Kitabı oku: «Monströse Moral», sayfa 6
17 Klinik für Psychiatrie Falkennest
Rhöndorf
Laura lief hinter der Freundin her in Richtung Besucherparkplatz und kickte einen Kieselstein über den Weg. „Es war klar, dass die uns nicht vorlassen. Hätte ich mir gleich denken können. Und dein Kontakt ist in Urlaub. Jetzt haben wir den ganzen Weg umsonst gemacht.“
Barbara drehte sich zu ihr um, nahm die Sonnenbrille ab und zum ersten Mal an diesem Tag sah Laura den Schalk wieder in ihren Augen aufblitzen. „Noch haben wir nicht alles versucht. Wir schleichen uns von hinten rein.“
„Am helllichten Tag? Die haben sicher Videoüberwachung.“
„Wir probieren es. Komm.“ Sie winkte der Freundin, ihr zu folgen, und schlug einen Weg ein, der vom Parkplatz aus um das Schloss herum führte.
„Was ist denn das?“ Laura wies mit dem Kopf auf ein ungepflegtes Gelände, in dem grellbunte Skulpturen standen. Sie sahen aus wie Kinderholzspielzeuge mit gigantischen Ausmaßen. Dahinter befand sich eine Minigolfanlage, die unbenutzt und verwittert wirkte.
„Der Park wurde vorletztes Jahr von der Stadt gestiftet. Oder von einer Bank, ich weiß es nicht mehr so genau. Damals habe ich bei der Einweihungsparty gespielt. Es war ein großes Trara, aber anscheinend haben sie das Geld verschwendet. Es sieht nicht aus, als ob die Anlage jemals betreten worden ist.“
„Eine Minigolfbahn scheint mir aber auch eine kuriose Idee als Zerstreuung für Geisteskranke. Ist das nicht gefährlich? Ich bin als Kind beim Minigolfen regelmäßig ausgerastet. Und mit den Metallschlägern kann man leicht jemanden erschlagen. Es grenzt an ein Wunder, dass alle meine Freunde überlebt haben. Ob das die richtige Freizeitbeschäftigung für so eine Anstalt ist?“
„Vielleicht haben sie Kunststoffschläger. Aber ich bin ganz deiner Meinung. Mich hat das Spiel auch immer wahnsinnig gemacht. Komm, lass uns herausfinden, ob wir irgendwo reinkommen.“ Barbara zog Laura mit sich zurück zum Gebäude.
Sie umrundeten einen Turm, dessen spitzes Dach sich in den grauen Himmel bohrte, und befanden sich plötzlich in einem rasenbedeckten Innenhof. Auf einer Bank saß ein junger Mann und schaukelte selbstvergessen mit dem Oberkörper, ein anderer stapfte in Schlangenlinien und mit gesenktem Kopf über die Wiese, als folge er einer unsichtbaren Spur, und ein dritter stand mit dem Gesicht einer Mauer zugewandt und schien ihr etwas zu erzählen. Vom Personal war weit und breit niemand zu sehen. Gerade als sie weitergehen wollten, kam noch jemand nach draußen. Erkennbar auch kein Betreuer. Anders als seine drei Mitpatienten platzte er fast vor Energie. Er bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit, wobei es aussah, als führten die schlenkernden Arme und Beine ein Eigenleben, und drehte den Kopf ruckartig nach allen Seiten. Auf einmal hielt er direkt auf sie zu und Laura und Barbara rückten näher zusammen, wagten kaum, sich zu rühren. Wenige Meter vor ihnen wechselte er abrupt die Richtung und lief zu einer Kastanie. Als er sie erreicht hatte, blieb er stehen, der Körper zuckte, dann schlang er die Arme um den mächtigen Stamm und schien in dieser Position endlich zur Ruhe zu kommen.
Laura sah Barbara mit großen Augen an: „Jetzt bin ich total gerührt. Aber ich muss zugeben, davor war er mir unheimlich.“
Die Freundin nickte. „Manche Krankheiten wirken sich auf die Motorik aus und auf die Fähigkeit, Bewegungsabläufe zu kontrollieren. Wenn man das nicht kennt, kann es einen ganz schön erschrecken.“
„Zuerst, als er so auf uns losrannte, dachte ich, er will uns an den Kragen.“
„Aber er ist harmlos, sonst ließe man ihn nicht unbeaufsichtigt hier draußen herumlaufen.“
„Wahrscheinlich“, stimmte Laura zu. „Und du meinst wirklich, wir können jetzt einfach an denen vorbei da vorne reingehen?“
„Ja. Aber ganz selbstverständlich und ohne Eile. So als gehörten wir hierher. Du wirst sehen, sie werden keine Notiz von uns nehmen. Sieh die Patienten nicht an. Manche irritiert das und sie regen sich dann auf.“
„Wieso kennst du dich so gut aus?“
„Mein Cousin lebt in einer Einrichtung, seit er dreizehn ist. Ich habe ihn ein paarmal besucht, da habe ich so einiges mitbekommen.“
„Wie furchtbar, der arme Kerl.“ Laura versuchte nach Kräften, nicht zu dem wippenden Mann auf der Bank zu gucken, an dem sie vorbeilaufen mussten. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er sie nicht bemerken würde, nur weil sie Augenkontakt vermieden. Doch Barbara behielt recht, keiner der Patienten interessierte sich für sie oder würdigte sie auch nur eines Blickes. Unbehelligt erreichten sie die Glastür und betraten einen Aufenthaltsraum. Überall standen weiße Vierertische mit Metallbeinen und moderne Stühle mit Plastiksitzschalen, am hinteren Ende befanden sich leere Regale. Keine Bilder an den Wänden, keine Vorhänge, keine Teppiche. Die Atmosphäre war kalt und trostlos, es roch nach scharfen Putzmitteln und Urin. Ein Patient saß vorgebeugt an einem Tisch und malte mit dem Finger unsichtbare Linien auf die Tischplatte, ein zweiter stand mit dem Rücken zu ihnen am Fenster und starrte ins Leere.
„Das ist der Besucherraum, hier habe ich meine Konzerte gegeben“, flüsterte Barbara.
„Aber hier gibt es ja gar nichts. Es ist furchtbar trist. Die Leute tun mir leid.“
„Im Sommer ist das anders, da hast du einen wunderbaren Blick in den sonnigen, grünen Park. Das wirkt sehr schön. Jetzt ist natürlich draußen alles grau in grau.“
„Aber womit beschäftigen sich die Patienten? Kein Wunder, dass sie so apathisch wirken. Wenn ich hier leben müsste, würde ich wahrscheinlich nach einem Tag aus lauter Frust die Einrichtung zertrümmern.“
Doch Barbara schüttelte den Kopf. „Das ist nur hier unten so, wo sie sich allein aufhalten dürfen. Es gibt auch richtig gemütliche Wohnzimmer mit Fernsehern und Musik, Gymnastikräume und Spielzimmer. Ich wurde mal herumgeführt, deshalb weiß ich das.“ Sie steuerte zielstrebig auf eine Tür zu und öffnete sie. Laura folgte ihr zögernd und sah sich um. Vor ihnen erstreckte sich ein langer, dunkler Gang, aus den oberen Stockwerken drangen Schreie, von irgendwo her dröhnte Heavy Metal Musik.
Plötzlich bog eine Frau um die Ecke.
Kräftige Statur, Haare bis zum Kinn, Winterjacke. Sie schien nicht im Dienst zu sein. Als sie die beiden bemerkte, blieb sie wie angewurzelt stehen.
„Ich habe mich verlaufen und suche nach einer Kollegin.“ Als keine Antwort kam, steckte sie die Hände tief in die Taschen und zog den Kopf ein. „Tut mir leid, dass ich einfach so hereingekommen bin. Die Hintertür stand offen.“
Laura kniff die Augen zusammen. Offensichtlich wurden sie, trotz ihrer Mäntel, für Mitglieder der Belegschaft gehalten. Das bedeutete, dass die Frau hier auch fremd war.
„Wen suchen Sie denn?“, improvisierte sie.
„Tina Behnke. Sie arbeitet als Assistentin in der Pflege. Also eigentlich im Hausservice.“
„Tut mir leid, da können wir nicht weiterhelfen. Wir ...“ Die Detektivin war unschlüssig, ob sie sich auch als ungebetene Besucherin zu erkennen geben sollte.
In dem Moment wurde eine Tür direkt neben ihnen geöffnet, ein Schwall Licht fiel in den dunklen Gang und eine zierliche Person im weißen Kittel trat zu ihnen. Da Laura geblendet wurde, konnte sie das Gesicht nur erahnen, doch sie schien sehr jung zu sein. „Ich habe Sie von drinnen gehört. Kann ich Ihnen helfen? Sie haben sich anscheinend verlaufen. Besucher sollen sich eigentlich am Empfang anmelden und werden dann von dort abgeholt. Das Gebäude ist sehr weitläufig und man kann schnell die Orientierung verlieren. Ich nehme an, Sie gehören zusammen?“ Die Stimme klang kindlich, der Ton in Verbindung damit überraschend souverän. Laura tippte auf Ärztin.
„Nein. Ich suche die Pflegerin Tina Behnke“, preschte die Fremde vor.
Die Psychiaterin schien sie einen Augenblick zu mustern. „Mit wem habe ich das Vergnügen?“
„Ich bin Lillian Sawaris.“ Plötzlich schluchzte die Frau auf. „Tina Behnke ist meine Lebensgefährtin und sie ist verschwunden. Deshalb wollte ich fragen, ob sie heute bei der Arbeit erschienen ist.“
Laura sah erstaunt von der gedrungenen, kräftigen Besucherin zu der schmalen Ärztin, die sie immer noch nur als Silhouette in der Corona aus Sonnenlicht erkennen konnte.
„Ich darf Ihnen leider keine Auskunft über unser Personal geben, das ist vertraulich. Aber ich habe Frau Behnke heute noch nicht gesehen, so viel darf ich Ihnen immerhin sagen. Wenn Sie mir ihre Kontaktdaten geben, lasse ich Tina, für den Fall, dass sie sich melden sollte, ausrichten, dass Sie nach ihr suchen. Sind Sie damit einverstanden?“
Lillian Sawaris schluckte, dann nickte sie. Mit hängendem Kopf wühlte sie in der Jackentasche, zog eine Visitenkarte hervor und reichte sie der Psychiaterin.
„Ich melde mich bei Ihnen, wenn ich etwas in Erfahrung gebracht habe, in Ordnung?“
Die stämmige Frau nickte und wischte sich schniefend mit dem Jackenärmel über die Wangen.
„Und was führt Sie beide zu uns?“ Die Marienerscheinung in der Aura aus Licht steckte die Hände in die Taschen des Kittels und wandte ihre Aufmerksamkeit den Freundinnen zu.
„Laura Peters und Barbara Hellmann.“ Die Detektivin räusperte sich. „Wir möchten mit dem behandelnden Arzt über eine Patientin sprechen. Ihr Name ist Rebecca Lehmann.“
„Und ich nehme an, Sie sind keine Verwandten der Patientin.“ Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Gewürzt mit einem milden Tadel.
„Nein“, bestätigte Laura. „Und ich möchte mich dafür entschuldigen, dass wir so ... unangekündigt ... vorbeigekommen sind. Wir sind von der Detektei Peters. Ein Klient hat uns beauftragt, uns mit Rebeccas Betreuern in Verbindung zu setzen.“
„Ich verstehe. Frau Lehmann gehört nicht zu meinen Patienten, deshalb kann ich Ihnen nichts zu ihr sagen. Und sicherlich sagt Ihnen auch der Begriff ‚ärztliche Schweigepflicht‘ etwas.“ Die Ärztin schien kurz nachzudenken. „Der zuständige Kollege ist im Moment nicht im Hause, aber ich spreche ihn auf das Thema an, wenn er wieder da ist. Geben Sie mir Ihre Karte und ich werde sehen, was sich tun lässt. Einverstanden?“
Laura und Barbara nickten.
„Dann möchte ich Sie bitten, jetzt zu gehen. Und nächstes Mal wäre es besser, wenn Sie den Haupteingang nehmen.“
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„Das ist ja noch mal glimpflich abgelaufen.“ Laura steuerte den BMW die kurvige Straße entlang.
Vor ihnen fuhr Lillian Sawaris in einem kleinen Skoda. „Diese Ärztin wirkt superjung, aber sie hat mich ziemlich ... beeindruckt. Ich habe mich wie eine Schülerin gefühlt, die während der Unterrichtszeit auf der Toilette beim Rauchen erwischt wurde.“
„Ja, erstaunlich, es ging mir ähnlich“, pflichtete ihr Barbara bei, die wieder die große Sonnenbrille aufgesetzt hatte. „Andererseits haben wir nichts Verbotenes getan. Die Tür stand offen und wir haben jemanden gesucht, mit dem wir reden können.“
„... nachdem wir vorher rausgeschmissen worden sind“, ergänzte Laura.
Barbara zuckte die Achseln und starrte aus dem Seitenfenster in das wuchernde Unterholz des Waldes. „Glaubst du, sie meldet sich?“
„Ja. Sie hat uns nicht einfach abgespeist. Ich bin sicher, dass sie anrufen wird. Sie war wirklich nett.“
„Aber komisch, dass sie gar nicht gefragt hat, warum jemand eine Detektei beauftragt, um mit Rebecca Lehmanns Ärzten zu sprechen. Ich hätte das an ihrer Stelle wissen wollen.“
Laura wollte antworten, doch plötzlich bremste der Skoda vor ihnen ab, die Warnblinkanlage ging an, dann blieb er mitten auf der Straße stehen. Die Detektivin hielt hinter ihm und öffnete per Knopfdruck das Seitenfenster. Lillian Sawaris verließ ihren Wagen, lief zu ihnen, stützte sich auf dem Autodach ab und beugte sich hinunter. „Ich habe eben mitbekommen, dass Sie Detektive sind. Ich brauche ganz dringend Hilfe.“
„Wegen Ihrer verschwundenen Lebensgefährtin?“
„Ja. Aber es steckt viel mehr dahinter. Haben Sie von der Leiche in den Ofenkaulen gehört?“
Die Detektivin nickte.
„Ich habe sie gestern gefunden. Und das war kein Zufall. Ich fürchte, dass derjenige, der den Mann, der in der Höhle angekettet war, auf dem Gewissen hat, auch Tina entführt hat.“
„Haben Sie das der Polizei gesagt?“
Lillian Sawaris schüttelte unglücklich den Kopf. „Das darf ich nicht, dann bringt er sie um. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“
Laura wollte sie am liebsten wegschicken. Und einfach vergessen, was sie gerade gehört hatte. Marek war unterwegs nach Johannesburg, Gilda verschwunden, Barbara im Liebeskummernebel nur eingeschränkt funktionsfähig und Drake kam nicht hinter seinem Schreibtisch hervor. Wie sollte sie es allein mit einem solchen Fall aufnehmen?
„Kommen Sie mit in die Detektei“, hörte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung sagen. „Dort können wir in Ruhe reden. Fahren Sie hinter uns her.“
18 Detektei
Rüngsdorf
Als Laura, Barbara und Lillian Sawaris im Büro ankamen, stolperten sie beinahe über Justin, der bäuchlings auf dem Teppich im Vorraum lag, die Knöchel in der Luft überkreuzt, und sich mit Friedi eine Pizza aus dem Karton teilte. Als er sah, dass eine Besucherin dabei war, sprang er auf und schnappte sich die fast leere Schachtel.
„Sorry, bin sofort weg. Komm, Friedi!“
Der Dackel folgte aufs Wort, Salamipizza war ein überzeugenderes Argument als die Neuankömmlinge.
„Ist das ihr Sohn? Ein netter Kerl.“
„Nein.“ Laura wusste nicht, wie sie in der Kürze die Verbindung zu ihrem jüngsten Teammitglied erklären sollte, deshalb beließ sie es dabei.
„Er ist der Sohn einer Bekannten“, half Barbara aus und ging vor in Lauras Büro. „Nehmen Sie Platz.“
Lillian Sawaris setzte sich und die Pianistin ließ sich neben ihr nieder.
„Jemand etwas zu trinken?“ Laura sah fragend in die Runde.
„Super gerne, ich kümmere mich drum.“ Barbara stand auf, doch die Detektivin winkte ab: „Ich mache das.“ Sie holte aus der Küche eine Flasche Wasser und drei Gläser und schenkte jedem ein.
„Jetzt erzählen Sie. Die Stichworte, die Sie uns genannt haben, klingen sehr verstörend. Was ist passiert?“
Lillian Sawaris nahm einen so tiefen Schluck, dass es schien, als müsste sie sich Mut antrinken. Dann erzählte sie von dem Zettel, der von ihr die Wahl zwischen ihrer Mutter und ihrer Freundin forderte und den sie nicht beachtet hatte, von Tinas Verschwinden, von der selbstgemalten Karte, die zu dem in der Höhle angeketteten Toten geführt hatte, und von der Nachricht in Tinas Tasche, die ihr Zeit bis Mittwoch gab und ihr verbot, zur Polizei zu gehen.
„Du meine Güte!“
Laura sah Barbara fragend an, um herauszufinden, was sie von der Geschichte hielt, und die zuckte kaum merklich mit den Schultern. „Überlegen wir mal gemeinsam, welche Optionen wir haben. Darf ich übrigens du sagen? Gut. Erstens, unwahrscheinlich, jedoch theoretisch möglich: Es könnte ein Scherz sein. Sehr makaber, ich weiß, aber die Sache ist so verrückt, dass man sie kaum glauben möchte. Dann wird am Mittwoch nichts passieren.“
„Aber der Tote in der Höhle“, wandte Lillian ein.
„Vielleicht ist der Zettelschreiber vorher selbst über ihn gestolpert und hat ihn für sein Spiel benutzt, um die Aktion dramatischer zu gestalten. Wie gesagt, es ist unwahrscheinlich und nur ein reines Gedankenspiel.“
Barbara verzog einen Mundwinkel und schüttelte zweifelnd den Kopf. „Das geht aber nicht mehr als Scherz durch. Da möchte jemand wirklich Lillian schaden. Gibt es so eine Person?“
„Die Mutter meiner Freundin“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Vom ersten Tag an hat sie versucht, unsere Beziehung kaputtzumachen. Aber sie ist körperlich nicht dazu in der Lage, sich durch den Wald bis zu der Höhle zu schleppen, und erst recht nicht, dort hineinzukriechen. Sie würde auch gar nicht durch den Eingang passen. Aber sie würde mit Sicherheit alles dafür geben, wenn sie ihrer Tochter höchstpersönlich erzählen könnte, dass ich entschieden habe, dass meine Mutter leben und Tina sterben soll. Dann wäre es definitiv vorbei.“
„Verständlich“, nickte Barbara. „...also, dass Tina sauer wäre. Nicht, dass die Mutter deiner Freundin alles daransetzt, dich loszuwerden“, fügte sie hastig hinzu. „Könnte ein Freund der Mutter die Leiche gefunden und ihr davon erzählt haben?“
„So sehr ich es mir wünsche, dass es so wäre: leider nein. Sie hat nur Kontakt zu zwei alten Nachbarn. Die sind Vollalkoholiker und schaffen es gerade mal bis zum nächsten Kiosk. Sie sind ganz bestimmt nicht über eine Leiche im Wald gestolpert.“
„Wer käme noch infrage?“ Laura ließ nicht locker. „Vielleicht ein geheimer ... ähm, eine geheime Liebhaberin von Tina?“
„Niemals!“ Die Antwort kam beeindruckend schnell.
„Ok, also möglicherweise doch“, folgerte die Detektivin.
„Nein! Ganz. Sicher. Nicht!“ Wütend funkelte sie Laura an.
„Wollte nur sichergehen“, wich diese unbefangen aus. „Dann bleibt nur eine Schlussfolgerung: Übermorgen werden entweder ein oder zwei Personen sterben. Wie viele, hängt von dir ab.“
Barbara gab ein leises Seufzen von sich, starrte Laura an und verdrehte die Augen. Die Detektivin verstand den Wink. Sie war wieder unsensibel.
„Wie soll ich so eine Entscheidung treffen? Das könnte niemand! Ich will nicht, dass jemand stirbt! Deshalb brauche ich doch eure Hilfe.“
„Ich weiß.“ Laura sprach betont ruhig. „Es gibt nur einen Weg: Du musst zur Polizei gehen. Die haben ganz andere Möglichkeiten als wir. Vielleicht gab es solche Fälle schon vorher und sie haben einen Verdacht, wer dahinter steckt. Bei Kapitalverbrechen sind die unglaublich schnell und schlagkräftig.“ Plötzlich erstarrte sie.
„Was ist los?“ Barbara stupste sie an.
„Ach, nichts. Mir fällt nur gerade auf, dass unser aktueller Fall ein paar erstaunliche Parallelen aufweist. Aber egal, darum kümmere ich mich später, das führt jetzt zu weit. Rufen wir die Polizei.“
Barbara nickte. „Sehe ich auch so. Wenn du das nicht meldest, Lillian, wird mindestens einer sterben, wenn nicht zwei. Mit Polizei besteht eine gute Chance, beide zu retten.“
„Aber wenn er das merkt, bringt er Tina um, bevor die Polizei überhaupt erfahren hat, was los ist.“ Lillian liefen die Tränen über die Wangen.
„Glaubst du, er verfolgt dich? Wartet mal.“ Barbara sprang auf, verließ den Raum und kam nach wenigen Augenblicken zurück. „Draußen ist niemand, der mir aufgefallen wäre. Und Justin beobachtet jetzt die Straße von Mareks Büro aus und gibt uns Bescheid, wenn er jemanden entdeckt.“
„Viel sieht man von dort natürlich nicht“, gab Laura zu bedenken. „Aber besser als nichts.“
„Wenn der Entführer weiß, dass du hier bist, ist es vielleicht auch schon zu spät“, flüsterte Barbara plötzlich. „Irgendwie sind wir doch auch so eine Art Polizei.“
Lillian fing an zu wimmern und sank im Sessel zusammen.
„Wir dürfen jetzt nicht den Kopf verlieren.“ Laura redete betont laut und bestimmt. „Wenn der Entführer Bescheid weiß, wäre das ein Grund mehr, die Polizei zu informieren. Wir haben dann nämlich nichts mehr zu verlieren.“ Sie nahm das Telefon vom Schreibtisch.
„Nein!!!“ Lillian sprang auf und wollte sich auf die Detektivin stürzen, doch Barbara hielt sie geistesgegenwärtig am Arm fest.
Laura ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Ok. Es ist zu allererst deine Entscheidung, Lillian. Wobei wir jetzt auch mit drin hängen, weil wir von einer bevorstehenden Straftat wissen und gesetzlich verpflichtet sind, etwas dagegen zu unternehmen. Deshalb schlage ich dir einen Deal vor: Wir geben uns eine Stunde, um eine Lösung zu finden. Wenn wir bis dahin nicht weitergekommen sind, rufen wir Benderscheid an. Ok?“
Lillian war im Sessel zusammengesunken und reagierte nicht. Barbara legte ihr die Hand auf den Arm. „Was meinst du?“
„Wer ist Benderscheid?“
„Er ist bei der Polizei und wird wissen, was zu tun ist. Wir kennen ihn schon lange, man kann ihm vertrauen.“
Lillian zögerte, dann stimmte sie zu: „Ok.“
„Gut!“ Laura nickte ihr aufmunternd zu. „Es gibt trotzdem ein paar Dinge, die wir jetzt tun müssen. Hast du deine Mutter benachrichtigt und ihr gesagt, sie soll sich an einen sicheren Ort begeben?“
Lillian schüttelte den Kopf. „Sie wohnt in Hagen, da kann ihr nichts passieren.“
„Ruf sie trotzdem sofort an. Sie soll eine Freundin bitten, bei ihr zu bleiben, und ansonsten niemandem die Tür öffnen.“
„So eine Freundin hat sie nicht. Sie ist alt.“
„Es wird doch irgendjemanden geben, den sie fragen kann? Eine Nachbarin vielleicht? Mach schon, ruf an. Du kannst in den Vorraum gehen und ungestört telefonieren.“
Als Lillian die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sich Laura auf einen Sessel fallen. „Was für eine Scheiße. Und ausgerechnet jetzt ist Marek nicht hier. Und wir können ihn auch nicht erreichen, weil er zehn Stunden im Flugzeug hockt.“
„Wir können Drake fragen“, schlug Barbara vor. „Er ist ein kluger Kopf, bestimmt fällt ihm etwas ein. Ich rufe ihn an.“ Sie zog das Handy aus der Handtasche, wählte seine Nummer und bat ihn, alles stehen und liegen zu lassen und sofort zu kommen. „Er ist gleich da“, verkündete sie erleichtert.
Es klingelte an der Haustür.
„Das war schnell“, murmelte Laura überrascht. „Er muss bei der Nachbarin gewesen sein.“ Sie lief durch den Vorraum, wo Lillian in einer Ecke lautstark telefonierte, und öffnete die Tür. Doch vor ihr stand nicht der zweite Detektiv, sondern der Kunde von heute Morgen.
„Oh, Herr ...“, stammelte sie. Ihr wollte der Name nicht mehr einfallen.
„Silvio“, half er aus.
„Silvio, genau. Es ist jetzt leider ganz schlecht. Wir sind wirklich sehr beschäftigt. Können Sie morgen wiederkommen?“
„Bitte, nur ganz kurz. Es ist wichtig.“ Dann taumelte er und hielt sich am Türrahmen fest. Erst jetzt bemerkte Laura, wie blass er war.
„Geht es Ihnen nicht gut?“
„Wenn ich mich einen Moment hinsetzen dürfte?“
Laura zögerte, dann trat sie zur Seite und ließ ihn rein. „Kommen Sie rein. Ich hole Ihnen ein Wasser. Oder möchten Sie Kaffee?“
„Wasser ist ok, danke.“
In ihrem Büro stellte sie Barbara den neuen Klienten vor. „Seinetwegen waren wir heute in Falkennest. Es geht ihm gerade nicht gut, deshalb habe ich ihn reingelassen. Er weiß, dass wir keine Zeit haben, und wird nur ganz kurz bleiben.“
„Sollen wir einen Arzt rufen?“ In Barbara erwachte sofort die Fürsorglichkeit.
„Nein danke, es geht schon wieder. Ich habe heute nicht viel gegessen. Es hat sich nur etwas getan und das wollte ich Ihnen gleich mitteilen: Rebecca scheint erkrankt zu sein und wurde verlegt. Allerdings weiß ich nicht, wohin. Es gab dazu keinen Eintrag und sie ist jetzt einfach verschwunden.“
„Oh nein, das tut mir leid!“ Laura starrte ihn bestürzt an. „Was hat sie denn?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe mir ihre Krankenakte heruntergeladen, aber darin steht so viel Fachchinesisch, dass ich noch einige Zeit brauche, bis ich alles verstanden habe. Ein Arzt könnte das natürlich direkt beurteilen.“
„Runtergeladen?“, fragte Barbara.
„Silvio ist IT-Fachmann“, erklärte Laura ihr mit vielsagendem Augenzwinkern.
„Alles klar.“
Im Vorraum ging die Wohnungstür, feste Schritte näherten sich, dann stand Drake im Büro. Ein Zwinkern um die blauen Augen, den Arm voller Pizzakartons und wie immer fiel ihm eine blonde Strähne in die Stirn.
„Endlich!“ Laura war noch nie so froh gewesen, ihn zu sehen.
„Pizza ist Soulfood und hilft immer“, erklärte er und platzierte die aromatisch duftenden Schachteln mit großer Geste auf dem Tischchen. „Bedient euch!“
„Mein Held!“ Barbara öffnete den obersten Karton und angelte sich ein saftiges Stück, von dem der Käse in langen, goldenen Fäden hinunterlief. Lauras Magen fing an zu knurren und sie merkte, dass sie den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Ihr Körper brauchte Nahrung und ihr Gehirn auch. Sie nahm sich ebenfalls von der Pizza und biss hungrig zu.
Drake ließ sich in einen freien Sessel fallen und sah Silvio an: „Wir kennen uns noch nicht, ich bin Drake, der zweite Detektiv.“
„Silvio. Ich möchte auch nicht länger stören, Sie haben ja einen dringenden Fall. Ich komme morgen wieder. Lassen Sie es sich schmecken.“ Er erhob sich so langsam, als trüge er eine tonnenschwere Last auf den Schultern.
„Es tut mir leid, aber uns läuft wirklich gerade die Zeit davon. Wir sehen uns morgen früh, ok? Und nimm dir von der Pizza als kleine Stärkung für den Weg.“ Laura merkte gar nicht, dass sie zum Du übergegangen war.
„Danke.“ Er sah sie lächelnd an und für einen Augenblick verlor sie sich in seinen Augen. „Ich nehme gern ein Stück.“
Sie lachte nervös auf. „Ich bringe dich noch nach draußen, ok?“
An der Wohnungstür blieb sie stehen: „Komm morgen vorbei. Dann nehme ich mir alle Zeit der Welt. Ich glaube nämlich, dass die Sache, mit der wir uns gerade herumschlagen, mit deinem Fall zu tun haben könnte. Aber es ist Gefahr im Verzug, ich kann dir jetzt wirklich nichts davon erzählen.“
„Schon ok. Dann wünsche ich euch viel Erfolg. Und danke für die Pizza. Meine Geschichte ist ja vielleicht auch nicht so dringend. Rebecca ist zwar verschwunden“, er zögerte kurz, „aber sie haben bestimmt nur vergessen, das Krankenhaus einzutragen, in das sie verlegt wurde. Ich frage mich nur, ob es meine Schuld ist.“
„Warum sagst du das?“
„Ach, vielleicht hätte ich es verhindern können.“
„Wie meinst du das?“
Er sah sie an, dann schüttelte er den Kopf. „Jetzt nicht, dein Team wartet. Ich erzähle es dir morgen, ok?“
„Ok“, sagte sie leise und sah ihm hinterher, bis die Haustür zugefallen war.
Als sie sich umdrehte, fiel ihr auf, dass Lillian nicht mehr in der Ecke stand und das Telefonat offensichtlich beendet hatte. Sie fand sie im Büro bei den anderen, kauend über einen Pizzakarton gebeugt.
„Ok, Leute, habt ihr euch schon vorgestellt?“ Sie setzte sich in die Runde und nahm sich noch ein Stück.
Drake nickte. „Die beiden haben mir auch schon von der Misere erzählt. Ich kann nur sagen: Polizei, Polizei, Polizei. Aber ich habe verstanden, dass wir das erst“, er konsultierte seine Armbanduhr, „in fünfundvierzig Minuten tun werden.“
„Bis dahin werden wir überlegen, ob es eine andere Lösung gibt“, bestätigte Laura, sprang auf und wischte sich die Finger an der Jeans ab. „Lasst uns zusammentragen, was wir an Informationen haben, ich schreibe es auf die Glaswand.“
„Wo ist eigentlich Friedi?“ Barbara sah sich um. „Wenn es etwas zu Essen gibt, ist er doch immer der Allererste.“
„Draußen. Justin macht einen Spaziergang mit ihm. Ich habe die beiden gesehen, als ich mit der Pizza vom Italiener gekommen bin.“
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