Sadece LitRes`te okuyun

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Das Schweigen der Prärie», sayfa 3

Yazı tipi:

II

Kaum war die halbe Stunde um, so kam der Zug über die Anhöhe herabgesickert. Der Per Hansen ging noch immer voran, der Große-Hans daneben, der Ole den Ochsen als Treiber zur Seite, und die Beret und das Gössel saßen im Wagen, — Buntscheck zottelte hinterher und ließ ein langes, kräftiges Begrüßungsbrüllen erschallen, als sie das andere Vieh auf der Prärie weiden sah.

Und bei des Hans Olsen Zelt standen sie zum Empfang bereit: der Hans Olsen und die Sörine und Tönset‘n mit seiner Kjersti; das Dirnlein aber hatte nicht Geduld zum Warten; es lief dem Zug entgegen, nahm den Großen-Hans bei der Hand und wollte vor allen Dingen wissen, ob es ihn in den Nächten auch sehr gegruselt habe.

Die Ochsen mußten sich hügelauf tüchtig in die Sielen legen.

»Nein, aber vertrödelt doch nicht so die Zeit!« rief ihnen der Per Hansen entgegen. »Es ist doch mitten in der Schicht, — ihr habt wohl hier im Westen nichts zu tun?«

»Vesperzeit, siehst du, Per Hansen!« kicherte Tönset‘n. »‘s ist akkurat Vesperzeit! Und da haben wir halt gemeint, wir könnten auf dich warten!«

»Hast schließlich doch hergefunden?« schmunzelte der Hans Olsen und wollte des Per Hansen Hand gar nicht mehr loslassen.

»Hergefunden? —Das mußt‘ einer doch, wo es nur immer geradeaus der Nase lang geht! Und ihr hattet auch die ganze Strecke ordentlich und nett abgesteckt. — — So! Und dies also wäre Gosen im Lande Ägypten ?«

»Höh-höh!« nickte Tönset‘n. »Akkurat Gosen! Jawohl! Wir haben vor, ihm diesen Namen beizulegen, falls dir nicht andere Narreteien einfallen.«

Die Beret und das Gössel waren inzwischen glücklich von dem Bretterende heruntergeklettert; die beiden andern Frauen wollten sich ihrer sogleich annehmen. Aber die Beret mußte sich erst einmal lange umschauen, ehe sie mit ihnen ging.

— Hier also sollten sie bleiben? — — Hier? — Sie betrachtete die halbfertigen Gammen, die Menschen, und es fuhr ihr durch den Sinn, daß sich hier Verkehrtes zusammenbraue; — die Vorstellung ängstigte sie nun schon tagelang, und sie vermochte sie nicht zu verjagen. Sie würgte sie. Nein, es hieß sich mit aller Macht zusammennehmen, — sie konnte doch nicht inmitten des Jubels um sie herum losweinen!

Sie ging den beiden andern Frauen ins Zelt nach und mußte sich schnell setzen.

Sörine umsorgte sie freundlich: »Zieh dich aus, Beret; es wird dich erfrischen, die Kleider zu wechseln. Hier ist ein weiter Rock, den kannst du derweile überwerfen! — Und hier ist Wasser; mach dir das Haar und laß dir gute Zeit, dich herzurichten, — laß dich nicht stören, wenn ich und die Kjersti aus und ein laufen!«

Die beiden andern gingen; sie saß immer noch reglos. Kaum aber waren die beiden draußen, da trieb es sie an den Zelteingang, sie mußte hinaussehen. — Ich begreife nicht, wie Menschen es hier aushalten? dachte sie. Hier gibt es ja nichts, wohinter man sich verbergen kann! — Das edelgeschnittene, schöne Gesicht war von Nachdenken beschwert. Sie wandte sich ins Zeltinnere und begann sich die Kleider aufzunesteln, hielt aber gleich darauf inne, um die Zeltstange mit all den Kleidungsstücken anzustaunen; die glich leibhaftig dem Riesen, den sie sich als Kind immer vorgestellt hatte, — sie konnte das Bild lange nicht loswerden. —

Inzwischen wartete draußen der Ole, die Hand auf dem einen der Ochsen; die Erwachsenen schienen vergessen zu haben, daß auch er noch auf der Welt war; das wurde nächstens langweilig, — die wurden ja niemals fertig mit dem Geschwätz, und er hatte doch auch noch etwas mitzureden!

»Wollen wir ausspannen, Vater?«

Der Per Hansen kehrte sich dem Buben zu:

»Ja, da sagtest du etwas Gescheites, du Ola! — Vielleicht bleiben wir nachtüber hier, da wir schon mal auf gute Bekannte gestoßen sind?

Wie steht‘s denn, Mannsleut,« wandte er sich an die beiden andern, »gibt‘s hier in der Nähe noch Land?«

»Land? Land?! — Kannst akkurat so viel davon nehmen, wie du willst, von hier bis zum Stillen Ozean!« Tönset‘n war so begeistert, daß ihm sogar eine Hand aus dem Hosengurt fuhr, um einen weiten Bogen in der Luft zu beschreiben.

»Mußt dich selber umtun,« sagte der Hans Olsen, »und nehmen, was dir am meisten zusagt. Aber eigentlich habe ich auf dem Quart nördlich von mir ein Merkzeichen für dich eingerammt. Kannst es dir ja später ansehen. — Der eine Solumbub wollte es anfänglich nehmen; aber ich sagte ihm, es sei das beste, er ließe es, bis du kommst. — Dort grenztest du auch an den Bach, und ich und du würden nächste Nachbarn, wie wir von Anfang an gewollt. — Der Bub könnt‘ wirklich gerad so gut den Quart neben dem Bruder nehmen.«

Der Per Hansen atmete heftig. Er hatte ein unendlich wohltuendes Gefühl: Hier hatte der Hans Olsen während der ganzen Zeit alles für ihn vorausbedacht und geordnet und prächtig zurechtgelegt. »Gut, darüber reden wir später, Hans Olsen, — ich sage nur: einstweilen danke! — — Spann‘ die Ochsen aus, Ola! — — Und froh wäre ich, hättet ihr jetzt etwas Eßbares oder Trinkbares!«

»Oder vielleicht auch beides, Per Hansen?« rief Tönset‘n.

»O ja, gern auch das, Syvert!«

Bald darauf standen alle um ein weißes Tuch herum, das die Sörine auf dem Erdboden ausgebreitet hatte. Auf ihm aber lag ein ganzer gedörrter Hammelschinken und ein großer Haufe echt norwegischen Flachbrotes; und Käse und Butter und Quark; inmitten des nahrhaften Kreises aber stand eine große Schüssel süßer Vollmilch; und vom Kochherd trug ihnen die Brise einen angenehmen Duft von gebratenem Speck und starkem Kaffee zu. Die Sörine richtete her und trug auf und nötigte sie, sich einen recht bequemen Sitz zu suchen. Und Per Hansens gedrungene Gestalt rollte sich in paradiesischem Wohlbehagen zusammen, als er sich jetzt auf die gekreuzten Beine niederließ:

»Jetzt komm du aber schleunigst selber, Sörine. — Jaja, da zeigt sich‘s, daß wir bei Herrenleuten gestrandet sind! — Kannst gut den Pharao höchstselbst vorstellen, Hans Olsen!«

»Und wo bleibe ich?« wollte Tönset‘n wissen.

»Du, Syvert? Ich weiß nicht recht, was ich mit dir machen soll! Du wärest wohl am liebsten Mundschenk; doch der Mensch soll nie im Übermaß begehren; denn du weißt wohl, wie es dem Mundschenk ging? Sollten wir dich nicht lieber zum Bäcker machen? Was meinst du dazu, Hans Olsen?«

Und wieder lachten alle.

Aber da brachte die Sörine einen Teller, auf dem sich eine ansehnliche Flasche nebst rundlichem Glas befanden. »Nimm mir das aus der Hand, Hans Olsen, der du damit umzugehen weißt!«

Jetzt geriet Tönset‘n rein aus dem Häuschen: »Nein, du Sörrina, du Sörrina! Nein, wer doch auch solch ein Weib hätt‘!«

Da hocken sie nun alle auf dem Boden um das Tuch herum und plauderten und langten zu und fühlten sich so wohl.

Der Hans Olsen war seit Mittag wie ausgewechselt; der ganze lange Körper ringelte sich geschmeidig vor guter Laune; er konnte sich gar nicht satt sehen an Per Hansens bärtigem Schelmengesicht! Der schnitt sich eine tüchtige Ecke aus dem Hammelschinken heraus und betrachtete philosophisch die entstandene Scharte: »Und ihr, ihr habt also alles wohlbehalten hergebracht?«

»Jösses, Jösses, ja,« versicherte der Hans Olsen treuherzig. »Alles — ja also abgesehen davon, daß da irgendwo im Osten der Prärie ein Hammelschinken liegengeblieben ist; aber das ist nicht der Rede wert.«

Der Per Hansen hielt im Kauen an und meinte ganz trübselig zur Sörine: »Aber Sören, Sörine ist die weibliche Form des Eigennamens Sören; Sören = zugleich wohlanständiger Ersatz für den Ausruf ›Satan‹. — du hast einen von deinen Schinken verloren?«

Sie mußte herzlich lachen. »O nein, ganz so schlimm ist es doch nicht, obwohl jener Schinken gute Dienste hätte leisten können, wenn es knapp wird; hier ist dafür nicht allzuviel Ersatz.«

Der Per Hansen kaute fertig, schaute ernsthaft drein und sagte: »So geht es Leuten, die mehr von den Gütern dieser Welt ihr eigen nennen, als sie zu verwalten die Zeit haben; aber setze ich meinen Schießprügel erst einmal in Gang, Sörrina, dann sollst du deinen Schinken wiederhaben! Wie ist‘s damit, ihr Burschen, habt ihr hier draußen schon etwas Eßbares herumlaufen sehen?«

III

Sie blieben beisammen, bis der Abend im Osten der Widde zu blauen begann. Das Gespräch wandte sich ernsten Dingen zu: wie sie sich künftig einrichten wollten, was die Zukunft ihnen wohl bringen werde, wie der Boden zu bearbeiten sei; vor allem aber sprachen sie von dem Reich, das sie im Begriffe waren, zu gründen. — — Niemand sagte es, aber alle fühlten: es war jetzt etwas im Werden! —

Als der Abend über ihnen war, versiegte die Unterhaltung. Eine seltsame Stimmung umhüllte sie alle, wehte mit der Brise heran, entströmte der Macht des Ungezähmten, des Unendlichen rundum; sie entquoll dem Boden, auf dem sie saßen.

Die Stimmung schuf ein dumpfes, schwer deutbares Ahnen. So mancherlei konnte hier draußen geschehen, — ach ja, Gott helfe ihnen allen — so mancherlei!

Weit war es bis zu den Menschen, — kläglich weit!

Die Gesichter waren ernst; aber aus den meisten leuchtete solche Kraft, daß der Ernst nicht sonderlich Oberhand gewann. —

Der Per Hansen war der erste, der die Stimmung abzuschütteln vermochte. Er sprang auf und schudderte sich, wie einer, den‘s friert.

»Ist dir kalt?« fragte die Beret; sie war ihm jetzt wieder herzlicher zugetan; — sie wähnte, sie allein habe das Wunderliche gefühlt.

»Aber nein! Nur glaube ich, wir sind alle miteinander drauf und dran, den gesunden Menschenverstand zu verlieren. Sitzen hier und schmausen am hellichten Sommertag, als wär‘s die Weihnachtszeit! — Komm, Alte, jetzt fahren wir heim zu uns!«

Alle standen auf.

»Ja, tu jetzt, wie es dir recht scheint, Per Hansen,« meinte Hans Olsen, »nimm den Quart oder nimm ihn auch nicht. Aber nach allem, was ich sehe, kannst du einen bessern kaum finden, — pflügbar jeder Fußbreit bis zur Hügelkuppe. Wasser für Volk und Vieh hast du auch. — Und dann kommt noch hinzu, daß ich, komme ich zwischen dich und den Syvert zu sitzen, nicht über die Nachbarn klagen kann. — Doch so weit kennst du mich wohl, daß du um deswillen den Quart nicht zu nehmen brauchtest. — Aber — nimmst du ihn doch, so müssen wir einen von den Solumbuben mit dir nach Sioux Falls schicken, je eher, je besser, damit du das Land sofort belegst. So müssen wir es alle halten, — der eine wie der andere. Es können, bis der Schnee fällt, noch viele Westfahrer kommen, und wir fünf müssen beieinander bleiben! — Ja, das ist also mein Rat.«

»Ja, und der ist,« fiel Tönset‘n ein, »dafür, daß er aus einem so großen und dicken Schädel kommt, keineswegs schlecht. Hier kommt, Gott strafe mich, noch ehe der Sommer vorbei ist, so viel Volk vorüber, daß es kaum mehr Bleibens ist! Dann denkt daran, Kerle: das hat der Syvert vorausgesagt! — Und du, Per Hansen, mußt noch morgigen Tags nach Sioux Falls; und kann keiner von den Solumbuben mit, um für dich zu reden, dann kann ich‘s.«

Der Per Hansen hatte wieder dasselbe gute Gefühl wie heute nachmittag, daß die Dinge sich für ihn gleichsam von selber ordneten, und ihm wurde so wohl zumute! Diese große Strecke schönen Landes, die er hier vor sich sah, die sollte ihm gehören dürfen. Und gute Leute und getreue Nachbarn sowohl im Süden wie im Norden, — Leut, die für ihn sorgten und ihm nur helfen wollten!

Er fragte leise lächelnd: »Habt ihr seit eurer Ankunft hier etwa Zeichen von lebenden Wesen entdeckt?«

»Nein, Kind,« versicherte Tönset‘n, »weder von Waldriesen noch von Indianern! Ich war hier der allererste, siehst du! Aber niemand kann wissen, wann die Lawine losrückt, — nach den Reden, die die Leute im Osten diesen Winter geführt haben. Und zudem ist das Landzuweisungsbüro für diese Gegenden jetzt nach Sioux Falls verlegt worden. Die Regierung tut das nicht ohne Absicht, könnt ihr begreifen!« Tönset‘n redete mit überlegener Sicherheit.

Per Hansens Lachen klang jetzt froher: »Ich sehe jetzt, Syvert: es geht durchaus nicht an, daß du bloß Bäcker bist; wir müssen dich in ein höheres Amt befördern. — — Aber jetzt will ich mir das Kaisertum anschauen, das ihr für mich beiseite gestellt habt. — Komm du mit den Fuhren nach, du Ola!«

Er machte sich auf den Weg, und die beiden andern mußten tüchtig ausschreiten, um mitzukommen.

»Es ist hoch gelegen,« sagte der Per Hansen, als sie sich eine Weile umgesehen hatten. »Herrliche Aussicht hier oben!« Sie standen endlich auf dem höchsten Punkt des Höhenzuges. Nach allen Seiten Weite. Und schön war‘s in der Abenddämmerung. —

Plötzlich fing der Per Hansen an vorsichtig zu gehen; er witterte eifrig, blieb vor einer kleinen Erhöhung des Erdbodens stehen, sah scharf hin, sagte dann ernst:

»Hier liegen also Menschen! Hier ist ein Grabmal.«

Die beiden andern waren so verblüfft, daß sie es zuerst nicht wahrhaben wollten.

Der Hans Olsen hob ein Steinchen auf und drehte es zwischen den Fingern: »Das ist einmal ein sonderbarer Stein! Der sieht aus wie bearbeitet! Schau ihn dir an, du Syvert.«

Tönset‘ns rotes Gesicht wurde lang und nachdenklich. »Gott strafe mich, ich glaube fast, hier sind Indianer gewesen! — — Vertrackt!«

»Das sind sie wohl,« nickte der Per Hansen gelassen und setzte trocken hinzu: »Aber das brauchen wir nicht gerad auf dem Kirchenhügel öffentlich anzukündigen! — Es gehört nur wenig dazu, gewisse Leute zu ängstigen.«

Er stieg hinunter und rief dem Ole zu, er könne dort haltmachen, wandte sich dann zum Hans Olsen und bat, ihm die Grenze seines Grundstücks zu zeigen. »Ich sehe keinen Nutzen darin, daß wir unsere Hütten weiter als gerade nötig voneinander ab bauen. — Es kann den Weibern bisweilen die Zeit lang genug werden.«

Tönset‘n schaukelte heim; — sein Gang schien ein gut Teil beschwerter, als da er am Nachmittag bergan stieg.

IV

Früh am nächsten Morgen fuhren der Per Hansen und einer der Solumbuben die 52 Meilen nach Sioux Falls, wo der Per Hansen den Antrag stellte, den Landquart auf der Nordseite des Stückes von Hans Olsen zugeteilt zu erhalten. Er bekam eine vorläufige Bescheinigung als Ausweis und Beglaubigung. Auf dieser stand der Name: Peder Benjamin Hansen, die Bezeichnung des Landstücks, die Bedingungen, die er erfüllen mußte, um das Eigentumsrecht daran zu erwerben, und das Datum — der 6. Juni 1873. —

Die Sörine hatte die Beret mit den Kindern während der beiden Tage, die der Mann abwesend war, bei sich haben wollen; aber die Beret sagte, das ginge durchaus nicht an; wollten sie das Sommerheim fertig haben, müsse sie sogleich Hand anlegen.

»Sommerheim?« fragte die andere erstaunt, »und wie wird es zum Winter?«

Die Beret merkte, daß sie etwas gesagt, was sie besser verschwiegen hätte, und wich der Frage aus. —

Sie und die Buben hatten so viel zu tun, daß sie sich kaum Essensruhe gönnten. Sie luden beide Wagen ab, stellten den Herd auf, den Tisch zurecht und setzten alles zusammen. Und dann richtete sie den größeren Wagen zum Schlafraum für sie alle ein. Als alles Überflüssige erst hinausgeschafft war, wurde es geräumig da drinnen. Und hübsch hatte sie alles hergerichtet.

Die Buben fanden das Einrichten kurzweilig, und ihr selbst wurde bei der Arbeit der Sinn freier.

Dennoch beruhigte sich ihr Gemüt nicht ganz; sie mußte sich immer wieder umschauen, sich aufrichten und lauschen. Hörte sie etwas? — Der Eindruck, den sie gehabt, als sie gestern aus dem Wagen stieg, stand noch immer lebendig vor ihr: hier ist nichts, wohinter man sich verbergen kann! Als das Wageninnere zum Zimmer umgestaltet und ein Tuch vor den Eingang gehängt war, ließ das Gefühl nach; aber es lag auf der Lauer.

Nachdem sie die Kuh zur Nacht gemolken, Mus gegessen und den Ochsen gut zugeredet hatte, wanderte sie mit den Buben und dem Gössel hinaus. Sie gingen auf die Hügelkuppe; hier setzte sie sich und ließ die Augen schweifen.

Auch hier war es auf eine Weise schön, das gab sie zu. Was sich hier nach allen Seiten dehnte, glich in vielem dem Meere, zumal jetzt im Dämmerlicht. Es erinnerte so stark daran und war doch so anders! — Das hier hatte kein Herz, das schlug, keine Wellen, die leise sangen, und kein Gemüt, das weinte. — —

Die Unendlichkeit rundum hätte ihr Frieden gegeben, wäre nicht die Stille gewesen, die hier noch eindringlicher war als in einer Kirche. Was hätte diese Stille auch unterbrechen können? Hier zogen keine Menschen vorüber; hier sangen keine Vögel; hier gab es nicht einmal eine surrende Fliege; jetzt hatte sich auch der Wind gelegt, und sogar die Grashalme reckten den Hals und lauschten in den Abend hinein. Sie hatte es übrigens auf dem ganzen Wege gemerkt: je weiter es nach Westen ging, um so schlimmer wurde die Stille; jetzt war es gewiß mehr als zwei Wochen her, daß sie einen Vogel hatte singen hören! Konnte sich in dieser grünblauen Unendlichkeit Leben etwa nicht behaupten? — Das muß wohl richtig sein, dachte sie. Soll Leben gedeihen, muß es etwas haben, wohinter es sich verbergen kann! —

Die Kinder spielten in der Nähe. — Wie sie lärmten! Aber man soll sie gewähren lassen. — — Sie dachte an den langen, den unendlich langen Marsch zurück bis dorthin, wo Menschen wohnten. Um sie hatte es keine Not. Aber um ihn, den Armen, und die Buben, — und dann die Ochsen! — — Auch er mußte doch einsehen, daß hier nie eine Menschenheimat entstehen werde — und sie hier niemals Leben werde zur Welt bringen können.

Die Blicke irrten, wanderten in das dicke, blauschwarze Dunkel, das sich langsam auf sie senkte, und eine Verlassenheit überkam sie, die alles Denken hemmte. Sie vermochte nicht dorthin zu sehen, wo dieses satte Schwarzblau sich jetzt zusammenzog. Da legte sie sich ins Gras und blickte aufwärts.

Die Verlassenheit blieb. Und jetzt erst erfaßte sie, wie einsam sie war. — Sie starrte in die stille, nachterfüllte Luft hinauf und durchwanderte in Gedanken wieder die Wegstrecken, die sie zurückgelegt hatten! — — Sie ging in Sandnessjöen Hafenstadt in Nordnorwegen. an Bord. Das Schiff trug sie nach Süden. In Namsos lag ein großes Boot mit vielen weißen Segeln, das sie und die Ihren aufnahm, sie fortbrachte, — immer weiter und weiter fortbrachte. Sie waren Wochen und Wochen gesegelt; die Wochen wurden zu Monaten; sie fuhren über Meere, die niemals ein Ende nahmen. Ja, sie mußte geradezu lachen: Immer ging der Kurs der sinkenden Sonne nach! — Sie kreuzten gegen den Wind auf, und sie segelten vor peitschendem Sturm — immer aber in derselben Himmelsrichtung!

Endlich, endlich waren sie in Quebec gelandet; sie war dort umhergegangen und hatte sich an dem Geräusch der fremden Zungen, das sie nicht in Worte zerlegen konnte, wirr gehört. War das das neue Land Kanaan? — Nein! Jetzt standen sie kaum erst am Anfang der Wanderung! Und es hatte sich etwas in ihr gesträubt: jetzt gehe ich nicht weiter!

Aber es ging weiter, über Widden, durch Einöden, die kein Ende zu nehmen schienen, in Städte hinein, aus Städten hinaus. — — Eines Tages standen sie in Detroit in Michigan. Nein, auch hier war es noch nicht! Und wieder hatte sie den Aufruhr in sich gespürt: Jetzt will ich nicht weiter! — Aber es war, als hätte die Flut der Unendlichkeit sie alle losgerissen und wollte sie mit sich fortspülen — sie immer weiter wirbeln ohne Ziel.

Und weiter war es gegangen. Aber jetzt war wenigstens etwas Erholung gekommen; denn sie fuhr wieder über Wasser und hörte das Plätschern der Wellen an den Schiffsplanken. Das konnte sie verstehen; und darum erschien ihr dieser Teil der Wanderung nicht einmal in gar so schlimmem Licht, obwohl die schnöde Behandlung und das wilde Leben an Bord übel genug gewesen.

Eines schönen Tages legten sie in Milwaukee an. Auch hier hieß es nur wieder: starten und weiter hinaus ins Fremde. — — Weiter und immer weiter. Die Flut strömte und wirbelte unaufhörlich!

Sie kamen schließlich an einen Ort, der etwas wie ›Prairie du Chien‹ hieß, — war‘s nicht im Staate Wisconsin gewesen? — Von dort aus karrten sie sich bis Lansing in Iowa und allmählich nach Filmore County, Minnesota, durch. Und auch hier war es damit noch nicht zu Ende! — —

Jetzt lag sie auf einem kleinen Rasenhügel inmitten einer Unendlichkeit, aus der kein Weg hinausführte! — Es war ihr, als hätte sie viele Leben gelebt. In jedem hatte sie nichts als umherirren und wandern müssen und war immer weiter von ihren Angehörigen weggekommen.

Sie setzte sich seufzend auf. Das eigentümlich Weiche und doch Kraftvolle ihres Gesichts fügte sich in die Umgebung wie ein schönes Bild in einen wohlgewählten Rahmen. —

Die Buben und das Gössel tummelten sich auf dem Gipfel der Kuppe nach Herzenslust. Es gab zwischen den Grasschöpfen so viel Merkwürdiges. Der Große-Hans kam mit einer Handvoll roter Steinplättchen, die aussahen wie willkürlich von einem Felsen abgesplittert, — spitz waren sie an der einen Seite, wurden gleichmäßig breiter wie Speerspitzen; die Kanten waren geschärft; um das breite Ende lief eine Rille. — Da kam auch der Ole mit ein paar an und hatte dem Schwesterlein zwei abgegeben. — Die Mutter tat die Steine auf den Schoß und betrachtete einen nach dem andern. Die müssen von Menschen gemacht sein? dachte sie.

Da machte der Ole noch einen merkwürdigen Fund: einen faustgroßen Stein, der aussah wie ein Vorhammer; in dem war die Rille tief und breit.

Die Mutter stand auf: »Wo findet ihr das alles?«

Die Buben zeigten ihr den Weg, und jetzt stand auch sie an der kleinen Senke auf dem Gipfel, die die Männer gestern abend entdeckt hatten; rundum lagen die Steine.

»Der Ole sagt, die Indianer hätten sie gemacht!« schwätzte der Große-Hans eifrig. »Ist das wahr, Mutter? Glaubst du, sie kommen einmal wieder?«

»Könnte schon sein, wenn wir eine Zeitlang hierbleiben.«

Sie sah nachdenklich in die Erdsenke; derselbe Gedanke, den ihr Mann gestern an der gleichen Stelle gehabt, durchfuhr auch sie: Hier war ein Menschengrab! Er entsetzte sie nicht; aber der Eindruck von der unendlichen Einsamkeit wurde noch gewaltiger.

Der Abenddunst lagerte jetzt tiefer. Es war, als sammle er alle Kraft um sie, und als bewege sich die Ebene von allen Seiten auf sie zu. Die Wagen waren nur noch nichtssagende Punkte in weiter, weiter Ferne; Hans Olsens Zelt nahm sich aus wie ein Grasschöpflein, dessen Spitzen gebleicht waren; Tönset‘ns Gamme ließ sich aus dem Dunkel nicht herausschälen. — Sie war es nicht imstande, die Buben laut zum Heimgehen heranzurufen, sie mußte um die Senke herum, um es ihnen leise zu sagen. — Nein, die Steine dürften sie nicht mitnehmen! Aber sie könnten morgen wieder her und mit ihnen spielen. — —

Die Beret fand in dieser Nacht spät erst Schlaf. Sie war recht ärgerlich über sich selbst: der Kopf hob sich vom Kissen, die Nerven spannten sich, und doch war nichts zu hören — nichts außer dem aufkommenden Nachtwind. — —

Und mit ihm kam so vielerlei. —