Kitabı oku: «Rosaleen Norton», sayfa 4

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Gavin Greenlees und seine Dichtung

Gavin Greenlees war ohne Frage ein frühreifes Talent; zwei seiner frühen Gedichte wurden im Jahre 1943 im Pertinent veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt war er gerade mal dreizehn Jahre alt.17 Greenlees wurde am 15. April 1930 in Armadale, einem Vorort von Melbourne, geboren. Seine Eltern gehörten, wenn sie auch nicht sehr wohlhabend waren, dennoch der Mittelklasse an. Sein Vater, Gavin Senior, war von Beruf Journalist; seine Mutter Gladys war als Sozialarbeiterin beschäftigt. Greenlees‘ Eltern versuchten, in ihrem Sohn die Liebe zur Literatur zu entflammen und stellten sicher, dass er eine umfassende und strenge Erziehung genoss.


Gavin Greenlees im Jahre 1949

Er wurde auf der Elwood Public School eingeschult und besuchte später das Christian Brother’s College und weiterhin St. Patrick’s, Ballarat und die Melbourne High School.

Im Alter von zwölf Jahren gewann Greenlees dreimal hintereinander Dichterwettbewerbe, die von der australischen Medienkommission gesponsert wurden, und mehrere seiner Werke erschienen später in dem Australian Weekend Book. In den frühen 1940er Jahren wurden mehrere von Greenlees‘ Gedichten auch im ABC Weekly und im Australia Monthly publiziert.

Greenlees‘ frühesten künstlerischen Einfluss übte der Surrealismus aus, den er entdeckte, als er zwölf Jahre alt war. In einem persönlichen Kommentar zu The Art of Rosaleen Norton – eine Kollaboration von Norton und Greenlees, die erstmalig im Jahre 1952 veröffentlicht wurde – merkte Norton an, dass der Surrealismus „seine Fantasie derart anregte, dass er besessen davon wurde … Mit seiner Intuition erfühlte er geheimnisvolle, unbekannte Welten und auch die Möglichkeit, diese heraufzubeschwören … “

Es ist unwahrscheinlich, dass Norton Greenlees in den frühen Jahren des Pertinent persönlich kannte, denn zu dieser Zeit war er noch ein Schuljunge, der in Victoria lebte; doch es steht außer Zweifel, dass es letztendlich das Journal als gemeinsamer Publikationsort war, welches die beiden letztlich zusammenbrachte.

Ein Artikel über Nortons okkulte und visionäre Kunst erschien in der Juni-Ausgabe des Pertinent im Jahre 1943, und in derselben Ausgabe wurde auch ein Gedicht von Norton, das den Titel Winter Night Thoughts trug, veröffentlicht. Der neue Artikel über Norton war untertitelt mit A Vision of the Boundless, und Norton wurde darin als Hellseherin präsentiert, die Auskunft über „verborgene Welten“ geben kann und als Mystikerin, die in der Lage ist, jene Dimensionen des Bewusstseins zu durchdringen, die von Normalsterblichen nur schemenhaft wahrgenommen werden können. Erst kurz zuvor war Norton eine Gemäldeausstellung im Pakie’s Club in Sydney angeboten worden; ein bekannter Treffpunkt für Nachtschwärmer in der Elisabeth Street, der von Künstlern, Journalisten und Vertretern der Bohème regelmäßig besucht wurde. Der Pertinent-Artikel, von einem Autor verfasst, der sich nur einfach „Paul“ nannte, war eine kritische Betrachtung dieser Ausstellung. Paul erklärte dem Leser, dass „viele der Bilder“ auf den ersten Blick „unangenehm erschienen, weil sie Darstellungen des Bösen“ waren. Die meisten Arbeiten ekelten ihn an, doch er gab nicht der Künstlerin, sondern sich selbst die Schuld daran:

Wenn ich diese Gefühl offen und ehrlich analysieren soll, finde ich nur eine Erklärung: Für das Unreine ist alles unrein. Es gibt nichts Ekelhaftes dabei, nicht einmal jene Bilder, die grauenhafte, erschreckende, ja sogar abstoßende Ideen oder Darstellungen zeigen. Alles in allem sind die Zeichnungen und Gemälde stilistisch perfekt ausgeführt; und auch wenn sie aufgrund des Gegenstandes etwas flüchtig wirken, so sind sie doch gut balanciert, erdacht und in sich vollständig.18

Paul präsentierte Norton als eine Person, die Interesse an „okkulten und psychischen Phänomenen“ hatte und sich mit ihnen gut auskannte. Er betonte auch, dass Norton eine Praktikerin war, also jemand, der diese Phänomene an sich selbst erfuhr:

Aus einer Praxis der Selbsthypnose heraus hatte sie die höchst außergewöhnliche Fähigkeit entwickelt, die Dimension der Psyche wirklich zu betreten, ihre Persönlichkeit auf andere Ebenen als die physische zu transportieren und mit ihren Sinnen das wahrzunehmen, was für die meisten von uns für immer im Verborgenen bleibt …19


Nortons Zeichnung mit dem Titel Nightmare

Der Artikel enthielt auch drei Zeichnungen von ihr. Eine trug den Titel Challenge und zeigte eine nackte Frau, die mit einer Spinne kämpft. Eine andere, Medieval Scene, stellte eine Ansammlung jovialer Mönche, Magier, Hexenmeister und Hofnarren dar. Nightmare zeigte eine archetypische Gottform, die aus dem nackten, liegenden Körper einer Frau aufsteigt, bei der es sich deutlich um Norton selbst handelte.


Norton mit der Zeichnung Nightmare

Nightmare bildete das menschliche Bewusstsein ab, das die Grenzen der Zeit transzendiert und die astralen und mythischen Dimensionen durchdringt. Damit manifestierte Norton in ihrer Kunst eine deutliche Darstellung von Trance-Zuständen. Die Zeichnungen waren der Vorläufer vieler visionärer Illustrationen, die später Greenlees‘ Gedichte in der limitierten Ausgabe von The Art of Rosaleen Norton begleiten sollten.

Es ist nicht bekannt, wann Norton und Greenlees sich zum ersten Mal trafen, doch Mitte Juli 1949 reisten sie beide per Anhalter von Sydney nach Melbourne, um dort einen Ort für eine Ausstellung mit den aktuellen Werken der Künstlerin zu finden. Nachdem sie Kontakt mit einem Studenten namens Ian Stapelton20 von der University of Melbourne aufgenommen hatten, wurde eine Galerie der Rowden White Bibliothek derselben Universität für eine Ausstellung gebucht. Unter den sechsundvierzig ausgewählten Werken befanden sich einige von Nortons bis zu diesem Zeitpunkt besten Zeichnungen: Timeless Worlds, Lucifer, Triumph, The Adversary, The Initiate, eine frühe Version von Individuation, Merlin und Loosing (sic) of the Whirlwind. Viele dieser Werke wurden in Farbe fotografiert, obgleich diese Farbdias erst im Jahre 1982 auftauchten.


Norton, Greenlees und Stapelton

Die Ausstellung war hauptsächlich für Studenten und Akademiker konzipiert, doch nur zwei Tage nach ihrer Eröffnung betrat die Polizei von Victoria die Galerie und konfiszierte vier der ausgestellten Gemälde. Später wurden auf Grundlage der Strafrechtsverordnung aus dem Jahre 1928 Anzeigen gestellt, bei denen Nortons Witches’ Sabbath, Lucifer, Triumph und Individation als dekadente und obszöne Kunstwerke bezeichnet wurden, durch welche der Betrachter möglicherweise zu ungesunden sexuellen Gelüsten verführt werden könnte.

Während der nachfolgenden Gerichtsanhörungen am Carlton Court in Melbourne, dem Rat der Krone und Repräsentant der Polizei von Victoria, wurde argumentiert, dass Norton Werke ausstellte, die durch mittelalterliche Dämonologie inspiriert wurden. Nortons Verteidiger A.L. Abrahams entgegnete, dass die angeblich obszönen Bilder der Künstlerin harmlos waren im Vergleich zu Illustrationen, die in dem Buch The History of Sexual Magic abgedruckt worden waren. Diese Publikation wurde trotz ihrer Darstellungen von der Zensur genehmigt und war überall in Australien erhältlich. Abrahams führte des Weiteren an, dass Nortons Kunst, um sie für schuldig im Sinne der Anklage befinden zu können, von einer Art sein müsste, die „schädlich für alle jene Menschen ist, deren Geist unmoralischen Einflüssen gegenüber offen ist.“ In seinem Abschlussplädoyer befand der Bepfründete Richter Addison schließlich zu Nortons Gunsten, ließ die Anklagen gegen sie fallen und verhängte eine Gesamtkostenauferlegung gegen die Polizei.


Witches’ Sabbath aus dem Jahre 1949

Während sich Norton in Melbourne aufhielt, wurde sie von Professor Oeser kontaktiert, der die Psychologische Abteilung der University of Melbourne leitete. Daraufhin stellte sie sich bei dessen Kollegen, dem Psychologen L.J. Murphy für den Rorsbach-Behn-Test Verfügung. Die faszinierenden Einsichten in Nortons magische und künstlerische Prozesse, die sich aus diesem Test ergaben, sowie das Interview, das Murphy mit ihr führte, werden in einem späteren Kapitel behandelt.

Die Bohème von Kings Cross

Nach ihrer Rückkehr aus Melbourne zogen Norton und Greenlees in ein Viertel Sydneys namens Kings Cross, ein Vorort der Stadt, der Exzentriker, Dichter, Landstreicher und Künstler anzog und für seinen unbürgerlichen Lebensstil bekannt war. Viele farbenfrohe Charaktere wohnten in Kings Cross – das Viertel war Sydneys Gegenstück zu Greenwich Village in New York und Soho in London. Ursprünglich war diese Gegend um die Bayswater Road, die Darlinghurst Road und Victoria Street ein exklusiver Wohnort der Wohlhabenden. Im Viktorianischen und Edwardianischen Zeitalter hatten erfolgreiche Händler hier ihre Stadthäuser errichtet und aus der Gegend einen Ort eleganter Zurückgezogenheit gemacht. Doch dann gab es demographische Veränderungen und Kings Cross wurde, wie Frederick C. Folkhard in seinem Buch The Rare Sex feststellte, in den 1920er Jahren zum „Treffpunkt für Schriftsteller, Dichter, Maler, Bildhauer, Musiker und Gammler.“21

In dieser Zeit gab der junge Amerikaner „Wild Bill Kelley“, Sohn eines kalifornischen Millionärs, in seiner Wohnung am Royston Square eine Reihe scheinbar endloser Partys; und in dieser aufrührerischen, dunstigen Stimmung schien es so, als würde jeder gleichzeitig trinken, singen, zechen, diskutieren, Sex haben oder Faustkämpfe austragen. Diese Partys liefen unablässig – solange, bis ein Mädchen namens Dell Hutton bei einer dieser Zusammenkünfte in einer Sommernacht des Jahres 1926 an einer Drogenüberdosis starb.

Dulcie Deamer, die berühmte australische „Königin der Bohème“ führte zu dieser Zeit ebenfalls ein wildes Leben und sollte später behaupten, sie hätte über zweitausend Partys in Kings Cross miterlebt. Auf dem Künstlerball des Jahres 1924 trug Dulcie ein sensationelles Leopardenkostüm und war als eine Dame bekannt, die auf den Tischen der Café-Häuser einen Spagat zu machen pflegte. Einmal verlangte einer ihrer Vermieter, dass Dulcie ihre Wohnung verlassen solle; und sie war darüber so erbost, dass sie sich ein ruhiges altes Pferd besorgte und es in die Wohnung brachte. Dann füllte sie die Badewanne mit Wasser, legte ein wenig Heu in eine Ecke und verließ unbemerkt das Haus – und ließ das Pferd zurück.

Dulcie war eine lustige Person, facettenreich und extrovertiert, doch es gab auch Betrüger und Drogendealer in Kings Cross. „Phil, der Jude, verkaufte Kokain und gepanschten Alkohol und stand mit den sogenannten „Razor Gangs“ der 1920er Jahre in Verbindung. Er wurde reich, indem er eine Kette von heruntergekommenen Absteigen unterhielt, die er nach außen hin als Nachtclubs deklarierte. Sie trugen Namen wie „Fifty-Fifty Club“ und „Four Hundred Club“ und wurden zu Treffpunkten für Kleinkriminelle. Sogar die berüchtigte Verbrecherin Kate Leigh hinterließ ihre Spuren in Kings Cross. Sie war in den benachbarten Surry Hills von Sydney als „Königin der Unterwelt“ bekannt – eine hartgesottene und gesetzlose Frau, die eine Armee von Prostituierten, Zuhältern, Dieben, Schlägern und Geldeintreibern befehligte. Auch sie führte ein Geschäft mit gepanschtem Alkohol in der Liverpool Street, direkt im Herzen von Kings Cross.

So hielt sich ein ganzes Pantheon exotischer Charaktere in Kings Cross auf, einige von ihnen bezaubernd und einige von ihnen gefährlich. Roie und Gavin kannten Dulcie Deamer gut und Norton steuerte eine Phantasie-Zeichnung zu Dulcies Gedichtband The Silver Branch bei, dessen Umschlagillustration von Norman Lindsay angefertigt wurde. Dulcie und Roie liebten beide das Übernatürliche und Geheimnisvolle.

Als Norton und Greenlees aus Melbourne zurückkehrten, muss Kings Cross für sie zweifelsohne wie ein Heimathafen gewirkt haben. Sie mieteten eine Wohnung in einem dreistöckigen Reihenhaus in der Brougham Street Nr. 179 – nahe dem „Rotlichtviertel“ von Kings Cross. Ihre Wohnung befand sich nur wenige Schritte von der William Street entfernt; ein kurzer Spazierweg zu Adressen wie dem „Mansions Hotel“ in der Bayswater Road und dem „Arabian Café“ in der Darlinghurst Road. Im „Arabian Café“ hingen einige von Roies Gemälden an den Wänden, und man konnte oben auf einem Balkon sitzen, der farbig erleuchtet war, oder im Erdgeschoss ein intimeres Gespräch in einer spärlich beleuchteten Ecke führen. Es gab dort aber auch den „McGowan’s California Coffee Shop“, wo sich ungehobelte und entwurzelte Amerikaner trafen, sowie den schäbigen Glanz der Nachtclubs und Stripteaselokals, die dort seit dem Krieg ansässig waren.22

In Kings Cross war wie ein Fluss des Lebens, und zwar in jeder Hinsicht. Menschen überschwemmten das Viertel in der Nacht, angetrieben von einer immer wieder erwachenden Leidenschaft. Es war lebendig, aufregend, und man konnte sich in diesem Viertel verlieren, denn alles, was im Cross geschah, schien ewig anzudauern. Es war ein Ort, an dem man kommen und gehen konnte, wie man wollte, wo die Leute nicht zu viele Fragen stellten und wo jeder zugleich Fremder und Freund war. Dies liebte Norton, denn hier konnte sie ihre Visionen auf Leinwand bringen, die entlegenen Winkel ihrer Seele erkunden und trotzdem die schützende Erdverbundenheit der Menschen um sie herum fühlen. Da draußen, jenseits des Schleiers aus Tand, erwachten ihre Götter zu neuem Leben.

Zu dieser Zeit waren Norton und Greenlees bereits ein Paar, obwohl Roie noch offiziell mit Beresford Conroy verheiratet war. Es scheint allerdings, dass die Gelegenheit zu einer sexuellen Beziehung nicht der ursprüngliche Grund für die Anziehung zwischen den beiden gewesen war. Ohne Zweifel war es ihre gemeinsame Arbeit für den Pertinent, die sie zusammengeführt hatte – Roie als visionäre Künstlerin und Gavin als ein aufstrebender visionärer Dichter. Nach Cecilys Aussagen zu urteilen, war es der Altersunterschied zwischen Norton und Greenlees, der in erster Linie zu ihrer befruchtenden Beziehung führte. Norton war dreizehn Jahre älter als Greenlees und wurde sein Beschützer: Sie ermutigte ihn zu dichten, gab ihm Wärme und Freundschaft und bot ihm einen Grad an emotionaler Sicherheit, die ihm von seiner eigenen Familie, besonders von seinem Vater nicht zuteilwurde.

Das Reihenhaus in der Brougham Street war ursprünglich mit Ornamenten besetzt, und das breite Fenster neben der Eingangstür besaß zwei dekorative Paneele; seine Rahmen hatten den Betrachter einstmals durch ein kontrastierendes Braun bestochen. Doch nun waren die Schindeln zerbrochen, die Farbe sehr schuppig geworden, das Schieferdach musste repariert werden und das Haus wurde von Gammlern und Vertretern der Bohème bewohnt.


Das Hauses in der Brougham Street 179, Kings Cross

Bevor sie später gemeinsam in die Dachkammer ziehen konnten, lebten Roie und Gavin anfänglich zusammen mit einigen Hauskatzen im Kellergeschoß des Hauses – ein heruntergekommener Raum, der in Wirklichkeit eine umgebaute Waschküche war. Oben in der Dachkammer wohnte ein Mann namens Mick, der nur eine Hand hatte, stapelweise Tageszeitungen hortete und nur dann und wann das Haus verließ, um seinen täglichen Angelegenheiten nachzugehen. Der Raum, den Roie und Gavin bewohnten, war mit Krimskrams vollgestellt – Tierschädel, Knochen, Muscheln und Steine lagen überall verstreut inmitten alter Zigarrenkartons und vergessener Kaffeetassen. Die Hauptausstattung des Raumes bestand aus einem alten Sessel, einem großen Spiegel, der mit farbigen Perlen geschmückt war, und einem orangefarbenen, aus Krepp bestehenden Lampenschirm, der an einem langen Kabel von der Decke herabhing. Durch zerbrochene Deckenlatten waren Teile des Putzes locker geworden und fielen bröckelnd von den Wänden, und den weniger beleuchteten Bereichen des Raumes verliehen Spinnweben ihren Charme. Doch auch unter diesen Umständen übertrieb Roie noch zusätzlich und machte ihrem Ruf als Exzentrikerin alle Ehre. Auf einem Schild im Flur vor der Wohnung stand „Die Gammlerin“ und auf einem Plakat an der Tür stand geschrieben: „Willkommen im Haus der Geister, Kobolde, Werwölfe, Vampire, Hexen, Zauberer und Poltergeister.“

Die Brougham Street 179 wurde zunehmend zu einem Mekka für Neugierige. Besucher dieses heruntergekommenen Hauses konnten zu jeder Zeit eine interessante Person auf der Treppe treffen, denn die unterschiedlichsten Menschen waren dann und wann in ihm vorzufinden und es wurden keine Fragen gestellt. Sogar die Polizei schaute manchmal auf eine Tasse Tee vorbei, um sich eine Pause von der Langeweile auf ihren täglichen Runden zu verschaffen. Doch diese glückliche Beziehung hielt leider nicht lange. Bald schon erreichte Sergeant Francis Farrell – der bei allen als „Stoßstange“ bekannt war – die Nachricht, dass Hausnummer 179 eine besondere Lasterhöhle sei und Roie und Gavin dafür verantwortlich wären. Im Neusüdwales des Jahres 1951 galt es als rechtlich bindend, dass Mieter eines Hauses in der Lage dazu sein mussten, sichtbare Finanzmittel nachzuweisen. Wurde dieser Nachweis nicht erbracht, konnte das eine Anzeige wegen Landstreicherei nach sich ziehen. Im September 1951 wurden Norton und Greenlees als Landstreicher festgenommen. Sie wurden später an das Zentralgericht verwiesen und bekamen zwei Wochen Zeit, um eine ausreichend bezahlte Arbeit zu finden.


Norton, Pan, Greenlees in den 1950ern – dieses Foto wurde in der Brougham Street 179 aufgenommen


Walter Glover, ca. 1951

Zu dieser Zeit machten sie die Bekanntschaft eines Mannes, der eine Hauptrolle in ihrem zukünftigen Leben spielen sollte – Wally Glover. Glover selbst hatte eine gemischte Karriere hinter sich.

Er wurde im Jahre 1911 geboren, hatte die Schule mit dreizehn Jahren verlassen und für verschiedene Handelsjournale wie Decoration und Glass, Package Parade und Signs and Showcards gearbeitet. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte er als Sergeant der Australischen Armee in Neuguinea gedient und war schließlich sogar in den Dienstgrad eines Captains in der Ausbildungsdivision der Armee erhoben worden. Nach dem Krieg wurde er freischaffender Verleger und arbeitete halbtags als Redakteur des Pastrycook’s Review. Glover erinnerte sich später: „Ich kam auf die Idee, mich an die Hauptwache der Polizei zu wenden und zwei Leuten, die mir unbekannt und die wegen Landstreicherei in Untersuchungshaft genommen worden waren, eine Arbeitsmöglichkeit anzubieten.“ Später arrangierte er für sie ein Treffen in seinem Büro:

Sie kamen an späten Nachmittag in mein Büro, beide hatte sich frisch gemacht und sahen blendend aus, als ob sie gerade aus der Badewanne kamen – aber sie waren wie Hippies gekleidet und damit ihrer Zeit zwanzig Jahre voraus. Gavin hatte eine Vorliebe für Kupfer; die Brille, die er auf der Nase trug, wurde von einem Kupferdraht zusammengehalten, so wie auch seine ausgetragenen Schuhe. Rosaleen war mehr mit Dämonen beschäftigt, obwohl sie zu dieser Zeit noch nicht die markanten Merkmale, die ihr späteres Erscheinungsbild ausmachten, kultivierte. Sie zeigten mir ihre Arbeiten, die nicht für diesen Zweck ausgemacht, jedoch außergewöhnlich waren. Sie stellten einen echten Querschnitt von Rosaleens künstlerischen Fähigkeiten dar und unterschieden sich so sehr von allem, was ich bisher zu Gesicht bekommen hatte, dass ich von diesem offensichtlichen Potenzial nur beeindruckt sein konnte.23

An dieser Stelle ist vorauszuschicken, dass Wally Glover nicht den symbolischen Gehalt der Werke selbst verstand, und zu dieser Zeit keine Absicht bestand, ein Buch mit ihnen zu veröffentlichen. Glover suchte nur nach Assistenten, die ihn bei seiner freiberuflichen Werbetätigkeit und seinem Journalismus unterstützten. Nach und nach aber fasste er den Gedanken, dass eine Publikation der Werke eine lohnende Sache sein könnte, wenn man die Dinge phasenweise angehen würde. Anfangs hatte er die Idee, Roies Illustrationen auf Blättern drucken zu lassen, dafür seine lithographische Presse im Büro zu verwenden und dann die Blätter mit einem pinkfarbenen Band zusammenzubinden. Aus diesem Grunde beauftragte er seinen Rechtsanwalt Bob Benjafield, einen Vertrag für Roie und Gavin aufzusetzen, durch den die beiden Honorare als Vorschuss auf zukünftige Auszahlungen aus Buchverkäufen erhalten konnten. Als ein Honorar von 15 % sollte Wally Roie und Gavin offiziell jeweils 8 Pfund pro Woche zahlen, was sich auf ein Maximum von 200 Pfund erhöhen konnte. Tatsächlich aber war die Summe, die zum Schluss an die beiden ausgezahlt wurde aufgrund der Tatsache, dass die Herstellung des Buches ein ganzes Jahr dauerte, erheblich höher. Doch die Zahlungen erfolgten nicht nur in eine Richtung. Wally erhielt einen Vertrag, in dem er als Urheberrechtshalter aller bereits angefertigten, gegenwärtigen und zukünftigen Kunstwerke Roies genannt wurde. Glover erinnerte sich später, dass es mit der Entscheidung, das Buch zu verlegen zu einer plötzlichen Veränderung seiner finanziellen Situation kam:

Geld tauchte einfach so wie durch Magie auf. Jobs, die Geld einbrachten, kamen aus den am wenigsten erwarteten Quellen. Ich wurde aus meinem klitzekleinen Ein-Pfund-pro-Woche-Büro, das ich in einem wie ein Kaninchenstall anmutendem Komplex in der Innenstadt bewohnt hatte, zwangsgeräumt; doch als der Portier des Gebäudes von meinem Elend erfuhr, bot er mir eine Alternative an, bei der es sich um ein gesamtes Stockwerk handeln sollte! Als Gegenleistung für schöne 300 Pfund pro Woche gab der Portier die Schlüssel einem Werbeagenten, welcher mir wiederum aus Dankbarkeit seine ehemaligen Büroräume zeigte.

Das Büro war leer, doch an diesem Tag traf ich noch einen Bekannten aus der Zeit vor dem Krieg wieder, der in der Immobilienbranche tätig gewesen war. Er erzählte mir, dass er in der folgenden Woche ins Gefängnis gehen müsse und ich mir geeignete Büromöbel aus einem bestimmten Möbellager aussuchen könne, wo diese sonst voraussichtlich für die kommenden fünf Jahre verbleiben müssten. Rosaleen feierte unsere Anschaffung, indem sie ein riesiges Wandgemälde von Baphomet, dem mythischen Gott der Energie, schuf …24

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