Kitabı oku: «Herz über Bord», sayfa 3
Ich nahm die beiden in meine Arme. «Danke. Ich weiß gar nicht, was ich sonst sagen soll.»
Ich brach mal wieder in Tränen aus – für einmal war die Trauer gemischt mit Freude und Erleichterung. Ich war einfach nur froh, dass alles geregelt war, ich mir keine finanziellen Sorgen zu machen brauchte und Julia und ich in unserem Zuhause bleiben konnten.
Kapitel 10
Hanna schlief in seinen Armen, doch er brachte kein Auge zu. Er schaute sie an und streichelte über ihr Haar. Sie war so schön. Und so zerbrechlich. Die Wellnesstage mit ihrer Mutter hatten ihr merklich gutgetan. Sie wirkte gelöster und manchmal lächelte sie ein bisschen. Er hatte sie vermisst. Die ganzen drei Tage lang. Er wünschte sich, dass sie ihr Leben bald wieder im Griff hatte. Er wünschte sich, dass sie glücklich war. Sie hatte so viele Schicksalsschläge verkraften müssen und sie hatte sich das Glück so verdient.
Dies brachte ihn mal wieder dazu, über sein eigenes Glück nachzudenken. Seit er bei Hanna angekommen war, wurde ihm immer mehr bewusst, wie trostlos sein eigenes Leben war. Und er hatte alle seine Entscheidungen für dieses Leben selbst getroffen. Er hatte erst einmal gespürt, was Glück bedeutete – vor über zwölf Jahren. Und damals hatte er mit aller Kraft dagegen angekämpft. Für seinen Plan B, so hatte Hanna es genannt. Er wollte nicht alles in seinem Leben schlechtreden. Klar, er hatte seinen Traum von einer Olympiateilnahme nie verwirklichen können. Doch er hatte viele Jahre einen Job gemacht, den er immer geliebt hatte. Und er hatte einen wunderbaren Sohn, den er über alles liebte. Er hatte ein Dach über dem Kopf und genügend Geld. Er hatte viele Gründe, glücklich zu sein. Doch er war es nicht. Wie ihm jetzt bewusst wurde, war er es nie wirklich gewesen. Zufrieden vielleicht, aber niemals glücklich.
Als er sich entschieden hatte, sich vorerst um Hanna zu kümmern, hatte er bereits gewusst, dass in seinem Leben kein Stein mehr auf dem anderen bleiben würde. Und es hatte ihn nicht gestört. Im Gegenteil: Es hatte ein Kribbeln in seinem Bauch ausgelöst, wie er es schon lange nicht mehr gespürt hatte. Er freute sich auf seine Zukunft, so unbestimmt sie im Moment auch vor ihm lag.
Er hatte sich auf keine Diskussionen mit Lisa eingelassen. Er hatte nur einige Male seinen Sohn abgeholt, um mit ihm Zeit zu verbringen, und ihn wieder nach Hause gebracht. Lisa hatte mehrfach versucht mit ihm zu reden, hatte ihn angeschrien. Doch er hatte sie immer vertröstet. Er hatte ihr versprochen, dass sie ihre Antworten bekommen würde – aber erst, wenn er sich selbst über alles klargeworden war. Lisa hatte Angst. Angst, ihn zu verlieren, Angst vor einer ungewissen Zukunft. Das tat ihm leid. Er wusste, dass er nicht die eine Frau haben konnte ohne die andere zu enttäuschen. Das war schon vor zwölf Jahren nicht anders gewesen. Er wusste, dass er offen sein musste. Er durfte seine Kämpfe nicht mehr gegen sich selbst austragen. Deshalb nutzte er solche Gedankengänge wie diese, um sich Klarheit zu verschaffen.
Das Bild in seinem Kopf von seiner Zukunft wurde immer deutlicher. Er spürte, jetzt war der Zeitpunkt da, aus seiner Lethargie auszubrechen und für sein eigenes Leben zu kämpfen. Er hatte diverse Pläne geschmiedet und er freute sich darauf, sie in die Tat umzusetzen – mit Blick auf das Ergebnis. Der Weg dahin würde steinig werden.
Er beschloss, Hanna nicht in diese Pläne einzuweihen. Erst einmal ging es um ihn und um Lisa, und er wollte Hanna nicht damit belasten. Er wollte nicht, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Vorerst wollte er einfach bei ihr bleiben und für sie tun, was er tun konnte. Und dann würden sie weitersehen. In wenigen Tagen würde sein Unterricht wieder beginnen und dann mussten sie die Weichen stellen und entscheiden, wie sie weitermachen würden. Vielleicht konnten sie eine Zeitlang einfach Freunde sein? Wobei das ja schon damals nicht geklappt hatte und es sich für ihn auch jetzt nicht danach anfühlte. Doch damals war es schwer, heute war es leichter. Er wusste viel genauer, was er zu tun hatte und er würde keine Fehler machen. Es ging um nichts anderes als um sein Glück. Und – wie er sich von Herzen wünschte – um Hannas.
Kapitel 11
Es blieb uns nur noch ein Wochenende, dann musste Simon wieder zurück zur Arbeit. Wir hatten uns so viel erzählt in den vergangenen Wochen, wir waren uns so nahe gewesen und hatten so viel verarbeitet. Natürlich wusste ich, dass ich nicht auf einmal wieder mit Simon zusammen sein konnte. Dafür war es viel zu früh. Außerdem wusste ich nicht, ob Simon überhaupt für so etwas zu haben war. Er hatte mit mir über alles geredet – auch über seine Ehe mit Lisa. Aber er hatte nie erwähnt, wie es für ihn weitergehen würde. Und ich hatte es nicht gewagt danach zu fragen. Ich wollte ihn nicht in eine Trennung drängen und dann bemerken, dass ich ihn nicht wiedersehen wollte oder konnte. Und ich wollte ihm keine falschen Hoffnungen machen. Ich spürte schon, wie er mich ansah. Es fiel ihm schwer, mich nicht zu küssen oder zu berühren. Er hatte sich besser im Griff als vor zwölf Jahren – seine erzwungene Zurückhaltung führte nicht mehr zu dieser tiefen Verzweiflung. Es schien, als wäre es okay für ihn, auf Distanz zu bleiben. Es gehe ihm nur um mich, das hatte er immer wieder betont. Und er meinte es ernst.
Doch natürlich spürte auch ich: Ich wollte ihm so gerne nahe sein, ihn küssen und berühren. Ich wusste, dass ich es nicht tun durfte. Ich empfand es – nur ein paar Wochen nach dessen Tod – als Verrat an Sebastian. Doch Simon war kein Mann, den ich vor ein paar Tagen in einer Bar kennengelernt hatte. Simon war die Liebe meines Lebens gewesen und es hatte mich alles an Kraft gekostet, was ich hatte, ihn daraus zu verbannen und trotzdem glücklich zu sein. Dass er jetzt wieder da war, war zwar meine eigene Schuld, doch es war schwierig. Denn ich spürte, wie die ganzen weggesperrten Gefühle wieder an die Oberfläche drängten.
Simon brachte mein Herz in Aufruhr. Wieder. Oder noch immer. Ich konnte es nicht so genau sagen. Er hatte sich verändert in den Jahren. Ich hatte den Eindruck, er war mehr bei sich und ließ sich nicht mehr so schnell aus der Ruhe bringen. Er war immer ein Ruhepol für mich gewesen und er hatte immer die Worte gesagt, die ich hatte hören wollen. Damals war er jedoch mit seinem eigenen Leben nicht klargekommen – und das hatte sich auf mich übertragen. Das war heute anders. Ich wusste nicht, was sich in den drei Wochen für ihn verändert hatte. Mir hatte er geholfen, wieder in die Zukunft zu blicken, überhaupt zu erkennen, dass es eine Zukunft für mich gab. Ich wusste aber auch, dass ich den Weg in diese Zukunft zunächst alleine gehen musste. Und ich wusste, dass ich mit ihm darüber reden musste. Bald.
Wir hatten fast jede Nacht zusammen verbracht. Einige Male hatte Simon etwas mit seinem Sohn unternommen und nicht hier bei mir geschlafen. Ich wusste nicht, wo er dann gewesen war – womöglich zuhause bei Lisa? Wobei ich mir irgendwie nicht vorstellen konnte, dass sie seinen Aufenthalt bei mir goutieren würde. Ich nahm mir vor, ihn auf seine Situation anzusprechen.
Ich lag bereits in meinem neuen Bett, als er ins Zimmer trat. Jeden Abend hatte er mich gefragt, ob er bei mir schlafen solle oder nicht. Und jedes Mal hatte ich bejaht. Er trug ein T-Shirt, eine kurze Hose und er rubbelte mit einem Handtuch an seinen Haaren herum. Ich betrachtete ihn. Optisch hatte er sich nicht wirklich verändert, klar, seine Haare waren jetzt mehr grau als blond. Aber er war groß, schlank und sehnig wie eh und je. Er hatte den ganzen Tag mit seinem Sohn verbracht. Ich wollte am nächsten Tag mit ihm reden, jetzt war ich zu müde.
«Soll ich bei dir bleiben?», fragte er auch jetzt.
«Ja», erwiderte ich leise und er schlüpfte zu mir unter die Decke. Er lächelte mich an und nahm mich fest in seine Arme, wo ich mich sofort geborgen und beschützt fühlte. So wie in den vergangenen Tagen und Wochen. Und doch war auf einmal etwas anders. Es kribbelte in meinem Bauch. Ich versuchte, das Gefühl zu verdrängen. Ich bewunderte seine Souveränität. Oder ich schätzte seine Gefühle völlig falsch ein.
Ich rutschte ein bisschen nach oben, sodass mein Gesicht auf seiner Höhe war und schaute ihm in die Augen. Wir sagten beide nichts und sahen uns an. Ich war überrascht über meinen eigenen Mut, doch ich bewegte mich das letzte kleine Stück auf ihn zu, so dass meine Lippen ganz sanft auf seine trafen. Er schreckte zurück.
«Was machst du da?»
«Ich …», stammelte ich. «Es tut mir leid.» Ich wandte mich von ihm ab. Ich war ja so ein Esel. Ich hatte ihn offenbar tatsächlich falsch eingeschätzt. Er drehte meinen Kopf so, dass ich ihn wieder anschauen musste, sein Blick war voller Liebe.
«Natürlich möchte ich dich küssen, Hanna. Mehr als alles andere», sagte er dann. «Aber ich will dich und die Situation nicht ausnutzen.» Er streichelte über meine Haare. Ich hielt es fast nicht mehr aus. Die Atmosphäre war wie elektrisch geladen. Ich nahm noch einmal meinen ganzen Mut zusammen und näherte mich seinem Gesicht. Dieses Mal kam er mir ein Stück entgegen. Und dann küssten wir uns. Ganz langsam, ganz zärtlich und voller Gefühl.
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir uns wieder voneinander lösten. Unser Gespräch konnte nicht bis zum nächsten Tag warten. Ich war viel zu aufgewühlt und überhaupt nicht mehr müde.
«Was machen wir jetzt?», wollte ich von Simon wissen. Er streichelte meine Wange.
«Das musst du entscheiden, liebe Hanna.»
«Warum?»
«Weil ich nicht hier bin um meine Wünsche zu verwirklichen, sondern um dir zu helfen. Ich weiß nicht, ob dieser Kuss gut war.»
«Wir haben über so viele Dinge geredet, aber nie über uns.»
«Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt».
«Wollen wir es jetzt nachholen?» Er nickte.
«Worüber möchtest du gerne reden?»
«Ich würde gerne wissen, warum du hier bist und was Lisa dazu sagt.»
«Ich bin hier, weil ich nirgendwo anders sein möchte. Ich habe so sehr wie noch nie das Gefühl, dass ich zu dir gehöre.» Ich wollte etwas erwidern, doch er legte mir einen Finger auf die Lippen. «Hanna. Mach dir keine Sorgen – ich erwarte nichts von dir. Gar nichts. Ich weiß, in welch schrecklicher Situation du bist.»
«Was passiert denn mit dir, wenn ich nicht das will, was du willst?»
«Ich habe so viel nachgedacht in den letzten Wochen. Auch über mein Leben. Und darüber, wie schnell alles vorbei sein kann. Ich hatte auf einmal das Gefühl, ich habe total an mir vorbeigelebt. Ich war wohl nie richtig glücklich. Deshalb möchte ich ein paar Dinge in meinem Leben ändern. Einfach für mich alleine. Nicht, weil ich mir etwas davon verspreche. Das habe ich noch nie getan. Ich freue mich darauf.»
«Was willst du denn konkret verändern?»
«Ich weiß es noch nicht. Ich habe ein paar Ideen.» Er schaute mich an. «Ganz sicher werde ich mich von Lisa trennen.»
«Nein, Simon. Tu das nicht.» Ich war erschrocken und er erschrak über meine Antwort.
«Warum nicht?»
«Weil das damals schon so ein Drama war zwischen uns Dreien. Das soll sich nicht wiederholen.»
«Aber das hat gar nichts mit dir zu tun. Ich liebe sie nicht und ich bin nicht glücklich mit ihr. Hast du mir nicht immer gesagt, ich solle mich Plan A zuwenden?»
«Aber dass du es ausgerechnet jetzt tun willst…»
«Weil dein Schicksal mir gezeigt hat, wie wichtig es ist, glücklich zu sein. Du bist mein Vorbild, Hanna. Du hast es geschafft, glücklich zu sein – trotz der Geschichte zwischen uns. Doch das Glück ist so fragil. Ich möchte es einfach noch einmal in meinem Leben spüren. Ich kann nicht noch einmal dreißig Jahre so leben. Nicht mehr. Nach allem, was ich hier gesehen und erlebt habe.»
«Und was will dein Herz?»
«Möchtest du es unbedingt hören?» Er lächelte.
«Was hören?»
«Was ich empfinde. Was versprichst du dir davon?»
«Ich weiß nicht, was du meinst.» Er streichelte zärtlich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.
«Das weißt du ganz genau. Ich weiß zwar nicht, was du mit der Information anfangen willst, aber bitte, hier ist sie: Mein Herz will dich. Natürlich Hanna. Aber ich bin nur ehrlich. Ich weiß, dass das nicht geht. Zumindest nicht jetzt – und vielleicht nie. Das ist okay. Wirklich.»
«Liebst du mich?»
«Das hast du mich schon einmal gefragt, vor vielen Jahren.»
«Und du hast Nein gesagt.»
«Ich habe gelogen.»
«Und heute?»
«Heute lüge ich nicht mehr.»
«Liebst du mich?», fragte ich ihn erneut.
«Ja», flüsterte er, ich konnte es nicht hören. Nur fühlen. Ja, er hatte recht. Ich wusste auch nicht, was ich mit dieser Information anfangen würde, doch mein Herz wurde leicht und ich fühlte mich frei und gut. Er liebte mich. Wieder. Oder noch immer. Es war ganz egal.
«Darf ich dich noch einmal küssen?», fragte er schüchtern. Ich lächelte und verschloss seinen Mund mit meinem.
Kapitel 12
Sie hatte ihn geküsst. Er konnte es kaum glauben. Nie, nie, nie hätte er damit gerechnet oder darauf gehofft. Es war anders als damals. Damals war ihr erster Kuss wild, leidenschaftlich, überraschend. Heute war er sanft, zärtlich und vorsichtig. Und trotzdem war ihm, als wäre ihr erster erster Kuss erst ein paar Tage her. Es fühlte sich so vertraut an. So richtig. Wie falsch hatte er damals entschieden. Ja, er hatte nicht anders gekonnt. Doch Hanna war sein Glück gewesen, das wusste er nicht erst seit heute. Er liebte sie noch immer. Alle Gefühle für sie waren wieder da. Heftiger denn je. Das brachte ihn durcheinander – weil er Hanna alle Zeit geben wollte, die sie brauchte. Er würde sich auch an ihre Bedingungen halten, das hatte er sich geschworen. Trotzdem: Er wollte mit Hanna zusammen sein. Endlich, nach all den Jahren. Und er würde alles tun, was dafür nötig war. Auch warten.
Kapitel 13
Ich hatte mich dicht an seinen Körper gekuschelt.
«Erzähl mir, wie es damals für dich war», bat ich ihn. Er wusste, was ich meinte.
«Es war die Hölle», begann er stockend. «Ich habe mir so sehr gewünscht, mit dir zusammen zu sein. Weißt du das?» Ich sagte nichts. «Es hat mich so fertiggemacht, dass ich es nicht konnte.»
«Was war das mit deinem Knie. Du hast es absichtlich gemacht, stimmt’s?»
«Nicht absichtlich, nein. Ich habe nicht anders gekonnt. Es hat mir geholfen, den seelischen Schmerz mit dem körperlichen zu übertünchen. Ich habe mir solche Schmerzen im Knie zugefügt, dass ich alles andere vergessen konnte. Erst dann konnte ich wieder klar denken.» Er schaute mich an. «Heute schäme ich mich dafür. Damals habe ich einfach nicht anders gekonnt.»
«Ich glaube, ich habe unterschätzt, wie sehr du gelitten hast», flüsterte ich.
«Das weißt du nicht, aber nachdem wir uns das letzte Mal gesehen hatten, nach meiner Entscheidung, habe ich es so sehr übertrieben, dass ich sogar mein Knie noch einmal operieren musste. Ich hatte großes Glück, dass es nicht steif wurde. Danach habe ich es nie wieder getan.» Ich schmiegte mich noch enger an ihn.
«Es tut mir so leid, Simon.»
«Es ist schon gut. Es ist lange her.»
«Ich möchte einfach nicht wieder in diese gleiche Spirale geraten. Nie wieder. Wir haben uns total kaputt gemacht.»
«Aber wir haben daraus gelernt, oder?»
«Warum konntest du es nicht?» Ich hatte ihm diese Frage schon so oft gestellt und er hatte es nie so erklären können, damit ich es vollends verstanden hatte. Wahrscheinlich konnte er es auch jetzt nicht.
«Weil ich Angst hatte. Angst, wie mein Vater zu enden. Angst, vor den Augen meiner Familie mein Gesicht zu verlieren. Angst vor dem Verlust meiner Existenz. Ich dachte, dass ich auch dich verliere, wo ich schon alles andere nicht mehr hatte. Dass du nicht mehr mit einem solchen Versager zusammen sein wolltest. Dann hätte ich gar nichts mehr gehabt.»
«Ich dachte immer, wir hätten einfach ein paar Monate untertauchen können oder in einer anderen Stadt neu anfangen. Ich hätte auch Geld verdienen können. Ich glaube auch jetzt noch, dass wir es geschafft hätten.» Er lächelte mich an.
«Du warst so jung und so schön – und so eine Traumtänzerin.»
«Ich war keine Traumtänzerin», erwiderte ich empört. «Ich wusste ganz genau, was ich fühlte. Und ich habe dich Jahre später noch jeden Tag vermisst.»
«Ich dich doch auch.»
Ich erinnerte mich an den Anfang. «Weißt du noch, wie schlecht ich in Mathe war?» Er lächelte erneut.
«Du warst nicht schlecht. Du hattest nur schlechte Voraussetzungen.»
«Warum hast du das für mich getan?»
«Weil ich dich von Anfang an mochte. Weißt du – du hattest das gleiche Feuer wie ich, wenn du im Ruderboot saßest. Später dachte ich oft, dass du in mir von Anfang an eine Art Beschützerinstinkt geweckt hast – auch wenn ich das nicht sofort erkannt habe.»
«Hast du mich deshalb geküsst, nachdem ich vom Stuhl gefallen bin?» Er ließ sich mit der Antwort Zeit.
«Nein. Das war überhaupt nicht geplant. Ich habe zuvor nicht eine Sekunde lang daran gedacht. Es war eher eine Art Reflex. Ich war selbst total überrascht.»
«Wenn ich nicht schon am Boden gelegen hätte, wäre ich glatt umgekippt», meinte ich und er schmunzelte ein bisschen.
«Weißt du, ich habe keinen Grund, nicht ehrlich zu sein. Wenn ich es geplant hätte, könnte ich es jetzt sagen. Alles, was ich sagen kann, ist, dass ich dich in den Minuten davor anders angeschaut habe als sonst. Ich fand dich auf einmal unheimlich attraktiv. Das hat mich verwirrt. Aber das war echt erst wenige Minuten vor dem Kuss.»
«Und wann warst du verliebt?»
«Ich glaube, direkt danach», erwidert er. «Also nach dem Kuss. Auch wenn ich es nie zugegeben hätte.» Er drehte den Kopf und blickte an die Decke. «Das war schlimm für mich, weißt du. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch dein Lehrer.» Dann schaute er mich wieder an. «Ich hatte mir geschworen, zu jeder Zeit die Hände von all meinen Schülerinnen zu lassen. Das war mir heilig. Und dann kam es einfach so über mich. Ich war vor allem so enttäuscht von mir selbst.»
«Ich habe zu diesem Zeitpunkt schon verstanden, dass du nicht mit mir zusammen sein konntest. Weil es eben nicht sein durfte. Aber ich glaube, ich habe es nie so genau hinterfragt oder mir überlegt, was es für dich wirklich bedeutet.» Ich hielt einen Moment inne. «Jetzt, wo ich mit dir darüber rede, tut mir das sehr leid. Ich glaube, ich habe ziemlich viel Druck gemacht.»
«Ich habe schon gesehen, wie du darum gekämpft hast, mich zu vergessen. Der Druck kam erst am Schluss. Da habe ich manchmal nicht mehr gewusst, was ich machen soll, weil ich dich ja auch so sehr wollte.»
«Deshalb bist du wieder mit Lisa zusammengekommen?»
«Ja. Ich dachte, wenn sie wieder meine Verlobte wäre, könnte ich mich bezüglich dir beherrschen. Aber es wurde alles noch schlimmer, weil ich Lisa mit dir betrogen habe. Und umgekehrt irgendwie auch. Es war manchmal so absurd. Ich war so ein schüchterner Typ und ich konnte mir nicht erklären, wie ich in eine solche Situation geraten konnte. Und dann habe ich mich wieder total geschämt.»
«Wann kamst du wieder mit ihr zusammen?»
«Direkt nach dem Gespräch mit meinem Chef. Nachdem er uns zusammen gesehen hatte, musste ich ja bei ihm antraben. Das hat mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen. Auf einmal stand Lisa in unserer Wohnung und ich habe getan, was ich in dem Moment für richtig hielt.»
«Die Vorstellung, dass du sie küsst und mit ihr schläfst, war furchtbar für mich.»
Er räusperte sich. «So ging es mir, als du mit Felix zusammen warst. Oder die Affäre mit diesem Masseur. Gott, das war schrecklich. Warum hast du das nur gemacht?»
«Eigentlich sollst du ja verhört werden, nicht ich.» Er lächelte ein bisschen. «Aber ich denke, es ist schon ok, wenn ich auch meine Seite erzähle.»
«Nur wenn du kannst. Schließlich geht es um Sebastian, nicht um uns.»
«Ach, Simon. Es geht doch schon lange wieder um uns», seufzte ich. «Ich habe nicht gewusst, was daraus werden soll, wenn ich dich um Hilfe bitte. Ich habe noch nicht einmal gewusst, ob du meinen Hilferuf ernst nimmst und kommst. Jetzt ist es aber so gelaufen und wir haben uns wieder geküsst. Wir können das jetzt nicht mehr einfach zur Seite schieben.» Ich schaute ihn an. «Vielleicht hat das Leben mit uns noch etwas geplant?»
«Es ist noch zu früh», sagte er.
«Ich weiß. Deshalb habe ich mir etwas überlegt.» Er schaute ganz verwundert.
«Und das wäre?»
«Wir haben jetzt Ende Oktober. Ich würde uns beiden gerne ein halbes Jahr Zeit geben. Lass uns ein Treffen vereinbaren Ende April. Bis dahin kannst du dir in Ruhe überlegen, wie es für dich weitergehen soll, ob du diese Trennung wirklich willst und welche Pläne du noch für dein Leben hast. Und ich habe Zeit, um um Sebastian zu trauern ohne schlechtes Gewissen dir gegenüber und vor allem, um alleine meinen Alltag zu meistern und mein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Und dann treffen wir uns und schauen weiter. Was meinst du?»
Er lächelte mich an. «Ich werde dich jeden Tag vermissen. Aber anders. Weil ich weiß, dass es nicht für immer ist. Ich finde es eine gute Idee.» Er schnappte sich sein Handy und blätterte in seinem virtuellen Kalender. «Der dreißigste April ist ein Samstag. Wollen wir uns dann treffen? Um dreizehn Uhr beim Clubhaus am See?»
«Ich werde da sein», versprach ich ihm.
Teil II:
«Zu dem, der warten kann, kommt alles mit der Zeit.»
Simon
Es war seine letzte Nacht bei und mit Hanna gewesen. Der Abschied von ihr war ihm schwergefallen. Obwohl er jederzeit gewusst hatte, dass er kommen würde. Es war kein Abschied für immer. Nur für sechs Monate. Sechs ewig lange Monate. Dann würden sie sich treffen und schauen, wo sie standen. Obwohl er Hanna schon jetzt vermisste, hatte er sich fest vorgenommen, sich auf sich und seine Pläne zu konzentrieren und er freute sich darauf. Klar, vieles würde ihm schwerfallen und es waren keine leichten Pläne. Doch er war voller Tatendrang und fest entschlossen, sein altes Leben hinter sich zu lassen, neu anzufangen und glücklich zu werden.
Die letzte Nacht war ohne viel Schlaf geblieben und Simon fühlte sich noch immer müde, als er am Morgen die Tür zu seiner Wohnung aufschloss. Es war ein seltsames Nachhausekommen. Bald würde hier nicht mehr sein Zuhause sein. Es war früher Sonntagmorgen, am Montag würden seine Ferien vorbei sein und er würde wieder unterrichten. Auch hierfür hatte er Pläne geschmiedet. Jetzt musste er aber zuerst mit Lisa sprechen. Elias schien noch zu schlafen, doch Lisa saß am Küchentisch und trank Tee. Sie sah traurig aus und irgendwie um Jahre gealtert. Es tat ihm leid, dass er sie so kurzfristig, so rücksichtslos und so egoistisch alleine gelassen hatte, fast ohne jede Erklärung.
«Hallo Lisa», sagte er leise. Sie blickte auf, ohne dass ihre Traurigkeit verschwunden wäre.
«Hat sie dich rausgeschmissen?»
«Lisa. Lass uns nicht auf diesem Niveau reden, okay?» Jetzt blickte sie ihn an.
«Du willst also die Scheidung?», fragte sie leise.
«Ja», antwortete er genauso leise.
«Sie hat es also wieder geschafft.»
«Was hat Hanna geschafft? Sie hat ihre grosse Liebe verloren. Sie hat keinen Sinn dafür, sich gleich auf den nächsten einzulassen. Wir sind nicht zusammen, Lisa. Und wir waren es nie. Du hast damals gegen sie ‹gewonnen›, wenn du es so nennen willst. Ich habe damals einen Schlussstrich gezogen und dich geheiratet. Erinnerst du dich? Findest du, unsere Ehe läuft gut? Bist du glücklich?»
«Wir hätten daran arbeiten können», meinte Lisa. Und fügte hinzu: «Ich will mich nicht trennen.»
«Ich verstehe dich nicht. Wir sind beide nicht glücklich, schon lange nicht mehr. Und wir könnten beide die Chance nutzen und noch einmal von vorne anfangen.»
«Aber ich liebe dich», meinte Lisa. Das hatte sie seit Jahren nicht mehr gesagt. Simon seufzte und setzte sich zu ihr an den Tisch. Er hatte Lisa noch immer gerne. Das hatte sich nicht geändert und es fiel ihm schwer, sie offensichtlich zu verletzen – sie schon verletzt zu haben mit seiner plötzlichen Abwesenheit. Es überraschte ihn, dass sie ihm ihre Liebe gestand. Er hatte eher damit gerechnet, dass sie ausflippen würde.
«Liebst du mich? Oder hast du Angst, alleine zu sein?»
«Du machst Elias’ Familie kaputt.»
«Ja, für Elias wird sich vieles ändern. Aber wird es schlechter? Denkst du nicht, für ihn ist es wichtiger, glückliche getrennte Eltern zu haben als unglückliche, die zusammen sind?»
«Ich bin nicht unglücklich.»
«Ich bin es aber. Und das lässt sich jetzt hier nicht mehr ändern. Wir sind völlig festgefahren. Und Lisa: Auch wenn du noch lange das Gegenteil behauptest, du bist doch nicht glücklich. Schau dich an: Du arbeitest nur, du hast keine Freunde, keine Hobbys, wir haben schon seit Jahren nicht mehr wirklich zusammen gesprochen. Von Sex will ich schon gar nicht reden. Ich weiß nicht mehr, wir leben hier beide vor uns hin, kümmern uns um Elias – und verkümmern. Willst du das für den Rest deines Lebens? Sind wir nicht noch immer zu jung dafür?»
«Wir könnten eine Therapie machen.»
«Weißt du, das Krasse daran ist, dass mir diese Idee nie selbst gekommen ist. Wäre sie mir vor ein paar Monaten oder Wochen gekommen, es wäre die Lösung gewesen und ich hätte es unbedingt versucht. Die letzten Wochen haben mir aber deutlich gemacht, was ich wirklich möchte. Für die Therapie ist es zu spät.»
«Du willst Hanna, stimmt’s?» Sie schaute ihn traurig an. Er nickte.
«Ja, ich will Hanna. Aber nicht jetzt und nicht unter diesen Umständen. Ich muss zuerst mein Leben auf die Reihe kriegen. Ich kann erst wieder mit einer Frau glücklich sein, wenn ich es auch ohne sie bin. Deshalb kümmere ich mich jetzt einfach mal um mich. Das habe ich noch nie getan. Und ich freue mich darauf.»
«Das sagst du nur, weil sie dich weggeschickt hat. Weil sie dich nicht will.»
«Nein», erwiderte er. «Sie hat mich nicht weggeschickt. Wir haben das so besprochen und wir werden uns wiedersehen. In ein paar Monaten. Vielleicht klappt es, vielleicht auch nicht. Ich will mir darüber jetzt keine Gedanken machen.» Er schaute sie traurig an. «Lisa. Das mit uns ist vorbei. Ich will nicht sagen, dass es nicht richtig war. Ich mag dich. Sehr. Du warst für eine sehr lange Zeit ein sehr wichtiger Teil meines Lebens. Wir hatten viele schöne Zeiten und wir haben Elias, der uns für immer verbindet. Aber jetzt müssen wir beide unseren eigenen Weg gehen.»
Lisa brach in Tränen aus und Simon griff nach ihrer Hand. Doch sie zog sie weg. Sie nickte fast unmerklich. Sie wusste, dass er sich nicht umstimmen lassen würde. Dass es vorbei war. Simon ließ sie weinen. Er wusste, dass er sie jetzt nicht trösten konnte. Er wusste auch nicht, wie er jetzt weiter vorgehen konnte. Das lag alleine an Lisa. Wenn sie gehen wollte, würde er sie lassen. Wenn sie wollte, dass er ging, würde er gehen. Sie alleine sollte entscheiden. Er verließ für eine Weile die Küche und ließ sich im Wohnzimmer auf dem Sofa nieder. Elias schlief noch immer. Er würde auch ihm das alles erklären müssen. Obwohl ihm so viele schwierige Aufgaben bevorstanden, fühlte er sich gut. Er hatte den Eindruck, dass seine Entscheidung richtig war und er fühlte sich auf eine seltsame Weise befreit.
Hanna
Als erstes holte ich Julia bei meinen Eltern ab. Die letzten Wochen war sie abgeschottet gewesen von der ganzen Trauer – und auch von dem sonderbaren Zustand im Haus mit Laura und Simon. Ich hatte sie so oft es ging und so oft ich die Kraft dazu hatte bei meinen Eltern besucht, hatte Ausflüge mit ihr gemacht und hatte mit ihr geredet. Julia war etwas mehr als vier Jahre alt. Sie konnte den Tod ihres geliebten Vaters nicht so ganz erfassen, sie verstand jedoch genau, dass er nicht zurückkommen würde. Sie hatte viele Fragen gestellt, und ich hatte versucht, sie ihr so wahr wie möglich zu beantworten. Mir war wichtig gewesen, dass Juli mich nicht in großer Not erlebte. Sie sollte sehen, dass ich traurig war – aber meine zeitweise totale Handlungsunfähigkeit und meine Verzweiflung wollte ich vor ihr verbergen.
Nachdem Simon gegangen war, wollte ich mit Julia einen neuen, geregelten Alltag leben. Das war mein erstes Ziel. Simon und ich waren beide damit einverstanden, dass wir es zunächst ohneeinander schaffen mussten und ich wusste, es war richtig so. Und doch vermisste ich nicht nur Sebastian, sondern zunehmend auch ihn. Was mein schlechtes Gewissen natürlich befeuerte.
Nach einer Pause von über einem Monat besuchte Julia zum ersten Mal seit Sebastians Tod wieder ihren Kindergarten. Sie ging fröhlich und voller Vorfreude hin und ich war überzeugt davon, dass Julia dieser Schritt zurück in die Normalität guttun würde. Ich arbeitete seit meinem Rücktritt vom Spitzensport in der Kommunikationsabteilung des Triathlonverbandes. Selbst hatte ich mich im Hintergrund gehalten. Ich hatte die Nase voll gehabt von medialer Aufmerksamkeit und Interviews. Ich war nicht nur allein für die Kommunikation des Verbandes zuständig, sondern kümmerte mich auch häufig um die Sportler selbst, organisierte Reisen oder Hotels, begleitete sei zu Wettkämpfen. Es machte mir großen Spaß und ich konnte sehr viel von meinen eigenen Erfahrungen einbringen.
Allerdings schaffte ich es jetzt noch nicht zurück an meinen Arbeitsplatz, doch ich war beurlaubt worden, solange ich wollte – ich wusste, ich konnte jederzeit wieder zurückkehren und mein Platz würde für mich freigehalten. Das war sehr beruhigend und so konnte ich mir alle Zeit nehmen, die ich brauchte.
Simon
Nach einer Weile trat Lisa ins Wohnzimmer. «Wie geht es jetzt weiter?»
«Das liegt alleine bei dir», erwiderte Simon. «Entscheide du, ob du die Wohnung behalten willst oder ob du dir etwas Neues suchen möchtest. Du kannst auch sagen, wann ich Elias sehen kann. Mir ist nur wichtig, dass ich ihn regelmäßig sehe. Dafür werde ich einstehen, egal, was passiert.»
«Ich möchte hierbleiben. Elias soll nicht auch sein Zuhause verlieren und ich möchte gerne, dass er bei mir wohnt.» Simon hatte geahnt, dass sie diese Entscheidung treffen würde. Er konnte nur hoffen, dass sie ihm nicht den Umgang mit seinem Sohn verbot. Den er sich zwar niemals verbieten lassen würde – doch er wollte keine schmutzigen Schlachten schlagen vor irgendeinem fremden Richter, und er wünschte sich, dass er und Lisa alles einvernehmlich regeln konnten.
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