Kitabı oku: «Harmless - Arglos», sayfa 3
»Immer noch gut?«
Scheiße. Es fühlte sich so verdammt gut an, dass es ein Wunder war, dass Seg noch nicht Hals über Kopf über die Klippe gestürzt war. Er war allerdings gefährlich nah dran.
»Willst du mehr?«, hakte Roan nach und zog seine Finger zurück.
»Ja«, hauchte Seg. So verflucht viel mehr. »Will dich spüren.«
Seg verspannte sich, als Roan seinen Schwanz positionierte und sich gegen den engen Muskelring drängte.
»Entspann dich«, flüsterte Roan. »Du hast das echt noch nie zuvor gemacht?«
Seg schüttelte den Kopf.
»Ich werde vorsichtig sein, versprochen.«
Roan schob sich Stück für Stück weiter vor, während Seg tief und bedächtig atmete.
»Komm mir entgegen«, befahl Roan.
Er gehorchte. Der Schmerz war heftig, doch er verwandelte sich rasch in Lust. Und jedes Mal, wenn Roans Schwanz über seine Prostata strich, sah Seg Sterne.
»Genau so«, trieb Roan ihn an und seine Finger gruben sich in die Haut von Segs Hüften. »So verdammt eng.«
Seg ließ sich von den Gefühlen mitreißen, während Roan wieder und wieder in ihn stieß. Roan fickte ihn nicht hart oder schnell. Er füllte ihn einfach nur aus. Rein. Raus. Rein. Raus.
Als sich Roans Arm um ihn legte und er die Finger um Segs Länge schloss, zuckte er zusammen und sein Körper stand direkt am Abgrund der Ekstase.
»Komm für mich«, sagte Roan schroff. »Komm für mich, während ich in deinem Arsch komme.«
Jepp. Das war alles, was es brauchte.
Seg fuhr mit seinem Geländewagen in die Garage und drückte auf den Knopf, der die Tür schloss. Er hätte heute Abend mit seinem Team ausgehen sollen, doch er hatte es einfach nicht über sich gebracht. Nicht, nachdem er Roan begegnet war. Er musste sich zusammenreißen und die ganze Sache klären. Auf gar keinen Fall würde er einfach so weitermachen können.
Damals war es ihm harmlos vorgekommen, Roans Verlockung für eine Nacht nachzugeben. Dank der Tatsache, dass der Mann Wünsche in ihm geweckt hatte, die er nicht haben sollte, stellte sich jetzt heraus, dass diese Nacht alles andere als harmlos gewesen war.
Zwei
»Willst du, dass wir mit reinkommen?«, fragte Cam Strickland-Burgess an Roan gewandt, als er mit dem Wagen in die schmale, von Zweifamilienhäusern gesäumte Straße einbog.
»Nein. Schon gut.«
Seltsam. Cam fand, dass Roan sich nicht gut anhörte. Überhaupt nicht gut.
»Bist du sicher?«
»Ich bin mir sicher. Ich bin kein Kind mehr, Cam. Ich komme schon klar.« Diesmal war Roans Tonfall ein bisschen schärfer und Cam wusste, er musste aufhören, ihn zu drängen.
Aber verdammt noch mal. Es hatte seine gesamte Überredungskunst gebraucht, um Roan dazu zu bringen, heute Abend mit zum Spiel zu kommen. Und danach… Wenn es nicht völlig abwegig wäre, hätte er schwören können, dass Roan gar kein Interesse daran gehabt hatte, die Spieler der Austin Arrows persönlich kennenzulernen.
»In Ordnung.« Cam hielt an einem Stoppschild an und bog dann rechts ab. »Also, woher kennst du Seg? Seguine?«
»Ich…«
Cam spähte im Rückspiegel zu Roan, wartete ab, musterte ihn. Bereits seit Monaten hatte Cam den Eindruck, dass Roan etwas vor ihnen verbarg. Zumindest wusste er, dass Roan ihn ein- oder zweimal angelogen hatte. Über was, musste er noch herausfinden.
»Ich habe ihn mal in einer Bar getroffen.«
»In einer Bar?«
»Ja. Bei einem meiner Ausflüge nach Austin.«
Durchaus plausibel.
Cam schmunzelte und konzentrierte sich auf die Straße. »Und du hast nicht daran gedacht, es mal zu erwähnen? So: Hey, Cam, rate mal, wen ich heute getroffen habe?«
Als er erneut einen Blick in den Rückspiegel warf, bemerkte er, dass Roan aus dem Fenster sah. »Muss mir entfallen sein.«
Genau. Da steckte mehr hinter dieser Geschichte, das wusste Cam. Doch er hatte gelernt, dass sich Roan nur noch mehr verschloss, wenn man ihn zu etwas drängte.
Er hielt vor dem Doppelhaus, in dem Roan zusammen mit seiner jüngsten Schwester Cassie lebte. Es war ihre Wohnung gewesen, bevor Roan zu ihr gezogen war, um ihr bei ihren Rechnungen unter die Arme zu greifen. Cam wusste, dass sie sich die Miete häufig nicht leisten konnte, und er vermutete, sie gab all ihr Geld für ihre Drogensucht aus. So, wie das Haus aussah, blieb anscheinend auch nichts mehr für die Instandhaltung übrig. Nicht, dass Roan am Hungertuch nagte. Der Jachthafen lief gut und Cam wusste, dass sein Freund mehr als genug Geld besaß, um zurechtzukommen.
»Danke fürs Mitnehmen. Wir sehen uns morgen.« Roan sah nicht noch einmal zurück, als er aus dem Auto sprang, die Tür schloss und zum Haus eilte.
Gannon drückte Cams Hand, als wollte er ihn daran erinnern, dass er sie noch nach Hause fahren musste. Ohne länger zu zögern, drückte Cam aufs Gas und fuhr weiter. Er hasste es, Roan so zurücklassen zu müssen. Allerdings endete jeder Versuch, seinen besten Freund zum Reden zu bringen, damit, dass Roan ihn noch weiter ausgeschlossen und gelegentlich sogar Streit angefangen hatte, was dafür sorgte, dass sie sich voneinander distanzierten.
Als sie zwei Straßen weiter waren, blickte Cam zu seinem Ehemann. »Kommt es nur mir so vor oder scheint etwas mit ihm echt nicht zu stimmen?«
Gannon spähte aus dunklen Augen im gedämpften Licht des Armaturenbretts zu ihm herüber. »Ich vermute, du meinst heute Abend?«
Cam runzelte die Stirn.
»Babe, mit ihm stimmt schon seit langer Zeit was nicht«, sagte Gannon. »Schon seit du mit mir zusammengekommen bist.«
Ja. Anfangs hatte Roan ein Problem mit Cams und Gannons Beziehung gehabt. Aber das hatten sie hinter sich gelassen. Bei ihrer Hochzeit war Roan sogar einer der Trauzeugen gewesen. Deswegen machte er sich doch bestimmt nicht mehr verrückt.
»Okay, klar. Er ist schon seit einer Weile nicht mehr er selbst, da hast du recht«, stimmte Cam zu. »Ich weiß, dass er es mit Cassie schwer hat. Aber heute Abend war er wirklich seltsam drauf. Aus irgendeinem Grund glaube ich, dass wir ihn nicht hätten allein lassen sollen.«
Diesmal runzelte Gannon die Stirn. »Er ist nicht allein, Cam. Seine Schwester wohnt doch mit ihm zusammen.«
Cam warf Gannon einen finsteren Blick zu. »Und wir wissen schließlich alle, wie gut sie sich verstehen.«
»Wie Öl und Wasser, ja«, bemerkte Gannon.
»Ganz genau. Hast du ihn vorhin nicht gehört?«, wollte Cam wissen, obwohl es eine rhetorische Frage war, denn Gannon saß ja mit im Auto. Er musste es gehört haben. »Er hat mir vorgeworfen, ihn wie ein Kind zu behandeln. Das macht er ständig. Es ist, als würde er jedes Mal versuchen, einen Streit vom Zaun zu brechen, wenn ich ihm zu nahe komme.«
Cam brachte den Wagen zum Stehen, bevor er Roans Viertel verließ, und wandte sich seinem Ehemann zu. »Ich bin in letzter Zeit nicht gerade der beste Freund für ihn gewesen. Ich kann nicht besonders viel Zeit mit ihm verbringen. Aus irgendeinem Grund hat er aufgehört, uns zu besuchen. Und er kommt öfters nicht zur Arbeit. Ich weiß, dass ihn irgendetwas beschäftigt, aber ich kann ihn einfach nicht dazu bringen, darüber zu reden.«
»Und du denkst, dass es heute Abend anders wäre?«, fragte Gannon.
Cam zuckte mit den Schultern. Er wusste es nicht. Aber er konnte Roan zumindest damit konfrontieren. Wenn er einfach in sein Haus platzte, konnte Roan ihn nicht so abblitzen lassen, wie er es bisher immer getan hatte. Ganz egal, wie sehr er ihn in letzter Zeit genervt hatte, Roan hatte nie nachgegeben. Er wollte nicht reden. Er wollte nicht mit ihnen abhängen. Er wollte nichts tun, außer zur Arbeit und dann nach Hause zu gehen. Es war, als hätte seine Schwester sein Leben übernommen und er müsste all seine Zeit damit verbringen, sich um sie zu kümmern. Aber zum Teufel noch mal, die Frau war fast dreißig Jahre alt. Roan musste ihr nicht ständig die Hand halten.
Cam wusste, dass Roan jetzt gerade einen Freund brauchte.
»Wir fahren zurück«, verkündete Cam.
»Ich dachte mir schon, dass du das sagst.« Gannon lächelte. »Ich folge dir überallhin.«
Cam nickte, machte kehrt und fuhr zu Roans Haus zurück.
Das Gebäude war nicht viel mehr als eine heruntergekommene Hütte, die dringend ein neues Dach und ein bisschen Gras im Vorgarten gebrauchen könnte. Laut Roans Aussage lebte Cassie hier und da er sie praktisch gezwungen hatte, ihn bei ihr wohnen zu lassen, durfte er nicht wählerisch sein.
»Ich werde nicht mal anklopfen«, sagte Cam, als sie auf dem Weg zu Roans Vordertür einen Bogen um den Riss im Fußweg machten.
Musik dröhnte aus einem der anderen Zweifamilienhäuser, ein Baby schrie ganz in der Nähe und Cam war sich ziemlich sicher, dass der Geruch von Marihuana in der Luft lag.
»Hoffentlich ist er angezogen«, murmelte Cam und behielt seine Umgebung im Auge. Er verabscheute diesen Ort bereits, obwohl er erst seit einer Minute hier war. Wie zum Teufel konnte Roan in diesem Dreckloch leben?
»Hoffentlich ist seine Schwester angezogen«, bemerkte Gannon und klang, als wäre die Vorstellung, sie nackt zu sehen, sehr viel schlimmer als die Vorstellung von einem unbekleideten Roan.
»Ich bezweifle, dass sie überhaupt zu Hause ist.« So wie er Cassie kannte, war sie irgendwo unterwegs und besorgte sich ihren Stoff. Das tat sie meistens. Roan war die ganze Zeit damit beschäftigt, sie vor sich selbst zu schützen. Oder es zumindest zu versuchen. Cam fragte sich, wann dem Mann endlich klar wurde, dass sie für ihre Taten selbst verantwortlich war. Wenn er ihr jedes verdammte Mal zu Hilfe eilte, würde sie es nie allein schaffen.
»Irgendjemand muss sich um dieses Baby kümmern«, sagte Gannon abwesend.
Cam atmete tief durch, als er eine Hand an den Türknauf legte und ihn langsam drehte. Und ja! Sie war nicht verschlossen.
Das Nächste, was Cam wusste, war, dass er und Gannon Roans Vordertür öffneten, eintraten und…
Hier drin war die Musik sogar noch lauter zu hören. Genau wie das schreiende Baby. Wie dünn waren die Wände? Ernsthaft.
Und verdammt. Was stank hier so?
Im Haus war es komplett dunkel bis auf einen schwachen Lichtschein aus der Küche. Es war nicht genug, um das Zimmer zu erhellen, aber genug, damit Cam jemanden dort drüben neben der Couch erkennen konnte. Auf dem Boden.
»Roan?« Blind tastete Cam mit der Hand über die Wand. Hier musste es doch irgendwo einen Lichtschalter geben. Als er ihn gefunden hatte, legte er ihn um und im Raum wurde es hell. Trübes, gelbliches Licht fiel auf die billige Einrichtung und den schäbigen Teppich.
Und da sah Cam sie.
»Oh Scheiße«, schrie Gannon und schob Cam nach vorne. »Fuck.«
Cam brauchte einen Moment, um zu erfassen, was er da sah. Da war Roan und…
»Oh mein Gott!« Cam stürzte durch das Zimmer und ging neben Roan in die Knie, der seine Schwester in den Armen hielt. Die Frau lag reglos zwischen dem billigen, mit Zigarettenstummeln übersäten Wohnzimmertisch aus Messing und der gebrauchten Couch, die anscheinend mit Verpackungen von Fast-Food-Restaurants verziert worden war. »Was ist passiert?«
Oh, verflucht. Hier drüben war der Gestank noch viel schlimmer.
Cassies blondiertes Haar war matt und verfilzt. Ihr T-Shirt hing lose um ihre knochigen Schultern und ihre Shorts sahen aus, als wären sie tagelang nicht gewaschen worden. Ihre Haut war blasser als sonst und irgendetwas klebte an ihren Lippen.
War das Schaum?
Oh Gott. Oh Gott. Oh Gott.
»Scheiße!« Cam rief an Gannon gewandt: »Wähl den Notruf. Verflucht. Ich habe mein Handy im Auto vergessen.«
»Es ist zu spät«, sagte Roan leise. »Ruf die Polizei, aber es ist kein Notfall.«
Cam drückte zwei Finger an Cassies Hals und versuchte, ihren Puls zu finden, denn das hier konnte doch nicht wirklich passieren. Kein Puls, aber er hatte auch nicht wirklich einen erwartet. Das bestätigte nur, was er befürchtete.
Scheiße.
Er beugte sich vor und legte das Ohr nahe an ihren Mund. Sie atmete nicht.
Cam richtete sich auf und blickte zu Roan, dann wieder zu Cassie. Sie wirkte, als würde sie schlafen, doch er wusste es besser. Sie schlief nicht. Sie war tot. Und so, wie es aussah, war sie es womöglich schon seit ein paar Stunden.
Im Hintergrund hörte Cam, wie Gannon die Adresse herunterratterte, doch Roan hatte recht, es hatte keinen Zweck. Die Sanitäter mussten sich nicht beeilen, denn sie konnten nichts mehr für sie tun. Die Spritze, die sie benutzt hatte, hing noch an ihrem Arm, der mit einem gelben Gummiband abgebunden war. Die Nadel steckte noch in ihrer Vene.
Cam wusste, dass Roan genau so etwas schon lange befürchtet hatte. Und genau, wie er es vorausgesagt hatte, war Cassie der Droge unterlegen. Sie hatte eine Überdosis genommen und er glaubte nicht mal, dass sie es mit Absicht getan hatte. Wahrscheinlich war es ein abendliches Ritual für sie gewesen und dieses eine Mal…
Leider reichte ein Mal vollkommen aus.
Heilige Scheiße.
»Sie sind unterwegs«, sagte Gannon in panischem Tonfall.
»Sie ist tot«, sagte Cam, als würde er es erst richtig realisieren, wenn er es aussprach.
»Ich wusste, dass etwas nicht stimmte«, murmelte Roan mit gequälter Stimme. »Ich hätte hier sein sollen.«
»Mann, du kannst doch nicht…« Cam verstummte. »Ernsthaft, kümmert sich dein Nachbar auch irgendwann mal um das Baby? Es schreit, seit wir hier angekommen sind.«
Roan sah zu Cam auf und es war, als hätte jemand einen Schalter in seinem Kopf umgelegt. »Oh mein Gott! Oh Scheiße!«
Cam sah Roan hinterher, als dieser auf die Füße sprang und den schmalen Flur hinunter sprintete. Cam warf Gannon einen flüchtigen Blick zu, doch sein Ehemann wirkte so verwirrt, wie er sich fühlte.
»Ich warte auf die Polizei«, sagte Gannon. »Ich denke, du solltest wahrscheinlich nach ihm sehen.«
Ja.
Irgendjemand sollte das wahrscheinlich tun.
***
Roan stieß die Tür zum Schlafzimmer auf und schlug mit der Hand auf den Lichtschalter an der Wand.
Erleichterung übermannte ihn und ließ beinahe seine Knie weich werden, als er Liam in seinem Kinderbett entdeckte. Natürlich schrie das Baby Zeter und Mordio, aber wenigstens war er dort, wo er war, wohlbehalten.
Roan atmete ruhig durch, griff nach dem kleinen Jungen, hob ihn in seine Arme und murmelte leise vor sich hin, während er ihn an seine Brust drückte.
Oh, verdammt. Er war vollkommen durchnässt. Der Strampler, den Roan ihm angezogen hatte, bevor er sich auf dem Weg zum Spiel gemacht hatte, war geradezu durchgeweicht.
»Alles okay, Kleiner. Es tut mir so, so leid. Sch… sch… sch. Oh Gott, es wird alles wieder gut. Das schwöre ich dir.«
Roan ignorierte die Feuchtigkeit, die durch sein Shirt drang, und gab sein Bestes, um den kleinen Jungen zu beruhigen, als er ihn in die Arme schloss.
»Liam, ich bin jetzt hier. Ich hab dich.«
Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Liam stiller wurde und sich seine Schreie in ersticktes Schluchzen verwandelten, während er nach Atem rang. Gott allein wusste, wie lange Liam schon dort gelegen und aus vollem Hals geschrien hatte. Die Doppelhaushälfte, die sich an Cassies anschloss, stand leer, sodass niemand ihn gehört hatte. Natürlich hätte Roan ihn gehört, wäre er nicht vollkommen schockiert gewesen, als er seine Schwester auf dem Boden des Wohnzimmers vorgefunden hatte, ihr Körper eiskalt…
Cassie war tot.
Ein Schauer rann an seiner Wirbelsäule hinab, während sein Kopf alles verarbeitete, was in den letzten paar Minuten geschehen war.
»Ich hab dich«, wisperte Roan Liam zu, als ihm die Schwere der ganzen Situation bewusst wurde. Liams Mutter war tot. »Versprochen. Ich bin hier. Ich gehe nirgendwohin.«
Roan drehte sich zur Tür um und entdeckte Cam, der dort stand und ihn anstarrte. Seine Augen waren groß und sein Kiefer berührte praktisch den Boden.
»Ähm… Heilige… Sch…«
Das war es, was Roan zu verbergen versucht hatte, indem er seine Freunde auf Abstand hielt. Nicht unbedingt, weil er sich der Aufgabe, den Sohn seiner Schwester aufzuziehen, allein stellen wollte, sondern weil das alles zu viel für ihn war und er erst einmal selbst damit klarkommen musste.
Das Haus war ein ekelhaftes Chaos. Es spielte keine Rolle, dass Roan es morgens und abends aufräumte. Es war, als würde Cassie mit Absicht alles in Unordnung bringen. Roan hatte nicht gewollt, dass das irgendjemand zu Gesicht bekam, ganz besonders nicht seine Freunde.
Und niemand hätte noch reinkommen und Cassies leblosen Körper auf dem Boden vorfinden sollen, während der Beweis, dass sie nicht versucht hatte, clean zu bleiben, an ihrem Arm baumelte.
»Ist das…?« Cam schienen die Worte zu fehlen. Seine Augen waren weit aufgerissen und seine Augenbrauen bis zu seinem Haaransatz hinaufgewandert.
»Der Sohn meiner Schwester?« Roan nickte. »Ja. Er heißt Liam.«
Cam kam einen Schritt auf sie zu. »Er ist winzig. Wie alt ist er?«
»Ist gestern einen Monat alt geworden.«
»Cam? Roan?« Gannons ruhige, sanfte Stimme drang vom Flur aus ins Zimmer. »Die Polizei ist hier.«
Roan sah Cam an. »Ich weiß, dass ich viel zu erklären habe, aber…«
Cam schüttelte den Kopf. »Ich rede mit der Polizei. Und sage ihnen, was ich kann.«
»Ich muss ihn umziehen«, flüsterte Roan und blickte auf den süßen kleinen Jungen in seinen Armen hinunter. Er versuchte, gegen die Tränen anzukämpfen. Es hasste es, dass dieser wunderbare Junge jetzt ohne seine Mutter durchs Leben gehen musste. Roans eigene Mutter war zwar nicht gestorben, doch er hatte sein Leben so geführt, als wäre sie es.
»Klar doch. Ich werde… ähm… ja.«
Roan drehte sich zum Wickeltisch um und legte Liam in der Mitte ab. Dann machte er sich daran, ihn aus der nassen Kleidung zu schälen und die durchweichte Windel so schnell und so effizient zu wechseln, wie er konnte. Gott wusste, dass er während der vergangenen vier Wochen oft genug hatte üben können.
Als er fertig war, warf er die schmutzige Windel in den Eimer, hob Liam hoch, bettete ihn vorsichtig an seine Schulter und legte eine Hand auf seinen Rücken, sodass seine Finger den Kopf sicherten. Noch einmal sah er sich im Zimmer um. Alles hier war neu. Das Kinderbett, der Wickeltisch, die Kommode. Roan hatte jedes Möbelstück gekauft, jedes Kleidungsstück, die Windeln, die Feuchttücher, das Puder, die Babywanne. Alles.
Jede einzelne Sache für Liam hatte Roan für ihn besorgt. Und zwar nicht widerwillig. Er hatte die Dinge gekauft, weil er dafür sorgen wollte, dass es Liam an nichts fehlte.
»Was machen wir jetzt, Kleiner?«, flüsterte er auf dem Weg in die Küche.
Ein kurzer Blick auf die Anrichte bestätigte, was er befürchtet hatte. Cassie hatte ihn heute Abend nicht gefüttert. Jeden Tag füllte Roan die Fläschchen mit Wasser und stellte sie für Cassie auf die Anrichte. Sie musste dann nur noch das Milchpulver hinzufügen. Roan platzierte die Dose sogar neben den Fläschchen und hatte einen Notizzettel drangeklebt, auf dem stand, wie viel Pulver sie dazugeben musste. Indem er die Fläschchen bereitstellte, behielt Roan den Überblick, was sie getan oder auch nicht getan hatte. Meistens hatte seine Schwester es versucht. Genauer gesagt hatte sie es versuchen wollen.
Das hatte sie wirklich.
Sie war nicht die beste Mutter gewesen. Das konnte niemand bestreiten. Über die Hälfte der Zeit war Roan wegen Liam mitten in der Nacht aufgestanden, weil sie sich geweigert hatte, das Bett zu verlassen. Am Anfang hatte es danach ausgesehen, als ob Cassie die ganze Muttersache versuchen wollte. Nach einer Woche war Roan klar geworden, dass er mehr würde tun müssen, als nur ein Auge auf sie zu haben. Sie begann, sich mehr und mehr darauf zu verlassen, dass er sich um Liam kümmerte, und Roan hatte getan, was ihm selbstverständlich erschien. Er sorgte für den kleinen Jungen, weil er wusste, dass seine Schwester es nicht tun würde.
Roan kämpfte die drohenden Tränen zurück, während er den Deckel von der Milchpulverdose abschraubte und sich daran machte, Liams Fläschchen zuzubereiten. Der kleine Junge würde nicht lange still sein.
Gannon betrat die Küche. »Sie wollen mit dir reden.« Er nickte in Liams Richtung. »Darf ich?«
Offensichtlich hatte Cam Gannon vorgewarnt, denn er schien überhaupt nicht überrascht zu sein, einen Säugling in Roans Armen zu sehen.
Roan wusste, dass er sich damit auseinandersetzen musste, aber er hasste es, Liam loszulassen. Wenn er könnte, würde er den Jungen für immer festhalten, genau dort an seinem Herzen, auf ihn aufpassen und ihn vor der Welt beschützen. In den wenigen kurzen Wochen seines Lebens hatte er schon so viel durchmachen müssen. Mehr, als er je hätte durchmachen sollen.
»Klar«, sagte Roan und gab Liam widerwillig an Gannon.
»Er ist winzig«, sagte Gannon leise und in seinem Blick lag Wärme, als er Liams kleine Gestalt betrachtete. »So winzig.«
Ja. Das war er.
Gannon nahm ihn, stützte behutsam seinen Kopf und platzierte ihn so, dass er ihm das Fläschchen geben konnte.
»Ich werde mich hier hinsetzen«, teilte Gannon ihm mit und sah zum Tisch hinüber.
»Okay.«
Roan schüttelte das Fläschchen, um das Pulver mit dem Wasser zu vermischen, dann versicherte er sich, dass der Sauger funktionierte. Nachdem er es Gannon gereicht hatte, schluckte er schwer und wappnete sich für das Gespräch mit der Polizei.
Jemand – wahrscheinlich Gannon – hatte rücksichtsvoll ein Laken über Cassies Leiche ausgebreitet. Roan richtete seine Aufmerksamkeit auf den Mann, der im Türrahmen stand, sonst hätten seine Knie vermutlich nachgegeben und er wäre zu Boden gesunken.
»Detective Wayne Simpson«, grüßte ihn der Mann geschäftsmäßig.
Roan nickte und wartete auf die Fragen.
»Sie sind…« Der Detective spähte auf seinen Notizblock, »… Cassies Bruder? Roan?«
»Roan Gregory, ja«, bestätigte er.
Knapp erzählte er dem Mann, wie er nach Hause gekommen war und sie leblos auf dem Boden vorgefunden hatte, während die Spritze noch in ihrem Arm steckte. Er beantwortete die Fragen, so gut er konnte. Ja, Cassie war süchtig gewesen. Ja, sie hatte versucht, einen Entzug zu machen. Nein, er wusste nicht, wo sie die Drogen her hatte. Ja, der kleine Junge war ihr Sohn, aber Roan hatte die Vormundschaft. Ja, er hatte die Formulare, die das belegten. Nein, er hatte nicht vor, hier in diesem Haus zu bleiben. Ja, er würde die Beerdigung organisieren.
Cam blieb an seiner Seite und übernahm so viele der Fragen, wie der Detective ihm erlaubte. Er schob Roan sanft zur Seite, als jemand – er wusste nicht einmal, wer – Cassies Leiche auf einer Bahre aus dem Haus rollte.
Das alles dauerte weniger als eine Stunde und als die Unruhe sich schließlich legte, fühlte Roan sich benommen.
Es war zu spät, um Cassie zu retten. Er war zu spät.
Er rieb sich mit der Faust übers Herz. Das verdammte Ding tat weh. Ein körperlicher Schmerz, der ihn nicht besonders kümmerte.
»Sie hat eine Überdosis genommen«, murmelte Roan. »So, wie ich es immer vorhergesehen habe.« Er holte tief Luft und versuchte, die Tränen zu unterdrücken, doch diesmal konnte er sie nicht aufhalten. »Gottverdammt, Cassie.«
Während er ins Leere starrte, rief er sich ihr letztes Gespräch vor ihren hasserfüllten Nachrichten ins Gedächtnis, das sie geführt hatten, kurz bevor er zum Spiel aufgebrochen war.
»Bist du sicher, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich hingehe?«, fragte Roan zum dritten Mal.
Cassie blickte lange genug vom Fernseher auf, um die Augen zu verdrehen. »Ich bin durchaus in der Lage, auf mich selbst aufzupassen.«
Um sie machte er sich auch keine Sorgen.
»Und auf Liam«, fügte sie verspätet hinzu. »Wir kommen klar.«
»Ich habe ihn gerade gebadet. Er hat einen frischen Strampler und eine neue Windel an. In etwa einer Stunde wird er etwas zu essen brauchen. Bekommst du das hin?« Roan wusste, dass sein Tonfall etwas schärfer als beabsichtigt war, aber es fiel ihm schwer, darauf zu vertrauen, dass Cassie auch tat, was sie sagte.
»Ich bin seine Mutter, Roan. Ich denke, ich werde es wissen, wenn mein Kind etwas essen will.«
Er verkniff sich eine Erwiderung. »Das Spiel beginnt um sieben. Ich bin um zehn wieder zu Hause. Spätestens um halb elf.«
Cassie winkte ab und widmete ihre Aufmerksamkeit bereits wieder dem Fernseher.
Er hätte das gesamte Haus gründlich durchkämmen und alle Drogen wegwerfen sollen, die sie vielleicht dagehabt hätte. Aber er hatte geglaubt, dass sie aufgehört hatte.
Oder hatte es glauben wollen.
Viel wichtiger war, dass er zu Hause hätte bleiben sollen.
Seine Brust wurde weit und Hitze schoss in seine Nebenhöhlen, als die Tränen ihn überwältigten.
Das Nächste, was er wusste, war, dass Cams Arme ihn umfingen und Roan wie ein Baby heulte. Er hasste es, dass er sich nicht zusammenreißen konnte. In ihrer Kindheit hatte Cam Roans Schwester nahegestanden und er verspürte wahrscheinlich den gleichen bohrenden Schmerz, den er empfand.
»Ich muss meinen Dad anrufen«, merkte Roan an, wich zurück und wischte sich über die Augen.
»Ich rufe ihn an, Roan.« Cams Stimme klang stark und fest. Er übernahm die Führung und Roan war dankbar dafür. »Ich denke, du und das Baby solltet heute bei uns übernachten.«
Roan nickte, während eine Träne von seiner Wange und auf seine Hand tropfte. Erst heute Morgen hatte er Cassie angefahren, weil sie völlig unausstehlich gewesen war. Während der vergangenen fünf Monate hatte Roan bei ihr gewohnt, auf ihrer Couch geschlafen, war in ihren Privatbereich eingedrungen und hatte versucht, sie von den Drogen wegzubekommen. Seit sie herausgefunden hatte, dass sie schwanger war. Er hatte versucht, für sie da zu sein, versucht, ihr durch die schwere Zeit hindurchzuhelfen. Sie hatten sich jeden verfluchten Tag über den gleichen Mist gestritten. Sie wollte ihn nicht dahaben, er wollte nicht hier sein. Sie hasste ihn, er hasste sie mehr. Es war ein Teufelskreis und obwohl vieles von dem, was er gesagt hatte, nicht stimmte, hatte sie ihn einfach an seine Grenzen gebracht.
Entzugskliniken hatten sie angenommen, nur um sie gleich wieder gehen zu lassen, weil sie sich weigerte, sich einer Behandlung zu unterziehen, dann streitlustig geworden war und die anderen Patienten verstört hatte. Sie hatte keine Hilfe gewollt.
Nicht von ihm. Nicht von ihrem Vater. Von niemandem.
Und wohin hatte sie das gebracht?
Sie war mit neunundzwanzig gestorben. Sie würde ihren nächsten Geburtstag in nur drei Wochen nicht mehr erleben.
Sein Vater und seine Stiefmutter würden am Boden zerstört sein. Und seine Schwester Eva auch.
Zum Teufel, vielleicht auch nicht. Keiner von ihnen hatte auch nur einen Finger gerührt, um Cassie zu unterstützen. Monatelang. Zuerst hatte seine Stiefmutter versucht zu helfen, doch Lydia war es müde geworden, die nötige Kraft aufzubringen, um sich mit Cassie auseinanderzusetzen. Es war letztlich nur noch Roan übrig. Er hatte keine andere Wahl gehabt, als seine Nase in Dinge zu stecken, die ihn nichts angingen, weil er nicht gewollt hatte, dass…
… das hier passierte.
»Roan«, sagte Cam leise. »Lass uns ein paar von Liams Sachen zusammenpacken.«
Er bemerkte Cams festen Griff an seinem Arm und rang sich einen Schritt nach vorne ab. Dann noch einen. Ihm fiel es schwer, all die Gefühle zu verarbeiten. Er war wütend auf Cassie, die jede Hilfe abgelehnt hatte. Sie hatte darauf bestanden, es allein zu schaffen. Jetzt, da sie Liam hatte, gäbe es etwas, wofür es sich zu leben lohnt. Das hatte sie ihm zumindest erzählt.
Es brach ihm das Herz, dass er sie nicht hatte aufhalten können. Aber schlimmer noch als das zerfraßen ihn die Schuldgefühle. Doch er konnte die Erleichterung, die er gleichzeitig empfand, nicht leugnen. Er wusste, dass es falsch war, weil es egoistisch war, aber er hatte so viel Zeit mit dem Versuch verbracht, ihr zu helfen, und war deswegen beschimpft – und manchmal sogar körperlich angegriffen – worden. Cassie war nicht sie selbst gewesen. Die Drogen hatten sie zu jemandem gemacht, den keiner von ihnen wiedererkannte.
Aber jetzt hatte sie Ruhe gefunden. Sie musste nicht länger gegen die Sucht ankämpfen.
Als Cams Arme sich erneut um ihn schlossen, wehrte sich Roan gegen einen erneuten Zusammenbruch. Er versuchte, sich aus Cams Umarmung zu befreien, doch er konnte es nicht, also gab er auf und ließ sich von seinem besten Freund versichern, dass sie das gemeinsam durchstehen würden.