Kitabı oku: «Wirtschaft im Kontext», sayfa 4

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2.2.7 Pareto-Prinzip und soziales Wohl

Wir werden im folgenden Kapitel weitere Kritik am Konzept des Pareto-Optimums kennenlernen. Dazu ist es aber wichtig, zu verstehen, dass seine Formulierung zu seiner Zeit durchaus auf ein theoretisches Problem antwortete und insofern einen Fortschritt bedeutete.

Wir sahen schon, dass ein zentraler Begriff der Neoklassik der des Nutzens ist. Damit weist die Neoklassik auf den englischen Utilitarismus zurück, welcher im Nutzen auch den Schlüssel zu normativen Fragen der Ethik sah, die durch Kalkulation des Nutzens beantwortet werden sollten (utility calculus). Hat man es nun mit mehreren Individuen zu tun, können sich allerdings Probleme einstellen. Stiehlt der Verhungernde dem Satten ein Brot, wiegt dann nicht sein Gewinn den geringen Verlust des anderen auf? Man ist versucht, dies zu bejahen. Aber dazu müsste man den Gewinn des einen mit dem Verlust des anderen vergleichen können. Just dies ist durch den subjektiven Nutzenbegriff ausgeschlossen, da dieser keinen intersubjektiven Maßstab kennt. Intersubjektive Nutzenvergleiche sind prinzipiell ausgeschlossen, wie die Ökonomen bald feststellten.32 Es ist keine Überraschung, dass man im Rahmen eines streng individualistischen Ansatzes in Schwierigkeiten gerät, sobald man es mit kollektiven Größen wie dem Gesamtnutzen zu tun hat.

Hier kommt das Pareto-Prinzip ins Spiel. Es erlaubt nämlich durchaus, diese Klippe zu umschiffen und von einem Optimum für ein Kollektiv zu sprechen, ohne sich auf ein Maß des kollektiven Wohls beziehen zu müssen. Zwar kann man in einer Situation, in welcher ein Individuum sich verbessert, während ein anderes sich verschlechtert, prinzipiell nicht bestimmen, ob der Nutzengewinn des einen den Verlust des anderen überwiegt und so zu einem höheren Gesamtwohl führt. Verbessert sich jedoch einer, ohne dass sich ein anderer verschlechtert, so lässt sich diese Frage gleichwohl bejahen, und wenn eine Situation erreicht ist, in welcher sich niemand mehr weiter verbessern kann, ohne dass sich ein anderer verschlechtert, ist in diesem Sinne ein Optimum erreicht.

Für viele volkswirtschaftliche Anwendungen ist das Pareto-Prinzip freilich in einer weniger restriktiven Formulierung maßgeblich. Betrachten wir dazu das Beispiel, an welchem diese Fragen ursprünglich diskutiert wurden, was auch deshalb interessant ist, weil es uns zugleich an den ursprünglichen Kontext der Diskussion erinnert, nämlich die Frage nach dem Freihandel: Die Aufhebung der Korngesetze 1846, welche die britische Landwirtschaft schützen sollten, hatte einerseits zur Folge, dass der Kornpreis sank, die gesamte Bevölkerung also für den selben Betrag eine höhere Menge Korn erstehen konnte, sprich derselbe Lohn einem höheren Realeinkommen entsprach, führte andererseits aber auch zu einer Einkommensverschiebung, in diesem Fall zuungunsten des Landadels, der unter dem Druck der ausländischen Konkurrenz nun sein Korn zu geringerem Preis verkaufen musste. Wie sieht die utilitaristische Gesamtbilanz aus? Wir stehen wieder vor dem Problem, den eventuellen Nutzenverlust der einen gegen den Gewinn der anderen verrechnen zu müssen, was nicht möglich ist. Andererseits haben wir es lediglich mit Geldmengen zu tun, die vom Staat durch neue Steuern und Kompensationszahlungen wieder umverteilt werden können. Und so lässt sich – zumindest im Prinzip – dennoch feststellen, ob eine Reform von positivem Gesamtnutzen ist: genau dann nämlich, wenn nach Entschädigung des Benachteiligten die Bevorzugten noch einen Nettogewinn zu verbuchen haben.

Diese Überlegung, die erstmalig von Nicholas Kaldor und John R. Hicks angestellt wurde, wartet allerdings noch mit einer – wie manche meinen: zynischen – Pointe auf. Die beiden Ökonomen sind sich nämlich darin einig, dass die Frage, ob die Entschädigung auch gezahlt werden solle, eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit sei, zu welcher die Ökonomen als Wissenschaftler nichts zu sagen haben.33 Sie klammerten diesen Aspekt daher aus und betrachteten nur den »potentiellen« Fall. Eine Reform ist nach diesem sogenannten Kaldor-Hicks-Kriterium also auch dann zu begrüßen, wenn sie nur eine potentielle Pareto-Verbesserung bewirkt, diese also theoretisch möglich ist, auch wenn de facto Gewinn und Verlust höchst ungleich verteilt werden und gegebenenfalls eine gesellschaftliche Ungleichheit noch verstärken.

Diese Verallgemeinerung des Pareto-Prinzips ist von enormer Bedeutung. Sie erlaubt es den Ökonomen, Fragen der Effizienz von denen der Verteilung zu trennen. Damit ist die Möglichkeit gewonnen, nüchtern eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen, ohne auf Fragen der Gerechtigkeit eingehen zu müssen. Solche Analysen bilden die Grundlage für wirtschaftspolitische Empfehlungen durch die Ökonomen (economic policy). Die Abkopplung von Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen macht dabei die Objektivität – im Sinne von Wertfreiheit – dieser Empfehlungen aus.34 Diese Auffassung knüpft an die Position Max Webers im Werturteilsstreit an. Sich gegen die bekenntnishaften »Kathederwertungen« und »Professoren-Prophetie« wendend, d. h. gegen »weltanschauliche« und »parteipolitische« Stellungnahmen des Wissenschaftlers, suchte Weber den reinen, wertfreien »fachmäßigen« Standpunkt zu setzen.35 Der begriffliche Schlüssel dazu bestand für ihn in der Trennung zwischen Zwecken und Mitteln, auf welche sich dann die Trennung von Werturteilen und Tatsachenurteilen abbilden lässt: Der Wissenschaftler kann nur empirisch über die Eignung eines Mittels zu einem Zweck urteilen. Ob aber ein Zweck wünschenswert sei, stellt ein Werturteil dar, welches er sich versagen muss. In gesellschaftlichen Fragen muss darüber etwa im politischen Diskurs entschieden werden. Die Gesellschaft muss sich also darüber klar werden, was sie will, und der Wissenschaftler kann ihr dann sagen, ob und wie sich diese Zwecke am besten erreichen lassen. Diese Auffassung steht offenkundig auch hinter dem Unterfangen, den Verteilungs- vom Effizienzaspekt zu separieren. Befördert wurde diese Haltung noch von der neopositivistischen Wissenschaftsphilosophie des Wiener Kreises – mit starkem Einfluss etwa auf Robbins –, welche die empirischen Urteile für die einzig sinnvollen erklärte und somit die Werturteile nicht nur abtrennte, sondern überhaupt suspekt erscheinen ließ.

Erlauben wir uns schon an dieser Stelle einen kritischen Blick. Problematisch ist dieser Zug aus zwei Gründen. Erstens wird die Frage übergangen, ob die Verbesserung aller auch praktisch möglich ist. Man sieht sofort, warum es den Ökonomen legitim erscheinen muss, diese Frage auszuklammern: es handelt sich um eine soziologische Frage, denn Möglichkeit und Unmöglichkeit hängen von außerökonomischen Faktoren ab. Hier berühren wir eine Grenzfläche, welche die Ökonomen ausblenden. Darf man sie allerdings nicht ausblenden, wie die Kritiker der Neoklassik meinen, so wird die Frage nach der praktischen Realisierbarkeit wieder relevant.

Der zweite Grund hat mit der Trennung von Effizienz- und Distributionsaspekten zu tun. Wie können die Ökonomen einerseits die Distributionsfrage als eine Wertfrage kenntlich machen und als solche ausklammern, andererseits aber anhand des Effizienzkriteriums entscheiden wollen, ob eine politische Reform wünschenswert ist? Ist letzteres etwa keine Wertfrage? Eine Effizienzsteigerung im Sinne einer potentiellen Paretoverbesserung ist den Ökonomen ja nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern an sich erstrebenswert. Die Ökonomen leugnen diese Wertdimension, indem sie ihr Kriterium der Effizienzsteigerung nicht auf einen externen Wertmaßstab gründen, sondern sich auf die ›Naturanlage‹ des Individuums berufen (d. h. eigentlich auf die Modellannahme), beständig nach mehr zu streben. Wünschenswert soll also heißen: wünschenswert für die Individuen. Die Ökonomen erlauben sich also, im Namen der Individuen zu sprechen und die Effizienzsteigerung als deren ureigentliches Interesse darzustellen. Nun beachte man aber: Die Ökonomen geben vor, über den faktischen Nutzen einer Reform im Namen der Individuen zu urteilen. Aber nun ist es ja gerade so, dass de facto nicht alle, vielleicht gar nur eine Minderheit eine Verbesserung erzielt, und die übrigen sich unter Umständen sogar verschlechtern. Die Ökonomen sprechen über eine faktische Reform, aber nicht im Namen der faktisch betroffenen Individuen, sondern der Individuen unter hypothetischen Umständen, an deren Herbeiführung sie in der Regel selbst nicht glauben. Hier klafft eine Lücke in der Argumentation, die nur durch die Annahme überbrückt werden kann, dass es einer Gesellschaft besser geht, wenn sie reicher ist, auch wenn der Reichtum ungleicher verteilt ist. Aber dies ist eine Annahme über das kollektive Wohl, welche zu begründen wäre, als unbegründete aber ein Werturteil der Ökonomen kaschiert.

Es ist der Mühe wert, diesen Punkt in technischen Begriffen herauszuarbeiten. Bereits 1941 zeigte der ungarische Ökonom Tibor de Scitovsky, dass das Kaldor-Hicks-Kriterium zu widersprüchlichen Resultaten führen kann, da es Situationen zulässt, in welchen der Übergang von einem Zustand X zu einem anderen Zustand Y ebenso wünschenswert ist wie der umgekehrte Übergang.36 Dieses Paradox kann man auch am Beispiel der Korngesetze aufzeigen, also am Streit um den Freihandel. Abbildung 2 zeigt die sogenannte Nutzenmöglichkeitsgrenze, welche den je höchstmöglichen Nutzen eines Akteurs als Funktion desjenigen der anderen Akteure zeigt. Es handelt sich also um alle Pareto-optimalen Kombinationen von Nutzenwerten. Wir betrachten ein System, in welchem sich ein Konsument und ein Produzent gegenüberstehen, und welches den Punkt X einnimmt. Ein Übergang vom Freihandel zur Protektion des fraglichen Produktionszweiges würde das System an den Punkt Y verschieben, dem eine veränderte Nutzenmöglichkeitsgrenze zugeordnet ist. Der Produzent würde sich verbessern, der Konsument verschlechtern. Gleichwohl wäre diese politische Reform nach dem Kaldor-Hicks-Kriterium wünschenswert, da auch nach Entschädigung des Konsumenten, d. h. Übergang auf der Nutzenmöglichkeitsgrenze von Y zu Y ′, der Produzent noch einen Gewinn davonträgt. Allerdings gilt auch das Umgekehrte: Steht das System an Punkt Y, stellt der Übergang zum Freihandel eine potentielle Paretoverbesserung dar, da nach Entschädigung des Produzenten (X zu X ′) der Konsument nach wie vor besser dasteht.


Abb. 2: Das Paradox von de Scitovsky: Sowohl der Übergang von X zu Y als auch seine Umkehrung stellen eine potentielle Paretoverbesserung dar.

Die Wurzel dieses Problems liegt darin, dass die Entschädigung nicht tatsächlich vorgenommen werden muss. Muss sie dies doch, ändert sich die Situation nämlich grundlegend. Denn nun gilt: Wenn eine Gesellschaft am Punkt X angesiedelt ist, ist ein Übergang zum Protektionismus inklusive Entschädigung des Konsumenten, d. h. zu Punkt X ′, eine Pareto-Verbesserung; umgekehrt, wenn sie durch den Punkt Y beschrieben wird, stellt ein Übergang zum Freihandel mit Entschädigung des Produzenten eine Pareto-Verbesserung dar. Das Paradox verschwindet. Zugleich sieht man aber deutlich am hervorgehobenen Wenn-Teil der ausgesprochenen Empfehlungen, dass man es nunmehr mit einer bedingten Empfehlung zu tun hat. Gegenstand der Bedingung ist aber die bestehende Einkommensverteilung. Dies bedeutet jedoch, dass sich Fragen der Effizienz und der Verteilung mitnichten voneinander trennen lassen. Die Diskussion in technischeren Begriffen zeigt mithin sehr präzise die Fragwürdigkeit der Objektivität wirtschaftspolitischer Empfehlungen, die auf dem angeblich wertfreien Effizienzkriterium gegründet sind.37 Auf dieser Grundlage können auch renommierte Ökonomen wie der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz ihrem Fach vorwerfen, sich von einer wissenschaftlichen Disziplin zu einem cheerleader des laissez-faire-Kapitalismus gewandelt zu haben.38

2.2.8 Spieltheorie

Der Rationalitätsbegriff der Neoklassik hat keine Tiefe. Er beschreibt lediglich die Präferenzstruktur des als Nutzenmaximierer aufgefassten Akteurs. Es ermangelt der Neoklassik einer Theorie, welche Wege zum Optimum es gibt und welchen davon das Individuum einschlägt. 1944 präsentierten die beiden amerikanischen Emigranten John von Neumann und Oskar Morgenstern in dem heute klassischen Buch Theory of Games and Economic Behavior einen Ansatz, diese Lücke zu füllen – und zwar in Form eines mathematischen Formalismus, wo die Neoklassik nur einige qualitative Hinweise bereithielt. Von Neumann und Morgenstern wollten insbesondere der Wechselwirkung der Akteure Rechnung tragen, wodurch ein schwieriges Problem gestellt ist:

[Der Teilnehmer einer sozialen Tauschökonomie] versucht ein optimales Ergebnis zu erzielen. Um dies zu erreichen, muss er jedoch in Austauschbeziehungen zu anderen treten. Wenn zwei oder mehr Personen untereinander Güter tauschen, wird für jeden das Ergebnis im Allgemeinen nicht bloß von den eigenen Handlungen, sondern ebenfalls von denen der anderen abhängen. Jeder Teilnehmer sucht also eine Funktion zu maximieren, deren Variablen er nicht sämtliche kontrolliert. Dies ist offenkundig kein Maximierungsproblem mehr, sondern ein irritierendes Gemenge konfligierender Maximierungsprobleme. Jeder Teilnehmer wird durch ein anderes Prinzip angeleitet und keines bestimmt alle ihn tangierenden Variablen. – Für ein solches Problem hält die klassische Mathematik keine Theorie bereit.39

Diese Analyse teilt den reduktionistischen Individualismus der Gleichgewichtstheorie, dem die beiden Autoren ausdrücklich beipflichten. Sie ergänzen diese Theorie hingegen um einen wichtigen Aspekt, der in ihr nicht vorgesehen war: Der homo œconomicus ist stumm und teilnahmslos. Insbesondere unterscheidet er nicht zwischen Variablen, die die unveränderliche Umwelt beschreiben, und solchen, die vom Willen der anderen Akteure abhängen, von »Motiven, die ihrer Natur nach den seinigen identisch sind«. Diese Unterscheidung ändert sein Verhalten tiefgreifend, da er eine Erwartung über das Verhalten anderer ausbilden wird und weiß, dass dieses umgekehrt ihre Erwartungen über sein Verhalten widerspiegelt.40 Mit einem Wort: sein Verhalten wird strategisch.

Die mathematische Theorie, die hier beispringt, ist die Spieltheorie oder Theorie der Strategiespiele, welche von Neumann schon in den 1920er Jahren ausgearbeitet hatte.41 Das Marktgeschehen stellt dabei das ›Spiel‹ dar, nämlich einfach ein regelgeleitetes Geschehen. Wo die Akteure Wahlmöglichkeiten haben, machen sie ›Spielzüge‹. Die festen Muster und Prinzipien ihrer Züge bilden ihre ›Strategie‹. Wie auch schon für den Begriff des rationalen Verhaltens gilt für den Begriff der Strategie, dass seine Anwendung nicht auf bewusst geplante Handlungen eingeschränkt ist. Auch das Verhalten eines seinem Instinkt oder seinen Affekten folgenden Akteurs wird als Strategie beschrieben. Dies ist insbesondere für die Anwendung spieltheoretischer Methoden in der evolutionären Forschung von Bedeutung.

Das bekannteste Fallbeispiel einer spieltheoretischen Analyse stellt sicherlich das sogenannte Gefangenendilemma dar. Es ist zugleich aber auch ein problematischer Fall, der die Grenzen des individualistischen Ansatzes spürbar werden lässt, weshalb er von besonderem Interesse für uns ist. Das Gefangenendilemma wird uns insbesondere in der Frage des Umgangs mit öffentlichen Gütern wieder begegnen. Betrachten wir es hier schon näher.

Das Gefangenendilemma handelt von zwei Verbrechern A und B, die sich von der Polizei haben schnappen lassen und nun – getrennt voneinander – verhört werden. Ihr Verhalten – Gestehen oder Leugnen – wird Konsequenzen für die zu erwartende Länge der Haftstrafe haben. Allerdings hängt der Urteilsspruch von beider Verhalten ab, womit die von von Neumann und Morgenstern beschriebene Situation prototypisch realisiert ist: jeder einzelne hat es mit einem Maximierungsproblem zu tun, über dessen Variablen er nur partiell Kontrolle ausübt, partiell aber auch andere Akteure (Maximierung des Nutzens heißt hier natürlich Minimierung der Haftzeit). Das konkrete Szenario ist folgendes: Es drohen jedem sechs Jahre Haft. ›Kooperieren‹ sie und schweigen beide, werden sie aufgrund der dünnen Beweislage jeweils zu drei Jahren Haft verurteilt. ›Defektiert‹ einer von beiden und gesteht, kommt er mit einem Jahr davon, während der andere die vollen sechs Jahre absitzen muss. Gestehen beide, müssen sie infolge immerhin nur vier Jahre einsitzen.


Das Gefangenendilemma:
A
gesteht schweigt
B gesteht je 4 Jahre 6 Jahre für A 1 Jahr für B
schweigt 1 Jahr für A 6 Jahre für B je 3 Jahre

Die eigentliche Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die beiden Verbrecher ihr Verhalten nicht abstimmen können. So empfiehlt sich jedem, zu gestehen, weil man nur so unabhängig vom Verhalten des anderen die Höchststrafe vermeidet. Gesteht der andere ebenfalls, hat man die 4 Jahre abzusitzen, schweigt der andere, sogar nur ein Jahr. Da sich für beide die Situation gleich darstellt, sollten sie auch beide diese Option wählen und defektieren. Man spricht von einem (starken) Nash-Gleichgewicht: in diesem Zustand kann sich jeder der Spieler durch einseitige Strategieänderungen nur verschlechtern.42 Freilich gelangen die Spieler mit dieser rationalen Strategie zu einem pareto-inferioren Resultat, denn im Falle der Kooperation hätten sie beide besser dagestanden! Dies ist der Kern des Dilemmas: die aus je individueller Perspektive rationale Strategie führt zu einem für alle dürftigen Ergebnis. Hier trifft man auf ein ernsthaftes Problem individualistischer Rationalität.

Entwickelt wurde die Spieltheorie übrigens als Analyseinstrument im Kalten Krieg. Erst vor diesem Hintergrund erhellt die Bedeutung der absoluten Nichtkommunikation zwischen den Gefangenen, die für die nuklearen Großmächte stehen. Das Nash-Gleichgewicht ist insbesondere also die theoretische Grundlage für das »Gleichgewicht des Schreckens«. Es ist interessant zu notieren, dass Nash in seiner Arbeit die Modellannahmen noch einmal gegenüber dem Ansatz von Neumanns und Morgensterns verschärfte. Während diese sich auch intensiv mit der Rolle von Koalitionsbildungen in Spielen mit mehr als zwei Spielern auseinandersetzen, schloss Nash diese ausdrücklich aus. Seine Spieler agieren vollkommen unabhängig, sie kennen weder Kommunikation noch Koalition. Dieses düstere Bild wurde tatsächlich erst in einem zweiten Schritt auf die Analyse der Wirtschafts- und schließlich auch anderer sozialer Prozesse übertragen, die mithin als eine Art verallgemeinerter Kalter Krieg verstanden wurden.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders bemerkenswert, wie sich das Bild ändert, wenn das Spiel des Gefangenendilemmas über mehrere Runden gespielt wird, so dass die Spieler die Möglichkeit erhalten, auf das Verhalten des Mitspielers in der Vorrunde zu reagieren. Die optimale Strategie besteht darin, im ersten Zug Kooperationsbereitschaft zu signalisieren und sodann immer den Zug des anderen nachzuahmen, so dass seine Kooperation mit selbiger belohnt, die Defektion aber mit selbiger bestraft wird. Diese Strategie wird als TIT FOR TAT bezeichnet (etwa: »wie du mir, so ich dir«). Treffen zwei TIT FOR TAT Spieler aufeinander, erreichen sie tatsächlich das Paretooptimum. Aber selbst wenn der Mitspieler einer anderen Strategie folgt, bleibt der TIT FOR TAT Spieler nahe am optimalen Ergebnis. Er ist kein ›naiver‹ Kooperationspartner, dessen Strategie sich ausnutzen ließe.43 Es lässt sich zeigen, dass diese Strategie es zumindest im Ansatz erlaubt, die Entstehung kooperativen Verhaltens in einer rein egoistischen Umwelt zu verstehen. Dringt nur ein kleiner cluster von TIT FOR TAT Strategen in einer Population konsequenter Defektierer ein, kann er sich dort halten und entwickeln.44 Die Frage nach der evolutionären Entstehung von Kooperation und Institutionen ist heute ein zentrales Problem alternativer Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften. Wir werden darauf zurückkommen.

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