns gibt.» Laura schaute ihm direkt in die Augen.

«Hast du sie aufrichtig geliebt?»

«Ja. Sie war … oder sie ist … die Liebe meines Lebens. Ich habe es immer ernst mit ihr gemeint und ich war nie so glücklich in meinem Leben, wie wenn sie bei mir war. Ich erzähle keinen Unsinn, wenn ich dir das sage, Laura, wirklich.»

«Dann erzähl mir die Geschichte», bat sie. Simon war hin- und hergerissen. Er schämte sich für diese alte, dunkle Geschichte seines Lebens und für sein Verhalten, das er diesbezüglich an den Tag gelegt hatte. Er schämte sich für seine Entscheidung, Hanna wegzuschicken. Doch er wusste, Laura brauchte diese Erklärung, damit sie ihn verstehen konnte – und ihm vielleicht nicht mehr böse war. Und so begann er zu erzählen:

«Mein Vater war einst Lehrer am Gymnasium. Physik und Mathematik, genau wie ich. Ich war immer sehr stolz auf ihn – er war nicht nur ein liebevoller und aufmerksamer Vater, er war auch sehr beliebt bei seinen Schülern. Wahrscheinlich deshalb mein Wunsch, selbst Lehrer zu werden.» Er machte eine kurze Pause und blickte Laura an, die ihm aufmerksam zuhörte. «Eines Tages kam heraus, dass er sich in eine gerade siebzehnjährige Schülerin verliebt und mit ihr eine Affäre hatte. Er war damals etwa siebenunddreißig, ich war zehn. Unsere heile Welt brach zusammen. Mein Vater verlor seinen Job, er fand auch keinen neuen, wir wurden verspottet, beschimpft und bedroht. Letztlich mussten wir umziehen und in einer anderen Stadt neu anfangen. Mein Vater hat das alles nicht verkraftet. Der Verlust seiner Liebe, das Ende seiner Karriere, die Schmach: Er hat angefangen zu trinken. Letztlich hat er sich umgebracht. Da war ich fünfzehn. Ich war einfach nur sauer auf ihn. Für mich war er der Sündenbock, der alles kaputt gemacht hat, und ich habe mir geschworen, nie den gleichen Fehler zu machen wie er.» Simon musste sich eine Träne wegwischen. Er holte tief Luft und konzentrierte sich. «Du kannst dir vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, als ich merkte, dass ich Hanna liebe. Das alles brach wieder über mich herein und ich hatte Angst, dass ich so enden würde wie er. Und gleichzeitig hatte ich so ein schlechtes Gewissen, weil ich meinen Vater so verleugnet habe. Ich habe ihm nie zugehört. Ich wünschte mir, ich könnte nur noch einmal mit ihm darüber reden. Deshalb konnte ich es nicht, Laura. Es hatte nichts mit Hanna zu tun. Ich habe sie geliebt. Wirklich. Aber ich konnte es einfach nicht.»

Laura schluckte schwer, Simon spürte, dass seine Geschichte sie berührte. «Hanna hat davon gewusst?»

«Ja.»

«Hat sie das nicht verstanden?»

«Doch, ich denke schon. Sie hat nur immer gedacht, dass es doch einen Weg gibt. Vielleicht hatte sie sogar recht und ich war einfach ein Feigling. In ihren Augen war die Ausgangssituation eine andere. Sie war schon über zwanzig und ich war nur wenige Jahre älter. Zudem war sie nur ein Jahr meine Schülerin und danach nicht mehr – sie dachte, das wäre ein Freibrief. Für alle mag das so gewesen sein, aber nicht für mich damals. Es hat mich alles einfach so erschüttert, ich konnte nicht damit umgehen.»

«Es ist eine krasse Geschichte, die du da erzählst.»

«Ja. Es tut mir leid.»

«Mir tut es auch leid, Simon. Ich war nicht immer nett zu dir.»

«Ich verstehe dich. Ich war froh, dass Hanna dich hatte und du so sehr zu ihr gehalten hast. Das hat ihr bestimmt sehr geholfen.»

«Aber du kannst jetzt trotzdem nicht einfach wieder hier auftauchen und alles durcheinanderbringen.»

«Das ist das Letzte, was ich will. Ich hoffe einfach, ich kann ihr helfen.»

«Und wenn nicht?»

«Dann werde ich wieder gehen. Hanna entscheidet. Es geht nur um sie.»

«Und wenn sie sich plötzlich wünscht, dass du für immer bleibst?»

«Dann bleibe ich für immer», flüsterte er. «Ich habe einmal einen Fehler gemacht und ich werde denselben Fehler nicht noch einmal machen, das schwöre ich dir. Aber es ist viel zu früh, um über so etwas nachzudenken. Es geht jetzt darum, dass Hanna wieder auf die Beine kommt. Am meisten hilft es ihr wohl, wenn wir beide an einem Strang ziehen, was meinst du?» Laura lächelte ein bisschen.

«Ich weiß nicht, Simon. Es hilft, dass du mir die Geschichte erzählt hast. Aber ich kann jetzt nicht einfach alles vergessen.»

«Das verlangt ja niemand. Es reicht mir, wenn du mir glaubst, dass ich keine Spiele mit ihr gespielt habe. Ich habe Hanna wirklich geliebt und ich tue es wohl noch heute. Ich muss ja jetzt auch nicht dein bester Freund werden. Es wäre nur schön, wenn wir Hanna helfen könnten, ohne uns zu zoffen oder anzuzicken.» Ihr Lächeln wurde ein bisschen breiter und sie reichte Simon die Hand.

«Das sollte möglich sein.»

«Wie geht es dir mit Sebastians Tod?»

«Ich bin erschüttert», erzählte Laura. «Sebastian war ein wahnsinnig toller Mann. Er hat Hanna geliebt, er war ein toller Vater. Wir haben uns nicht oft gesehen, aber wenn, war es immer lustig. Sebastian hatte irgendwie nie schlechte Laune. Außer, wenn er mal einen Tag lang keinen Sport machen konnte. Er ist selbst mit Baby Julia im Buggy stundenlang durch die Gegend gelaufen.»

«Er ist ja erst neulich noch einmal Olympiasieger geworden.»

«Er hat eine Weile gebraucht, um an die Spitze zu kommen. Ausdauersportler werden ja gerade im Alter immer besser. So war es auch bei ihm. Hanna hatte nach ihrem Triumph keine Lust mehr. Aber er hatte Hummeln im Hintern. Er wollte nicht aufhören. Hanna hat übrigens in den letzten Jahren sogar ein paar Triathlons gemacht. Gar nicht mal so schlecht. Sie hätte Potenzial gehabt.»

«Sie passten gut zusammen.»

«Ich werde dir da nichts anderes erzählen, Simon. Ja, das taten sie. Sie haben sich gegenseitig beflügelt – und nicht heruntergezogen.»

Simon wusste schon, dass dies eine Anspielung auf sein eigenes Verhalten war. Damit musste er nun leben. Er würde so viel anders machen, wenn er könnte. Aber er konnte nicht. Er konnte es nur ab jetzt besser machen.

«Wollten sie noch mehr Kinder?»

«Ich weiß nicht, ob ich dir das alles erzählen soll», seufzte Laura.

«Sorry, ich bin zu neugierig. Ich weiß nicht, was ich sie selbst fragen kann und was nicht. Ich möchte sie gerne einfach erzählen lassen, was sie mag. Hätte aber gerne ein umfassenderes Bild.»

«Jetzt, nach Olympia, wollten sie noch einmal schwanger werden. Sebastian wäre bald offiziell vom Spitzensport zurückgetreten. Er war fast vierzig. Sie wollten die Familie vergrößern und dem Sport nur noch als Hobby nachgehen. Das waren ihre Pläne. Basti hatte sogar schon eine Stelle als Juniorentrainer beim nationalen Verband.»

«Wow.» Simon strich sich mit beiden Händen über das Gesicht. Er hatte nur Hanna gesehen. Und die Trauer. Aber nicht das ganze, tolle, funktionierende Leben dahinter. Je mehr er über Sebastian hörte, desto beklemmter fühlte er sich. Desto mehr wurde er sich seines eigenen Versagens bewusst. Und desto mehr hatte er das Gefühl, völlig fehl am Platz zu sein.

«Was hat Hanna gemacht nach ihrem Rücktritt?»

«Du wusstest ja, dass sie in Berlin ihr Germanistikstudium beendet hat?»

Simon nickte. Das hatte er gewusst.

«Sie wollte keine Lehrerin werden. Sie hat dann in der Kommunikationsabteilung des Triathlonverbandes gearbeitet. Es war kein Vollzeitjob, sie war ständig mit Basti auf Reisen. Und gerade nach Julias Geburt war es perfekt für sie. Sie ist da auch jetzt noch angestellt, der Verband hat sie aber freigestellt. Sie darf sich so viel Auszeit nehmen, wie sie braucht.»

Er war erleichtert, dass zumindest ihre finanzielle Zukunft gesichert war. Und Sebastian hatte ihr bestimmt auch etwas hinterlassen.

«Julia bleibt noch bei Hannas Eltern. Vorläufig. Sie schauen, dass die beiden sich regelmäßig sehen. Nach den Herbstferien soll Julia wieder in den Kindergarten gehen. Ich muss bald mal zurück nach Berlin. Mein Mann und meine Kinder sind auf sich alleine gestellt – mit etwas Hilfe von meinen Schwiegereltern. Ich muss mal nach dem Rechten sehen. Ich werde in zwei Tagen fliegen, komme ein paar Tage später aber wieder her.»

«Ich werde hier die Stellung halten», sagte Simon. «Und ich werde es nicht versauen.»

Kapitel 9

Simon tat wirklich alles, um mich ins Leben zurückzuholen. Er hörte mir zu, er las mir jeden Wunsch von den Augen ab, er fuhr mit mir zu meinen Eltern, damit ich Julia sehen konnte, während er selbst im Auto wartete oder in ein Café fuhr und dort ein Buch las. Ich wollte ihn nicht mit zu meiner Familie nehmen. Das hätte irgendwie nicht gepasst. Immer wieder machte er mit mir lange Spaziergänge. Oder wir fuhren zum See und unternahmen lange Ausfahrten im Ruderboot.

Er half mir zudem bei den rechtlichen Dingen. Er kümmerte sich darum, dass ich Zugang hatte zu Sebastians Konten, dass ich finanzielle Unterstützung bekam in Form von Waisenrenten für Julia und er sprach mit den Banken, damit ich mein Haus behalten konnte. Ich war so erleichtert darüber, weil ich insgeheim Angst gehabt hatte, mein und Julis Zuhause zu verlieren.

Laura war für kurze Zeit nach Berlin geflogen, doch sie kam bald wieder her. Sie war meine gute Seele, auch sie hörte mir zu, umarmte mich, sie kochte für alle und schaute, dass wir nicht im Chaos versanken. Ich wusste nicht, was ich ohne die beiden gemacht hätte.

Das Haus wollte ich auf keinen Fall verlieren, doch es war mir auch ein Dorn im Auge: Zu viele Dinge erinnerten mich hier an Sebastian. Ich hatte irgendwie nicht die Kraft, mich darum zu kümmern. Deshalb beschlossen Laura und Simon gemeinsam, die Sache in die Hand zu nehmen. Wir besprachen ganz genau, was wegmusste und was bleiben durfte. Dann schickten mich die beiden gemeinsam mit meiner Mutter für drei Tage in ein hübsches Wellnesshotel und begannen das Haus auszuräumen.

Als ich wiederkam, war ich überrascht. Sebastians Kleider und seine persönlichen Gegenstände waren nicht mehr da. Laura und Simon hatten einiges entsorgt und wenige, ganz persönliche Dinge, die ich unbedingt behalten wollte, in den Keller geräumt. Zudem hatten sie die Schlafzimmer getauscht. Wo früher Sebastians und mein Zimmer war, war jetzt das Gästezimmer und umgekehrt. Die beiden hatten sogar nach meinen Wünschen ein neues Bett für mich besorgt, da ich nicht mehr in unserem alten hatte schlafen können, und den Raum liebevoll gestaltet und dekoriert. Die Wand hinter dem Bett war in einem sanften Fliederton gestrichen. Das Boxspringbett war in einem hellen Grau und die Bilder und sonstigen Accessoires waren aus Bronze. Laura hatte schon immer ein Talent für Innendekoration gehabt und sie hatte es hier einmal mehr unter Beweis gestellt. Ich fühlte mich auf Anhieb pudelwohl. Die Möbel des Gästezimmers blieben dieselben – sie waren nur umgezogen.

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22 aralık 2023
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