Kitabı oku: «Monströse Moral», sayfa 4

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9 Panoramapark
Rüngsdorf

Marek hatte sich in sein Büro verzogen, um die Reise vorzubereiten und ein paar Telefonate zu führen. Laura war sicher, dass er nicht nur Flüge buchen, sondern auch seine geheimnisvollen Kontakte aus früheren Zeiten mobilisieren wollte, um an Informationen zu kommen. Am liebsten hätte sie sich neben ihn gehockt und zugehört, aber sie wusste, dass er das nicht zulassen würde. Die Voraussetzung für die gegenseitigen ‚Gefallen‘ war absolute Diskretion. Und sie respektierte das. So sehr die Neugier sie auch manchmal umtrieb.

Da sie sich nicht auf den neuen Fall konzentrieren konnte, beschloss sie, mit dem Hund einen Spaziergang und damit ihren Sorgen und ihrem Ärger im wahrsten Sinne des Wortes Luft zu machen.

Friedi schlug wedelnd den Weg zum Panoramapark ein und die Bewegung durch den klaren, kalten Februarmorgen lichtete die Nebel in ihrem Gehirn. Marek hatte recht. Je schlimmer die Krise, desto wichtiger war es, einen kühlen Kopf zu behalten. Und es brachte nichts, wenn sie mit nach Südafrika fuhr. Was konnte sie dort schon ausrichten? Der erste Detektiv war derartige Aktionen gewohnt, er hatte bereits weitaus dramatischere Missionen überstanden und zu einem guten Ende gebracht. Wobei er nie davon erzählt hatte. Sie schloss es nur aus den Andeutungen, die er im Laufe der Zeit gemacht hatte. Es war ihr allerdings nie ganz klar gewesen, ob es zu seinen Aufgaben gehört hatte, Personen zu retten oder eher auszuschalten. Aber sie wusste, dass er zu beidem in der Lage war.

Sie hatte es selbst miterlebt.

Beides.

Friedi bog in den Park ein und zog sie vom Spazierweg weg auf die Rasenfläche. Laura sah sich um und stellte fest, dass keine Hunde unterwegs waren.

„Komm her, Friedi.“ Sie zog den Dackel zu sich heran und hakte die Leine aus. Sofort steuerte er wedelnd, die Nase dicht am Boden, auf ein Gebüsch zu. So malerisch der Park bei Tageslicht war, er war nachts auch ein beliebter Treffpunkt für Kiffer und Dealer und letzten Sommer hatte Gilda hier sogar hinter einem Busch eine Leiche gefunden. Ein junges Mädchen, nackt, auf allen vieren, den weißen, voluminösen Po wie einen Vollmond gen Himmel gestreckt. Und die Kehle durchgeschnitten. Obwohl Laura die Tote nicht selbst gesehen hatte, ging ihr das Bild, das Gilda so anschaulich beschrieben hatte, nicht aus dem Kopf und sie musste jedes Mal daran denken, wenn sie hier spazieren ging.

Ihre Gedanken wanderten zu ihrer Assistentin. Marek hatte sie beruhigen wollen damit, dass Gilda ein zähes Biest sei. Im Moment wollten ihr jedoch nur die sanften und weichen Seiten des Mädchens einfallen. Ihre Hilfsbereitschaft, die sprühende gute Laune und das Kümmer-Gen, das ihr von der süditalienischen Familie mitgegeben worden war. Doch offensichtlich hatte sie auch den fatalen Hang zur Vendetta geerbt. Natürlich ging es ihr nicht um Blutrache im wörtlichen Sinne, aber sie ruhte nicht, bis alle Rechnungen beglichen waren.

Dass ausgerechnet Maria mit Gilda nach Südafrika gefahren war, war die Vollkatastrophe. Die Agentin war Mareks frühere Kollegin und im Gegensatz zu ihm weiterhin in dem Business tätig. Was auch immer das für eins war. Ihre langen, dunklen Haare, die Wahnsinnsfigur und das makellose Gesicht täuschten nur Augenblicke darüber hinweg, dass sie kaltblütig, skrupellos und gefährlich war. Lauras Gefühle ihr gegenüber waren gemischt. Sie mochte die direkte, unkomplizierte Art, hatte aber auch einen Heidenrespekt vor ihr und war froh, nicht allzu häufig mit ihr zu tun zu haben. So wie man eine Löwin durch die Stäbe eines Käfigs bewundert, ihr jedoch nicht in freier Wildbahn begegnen möchte.

Wäre Gilda allein in Südafrika, hätte es die Chance gegeben, dass sie sich noch zurechtfinden musste und bisher nichts hatte ausrichten können. Da aber Maria dabei war, zweifelte Laura nicht eine Sekunde daran, dass sie den beiden Mördern schon längst dicht auf den Fersen waren.

Ein Albtraum.

Sie beschleunigte die Schritte, dann stoppte sie abrupt. Es half nichts, in dieser Gedankenschleife zu verharren. Marek würde sich der Sache annehmen und alles würde gut werden. Sie musste die Detektei am Laufen halten und sich auf die Themen konzentrieren, die hier auf sie warteten. Den neuen Red Room Fall und die Erpressungsgeschichte mit Friedi.

Friedi, den sie nicht wieder hergeben würde.

Koste es, was es wolle.

10 SIPE Solutions
Bonn

Daniel Schulz stützte den Kopf in die Hände und starrte auf den Monitor. Die tanzenden Quadrate des Bildschirmschoners wirkten hypnotisierend und hatten ihm schon oft dabei geholfen, die Umgebung auszublenden und seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Diese verdammten Aggressionsattacken, die ihn hinterrücks überfielen und in ein cholerisches, zerstörerisches Monster verwandelten, das ihm selbst fremd war. Er verabscheute sich dafür, dass er sich manchmal nicht im Griff hatte und die Beherrschung verlor. Natürlich arbeitete er dagegen an. Schon seit langer Zeit.

Aber von seinem Ziel war er noch weit entfernt.

Durch die gepolsterte Tür der Turnhalle drang gedämpft das Gelächter der Kollegen. Sie veranstalteten wieder irgendeinen Wettbewerb, so wie es klang, Basketballweitwurf, und demonstrierten, wie viel Spaß sie hatten. Ohne ihn. Wie immer. Ihr aufgesetztes Theater nervte und ihre ‚Wir-sind-alle-coole-erfolgreiche-Silicon-Valley-People-und-nehmen-nichts-ernst‘-Attitüde stieß ihn einfach nur ab. Trotzdem beneidete er sie um die Unbeschwertheit, diese Lebensfreude. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das zuletzt gehabt hatte.

Oder ob er das überhaupt jemals hatte.

Seine besten Zeiten waren nachts vor dem Computer. Wenn er sich ungestört und meist unbemerkt durch die unendlichen Weiten der virtuellen Welt bewegen konnte. Wo er der Mensch sein konnte, der er sein wollte. Wo die Optionen unbegrenzt waren und er die Regeln machte. Dort hatte er sich auch die Fähigkeiten angeeignet und die Voraussetzungen geschaffen, die es ihm ermöglicht hatten, überhaupt wieder ein Leben im Real Life beginnen zu können. So erbärmlich sein Dasein auch war. Doch ohne das Ausradieren der Spuren seiner Vergangenheit in der amtlichen Bürokratie und im Netz hätte er weder seinen Wohnort beibehalten noch diesen Job annehmen können. Die beiden Faktoren, die ihm Halt gaben und ihn davor bewahrten, wieder ins Bodenlose zu stürzen.

Doch jetzt gab es das Projekt Loki.

Es konnte sein ganzes Leben durcheinanderbringen und er wusste nicht, wie er vorgehen sollte. Natürlich hatte er sofort, als er mitbekommen hatte, was da vor sich ging, Maßnahmen eingeleitet. Aber sie hatten nicht gefruchtet. Wahrscheinlich musste er mit härteren Bandagen kämpfen, gegebenenfalls bis zum Äußersten gehen. Doch die Scheißwut lähmte sein Gehirn, ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen. Dabei war Gefahr im Verzug. Er musste etwas tun, um den Kopf frei zu kriegen und wieder funktionsfähig zu werden.

Und da gab es nur ein Mittel.

Er löste den Blick vom Monitor und sah sich um. Fast alle Plätze waren verwaist. Nur Kim saß an ihrem Schreibtisch. Die kalte, aufgebrezelte Asiatin, die Silvio anschmachtete. Und vermutlich dachte, keiner würde die schmutzige, kleine Affäre mitbekommen.

Dabei war es unübersehbar.

Sie hielt den Kopf über einen Schreibblock gebeugt, trommelte mit dem Kugelschreiber auf die Tischplatte und wickelte eine schwarzglänzende Strähne um den sorgfältig manikürten Finger. Und war so vertieft, dass sie gar nicht merkte, wie er sich ihr näherte, unablässig den Blick auf die schimmernden, langen Haare gerichtet. Als wäre er unsichtbar. Und vielleicht war er das ja auch.

Doch dann sah sie plötzlich hoch.

Und lächelte ihn an.

11 Barbaras Wohnung
Südstadt

Diese große Liebe hat ihren Weg gefunden, aber aus deinem Leben hinaus.

Laura betätigte mehrmals die Klingel, aber es kam keine Reaktion. Schließlich machte sie es wie ihr neuer Klient, Silvio Petrescu, und drückte den Knopf zum Dauerläuten durch. Endlich ertönte der Türsummer und sie betrat das sorgfältig renovierte Treppenhaus mit den original Jugendstilfliesen in leuchtenden Pastellfarben.

Während sie die Stufen erklomm, wappnete sie sich für die Möglichkeiten, wie sie Barbara antreffen könnte. Vielleicht nackt in ein Bettlaken gehüllt, die Haare zerzaust und den Liebhaber im Schlafzimmer? Oder krank mit fiebergeröteten Wangen und Schal um den Hals?

Doch die Realität stellte alle Überlegungen in den Schatten.

„Du lieber Himmel!“

Laura schlug die Hand vor den Mund, um weitere unbedachte Äußerungen zu unterbinden. Die Gestalt, die ihr die Tür öffnete, hatte so gar nichts mit der glamourösen Pianistin zu tun, die sonst immer perfekt gestylt und voller Energie war.

„Wurdest du von einem Zombie gebissen?“

Es war als flapsige Bemerkung gedacht und traf mehr ins Schwarze, als ihr lieb war.

„Wenn du damit sagen möchtest, dass mein Leben zu Ende ist, dann hast du recht.“

Auch die Stimme schien nicht der Freundin zu gehören. Heiser, matt, ohne jeden Lebensmut.

Laura schloss die Tür hinter sich und folgte ihr in das Wohnzimmer.

„Du läufst sogar wie ein Zombie. Bist du krank?“

Barbara ließ sich auf das Sofa fallen, legte den Kopf auf die Rücklehne und starrte an die Decke.

Die Detektivin erfasste die Situation mit einem Blick, trat an den Couchtisch, sammelte zwei leere Weinflaschen, ein halb volles Glas und jede Menge benutzte Papiertaschentücher ein und trug sie in die Küche. Hier sah es nicht besser aus: Eine Respekt einflößende Anzahl leerer Flaschen stand neben dem überquellenden Mülleimer, in der Spüle stapelte sich das Geschirr mehrerer Tage.

Es war klar, was passiert war.

Laura kannte die Symptome von sich selbst. Wegen eines letztlich selbst verschuldeten Schicksalsschlags, der ihren Lebenstraum wie eine Seifenblase hatte zerplatzen lassen, war sie lange durch ein tiefes, dunkles Tal geirrt, bis sie endlich die Kraft gefunden hatte, ins Leben zurückzukriechen. Barbara hatte damals zu ihr gestanden, ihr nächtelang zugehört, ohne zu urteilen oder genervt zu sein, und sie mit Vorräten versorgt. Jetzt war es Lauras Job, diese Fürsorge zu erwidern. Ihr mit Rücksicht und Verständnis zu begegnen. Die Detektivin holte eine frische Mülltüte aus dem Schrank unter der Spüle und pfefferte die Abfälle hinein.

Verständnis war die größte Herausforderung, sie würde heucheln müssen, was das Zeug hielt. Und das war nicht ihre Stärke.

Aber sie war es der Freundin schuldig.

Sie stellte die Kaffeemaschine an, legte eine Kapsel ein und ließ das aromatisch duftende Gebräu in die Tasse laufen. Ein Blick in den Kühlschrank zeigte, dass es nicht nur an Milch fehlte. Außer einem Glas Marmelade und einer halb ausgequetschten Tube Senf befand sich darin nur gähnende Leere.

Zurück im Wohnzimmer öffnete Laura ein Fenster und ließ beißend kalte Vormittagsluft rein. Barbara, die normalerweise duftete wie eine Mischung aus Vollmilchschokolade, schillerndem Regenbogen und Erdbeeren mit Sahne, schien das Badezimmer in den letzten Tagen gemieden zu haben. Laura stellte die Tasse vor sie auf den verklebten Couchtisch und hockte sich auf die Kante eines Sessels.

„Das tut mir unendlich leid für dich.“

Es schien ein guter Anfang zu sein, denn die Freundin gab ein leises Seufzen von sich und änderte kaum wahrnehmbar die Liegeposition.

„Trink den Kaffee. Der hilft immer.“

„Es ist alles egal.“

„Ich weiß.“ Laura nickte mitfühlend. „Aber es kommen auch wieder andere Zeiten. Ganz bestimmt. Und dann wirst du sehen, dass es das Beste für dich ist.“

Bereits während sie den letzten Satz sagte, wusste sie, dass sie einen Fehler begangen hatte.

„Das Beste?“ Jetzt kam mehr Leben in die Freundin, als der Detektivin lieb war. „Ich habe das Beste, was mir je passiert ist, verloren. Für immer. Jetzt hat alles keinen Sinn mehr.“

„Eure Beziehung hatte nie eine Zukunft. Valentin versteckt sich im Untergrund und wird von der Polizei gesucht. Er hätte dein Leben zerstört.“

„Er IST mein Leben. Dadurch, dass er gegangen ist, ist es zerstört. Man lebt nicht in den paar Augenblicken, wo man mal ein Konzert gibt oder eine Reise macht. Man lebt jeden Tag, an dem man neben dem allerliebsten Menschen aufwacht und in seine Augen sieht.“

Laura atmete tief durch.

Und warf alle guten Vorsätze über Bord.

„Du bist aber nicht jeden Morgen neben dem allerliebsten Menschen - der übrigens ein Krimineller ist und Werweißwas auf dem Kerbholz hat - aufgewacht. Das war keine richtige Beziehung. Ihr kennt euch nur virtuell. Du weißt nicht, wie er riecht, wie er sich anfühlt, welche Angewohnheiten er hat, wie er dreidimensional aussieht.“

Barbara schüttelte heftig den Kopf. „Ich kenne ihn besser als jeder andere. Und er mich. Ich muss einen Weg zu ihm finden.“

Laura winkte ab. „Es bleibt, dass er nur eine Ansammlung von Textnachrichten, Fotos und Videochats ist. Eine Illusion, die sich in deinem Hirn festgesetzt hat. Das Ganze war vom ersten Augenblick an zum Scheitern verurteilt.“

„War es nicht! Eine so große Liebe ist Schicksal und findet ihren Weg!“

„Tatsächlich? Du vergisst, dass er anderer Ansicht ist. Denn er hat Schluss gemacht. Diese große Liebe hat ihren Weg gefunden, aber aus deinem Leben hinaus.“

Barbara starrte sie einen Augenblick fassungslos an, dann sank sie in sich zusammen. Es schien, als wollte sie in Tränen ausbrechen, doch die Augen blieben trocken und der Mund stumm. Wahrscheinlich hatte sie in den letzten Tagen so viel geweint, dass keine Flüssigkeit mehr übrig war. Laura verfluchte sich innerlich. Sie war eine schöne Freundin. Man hatte ihr immer wieder gesagt, dass sie unsensibel und zu direkt war. Und sie hatte versucht, daran zu arbeiten. Offensichtlich erfolglos, wie sie sich zerknirscht eingestehen musste. Anstatt Barbara aufzurichten, hatte sie ihr den letzten, entscheidenden Stoß in den Abgrund versetzt.

Jetzt half nur Pragmatismus. Oder besser noch: Humor.

„Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Du kennst mich ja, ich ruiniere jeden unpassenden Augenblick mit einer romantischen Bemerkung.“ Sie machte eine Pause, um der Freundin Gelegenheit zu geben, über den Scherz zu lachen, doch die ignorierte sie und brütete weiter vor sich hin. „Lass uns heute Abend in Ruhe darüber reden, ok? Ich lade dich ein zu jeder Menge Alkohol und ausführlichen Gesprächen ohne blöde Kommentare. Wir finden eine Lösung.“

Barbara zuckte mit der Schulter und Laura legte nach: „Ich brauche deine Hilfe. Gilda ist nach Johannesburg geflogen und hat sich in tödliche Gefahr begeben, Marek will hinterher reisen, um sie zu retten, Drake ist nicht von seinem Manuskript wegzulocken und ich sitze alleine da, versuche einen neuen Fall zu lösen und außerdem zu verhindern, dass man mir Friedi wegnimmt. Du kannst jetzt nicht auch noch ausfallen. Bitte, lass mich nicht im Stich!“

„Du übertreibst.“

„Nein, es ist wirklich so. Du musst mit mir mitkommen, ich erzähle es dir nachher im Auto. Aber zuerst gehst du ins Badezimmer und wechselst unter der Dusche den Zombie gegen die strahlende Pianistin aus. Ich besorge in der Zwischenzeit etwas Vernünftiges zu essen. Und dann hilfst du mir, ein paar Probleme zu lösen.“

12 Wohnung von Tinas Mutter
Tannenbusch

Lillian zog das Baseballcap in die Stirn, steckte die blonden Haare in den hochgeklappten Kragen der Jacke, klingelte und senkte den Kopf. Falls die fette Kröte aus dem Fenster guckte, sollte sie glauben, es wäre der Postbote. Der Summer ertönte, sie drückte die Tür auf und betrat das düstere, muffige Treppenhaus. Hastig quetschte sie sich an einem Kinderwagen vorbei, dann nahm sie immer zwei Stufen auf einmal und eilte die Treppe hinauf. Sie musste unbedingt vor Tinas Mutter an der Wohnungstür sein. Wenn die sie zu früh erkannte, würde sie ihr die Tür vor der Nase zuknallen und alles war verloren.

Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich neben der Wohnungstür an die Wand und unterdrückte das Keuchen. Von drinnen näherten sich watschelnde Schritte, der Schlüssel wurde zweimal im Schloss gedreht, die Tür öffnete sich einen Spalt. Ohne zu zögern, drückte Lillian sie vollends auf, stellte einen Fuß neben das Türblatt und schubste Tinas Mutter zurück in die Wohnung.

Die Überraschung war ihr gelungen, die korpulente Frau ließ sich, ohne einen Mucks von sich zu geben, ins Wohnzimmer bugsieren. Erst als die Wohnungstür ins Schloss fiel, wachte sie aus ihrer Verblüffung auf.

„Was bilden Sie sich ein!“ Sie griff nach dem nächsten Gegenstand, der ihr in die Finger kam, einem grünen Plüschfrosch, und warf ihn auf den vermeintlichen Angreifer. „Ich rufe die Polizei. Und ich dresch dich windelweich.“

Lillian zog die Kappe vom Kopf. „Ich bin’s, Lillian. Reg dich nicht auf.“

„Bist du wahnsinnig geworden?“ Die fette Kröte riss ein Kermit-Kissen vom Sofa und schleuderte es in ihre Richtung.

„Jetzt beruhige dich. Setz dich hin. Ich will nur mit dir reden. Sonst nichts.“

„Du verlässt sofort meine Wohnung. So ein Überfall ist kriminell. Ich zeige dich bei der Polizei an. Dann kriegst du lesbische Sau endlich die Quittung.“

„Ok, wenn es nicht im Guten klappt, muss ich andere Seiten aufziehen.“ Lillian gab der dicken Frau einen Stoß, sodass die rückwärts auf das Sofa plumpste. „Wo ist Tina?“

„Das fragst du mich? Ihr wohnt doch zusammen und macht im Bett diesen widerlichen Schweinkram.“

„Hör auf mit dem Scheiß. Sie wollte dich gestern besuchen. War sie da?“

„Nein. Sie ist nicht gekommen. Lässt ihre Mutter im Stich wegen einer lesbischen Schlampe.“

„Die Schimpfwörter kannst du dir sparen. Ich habe schon kapiert. Also: Sie war gestern nicht da?“

„Nein.“ Die fette Kröte funkelte sie an, dann veränderte sich langsam der Gesichtsausdruck. Es schien Lillian, als schimmerte Bösartigkeit aus ihren Augen. Gepaart mit Vergnügen. „Sie hat dich verlassen? Ist endlich zu Verstand gekommen?“

„Hat sie nicht.“ Es klang kleinlaut. Das war ein Fehler.

„Sonst wüsstest du, wo sie ist. Und jetzt schleichst du hinter ihr her, um sie zurückzubekommen. Bist grün vor Eifersucht und fragst dich, mit wem sie grade die Laken zerwühlt. Und ich sage dir: Es ist ein Mann. Ein Kerl mit einem dicken Schwanz. Der sie vögelt, bis sie den Verstand verliert, und sie die ganze lesbische Scheiße vergessen lässt.“

„So ist sie nicht.“

Das Auflachen der fetten Kröte troff vor Hohn und Zigaretten und ging in röchelnden Husten über. Sie schien kaum Luft zu kriegen, doch sie hatte ihr Pulver noch nicht verschossen: „Nein? Ich kenne meine Tochter besser. Sie hat schon immer rumpussiert mit den Typen. Seit sie dreizehn ist, war sie jede Nacht unterwegs.“

„Nur, weil sie es bei dir nicht ausgehalten hat“, schoss Lillian zurück.

„Hat sie dir den Quatsch erzählt? Sie hatte es gut hier, ich habe alles für sie getan. Sie war ein glückliches Kind. Mach dir bloß nichts vor, das mit dir ist nur ein Abenteuer. Sie war schon immer neugierig, musste alles ausprobieren. Euer Techtelmechtel ging etwas länger, aber jetzt haben wir es endlich überstanden.“

„Steckst du hinter ihrem Verschwinden?“

„Das wüsstest du wohl gerne ...“ Die kleinen Äuglein glitzerten über den dicken, geröteten Backen.

„Aber wie hast du ihre Tasche in der Höhle platziert? Du verlässt die Wohnung doch nur, um Schnaps im Kiosk an der Ecke zu kaufen oder mit dem Nachbarn einen zu heben.“

Zeichnete sich Verwirrung auf dem runden Gesicht ab? Lillian war sich nicht sicher.

Dann wuchtete sich die fette Kröte von der Couch und stemmte die Arme in die breiten Hüften: „Du verschwindest jetzt und kommst nie wieder, hast du mich verstanden? Und vergiss Tina. Lass sie endlich in Ruhe.“

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