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Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 25

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Die Kjersti auf der Holzkiste schnufzte.

Der Pastor trat zu ihr und gab ihr die Hand.

»Ein gesegnet gutes Mahl hast du mir geboten, Mutter — hab Dank dafür und großes Lob!«

»O ja, — o ja,« wiegte sie den Kopf; ihr schien, diese Hand könne sie gar nicht wieder loslassen.

Tönset‘n kam gleich wieder herein; — das ging nicht an, er mußte unbedingt sein Benehmen erklären, — es war durchaus nicht so schlimm mit ihm bestellt, wie der Pastor glaubte; der sollte bloß einmal hören, wie mancher andere bisweilen wetterte! — Als er aber vor dem Pastor stand, wurde aus allen den beabsichtigten Darlegungen nur ein Räuspern.

Der Pastor ging an den Reisesack, nahm zuerst einen stattlichen Beutel heraus, sodann eine lange Pfeife; die säuberte er mit großer Sorgfalt und stopfte sie, daß es verschlug.

»Nun, denke ich, könnte ein wenig Räucherwerk gar lieblich schmecken. — Nein, bleib bloß sitzen, Mutter!«

II

Der Pastor sollte in der Staatsgamme übernachten; eine solche befand sich jetzt auf jeder Farm. In ihr wurden Kleidungsstücke, Eßvorräte, Werkzeug und Gerät aufbewahrt, dort war oft auch Platz für die Schmiede und die Hobelbank; fast immer aber stand dort ein Bett bereit.

Tönset‘n und die Kjersti blieben vorerst noch lange behaglich mit ihrem Gast sitzen; der Pastor rauchte eine Pfeife nach der andern, klopfte die Asche an der Stiefelspitze aus, stopfte und entzündete von neuem. Und er wollte Bescheid darüber, wie es ihnen in den Jahren hier draußen ergangen sei. Und Tönset‘n wurde nicht müde zu berichten.

Endlich klopfte der Pastor die Asche zum letztenmal aus und legte die Pfeife weg.

»Ja, nun ist der Tag vergangen, und ein wahrhaft guter Tag ist es gewesen; die Nacht kommt herauf; nun wollen wir der süßen Ruhe pflegen. — Wo willst du mich heute nacht unterbringen, Mutter?«

Die Kjersti und Tönset‘n brachten ihn alle beide zur andern Gamme hinüber. Vor dem Bett stand ein kleiner Tisch mit einem buntgemusterten Tuch; es war eng und winzig hier drin, wie in einer Puppenstube, aber lustig und heimelig.

»Hier wird es sich gut ruhen lassen!« sagte der Pastor erfreut.

Das war doch einmal ein ausnehmend netter Mann, fand die Kjersti und kam mit vielen Entschuldigungen, daß es gar so dürftig sei.

Der Pastor setzte sie deswegen zurecht, halb ernsthaft und halb scherzend, und da lachten sie alle drei, und die beiden wollten sich gar nicht dazu verstehen, ihn jetzt sich selbst zu überlassen. —

Tönset‘n war in den letzten Jahren sehr alt geworden und kaum noch wiederzuerkennen. Im vorigen Frühjahr und in diesem hatte er sich arg mit Husten plagen müssen; letztes Frühjahr war es damit so übel gewesen, daß er schon gefürchtet hatte, drauf zugehen; doch die Kjersti hatte es ihm zu guter Letzt doch noch aus dem Körper herauskochen können. Er behielt die Spuren davon zurück, ermüdete leicht und brauchte viel Schlaf.

Aber heute nacht wurde nicht viel aus dem Schlafen. Unversehens sah er sich vor ernsten Fragen, die eingehend zu überlegen waren, — ja mein!

Die Kjersti war sofort von allem weggeschlummert.

Wie richtete er‘s ein, daß er sich dem Pastor anvertrauen konnte, ohne daß die Kjersti etwas merkte? — Morgen früh also bringe ich ihm gleich das Waschwasser hinein und setze mich dann neben die Tür, so daß ich sehen kann, wenn jemand kommt; dann spreche ich mit ihm darüber. — — — Ja, dann erzähle ich ihm das Ganze ... Es wird zwar bös abgehen, — Kniffe und Flausen sind hier nicht angebracht — er hat arg scharfe Augen! ... Ach ja ja!

Huff! Gräßlich wird‘s sein! — Wenn er schon wegen des winzigen Wörtleins, das mir da versehentlich entfuhr, so zornig wurde, was muß er dann erst davon sagen? — Tönset‘n brach der kalte Schweiß aus. — Nein, lieber abwarten, bis er weiterzieht, — dann begleite ich ihn ein Stück, — und gehe diesen Augen aus dem Wege.

Dieser Entschluß beruhigte ihn zwar einigermaßen; aber mit dem Schlafen wurde es doch nichts. Denn jetzt mußte er überdenken, wie er seine Worte zusammenfügen und belegen müsse, und dabei tauchten die Bilder von der ganzen elenden Geschichte vor ihm auf, — und mit einem Male war er völlig wach.

Ja, das war wohl eine ganz vertrackte Geschichte gewesen, und nur er selber konnte ganz ermessen, wie traurig und verteufelt falsch sie war. Das war ihm auch erst diesen Frühling aufgegangen, als er bettlägerig war und der Husten ihn zu Sauerkraut zerhacken wollte; und seither hatte es ihn ständig gewurmt.

Der Pastor schien zwar verständig, so daß er werde einsehen können, daß es seine, Syverts, Schuld nicht allein war. — Sie waren zu ihm gekommen; er konnte nichts dazu, daß sie kamen! Und er war nach der Vorschrift des Gesetzes gewählt, und aus seinem Amte folgte, daß er das tun mußte. — Die angeordnet hatten, daß unkundiges Volk solche Handlung verrichten solle, die müßten gewißlich und wahrhaftig auch ihren Teil an der Schuld auf sich nehmen! — Dennoch: er hätte es auch ablehnen können — das war‘s ja gerade — und das würde ihm der Pastor auch sagen! — Ach du und du, wie schlimm das war!

Waren es jetzt zum Herbst nicht akkurat vier Jahre her? ... Es war noch dazu an einem Sonntagnachmittag gewesen, — ja, insoweit war nun übrigens alles allright! Das Brautgefolge kam zur Gamme herauf, fast alle vom Ostufer des Bachs waren dabei, — in ihrer Mitte der Johannes Mörstad und die Jossie, sein Schatz. Der Halvor Hegg brachte das Anliegen vor, und der Halvor war ein redlicher Mann. Syvert Tönset‘n konnte sich nicht mehr genau auf den Wortlaut besinnen, aber er lautete etwa so: ›Du bist Friedensrichter, du Syvert Tönset‘n, und das ist ein wichtiges Amt.‹ — Er entsann sich deutlich, daß der Halvor gesagt: › ein wichtiges Amt‹. — ›Der Johannes und die Jossie, die wollen heiraten und zusammenziehen; denn der Johannes bedarf, so stramm wie der wirtschaftet, der Hilfe. Zufolge Recht und Gesetz fällt es dir zu, das Geschäft auf christliche Weise zu besorgen; das weißt du ja selber am besten!‹

Tödlich erschreckt war er damals gewesen, als er gemerkt hatte, es sei Ernst damit. Und seit er letzten Frühling mit dem Tode gerungen, hatte er an nichts anderes mehr denken können.

Und da hatte er sie also getraut!

Wäre er wenigstens dessen sicher gewesen, daß er ganz nach dem Gesetze verfahren war! Aber die Papiere und Vorschriften, die er dabei hatte gebrauchen sollen, die hatte er gerade nicht finden können; und im Grunde war‘s auch gleich, denn die waren ja doch allesamt auf englisch. — Die Nachbarn hatten ihn zum Friedensrichter gewählt, als sie die Kreisschaft organisierten, weil die Vorschrift besagte, daß sich in ihr solch ein Beamter vorfinden müsse, und sie hatten alle ihren Spaß daran gehabt. Er hatte nicht im entferntesten geahnt, daß er jemals von Amts wegen bemüht werden würde, — am allerwenigsten mit so etwas! — Solche Gottverhöhnung!

Aber er hatte doch Anlaß genommen, vorerst einmal abzulehnen, und das konnten die Nachbarn bezeugen!

Das schlimmste war, daß das Jungvolk vorher und nachher soviel Spektakel und Unfug getrieben hatte; es hatte Beifall geklatscht und Pastor und Brautpaar mit drei mal drei Hurras hochleben lassen, als sei das alles ein Schnickschnack. — Die Jossie und der Johannes hatten vor ihm Aufstellung genommen, und auch bei denen war keine Spur von Ernst zu entdecken gewesen, sie hatten ihm geradezu ins Gesicht gelacht. — Vielleicht hatte sogar er selber gelächelt, obgleich es ihm durchaus ernst war. Und dann hatte er des Johannes Hand genommen und in die der Frau gelegt, und die Jossie selbst war darauf gekommen, daß das nicht richtig sei, und hatte ihn darauf aufmerksam gemacht! Und da hatten die andern erst recht losgepruscht. — Und dann hatte er diese Worte gesagt: ›Jetzt, Johannes, nimm du das Weib, das hier an deiner Seite steht, ja, nimm sie also und halte sie in Zucht und Ehren, wie es sich für norwegisch Volk geziemt!‹ Darauf hatte er laut ›Amen‹ gesagt; denn es war ihm nichts weiter eingefallen. Da hatte ihm die Jossie gerad ins Gesicht geschaut, und sie hatte so schön ausgesehen — und so herzensgut gelacht! —Seither hatten nun die beiden wie Mann und Frau gelebt, — entsetzlich! — Aber noch hatte sie nichts Schlimmes heimgesucht, außer daß die Kinder so erschrecklich schnell hintereinander kamen; aber die waren sowohl schön wie gesund! —

Tönset‘n kehrte sich wohl zum zwanzigsten Male im Bett um: ja ja, morgen also mußte er mit dem Pastor sprechen, — und wurde der auch noch so zornig.

Ging es jedoch an, notgetaufte Kinder wiederzutaufen, so mußte doch auch mit seinem Vergehen etwas geschehen können? — —

Am nächsten Morgen konnte sich der Pastor beim Frühmahl nicht genugtun mit Fragen. Wer wohnte in dieser Gamme, wer in jener? Wer hatte denn die ansehnlichen Gebäude dort aufgeführt, — war der schon zu solchem Wohlstand gelangt? Und so fort.

Tönset‘n saß am andern Tischende dem Gast gegenüber; hier war für ihn besonders angerichtet; aber nicht einmal fürs Essen hatte er heute den rechten Eifer. — Es war doch merkwürdig, worauf der Pastor mit seinen Fragen alles kam. Tönset‘n wurde es rein bänglich zumute; er legte den Löffel hin und fand einen Vorwand hinauszugehen. —

Gleich darauf stand der Pastor mit dem Reisesack in der Hand auf der Hofreite und schaute sich um. Die Kjersti kam ihm schüchtern aus der Tür nachgestolpert, Tönset‘n machte sich hier und dort zu schaffen und mied den Pastor geflissentlich, und so rief ihn dieser denn heran.

Wer sei doch gleich sein westlicher Nachbar?

Das sei der Hans Olsen, ja also der Hans Vaag.

Und wer wohne nördlich von ihm?

Das tue der Per Holm oder der Per Hansen, wie sie ihn unter sich nannten.

Der Pastor erkundigte sich nach dem ganzen Settlement, soweit es von Tönset‘n aus zu übersehen war.

Wer habe denn wohl das größte Haus?

Meine er die größte Stube? — Well, die habe also der Per Holm; der habe gleich gewaltig zugegriffen und von vornherein so groß gebaut, daß sie ihn erst für nicht recht gescheit gehalten hatten, und dann habe er sich gleichwohl als gescheit erwiesen. — Der Torkel Tallaksen sei jetzt bei einem mächtigen Hausbau, geradezu einem Herrenhof; aber fertig sei der noch nicht.

»Und jetzt frisch ans Werk!« sagte der Pastor fröhlich und entschlossen. »Und du, mein guter Mann, mußt mir dabei behilflich sein: geh jetzt zu allen Nachbarn und sage ihnen an, daß ich heute um zwei Uhr bei diesem Peder Holm Gottesdienst zu halten gedenke; sage, alle müßten sie kommen, — unbedingt alle! — Und du Mutter,« wandte er sich an die Kjersti, »tust, glaube ich, gut und freundlich daran, wenn du zu Mrs. Holm hinübergehst und ihr dabei hilfst, zum Gottesdienst hübsch aufzuräumen; schön braucht es nicht zu sein, aber sauber, wo die Gaben des Herrn ausgeteilt werden.«

Die beiden guckten den Pastor erst eine Weile an, ehe sie sich zu den Anordnungen äußerten. Dann aber seufzte die Kjersti leise: »Ach ja, die arme Beret!«

»Beret? — Nun, so heißt also die Frau dort im Hause, — woran fehlt es denn bei ihr? Ist es dort vielleicht ärmlich bestellt?«

Da vergaß sich Tönset‘n vor lauter Eifer.

»Ich will dir sagen,« betonte er, »der Per Hansen — ja also der Per Holm, der ist hier draußen ein reicher Mann geworden, hat es besser gemacht, als irgendeiner sonst, obgleich er als Habenichts herkam. Aber ich will ihn darum nicht sonderlich loben; denn er hat gute Hilfe, so daß er niemanden zu dingen braucht, und Glück hat er all sein Lebtag gehabt. Da kamen zum Beispiel die Heuschrecken im ersten Jahr und schoren bei uns anderen alles ratzekahl; aber der Per Hansen, der konnte alles noch rechtzeitig bergen! Im gleichen Jahre machte er einen Treffer mit den Kartoffeln, — ja, er hat damals gewiß für über tausend Dollar verkauft, und niemand weiß, wieviel er bei dem Pelzhandel verdient, den er zur Winterzeit mit den Indianern betreibt! — Der sitzt jetzt auf drei Quarten Land!«

»Sieh einer an! Das ist einmal erfreulich! — Aber was fehlt denn der Frau?«

Jetzt war die Reihe an der Kjersti; sie wiegte bedächtig den Kopf und berichtete umständlich; ab und zu mischte sich Tönset‘n ein, wenn er fand, sie drücke sich nicht klar genug aus. Der Pastor fragte dazwischen, und allmählich erfuhr er die ganze Geschichte von der Beret Perstochter. Sein Gesicht bekam einen merklich veränderten Ausdruck — die Sonne erlosch plötzlich über einer schönen Landschaft, sie bot einen schwermütigen Anblick.

Er blickte lange vor sich hin, und die beiden wagten nicht zu reden. Endlich sagte er still:

»Ich meine, wir richten uns am besten so ein, Mutter, daß ich zuerst hinübergehe, und du kommst gegen Mittag nach. — Und du, mein lieber Mann,« wandte er sich zu Tönset‘n, »führe deinen Auftrag gut aus! Denke daran, daß sie alle Kinder, die getauft werden müssen, mitbringen sollen — das darfst du nicht vergessen, — und auch die Gesangbücher müssen sie mithaben!« —

Der Pastor machte sich jetzt auf den Weg; es war nicht weit bis zum Per Hansen, und so ließ er sein Pferd im Stall. Tönset‘n begleitete ihn.

»Laß mich die Tasche tragen!«

»Hast du denselben Weg?«

»Ich fange beim Per Hansen an und gehe dann nach Osten weiter, — das ist am praktischsten.«

Der Pastor schritt ganz in Gedanken versunken dahin; Tönset‘n hielt sich ein wenig hinter ihm. »Ich habe mit dir zu reden,« kam es so beiläufig und leise, daß der Pastor es soeben noch auffing.

Der Pastor blieb stehen und sah ihn scharf an; Tönset‘n guckte bald hierhin, bald dorthin, meist jedoch auf den Boden, trat erregt von einem Fuß auf den andern.

»Nun?«

Tönset‘n holte tief Atem und ermannte sich, sah den Pastor an, wandte das Gesicht ab.

»Ich wollte dich nur fragen, ob — ob es angeht, daß du ein Paar traust, das — das — bereits verheiratet ist, — denn dann würde ich sie auffordern, zu kommen?«

»Sind sie den geschieden?«

»Geschieden? Bewahre! Was du auch fragst! — Aber das Trauen wurde vielleicht damals, als sie heirateten, nicht ordentlich ausgeführt — ?«

Der Pastor forschte in Tönset‘ns Gesicht, sah jedoch eigentlich nur einen roten Haarbusch, der ruckweise auf und ab wippte.

»Ich verstehe dich gewiß nicht recht?«

Tönset‘n spuckte aus und guckte in den Himmel.

»Schau,« erklärte er verzweifelt, »wir mußten damals die Kreisschaft organisieren, — und da hieß es halt auch Beamte herschaffen — ja. Da beklemmten sie also mich und wählten mich zum Justice of peace Friedensrichter, — was hätte ich dagegen gekonnt ? Ja und einen Pastor gab‘s in ganz Dakota nicht, war einfach nicht aufzutreiben!« Tönset‘n beschrieb mit der Hand einen dramatischen Bogen und starrte in den Himmel.

»Und da mußtest du eben als Pastor fungieren?« fragte der andere mit breitem Lächeln.

»Ja, willst du‘s glauben, so verrückt ging‘s damals zu! — Der Johannes Mörstad und die Jossie, sein Weib, die konnten halt nicht länger warten —, und da setzten sie mir halt zu, — ich sagte anfänglich geradheraus ›nein‹, und dafür habe ich Zeugen, — aber ich war nun einmal Justice, siehst du, und konnte auf die Dauer nicht ablehnen. — Und das ist die böseste Sünde, die einer begehen kann!« flüsterte Tönset‘n.

»Nun, nun,« beschwichtigte der Pastor. »Und du trautest sie also ?«

»Ja siehst du, ich mußte halt mit den Wölfen heulen! — Kannst du sie nicht noch einmal ordentlich trauen?« bettelte der Mann.

Da lachte der Pastor, daß es gluckste; das Lachen überrieselte den alten Bauern vor ihm wie ein angenehm laues Brausebad; und er schöpfte jetzt sogar Mut, dem Pastor ins Gesicht zu sehen. Er spuckte ungeheuerlich und schneuzte sich fürchterlich und konnte sich an dem freundlichen Gesicht vor ihm gar nicht sattsehen.

»Ist das denn schon lange her?« fragte jetzt das freundliche Gesicht.

»Im Herbst sind‘s vier Jahre. — Es geschah sogar am dreizehnten Sonntag nach Trinitatis, wenn ich mich präzis ausdrücken soll, — ich machte mir im Gesangbuch ein Zeichen.«

»Du tatest alles, wie das Gesetz es vorschreibt?«

»Meiner Treu, freilich! — Nja — das heißt: ich bin ja nur ein einfacher Mann!«

»Sind Kinder vorhanden?«

»Kinder? Du fragst auch noch! — Drei Stück, verstehst du, drei, darnach also zu urteilen, fehlt nicht gar zuviel daran, daß es seinerzeit richtig gemacht worden ist!« rief Tönset‘n treuherzig. »Aber doch mußt du‘s noch einmal tun!«

»Nein,« sagte der Pastor lächelnd, »das bleibt dein Werk, mein guter Mann. Aber sorge dafür, daß sie mir die Kinder bringen. — Und jetzt mach dich auf den Weg!«

»Aber heißt das denn nicht Gott verspotten?« fragte Tönset‘n, von neuen Bedenken geplagt.

Der Pastor wurde ernst: »Doch, gewiß, in geordneten Verhältnissen unbedingt. Aber die gab es hier damals nicht. Und du warst zur Ausübung bestimmter behördlicher Pflichten bestellt. — Als die Kinder Israel in der Wüste wanderten, da gab es zuerst nur den Wüstensand, dann kam das Tabernakel, zuletzt erst der Tempel.«

»Und der Herrgott wird mir vergeben?«

»Gewiß, — das ist wohl kaum deine größte Sünde gewesen!«

Tönset‘n jappte nach Luft, wischte sich die Augen und mußte den Pastor noch einmal gründlich besehen, — ein ausnehmend verständiger Mann war das!

»Und jetzt laufe ich! — Aber daheim darfst du nichts erwähnen; denn — denn — ja, die Kjersti ist halt ein wenig anfällig!«

Und damit machte sich Tönset‘n auf den Weg; er lief von Farm zu Farm, kündigte den Bewohnern an, jetzt hätten sie einen Pastor bekommen! — einen ungemein tüchtigen Mann! Und alle müßten kommen, ihn zu hören. Und je weiter er lief, desto leichter wurde ihm ums Herz und um so erstaunlicher der Pastor; und er vergaß weder das von den Kindern, noch jenes von den Gesangbüchern zu bestellen, fügte vielmehr noch weitere Ermahnungen hinzu; — denn daß er, Syvert Tönset‘n, ein Paar so zusammenzuschweißen verstand, daß es sogar vor dem Herrgott allright war, — ja, das war überaus merkwürdig!

III

Der Pastor stand im vollen Ornat am Fenster. — Der Talar war zwar schon fadenscheinig und von den vielen, weiten Reisen, die er im Mantelsack hatte zurücklegen müssen, ziemlich zerknüllt; auch der Kragen hätte wohl etwas saubrer sein können. Aber dem schenkte niemand Beachtung: denn da stand ein richtiger norwegischer Pastor in Talar und Bäffchen! Und es war gewiß auch zutreffend, was Tönset‘n von ihm gesagt: er war ein merkwürdiger Mann. Das Gesicht trat durch die Amtstracht noch kräftiger hervor, das Grau im Bart und das jugendlich Frische wurden lebendiger.

Der weißbetuchte Tisch war so dicht ans Fenster geschoben, daß der Pastor gerade noch Platz dahinter fand. Zwei selbstgegossene Lichte standen darauf in selbstgefertigten Leuchtern: es waren zwei Äste in vier Zoll Länge quer abgeschnitten; die Borke war weiß überstrichen; von weitem nahmen sich die Leuchter aus wie sinnreiche Kunstgegenstände. Die Lichter brannten noch nicht. Eine Bibel und ein Gesangbuch lagen zwischen ihnen.

Die Zeit der Zusammenkunft war gekommen; die Leute traten bedächtig ein und suchten sich Platz; auf den Betten saßen dicht gedrängt — wie Perlen auf einer Schnur — Frauen, hauptsächlich Mütter mit Kindern, die hinter ihnen hockten oder lagen. Auf der großen Lade drängten sich acht weitere mit ihrem Kroppzeug zusammen; die Lade war etwas von der Wand abgerückt worden, daß man ringsherum sitzen konnte; die sechs Bänke, Per Hansens und Hans Olsens gemeinsamer Bestand, waren brechend voll von Kindern und Frauen, aber auch von älteren Männern, die das lange Stehen nicht vertrugen. — Die Betten standen in der einen Ecke, der Herd in der andern, der Pastor mit dem Tisch in der dritten; in der vierten und in dem Raum, der noch in der Stubenmitte blieb, stand dicht gedrängt Mann an Mann — wie Heringe in einer Tonne. Jeder wollte den Pastor sehen. Aber nicht alle fanden sie Platz; die lehnten draußen an der Hüttenwand oder machten es sich auf dem Erdboden bequem; ihr Schwatzen und Lachen klang als gedämpftes Summen herein.

Die Frauen hatten sich zu der feierlichen Gelegenheit gesäubert und geputzt, auch die meisten Männer; etliche aber kamen geradeswegs von der Arbeit, — mit staubigen und verschwitzten Gesichtern.

»Jetzt müßt ihr still sein, guten Leute, — jetzt fangen wir an!« Er erhob die Stimme: »Und die draußen sind, müssen sich ganz ruhig verhalten!«

Lautlose Stille trat ein in dem vollgepackten Raum; das Atmen stieg und sank in ruhigem Wellenschlag; wie das Raunen eines fernen Meeres ließ es sich vernehmen.

Der Pastor verlas das Kirchengebet, gab an, welches Lied sie gemeinsam singen wollten, und sang selber vor; die Klangwogen kamen nachgespült — die eine jetzt, die andere hinterher; nachdem aber der erste Vers gesungen war, hallte die Stube in kräftigem Chorgesang. Dann kam die Liturgie. Und es wurde überhaupt daraus ein richtiger Gottesdienst, gerade wie in der Kirche daheim!

Als es allmählich recht warm wurde, zogen sich die Männer verstohlen die Jacken aus.

Der Pastor predigte über den Einzug der Kinder Israel in das Land Kanaan; er erinnerte an die Gefahren, die sie überstehen mußten, an die vielen Kämpfe; er erinnerte an das, was ihnen verheißen worden war, wofern sie dem Stamm ihrer Väter Treue hielten, und an die Gebote, die ihnen der Herr zur Richtschnur gegeben. Darauf malte er Israels Geschichte in kräftigen Strichen. Zuerst das Schicksal der zehn Stämme: sie wurden in die Gefangenschaft geführt und vergingen wie Morgentau auf der Widde. Keine Spur, kein Merkzeichen, nicht einmal ein alter Name deutet an, wo sie verblieben. Sei es nicht seltsam, daß ein ganzes Volk sich so spurlos verlieren könne? — Wie anders aber mit dem Volk der zwei Stämme! Auch das wurde gefesselt und in die Sklaverei geschleppt; aber es fühlte sich seiner Herkunft in unabänderlicher Treue verbunden, und Jahwe, der sie sich großgezogen, vergalt ihnen Treue um Treue. Und sie kehrten zurück und errichteten Zions Mauern in neuer Schönheit, — und aus ihrem Schoße erwuchs der Erlöser!

Und jetzt wandte der Pastor das Bild auf seine Zuhörer an: Auch sie seien in ein Kanaan eingewandert; aus dem uralten Wohnsitz ihres Stammes seien sie über das weite Meer in ein fremdes Land gezogen; hier sollten sie von neuem verwurzeln, und ihre Geschlechter in unabsehbare Zeiten hineinwachsen. Wohl hätten sie nicht gegen feindliche Stämme zu kämpfen, aber in anderer Form ständen auch ihnen Kämpfe bevor; denn die Mächte der Finsternis rasteten nimmer: Hier gebe es beschwerliche Reisen zur Stadt; rohes Heidentum umdrohe sie. Und auch der Reichtum halte hier wohl bald seinen Einzug! Die unendlichen Widden lägen vor ihnen in üppiger Fruchtbarkeit, aber auch voll der tiefen Schwermut, die in einem landfremden Gemüt so wunderliche Fäden spinne, zumal bei denen, die der Herr mit einem schweren Sinn begabt hat. Das Fremde, das Kalte, die machtvolle Einsamkeit der riesenhaften Widde, das alles zu bekämpfen, könne auch dem mutigsten Herzen blutsauer fallen.

Der Pastor legte ihnen seine Gedanken dar, wuchs vor ihnen an Größe und Kraft, je mehr er ihnen offenbarte, was sie im geheimen oft gefühlt. Als er aber zu guter Letzt auch noch die Heuschrecken anführte, da vermochte Tönset‘n sich nicht länger zu zügeln; er mußte jetzt seinen Beifall auf irgendeine Weise durchaus zu erkennen geben: schob also mit kräftiger Faust den Rücken des vor ihm Stehenden zurück und spuckte gewaltig aus; schaute sich sodann mit Siegermiene um, als frage er: ›Hab ich‘s euch nicht gesagt: der ist ein ganz unvergleichlicher Pastor!‹

Aber jetzt kam der Pastor auf die Zukunft zu sprechen, und da hatte Tönset‘n für nichts anderes mehr Auge und Ohr.

Verständen sie auch zur Genüge, welche Aufgabe der Herr ihnen mit diesem Lande gestellt habe? Und dankten sie ihm dafür? — Der Pastor sprach mit großer Würde. — Wie wollten sie die grenzenlose Freiheit, die der Herr in seiner Gnade ihnen geschenkt, anwenden? Sie wollten ein neues Reich errichten, — selbst den Grund dazu legen, selbst alles zimmern von Anbeginn an; — waren sie sich der Größe der Aufgabe, die auf ihren Schultern ruhte, und ihrer herrlichen Verantwortung auch bewußt? Der Herr habe ihnen damit eine Möglichkeit gegeben, zu der die Weltgeschichte kein Gegenstück kenne; wahrhaft werde es sich nunmehr erweisen, ob sie von guter Herkunft seien, ob freier Männer Kinder oder zu Sklaven geboren. — Und seien sie dessen nicht froh? — Zwar hätten sie weder eine Gefangenschaft noch ein Sklavenleben im alten Lande hinter sich gelassen — und auch dessen sollten sie dankbarlich gedenken; hier aber ständen sie vor der größten Aufgabe, die Gott der Herr jemals einem Volke gestellt!

Die Rede wurde immer wärmer und farbiger.

»Eine Ähnlichkeit aber zwischen euch und den Kindern Israel ist überzeugend: das Reich, das ihr jetzt gründet, wird ein Werk der Hoffnung werden, und den kommenden Geschlechtern nur in solchem Ausmaß zum Segen gereichen, wie ihr selber in Treuen haltet, was euch in der Kindheit die Altvordern eingeprägt haben. — Denn einen andern Grund kann niemand legen! Und wozu sonst sollen die Menschen wohl ihre Zuflucht nehmen? — Und heute stelle ich, ein geringer Sendbote, euch vor die Frage: wollt ihr handeln wie das Volk der zehn Stämme oder tun wie jene beiden Stämme und dafür niemals ausgelöscht werden, solange Menschen auf Erden leben?«

Der Pastor sprach, ohne die Stimme zu erheben; aber es lag in seinen Worten eine unwiderstehliche Innerlichkeit; seine Augen leuchteten; die Wangen glühten; das jugendlich Kindliche war reife Männlichkeit geworden.

Die Leute hingen ihm am Munde, wenn auch nur wenige die Gedankenleiter, die er vor ihnen aufstellte, erklommen. Sie hörten, er predigte gut, und das genügte ihnen; sie waren von Herzen froh, daß dieser Mann heute vor ihnen stand; und sie fühlten sein ehrliches Wohlwollen. Und alles war so artig und unterhaltsam, und Leben und Betriebsamkeit stand in Aussicht: Der eine dachte daran, daß hier jetzt eine Kirchengemeinde gestiftet werden müsse, ein anderer an den passendsten Ort für die Kirche, ein dritter an den Kirchhof, wo der wohl am besten anzulegen sei; auch behördliche Leute aller Art müßten sie haben — o, sie wollten ihm schon beweisen, daß sie von redlichem Volk abstammten und sich selber zu regieren verständen! — In Tönset‘n jedoch erhoben sich ernste Erwägungen betreffs eines wichtigen Punktes, eines ungemein wichtigen Punktes, und er grübelte darüber nach, wie er sich wohl betreffs dieses Punktes der Hilfe des Pastors vergewissern könne: Wenn sie nämlich jetzt die Kirchengemeinde organisierten, müßten sie natürlich auch einen Küster einsetzen! Wenn er andrerseits aber nun imstande gewesen war, ein Paar so zusammenzuschweißen, daß es nicht wieder aus dem Leim ging, dann glaubte er wohl annehmen zu dürfen, daß er auch befähigt sei, einen ordentlichen Küster abzugeben. — Abwarten!

Im hintersten Herdwinkel saß eine Frau mit einem blassen feingeschnittenen Gesicht, gut versteckt hinter den Köpfen und Rücken der Zuhörer. Als der Pastor zu reden begann, hatte sie sich vorgebeugt, bis sie ihn durch eine Lücke zwischen zwei Köpfen zu sehen bekam. Mit gespannter Aufmerksamkeit folgte sie der Predigt, — anfänglich erstaunt, froh überrascht, darauf ungläubig und zweifelnd. Das Gesicht verschloß sich immer mehr, es bekam etwas Lauerndes; die Lippen formten sich zu Widerspruch, als wollten sie ausdrücken: ›Das darf nicht geschehen! Der betrügt uns — führt uns dahin, wo wir nicht gedeihen können.‹ — Der Mann neben ihr hielt auf dem Schoß ein schönes, blondes Büblein; das hatte feurige blaue Augen; die wanderten umher und lachten schelmisch, wenn sie anderen begegneten; aber bei der einschläfernden Wärme schlossen sie sich bald. — Von Zeit zu Zeit legte der Mann begütigend der Frau die Hand auf die Schulter, als wolle er sie beruhigen; dann lächelte sie zuversichtlicher; sie hatte nicht Zeit, ihn anzusehen, aber das Lächeln besagte: ›Sei unbesorgt, du, der soll mich nicht narren, — denn ich durchschaue ihn — den durchtriebenen Gesellen!‹ —

Als das Lied nach der Predigt gesungen war, sagte der Pastor:

»Jetzt rate ich, daß die, die bisher gesessen haben und sich kräftig genug fühlen zu stehen, mit denen, die bisher gestanden, den Platz wechseln; so erleichtern wir einander gegenseitig unsere Bürde! Laßt es aber mit Ordnung und Anstand geschehen.

Wir wollen jetzt die heilige Taufe vornehmen; ich wünsche dringend, daß alle ihr Erwachsenen dabei zugegen seid und euch dabei eures eigenen heiligen Paktes mit dem Herrn erinnert. — Bringt zunächst die noch nicht getauften Kinder heran; später kommen dann alle, die eine Nottaufe empfangen haben.«

Unruhe und Stimmengewirr waren trotz der Mahnung des Pastors nicht zu vermeiden; man stand auf, sprach leise und schob sich zwischen Rücken durch hinaus; wer die Zeit über draußen gewesen, drängte hinein, denn jetzt wollten sie von der Person des Mannes einen Eindruck haben, nachdem sie bisher bloß seine Stimme gehört hatten. — Sörine brachte Wasser in einer irdenen Schüssel, setzte sie auf den Tisch und legte ein reines Handtuch daneben. Die Täuflinge wurden denen, die sie zur Taufe tragen sollten, auf die Arme gelegt, die Paten standen auf und hielten suchend Umschau. Das Gedränge nahm zu, mehrere mußten hinausgehen.

Nach und nach aber trat doch wieder Stille ein; die Taufhandlung konnte beginnen.

Den Taufchoral wußten die meisten Erwachsenen auswendig, und trotz der drückenden und stickigen Luft in der Gamme erscholl das Lied voller Kraft. — Vierzehn Kinder waren noch nicht getauft; das jüngste erst drei Wochen alt — ein winziges Wichtlein, das süß in der Mutter Armen schlief, — ein Dirnlein schien es zu sein; das älteste vierjährig, — ein kräftiger, dicker, braunhaariger, hungriger Schlingel, der zur allgemeinen Erheiterung laut schwätzte und durchaus herunter und zur Mutter wollte. Die Taufhandlung ging jedoch ruhig und würdig vor sich. Die von Tönset‘n getraute Jossie kam zuletzt an die Reihe, mit allen drei quecksilbrigen Gören. Mit sozusagen väterlichem Stolz ließ der Syvert die Augen auf ihr ruhen und faltete andächtig die Hände, als sie mit dem Kleinsten auf dem Arm vortrat.