Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 24

Yazı tipi:

IX

Am nächsten Vormittag wurden sie mit Per Hansens Weizen fertig und gönnten sich eine lange Mittagpause. — Als Tönset‘n sich jetzt alles genauer besah, hätte es gar nicht solche Eile gehabt; das Wetter war kühl, und die Ähren sahen weder bei ihm noch beim Hans Olsen reifer aus, als sie gestern getan; hielt sich die Witterung, dann dauerte es noch wenigstens eine Woche, bis sie beim nächsten anfangen konnten. Dafür aber werde die Ernte auch ganz einzigartig, — »gerad das Wetter, das der Weizen braucht, um sich gut zu füllen.«

Und Tönset‘n war völlig versöhnt mit sich und der ganzen Welt; — er hatte bewiesen, daß er der Lage gewachsen war. Warum nicht, nach Tisch noch ein wenig gemütlich sitzen? Es eilte keineswegs,— nur noch die vier, fünf Arces Hafer; mit denen wurde er bequem bis zum Abend fertig.

Das fand auch der Per Hansen; es saß sich so gut in der Kühle hinter der Hüttenwand, und es ließ sich so lustig mit den Nachbarn dividieren, wie sie sich in der Zukunft einrichten wollten. I, — wo hatte es Eile! — Der Per Hansen hatte den Solumbuben gesagt, er und der Hans Olsen wollten mit den Hafergarben schon allein fertig werden; sie sollten lieber bei sich etwas vornehmen. Aber es war so gemütlich, daß die Buben sich nicht wegrühren wollten, ehe die andern wieder auf den Acker gingen.

Die Sommerbrise kam immer noch frisch und kühl aus Nordwest. — Tönset‘n schnupperte in sie hinein und sagte, wenn die sich noch acht Tage so hielte, dann sei es nicht ausgeschlossen, daß sie den Per Hansen doch noch überholten; denn es sei zum Ausreifen das leckerste Wetter. »O ja, hier ist‘s gerad wie in Kanaans Land!«

Tönset‘n fühlte so etwas wie Feiertagsstimmung, als er die Pferde wieder vorspannte. Er mußte einhalten und sich festlich zu dem Nachbarn äußern:

»Ist es nicht trotz allem merkwürdig, daß ich akkurat diesen Flecken Erde auffinden sollte?«

Der Hans Olsen lachte nur gutmütig: »O gewiß, freilich!«

Dieses laue Lob befriedigte Tönset‘n aber nicht: »Und was sagst du dazu, Per Hansen?« rief er scherzhaft herausfordernd.

Aber der Per Hansen hörte schon nicht mehr; er beschattete sich mit der Hand die Augen und lugte scharf nach Nordwest; die frohen Gesichtszüge falteten sich, bekamen etwas Gespanntes:

»Das ist doch das wunderlichste —!«

Am Nordwesthimmel waren Wetteranzeichen heraufgekommen, die er nicht zu deuten wußte —.

— Gab es heute noch Sturm?

Er stellte sich neben den gemütlich hockenden Hans Olsen, deutete nach Westen und sagte leise:

»Kannst du mir sagen — verstehst du das dort?«

Da sah auch der Hans Olsen es herankommen, sprang auf und starrte.

»Hast du schon so Seltsames gesehen! Ich meine, wir bekommen Unwetter?«

Tönset‘n thronte bereits wieder hoch oben auf seinem Sitz; er wollte gerade starten, als der Per Hansen angelaufen kam.

»Kannst du mir sagen, Syvert, was das dort ist?«

Tönset‘n wandte sich um.

Und es war in der Tat ein seltsamer Anblick. Weit hinten im Westen trieben glitzernde Wolkenbänke heran, hoben und senkten sich. Dicht unterm Himmel, Streifen über Streifen. Aber noch nie hatten sie Wolken sich so bewegen sehen; sie wogten wie lange Meereswellen, glitzerten, als träfe kräftiges Sonnenlicht auf große Schneeflocken, und dabei war es in der Wolke selbst dunkel und düster. Doch auch dies Finstere flimmerte.

Die Pferde begannen unruhig zu schnaufen.

Die Wolken zogen unheimlich schnell herauf, bedeckten bald den ganzen West- und Nordwesthimmel.

Eigentlich waren es nicht Wolken; man ahnte den Himmel durch sie hindurch. Es kam herbei wie lange Dünungen, kam flatternd wie ein ungeheures Tuch, glitzernd, daß es in die Augen stach.

»Was in aller Welt —!« rief Tönset‘n und zog die Zügel so stark an, daß die Pferde die Maschine zu rücken begannen.

Der Ole und der Große-Hans kamen herbeigelaufen.

»Ein Schneesturm kommt!«

Im nächsten Augenblick war die Luft rundum und über ihnen dick; ein ganzes glitzerndes Meer wälzte sich über sie.

Tönset‘n konnte die Pferde nicht halten. »So helft mir doch! Wir müssen die Pferde sofort ausspannen!«

Die andern hörten ihn nicht, standen versteinert, mußten das Gesicht vom Winde abkehren.

Die Pferde machten einen Bogen durch den Acker, bis sie den Wind von hinten bekamen; da endlich gelang es Tönset‘n, sie zu zügeln, so daß er vom Sitz herunter und sie mit zitternden Händen ausspannen konnte.

Jetzt kam die Kjersti angelaufen; sie hatte sich zum Schutz den Rock über den Kopf geschlagen; gleich hinter ihr die Sörine, — mit den Händen rudernd; und dort sausten die Solumbuben aus der andern Richtung herbei; unten am Bach weideten ein paar Kühe; die setzten die Schwänze steil in die Höhe und flüchteten ins nächste Versteck, — und kaum, daß Tönset‘n die Pferde freigelassen hatte, taten diese dasselbe.

Vom Himmel her peitschte und stiemte es. Es prasselte gegen die Kleider, als wurden Kiesel geschleudert. Die Menschen drängten sich ängstlich in einen dichten Knäuel zusammen, hielten sich die Hände schützend vors Gesicht, mußten aber doch auch wieder hinsehen, — sie mußten! Ein wildes Entsetzen trieb sie dazu.

Denn das waren nicht grobe Sandkörner! Sobald sie gefallen, hüpften und sprangen sie mit kurzem knappem Knipsen. — Die Leute starrten mit furchtsamen Augen: Guter Gott, das waren ja lebende Wesen, die über sie herniederregneten! Es fegte mit stürmischer Eile heran, es knipste und hüpfte in großen und kleinen Sprüngen; mit jedem Hupf flimmerte es weiß, blinkte in der Sonne. Blickte man in der Windrichtung vorwärts, bemerkte man nichts als ein tausendfaches geschwindes, weißes Blinken — unaufhörlich; dazwischen leuchtete etwas Braunes.

»Vater!« rief der Große-Hans durch das Unwetter, »das ist Koboldgeziefer — es hat Flügel — schau her!«

Der Bub hielt etwas in der Hand; er sperrte die Flügel des Tieres auseinander und brachte es an. Einen dunkelbraunen Körper von etwa einem Zoll Länge, etwas plump in der Mitte und nach den Enden zugespitzt. Am Vorderende saß auf jeder Seite eine winzige schwarze Perle; und er hatte lange dünne Beine mit dunkelbraunen Ringen. — Die Flügel waren weißglänzend und durchsichtig.

»So wirf doch das Koboldgeschmeiß weg, Kind!« jammerte die Kjersti.

Der Bub ließ los; ein Knips, ein Hupf, ein Glitzern, und das Tier war in den Myriaden und aber Myriaden, die die Luft rings über ihnen erfüllte, verschwunden. Jeder Halm wurde lebendig. Es saß, es hüpfte, es knipste, es fegte, es flog, es prallte, es glitzterte. Unzählige Wesen!

Niemand fand sogleich Worte. Jetzt sprach ein Anderer; der Mensch schwieg furchtsam. —

Hans Olsens langer Körper bückte sich: »Das muß doch wohl die Pest sein?« wunderte er sich in düsterem Ernst.

Da war es, als hätte den Per Hansen etwas gestochen: »Ach Dreck, das geht wohl auch vorüber!«

Tönset‘n fand das gotteslästerlich geredet: »O mein,« jammerte er, »jetzt nimmt der Herrgott zurück, was er uns gegeben! Nein, o nein, mein herrlicher Weizen!«

»Du schwätzest wie ein Depp; glaubst du, der Herrgott hat dein Futter nötig?« Der Per Hansen brachte die Worte zwar nur mühsam heraus, aber sie verfehlten nicht ihre gute Wirkung.

Das nächste vernünftige Wort kam vom Henry Solum; der sagte zum Bruder: »Es ist das beste, du holst die Pferde wieder heran; dann machen wir heute hier alles fertig; — es ist ungewiß, was morgen noch übrig ist.«

Der Per Hansen nickte dem Henry zu; dann ging er an den Hafer, wo die Verwüstung bereits eingesetzt hatte und es über das ganze Stück durcheinander knipste und glitzerte. Er begann zu schreien und zu hujen, nahm die Mütze und schwenkte sie in das Unwetter hinein. Aber das, was dort sein Wesen trieb, erachtete das Menschengeschrei als ein Nichts. Die braunen Körper flogen auf weißen Flügeln, und die Haferähren beugten sich unter der Last der braunen Körper.

Der Per Hansen stand daneben und mußte mit ansehen, wie sein Hafer vernichtet wurde, und eine trockne, zehrende Wut erfaßte ihn.

»Lauf heim nach der Langen Marie, du Ola, sie liegt über der Stalltür; auch der Pulverbeutel ist da — eil dich!«

Der Bub sprang heim und kam mit der Büchse zurück, der Vater nahm sie, setzte eine Knallpatrone auf und stemmte den Fuß gut auf den Boden, — er besann sich wenigstens darauf, daß die Büchse böse zurückschlug, wenn sie lange geladen gelegen.

Aber da kam der Hans Olsen herzu: »Das solltest du nicht tun, Per Hansen, — hat der Herrgott es über uns geschickt. —«

Der andre schaute ihn bloß groß an, kehrte sich dann geradeswegs dem Unwetter zu; warf das Gewehr an die Backe, zielte auf das Wolkenmeer, das herangesegelt kam und brannte ab; das Gewehr knallte gewaltig in das Ungeziefer hinein.

Die Wirkung war eigentümlich. Anfänglich schien der Schuß nicht das geringste ausgerichtet zu haben, das Ungeziefer flog ihnen mit fast unverminderter Stärke um die Ohren; dann aber ging eine leise Dünung durch die Wolkenschicht; sie wellte sich etwas von der Erde auf und segelte weiter; aber es sprang noch immer genug auf dem Acker herum.

»Ich glaube fast, du erschrecktest sie ein wenig?« wunderte sich der Henry.

»Es sieht beinahe so aus,« warf der Per Hansen hin. »Laß uns jetzt bloß schnell die Pferde vorspannen!« —

Sie wurden noch rechtzeitig mit dem Hafer fertig. Darauf eilte jeder heim. Wie war es bei ihm mit dem Korn bestellt? War da noch etwas geblieben? Konnte morgen mit dem Mähen begonnen werden, selbst wenn das Getreide noch nicht ausgereift war? — 0 nein, dann wurde daraus nicht mehr verkäufliche Ware, so grün, wie das Korn noch war!

Die beiden Buben des Per Hansen gingen mit dem Hans Olsen; sie sollten Nachricht heimbringen, ob dort morgen angefangen werden könne; denn bei dem war das Korn am weitesten.

Dem Per Hansen war wunderlich zumut auf dem Heimweg. Er hatte das Seine geborgen, und das war sehr merkwürdig; er hatte es geborgen, weil er so zeitig gesät, und weil sein Gelände höher lag als das der andern. — Einen großen Wurf hatte er getan; aber es war ihm leid darum wegen der Nachbarn; die Armen — die hatten sich geplagt so gut wie er! — Und dann nagte noch etwas an ihm; er hatte es den ganzen Nachmittag gespürt, während er band. Immer wieder hatte er gespäht, ob er nicht jemanden vor der Gamme zu sehen bekäme, — aber vergeblich. Die Arbeit hatte ihm wenig Zeit zum Nachdenken gelassen, und dann hatte das Teufelsgeziefer so arg gehaust. Aber jetzt auf dem Heimweg begann es von neuem zu nagen. — O ja, sie bleibt halt lieber drin, dachte er; und darin hat sie übrigens auch recht.

Er kam zur Gamme; sie lag im Halbdunkel, und ringsum war nichts Lebendiges, als was da herumknipste und flimmerte. Die Gamme war wie eine in einen Strom hinausgeschobene Schanze, und der Strom umspülte sie schäumend. Jetzt am Abend hatten alle diese winzigen Segel ein noch übernatürlicheres Aussehen; die Abendsonne fiel auf sie, der Glanz schimmerte rot, violett, bläulich, je nachdem das Licht auf sie fiel.

Sie ist vielleicht zu den Nachbarinnen gegangen ? dachte er, kam an die Tür und drückte die Klinke herunter. — Nein, das ist sie wohl doch nicht; man kann ja die Tür von außen nicht zuschließen. — Er stand und schnappte nach Luft, als er jetzt an seine eigene Tür klopfte.

Er klopfte stark; als er rief, wollte die Stimme ihm nicht aus der Kehle.

Er vermeinte ein Geräusch zu vernehmen, fühlte sich erleichtert: Nun, gottlob! —

Er wartete. Doch die Tür öffnete sich nicht. Und er hörte auch nichts mehr.

Womit kann sie bloß beschäftigt sein, — hört sie mich nicht? — Und was in aller Welt mag sie vor die Tür gesetzt haben? —

Er begann vorwärts zu schieben.

»So mach doch die Tür auf, — was ist denn nur?«

Das Ohr fing einen deutlichen Laut auf; es begann ihm vor den Ohren zu sausen. — Aber dann riß er sich zusammen, legte sich mit ganzer Wucht gegen die Tür, stemmte sich, bis ihm rot vor den Augen wurde; die Tür gab nach, der Spalt erweiterte sich — schließlich konnte er durchschlüpfen.

»Beret!« schrie er durch den Raum. — »Beret!«

Keine Antwort kam, — niemand zu sehen! Aber jetzt hörte er jenes Geräusch wieder deutlich.

»Beret!« rief er. Eine wahnwitzige Angst gellte aus seinem Ruf.

Da war es wieder! Kam es aus dem Bett! Von der Tür her? — Es hörte sich an wie Zirpen oder leises Wimmern.

Er sprang zu den Betten, riß die Decken herunter — alles war leer. — Aber dort bei der Tür —?

Er taumelte zur Lade und riß den Deckel hoch. Was er sah, ließ sein Blut erstarren. — Dort kauerte die Frau; das eine Kind hatte sie im Arm, das Gössel lag zusammengerollt am andern Ende der Lade, — das Wimmern kam von ihm.

Der Per Hansen wußte nicht, was er tat, er sah weder, noch hörte er. Erst hob er das Gössel heraus und setzte es aufs Bett, dann nahm er vorsichtig das Jüngste und legte es auf das andere Bett. Und dann hob er die Frau heraus, knallte den Deckel zu und setzte sie oben darauf.

»Beret, — aber Beret —!«

Der Anblick ihres Gesichts raubte ihm beinahe die Fassung. Er sah, es war vom Weinen geschwollen; aber das war es nicht allein, — denn das Gesicht, das war ein fremdes Gesicht, hinter dem sich ihr eigenes versteckt hatte.

Er sah sie flehend an; sie saß auf der Lade, blickte ihm ins Gesicht und flüsterte heiser:

»So hat dich also der Böse doch noch nicht geholt?« Dann kam ein Laut, der einem Lachen glich. »Er hat heut hier herum übel gehaust ... du mußt die Lade sogleich wieder vor die Tür setzen; die kann er nicht bewältigen, siehst du ... wir müssen alle zusammen hineinkriechen!«

»Beret!« rief sie der Per Hansen, und seine ganze Seele lag in dem Ruf. Mehr vermochte er nicht. Er sank vor ihr zusammen, umfaßte ihre Knie, klammerte sich an sie, als wäre er es, der des Halts bedürfe.

Es schien sie zu rühren; sie nahm ihn beim Kopf und liebkoste ihn.

»Weine du nur — weine sehr um deiner Sünde willen! Denn das habe ich jedwede Nacht getan — nicht, als ob es hülfe— denn du begreifst doch wohl, daß hier niemand ist, der unser Weinen beachtet? — Hier ist es zu schlüpfrig und zu glatt. — Aber versuche es immer! —«

»Ach du, — du meine Gold-Beret!«

Da wurde sie noch zärtlicher, streichelte ihn behutsam, nahm seinen Kopf an ihre Brust, sprach leise:

»Du darfst dich nicht so fürchten, liebster Mann — denn schau — es ist stets am schlimmsten, gerad bevor es sich zum Bessern wendet!«

Der Per Hansen sah ihr tief in die Augen, dann kam ein gurgelnder Laut — er sank zusammen und wußte nichts mehr von sich. —

Draußen knipste und flog es, knallte mit kurzen Knacksen, flimmerte im letzten Abendleuchten. Die Brise war abgeflaut, die Luft war leichter geworden.

Die Widde, die Riesin, dehnte sich in ihrer grenzenlosen Macht. —

X

Damit begann ein unendlich schweres Ringen zwischen der Zähigkeit des Menschen und dem Heer der Bosheit, das gegen ihn losgelassen war. Im Jahre 1873 waren Anzeichen der Plage vernehmbar gewesen, und 74 kam sie, und sie wütete in den Jahren 75, 76 und 77, zum Teil auch 78; darauf verschwand sie ebenso plötzlich, wie sie gekommen. — Sie wütete entsetzlich; sie brachte die einen an den Bettelstab, die andern ins Irrenhaus, trieb etliche in die Wälder zurück, aus denen sie gekommen — was übrigens auf das gleiche hinauskam. Aber die meisten blieben doch, wo sie waren. Denn die Armut war so groß, daß sie nicht zu wandern vermochten; und sie wußten auch keine Stätte der Zuflucht, — ja, wo hätten sie eigentlich hingesollt? Und so warteten sie denn darauf, daß es einmal besser werde!

Trotz allem aber; es kamen immer mehr Menschen, die dies Los teilen wollten. Der Boden war vortrefflich und die Gegend schön — gerad ›wie das Land Kanaan‹! Die eine Karawane nach der andern zog langsam herbei!

Die Plage trat pünktlich auf; sie legte sich auf alles, was die Erde hervorbrachte, — auf alles, außer dem Gras: das war nicht Menschenwerk und mochte unberührt stehenbleiben.

Es war wie die schiere Teufelei; im Frühjahr und Vorsommer war die Luft so rein und lind, sie schmiegte sich wie Seide an die Haut. Was in die Erde kam, gedieh, daß es eine Lust war, es wölbte sich in Reife. Und dann, gerade wenn die Reife sich setzen wollte, stiegen eines Tages bei frischer, kühler Brise aus West oder Nordwesten, da draußen seltsame Wolkenschichten auf. Und dann begannen sie zu sausen — des Himmels unzählige Heerscharen; und damit war es um alles geschehen, was Ackerfrucht hieß. Und immer kam das Ungeziefer aus West oder Nordwest, am häufigsten jedoch aus Nordwest, wo die Abendröte am schönsten war; und meistens gegen Abend, wenn der Tag müde ward.

Jetzt spürten die Menschen die Wahrheit des alten Sprichworts: Alles Böse kommt von Norden oder aus der Tiefe.

Niemand hat bisher eine zufriedenstellende Erklärung für den Ursprung des Ungeziefers in jenen Jahren zu geben vermocht. Man hat von den großen Sandwüsten in Westcolorado gesprochen; — ja — — gesprochen! — Aber nachdem die Pest einmal hier gewesen, hinterließ sie genug in dem im Sommer umgepflügten Boden. Dort legte sie winzige zerbrechliche Eier, die aussahen wie trocknes Sägemehl. Die überdauerten die Feuchtigkeit des Herbstes, die vielen Schneeschichten des Winters, den Frost, der so stark war, daß es im Gesträuch des Feldes knackte, — lagen wie tot im Frühling; sobald aber die Sommersonne die winzigen Perlchen eine Weile erwärmt hatte, kroch es aus ihnen heraus! — Und hier bewahrheitete sich ein anderes altes Wort: Kein Ungeziefer ist so schlimm wie das, was die Menschen sich selber auferziehen. Denn das Gesindel, das aus diesen Eiern auskroch, richtete eine größere Verwüstung an als das, was mit dem Winde herangesegelt kam, und sie waren zudem so unerträglich ekelhaft!

Aber nicht als ob die anderen nicht mehr kamen, weil die Menschen selber genug bei sich erzeugten, — behüte, nein! Es gab Sommertage zu Zeiten der Pest, an denen man nicht klare Luft zu sehen bekam. Doch nicht immer lag der Plage daran, auf dem Boden zu hausen; die Wolkenschichten trieben bisweilen als scheinende und blinkende Schneeschichten unter der Sonne umher. Dann war es plötzlich, als bekäme das Übel Gewissensbisse, weil es die Menschen nicht heimgesucht habe; und bei der nächsten Nordwestbrise sauste es plötzlich herab, schnitt unausgesetzt, fraß mit gierigen Zähnen, fegte weg, was so schön stand. Wenn dann am nächsten Tage die Brise wieder auffrischte, konnte bisweilen das Teufelsgeziefer auffliegen und wie leuchtendes leichtes Sausen in der Luft schweben — auf Ausguck nach einem neuen Wirkungsfeld.

Und die sonderbarsten Launen hatte es. Es kam vor, daß es auf einem Acker alles kahl schor bis auf einen Randstreifen von ein paar Ellen Breite; ein anderer Acker blieb so gut wie unberührt; einer dicht daneben war wie rasiert, so daß das Feld mit abgemähten Ähren besät war; auf dem nächsten fielen sie bloß über die Grannen her, und die Ähren sahen danach aus wie hornlose Hammelköpfe. Die Pest war auch keineswegs wählerisch — Gemüse oder Kartoffeln, Gerste oder Hafer, Weizen oder Roggen, oder was es sonst war — das galt ihr gleich. Ein dichter Schwarm konnte sich auf ein Wagengestell herablassen; und wenn er es verließ, war es von unzähligen kleinen Raubtierzähnen wie gemasert. Steckte eine Heugabel in der Erde mit einem Eichen- oder Hickoryschaft, dann sah der Stiel hinterher wie abgesplittert aus. Fand der Schwarm ein Kleidungsstück auf dem Felde, konnte er es zerfasert zurücklassen.

Die Menschen wurden des Staunens nicht müde. Die einen vergingen vor Angst, der Gottlose fluchte Donner und Blitz, der Fromme betete. Der Furchtlose grübelte nach Mitteln und versuchte bald dies, bald das. Der Gutgläubige aber ging mit Quirl oder Nudelholz und einer Waschschüssel an den Acker und trommelte damit aus allen Leibeskräften; diese Serenade jedoch half ebensowenig wie alles andere, — die bösen Geister fuhren erst davon, wenn sie glaubten, fertig zu sein.

Die Herrlichkeit des Herrn

I

Junitag und flimmernde Sonne ... wogende Schatten lichter Wolken über einer grenzenlosen, grünen Ebene. Sonne und wogende Schatten, und immer dasselbe jeden Tag.

Ein alter Cart ein zweirädriger Einspännerwagen. humpelte über die Prärie in der Richtung auf das Settlement am Spring Creek, ein Cart von so veraltetem Bau und so jämmerlicher Verfassung, daß es aussah, als werde er am ersten besten Grasschopf zerschellen.

Der Gaul vor dem Gefährt paßte sich dem durchaus an: langbeinig war er und klapprig, mager und grobschlächtig, so daß man alle Knochen hätte zählen können. Einstmals war sein Fell vermutlich hellgrau gewesen, obwohl sich darüber nichts Bestimmtes mehr feststellen ließ; denn dieses schmutzige Braun konnte ebensogut jede andere Farbe sonst gewesen sein. Von dem, was früher vielleicht eine üppige Mähne gewesen war, waren nur noch ärmliche Fransen übrig. Sein Vorderteil war von einem dicken Buckel überwölbt; wenn er den Hals streckte, erinnerte er an ein Dromedar. Aber ursprünglich war es also ein Pferd gewesen, wenn das auch lange her sein mochte. —

Der Mann auf dem Kutschsitz war von einem noch unbestimmlicheren Alter als Roß und Gefährt. Er konnte fünfundvierzig, aber er konnte auch fünfundsechzig sein. Wären nicht der Bart und die Wohlbeleibtheit gewesen, so hätte man eher auf das erste geschlossen; denn der Gesichtsausdruck war jugendlich, die Augen lebhaft und feurig; sie hatten etwas jungenhaft Frisches. Der Bart deutete aber zweifellos auf ein höheres Alter; er fing bei den Ohren an und umkränzte das ganze Kinn; er war dicht und struppig, die Stoppeln waren mindestens einen Zoll lang; seine ursprünglich helle Farbe war jetzt stark von Grau durchschossen. — Auch der Anzug bezeugte das hohe Alter des Mannes; vor allem der Rock, der weder Schoßrock war noch Jacke, vielmehr ein Kleidungsstück aus dünnem, schwarzem Tuch, das den Mann lose und geräumig umschloß. Für eine Jacke war er viel zu lang, für einen Gehrock nicht lang genug.

Als das Pferd heute lange genug getrottet, der Cart lange genug geklappert hatte, der Mann lange genug, während er dazu vor sich hinsummte, zusammengerüttelt worden war, begannen endlich die Torfhütten am Spring Creek allmählich aus dem Boden herauszugucken. Und es war wahrlich an der Zeit, denn es wollte Abend werden. Ein paar Holzhäuser — ein großes würfelförmiges und ein kleineres mit einem hohen Giebel — waren schon lange sichtbar gewesen. Sie stachen so seltsam ab von der nackten flachen Landschaft, daß einer sich unwillkürlich überlegte, ob die denn wirklich hier draußen beheimatet seien.

Der Mann im Wagen schien übrigens nichts nach ihnen zu fragen. Dafür beschäftigte er sich um so angelegentlicher mit den Gammen; und je mehr er das tat, desto mehr ließ sein Summen nach, und zuletzt kam es nur noch stoßweise.

»Hm — hm, da hätten wir sie also! — Leg dich jetzt brav in die Sielen, King!« kam es ermunternd aus dem Bartkranz. »Siehst du: wir müssen zusehen, uns durchzubaggern, ehe die Leute sich legen ... Greif aus, sag ich dir, greif aus!«

Die Sonne war bereits unter dem Horizont, als das Pferd endlich vor der Tür einer der Gammen stoppte. Der Mann blieb sitzen.

»Sind Leute hier?« rief er mit kräftiger Stimme.

Drinnen rührte es sich.

Ein untersetzter, abgearbeiteter, rotbärtiger Mann kam herausgestürzt, eine rundliche Frau gleich hinterher gekugelt; beide kauten; der Mann wischte sich den Mund; sie glotzten den Fremden an.

»Ich frage, ob hier Leute sind?« sagte der Mann; in seinem Bart spielte ein breites Lächeln.

»Teufel auch, bist du Norweger!« rief der Rotbart erfreut.

»So so, den Gesellen habt ihr hierzulande also ebenfalls?« Der Alte machte ernste Augen. »Habt ihr heute abend mehr zu essen, als ihr selber verzehren könnt, sowie Platz übrig für einen Gaul, der den ganzen Tag getrabt ist?«

Er wartete die Antwort nicht erst ab, warf die Zügel auf die Erde und stieg aus, streckte sich und ließ sich einen Seufzer entschlüpfen:

»Wie steif einer doch wird von diesem Gerüttel! — Wie heißest du, lieber Mann?«

»Ich heiße Syvert Tönset‘n; — was aber für ein Bursch bist denn du so ungefähr?« Tönset‘n trat sehr dicht herzu und maß forschend den Fremden von oben bis unten.

»Hast du etwas zu essen, Mutter?« wandte sich der an die Frau, ohne dem Mann Beachtung zu schenken; er nahm einen großen, abgenutzten Mantelsack aus dem Cart und stellte ihn auf den Boden.

»Ja, weißt du, wofern du vorlieb nimmst, —« sagte die Kjersti zaudernd, unterbrach sich jedoch plötzlich, huschte hinter Syverts Rücken, holte die Hand unter der Schürze hervor und zupfte ihn am Jackenschoß: sie hatte den Fremden wie auch die Reisetasche eingehender betrachtet, und eine leise Ahnung war ihr aufgestiegen.

Tönset‘n war viel zu geschäftig, um auf sie achtzugeben.

»Ich frage,« sagte er mit viel Würde, »was für eine Art Mann du seiest, und was du vorhabest, — bist du ausgezogen, dich nach Land umzutun?«

Der Fremde stemmte die Hände in die Seite, sah den beiden ins Gesicht und sagte ernst:

»Ich bin Pastor; und du, mein guter Mann, solltest deinen Gästen nicht ins Gesicht fluchen! — Und nun frage ich noch einmal: kann ich bei euch zur Nacht bleiben?«

»Donnerwetter noch eins!« entfuhr es Tönset‘n, — so, als hätte ihn wer in den Magen gepufft.

»O mein, o mein,« weimerte die Kjersti; »Er ist wohl nicht recht —, also Pastor ist Er? — Ja, wenn Er das, was wir zu bieten haben, nur auch wird essen können!«

»Sorg dich nicht darum, Mutter! — Ja, dann bringen wir also erst einmal den Gaul unter.«

Tönset‘n hatte plötzlich so geschmeidige Hosen an, war nur noch lebendige Hilfsbereitschaft, verspürte eifriges Plauderbedürfnis, getraute sich jedoch nicht so recht — —. Aber das Pferd versorgte er gut und reichlich und lief obendrein noch nach mehr Streu.

Der Pastor hatte nach vielem zu fragen, und er und Tönset‘n ließen sich gute Zeit vor der Gamme.

Als sie beide hineinkamen, setzte Tönset‘n einen Stuhl ans obere Tischende und bat, dort Platz zu nehmen. — Der Tisch war weiß gedeckt und dafür, daß es sich nur um einen Gast handelte, überaus reichlich mit Speisen besetzt; da gab es eine Satte mit dicker Milch und norwegisches Flachbrot, süße Milch und gekochte Eier, Kaffee und feines Gebäck; und dennoch schien es der Kjersti nicht ausreichend zu sein für einen solchen Besuch, sie briet geschwind noch ein paar Eierkuchen; denn an Nahrung fehle es ihnen nicht, gottlob! — Sie hatte in aller Eile hübsch aufgeräumt, und es sah behaglich aus in der Gamme; der Pastor sah sich überrascht um.

Aber dann setzte er sich und griff zu, war des Lobes voll über das Gebotene und aß wie ein gesunder Mensch, der schon lange Hunger verspürt hat.

Tönset‘n stand mitten im Zimmer und unterhielt den Pastor; es lag jetzt ein salbungsvoller Ernst über seinen Worten. Die Kjersti blieb in der dunklen Herdecke; sie gab fast mehr acht auf das, was der Syvert sagte, als auf die Worte des Pastors, — der Ärmste geriet doch so leicht in Eifer, und wußte wenig davon, wie man mit so feinem Volk reden müsse! Beglückt beobachtete sie, wie der Pastor herzhaft zugriff. Wie hübsch sprach er von dem Essen, das sie hergerichtet! Und wie leutselig plauderte er — ohne jegliche Andeutung von einer Predigt. Nur von Alltäglichem schwätzte er mit dem Syvert — die hiesigen Verhältnisse, Ernteaussichten, Wirtschaftsweise und Betrieb. — Tönset‘n kam immer wieder auf die Zukunft zu sprechen; ihn beschäftigte mehr, wie es werden sollte, als wie es war. Und der Pastor sparte nicht mit gutem Rat.

Wie sei es denn aber mit dem christlichen Wandel der Bewohner bestellt, wollte der Pastor dann wissen. Tönset‘n räusperte sich erst gründlich und sagte dann energisch, darüber wisse er weniger gut Bescheid; das könne ein Farmer schwer beurteilen! Und schleunigst fragte er sodann, welchen Weg denn der Pastor gekommen sei, und ob er viele Settlers getroffen habe; und das wieder bot ihm Gelegenheit zu schildern, wie es hier ausgesehen, als er vor sechs Jahren nach Westen gezogen kam; und er wurde so ungemein beredt — die Kjersti wußte: jetzt werde es brenzlich! —

Endlich war der Pastor fertig mit Essen.

»Ja, und jetzt schweig ein wenig, mein guter Mann, jetzt wollen wir dem Hergott für diesen Tag danken!«

»Jawohl, ja!« Tönset‘n schneuzte sich nachdrücklich; er wußte nicht recht, was mit sich anfangen, steckte jedenfalls die Daumen in den Hosengurt und blieb in sich zusammengesunken mitten in der Stube stehen. — Die Kjersti ließ sich langsam auf der Holzkiste nieder und trocknete sich mit der Schürze die Augen, — sie hätte doch gar zu gern den Syvert gebeten sich zu setzen!

Der Pastor faltete die Hände und gab sich daran mit einem zu plaudern, den sie zwar nicht sahen, der aber in der Nähe sein mußte. — Der Pastor sprach leise; es hatte den Anschein, als sei der andere ein lieber, guter Bekannter; er sprach gemütlich und traulich, ganz so, als habe der andere ihm oft und unerwartet Gutes getan. Er dankte ihm für den vergangenen Tag, den sie nie wieder erleben würden, bat ihn, alle heute begangene Sünde in dem großen Meer seiner Gnade auszulöschen. Er betete lange für die Bewohner dieser Gegend, für das Haus, in dem er jetzt saß, und sehr viel für den Mann, der hier vor ihm stand, und der so sehr häßlich fluche. Auf irgendeine Weise möge der andere zu ihm kommen und ihn kräftiglich an das erinnern, was er betreffs dieser Sünde in seinen Geboten gesagt habe. Nicht allzu streng jedoch möge er mit diesen Menschen zu Gerichte gehen, die in so langen Zeiten umhergeirrt seien — in der großen Wüste der Welt, ohne Hirten und Aufsicht. — Dann sagte er amen und saß eine Weile stumm mit gefalteten Händen. Die Lampe auf dem Tisch warf ihren Schein über sein Gesicht; der Rahmen darum wurde zu reichstem Silber, — Erhabener Friede erfüllt den Raum.

Dann erhob er sich.

»Dem Herrn sei Dank für das gute Mahl!«

Tönset‘n schneuzte sich wieder gewaltig, machte plötzlich kehrt und verschwand zur Türe hinaus.