Kitabı oku: «Gerechtigkeit über Grenzen», sayfa 2

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Teil III: Grenzüberschreitendes Handeln

Die Kapitel in Teil III wenden sich von den Argumenten für bestimmte Rechte ab und hin zu den Vorbedingungen für die Achtung und Verwirklichung von Rechten. Die Unbestimmtheit von Rechten – wie die Unbestimmtheit anderer ethischer Prinzipien – ist ganz wesentlich, wenn personelle und institutionelle Akteure unter den verschiedensten Umständen den Pflichten der Gerechtigkeit gehorchen sollen. Viele der Probleme, die entstehen, weil die Rechte angeblich „zu abstrakt“ sind, spiegeln nichts anderes wider als unhaltbare Ansichten zur Abstraktion und dazu, wie eine Beachtung solcher Rechte aussehen könnte. In diesen Kapiteln geht es um eine Reihe von Überlegungen, die von Bedeutung sind, wenn Rechte respektiert und verwirklicht werden sollen. Dazu gehört die notwendige Zuordnung der Pflichten des Gegenparts, die Fähigkeiten (Handlungsmöglichkeiten) der Akteure, auf die diese Zuordnung entfällt, und die Umstände, unter denen diese tätig werden können. Und auch hier beschäftigt sich das letzte Kapitel mit Fragen der Durchsetzung von Menschenrechten.

Kapitel 8, „Von Edmund Burke zu Menschenrechten im 21. Jahrhundert“, setzt sich mit Edmund Burkes klassischer Kritik an der Abstraktion auseinander. Es geht davon aus, dass Burkes Denken auf die Möglichkeit der Institutionalisierung abstrakter Rechte weder abzielt noch sie unterminiert, sondern vielmehr erst möglich macht, dass sie unter den verschiedensten Umständen verwirklicht werden. Für Burke war Abstraktion weder vermeidbar noch fatal, sondern unverzichtbar, aber eben nicht ausreichend.

Kapitel 9, „Von einer staatsorientierten bis zu einer globalen Konzeption von Gerechtigkeit“, tritt dafür ein, dass die praktischen Aufgaben der Umsetzung und Sicherung der Gerechtigkeit nicht an bestimmten Grenzen festgemacht werden sollten, sondern sich vielmehr auf die Handlungsmöglichkeiten (Fähigkeiten) der personellen und institutionellen Akteure konzentrieren sollten, die diese Gerechtigkeitsgrundsätze beachten und verwirklichen müssen. Im Besonderen muss ein praxisorientierter Ansatz des Nachdenkens über Rechte die speziellen Fähigkeiten und die Verschiedenheit nicht-staatlicher Akteure berücksichtigen, die keineswegs immer auf ein bestimmtes Territorium festgelegt sind und deren Aktivitäten häufig über Staats- und andere Grenzen hinwegreichen. Kapitel 10, „Globale Gerechtigkeit: Pflichten in der globalisierten Welt“, nimmt sich des Themas an, dass Rechte nicht ernst genommen werden können, wenn sie nicht in einer realistischen Konzeption der Fähigkeiten und Schwächen jener personellen und institutionellen Akteure verankert sind, die sie beachten sollen. Dabei ist besonderes Augenmerk auf die höchst variable Natur von Grenzen und Begrenzungen zu legen und auf die spezifischen Formen des Ein- und Ausschlusses, die sie etablieren.

Kapitel 11, „Akteure der Gerechtigkeit“, beschäftigt sich mit der versteckten Staatsorientierung vieler Theorien im Hinblick auf die praktischen Implikationen von Rechten und sondiert Möglichkeiten, wie ein breiteres Spektrum nicht-staatlicher Akteure ebenfalls zur Gerechtigkeit beitragen kann.

Das letzte Kapitel in diesem Teil widmet sich, genau wie in Teil II, speziell den Menschenrechten. In Kapitel 12, „Die dunkle Seite der Menschenrechte“, wird untersucht, wie die Tatsache, dass die Pflicht zur Einhaltung der Menschenrechte in erster Linie Staaten zugewiesen wurde, die Debatte über deren Verwirklichung geprägt hat und welche Probleme entstehen, wenn man die Menschenrechte zu eng an staatliche Akteure bindet. Es ist nicht klar, wie weit die Reichweite der Gerechtigkeit ausgedehnt werden kann, wenn die Verpflichtungen, Rechte zu respektieren und zu realisieren, in erster Linie anti-kosmopolitischen Institutionen überantwortet werden.

Teil IV: Grenzüberschreitende Gesundheit

Die Aufsätze im letzten Teil präsentieren Überlegungen zu bestimmten Fragen im Zusammenhang mit Gesundheit und Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt. Gesundheit ist einer von mehreren Bereichen (das Klima und der technologische Wandel sind die anderen), in denen die Rolle von Staatsgrenzen bei der Festlegung der Reichweite der Gerechtigkeit besonders problematisch sein kann. Meiner Ansicht nach hat ein großer Teil der Arbeiten über Bioethik diese Realität zu wenig berücksichtigt. Gewöhnlich liegt das gerade nicht daran, dass diese sich offen nur an staatliche Akteure wenden würden (diese Prämisse bleibt häufig implizit), sondern an der Tatsache, dass sie auf einen individualistischen Ansatz setzen, der zwar für die klinische Ethik angemessen sein mag, für die Ethik der globalen Gesundheit aber keine Anwendung finden kann, weil diese von gravierender Ungleichheit in den Staaten der Welt geprägt ist.

Kapitel 13, „Gesundheitswesen oder Medizinethik: über Grenzen hinaus gedacht“, untersucht, was es uns kostet, dass die zeitgenössische Medizinethik sich ausschließlich auf die Arzt-Patient-Beziehung konzentriert, auf Aufklärungsgespräche und Einwilligungserklärungen und auf die gerechte Verteilung von gesundheitlichen Leistungen auf Einzelpersonen. Diese Perspektive verdrängt Themen, die die öffentliche Gesundheit betreffen bzw. die Gesundheit ärmerer Gesellschaften und andere wichtige globale Gesundheitsfragen, vollkommen aus dem Blickfeld. Eine angemessene Bioethik des Gesundheitswesens muss in der politischen Philosophie verankert sein, nicht nur in der Ethik. Und sie muss einen realistischen Blick dafür entwickeln, wie staatliche und nicht-staatliche Akteure die öffentliche Gesundheit stärken können. Dementsprechend kann weder die individuelle Autonomie noch eine Patienteneinwilligung nach Aufklärung ein sicheres Fundament für die Ethik der Gesundheit bieten.

Kapitel 14, „Erweiterung der Bioethik: Medizinethik, öffentliche Gesundheit und globale Gesundheit“, untersucht, ob Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wirklich „globale öffentliche Güter“ sind, an denen jeder ein Interesse hat. Dort wird argumentiert, dass viele Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens, auch solche, die auf bestimmte Gruppen abzielen, positive externe Effekte haben können. Trotzdem sind sie keine genuin globalen Güter.

* * *

Die hier vorgelegten Aufsätze kritisieren bestimmte Auffassungen von den Menschenrechten, doch sie gehen davon aus, dass diese Rechte für die Gerechtigkeit von entscheidender Bedeutung sind. Dabei kritisiere ich vor allem jene Konzeptionen von Menschenrechten, die sich über die Akteure, denen die Gerechtigkeit überantwortet wird, nicht weiter auslassen bzw. über deren spezifische Pflichten. Konzeptionen, die all diese Pflichten ungeprüft den Staaten anlasten. In meinen Augen nehmen wir die Rechteperspektive nicht ernst genug, wenn wir nicht zeigen, wer genau was für wen tun soll. Und die Pflichten, die wir ausschließlich dem Staat zuweisen, sind typischerweise solche zweiter Ordnung, zu deren Umsetzung es andere personelle oder institutionelle Akteure braucht. Mir ist nur zu klar, dass die vielen Kollegen, Studenten und Zuhörer, denen ich diese Gedanken vorgetragen habe, meines Refrains mittlerweile vielleicht überdrüssig sind, aber ich bleibe in dieser Hinsicht unbußfertig.

Teil I

1
Rettungsboot Erde9

Wenn in einigermaßen naher Zukunft viele Millionen Menschen verhungern werden, kann man den Überlebenden dann die Schuld an deren Tod geben? Gibt es etwas, was die Menschen heute bzw. von heute an tun müssten, wenn sie vermeiden wollen, für nicht zu rechtfertigende Todesfälle in den künftigen Hungerjahren verantwortlich gemacht zu werden? Meine Argumentation geht von der Annahme aus, dass jeder Mensch das Recht hat, nicht ungerechtfertigt getötet zu werden, und erhebt daran anschließend den Anspruch, dass wir die Pflicht haben, Hungertode ganz zu verhindern oder hinauszuschieben. Ein Nebeneffekt dieses Anspruchs ist es, dass wir durchaus Verantwortung tragen, zumindest für einige dieser Todesfälle, falls wir untätig bleiben.

Gerechtfertigtes Töten

Ich gehe von der Annahme aus, dass Menschen ein Recht haben, nicht getötet zu werden, und folglich auch die Pflicht, nicht zu töten. Über weitere Rechte, die Menschen unter Umständen haben, sollen hier keine Aussagen getroffen werden. Insbesondere setze ich nicht voraus, dass Menschen gegen andere, die ihren Tod verhindern könnten, das Recht haben, dass man sie nicht sterben lässt, bzw. die Pflicht, den Tod anderer Menschen zu verhindern, wann immer sie dies leisten könnten. Doch ich werde auch nicht annehmen, dass der Mensch dieses Recht nicht hat.

Selbst wenn Menschen nur dieses eine Recht besitzen, nicht getötet zu werden, kann dieses Recht unter bestimmten Umständen gerechtfertigterweise außer Kraft gesetzt werden. Nicht jede Tötung ist ungerechtfertigt. Ich werde mich insbesondere mit zwei Situationen auseinandersetzen, in denen das Recht, nicht getötet zu werden, mit vollem Recht außer Kraft gesetzt wird. Es sind dies erstens der Fall eines unvermeidbaren Todes, zweitens der der Notwehr.

Zu solch unvermeidbaren Todesfällen kommt es in Situationen, in denen das Handeln eines Menschen den Tod eines oder mehrerer anderer Menschen bewirkt, dies aber nicht verhindern kann. Solche Todesfälle geschehen zum Beispiel, wenn der, der den Tod eines anderen verursacht, sich zum Zeitpunkt seiner Entscheidung zu handeln, wie er gehandelt hat, einiger wichtiger Umstände nicht bewusst ist. Wenn B einen Zug lenkt, A auf den Gleisen herumstolpert und von B nicht oder zu spät erkannt wird, sodass B den Zug nicht mehr stoppen kann, dann tötet B Person A. Aber B hätte nicht verhindern können, A zu töten, hatte er sich doch für das Fahren des Zugs entschieden. Eine andere Form unvermeidbarer Tötung stellt sich dar, wenn B vermeiden kann, entweder A zu töten oder C, aber nicht beide. Ist B zum Beispiel Träger ein hoch ansteckenden und unweigerlich zum Tode führenden Krankheit, dann könnte er in eine Lage geraten, in der er einer Begegnung mit A oder C nicht aus dem Weg gehen kann. Er müsste also A oder C töten und sich entscheiden, wen er trifft. In diesem Fall hängt die Unvermeidbarkeit von B’s Tötungshandlung nicht von einer früheren Entscheidung B’s ab. Die Fälle unvermeidlicher Tötung, mit denen ich mich hier beschäftigen möchte, gehören zu der letzteren Kategorie. Und ich werde darlegen, dass in solchen Fällen B gerechtfertigt tötet, wenn bestimmte weitere Bedingungen erfüllt sind.

Eine Tötung mag ebenso gerechtfertigt sein, wenn sie zur Selbstverteidigung geschieht. Ich werde hier nicht darlegen, dass Menschen ein Recht auf Selbstverteidigung haben, das unabhängig ist von ihrem Recht, nicht getötet zu werden. Vielmehr gehe ich davon aus, dass das Recht auf Selbstverteidigung mit der geringstmöglichen Wirkung als logische Folge aus dem Recht entsteht, nicht getötet zu werden. Daher ist das Konzept der Selbstverteidigung, auf das ich mich hier stütze, in gewisser Weise anders und enger gefasst als andere Interpretationen dieses Rechts. Ich werde ebenfalls belegen, dass, wenn A das Recht hat, sich gegen B zu verteidigen, eventuellen Dritten die Pflicht zufällt, A’s Recht ebenfalls zu verteidigen. Wenn wir das Recht, nicht getötet zu werden, mit all seinen logischen Folgen ernst nehmen, dann müssen wir auch für das Recht anderer, nicht getötet zu werden, eintreten.

Das Recht auf Selbstverteidigung, das sich als logische Konsequenz aus dem Recht ableitet, nicht getötet zu werden, verleiht einem auch das Recht, aktiv zu werden, um die Tötung anderer zu verhindern. Habe ich das Recht, nicht getötet zu werden, dann habe ich auch das Recht, andere daran zu hindern, mein Leben zu gefährden. Das Recht, dabei deren Leben zu gefährden, habe ich nur, wenn dies der einzige Weg ist, die Gefahr für mein Leben abzuwenden. Daraus, dass ein anderer das Recht besitzt, nicht getötet zu werden, folgt gleichfalls, dass ich, soweit möglich, aktiv werden sollte, um andere daran zu hindern, sein Leben in Gefahr zu bringen. Deren Leben darf ich dabei jedoch nur gefährden, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, sein Leben zu retten. Die Pflicht, andere zu verteidigen, ist keine allgemeine Verpflichtung, sich für das menschliche Wohl einzusetzen, sondern eine sehr begrenzte Pflicht, das Recht anderer, nicht getötet zu werden, zu sichern.

Das Recht auf Selbstverteidigung ist also recht begrenzt gedacht. Es verleiht niemandem das Recht, gegen andere vorzugehen, die uns schaden oder höchstwahrscheinlich schaden werden, wenn dieser Schaden unser Leben nicht gefährdet. (In bestimmten Fällen allerdings ist dieses Recht nicht immer so klar. Das Leben des Ladenbesitzers, der, von einem Räuber mit einer Spielzeugpistole in Schach gehalten, sich mit einem Schuss aus einer echten Pistole verteidigte, war nicht in Gefahr. Doch er hatte vernünftige Gründe anzunehmen, dass er in Gefahr schwebte.) Und es umfasst wirklich nur die geringstmögliche Vorbeugung gegenüber demjenigen, der unser Leben bedroht. Wenn B dem A mit einer Waffe hinterherjagt und A sich retten könnte, indem er entweder hinter einer schusssicheren Tür Schutz sucht oder B erschießt, dann hätte A kein Recht, auf B zu schießen, wenn alle Menschen das Recht hätten, nicht getötet zu werden und einer Tötung ihrerseits mit der geringstmöglichen Wirkung vorzubeugen. (Auch hier sind solche Fälle häufig nicht so einfach zu klären – A weiß ja unter Umständen nicht, dass die Tür schusssicher ist oder er denkt schlicht nicht an die Tür oder glaubt vielleicht, dass ein Schuss auf B eine sicherere Maßnahme wäre.) Das Recht auf eine dem Angriff entsprechende (verhältnismäßige) Selbstverteidigung, welches A’s Schuss auf B rechtfertigen würde, selbst wenn klar ist, dass das Verschwinden hinter der Tür ausgereicht hätte, um B’s Leben zu bewahren, geht meiner Ansicht nach nicht aus dem Recht hervor, nicht getötet zu werden. Möglicherweise ließe sich das Recht auf eine solche verhältnismäßige Gewaltanwendung rechtfertigen, indem man den Anspruch erhebt, dass ein Aggressor bestimmte Rechte einfach verliert, doch ich werde mich zu diesem Thema nicht äußern.

In gewisser Hinsicht ist das eng gefasste Recht auf Selbstverteidigung, das als logische Konsequenz aus dem Recht, nicht getötet zu werden, hervorgeht, weitreichender als einige andere Auslegungen dieses Rechts. Denn es gibt uns das Recht zu handeln gegen all jene, die unser Leben in Gefahr bringen, unabhängig von der Tatsache, ob sie dies bewusst oder absichtlich tun. A’s Recht, nicht getötet zu werden, berechtigt ihn, sich nicht nur gegen Aggressoren zu wehren, sondern auch gegen „ungewollte Bedrohungen“10, die Leben gefährden, ohne von einem Aggressor auszugehen. Wenn B versehentlich oder unbeabsichtigt möglicherweise A’s Tod verursacht, dann hat A, wenn er das Recht hat, nicht getötet zu werden, ebenfalls ein Recht zu tun, was immer nötig ist, um B davon abzuhalten, solange dieses Tun nicht B’s Recht verletzt, ungerechtfertigt getötet zu werden. Wenn B eine hochgradig ansteckende und unweigerlich zum Tod führende Krankheit hat und sich A nähert, dann darf A versuchen, B davon abzuhalten, selbst wenn B nichts über die Gefahr weiß, die er mit sich trägt. Wenn alle anderen Mittel fehlschlagen, dürfte A den B zur Selbstverteidigung sogar töten, obwohl B kein Aggressor war.

Nehmen wir zwei verschiedene Sachverhalte: 1) ein gut ausgerüstetes Rettungsboot; 2) ein unzureichend ausgestattetes Rettungsboot. Natürlich mag es auch Fälle geben, in denen die Überlebenden eines Schiffbruches nicht sicher sein können, was nun auf sie zutrifft, aber davon sehen wir hier der Einfachheit halber ab. Auf einem gut ausgestatteten Rettungsboot können alle überleben, bis Rettung eintrifft. In diesem Falle wäre keine Tötung als unvermeidlich zu rechtfertigen. Wenn jemand trotzdem getötet wird, dann könnte dies nur mit Notwehr gerechtfertigt werden, und auch nur in bestimmten Situationen. Betrachten wir einmal die folgenden Beispiele:

1A) Auf einem gut ausgerüsteten Rettungsboot mit sechs Personen droht A, die Süßwasservorräte über Bord zu werfen, ohne die einige oder alle Insassen nicht bis zur Rettung durchhalten würden. A ist entweder feindselig oder verrückt. B versucht, mit A zu reden, aber als dies fehlschlägt, erschießt er ihn. B kann sich auf sein Recht und das der anderen Bootsinsassen auf Selbstverteidigung berufen, um A’s Tod zu rechtfertigen. „Er oder wir“, mag er anführen. „Er hätte uns alle in eine Situation gebracht, in der wir nicht ausreichend ausgestattet gewesen wären, um zu überleben.“ Dies könnte er sowohl anführen, wenn A voller Absicht die anderen bedroht hätte, als auch, wenn er sich der Folgen seiner Tat nicht bewusst gewesen wäre.

1B) Auf einem gut ausgestatteten Rettungsboot mit sechs Personen beschließen B, C, D, E und F, dem A nichts mehr zu essen zu geben, woraufhin dieser stirbt. In diesem Fall können die Übrigen sich nicht auf ihr Recht zur Selbstverteidigung berufen – denn es hätten ja schließlich alle überleben können. Sie können auch nicht anführen, dass sie A schließlich nur verhungern ließen („Wir haben ja nichts getan!“) – denn A wäre anders nicht gestorben. Hier geht es auch nicht um einen Verstoß gegen das problematische Recht, nicht am Sterben gehindert zu werden, sondern um einen Verstoß gegen das Recht, nicht getötet zu werden. Dieser Verstoß kann nicht durch Verweis auf die Unvermeidbarkeit dieses Todes oder das Recht auf Selbstverteidigung gerechtfertigt werden.

Auf einem nicht ausreichend ausgerüsteten Rettungsboot können nicht alle überleben, bis Rettung naht. Einige Todesfälle sind also unvermeidbar, aber manchmal ist einfach nicht klar, wer betroffen sein wird.

Hier einige Beispiele:

2A) Sechs Personen haben sich auf ein Rettungsboot mit spärlicher Ausrüstung retten können. A ist sehr krank und braucht besonders viel Wasser, das ohnehin schon knapp ist. Die anderen entscheiden, dass sie ihm überhaupt kein Wasser geben, und A stirbt an Wassermangel. Wenn A etwas zu trinken bekommt, überleben nicht alle Personen. Andererseits ist klar, dass A getötet wurde und sein Tod nichts mit Sterbenlassen zu tun hat. Hätte er Wasser bekommen, hätte er vielleicht sogar überlebt. Einige Tode wären unvermeidbar gewesen, aber der von A war es nicht. Ihn zum Opfer zu machen heißt, sich dafür rechtfertigen zu müssen.

2B) Auf einem schlecht ausgestatteten Rettungsboot mit sechs Personen ist nur so viel Wasser vorhanden, dass vier Menschen überleben können. (Vielleicht ist die Entsalzungsmaschine nur für vier Personen ausgelegt?) Wer aber soll kein Wasser bekommen? Nehmen wir einmal an, zwei Menschen werden, entweder durch das Los oder durch eine andere Methode, bestimmt, kein Wasser zu bekommen und sterben deshalb. Die anderen können sich nicht darauf berufen, dass sie die beiden schließlich nur haben sterben lassen – denn auch die beiden könnten zu den Überlebenden gehören. Niemand hatte mehr Anspruch aufs Überleben als der andere, aber da nun mal nicht alle überleben konnten, wurden die Toten gerechtfertigterweise getötet, wenn die Methode der Wahl fair war. (Was eine solche Wahl fair erscheinen lassen würde, darüber gäbe es allerdings noch einiges zu sagen.)

2C) Wir befinden uns in derselben Situation wie unter 2B, doch die beiden, die kein Wasser erhalten sollen, bitten darum, sofort erschossen zu werden, um ihnen die Qual des Verdurstens zu ersparen. Auch hier können die Überlebenden nicht behaupten, sie hätten die beiden nicht getötet, sondern sich maximal darauf berufen, dass die Tötungshandlung gerechtfertigt war. Ob dies der Fall ist, hängt nicht davon ab, ob die beiden Opfer nun erschossen wurden oder verdursten mussten, sondern einzig davon, dass einige Tode unvermeidbar waren und das Verfahren zur Auswahl der Opfer fair war.

2D) Wir haben wieder dieselbe Situation wie in 2B, doch die beiden, die kein Wasser erhalten sollen, rebellieren. Die anderen erschießen sie und behalten so die Kontrolle über das Wasser. In diesem Fall ist klar, dass die beiden Opfer aktiv getötet wurden, aber auch hier ist die Tötung unter Umständen gerechtfertigt. Ob die Überlebenden nun mit Recht getötet wurden, hängt weder von der Tötungsart noch von der verweigerten Zusammenarbeit der Opfer ab, obwohl man davon ausgehen kann, dass diese Zusammenarbeit für die Frage, ob der Auswahlprozess fair war, unter Umständen von Bedeutung ist.

Solche Rettungsboot-Situationen sind im wirklichen Leben selten. Wir werden selten vor die Wahl gestellt, durch unsere Entscheidung, wie magere Rationen zu verteilen sind, zu töten oder getötet zu werden. Und doch ist diese Situation ganz real, was die Lage der menschlichen Rasse auf diesem Planeten angeht. Die heutzutage so häufig begegnende Metapher vom „Raumschiff Erde“ lässt uns eher an Drama, weniger an Gefahr denken. Wenn wir unsere Situation aber nüchtern betrachten, wäre ein anderes Bild vielleicht angemessener: das vom „Rettungsboot Erde“.

Vermutlich erhebt sich durchaus Widerspruch gegen die Vorstellung vom „Rettungsboot Erde“. Ein Rettungsboot ist klein, alle an Bord haben denselben Anspruch darauf, dort zu sitzen und ihren rechtmäßigen Anteil an den Vorräten zu erhalten. Die Erde hingegen ist groß, und es mögen zwar alle das Recht haben, sie zu bewohnen, doch manche haben zusätzlich noch Eigentumsrechte, die ihnen bestimmte Möglichkeiten zum Konsum geben, die andere Erdbewohner nicht haben. Die hungernden Millionen sind weit, weit entfernt und haben kein Recht auf das, was reiche Menschen oder Nationen besitzen, auch wenn es sie vor dem Tod bewahren könnte. Wenn sie sterben, wird es heißen, das sei höchstens ein Verstoß gegen ihr Recht, dass man sie nicht sterben lässt. Und dieses Recht habe ich ausdrücklich nicht angenommen und nicht etabliert.

Ich denke, für frühere Zeiten hätte man dies vernünftigerweise behaupten können. Die Armut und der daraus folgende Tod von Menschen in fernen Ländern waren etwas, was die Reichen möglicherweise hätten beeinflussen können, wobei sie jedoch (häufig) untätig geblieben waren. Daher haben sie das Recht der weit entfernt Lebenden, nicht getötet zu werden, nicht verletzt. Doch die ökonomische und technologische Vernetztheit von heute verändert diese Situation.11 Manchmal wird der Tod verursacht von Menschen oder Menschengruppen in fernen, üblicherweise reichen Nationen. Manchmal verletzen diese Menschen oder Menschengruppen nicht nur das mutmaßliche Recht des Menschen, dass man ihn nicht sterben lässt, sondern auch sein grundlegenderes Recht darauf, nicht getötet zu werden.

Verstöße gegen das Recht, nicht getötet zu werden, stellen wir uns meist so vor, wie sie in den Vereinigten Staaten von heute so häufig diskutiert werden: eine Konfrontation zwischen Einzelpersonen, bei denen einer direkt, gewaltsam und absichtlich den Tod des anderen verursacht. Doch wie die Rettungsboot-Situationen zeigen, gibt es auch andere Möglichkeiten, um uns gegenseitig umzubringen. Auf jeden Fall können wir unseren Blickwinkel nicht auf den typischen Raubüberfall- oder Mord-Kontext verengen. B verstößt auch gegen A’s Recht, nicht getötet zu werden, wenn:

a) B nicht allein handelt.

b) A’s Tod nicht sofort erfolgt.

c) es nicht sicher ist, ob A infolge von B’s Handlungen stirbt.

d) B den Tod von A gar nicht beabsichtigt hat.

Folgende Beispiele sollen diese Punkte veranschaulichen:

aa) A wird von einer Gang zusammengeschlagen, die aus B, C, D et cetera besteht. Keiner der Angreifer tötete A durch seine individuelle Tat, doch sein Recht, nicht getötet zu werden, wird von allen verletzt, die an der Prügelei teilgenommen haben.

bb) A wird langsam durch Verabreichung von kleinen täglichen Dosen Gift getötet. Die letzte Dosis war, wie die vorhergehenden, nicht für sich allein genommen tödlich. Doch die Person, die A vergiftet hat, hat A’s Recht, nicht getötet zu werden, trotzdem verletzt.

cc) B spielt Russisches Roulette mit A, C, D, E, F und G. Er feuert je einmal auf diese Personen und weiß, dass ein Schuss von sechs tödlich sein wird. Wenn A angeschossen wird und stirbt, hat B dessen Recht, nicht getötet zu werden, verletzt.

dd) Heinrich II. fragt, wer ihn von diesem lästigen Priester erlösen kann, und seine Anhänger töten Becket. Es ist klar, dass Heinrich Beckets Tod nicht beabsichtigt hat, wohl aber war er, wie er später zugeben sollte, teilweise dafür verantwortlich.

Diese Erläuterungen zum Recht, nicht getötet zu werden, sind für sich genommen nicht allzu kontrovers angelegt und ich würde annehmen, dass auch der Zusammenhang nicht strittig ist. Selbst wenn A’s Tod Resultat des Handelns mehrerer Personen ist und keine unmittelbare Folge dieses Handelns, ja noch nicht mal eine gesicherte Konsequenz, und selbst wenn dieser Tod von den Handelnden nicht beabsichtigt war, so mag dadurch A’s Recht, nicht getötet zu werden, verletzt werden.