Kitabı oku: «Monströse Moral», sayfa 5

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13 Klinik für Psychiatrie Falkennest
Rhöndorf

Als Laura mit appetitlich feuchtglänzenden Spiegeleiern auf Schwarzbrot und Kräuterquark zurück in die Wohnung kam, war die Freundin wie ausgewechselt. Sie war noch nicht ganz die Alte, aber den Zombie hatte sie abgelegt.

„Hier.“ Die Detektivin stellte den Teller auf den Küchentisch. „Aus dem Café an der Ecke. Iss, bevor es kalt wird.“

Barbara startete zögerlich mit kleinen Bissen, dann legte sie los. Laura räumte derweil die Küche auf und spülte das schmutzige Geschirr. Als der letzte Krümel vertilgt war, lehnte sich die Pianistin zufrieden zurück und endlich zeigte sich wieder Farbe auf den Wangen.

„Du hast zwar keine Ahnung von Beziehungen und du kannst manchmal echt verletzende Dinge sagen ... und denk jetzt bloß nicht, ich hätte dir schon verziehen ... aber die Spiegeleier waren eine super Idee. Anscheinend habe ich das gebraucht.“

Laura zwinkerte ihr als Antwort zu. Auf keinen Fall wollte sie mit einer unbedachten Bemerkung die nächste Katastrophe heraufbeschwören. Sie hängte das Küchenhandtuch an den Haken.

„Können wir?“

„Wir können.“

Während der Fahrt informierte die Detektivin die Freundin über die neuesten Ereignisse. Gildas Eskapaden beunruhigten Barbara nicht allzu sehr und nachdem sie erfahren hatte, dass auch Maria mit von der Partie war, schien sie sich überhaupt keine Sorgen mehr zu machen. Laura konnte das nur auf die Verwirrung durch den Liebeskummer und den Restalkohol schieben.

„Und jetzt fahren wir nach Falkennest, um herauszufinden, ob eine Frau dort gegen ihren Willen festgehalten wird?“ Barbara klappte die Blende herunter, um im Spiegel das Make-up zu kontrollieren, und setzte dann eine übergroße Sonnenbrille auf.

„Genau.“

„Manche Menschen mit Geisteskrankheiten leben in Anstalten, obwohl sie lieber nach Hause möchten, weil es zu ihrem Besten ist. Und oft hat jemand anderes die Entscheidung für sie treffen müssen. Wie erkennen wir den Unterschied zwischen medizinisch begründet und kriminell?“ Die kognitiven Fähigkeiten der Freundin schienen zurückgekehrt zu sein.

„Keine Ahnung.“ Laura zuckte die Schultern. „Improvisieren? Bis jetzt konnte ich mir noch keinen Plan zurechtlegen. Erst die Katastrophe mit Gilda, dann das Thea... ähm, also deine Probleme. Ich hatte noch keine ruhige Minute.“

„Ich kenne den Chef der Anstalt.“

„Das ist ja genial.“

„Ja.“ Barbara lag im Beifahrersitz und starrte durch die Windschutzscheibe.

„Wir sind gleich da.“ Laura fuhr von der Schnellstraße ab, durchquerte die Ortschaft und folgte der gewundenen Straße, die durch den Wald einen Berg hinauf führte. „Da ist es.“ Sie schaltete runter und passierte im Schritttempo ein verwinkeltes, uriges Häuschen, in dem früher vermutlich der Pförtner gewohnt hatte. Dann nahm sie eine Kurve und vor ihnen lag das gewaltige, malerische Schloss.

„Wahnsinn, wie in einem Märchen“, murmelte Laura.

Sie ließ den Wagen auf den leeren Besucherparkplatz rollen und die beiden stiegen aus.

„Ja, beeindruckend. Ich hatte hier schon ein paar Auftritte und kenne es ganz gut. Jedenfalls das Erdgeschoss und den großen Saal.“

„Du hast hier Konzerte gegeben? In dieser ... Anstalt?“

Barbara nickte. „Warum nicht? Allerdings nicht für die Bewohner, sondern für Gäste von außerhalb. Den Bürgermeister und jeden, der aus dem Ort oder der Umgebung kommen wollte. Sie machen das gelegentlich, um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu stärken. Nicht jeder fühlt sich wohl mit einem Haufen Geisteskranker in unmittelbarer Nähe.“

Plötzlich ertönte ein Schrei.

Gellend laut und anhaltend. Laura erstarrte. Er hatte nichts Menschliches an sich, einem Tier konnte sie ihn aber auch nicht zuordnen. Ein zweiter Schrei schallte aus der anderen Richtung und aus einem der oberen Stockwerke drang herzzerreißendes Schluchzen.

„Jetzt weißt du, warum sie für Akzeptanz werben.“ Barbara ging ungerührt weiter.

„Sind das Patienten?“

„Natürlich. Was dachtest du denn?“

„Wie konntest du bei dem Lärm ein Konzert geben?“

„An den Abenden war es immer ruhig. Ich habe mich auch schon gefragt, wie sie das anstellen. Vielleicht karren sie sie alle an einen anderen Ort? Oder sie setzen sie unter Drogen?“

Laura schüttelte sich. „Das klingt gruselig. Meinst du das im Ernst?“

Barbara zuckte die Schultern. „Der Eingang ist da vorne neben dem Torbogen.“

Laura folgte der Freundin mit in den Nacken gelegtem Kopf, um das Gebäude zu betrachten. Es schien gut in Schuss, die Fassade strahlte weiß, das Dach war makellos. Die letzte Renovierung konnte noch nicht lange zurückzuliegen. Direkt über ihr befanden sich drei imposante Balkone. Sie waren jeweils auf der ganzen Breite bis zwei Drittel der Höhe durch ein dickes Netz abgesichert. Um einen Schutz gegen Vögel handelte es sich nicht, denn die konnten ohne Schwierigkeiten durch den Spalt unter der Decke fliegen. Außerdem war das Geflecht zu großmaschig.

Plötzlich ertönte erneut ein Schrei, dann sprang ein kräftiger Mann im weißen Sweat-Shirt gegen das Netz des Balkons im ersten Stock, rüttelte wie wahnsinnig daran, warf sich immer wieder dagegen. Dabei starrte er Laura sabbernd an, ließ sie keine Sekunde aus den Augen. Erschrocken beschleunigte sie die Schritte und schloss zu Barbara auf.

„Du lieber Gott, hast du den Verrückten auf dem Balkon gesehen?“

„Ja, der kann einem schon Angst machen. Aber man sagt nicht ‚Verrückter‘.“

„Tut mir leid, das lag am Schreck. Jetzt weiß ich jedenfalls, wozu die Netze gut sind.“

Das Geschrei begleitete sie noch den ganzen Weg bis zum Eingang und verstummte erst, als sie im Gebäude verschwanden.

Die Freundinnen stiegen die drei breiten Stufen zum Empfang hoch, Barbara nahm die Sonnenbrille ab und ließ Laura den Vortritt.

Eine ältere Dame in makellos gebügelter Bluse und mit nach hinten gezurrtem Pferdeschwanz sah sie über eine rote Lesebrille hinweg fragend an.

„Guten Tag. Wir möchten zu Rebecca Lehmann.“

Laura versuchte sich an einem Lächeln, das nicht erwidert wurde.

„Worum geht es?“

„Das ist privat.“

„Privat.“ Die Dame dehnte das Wort in die Länge, während sie so tat, als würde sie durch ein paar Papiere auf dem Tisch blättern. Dann sah sie hoch: „Ich habe hier keine Information darüber, dass ihr Besuch genehmigt worden ist. Tut mir leid.“ Es tat ihr gar nicht leid.

„Und wenn die Patientin uns sehen möchte?“

„Möchte sie Sie denn sehen?“

„Ganz bestimmt.“

Die Lüge war so offensichtlich, dass sie dem Empfangsdrachen nicht einmal eine Antwort wert war. Zum ersten Mal zeigte sich ein Hauch von Vergnügen in den kühlen, hellgrauen Augen.

Laura seufzte. „Dann würde ich gerne mit dem behandelnden Arzt von Rebecca Lehmann sprechen. Es gibt da ein paar Punkte, die ich mit ihm klären möchte.“

„Sind Sie eine Verwandte?“

„Nein.“

„Das weiß ich. Frau Lehmann hat nämlich keine Angehörigen. Außer einer Tante, aber die kenne ich natürlich persönlich.“

„Genau, Martina Schneider de Molina, Rebeccas Tante, hat uns geschickt, weil die Betreuerin, Tes Müller, keine Zeit hat.“ Die Detektivin warf in ihrer Not mit Namen um sich. Vergebens.

„Dann hätten Sie eine Vollmacht dabei. Den Damen ist das nämlich bekannt. Ich mache es kurz: Wenn Sie keine Verwandten sind, wird auch kein Arzt mit Ihnen reden. Und ohne Termin schon gar nicht.“

„Also mit Termin ginge es doch?“

„Nein. Kein Angehöriger, kein Termin.“

Barbara schob Laura beiseite, stützte beiläufig den Ellenbogen auf die Theke, lehnte sich vor und ließ die Sonnenbrille am Finger schaukeln: „Können wir kurz bei Frieder vorbeischauen? Also bei Professor Kramer? Er wird enttäuscht sein, wenn er hört, dass ich da war und ihn nicht besucht habe.“

„Tatsächlich?“

„Ja, wir kennen uns gut. Er wird sich freuen, wenn wir ihm schnell Guten Tag sagen.“

„Sehr gut kennen Sie sich anscheinend nicht“, konterte der Empfangsdrachen und wirkte dabei schon fast aufreizend amüsiert. „Sonst wüssten Sie, dass er bis Mittwoch in Urlaub ist.“

Doch Barbara ließ sich nicht verunsichern. „Ach stimmt. Dann richten Sie ihm einen schönen Gruß aus und beim nächsten Mal schau ich ganz bestimmt auf einen Kaffee vorbei. Versprochen.“

Sie wandte sich ab, zwinkerte Laura zu, setzte die Sonnenbrille auf und schlenderte zum Ausgang.

14 Detektei
Rüngsdorf

Marek saß an Lauras Schreibtisch, die Füße hochgelegt, und schrieb Nachrichten mit dem Smartphone. Friedi hatte es sich neben ihm gemütlich gemacht und hielt ein Mittagsschläfchen. Der Detektiv wartete auf Justin. Auch wenn es langsam eng wurde, um für den Abflug noch pünktlich zu sein, wollte er den Dackel möglichst nicht allein zurücklassen. Wenn der sich unbeobachtet fühlte, nagte er zu gern an den Möbeln anstatt an seinem Kauknochen herum. Zeit, um zu packen, war sowieso nicht mehr. Aber vor Ort würde ihn jemand empfangen und mit dem Nötigsten versorgen. Wenn alles lief wie geplant, würde er in zwei oder spätestens drei Tagen wieder in der Maschine zurück nach Frankfurt sitzen. Da reichte ein T-Shirt zum Wechseln. Eine Pistole brauchte er ebenfalls nicht, auch wenn man sie ihm angeboten hatte. Er konnte sich mit jedem Gegenstand verteidigen.

Seine gefährlichste Waffe war sein Körper.

Es würde nicht schwer werden, Gilda und Maria zu finden. Seine Kontaktleute hatten bereits herausgefunden, in welchem Hotel sie abgestiegen waren. Allerdings hatte man sie dort nicht angetroffen. Er hoffte, dass sie den Killern noch nicht zu nahe gekommen waren, aber auch mit der Situation würde er fertig werden. Sein Job war es, die beiden Frauen nach Hause zu bringen, nicht, die Männer zu töten. Oder einer Verhaftung zuzuführen. Was in Südafrika sowieso nicht viel bedeutete. In der Presse wurde der Regierung vorgeworfen, nachsichtig mit Farmmördern umzugehen. Die Chancen standen gut, dass, wenn er die Killer im Gefängnis ablieferte, sie am nächsten Tag schon wieder als freie Männer auf der Straße landeten. Und wenn ihnen doch ein fairer Prozess gemacht werden sollte, war die Beweislage dünn. Extrem dünn. Selbst für hiesige Verhältnisse.

Er fragte sich, was die beiden Frauen vorhatten.

Gilda wollte die Männer sicher der Polizei übergeben, damit sie ihre gerechte Strafe bekamen. Bei Maria hatte er da Zweifel. Sie war nicht naiv oder idealistisch und machte keine Gefangenen. Bestimmt hatte sie sich eine Waffe besorgt. Sie war zwar auch im Nahkampf ausgebildet und eine zähe, fintenreiche Kämpferin, aber wenn es hart auf hart kam, zählten die Kilos, die jemand auf die Waage brachte. Und da war sie im Nachteil. Am meisten Kopfzerbrechen machte ihm, aus welcher Motivation heraus die Agentin mit nach Südafrika gefahren war. Im Rahmen bezahlter Aufträge war sie eine absolut zuverlässige, professionelle und loyale Kollegin, auf die man sich blind verlassen konnte. Er hatte immer gern mit ihr zusammengearbeitet und es hatte mehr als eine brenzlige Situation gegeben, in der sie ihn buchstäblich in letzter Sekunde gerettet hatte. Unter Einsatz ihres eigenen Lebens. Aber das gehörte zum Job. Dass sie ohne Vergütung oder aus reiner Freundschaft auch nur einen Finger krümmen würde, konnte er sich nicht vorstellen.

Er war sich sogar sicher, dass sie gar keine Freunde hatte.

Und zwar, weil ihr einfach das Interesse an zwischenmenschlichen Beziehungen fehlte.

Auch Gilda war nicht Marias Freundin.

Selbst wenn die das vielleicht glaubte.

Im Vorraum öffnete sich die Wohnungstür und Marek sprang auf.

„Wie war der erste Schultag?“

Justin pfefferte den Rucksack in die Ecke, bückte sich zu dem wild wedelnden Friedi und streichelte ihn, dann richtete er sich wieder auf und grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Ganz ok. Aber Ferien war cooler.“

„Klar.“ Marek boxte den Jungen spielerisch auf den Oberarm und der ging gleich in Verteidigungsstellung.

„Ich sehe, du hast dir doch was vom Training gemerkt.“

„Alles! Nicht mehr lange und du hast keine Chance gegen mich.“

„Das will ich hoffen“, lachte der Detektiv.

Er hatte Justin für den ersten großen Fall der Detektei Peters zum Observieren angeheuert. Seitdem war er ihn nicht mehr losgeworden. Justin verbrachte fast jeden Nachmittag in Mareks Büro, machte dort Hausaufgaben und spielte Counterstrike auf dem Computer, den Laura auf sein Betteln und seine detaillierten Anweisungen hin aufgerüstet hatte. Sein Zuhause war nicht gerade idyllisch und das Team war zur Ersatzfamilie geworden. Die Mutter und der Stiefvater setzten das Geld, das ihnen der Staat gab, in Alkohol und Zigaretten um und verbrachten die Tage auf der Couch vor dem Fernseher. Der Junge war ihnen dabei höchstens lästig.

„So, ich muss los. Nach Johannesburg. Gilda und Maria haben sich vielleicht in Schwierigkeiten gebracht und ich werde sie da rausholen.“

„Gilda ist in Gefahr?“

Der Junge wurde blass. Neben Marek war Gilda die Person, an die er sich am engsten angeschlossen hatte. Ärgerlicherweise behandelte sie ihn wie einen kleinen Bruder, obwohl er sich alle Mühe gab, sie zu beeindrucken.

„Mach dir keine Sorgen, ich regel das, das weißt du doch.“ Marek zwinkerte ihm zu. „Aber du musst heute auf Friedi aufpassen und auch mal eine Runde mit ihm drehen. Es wird sicherlich nicht spät, bis Laura zurückkommt. Und vielleicht lässt sich ja der gute, alte Drake blicken. Hier hast du Geld für eine Pizza. Und vergiss die Hausaufgaben nicht.“

15 Klinik für Psychiatrie Falkennest
Rhöndorf

Lillian parkte den kleinen Skoda auf dem Besucherparkplatz. Außer einem schicken BMW gab es dort keine weiteren Fahrzeuge, aber es war ja auch keine Besuchszeit und die Mitarbeiter mussten ihre Autos woanders abstellen. Sie umrundete das imposante Gebäude, um zum Hintereingang zu gelangen, der direkt in den Wirtschafts- und Servicetrakt führte.

Schon aus der Entfernung erkannte sie, dass die Tür offenstand. Ein ernsthaftes Vergehen, wie sie von Tina wusste. Patienten, die sich frei im Garten bewegen durften, könnten sonst durch den Eingang in die Küche geraten, die voller Messer und anderer gefährlicher Gerätschaften war. Natürlich sollten sie immer unter Aufsicht sein, aber die Betreuer konnten die Augen ja nicht überall haben. Was im Klartext bedeutete, dass sie sich gerne auch mal irgendwo abseilten. Und tatsächlich war es vor Jahren zu einem Amoklauf gekommen und der Streifzug des verwirrten Mannes durch die Flure der Anstalt hatte viele Verletzte gefordert. Seitdem wurde streng darauf geachtet, dass die Tür immer geschlossen war.

Außer im Moment.

Lillian betrat das Gebäude und ließ die Tür hinter sich geöffnet. Wahrscheinlich hockte irgendwo in den Büschen eine heimlich rauchende Aushilfe und die wollte sie nicht aussperren. Sie wusste von Tina, dass die einen aufreibenden Job machten, und hatte Verständnis dafür, wenn jemand eine zusätzliche Pause brauchte.

Der Gang führte direkt auf die Küche zu, aus der die harten Beats einer Metalband tönten. Im Türrahmen blieb sie stehen und sah sich um. Der Raum hatte die Ausmaße eines Tanzsaals und war komplett in Weiß und Edelstahl gehalten. Meterlange Arbeitsplatten säumten die Wände, in der Mitte stand unter einer wuchtigen Dunstabzugshaube ein riesiger Herd mit unzähligen Kochplatten, der von allen Seiten bedient werden konnte, und im hinteren Bereich befanden sich die Spülbecken und Spülmaschinen. Kühlschränke waren nicht zu sehen, für die gab es offenbar einen separaten Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite, mit dem Rücken zu ihr, stand ein kräftiger Mann und zerteilte Fleisch mit einem Beil. Er trug ein braunes T-Shirt und um die Hüfte hatte er eine fleckige Schürze gebunden.

Lillian klopfte an die geöffnete Tür:

„Hallo, darf ich kurz stören?“

Sie musste laut rufen, um den Lärm zu übertönen.

Der Mann wandte sich langsam um und grinste. Dann drehte er die Musik leiser.

„Was gibts? Möchtest du mir helfen?“

Vielleicht hatte er früher gut ausgesehen. Mit seinen schwarzen Augen, den langen, dichten Wimpern, den vollen Lippen. Doch jetzt war sein Gesicht aufgeschwemmt, die Haut teigig, der Blick wirkte tot.

Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Nein. Ich suche eine Kollegin. Tina. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?“

„Tina?“

So langsam, wie er den Namen aussprach, legte er auch das Beil zur Seite. Dann wischte er die blutigen Finger an der Schürze ab und bewegte sich auf sie zu. Er blieb erst stehen, als er so dicht vor ihr war, dass sie mit der Nase fast seine Brust berührte. In Lillian sträubte sich alles, aber sie zwang sich mit eisernem Willen, nicht zurückzuweichen. „Was möchtest du denn von ihr?“

„Das ist vertraulich.“ Beiläufig trat sie doch einen Schritt zurück, aber er verringerte den Abstand sofort wieder.

„Vertraulich. Das ist schön.“ Seine Stimme klang auf einmal hell wie die eines kleinen Jungen. Ihr stellten sich die Nackenhaare auf.

„Kannst du mir sagen, wo ich sie finde? Oder soll ich jemand anders fragen?“

„Was kriege ich, wenn ich dir verrate, wo sie ist?“ Er fuhr sanft mit dem Finger, dessen Nagel bis aufs Fleisch abgekaut war, den Türrahmen entlang. Direkt an der Stelle, neben der sich ihr Gesicht befand.

„Möchtest du etwa Geld für die Auskunft?“ Sie bemühte sich um einen burschikosen Ton.

„Nein, du sollst mir einen blasen.“

„Wer hat dich denn aus dem Käfig gelassen? Ich dachte, du gehörst zum Personal, aber offensichtlich bist du einer von den Spackos.“

„Es gefällt mir, wenn du solche Sachen sagst, macht mich richtig geil.“ Wieder diese helle Stimmlage, die den Fluchttrieb in ihr aktivierte. Doch die Verzweiflung gab ihr die Kraft, die letzten Mutreserven zu mobilisieren.

Und zum Glück zitterte ihre Stimme nicht: „Weißt du, was mich richtig geil macht? Dir so in die Eier zu treten, dass sie dir zu den Nasenlöchern wieder rauskommen.“

Der Küchenhelfer lachte dreckig, trat jedoch den Rückzug an.

Lillian atmete innerlich auf. Warum war der Kerl überhaupt allein hier? Der war ja gemeingefährlich. So eine große Klinik musste doch mehr als einen Mitarbeiter in der Küche haben. Oder durften die anderen alle gleichzeitig in die Mittagspause abhauen? Aber sie wollte auf keinen Fall unverrichteter Dinge wieder gehen.

„Sag mir jetzt sofort, wo ich Tina finde.“

Er warf ihr einen verschlagenen Blick zu, dachte einen Augenblick nach, sah dann aber von weiteren Attacken ab. „Keine Ahnung. Die schwänzt heute und kann sich auf eine Abreibung gefasst machen. Aber das tut ihr gut, der kleinen Fotze. Wahrscheinlich werde ich es ihr mal so richtig besorgen, damit sie wieder in die Spur kommt.“

Sein dreckiges Gelächter hallte ihr nach, als sie den Gang entlang flüchtete.

16 Johannesburg

Gilda saß im Bikini am Hotelpool und hatte ein schlechtes Gewissen. Sie wusste, dass Laura sich längst Sorgen machte, aber sie musste das Handy ausgeschaltet lassen und konnte keine Nachrichten verschicken. Maria meinte, dass sie sonst leicht zu orten wären und es die Mission gefährden könnte. Das wollte sie auf keinen Fall riskieren.

Sechs Wochen lang hatten sie die Reise akribisch vorbereitet. Gilda hatte Fotos von den beiden Killern vergrößert und so lange bearbeitet, bis sie deutlich zu erkennen waren, und Maria, die über ähnlich gute Kontakte zu verfügen schien wie Marek, hatte Adressen ermittelt, wo sie die beiden finden konnten. Doch bisher waren sie nicht erfolgreich gewesen.

Und mit jeder Station, die sie abklapperten, wuchs das Risiko, selbst ins Visier der Mörder zu geraten.

Man lief nicht einfach durch Südafrika und stellte dumme Fragen, ohne irgendwann aufzufallen. So diskret sie auch vorgingen, über kurz oder lang würden sie auffliegen. Sie mussten die beiden vorher finden.

Maria trat auf die Terrasse, trotz der Hitze im figurbetonenden, schwarzen Leder-Overall mit tiefem Ausschnitt, in jeder Hand eine Piña Colada. Eine leichte Brise spielte mit ihren langen, dunklen Haaren und zwei sonnenbebrillte Männer, die sich im Pool mit auf den Beckenrand aufgestützten Armen unterhalten hatten, unterbrachen das Gespräch, um ihr hinterherzusehen. Sie reichte Gilda ein Glas und ließ sich neben ihr auf einer Liege nieder.

„Du hast gesagt, wir müssen uns diskret verhalten, aber dann solltest du etwas anderes anziehen. In der Ledermontur fällst du jedem auf. Jedenfalls jedem Mann.“ Gilda grinste und nahm einen Schluck von ihrem Cocktail.

Maria ging nicht auf die Stichelei ein. „Ich habe telefoniert. Mein Kontakt hat Killer gefunden. Er sie morgen treffen. Du weißt schon, für Drogendeal. Aber Überraschung: Wir dann dort sein.“ Sie formte mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, tat, als würde sie zielen, und drückte ab.

„Wo treffen wir sie?“

„Nicht hier, außerhalb von Joburg, zwei Autostunden. Wir fahren früh los.“

„Wir müssen überlegen, wie wir vorgehen wollen.“

Maria winkte ab. „Fahrt lang genug. Heute haben wir Spaß. Man weiß nie, was morgen ist.“

„Willst du andeuten, es könnte unser letzter Tag sein?“

Gilda wollte es scherzhaft klingen lassen, aber selbst für ihre eigenen Ohren klang die Nervosität durch.

Doch die Agentin zuckte nur gleichmütig mit den Schultern und zwinkerte Gilda zu.

„Jeder Tag kann letzter sein.“

„Da hast du recht. Dann lass uns das Beste draus machen, Prost!“

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