Kitabı oku: «Rosaleen Norton», sayfa 3

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KAPITEL EINS

Die Tochter des Pan

Als würde das Schicksal die spektakulären Ereignisse ihres späteren Lebens vorwegnehmen, wurde Rosaleen Norton in Dunedin, Neuseeland, während eines heftigen Gewitters geboren. Es war am 2. Oktober 1917 gegen 4.30 Uhr morgens, und wie Norton später erzählte, war dieses Gewitter vielleicht der Grund dafür, warum sie eine zeitlebens anhaltende Schwäche für Stürme und die Nachseite des Lebens entwickelte. „Stürme bewirken in mir ein merkwürdiges Gefühl der Begeisterung, ja fast der Trunkenheit, “ erinnerte sie sich im Jahre 1957. „Die Nacht ist für mich die Zeit, in der alle meine Sinne alarmiert sind; ich mich wacher fühle als sonst und am besten funktioniere. Diese Idiosynkrasie war ein ständiger Grund für Auseinandersetzungen mit meiner Mutter, denn mich zum ins Bett gehen zu überreden war für sie keine einfache Aufgabe – genauso wenig wie mich morgens aufzuwecken.“ Rosaleen Norton war als die jüngste von drei Schwestern von Anfang an ein unkonventionelles Kind. Cecily und Phyllis waren zwölf und zehn Jahre älter als sie. Die Familie gehörte der Britisch-Orthodoxen Kirche an, und Norton beschreibt ihre Eltern als „nicht tief religiös, aber gottesfürchtig.“ Für sie war das Befolgen religiöser Vorgaben „mehr eine Frage der Gewohnheit denn persönliche Überzeugung und ihr sporadischer Besuch des Gottesdienstes mehr ein Zeichen der Höflichkeit als alles andere.“1

Nortons Vater Albert Thomas Norton, der aus England stammte, war als Kapitän mit großem Patent bei der neuseeländischen Dampfschifffahrtsgesellschaft tätig und seit seiner Zeit als Deckhand im Alter von 16 Jahren zur See gefahren. Viel später dann, als Italien im Jahre 1940 in den Zweiten Weltkrieg eintrat, wurde er Kapitän auf der Remo, einem italienischen Schiff, das in Melbourne stationiert und als Kriegsbeute wieder in Dienst gestellt worden war. Auch in den 1920er Jahren war er oft sehr lange auf See und besuchte Orte wie Vancouver, San Francisco und die pazifischen Inseln. In Anbetracht seiner häufigen Reisetätigkeit war man der Ansicht, dass Sydney für diese Fahrten ein besserer Ausgangspunkt sei als Dunedin, sodass die Nortons im Juni 1925 nach Australien auswanderten und sich in Lindfield am Nordufer Sydneys niederließen. Die Familie lebte in einem solide gebauten Backsteinhaus in der Wolseley Street, auf der westlichen Seite der Stadt und unweit der Bahnlinie. Die Nortons waren recht wohlhabend, und wie Rosaleens Schwester Cecily sich später erinnerte, führten sie ein glückliches und komfortables Leben – ihr Zuhause war ein Ort „voller Tiere, Musik und Bücher.“ Albert war ein warmherziger und freundlicher Mann und der Vetter des Komponisten Ralph Vaughan Williams, dem er äußerlich auch ähnlich sah. Doch wegen seiner längeren Aufenthalte auf See fiel die tägliche Pflicht der Kindererziehung notwendigerweise seiner Frau Beena zu, welche sich dieser Aufgabe als verantwortungsbewusste Mutter auch ganz und gar widmete.


Rosaleen im Alter von fünf Jahren

Cecily und Phyllis neigten dazu, ihre jüngere Schwester zu verhätscheln und zu verwöhnen, sodass sich die kleine Rosaleen daran gewöhnte, stets ihren Willen zu bekommen, was nicht verwunderlich war. Für Beena war es manchmal schwer, sie unter Kontrolle zu halten, doch sie liebte ihre Jüngste abgöttisch; und obgleich Rosaleen sich vielleicht ein wenig unterdrückt gefühlt haben mag, gibt es keinen Zweifel, dass sie ihre Mutter sehr mochte. Ein Brief, den sie einmal im Urlaub an ihre Mutter schrieb, begann mit den Worten: „Meine allerliebste, wertvollste Mami … “ und war am Rande mit gezeichneten Küssen versehen. Später jedoch beschrieb sie ihre Mutter als eine „konventionelle, hoch emotionale Frau, die viel zu sehr mit ihrer Familie beschäftigt war“, und in einem Interview im Jahre 1949 mit dem Psychologen L.J. Murphy an der University of Melbourne stellte sie ihre Mutter als eine „sehr schwierige Frau“ dar, „die hysterisch, emotional und besitzergreifend war.“ Auf ihre Kindheit zurückblickend schien es, dass Norton einen Groll gegen ihre Mutter hegte, weil diese, wie sie es ausdrückte, „nicht mit fairen Mitteln kämpfte.“ Nach Nortons Ansicht war sie regelmäßig in Tränen ausgebrochen, hatte beteuert, wie sehr sie ihre Tochter liebte und sie dadurch dazu gedrängt, die Dinge so zu machen, wie sie es wollte. Ihren Vater dagegen respektierte sie. Obwohl er nur sporadisch zuhause war, hatte Norton zu ihm eine klar definierte Beziehung, die mehr nach ihrem Geschmack war. „Er kämpfte mit fairen Mitteln“, sagte sie dem Universitätspsychologen. „Wenn ich als Kind ungehorsam war, gab er mir eine Backpfeife und zwang mich zu dem, was er wollte, und zwar ohne die ganzen emotionalen Querelen, die ich mit meiner Mutter auszustehen hatte.“

Als die Familie nach Lindfield zog, hatten Nortons zwei Schwestern bereits die Schule verlassen; Rosaleen, welche die Schule im Alter von vier Jahren in Dunedin begonnen hatte, wurde nun zuerst auf eine Privatschule für Kinder und anschließend auf die Mädchenschule der Church of England in Chatswood am Nordufer von Sydney geschickt. Von Beginn an hatte sie einen Hang zum Ungehorsam. An das rebellische Kind, was sie gewesen war erinnerte sie sich später:

Ich mochte die Schule nicht und ich mochte die anderen Kinder nicht – ich hasste die Art und Weise, wie sie sich dem Lehrer „anbiederten.“ Ich liebte es, die Lehrer in den Wahnsinn zu treiben, indem ich die anderen Kinder dazu brachte, ungehörige Dinge zu machen. Sie taten, was ich wollte; doch ich denke nicht, dass sie mich mochten. Dabei übernahm ich immer die Verantwortung, wenn irgendwas schief ging.2

Vielleicht übertrieb sie, wenn sie von den Spannungen in ihrer frühen Kindheit sprach und ihr frühes Leben als eine „allgemein ermüdende Periode sinnloser Plattitüden, herumschnüffelnder Erwachsener, abscheulicher oder depressiver Kinder, die sie leiden können sollte, sowie elterlicher Vorwürfe“ beschrieb. Dies alles führte jedenfalls nicht zu einem besonderen Gefühl von Unabhängigkeit, was nicht überrascht:

Als Kind war mein Hauptziel, auf mich allein gestellt zu sein, und um dies zu erreichen führte ich sogar einen Hungerstreik auf, um das Recht durchzusetzen, meine Mahlzeiten allein einnehmen zum können (was ich gerne auf dem Dach des Hauses oder an anderen seltsamen Orten tat). Nach ein paar Tagen kapitulierte meine Mutter – es war ihr offenbar nicht bewusst, dass ich Zugang zu einem gut gefüllten Vorratsschrank hatte. Kurz darauf kaufte ich mir ein Zelt, welches ich im Garten aufstellte und das mein Schlafgemach wurde, bis es drei Jahre später in Fetzen auseinanderfiel.3

Es war zur Zeit jener Eskapaden im Garten, da die junge Rosaleen eine spezielle Vorliebe für Insekten und besonders für Spinnen entwickelte, die später in ihren makabren Zeichnungen auftauchen sollten. Tatsächlich nahm sie sich in der Zeit, als sie im Garten übernachtete, ihr erstes Haustier:

Eine große, haarige Nachtspinne aus der Gattung der Radnetzspinnen begann schon bald damit, ihr Netz des Nachts über den offenen Eingang meines Zeltes zu weben. Ich begann dieses Wesen, das ich – unabhängig von seinem Geschlecht – Horatius nannte, sehr zu mögen, da es mich ganz allein vor dem Eindringen anderer Menschen in mein Zelt bewahrte. Die meisten Mitglieder meiner Familie fürchteten sich vor der Spinne, sodass ich bis in die Morgenstunden wach bleiben konnte, wenn ich es wollte; solange die Spinne in ihrem großen runden Netz über meinem Zelteingang saß, war ich sicher vor Störungen.4

Dies war für Rosaleen Teil des instinktiven Prozesses, sich der Natur anzunähern und eine zunehmende Vertrautheit mit den Myriaden von Kreaturen in der Wildnis und im Garten aufzubauen. Als Kind hatte Rosaleen immer viele Lieblingstiere – zu unterschiedlichen Zeiten waren es Katzen, Echsen, Mäuse, Meerschweinchen, ein Opossum, ein Ameisenigel, eine Ziege, Schildkröten, Hunde und verschiedene Kröten. Sie verbrachte Stunden damit, in ihren Biologiebüchern zu lesen. „Ich war von Zoologie und Entomologie begeistert“, erinnerte sie sich später beim Gedenken an ihre Kindheit. „Und im Alter von neun oder zehn Jahren wäre ich in der Lage dazu gewesen, an einem Quiz über prähistorische Tiere teilzunehmen und hätte eine reelle Chance gehabt, den Jackpot zu gewinnen.“ Rosaleen fand mehr Trost bei den Tieren und Insekten als bei den meisten Mitgliedern ihrer Familie: „Familiengefühl hat mir nie etwas bedeutet, und obwohl ich zwei Verwandte – meine älteste Schwester (Cecily) und eine meiner Tanten – mochte, tat ich es wohl nur, weil ich sie eher als Freunde denn als Familie betrachtete.“

Norton demonstrierte ihre bemerkenswerte Neigung für das Zeichnen bereits in früher Kindheit, doch ihre handwerklichen Fähigkeiten sollten schon bald unvorhergesehene und dramatische Folgen haben. An der Mädchenschule der Church of England fing Norton damit an, für ihre Klassenkameradinnen ungewöhnliche Zeichnungen zu produzieren, die in einer Interpretation von Saint Saens Danse Macabre kulminierten, in welcher Vampire, Ghoule und Werwölfe dargestellt waren. Nach Nortons Aussage stellte diese Zeichnung „ … jegliche Art grotesken Schreckens, die ich zu zeichnen in der Lage war, in einer großen Höhle unter der Erde dar.“5 Ihre Lehrer hielten die Zeichnungen für inakzeptabel und empfanden Nortons Verhalten als störend. Die Schulleiterin schrieb nach diesen Vorkommnissen an ihre Mutter und beschwerte sich, dass die Vierzehnjährige eine verruchte Natur besaß, welche die Unschuld der Mitschüler korrumpieren würde. Kurz danach wurde Norton der Schule verwiesen. Daraufhin schrieb sie sich am Technischen Kolleg im Ostens Sydneys ein, wo sie zwei Jahre lang bei dem anerkannten Bildhauer Rayner Hoff Kunst studierte, welcher zu dieser Zeit die Kunstschule leitete. Hoff förderte Nortons Kreativität und sie wiederum schätzte seine Unterstützung:

Er befreite mich aus den Fängen der Routine und ließ mich meine Zeit mit Figurenzeichnen und Komposition verbringen, und da ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig ermutigt wurde, kontinuierlich an meiner eigenen Kunstform zu arbeiten, wurde ich zu einer Vorführ-Studentin.6

Während ihrer Zeit am Technical College begann Norton darüber nachzudenken, welche Karrieremöglichkeiten sich aus ihrem Kunststudium ergeben könnten. Mit fünfzehn Jahren hatte sie mehrere Geschichten von ihr an das bekannte, breitformatige Smith Weekly Magazine geschickt, welche von dessen Chefredakteur namens Frank Marien sofort angenommen worden waren.7

Folglich erwog Norton Journalistin zu werden, auch wenn dies für sie nicht die erste Berufswahl darstellte. Norton besuchte Marien in den Geschäftsräumen des Smith Weekly zum ersten Mal im Jahre 1934, als sie sechzehn Jahre alt war. Nach ihrem Gespräch stellte Marien Norton wohl hauptsächlich auf Grundlage der eingereichten Geschichten als Jungjournalistin ein.

Nortons frühe Dichtung

Nortons frühe Dichtung ist deshalb so interessant, weil sie einen Einblick in ihre Imagination gewährt. Ihre erste Geschichte handelt von einem jungen Mann, der nachts eine fremdartige Straße erkundet, als er plötzlich auf ein Wachsfigurenkabinett stößt – der Eintritt kostet sechs Pence. Da er Wachsfiguren mag, entscheidet er sich einzutreten:

Eine hexenartige Frau ergriff seine sechs Pence mit einer „grauen Klaue“ und führte ihn die wackeligen, wurmzerfressenen Stufen hinauf …

Der junge Mann fand sich schließlich in einem riesigen Raum wieder, der von tiefschwarzen Kerzen erleuchtet wurde. Höhnisch grinsende, verunglückte Formen kreisten ihn ein und warfen kreuzartig verschränkte Schatten auf den Fußboden. Es sah aus wie das Gemälde eines dekadenten Genies. Warten sie nur auf ein Signal von ihrem Meister, dem Teufel, um von ihren hölzernen Podesten hinunterzusteigen und sich in einer höllischen Saturnale zu ergehen? Durch diese Atmosphäre verängstigt, versuchte der Mann zu fliehen, doch er sah, dass er eingeschlossen war. Irgendwo schlug eine Uhr Mitternacht und eine leise, klar zu vernehmende Musik drang in den Raum hinein. Sie wurde von den Flöten eines wächsernen Satyrs erzeugt. Carls Geist rotierte in einer Ekstase des Grauens. Die Teile der Wachsfiguren stiegen von ihren Podesten hinunter … das Licht erlosch …

Am darauffolgenden Morgen vernahmen zwei Polizisten einen gellenden Schrei. Als sie das leere, verlassene alte Haus betraten, in dem sich einst ein Wachsfigurenkabinett befand, fanden sie die kläglichen Überreste von etwas, das einmal ein junger Mann gewesen war … seine Augen waren die eines Menschen, der Dinge gesehen hatte, die Sterbliche nicht sehen sollten.8

Nachdem Frank Marien Nortons erste Geschichte erhalten hatte, bat er sie um eine weitere Kurzgeschichte, und sie schickte ihm ein Stück mit dem Titel Das Gemalte Grauen, eine Geschichte, die noch verstörender war als die erste. Sie handelte von einem jungen Künstler, der beim Malen in seinem Atelier bemerkte, wie seine Hand auf geheimnisvolle Weise dazu gebracht wurde, eine „gigantische, ekelerregende Masse rosafarbenen, aufgedunsenen Fleisches“ zu malen, „die aussah, als ob sie aus einem Meer des Verfalls aufgestiegen sei und von einem untersetzten, grinsenden, halbmenschlichen Kopf mit großen, dicken und blutbesudelten Fingern, die sich wie Würmer wanden, überragt wurde … Dieser riesige Körper kauerte auf der Leinwand und war scheinbar jederzeit dazu bereit, den Betrachter anzuspringen.“9 Diese mysteriöse Macht in der Geschichte ernährte sich so lange vom Geist und der Seele des Künstlers, bis dieser eines Morgensauf dem Fußboden seines Ateliers vorgefunden wurde, „in Fetzen gerissen und aufgefressen.“ Ein Polizist, der diesen bizarren Todesfall nicht aufklären konnte, merkte an: „Merkwürdiger Weise wies eine große Leinwand in seinem Atelier ein großes Loch auf, ganz so als wäre irgendetwas aus ihr heraus oder durch sie hindurch gesprungen.“10

Marien war von diesen Geschichten aus der Feder eines fünfzehnjährigen Mädchens so beeindruckt, dass er noch eine weitere Geschichte von ihr zur Veröffentlichung anforderte. Nortons dritte Zusendung trug den Titel Mond-Wahnsinn und handelte von einem Mädchen, das unter dem Einfluss des Vollmondes in einem Obstgarten seine Schwestern einer Marmorstatue, die einen Jüngling darstellt, opfert. Der folgende Auszug steht stellvertretend für die ganze Geschichte:

Plötzlich war da Corinnes gellender Schrei, als Viviennes Zähne in ihre Halsschlagader eindrangen. Ein Schrei, kurz und grauenerregend, als würde er von einem gefangenen Kaninchen kommen – doch es war niemand da, der ihn hören konnte … nur die dünnen, gemeißelten Lippen des Jünglings schienen zu lächeln, als das warme Blut des Opfers über seine Füße lief.11

Marien war beeindruckt von Nortons imaginativen, wenn auch gruseligen Fähigkeiten als Autorin und entschied sich, ihr eine Stelle als Jungjournalistin anzubieten, obwohl ihm gleichzeitig bewusst war, dass es nötig sein würde, die kreativen Energien der Schreiberin in eine Form zu bringen, die für die Leser verdaulicher war. Bald darauf jedoch bestand Norton darauf, als Graphikkünstlerin und nicht als Journalistin angestellt zu werden. Marien war sich ihrer künstlerischen Talente nicht sicher und machte ihr klar, dass die Zeichnungen, die der Smith’s Weekly abdruckte, humorvoll und geistreich waren und das Hauptanliegen darin bestand, die Leser zum Lachen zu bringen. Norton versicherte ihm, dass sie in der Lage dazu wäre, Illustrationen im angemessenen Stil zu produzieren.12

Leider erwiesen sich die ersten Zeichnungen, die Norton für den Smith’s Weekly anfertigte, als kommerziell inakzeptabel. Die erste Komposition, die sie Marien anbot, zeigte eine Anzahl von Frauen, die auf einer Art Gras im Kreis saßen und sich darüber amüsierten, wie sie ihre Neugeborenen bissen. Auf einer anderen, mit einem Kommentar versehenen Zeichnung sah man zwei Mädchen vor einem Tigerkäfig im Zoo stehen. Eines der Mädchen schaute zu dem Zoowärter hinüber und bemerkte gegenüber ihrer Freundin: „Wäre das nicht ein Spaß, wenn die Tiere ihn auffressen würden!“

In den darauffolgenden Monaten bat Marien Norton, ihre Werke in einem für die Allgemeinheit zugänglicheren Stil anzufertigen. Doch Norton war nicht in der Lage, die Art von Illustrationen zu produzieren, die von der Leserschaft des Smith’s Weekly angenommen wurden. Nach acht Monaten verließ sie den Smith’s Weekly, und sie konnte von da ab malen und zeichnen, wie es ihr beliebte.

Das Leben nach dem Smith’s Weekly

Norton entschied sich, nicht nur eine für ihre Kunst günstigere Umgebung als den Smith’s Weekly zu finden, sondern auch ihre Familie in Lindfield zu verlassen. Nortons Mutter war kurz zuvor gestorben und nun gab es keinen emotionalen Druck mehr für die Tochter, zuhause zu bleiben. Sie hinterließ ihrem Vater und ihren Schwestern eine handgeschriebene Notiz auf dem Kaminsims, packte ihre Sachen zusammen und ging zum Bahnhof, der ganz in der Nähe des Hauses lag. Doch ihr wurde schnell klar, dass sie ihre Abreise nicht richtig geplant hatte:

Die einzige Sache, die ich übersehen hatte, war Geld. Am Bahnhof wurde mir klar, dass ich nicht einen Penny bei mir hatte. Und ich konnte mit zwei schweren Koffern nicht in die Stadt laufen, so borgte ich mir zwei Schilling von dem hiesigen Bibliothekar. Das brachte mich triumphierend mit dem nächsten Zug in die Stadt.15


In der Stadt angekommen trat sie sofort mit mehreren Kunstateliers in Kontakt, da sie Arbeit als Künstlermodel suchte. Nach Aussage von Cecily Boothman, Nortons älterer Schwester, stand sie auch mehrere Male für Norman Lindsay Modell, als sie ihn zuhause und in seinem Atelier bei Springwood in den Blauen Bergen westlich von Sydney besuchte, wo sie ihm auch einige ihrer Zeichnungen zeigte. Lindsay hielt Nortons übernatürliche Kunst für roh und eindimensional, doch zweifelsohne hatte er auf ihren Stil einigen Einfluss. In den frühen 1950er Jahren wurde Norton für genau denselben bacchanalischen Kunststil – heidnische Feste, herumtollende unbekleidete Frauen und Satyrn – bekannt, der Norman Lindsays frühe Strichzeichnungen zu einem so kontroversen Gegenstand werden ließ. In den 1930er Jahren hingegen war Norton noch dabei, die rudimentären Grundlagen ihres künstlerischen Stils zu formulieren und entwickelte in dieser Zeit ihre eigene, einzigartige Bandbreite albtraumhafter Bildwelten. Dennoch war sie auch häufig als Model angestellt:

Man hielt mich für ein gutes Model; nicht wegen meiner Kurven, deren Nichtvorhandensein ihren eigentlichen Reiz ausmachte; da ich aber selbst Künstler war, wusste ich, welche Posen sich am besten zeichnen ließen. Es gab viel zu tun, vieles lag vor mir. Als ich meinen gegenwärtigen Freund kennen lernte, erfuhr ich, dass auch er seine Arbeit verloren hatte; dennoch aber war genug Geld da, um in einem der märchenhaften alten Gebäude in der Gloucester Street – dem früheren „Ship and Mermaid Inn“, dem ersten Pub in Sydney, – ein Zimmer (damals acht Schilling) anzumieten. Später wurde dieser Pub ein Treffpunkt für Künstler, Musiker und Alkoholiker.14

Das „Ship and Mermaid Inn“, das im Jahre 1841 gebaut wurde, lag genau gegenüber dem Circular Quay von Sydney. Es war in der Zeit, als sie dort wohnte, da Norton anfing, esoterische Literatur zu lesen, unter anderem auch Werke zur mystischen Kabbala, zu vergleichenden Religionswissenschaften und mittelalterlicher Dämonologie. Damals begann sie auch ihr Interesse an dem griechischen Gott Pan zu entwickeln. Während ihres Aufenthaltes im „Ship and Mermaid Inn“ nahm sie verschiedene Teilzeit-Arbeiten an und war zeitweilig als Küchenhilfe in einem Krankenhaus, als Designerin für einen Spielzeughersteller und als Kellnerin in einem Nachtclub der Bohème von Sydney tätig.

Irgendwann im Jahre 1935 lernte Rosaleen auf einer Veranstaltung in Bellevue Hill einen jungen Mann namens Beresford Conroy kennen. Sie waren beide erst siebzehn zu dieser Zeit und entwickelten schnell Sympathie für einander. Beresford war gut gebaut und attraktiv und ein frühes Foto zeigt das junge Paar glücklich, lächelnd und in Zweisamkeit vereint. Sie heirateten am 24. Dezember 1940, machten sich danach, wie Rosaleen es ausdrückte „auf den Weg“, und fuhren per Anhalter zuerst von Sydney nach Melbourne, dann weiter nach Norden Richtung Brisbane und Cairns. Als sie zurück in Sydney waren, zogen sie in ein altes Sandsteingebäude in der Bayswater Road, wo sich heute das Seniorenheim der Church of England befindet. Doch leider hielt die Ehe mit Beresford nicht lange. Von einem Schwall von Patriotismus erfüllt, der mit den schnell eskalierenden Spannungen des Zweiten Weltkriegs kam, ging Beresford als Freiwilliger zur Armee, verließ Australien, um in Neu Guinea zu dienen und ließ seine junge Frau allein zurück. Norton war davon nicht beeindruckt, und als er aus dem Krieg zurückkam, reichte sie die Scheidung ein, obwohl sie erst 1951 wirklich geschieden waren. Beresford und Roie gingen nun auseinander, und sie zog in ein altes Steingebäude, das den Namen Merangaroo trug und welches so farbenfroh war wie Beggary Barn.

Es war ursprünglich von Sträflingen gebaut worden, lag unweit der Garrison Church im Rocks Bezirk, und wurde von einer exzentrischen Eigentümerin namens Mrs. Carter geführt. In diesem Haus lebten alle Arten von Menschen – Künstler der Bohème, Seeleute und sogar ein englischer Geheimagent, der einmal einen mutmaßlichen Nazi-Sympathisanten drei Wochen lang in seinem Schlafzimmer gefangen hielt. Es war ein exotischer und unberechenbarer Ort – jene Art exzentrischer Gemeinschaft, in der Norton voller Freude lebte. Die Zeit im Merangaroo regte ihre Fantasie an und brachte sie dazu, die besten Seiten ihres Talents gedanklich zu ergründen.

Bald darauf kehrte Norton in die Welt der Zeitschriften und Boulevardblätter zurück. Da der Smith’s Weekly für sie nicht mehr in Frage kam, begann sie eine geeignete Plattform für ihre Zeichnungen und Schriften zu suchen. Diese fand sie schließlich bei einer kleinen Zeitschrift namens Pertinent, ein taschenbuchgroßes Monatsblatt, das sich selbst als Mischung aus „Fiktion, Fotos und Fakten“ bezeichnete.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, gab es in Australien nur zwei „kleine Zeitschriften“, die Bohemia, in der häufig auch Avantgarde-Texte veröffentlicht wurden und ein Journal, das den Namen Venture trug. Dann kamen in den letzten Monaten des Jahres 1939 drei neue Zeitschriften auf den Markt: The People’s Poetry, Western Writing und Southerly. Weitere dieser Art folgten schon bald, sodass es schließlich schien, als hätte der Krieg die Gründung neuer Zeitschriften tatsächlich gefördert. Zurückzuführen war dies größtenteils auf die Beschränkung des Imports von Publikationen als Teil der Rationierung des „Luxus“ in dieser Zeit. Daher hatten die Leute mehr Geld zur Verfügung, um es für die heimischen Produkte auszugeben.

Der Redakteur des Pertinent war der Dichter Leon Batt, und die ersten zwei Ausgaben, die im August und September 1940 erschienen, kosteten im Handel sechs Pence. Später stieg der Verkaufspreis auf einen Schilling. Pertinent unterschied sich sehr vom Smith’s Weekly, es hatte ein anderes Hauptthema und definierte seine redaktionelle Herangehensweise prägnant: „Was es nicht will“, kündigte Leon Batt in einer offiziellen Bekanntgabe des Zeitschriftenhandels an, „sind sentimentale Klischees, konventionelle Dramen, einen chauvinistischen Patriotismus und romantische Verklärung. Cartoons, Ideen für Cartoons und ungewöhnliche Foto-Geschichten sind das, was es braucht, denn das Pertinent ist eine der wenigen nicht-intellektuellen Publikationen mit einem bestehenden Interesse an der Dichtung.“15

Es war der freidenkerische, innovative Ansatz des Pertinent, der Norton als eine potenzielle Mitarbeiterin anzog. Ihre ersten Zeichnungen, die zur Veröffentlichung angenommen wurden, waren zwei Fantasy-Werke, die geisterhafte Elementarkräfte darstellten, sowie eine Bleistift-Studie, die den Titel The Borgias trug und in der dritten Ausgabe abgedruckt wurde, welche im Oktober 1941 erschien.

In den November- und Dezember-Ausgaben des Jahres 1941 waren Leitartikel über ihr Werk enthalten. Der Eröffnungsabsatz eines solchen in der Dezember-Ausgabe las sich wie folgt:


Bleistiftzeichnung von Norton mit dem Titel The Borgias, im Pertinent abgedruckt.

Wenige, wenn überhaupt irgendjemand unter Australiens Künstlern, hat so viel Erstaunen und fachliche Kontroverse hervorgerufen wie Miss Rosaleen Norton. Weitere Studien dieser höchst bemerkenswerten Kunstentdeckung werden in den zukünftigen Ausgaben des Pertinent erscheinen. Die Originale dieser Werke können käuflich erworben werden.16

Die November-Ausgabe des Pertinent aus dem Jahres 1941 enthielt drei visionäre Zeichnungen: The Rite of Spring zeigt einen bärtigen Zentauren, The Dream eine Mischung aus ägyptischen und saturnalischen Bildern und Sorcery einen gehörnten Merlin, der einen konischen turmhaften Hut trägt und von einer Horde grinsender Ghoule und Hobgoblins umringt ist. Der Begleitartikel trug keinen Autorennamen und wurde wahrscheinlich von Batt selbst verfasst. Nach der Behandlung der heidnischen Einflüsse auf Nortons Kunst stellte der Verfasser fest, dass das Werk der Künstlerin, „abgesehen von seiner angeblich thematischen und bildnerischen ‚Unorthodoxie‘, unzweifelhaft über das Gewöhnliche hinausreicht. Man zollt ihm nun mehr Interesse und Aufmerksamkeit als in der Vergangenheit.“ Diese Aussage bezog sich möglicherweise auf den Smith’s Weekly und Frank Marien, der Nortons künstlerische Talente nicht anerkannte. Leon Batt glaubte ganz sicher, dass der Pertinent mit den Kunstwerken Rosaleen Nortons eine wichtige Entdeckung gemacht hatte: „Der Pertinent fühlt, dass mit Miss Rosaleen Norton eine Künstlerin entdeckt wurde, die es wert ist, mit einigen der besten Zeitgenossen des Kontinents, sowohl Amerikas und Englands verglichen zu werden.“

Für die Dezember-Ausgabe aus dem Jahre 1941 lieferte Norton weitere Bildwerke. Der Artikel More from the Folios of Miss Rosaleen Norton’s Art wurde mit einer Zeichnung in Aquarellfarben und Bleistift eröffnet und zeigte den „Bock von Mendes“, eine stilisierte Interpretation des Teufels als ein grinsendes, ziegenköpfiges Ungeheuer. In dem Artikel enthalten waren auch noch zwei andere Zeichnungen: Nightmare und Desolation. Norton wurde von der Berichterstattung über ihre Person zu dieser Erweiterung der Publikation ermutigt, denn für sie bedeutete die Anerkennung, die ihr damit zuteilwurde, einen Durchbruch, auch wenn es sich bei The Pertinent nur um ein kleineres Blatt handelte. Einen bedeutenden Effekt auf ihr Leben würde Nortons Verbindung zu dieser Zeitschrift allerdings in anderer Hinsicht haben, denn der Pertinent würde schon bald damit beginnen, die Werke eines jungen Schriftstellers zu veröffentlichen, welcher Nortons Liebhaber und später sogar ihr Partner in magischen Ritualen werden sollte: Der Dichter Gavin Greenlees.

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