Kitabı oku: «Woanders am Ende der Welt», sayfa 9

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8. Von einer Maus und einem Rat

Unterhalb der Kathedrale, die dem heiligen Corentin geweiht war, erstreckte sich die Fußgängerzone von Quimper mit ihren schiefen Fachwerkhäusern und den verwinkelten Plätzen; hier steuerte Marie den großen Marktplatz an. Jenseits der Markthalle lag ihr Treffpunkt mit Isabelle.

Die saß schon an einem der bunten Tische am Ufer des Steir und winkte ihr zu. Die Freundinnen gaben sich die bises. »Schön, dass du so spontan kommen konntest«, sagte Marie dann. »Ich hoffe, Momo ist nicht sauer darüber, dass du ihn im Laden allein lässt?« Isabelles unsteter Lebenspartner war zugleich ihr Geschäftspartner. Die beiden hatten einen kleinen Laden, in dem sie hochwertiges Kunsthandwerk und Wohnaccessoires aus Marokko verkauften.

Isabelle zog einen Flunsch. »Oh, ich habe ihm keine Wahl gelassen. In letzter Zeit ertrage ich ihn kaum mehr.«

»So schlimm?«

»Sagen wir es mal so: Hast du das Sternzeichen deines Nachbars für mich herausgefunden?«

Maries kritische Augenbraue zuckte nach oben, sie wollte schon mit ihrer neuesten Entdeckung loslegen, aber da kam die Bedienung und kaum, dass sie bestellt hatten, verkündete Isabelle, sie müsse auf die Toilette.

Ihr Handy hatte Isabelle auf dem Tisch liegen gelassen. Marie griff danach; sie hatte ihres nicht mit, denn sie hatte mit einer Entziehungskur begonnen. Sie ertrug es selbst nicht mehr, wie sie zigmal am Tag – nein, wenn sie es bei sich hatte, zigmal pro Minute auf das Display starrte, in der absurden Hoffnung, er würde sich melden … Ah, Sylvain. Sie verstand selbst nicht, warum etwas in ihr an ihm festhielt.

Marie wusste die Nummer der Schifffahrtsgesellschaft Penn ar Bed auswendig. Sie reservierte einen Platz für die Acht-Uhr-Überfahrt zur Insel Sein in zwei Tagen und rief danach gleich ihren papy an, um ihm ihren baldigen Besuch anzukündigen.

»Das ist aber schön!«, freute sich Erwann Cadiou.

»Ich freue mich auch«, gab Marie aus tiefstem Herzen zurück.

»Ich wollte dich schon längst sehen, aber ich hatte so viel zu tun mit

Elodies Haus …«

»Das kann ich mir denken. Und gibt es sonst etwas Neues? Von dem unseligen Syl…«

»Ein Nachbar. Ich habe einen neuen Nachbar«, unterbrach Marie ihren papy schnell. »Oh papy, es ist schrecklich! Dieser Mann ist Deutscher, und er ist – wie soll ich sagen – eine unhaltbare Lebenszumutung!«

In diesem Moment kam Isabelle zurück, die den letzten Satz ihrer

Freundin aufgeschnappt hatte und sich kopfschüttelnd setzte.

»Ein Deutscher, der eine unhaltbare Lebenszumutung ist, soso«, hörte Marie ihren papy neugierig und eher amüsiert sagen.

»Es ist wahr!«, protestierte sie. »Er hat meine Hortensien überfahren und dann fast mich selbst, bevor er meine Lieblingsbucht okkupiert und mich mit einer Meeresschnecke beschossen hat, und – was gibt es da zu lachen?«

»Die Liste der Missetaten war etwas komisch«, gab ihr papy zurück und Marie meinte, ihn schmunzeln zu sehen. Unwillkürlich schmunzelte sie mit. »Ich finde die Situation aber gar nicht komisch«, beteuerte sie. »Heute hat der Deutsche Nazi-Bunker auf dem MénezHom fotografiert. Der ist mir unheimlich, ich will den loswerden!«

»Gib mal den Hörer«, hörte Marie eine bekannte Stimme aus dem Hintergrund. Paul, der beste Freund ihres papys, war also bei ihm. Im nächsten Moment sprach Paul in den Hörer: »Du willst einen Deutschen loswerden? Sehr gut, das ist alte bretonische Tradition!«

»Naja, seit siebzig Jahren nicht mehr, aber ich habe gute Gründe«, gab Marie etwas vorsichtiger zurück. Sie dachte an Pierre. Nein, sie war bestimmt keine, die Deutsche »boches« nannte.

»Du weißt doch, was die Résistance damals gemacht hat«, fuhr

Paul unbeirrt fort. »Sabotage! Telefonkabel durchschneiden, Reifen von deutschen Fahrzeugen durchstechen, Züge entgleisen lassen und so weiter …«

»Paul, du hast mir oft genug von der Résistance und deinen Brüdern erzählt, aber …«

»Kein aber, wenn du ihn ernsthaft loswerden willst. Und wenn der

Mann die alten Gefechtsbunker fotografiert, dann ist das seltsam.«

»Ich weiß; aber ich kann dem Typ doch nicht einfach die Reifen seines Porsches durchstechen. So ein Protzauto fährt der nämlich. Der zeigt mich an und ich lande hinter Gittern.«

»Du kannst uns mehr von deinem Nachbar erzählen, wenn du bei uns bist«, sagte ihr papy, der den Hörer wieder an sich genommen hatte. »Bis dahin, lass seine Reifen bitte heil und ihn selbst am Leben.«


»Sabotage – du wirst alt, mein Freund, und vergisst wohl, welches Jahrtausend wir haben«, bemerkte Erwann dann, nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hatte.

»Das tue ich nicht! Ich bin absolut klar im Kopf, auch wenn die

Gelenke nicht mehr so wollen«, hielt Paul dagegen.

»Dann solltest du Marie keinen Floh ins Ohr setzen. Du kennst sie, sie ist so impulsiv. Nachher macht sie wirklich irgendwelchen Unsinn«, gab Erwann zu bedenken.

»Und wenn schon«, knurrte Paul, »das kann dem boche doch nicht schaden. Ein Mann, der sich für die Gefechtsstationen der Nazis auf dem Ménez-Hom begeistert, pah!«

»Ein Tourist, der überraschend alte Kriegsanlagen entdeckt hat, das denke ich eher. Ist doch immer spannend, Ruinen und so etwas zu finden. Ich wusste gar nicht, dass da noch etwas zu sehen ist, du?«

Paul zuckte die Achseln.

Erwann versank im Nachdenken. Dann schüttelte er den Kopf.

»Diese jungen Menschen von heute, die wissen gar nicht mehr, was diese Anlagen bedeuteten.«

»Hm.« Paul schob die Unterlippe vor. »Bald sind wir tot, und dann weiß es niemand mehr. Nur noch die Geschichtsbücher, und die liest keiner.«

»Ist heute schlimm, mit deiner Arthritis, wie? Mein armer Alter. Komm, lass uns an den Strand gehen, die Sonne genießen«, Erwann klopfte Paul aufmunternd auf die Schultern.

»Ist gut, Erwann«, brummte Paul. Sie hakten sich ein, damit Paul sich mit seinen schlechten Knien auf Erwann stützen konnte. Fridu, Erwanns bretonischer Spaniel, sprang Möwen jagend um sie her, als sie langsam in Richtung Strand liefen. Zwei alte Männer und ein junger Hund, auf den Quais der Île de Sein.


»Sag mal, was hast du da von deinem süßen Nachbar erzählt, das mit den Bunkern?«, fragte Isabelle ungläubig, sobald Marie das Telefonat beendet hatte.

Die Bestellung kam, ein Crumble und zwei Latte Macchiato aus in Quimper geröstetem Kaffee. Marie wartete, bis die Bedienung sich wieder entfernt hatte, dann brach es aus ihr heraus: »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Ich war auf dem Ménez-Hom wandern; und er war zufällig auch da; das heißt, für ihn war es eben gar kein Zufall, nein, der wusste bestimmt, was er auf dem suchte: Da sind Reste von Bunkern, Isabelle, von Gebüschen überwuchert, und ich habe es noch nie bemerkt! Er schon. Er fotografierte, einen Bunker nach dem anderen, aus allen Perspektiven, systematisch. Er wirkte regelrecht high dabei. Ich will nicht neben so einem wohnen!« Marie machte eine brüske Protestgeste mit ihrem Kaffeelöffel, so dass der Milchschaum ihrer Freundin ins Gesicht spritzte.

»Danke«, meinte Isabelle und wischte sich mit der Papierserviette ab. »Du bist ja nicht besser als dein Deutscher mit seiner Meeresschnecke.«

»Mein Deutscher? Jetzt hör endlich auf! Du hast doch gehört, der ist ein Nazi!« Maries Augen funkelten zornig.

Doch Isabelle kannte diese Ausbrüche ihrer Kindheitsfreundin und meinte nur: »Iss erstmal deinen Crumble, sonst wird er kalt. Dann erzähle ich dir solange, was Momo diesmal verbrochen hat.«

Der Crumble war zu lecker, um ihn erkalten zu lassen; schicksalsergeben schob Marie sich den ersten Löffel in den Mund, Flap Jack-Stücke, verrührt mit einem Kompott aus roten Früchten, Apfelstücken und Walnüssen … Langsam und genüsslich aß Marie ihre Nervennahrung, während Isabelle ihr im Grunde nichts Neues erzählte. Momo hatte sich mit einer anderen Frau getroffen, obwohl er mit Isabelle verabredet gewesen war, und so weiter und so weiter … Marie schloss die Augen, als sie den letzten Bissen der Köstlichkeit in den Mund schob. Als sie sie wieder öffnete, sah sie in die traurigen Augen ihrer Freundin, die mit ihrem Bericht fertig war. »Was soll ich sagen?«, fragte Marie ertappt, aber mitfühlend.

»Seitdem du mit Momo zusammen bist, kannst du dich nicht dazu entscheiden, ihn zu verlassen. Mach Schluss, Isabelle, ein für alle Mal. Wie lange willst du dich noch mit ihm herumquälen?«

»Ich weiß, es wäre Zeit für etwas Richtiges, etwas Ernstes. Wenn die magische Schwelle der dreißig einmal überschritten ist … Komisch, ich fühle mich noch gar nicht so uralt. Aber meine Eltern sehen in mir eine alte Jungfer – da sie ja Momo geflissentlich übersehen –, und was die Produktion von Enkelkindern betrifft, bin ich für sie längst ein hoffnungsloser Fall.«

Marie streckte die Hand nach der ihrer Freundin aus. »Sprich nicht so bitter. Du hörst dich gar nicht an wie du selbst. Eltern sind manchmal bescheuert. Ich kenne das.« Sie wechselte das Thema und berichtete von Pierres schockierendem Annäherungsversuch.

Isabelle sah nicht sonderlich überrascht aus und murmelte nur ein paar Teilnahme ausdrückende Worte. Dann runzelte sie die Stirn und fragte: »Dieser mysteriöse Nachbar – wie heißt der eigentlich?«

»Florian«, seufzte Marie abwehrend, »aber warum fängst du schon wieder von dem an?«

»Flori-yann?«, hakte Isabelle nach.

»Du weißt doch, die Deutschen haben keine Nasale.«

»Floriyann, das ist hübsch. Und du bist sicher, dass du den nicht insgeheim magst und dass er der Richtige ist, du weißt schon, der Mann fürs Leben der Wahrsagung?«

Marie verschluckte sich an ihrem Kaffee.

»Ich meine, du bist so betroffen darüber, dass Florian ein Nazi sein soll«, beharrte Isabelle.

Marie hörte endlich auf zu husten und brachte hervor: »Du bist unverbesserlich! Ich habe dir x-mal gesagt, dass ich an Hellseherei und Schicksal nicht glaube; und abgesehen davon: Die Wahrsagerin prophezeite mir einen Mann, der mir immer schon nahe gewesen sein soll; aber wo kommt Florian her? Aus Deutschland. Das ist nicht gerade nah, oder? So, reicht dir das? Lässt du mich jetzt mit dem Nazi in Ruhe? Oder willst du noch immer sein Sternzeichen für den Eigenbedarf?«

»Jetzt bist du es, die viel zu sarkastisch klingt. – He, lass uns das Leben genießen! Lass uns mal wieder tanzen gehen! Das haben wir ewig nicht mehr gemacht, und Sonntag ist der 14. Juli! Da gibt es das ganze Wochenende überall Fest Noz. Wie wär’s: Ich komme auf deine Halbinsel, und du suchst aus, wo wir hingehen.«

»Tanzen?«

»Aber klar!« Isabelle lachte. »Und heute kaufen wir dir einen heißen Fummel.«

So klapperten die Freundinnen, nachdem sie das Café verlassen hatten, ein Geschäft nach dem anderen ab und probierten die verrücktesten Kleider an, manche nur so, zum Spaß, weil sie sie so furchtbar fanden. Dann hatte Marie »ihr« Kleid gefunden, fand Isabelle. Marie stand vor dem Spiegel und zupfte am Dekolleté herum.

»Ich komme mir ein bisschen nackt vor«, stellte sie fest und zog eine

Schnute.

»Du siehst toll aus, in Rot«, versicherte Isabelle, »grandios! Da fangen die Kerle gleich an zu sabbern.«

»Dann nehme ich es garantiert nicht

»Klar nimmst du’s.«

Am Ende kaufte Marie wirklich das rote Kleid. Es würde ohnehin abends frisch sein, da konnte sie ein Jäckchen überziehen.

Zum Abschied nahmen die Freundinnen sich lange in die Arme.

»Du«, hob Marie zaghaft an, bevor sie sich vor der Kathedrale endgültig trennten.

»Ja?«

»Meinst du, Florian ist wirklich ein Nazi?«

»Nein, Marie. Ich habe den Mann gesehen. Der sah vollkommen harmlos aus.«

»Jaja, und süß, hast du gesagt«, spottete Marie. »Er hat trotzdem diese Bunker fotografiert.«

»Vielleicht interessiert er sich für Geschichte«, schlug Isabelle eine

Erklärung vor.

»Eben – für Nazi-Geschichte«, bestätigte Marie.

»Wenn du dich in eine Idee verbohrst, ist es sowieso egal, was ich sage. Du bist ja so stur!« Isabelle stemmte die Hände in die Hüften.

Marie machte eine Grimasse. »Ich bin nicht stur. Ich will nur nicht neben einem Nazi wohnen. Übrigens ist er vom Dach gefallen und ich musste ihn auch noch verbinden.«

»Ach, und das erfahre ich erst jetzt?!«

»Was sollte ich tun, er blutete, da musste ich helfen. Jetzt bereue ich es beinahe. Soll ich tatsächlich anfangen, ihn zu sabotieren? Ich frage mich, wie ich das machen sollte.«

»Marie, du spinnst«, schimpfte Isabelle. »Du verurteilst den armen Florian, ohne ihn im Geringsten zu kennen. Ich sehe ein, dass es heikel wäre, ihn direkt nach seinen politischen Gesinnungen zu fragen. Andererseits – ich würde erstmal abwarten. Mir allmählich ein Urteil bilden. Ich meine – ich weiß auch nicht. Behalte ihn einfach erstmal im Auge.«

Behalte ihn im Auge – diesen Rat fand Marie gar nicht mal schlecht, als sie später auf der Heimfahrt darüber nachdachte.


Florian wachte auf und streckte sich. Er war nach seiner Wanderung auf dem Ménez-Hom erschöpft auf der Couch eingeschlafen. Jetzt hatte er Hunger. Er schlurfte in die Küche und öffnete den Küchenschrank. Zwei schwarze Äugelein. Dann war die Maus hinter seine Vorräte gehuscht.

»Scheiße«, schrie Florian und begann hastig, den Küchenschrank auszuräumen. Wo war das Viech hin? Bei jedem Griff in den Schrank hatte er Angst, es werde hinterrücks zubeißen. Da war sie! Der Schrank war fast leer, die Maus konnte sich nicht mehr verstecken. Nur noch das Glas mit dem alten Kaffeepulver, und dann – für den Bruchteil einer Sekunde sahen Maus und Mensch sich in die Augen. Dann rannte die Maus panisch los, nach rechts, nach links, sie fand keinen Ausweg, Florian näherte seine Hand zögernd dem Schrank, da schoss die Maus auf ihn los, machte einen Satz auf seine Schulter, er spürte ihre kralligen Pfötchen seinen Arm hinabhuschen, dann sprang die Maus wie ein Geschoss auf die Spüle, von der Spüle auf den Boden, ehe sie in der Ritze zwischen Küchenschrank und Hauswand verschwand.

Florian stolperte zurück und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen.

»Horror«, stieß er aus. Dann schnappte er sich sein Wörterbuch und rannte aus dem mäuseverseuchten Haus.

In dem Garten mit dem duftenden Blumenmeer spazierten wie stets Hühner umher. Immerhin attackierten die einen nicht, dachte Florian. Er klopfte heftig an Yvonnes Haustür. »Bonjour«, grüßte die alte Dame und sah ihm fragend in sein bestürztes Gesicht.

Maus, Florian suchte das Wort hastig im Wörterbuch. »Souris!«, stieß er aus, »dans ma maison!«

»Ah ça, c’est moche«, Yvonne Le Roux schüttelte den Kopf.

»Und was mache ich jetzt?«, fragte Florian verzweifelt.

»Vous avez besoin d’une trappe«, sagte die alte Dame.

Besoin, brauchen, aber was hieß trappe? Er fand das Wort, es hieß Falle. »Ja klar«, jammerte er, »aber wo kriege ich eine Falle her? Ich habe so etwas noch nie gemacht. Gibt es zumindest Lebendfallen in Frankreich?« Er suchte das Wort »Lebendfalle«, während Yvonne geduldig wartete, fand es aber im Wörterbuch nicht.

»Il y a des trappes au supermarché, je pense. Ou bien au bricomarché. Il y en a un à Châteaulin«, überlegte Yvonne.

»Bricomarché, Châteaulin, alles klar«, rief Florian aus. »Merci!« Der Baumarkt von Châteaulin war ausgeschildert, Florian fand

ihn zum Glück ohne Schwierigkeiten. Als er dann aber vor dem Regal stand, zu dem ein Angestellter ihn geführt hatte, gingen die Probleme erst recht los. Er fühlte sich überfordert. Ein Fach vor ihm war leer. Vielleicht waren darin die Lebendfallen gewesen. Im Fach daneben lagen die guten alten Schnappfallen. Er stellte sich vor, wie er die Mauseleiche entsorgen musste, das könnte er niemals tun. Der Fallentyp im dritten Fach sah schließlich nach Bastelbogen aus. Ein flaches Stück Pappe. Florian war vollkommen unklar, wie die Pappfalle funktionieren sollte. Doch sie konnte kaum so brutal wie die Schnappfalle sein, und er musste eine Falle kaufen. Also nahm er die Pappfalle mit an die Kasse.

Zuhause angekommen, öffnete Florian die Verpackung und sah sich den Zettel an, der den Aufbau der Falle erklärte. Es war ganz einfach: Man musste die Pappe an drei Falzstellen falten und zu einer Röhre zusammenfügen. Dafür waren Klebestellen vorgesehen. Nachdem er einen Streifen Schutzfolie entfernt hatte, begriff Florian: Das war der Boden der Röhre, deshalb mit einem Klebefilm bedeckt. Nicht schlecht. Wenn die Maus darauf festpappte, konnte man sie in der Falle nach draußen in ein Feld tragen und wieder befreien. Er legte ein Stück Käse in die Pappröhre und legte sie auf den Küchenboden. Dann ging er ins Wohnzimmer und wartete.

Nicht lange, und ein entsetzliches Geräusch ließ ihn hochfahren: Die Maus schrie. Sie schrie schrill und fiepte – er hatte noch nie im Leben etwas Herzzerreißenderes gehört! Die Maus schrie um ihr Leben.

Florians Herz schlug wild. Was sollte er machen? Er traute sich kaum in die Küche. Aber er musste!

Die ganze Falle bebte und zuckte auf dem Küchenboden. Die Maus war so leicht gewesen, dass sie nicht in der Mitte der Pappröhre festgeklebt war. Mit den Vorderpfoten hatte sie es nach draußen geschafft, nur das Hinterteil klebte fest. Das Stück Käse hatte sie fallengelassen und sie versuchte, sich mit den freien Pfoten aus der Falle zu ziehen – vergeblich!

Florian kam sich schändlich vor. Etwas musste geschehen. Er konnte das Tier nicht so leiden lassen. Er griff nach den neuen Spülhandschuhen und suchte die Schere. Er zog die Handschuhe über, er wollte die Maus nicht berühren, und hob die Falle samt Maus vorsichtig hoch. Mit der Schere in der anderen Hand eilte er nach draußen.


Marie fuhr am Hof des Nachbarhauses vorbei. Er war zuhause, da stand unübersehbar das Protzauto. Sie fuhr weiter, parkte hinter der Kurve am Feldrand. Sie stieg aus und ging an den Kofferraum, um den Wanderrucksack und die Tüte mit dem neuen Kleid herauszuholen. Doch dazu kam sie nicht. Sie erstarrte. Mitten im Feld hockte er, Florian. In seiner rosa behandschuhten Rechten hielt er eine Schere – und in der anderen Hand, der mit dem Verband, hielt er etwas Längliches, von dem ein fiependes Mäuschen baumelte. Sadist war er auch noch!

Sie schoss auf den Unhold los. »Was machen Sie?«, rief sie aus, bebend vor Emotionen.

Der Deutsche blickte zu ihr auf, ohne das Stück Pappe mit der Feldmaus loszulassen. »Helfen Sie mir«, bat er. »Die Maus zappelt so, ich habe Angst, sie zu verletzen.«

»Was machen Sie?«, fragte Marie noch einmal, diesmal perplex.

»Sie ist festgeklebt, ich will sie befreien«, erklärte Florian. »Können

Sie die Pappe festhalten? Dann kann ich besser schneiden.«

Marie hockte sich ebenfalls hin und nahm das Stück Pappe, von dem die arme Maus zappelte. Ihr fehlten die Worte.

Jetzt, wo er beide Hände frei hatte, gelang es Florian, mit vorsichtigen Schnitten das klebende Pappstück um die Maus Stück für Stück zu verkleinern. »Sie ist hübsch, nicht?« Er sah Marie an.

Die Maus war klein und braun mit weißem Bauch. Ihre Öhrchen waren fast durchscheinend zart, ihre Augen groß und schwarz. Marie lächelte. »Bien!«, rief sie dann lobend aus. Der Maus war es durch eine ruckartige Windung ihres Körpers gelungen, die Hinterpfoten von der Pappe zu befreien. Nun blieb von der Falle nur noch ein dünner Streifen, der an der Schwanzwurzel des Tiers festklebte.

Florian hielt inne. »Das kriege ich nicht ganz weg, fürchte ich.« Er sah fragend Marie an.

»Noch ein bisschen«, sagte sie.

»Und wenn ich ihr wehtue?«

»Wir tauschen.«

Florian mühte sich, seinen Handschuh auszuziehen, und reichte ihn Marie.

»Nicht für mich«, sagte sie ungeduldig.

Es ließ sich nicht vermeiden, dass sich ihre Finger berührten, als er ihr den dünnen Pappstreifen abnahm. Marie riss sich zusammen, um sich ganz auf die Maus zu konzentrieren. Mit ruhiger Hand schnippelte sie so lange um die Verklebung im Fell des Tierchens herum, bis das Pappstück nicht breiter als der Mauseschwanz war.

»Nach unten«, dirigierte sie Florian. Der senkte die Hand, die Maus wand sich und zappelte wilder. Mit einem Schnappen der Schere zertrennte Marie die Pappe ganz dicht am Schwänzchen, die Maus schoss davon.

»Uff«, stöhnte Marie, stand auf und dehnte sich.

»Au revoir, Maus«, sagte Florian, der sich gleichfalls erhob. Marie reichte ihm die Schere. Eine verlegene Pause entstand.

»Warum haben Sie die Falle gekauft, wenn Sie die Maus rennen lassen?«, fragte Marie dann.

»Sie ist auf mich gesprungen, aus dem Küchenschrank. Die Maus, nicht die Falle, ist ja klar.« Was redete er da für einen Unsinn, dachte Marie sich, ohne zu ahnen, dass Florian sich soeben dieselbe Frage stellte. Laut fuhr er fort: »Ich musste irgendetwas machen, aber Lebendfallen gab es nicht.«

»Lebendfallen?«

»Kennen Sie das nicht? Die Maus geht in die Falle, man trägt sie raus und lässt sie laufen, ohne diese Klebergeschichte.«

»Und die Maus geht vom Feld zurück in das Haus.« Marie nickte ironisch.

»Nein, wieso?«, ereiferte sich Florian. »Die Maus hat eine negative Erfahrung gemacht, sie will nicht noch einmal in eine Falle geraten, also kehrt sie nicht in das Haus zurück.«

»Sie geht in das Haus der Nachbarin«, Marie grinste.

»Ich hoffe nicht«, sagte Florian ernst.

»Hm. Vergessen Sie nicht Ihre schönen Handschuhe«, sagte Marie, drehte sich um und ließ Florian stehen.

Während sie im Haus in ihre charantaises schlüpfte, fiel ihr auf, dass sie den Rucksack und das Kleid im Auto vergessen hatte. Egal, später! Sie wollte diesem Florian nicht noch einmal begegnen. Wie hatte Isabelle ihn genannt? Den mysteriösen Deutschen. Nicht ganz unpassend, er war wirklich nicht zu ergründen. Ein Nazi, der keine Maus töten wollte? Was sollte sie davon halten? Einmal mehr hatte er sie völlig aus dem Konzept gebracht.

Nun, es gab einen Weg, der Verwirrung ein Ende zu bereiten. Sie musste tun, was Isabelle ihr geraten hatte. Sie musste ihn im Auge behalten. Konsequent gedacht hieß das, sie würde ihn beschatten. Gleich morgen. Um zu sehen, ob er wieder auf die Suche nach NaziBunkern gehen würde.


Nach dem Abendessen telefonierte Florian längere Zeit mit Boris. Der hatte den Karmann Ghia aus der Werkstatt geholt und schlug sich wacker mit dem Hausbau für die gute Frau Breidenstein herum. (Flachgelegt, wie er es charmant ausdrückte, hatte er die bislang noch nicht.) Von Katharina hatte Boris nichts zu melden, wollte aber wissen, ob Florian schon »eine bretonische Mieze gerissen« habe. Er habe schließlich ein Anrecht auf Spaß, wo Katharina ihn betrogen habe. Danach sprachen sie noch über das Haus in Mengleuff, und Boris sagte vorsichtig, er werde darüber nachdenken, ob ein Verkauf für ihn in Frage käme.

Nachdem Florian das Telefonat beendet hatte, fragte er sich, ob es nicht einfacher wäre, so unromantisch zu sein wie Boris. So ungebunden wie er. Nehmen, was man kriegen kann, keine Verpflichtungen eingehen. Aber könnte er das? Unwillkürlich musste er an Marie denken. Eine schöne Frau. Sexy (sogar, wenn sie schreckliche alte Pyjamas und Opi-Pantoffeln trug). Eine interessante Frau, temperamentvoll und schlagfertig – ein wenig zu sehr sogar, wenn man es genau nahm. Wäre er Boris, er würde sie anmachen. Wäre er Olivier, würde er draguer. Aber wie kam es, dass beide angebliche Frauenhelden allein waren?

Nein, er war nicht Boris und auch nicht Olivier. Er war … noch Katharinas Mann; und außerdem ein Enkel, der seiner Oma ein Versprechen gegeben hatte. Er holte ihre Kladde.

Aber es war ein Fehler, darin weiterzulesen. Anstatt ihn zu beruhigen, ihn müde zu machen, alarmierte die Lektüre ihn und machte ihn hellwach. Er wollte Olivier anrufen, sofort, aber dazu war es zu spät; dabei musste er ihn fragen, wo es auf Crozon solche Grotten gab. Dann fiel ihm Boris’ Reiseführer ein. Er holte ihn, und nach einigem Herumblättern fand er tatsächlich einen Hinweis auf Seegrotten, bei Morgat. Bei Morgat, das zu Füßen des Cap de la Chèvre lag. Marlene musste einst durch Morgat gekommen sein, um von da auf das Cap zu wandern – wo Traute dann von der Steilküste gestürzt war, nach dem ausgiebigen Genuss alkoholischer Getränke in dieser Bar, dem Chez Gégé. War seine Oma danach noch einmal in den Ort mit den berühmten Seegrotten zurückgekehrt, diesmal mit ihrer verbotenen Liebe?

Florian schlug den Reiseführer zu und stierte finster vor sich hin. Seine Ausflugsziele für morgen standen fest.

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