Kitabı oku: «Er ging voraus nach Lhasa», sayfa 5

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Dass der Rückzug der Expedition nach diesem furchtbaren Wettersturz geordnet vollzogen wurde und ohne Unfall über die Bühne ging, ist eine der größten Leistungen im Himalaya-Bergsteigen.

Die Engländer hatten sehr gut erkannt, was Paul Bauer und seine Leute am Kangchenjunga vollbracht hatten, und feierten die deutsche Mannschaft, als hätte sie den Gipfel erreicht. Bedeutende britische Blätter wie die London Times und der Manchester Guardian hatten ausführlich und an prominenter Stelle über das Unternehmen berichtet.

Die Engländer waren nicht nur vom technisch versierten, strategisch klugen und hartnäckigen Umgang der Deutschen mit den außerordentlichen Schwierigkeiten am Berg beeindruckt, sondern auch von ihrer Fürsorglichkeit gegenüber der einheimischen Bevölkerung und den Hochträgern. Das renommierte Alpine Journal veröffentlichte im November 1930 einen ausführlichen Bericht Paul Bauers von dem Unternehmen. Der Schlusskommentar des Schriftleiters, Oberstleutnant Edward Lisle Strutt, spricht für sich: „Wir möchten uns ein weiteres Mal bei Dr. Bauer dafür bedanken, dass wir den Bericht von einer Unternehmung veröffentlichen durften, zu der es in der Geschichte des Bergsteigens vielleicht keinen Vergleich gibt.“31

Der international anerkannte Achtungserfolg der Bauertruppe beruhte vor allem auf der homogenen Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder sowie auf den Führungsqualitäten des Expeditionsleiters. Ausrüstung, Proviant und Transportmittel waren bis ins Detail durchdacht und wurden vor Ort mit militärischer Präzision zum Einsatz gebracht. Vor allem hatte es Paul Bauer aber geschafft, die Mitglieder seiner Expedition zu einer Einheit zusammenzuschweißen, die bereit war, für den Erfolg am Berg und für ihren „Hauptmann“ alles aus sich herauszuholen.

Paul Bauer und seine Mannen dachten nicht daran, sich geschlagen zu geben. Unterstützt vom Akademischen Alpenverein München, von der Sektion Hochland, der Sektion Oberland und vielen Einzelpersonen bereiteten sie eine zweite Expedition vor. Das Auswärtige Amt tat alles, um den Münchner Bergsteigern den Weg in den Himalaya wieder zu ebnen. Der Münchner Verlag Knorr & Hirth und sogar die London Times leisteten finanzielle Unterstützung. Auch der Deutsche und Österreichische Alpenverein steuerte einen namhaften Betrag bei.32

Allwein, Aufschnaiter, Brenner, Fendt und Leupold waren mit von der Partie, als Bauer 1931 wieder zum Sturm auf den Kantsch antrat. Dazu kamen vier weitere hervorragende junge Bergsteiger, die Bauer schon seit Jahren kannte: Hans Hartmann aus Berlin, Hans Pircher aus Innsbruck, Hermann Schaller aus München und Karl Wien aus Berlin.

Als die Deutsche Himalaya-Expedition 1931 sich Anfang Juli am Fuß des Kangchenjunga einfand, war das Wetter viel wärmer als zwei Jahre zuvor. Der Aufstieg zum Grat war extrem von Lawinen und Steinschlag bedroht. Die Schneeauflage war wesentlich geringer als 1929, was den Aufstieg zum Teil erschwerte. An dem von filigranen Hartschneetürmen bestandenen horizontalen Gratstück des Sporns erlitt Eugen Allwein einen ernsten Ischias-Anfall. Einer nach dem anderen erkrankten die Expeditionsmitglieder an einem schweren Husten. Die besten Träger bekamen Mumps.

Am 9. August stürzte Hermann Schaller am ersten Steilaufschwung des Grates auf rund 6000 Meter Höhe zusammen mit dem Träger Pasang tödlich ab. Paul Bauer hatte die Gefahr gewittert: „[…] Eine eindringlichste Warnung, wie sie aus tieferer Erfahrung instinktmäßig geboren wurde, ohne dass ich zunächst noch wusste wieso, war in mir. […] Ich hob die Trillerpfeife mehrmals an die Lippen, um alles zurückzurufen; der Weg sollte neu, anders geführt, der Umzug aufgeschoben werden. Aber ich setzte die Pfeife immer wieder ab. Schaller und die beiden Träger waren schon am Fuß der Rinne drüben, Hartmann und Wien stapften schon über die Vorterrasse. Sie hätten die schwere Stelle wieder im Abstieg machen müssen, wenn ich sie zurückgerufen hätte. […] Auf einmal glitt lautlos ein schwarzer Körper – Pasang?! – heraus, Schallers Figur mit dem weitabstehenden Rucksack folgte unmittelbar ebenso lautlos, flog kopfüber, schneller als Pasang, über diesen hinweg, beide schlugen am Fuß der Eisrinne auf und schnellten in die Luft hinaus.“33

Die Schwierigkeiten zwischen 5500 und 6300 Meter am Nordostsporn des Kangchenjunga konnten es mit schwersten Alpenrouten der Zeit aufnehmen.

Auch der neben Bauer stehende Pircher war entsetzt. Heimfahren wollte er jedoch auf keinen Fall: „Aber unser großes Ziel, Hauptmann, geben wir doch nicht auf?!“34

Darauf konnte er sich verlassen! Paul Bauer ließ die Leichen bergen, die Expeditionsmitglieder errichteten ihrem Freund Hermann Schaller auf einer Felsinsel inmitten des Zemu-Gletschers ein Grabmal und setzten ihn und den Träger bei. Auch diesen schweren Unfall hatte letztlich die warme Witterung verursacht. Die Temperaturen waren nachts nur knapp unter den Gefrierpunkt gesunken. Der Träger Pasang hatte wohl im weichen Schnee den Halt verloren und Hermann Schaller mit in den Tod gerissen.35

Trotz der anhaltend schlechten Bedingungen am Berg und obwohl krankheitsbedingt nur noch die Hälfte der Expeditionsmitglieder einsatzfähig war – unter ihnen Peter Aufschnaiter –, bewältigte die Mannschaft den schwierigen Abschnitt des Sporns. Am 16. September traf Aufschnaiter zusammen mit Pircher im 7360 Meter hoch gelegenen Lager 1136 auf Wien und Hartmann, der sich beim Spuren auf den Sporngipfel schwere Erfrierungen an den Füßen zugezogen hatte. Der Expeditionsleiter hatte zurückbleiben müssen: Ein Herzanfall aus Überanstrengung hatte Paul Bauer zum Aufgeben gezwungen. Auch Peter Aufschnaiter war am Ende seiner Kräfte. Hans Hartmann notierte am 18. September in sein Tagebuch: „An der Eishöhle wurde aber nicht gebaut. Der Peter lag ganz apathisch im Zelt und schob die Arbeit immer hinaus. Er hat sich auch bei dem langen, schweren Dienst hier oben kaputt gemacht – bis endlich, es ist drei Uhr –Schritte hörbar werden und kurz darauf Alisi, Karlo und Peperl ins Zelt kriechen.“37 Allwein schildert, wie es den drei Bergsteigern ergangen ist beim Versuch, am 18. September droben am Nordgrat des Kangchenjunga das Lager 12 zu etablieren:

„Vom Lager weg (7650 Meter38) schwingt sich der breite Grat mäßig steil zu einer Schulter auf, von der weg er dann fast horizontal etwa einen Kilometer lang gegen den Gipfelaufschwung des Sporngipfels hinführt. Der Gang über diesen Grat war wohl das Schönste, was ich in den Bergen erlebt habe, ja vielleicht das Schönste, was man erleben kann. Wir waren glänzend in Form, das Marschieren über den ebenen Grat machte nicht viel mehr Anstrengung als ein steiler Aufstieg bei uns und dazu ein Ausblick, wie man ihn sicher nicht oft bekommen wird. […] Ein steiler Aufstieg noch und wir stehen am Sporngipfel; 8000 m zeigt der Aneroid, 60 Meter mehr als gestern. Nur 2 Stunden 10 Min. habe ich zur Überwindung dieser letzten 350 Höhenmeter benötigt; die Gefährten wenig mehr, ein Zeichen dafür, wie gut wir uns an die Höhe gewöhnt haben.“39

Tatsächlich hatte das Dreierteam eine Höhe von etwa 7700 Metern erreicht. 880 Höhenmeter über ihnen der höchste Punkt des Kangchenjunga. Doch ein steiler, extrem lawinengefährlicher Schneehang von rund 150 Metern Höhe versperrte den Zugang zur Schulter des Nordgrats. Allwein und Wien spurten hinüber zum Fuß des Aufschwungs, auf dem 50 Zentimeter Neuschnee abrutschbereit auf einer Harschschicht aufliegen. Eine Lawine ist schon abgegangen, zwei Einrisse im Hang unterstreichen die Gefahr weiterer Schneebretter. Auch bei genauer Inspektion entdeckten die beiden keine Möglichkeit, das Hindernis zu überlisten. Es war zum Verzweifeln: Die Form passte, das Wetter war stabil, aber der zum Greifen nah erscheinende Gipfel blieb unerreichbar. Die zwei erfahrenen Alpinisten brauchten keinen Rückzugsbefehl ihres „Hauptmanns“, um sich für den Abstieg zu entscheiden.

Wieder gelang es der Expeditionsmannschaft, den Rückzug vom Berg geordnet und unfallfrei abzuwickeln. Und wieder wurden Bauer und sein Team bei ihrer Rückkehr von den englischen Kolonialbeamten wie Sieger gefeiert. Die Münchner Akademiker hatten bewiesen, dass es möglich war, ohne Sauerstoffgerät weit in die Todeszone vorzudringen. Der bekannte Geograf und Himalaya-Kenner Kenneth Mason brachte die Bewunderung der britischen Fachwelt im Alpine Journal auf den Punkt: „Ein ausführlicher Kommentar zu dem Kampf von 1931 wäre die reine Anmaßung. Es reicht aus festzustellen, dass die Expedition, was die bergsteigerische Leistungsfähigkeit, die Ausdauer und vor allem das Urteilsvermögen angeht, für alle Zeit das klassische Vorbild sein wird.“40

Auch zu Hause in München war der Empfang triumphal. Tausende drängten in das Auditorium Maximum der Universität, um den Vortrag des Expeditionsleiters zu erleben. Paul Bauers umfangreiches und heute noch höchst lesenswertes Werk Im Kampf um den Himalaja, das 1931 erschien, war im Nu vergriffen. Seinem Autor wurde beim Literaturwettbewerb der Olympiade in Los Angeles 1932 die Goldmedaille für die hochwertigste Sportpublikation verliehen.

Peter Aufschnaiter war nach dem Rückzug vom Kantsch nicht sofort heimgefahren. Er hatte den lebhaften Wunsch verspürt, jene Gegend kennenzulernen, auf die er Tag für Tag von den Hochlagern herabgesehen hatte, denn ihre „sanften, rötlichbraun gefärbten Formen bildeten einen wunderbaren Gegensatz zu der eis- und schneestarrenden Wildnis, in der wir uns herumschlugen“.41

Am 30. September 1931 stieg Aufschnaiter mit Joachim Leupold und drei Trägern vom Basislager aus nach Norden an und gelangte über einen rund 6000 Meter hohen, spaltenreichen Pass auf den weitläufigen Hidden Glacier. Am andern Tag spurte das kleine Team drei Stunden lang hoch zum 5800 Meter hohen Hidden Col. „Dort war nun zum ersten Mal das Lhonak vor uns ausgebreitet: ein sanft geformtes Bergland, eigentlich eine weite Mulde, die zwischen höheren Bergketten – im Süden das Kangchenzöngamassiv, im Norden die Dodang Nyima Kette – eingebettet ist und fast nur über Hochpässe erreicht werden kann.“42

Eine gute Woche lang durchstreifte der kleine Erkundungstrupp noch das nördliche Bergland von Sikkim, vorerst in nordöstlicher Richtung. Nach dem Aufstieg zum 5600 Meter hohen Übergang Dongkia La erreichten Peter Aufschnaiter und seine Freunde die tibetische Grenze. „[…] Quer über den Sattel verläuft bis zu den nachbarlichen Höhen eine breite Mauer aus lose aufeinander geschichteten Steinen. […] Noch einmal blickten wir zurück in das verbotene Land des Dalai Lama: zu unseren Füßen die tiefblaue Fläche des Tso Lhamo inmitten einer orangeroten Wüste, dahinter weite Hochflächen, auf denen sich in blauer Ferne schneebedeckte Gebirgszüge aufbauten.“43 Dieser Anblick mag auf Peter Aufschnaiter viel tiefer gewirkt haben, als er das damals am 7. Oktober 1931 ahnte.

ANMERKUNGEN

1Paul Bauer: Vorläufiger Bericht über die Himalaja-Expedition, Jahresbericht des A.A.V.M. 1928/1929, München 1929, S. 12–31, 12.

2Vgl. ebd.

3Paul Bauer, Rundschreiben Nr. 1 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 2 SG 47, S. 1, Unterstreichung im Original.

4Alle Zitate ebd. S. 2, Rechtschreibung, Grammatik, Zeichensetzung und Satz wie im Original.

5Raimund von Klebelsberg: Anmerkung zum Gesuche Bauer 19.3.29 vom 23. 03. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel. Die Fachleute waren Philipp Borchers, Julius von Ficker, George Ingle Finch, Penk, Schmauch und Viktor Wessely, vgl. Schreiben der Alpenvereinskanzlei an Gustav Müller vom 15. 03. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel.

6Rundbrief von Klebelsberg an die Mitglieder des Hauptausschusses vom 08. 03. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 2 SG 47.

7Vgl. Schreiben von G. O. Dyhrenfurth an den Akademischen Alpenverein München vom 15. 02. 1930, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 2 SG 47.

8Paul Bauer: Brief an den Hauptausschuss des DuÖAV vom 15. 07. 1930, Archiv der DAV-Sektion Oberland.

9Antrag von Paul Bauer an den Hauptausschuss des DuÖAV vom 19. 03. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel.

10Vgl. Paul Bauer, Rundschreiben Nr. 1 1929, 2.

11Telefongespräch mit Bernhard Tillmann am 19. 02. 2016.

12Antrag von Paul Bauer an den Hauptausschuss des DuÖAV vom 19. 03. 1929, S. 1, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel.

13Ebd., S. 8/9.

14Ebd., S. 14.

15Schreiben der Alpenvereinskanzlei an Gustav Müller vom 15. 03. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel.

16Abschrift des Briefes von Reinhold von Sydow vom 04. 04. 1929, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel, Zeichensetzung wie im Original.

17Vgl. Paul Bauer: Vorläufiger Bericht über die Himalaja-Expedition, Jahresbericht des A.A.V.M. 1928/1929, München 1929, S. 12–31, 13.

18Paul Bauer: Rundschreiben Nr. 6, undatiert, Archiv des Österreichischen Alpenvereins, Innsbruck, Signatur EXP 106.1 Briefwechsel.

19Brief von Ernst Reisch an Peter Aufschnaiter vom 14. 05. 1929, Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, Signatur EXP 2 SG 47.

20Vgl. Peter Aufschnaiter: Tagebuch der Kangchenjunga-Expedition 1929, 22. 06. 1929, Stadtarchiv Kitzbühel, Personenakte Peter Aufschnaiter.

21Vgl. ebd., 25. 06.–27. 07. 1929.

22Alle Zitate ebd., 27. 07.–31. 07. 1929.

23Paul Bauer: Vorläufiger Bericht über die Himalaja-Expedition, Jahresbericht des A.A.V.M. 1928/1929, München 1929, S. 19.

24Peter Aufschnaiter: Tagebuch der Kangchenjunga-Expedition 1929, 14. 09. 1929, Stadtarchiv Kitzbühel, Personenakte Peter Aufschnaiter.

25Eugen Allwein zitiert nach Paul Bauer: Im Kampf um den Himalaja, München 1931, S. 99–100.

26Vgl. ebd.

27Vgl. Paul Bauer: Vorläufiger Bericht über die Himalaja-Expedition, Jahresbericht des A.A.V.M. 1928/1929, München 1929, S. 23.

28Ebd.

29Vgl. ebd., S. 24.

30Peter Aufschnaiter: Tagebuch der Kangchenjunga-Expedition 1929, 02.–07. 10. 1929, Stadtarchiv Kitzbühel, Personenakte Peter Aufschnaiter.

31The Alpine Journal, London 1930, S. 185–202, 202.

32Paul Bauer: Um den Kantsch. Der zweite deutsche Angriff auf den Kangchendzönga 1931, München 1933, S. 9.

33Ebd., S. 41–42.

34Ebd., S. 43.

35Vgl. ebd., S. 41–43.

36Gemäß der von Karl Wien photogrammetrisch aufgenommenen und als Beilage zu dem Werk über die II. Deutsche Himalaja-Expedition herausgegebenen Karte.

37Walter Hartmann: Tagebuch 1931, S. 93, Archiv des Deutschen Alpenvereins München, Signatur EXP 2 SG 215 (Schriftstücke).

38Inkorrekte Angabe, vgl. Expeditionskarte.

39Eugen Allwein: Deutsche Himalajaexpedition 1931, 29. Jahres-Bericht der Sektion Hochland des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins e. V., München 1931, S. 10 f.

40Kenneth Mason: The Recent Assaults on Kangchenjunga, The Geographical Journal, London November 1932, S. 439–445, 444.

41Peter Aufschnaiter: Quer durch das nördliche Sikkim, in: Paul Bauer: Um den Kantsch, 1933, S. 179–184, 179.

42Ebd., S. 180.

43Ebd., S. 183.

Während Paul Bauer für sein Expeditionsbuch „Kampf um den Himalaja“ in Los Angeles olympisches Gold in Empfang nahm, war ein internationales Team am Nanga Parbat aktiv.

KAPITEL 4
IN DER ALPINEN MACHTZENTRALE

Vom 30. Juli bis zum 14. August 1932 fanden in Los Angeles die 10. Olympischen Sommerspiele statt. Auch deutsche Bergsteiger wurden geehrt: Die Erstbesteiger der Matterhorn-Nordwand, Franz und Toni Schmid aus München, erhielten olympisches Gold, den Prix olympique d’alpinisme; Franz nahm auch die für seinen Bruder vorgesehene Medaille in Empfang – Toni war im Frühsommer des Jahres in der Wiesbachhorn-Nordwestwand tödlich abgestürzt. Paul Bauer wurde in Los Angeles zum Olympiasieger im „Wettbewerb der freien Künste“ in der Rubrik „Literatur“ für sein Kangchenjunga-Werk Kampf um den Himalaja gekürt. Der prominente Expeditionsleiter dürfte die Reise von München an die ferne Westküste der USA mit einer gewissen Unruhe angetreten haben. Denn er wusste, dass zeitgleich eine starke deutsch-österreichisch-amerikanische Expedition am 8125 Meter hohen Nanga Parbat zugange war.

Es war erstaunlich, dass die Expedition überhaupt stattfinden konnte. Aber der hochmotivierten Mannschaft gelang es doch irgendwie, für das geplante Low-Budget-Projekt die notwendigen Geldmittel lockerzumachen. Teilnehmer: Der „Hochländer“ Herbert Kunigk aus München, der aus dem bayerischen Trostberg stammende „Bayerländer“ Fritz Bechtold und sein amerikanischer Sektionskamerad Elbridge Rand Herron, der Kufsteiner Peter Aschenbrenner, der Leipziger Felix Simon sowie das 1929 in die USA ausgewanderte Kletterass Fritz Wiessner. Leiter des Unternehmens war der Traunsteiner Willy Merkl, welcher unter den sieben Spitzenalpinisten als „primus inter pares“ fungierte. Die Hierarchie in der Truppe war also denkbar flach, und der „nationale Gedanke“ spielte überhaupt keine Rolle. Ziel der Expedition war einzig und allein die Besteigung des ersten Achttausenders. Die gängige Einschätzung, der Nanga Parbat sei eine leicht zu knackende Nuss, erwies sich bald als grundfalsch. Trotzdem erreichten Kunigk und Aschenbrenner am 16. Juli den 7070 Meter hohen Rakhiot Peak. Dann zwang ein Wettersturz die Mannschaft zum Rückzug. So konnte das Team zwar keinen Gipfelerfolg verbuchen, aber es hatte einen machbaren Aufstieg zum höchsten Punkt des Nanga Parbat ausfindig gemacht.

Als die deutschen Mitglieder der Expedition im Spätsommer 1932 in ihre Heimat zurückkehrten, war die NSDAP hier zur stärksten politischen Kraft avanciert. Allerdings hatten die Nationalsozialisten reichsweit mit 37,3 Prozent die absolute Mehrheit verfehlt. Doch Hitler ließ nicht locker: Gemeinsam mit den Kommunisten setzte er eine weitere Neuwahl durch. Obwohl die NSDAP in der Novemberwahl 34 Mandate einbüßte, ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler am 30. Januar 1933 ganz legal zum Reichskanzler. Am Abend des 27. Februar ging der Reichstag in Berlin in Flammen auf. Hitler erklärte, er sei von Kommunisten angezündet worden – als Signal für einen Volksaufstand. Schon am nächsten Tag unterzeichnete Hindenburg die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, in der wichtige Grundrechte „bis auf weiteres“ aufgehoben, die rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen beseitigt und die KPD verboten wurden. Am 5. März errangen die Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen 43,9 Prozent der Stimmen und die mit ihnen verbündete Deutschnationale Volkspartei DNVP 8 Prozent, womit die Koalition verfassungsgemäß regieren konnte.

Am 21. März wurde in der Potsdamer Garnisonskirche feierlich der neue Reichstag eröffnet. Die Kommunisten waren ausgeschlossen, die Sozialdemokraten ferngeblieben. Am 24. März stand das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ – bekannt geworden unter dem Begriff „Ermächtigungsgesetz“ – auf dem „parlamentarischen“ Programm. Es ermächtigte die Reichsregierung, für vier Jahre unter Ausschluss des Reichstags auf dem Verordnungsweg Gesetze zu beschließen. Damit war die Machtergreifung der Nationalsozialisten eine unumkehrbare Tatsache.

Eine der ersten Maßnahmen der Regierung war die „Gleichschaltung“, die Vereinheitlichung des gesamten politischen und gesellschaftlichen Lebens. Nachdem Hans von Tschammer und Osten am 28. April 1933 zum Reichskommissar für Turnen und Sport ernannt worden war, erließ er Richtlinien zur Gleichschaltung des Sports. Der entsprechenden Aufforderung eines ranghohen NSDAP-Funktionärs entgegnete das AV-Hauptausschussmitglied Georg Leuchs in einem Schreiben, „dass eine Gleichschaltung unnötig erscheine, nachdem der Alpenverein von vaterländisch gesinnten Männern geleitet werde“.1 Im selben Sinne verhandelte der als Vorsitzender des DuÖ-AV-Verwaltungsausschusses vorgesehene Stuttgarter Unternehmer Dinkelacker mit der Reichsregierung. Dessen ungeachtet war von Tschammer und Osten entschlossen, die „reichsdeutschen“ Sektionen des DuÖAV in einem „Deutschen Bergsteiger- und Wanderverband“ zusammenzufassen.

Der Reichssportkommissar machte sich auf die Suche nach einem geeigneten „Führer“ für die Fachsäule XI „Deutscher Bergsteiger- und Wanderverband“ (DBWV) des Deutschen Reichsbundes für Leibesübungen. Bei einem Lehrgang der Reichsärztekammer auf dem Gut Neurössen in Sachsen-Anhalt bat er den Leiter dieser Schulung – es war Dr. Eugen Allwein! –, die Führung des nationalen Bergsteigerverbandes zu übernehmen. Eugen Allwein junior, Sohn des damaligen NS-Ärztefunktionärs, berichtet: „Da sagte mein Vater: ‚Das kann ich nicht, will ich nicht! Da kenne ich einen, der besser dafür geeignet ist, den Paul Bauer.‘ Abends hat mein Vater den Paul Bauer angerufen: ‚Steig in den Nachtzug, morgen früh zum Frühstück musst du in Berlin sein!‘ So ging das alles los. Das war alles mehr oder weniger Zufall. Der Paul Bauer war ein bekannter Mensch – er hatte 1932 in Los Angeles für sein Buch über den Kantsch eine Goldmedaille bekommen – und er war auch ein guter Selbstdarsteller. In dieser Nazigrößenordnung musste man das sein.“2

Paul Bauer hatte nach eigener Aussage bereits früh mit Adolf Hitler sympathisiert, war aber – wahrscheinlich aus Rücksicht auf seine englischen Expeditionskontakte – erst nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten Mitglied der NSDAP geworden. Er selbst stellte das folgendermaßen dar:

„[…] Ich habe meine politische Meinung seit der Rückkehr aus Krieg [Erster Weltkrieg] und Gefangenschaft nie geändert. Ich stand als ehemaliger Freikorpskämpfer 1923 mit dem Gewehr bereit, um mit Hitler zu marschieren. Ich habe mich schon damals in der nationalsozialistischen Presse betätigt. Als ich der Partei beitrat, war das nur die Erfüllung einer Formalität und unser Kreisleiter kam in Erkenntnis dieser Tatsache persönlich zu mir in mein Büro, um mir das Aufnahmeformular zur Unterschrift vorzulegen. […]3

Paul Bauer trat am 1. Mai 1933 in München der NSDAP bei und erhielt die Mitgliedsnummer 2302048.4

In einer Reihe von Rundschreiben brachte der frischgebackene „Führer“ des Deutschen Bergsteiger- und Wanderverbandes den Alpenvereinssektionen die neuen Organisationsstrukturen zur Kenntnis:

„An die reichsdeutschen Sektionen!

[…] Die reichsdeutschen Sektionen des D.u.Oe.A.V. und die reichsdeutschen Ortsgruppen ausländischer Alpenvereinssektionen […] unterstehen uneingeschränkt den für das deutsche Sportleben massgebenden Grundsätzen, und gehören demnach in die Gruppe Bergsteigen des DBWV. Ihre Zugehörigkeit und Bindung an den D.Oe.A.V. besteht daneben unverändert weiter. […]

Der Aufbau der Fachschaft muss bis Ende November des Jahres abgeschlossen werden, die Sektion wird deshalb ersucht, den beiliegenden Fragebogen bis spätestens 25. November 1933 ausgefüllt an die Geschäftsstelle des DBWV München, Sendlingerstrasse 42, einzusenden.


Mit Berg-Heil! und Heil Hitler!
Paul Dinkelacker Paul Bauer
Vorsitzender des Verwal- Führer des Deutschen Berg-
tungsausschusses des steiger- und Wanderver-
D.u.Oe.A.V.

Immerhin: Auf Grund der Zwischenstaatlichkeit des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins und um den Hüttenbesitz in Österreich nicht zu gefährden – war dem Alpenverein als einzigem deutschen Sportverband die Eigengesetzlichkeit zugestanden worden; Eingriffe in das Gesamtgefüge unterblieben vorerst – bis 1938.

Allerdings wurden wichtige Positionen im Alpenverein nach und nach durch linientreue Nationalsozialisten besetzt. Dafür dürfte nicht zuletzt auch Paul Bauer gesorgt haben. So war es bestimmt kein Zufall, dass der Münchner Eugen Allwein im September 1933 in den DAV-Hauptausschuss gewählt wurde. Turnusgemäß übersiedelte in diesem Jahr die Verwaltung des Alpenvereins von Innsbruck nach Stuttgart.6 Paul Bauer stand in keinem guten Verhältnis zu dem schwäbischen Verwaltungsausschuss, zu dessen Mitgliedern auch ausgewiesene Demokraten wie Hermann Hoerlin zählten. Allwein konnte darüber wachen, dass sich die Schwaben nicht allzu weit von der Linie des DBWV entfernten. Zusammen mit Allwein gehörten auch die Bauer-Vertrauten Lutz Pistor und Karl Wien zur Zeit der NS-Herrschaft dem Hauptausschuss des DuÖAV an und vertraten die Interessen ihres „Hauptmanns“ im zweithöchsten Entscheidungsgremium des Alpenvereins.

Auch andere Mitglieder des Freundeskreises von Paul Bauer wirkten bei der Gleichschaltung des deutschen Bergsteigens mit. So veröffentlichte Wilhelm Fendt in den Mitteilungen der Gruppe Bergsteigen7 des DBWV den umfangreichen Beitrag „Dietarbeit8 in den Bergsteigervereinen“, in dem sich der ehemalige Freikorpskämpfer dafür starkmachte, „das völkische Erziehungswesen in der deutschen Bergsteigerbewegung planvoll zur Durchführung zu bringen“.9 Zur Erfüllung dieser Aufgabe sei in jeder bergsteigerischen Gruppierung ein sogenannter Dietwart – eine Art nationalsozialistischer Politkommissar – zu bestellen.

Paul Bauer war bis 1938 der ranghöchste nationalsozialistische Sportfunktionär.

Die leitenden Prinzipien der weltanschaulichen Schulung seien – so Fendt – „Rassenreinheit“, „Volkseinheit“ und „Geistesfreiheit“. Der Autor sah es als die „erste und heiligste Pflicht“ der Bergsteigervereine an, „[…] alle und jedes Mittel zu suchen und anzuwenden, um der Vermischung des deutschen Volkes mit fremdstämmigem Blut Einhalt zu gebieten“. Besonders eindringlich glaubte Fendt hier vor den Juden warnen zu müssen: „Wir ließen uns von der Gleichheit der Hautfarbe über die Fremdstämmigkeit hinwegtäuschen und viele Volksgenossen haben sich mit unserem Gastvolk vermischt und haben einen zersetzenden Zeitgeist in das deutsche Volk hineingetragen. […]“10 Zur Herstellung von „Volkseinheit“ hätten die Dietwarte „[…] die zur Zeit besonders dringliche große Aufgabe, die Verbundenheit mit den deutschen Bergsteigern und Bergfreunden in Oesterreich zu pflegen und Verständnis für ihren Kampf und ihr Schicksal zu verbreiten“.11 Die „Geistesfreiheit“ der Deutschen sah Fendt einer besonders heimtückischen Gefahr ausgesetzt: „Hier müssen wir uns darüber klar werden, dass die Beeinflussung der Presse und Publizistik, von Theater und Film durch Judentum und Freimaurerei zu einer planvollen Aushöhlung und Irreführung arteigenen Wesens und einem weltbürgerlichen Phantom geführt hat. […]“12 Es dürfte nicht am mangelnden Glauben des Nationalsozialisten Wilhelm Fendt13 an die Bedeutung seiner Mission gelegen haben, dass das Dietwesen im Alpenverein kaum Fuß fassen und sich schon gar nicht durchsetzen konnte.

Ein weiterer überzeugter Nationalsozialist aus den Reihen des AAVM war der Kantsch-Veteran Karl „Kai“ von Kraus. Heinz Tillmann berichtete, dass ihn politische Unbotmäßigkeiten in seinem Umfeld zur Drohung veranlassten, „Ich bring“ Sie (oder dich) nach Dachau!“14 Kraus war Generalarzt des Roten Kreuzes. Als er in dieser Eigenschaft einmal mit einem schweren Wagen à la Maybach beim AAVM vorfuhr, soll er von seinen Kameraden schallend ausgelacht worden sein.15 Eine der berühmten Kneipzeitungen des AAVM enthält folgenden auf „Kai“ von Kraus gemünzten Spottvers:

„Politik ist jetzt sei Leibspeis,

Rabiat wird er ganz geschwind,

Und er droht dir gleich mit Dachau,

Wenn er was nicht schicklich find.“16

Auch der zu verbandspolitischen und anderweitigen Ehren gelangte Eugen Allwein bekam sein Fett ab: „Leidgeprüft und als ein Wissender meistert er jetzt die Welt: Unser Alisi, V. in der S.H. des DÖAV, Mitglied im VWA und M. des AAVM, zugleich J.J.A. und D. in der Gem. Haidh., H.V.B. des RBL.“17 Es ist bemerkenswert, dass Paul Bauer, einst regelmäßig beißendem Spott ausgesetzt, nach 1933 geschont wurde.

Hinweise auf Peter Aufschnaiter sucht man in den AAVM-Kneipzeitungen zwischen 1933 und 1935 vergeblich. Laut dem 1933 veröffentlichten Jahresbericht des AAVM lebte Aufschnaiter im Herbst des Jahres in München.18 Am 22. April 1933 war der Diplomlandwirt in St. Johann in Tirol der NSDAP beigetreten und wurde unter der Mitgliedsnummer 1605636 geführt.19 Ein Foto aus dieser Zeit zeigt ihn, einer damals in Süddeutschland und Österreich weit verbreiteten Mode entsprechend, mit kleinem Schnauzbart und Rechtsscheitel. Während seine besten Freunde in wichtigen Positionen am Aufbau des „Dritten Reiches“ mitwirkten, zog sich Peter Aufschnaiter in den Jahren 1933 bis 1935 aus unbekannten Gründen in die Heimatgemeinde seiner Mutter, St. Johann in Tirol, zurück.

Vor allem dem politisch zuverlässigen und hocheffizienten Paul Bauer wurden von den neuen Machthabern anspruchsvolle Aufgaben anvertraut. Nachdem alle deutschen Alpenvereinssektionen dem Deutschen Bergsteiger- und Wanderverband bis Ende 1933 beigetreten waren, machte sich Verbandsführer Bauer an die Eingliederung der Mitglieder des traditionell sozialdemokratischen Touristenvereins „Die Naturfreunde“ in das neu entstandene Zwangssystem des deutschen Sports. Zwar hatte die TVDN-Reichsleitung unter Xaver Steinberger versucht, den Arbeiterverein als gleichgeschalteten Verband zu erhalten, obwohl seine Tätigkeit kurz nach der Machtübernahme verboten und das Vereinsvermögen eingezogen worden war. Als eine gründliche Ausforschung der TVDN-Ortsgruppen durch die Gestapo ergeben hatte, dass sich die Basis der Naturfreunde wesentlich weniger anpassungsfähig zeigte als die Vorstandsetage, wurde der Verband am 28. Februar 1934 offiziell aufgelöst. Seine Mitglieder kamen zum Teil in Alpenvereinssektionen unter, meist aber in lokalen Wandervereinen, die den Genossen eher die Freiheit ließen, ihr Naturerleben gemäß den althergebrachten Naturfreunde-Traditionen zu gestalten.20

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