Kitabı oku: «Hüter der Freude», sayfa 6
XII. KAPITEL
DER HEDONISTENKLUB
VERANSTALTET EINEN
RÖMERABEND
Benjamin Kuhschleim war ein Genießer. Die schönen Vormittage, die der Sommer brachte, vertat er mit Besonnenheit. Lange, von stiller Einkehr durchflutete Stunden saß er auf den Holzbanken der Belvedereanlagen, die der Sonnenschein so köstlich wärmte. Mit einer kühlherzigen Gemessenheit verzehrte er dort die hart gekochten Eier, die seine Mutter täglich zum zweiten Frühstück bereitete. Von Langeweile geplagt, hatte er den Roman »Quo vadis« des polnischen Dichters Sienkiewicz gelesen. Seinen Neigungen gemäß befaßte er sich nur selten, und dann mit gebotener Vorsicht, mit den Erzeugnissen der Literatur. Aber in diesem besonderen Falle hatte er nicht das Gefühl gehabt, dem Müßiggange in irgendeiner Weise den liebgewordenen Besitzstand zu schmälern. Die antike Moral, die das christliche Konzept des Buches an zahlreichen Stellen durchlöcherte, fuhr ihm wie ein erquickender Windstoß in die Nase. Er schmeckte ihren Reiz mit dem erzürnten Bedauern, daß aus dieser Welt, wo Reichtum und Liederlichkeit sich unbefangen verbrüderten, keine Brücke in sein eigenes Leben mündete. Eine Folge von Zusammenhängen wurde in ihm aufgescheucht, die sich am Ende immer eindeutiger zu einer knappen Erkenntnis verdichteten. Der Schleier in den Vorräumen seines Bewußtseins zerteilte sich, ein lässiger Hochmut steifte seine Glieder und die Seele des Petronius brodelte in seinem Schädel. Klein und erbärmlich verkroch sich die Wirklichkeit hinter ihren Schranken. Kuhschleim erkannte, daß er ein Römer war.
Seinerzeit, als sich seine Altersklasse auf der Schützeninsel zur Assentierung versammelte, war er dem Schicksal entgangen, zur Militärdienstleistung herangezogen zu werden. Mit dankbarer Rührung gedachte er noch heute seiner X-Beine, die ihm das Privileg verschafften, seinen Neigungen nachzuhängen, ohne die lümmelhaften Ansprüche von Übelgesinnten auf Befehl zu befriedigen. Aber seine Phantasie lugte dennoch zuweilen in das Schlachtengetümmel, darin die Lateiner den Erdball eroberten. Diese Kriege, die mit Triumphen endeten, malte er sich immer verwegener als herrliche Raubzüge aus, wo man nach kurzen Gefechten mit einem zermürbten Gegner bei endlosen Festen die Weiber der Besiegten schändete. Während er mit den Gummistiefletten die letzten Eierschalenreste seiner Mahlzeit in den Sand beförderte, trommelte die Musik unerhörter Gastmähler in seinen Ohren und das Flennen der geprügelten Sklavinnen würzte seine Verdauung.
Diese Frühstücksstunden zeitigten Pläne, die zu guter Letzt in ein Programm ausarteten. Betörend, mit den Fetzen einer entschwundenen Gymnasialbildung wahllos geschmückt, lockte das Weltbild der Antike. Benjamin Kuhschleim fühlte sich berufen, es zu erneuern. Eine erlesene, nur den Intimen zugängliche Renaissance schwebte ihm vor, die er verwirklichen wollte. Das plebejische Ethos der modernen Welt mochte ungestört in seinen Gleisen laufen. Hinter verschlossenen Türen mußte die neue Schönheit erstehen, im Kreise von Leuten, die es verstanden, das verführerische Erbe zu hüten.
In der Umgebung, wo sich bisher sein Dasein abrollte, war kein Raum für das geplante Ereignis. Eine Gesell Schaft von Gehirnaristokraten wurde benötigt, die, im Fundamente ihres Wesens Römer wie er, das Arkanum vollendeten. Kuhschleim hielt Umschau unter seinen Bekannten. – Das Wort von der Hedone der alten Hellenen funkte durch sein Gedächtnis und beleuchtete magisch die Pracht seines Unterfangens. Am Wegrain seines Lebens stiegen Träume auf. Schwüle Gelage, wo man bei Lautengeklimper in Hemdärmeln Rotspohn trank und sich mit nackten Weibern auf dem Teppich balgte. Inbrünstig rieb er die Handflächen aneinander.
Der griechische Name schien ihm am kleidsamsten zu sein. Der richtige Anschluß war nunmehr sein ruheloser Kummer. Kuhschleim ging kritisch mit sich zu Rate. Die Erfahrungen, die er im Umgang mit Menschen erworben hatte, wiesen ihm unweigerlich den Weg. Die braven Jünglinge, mit denen er während seiner Studienzeit die Kollegenschaft teilte, die nur mitunter, von der Unrast des Fleisches beim Büffeln behindert, im Bett einer Türsteherin ihr Gleichgewicht korrigierten, kamen nicht in Betracht. Die verbummelten Staatspraktikanten, mit denen er abends im Bierausschank zusammentraf, hatten nur Sinn für Likör und Karten. Der Kreis, mit dem ihn die Muck in Berührung gebracht hatte, war für das Vorhaben der einzig mögliche. Künstler waren ja von Haus aus sinnlich. Es störte ihn nur, daß die Gesellschaft, die im Café Portugal verkehrte, meistens aus Juden bestand. Aber schließlich war Nero, soviel er wußte, keineswegs ein antisemitischer Cäsar.
Immerhin trat er zunächst mit den arischen Elementen der Tischgenossenschaft in eine vorbereitende Fühlung. In der Rasierstube des Herrn Scheibenhonig, die er eigens zu diesem Zwecke besuchte, verzapfte er seine ersten Andeutungen. Römerstern, den Meermann eben kräftig seifte, hatte gerade die Frage bei sich erwogen, ob es aussichtsvoller sei, den Portier der Alhambra oder den Speisenträger im Deutschen Hause um ein Darlehen anzuschießen. Nun sah er dem Sprecher mit unverhohlener Neugier unter die buschigen Augenbrauen.
Nanu – meinte er verblüfft – Sie reden ja wie ein Franzos!
Kuhschleim notierte lächelnd seinen Erfolg. Bedachtsam gab er dem Gespräche weiter die Richtung, schilderte mit dem Temperamente eines gedruckten Prospekts seine Ziele. Römerstern folgte den Auseinandersetzungen mit einem Gemisch von Gereiztheit und Interesse.
Sorgen, was der Kerl hat! – dachte er verwundert und suchte seufzend seinen zerrissenen Gedankengang von vorhin wieder zu flicken. Allenfalls pumpte ihm die Trafikantin, bei der er seit Jahren die Zigaretten kaufte, einen kleinen Betrag. Aber er taxierte sie auf höchstens fünfzig Kronen.
Wollen Sie Meermann nicht zu dem Abend einladen? – fragte er im Aufstehn, während die Bürste des Lehrburschen über seinen Gehrock klapperte –
Sehn Sie nur zu, wie graziös er mit dem Hedonistenbauch wackelt –
Herr Scheibenhonig, der in seinem Privatkontor hinter der Verschalung Silbergulden in kleine Säulen schlichtete, fuhr mit dem Kopfe durch das Fenster: Besonders hinten, meine Herren, besonders hinten ist er gottvoll gebaut –
Geschmeichelt betrachtete der Gefoppte seine geschwollene Weste. Der unterste Knopf war geöffnet und die gelbe Schnalle des Hosenriemens glitzerte auf der Wölbung.
Kuhschleim nickte verbindlich und sah zerstreut nach dem Messer, das Meermann gegen ihn wetzte.
Römerstern blies den Rauch seiner Zigarette, die der Lehrjunge respektvoll in Brand gesetzt hatte, gegen den Spiegel.
Servus! Ich habe die Ehre!
Sie kommen also bestimmt! – rief Kuhschleim ihm nach, wehrend Meermann phlegmatisch an seiner Gurgel herumschabte.
Ich komme! Arrangieren Sie nur den Klimbim!
Und Kuhschleim arrangierte. –
Die beharrliche Beredsamkeit, die er dabei entfaltete, verschaffte seiner Idee einen unerwarteten Zuspruch. Bei den Jünglingen, die er seinerzeit im Schleppkreis der Muck beim Billardbrett im Zählen bemogelt hatte, fand sein Schlagwort mühelosen Eingang. Die Literaten und Literaturbeflissenen begegneten ihm mit freundschaftlicher Haltung. Ihnen, die am Geruch der Druckerschwärze in den maßgebenden Verlagsjournalen zukünftige Strömungen erwitterten, schien es einen subtilen Umschlag zum Ausdruck zu bringen. Das intellektuelle Kostüm, in dem sie während des letzten Halbjahres paradierten, ging langsam in die Fransen. Seine Patentknöpfe bekamen den Rostfraß und funktionierten nur widerwillig. Der Hedonistenrummel, den Kuhschleim predigte, imponierte durch seine ungesuchte Blödigkeit. Zwar gab es einige, die sich über das aufgewärmte Gemüse mokierten. Aber die Einsicht, daß geistige Neuheiten ebenso ungemütlich wie beschwerlich sind, gab schließlich den Ausschlag.
Kuhschleim war zufrieden. Im Grunde ließ es ihn kalt, ob die Weltanschauung, von der er faselte, eine genügende Stoßkraft behielt. Ihm handelte es sich in erster Linie um ihren praktischen Auftakt. Das richtige Augenmaß, das er bisher in allen Lebenslagen betätigt hatte, fand auch dafür ohne weiteres die passende Formel. Er beschloß, die Jünger der Hedone bei einem Picknick zu vereinigen, eine Maßregel, die ihm geeignet schien, seine persönlichen Kosten auf ein Minimum zu drücken. Wenn es ihm gelang, als Gastgeber aufzutreten, erübrigte gewiß noch ein ansehnlicher Profit an Tabak und Schnäpsen. Gewohntermaßen brachte auch hier der Zufall die Entscheidung. Das lahme Fräulein, das seiner Mutter die möblierte Stube gegenüber dem Flurgang abgemietet hatte, bekam die Kündigung und verließ ihre Wirtin in heller Empörung. Die alte Dame hatte in so schonungsloser Weise an Schweißfüßen gelitten, daß es der Familie Kuhschleim, des separierten Eingangs ungeachtet, den Atem verkürzte. Rosine, die Tochter des Hauses, die ihren Kreislauf als Gouvernante wieder einmal beim mütterlichen Kochherd beendete, fiel eines Tages in Ohnmacht, als sie sich dem atmosphärischen Bereiche vorwitzig näherte. Frau Kuhschleim kam eben dazu, als der Herr Schwänzlein aus dem dritten Stock der Bewußtlosen die Bluse über dem Halse aufknöpfte, um einen ungehinderten Blutfluß zu ermöglichen. Herr Schwänzlein, der in einer Gebetbuchhandlung eine angeblich sehr geachtete Stellung einnahm, redete der Erschrockenen zu, mit ihrer Afterpartei ein Gewaltwort zu sprechen. Frau Kuhschleim besorgte das gründlich. Das Fräulein verschwand, ohne den Monatszins zu bezahlen und hinterließ einen Bund schmutziger Wäsche als Faustpfand.
Nun stand das Zimmer leer, und Benjamin erblickte darin eine Fügung. Ohne Zögern schickte er sich an, die Aktion in die Wege zu leiten. Für den kommenden Sonntag hatten die Eltern einer asthmatischen Base in Beneschau einen lange versprochenen Besuch angekündigt. Die wiederholten Verhandlungen, die der Reise vorangingen, zielten darauf ab, erst am nächstfolgenden Tage mit dem Frühzug zurückzukehren, um alle Genüsse durchzukosten. Die Luft war also rein, und Benjamin konnte, wenn es weiter klappte, die Gäste Sonntags im eigenen Heim empfangen. Von seiner Schwester Rosine befürchtete er keine Störung. Ihr geruhsames Temperament, das ihren Busen und ihr Gesäß von Tag zu Tag immer beträchtlicher rundete, trieb sie frühabends in die Federn, Zudem hatte sie diesmal den kleinen Willy zu besorgen, dem noch die nötige Routine mangelte, um sich mit Onkel und Tante ins Ungewisse zu wagen. Schwieriger schien das Problem, Frau Kuhschleim in unverdächtiger Weise den Zimmerschlüssel zu entsteißen.
Benjamin besiegte mit gutem Glück auch diese Fährlichkeiten. Die beiläufig geäußerte Absicht, in dem leerstehenden Räume ungestört mit einigen Kollegen ein Kapitel National-Ökonomie zu verarbeiten, lockte längst begrabene Mutterwünsche aufs Glatteis. Der bestrebsame Sohn bekam den Schlüssel und machte sich daran, wirksame Einladungen auszufertigen. Auch der Muck sandte er nach kurzem Zaudern eine wohlstilisierte Aufforderung ins Haus. Die Erinnerung an ihre rhachitischen Knochen machte ihn zwar bedenklich, aber die Erwartung, daß sich die Bacchantin aus Bischofteinitz mit einigen besonders stimmungsvollen Viktualien an dem Abend beteiligen werde, zerstreute seine Zweifel.
Benjamin Kuhschleim rieb sich die Hände. Die Hedonisten mochten kommen, Rom war bereit.
XIII. KAPITEL
LYRIK, PRÜGEL
FRAUENGUNST
Auf den Dichter Bondy hatte die Schönheit Kamillas, mit der er im Büfettraume des Biographen neben Sturmfenster zusammengetroffen war, einen großen Eindruck gemacht. Gewohnt, die Vorzüge des weiblichen Körpers nach der Heftigkeit zu werten, mit der sie seinen lyrischen Ausdruck förderten, ergab er sich ungehemmt dem Enthusiasmus. Die Geschmäcklerkunst, der er in seinen Versen nachging, verfettete bereits ein bischen unter allzu naiven Akzenten. Sein Gedichtbuch, das im Vorjahre erschienen war, repräsentierte in jeder Beziehung die fünfte Essenz einer Literaturpentade, die sich bestrebte, in einer höflichen und geräuschlosen Form das Leben zu bejahen. »Zeitlose Brunst« verkündigte der Titel und Bondy war damit auf ehrliche Anerkennung gestoßen, die sich mit der üblichen Nachhilfe zu einem kleinen Erfolge steigerte. Die plebejische Anmut Kamillas gab den zierlich erhitzten Gefühlen, die in dem Büchlein nach Gestaltung schwitzten, einen ungeduldigen Hieb.
Ihr Profil, das er immer wieder in den Abflußkanälen seines Seelenlebens ertappte, stieß ihn grob aus künstlerischem Behagen. Neue erotische Themen quollen trivial in die Breite, atmeten scharfe Gerüche, lümmelten ungezogen. Seine Vergangenheit war frei von Erschütterungen. Er hatte es verstanden, mit seinen Interessen hauszuhalten und teilte sie pedantisch zwischen Büchern und Gummispezialitäten. Im Umkreis dieser beiden Zentren erschöpfte sich sein Tagwerk. Seiner Genußsucht genügte das billige Haaröl, das seine Geliebte auf die Frisur verwendete, die Bibliothek mit den Insel-Ausgaben für 50 Pfennig, der kahle Luxus in seiner Bude. Die Leidenschaft, an der seine Kunst sich entzündete, war methodisch geordnet und hygienisch gesiebt.
Die Erscheinung Kamillas sperrte verschraubte Schubfächer in seinem Innern auf und lockerte verschlafenen Wünschen die Flügel. Approbierte Eitelkeiten, liebgewordene Zulänglichkeit kugelten in den Dreck. Etwas von der Stimmung der Tertianerzeiten kam über ihn, als er während der hebräischen Lehrstunden die Geschichten Karl Mays unter der Schulbank gelesen hatte. Bei den Mißhelligkeiten, die während der Unterrichtspausen zwischen den Buben zum Ausbruche kamen, war ihm, wahrscheinlich mit Rücksicht auf seine Brille, die Rolle des weißen Trappers zugefallen. Er mußte auf allen Vieren den Fußboden nach Spuren absuchen, und die Indianer in den letzten Bänken bedachten ihn wegen seiner hohlen Backenzähne mit dem Kriegsnamen »Old Maulgestank«. Damals hatte er den Schimpf mit Gleichmut ertragen, heute war ihm die Erinnerung peinlich. Aber die Siegeszuversicht war wieder da, die immer von dem Antrieb begleitet wurde, das Unbekannte zu wagen. Das Gesicht Kamillas und die Romane Karl Mays, beide wirkten wie süßer Fusel.
Zunächst war ihm darum zu tun, seiner sensationellen Begegnung auf den Hacken zu bleiben. Den Umweg über Sturmfenster verwarf er nach kurzer Erwägung. Sein in den Prärien der Mittelschullektüre gewitzigter Spürsinn ward wieder in Gebrauch gesetzt und bestand in Ehren. Am dritten Tage schon war ihm bekannt, daß Frau Nowotny, die geschiedene Frau eines Weinberger Magistratsbeamten, in der Nähe der Trainkaserne in einer Wohnküche hauste. Bondy machte sich daran, die Kollaudierung seines äußeren Menschen vorzunehmen. Die Selbstkritik, die zu seinem Handwerkzeug gehörte, gestattete ihm keine Täuschung. Der struppige Kopf mit den dicken Augengläsern, der kurze Rumpf, die gelockten Beine – wie man in seinen Kreisen ähnliche Architekturen bezeichnete – ergaben zusammen keineswegs das Bild eines Eroberers. Die plombierten Backenzähne und die ans Hemd genähten Manschetten vermochten daran nichts zu ändern.
Trotzdem war Bondy guten Mutes. Im Wettbewerbe um das Weib behielt er einen Vorteil in der Hand, um den ihn ein griechischer Ringkämpfer beneiden konnte. Er hatte ein Buch herausgegeben. Er wußte, daß die Literatur auf Frauen dieselbe Wirkung übte, wie jede andere Sünde. Der moderne Dichter war ein Wesen mit der Gloriole der Abgefeimtheit. Die feminine Weltbetrachtung gab ihm zügellose Hundsfötterei zum unmittelbaren Nachbarn. Ein Buch, selbst Gedichte nicht ausgenommen, verhalf dem Autor in die Front jener Ideal gestalten, die von altersher den Urbestand der weiblichen Sehnsucht bilden. Berühmte Juwelendiebe und Hochstapler waren darunter, der Marschall Gilles de Rayz, Jack der Aufschlitzer, Hugo Schenk.
Die kommenden Tage fanden Bondy auf seinem Platze. Der Stundenplan, den Kamilla ihrer Unpünktlichkeit zugrunde legte, beherrschte seine Maßnahmen. Wie seine Kunst ging auch er jedes Erlebnis nach einem gewissen Rezepte an. Er liebte es, schön angelegte Szenen, gleichsam chemisch gereinigt, ohne die tölpelhaften Nebengeräusche ihrer Umgebung, in Fluß zu bringen. Es hätte ihn geniert, bei der Durchführung seiner Liebesprojekte über die Formalitäten zu straucheln, denen der geistige Mittelstand mit Betulichkeit nacheiferte. Abgesehen von dem Erfahrungssatze, daß mangelnde Schönheit in der wirksamsten Weise durch Frechheit aufgewogen wird, schien ihm Kamilla ein Weib zu sein, zu der man am besten mit den Urstimmen des Kosmos redete. Er malte sich Situationen aus, die ihre Sinne durch Wahrhaftigkeit überraschen sollten. Er dachte daran, in einer entlegenen Straße mit einer Flut unflätiger Vorschläge auf sie einzudringen. Er nahm sich vor, auf der Stiege des Hauses, das sie bewohnte, wie Caruso im Affenhause zu handeln. Er verfaßte ein Telegramm, das sie in Stallknechtausdrücken in seine Wohnung bestellte.
Von allen diesen Vorsätzen kam keiner zur Ausführung. Auch die Idee, den Begattungsakt zweier Straßenhunde zum Ausgangspunkte einer Ansprache zu wählen, versagte gänzlich, weil es bei passender Gelegenheit an den Objekten fehlte. Eine Woche verrann und Bondy bestrich noch immer die Fährte. Eines Abends, als er vor dem Tor der Trainkaserne hungrig und unzufrieden Posten lungerte, beschloß er ein Ende. Es ging auf die zehnte Stunde, und die Vorstadtplätze, über die das gelbe Licht der Laternen flammte, verstummten allmählich. Kamilla hatte einen schlechten Tag gehabt und näherte sich rot und müde gelaufen dem Hause. Im Geiste sah sie schon die verrußte Küche vor sich, wo der Fuß über die Kohlenreste auf den Dielen knirschte und die Spinnweben ins Abendessen fielen. Die Alimente, die sie heute mittag bei der Behörde behoben hatte, waren nicht dazu angetan, ihre Laune zu verbessern. Und statt die Gelegenheit beim Schopf zu nehmen, verluderte sie ihre Zeit mit Dallesbrüdern. Sie reckte ihren Körper in den Kleidern, daß die Nähte platzten.
Die Haustüre war zu und sie suchte in dem verschnürten Beutel nach dem Schlüssel.
Darf ich Sie begleiten? – meckerte Bondy neben ihr und rückte an seinem Hute.
Verächtlich kramte sie weiter. Sie war es gewohnt, daß sich allerlei Getier an ihr rieb und sie ärgerte. Der Kerl mit seinen krummen Beinen kam ihr bekannt vor. Seine Visage war einmal über ihren Weg gelaufen, es war nur zu langweilig, sich zu besinnen –
Wohin denn begleiten? Ich bin hier zu Hause.
Das schadet nichts – erklärte er freundlich – ich gehe mit.
Kamilla hatte einen schlimmen Tag gehabt. Die Nerven klapperten in ihrem Kopfe und rumorten gehässig. Sie trat einen Schritt zurück und faßte den Regenschirm mit den Fingern.
Verflixter Dackel! – dachte sie böse. Die Dohle wackelte brünstig, schaukelte keck und begütigend.
Hoppla! –
Ihre Muskeln spannten sich und sie schlug zu. Der Hut fiel ihm knallend vom Kopfe, seine Augengläser klirrten über das Pflaster. Vom Schrecken betäubt rutschte er ratlos auf den Knien und klaubte unter den Scherben.
Auf Kamilla wirkte der Hieb wie eine sexuelle Entladung. Ihre Gereiztheit verflog, eine lauwarme Behaglichkeit spülte den Zorn aus ihren Adern.
Habe ich Ihnen wehe getan? – fragte sie mitleidig und lachte ängstlich.
Bondy hob das geblendete Gesicht zu ihr empor und schluckte verlegen.
Die Brille ist kaput und die Nase blutet.
Ihr üppiger Arm schob sich reumütig unter den seinen. Stehn Sie auf! Ich werde Sie führen –
Bondy stützte sich wie ein Bezechter auf seine Begleiterin. Er stolperte und sie mußte ihn halten. Ihr voller Busen, den er unter der Bluse auf seinem Handrücken spürte, brachte ihm langsam sein Gleichgewicht. Instinktiv begann er zu begreifen, daß die Aktion sich günstig entwickelte.
Ich bin so verliebt – stotterte er, als wollte er den ganzen Vorgang entschuldigen.
Im Scheine der nächsten Laterne besah sie den Schaden. Der Hut war zerbeult und auf der rasierten Oberlippe saß eine verklebte Schramme.
Kamilla betupfte die Wunde mit ihrem Taschentuche.
Wohnen Sie weil? – fragte sie währenddessen.
Sehr weit – versuchte er zu scherzen – Aber wir können ja auch in ein Hotel gehn –
Seine unentwegte Frechheit gefiel ihr. Die widerspänstigen Borsten, die über den viereckigen Ohren wuchsen, gaben seinem Gesichte etwas Ungewöhnliches. Sie sind wohl auch ein Gelehrter? – forschte sie munter –
– – Ich meine, weil Sie einen so großen Kopf haben – ergänzte sie mit einem Seitenblick auf seine voluminöse Dohle.
Bondy ignorierte die Beziehung, die mit dem Wörtchen »auch« auf ungenannte Bekanntschaften deutete. Der Gedanke an Sturmfenster entfaltete sich unliebsam und stimmte ihn unwirsch.
Ich bin Schriftsteller –
Sapperlot!
Einen Augenblick lang kam ihr die Erinnerung an die Szene, als sie im Büfettraum des Lichtspieltheaters seinen lächerlichen Schädel hinter den Kaviarbrötchen entdeckte.
Schreiben Sie Romane? – fragte sie und dachte gespannt an die waschblauen Hefte, mit denen sie die Zeit vor dem Schlafengehen verbrachte.
Nein – Gedichte –
Sie schwieg betreten, weil seine Antwort auf geheimnisvolles Terrain verführte.
Kommen Sie mit! Ich lese ihnen etwas vor!
Kamilla überlegte unschlüssig.
Haben Sie eine sturmfreie Bude? –
Die Rauhbeinigkeit der Vokabel verletzte ihn. Er nickte.
Vollständig sturmfrei. – Geradezu windstill! – versicherte er.
Also in Gottes Namen!
Der Straßenbahnwagen, der mit Funkengeknister bei der Haltestelle vorfuhr, brachte sie zu seiner Wohnung. Die Streichhölzchen verbrannten ihm die Hand, während er sie über die Treppe geleitete. Sie wartete geduldig im Finstern, bis er die Lampe in Ordnung gebracht hatte.
Lesen Sie! – befahl sie dann und machte es sich auf dem fleckigen Diwan bequem.
Er holte die Reservebrille aus dem Schreibtisch und begann einen Vers aus der »Zeitlosen Brunst«. Das Buch zitterte unsicher und fiel zu Boden. Kamilla hatte die Röcke über die Knie gestreift und legte ihre wunderschönen Beine zärtlich auf seine Hosen.