Kitabı oku: «Memoiren einer Grossmutter, Band II», sayfa 4
Es war im Jahre 1850, den 5. August.
Ankunft in Konotop. Hochzeit
Wir fuhren Tag und Nacht, unterbrachen die Reise nur der Sabbathruhe wegen von Freitag Mittag bis Samstag Abend. Nach sieben Tagen, als wir die Hälfte unseres Weges zurückgelegt hatten, versagte der Wagen. Wir waren gezwungen, auf freiem Felde ein Lager aufzuschlagen. Es wurde ein Teppich ausgebreitet und unser Vorrat herausgeholt. Bald brodelte und summte der Samowar. Wir setzten uns alle um ihn herum und bei seinem Summen, im vertrauten Geplauder vergaßen wir unsere unangenehme Lage.
Der Hochzeitstag rückte immer näher heran, und wir waren noch so weit von unserem Ziele entfernt. Der Vater sandte eine Stafette nach Konotop und bat um Verschiebung der Hochzeit. In Konotop war man darüber untröstlich und trug diese achttägige Verzögerung noch lange meinen Eltern nach, mußten doch die großen Vorräte an Geflügel und anderen Speisen bei der heißen Jahreszeit verderben.
Wir reisten noch volle sechs Tage, erlebten verschiedene Abenteuer und gelangten endlich nach der vorletzten Station, Baturim.4 Hier brachte uns ein Bote die Nachricht, daß uns der Schwiegervater in Gesellschaft einiger Herren auf der nächsten Station erwarte.
Mein Herz schlug stürmisch. Aber ich schwieg beharrlich. Denn ich fühlte, daß gleich dem ersten Worte ein Tränenstrom folgen müßte. Ich war ja am Ziele meiner schönsten Träume: in einer Stunde sollte meine Sehnsucht zur Wirklichkeit werden. – Ich wagte kaum zu denken an solche Seligkeit, die wohl nicht jedem Mädchen vom Schicksal beschieden wird.
Wir Mädchen machten Toilette. Ich wählte ein Kleid, das mir sehr gut stand, und musterte mich selbst im Spiegel, der mir von meinem eigenen Glücke erzählte. – Dann stiegen wir ein und fuhren rasch weiter. Unterwegs kam uns ein Wagen entgegen. Wir erkannten bereits aus der Ferne meinen Schwiegervater und den Herrn Brim. Die letzte Station vor Konotop erreichten wir in einer halben Stunde, und von da aus waren wir unserm Reiseziel ganz nahe. Wir fuhren in Konotop ein. Die Vorstadt war nicht vielversprechend: lauter kleine Hütten mit Strohdächern. Meine Schwester war fast entsetzt über den Dorfcharakter des Städtchens. Mir aber war alles gleichgültig. Was ging mich damals die Stadt an! Es schwebte nur das Bild meines Verlobten vor mir gleich wie die leuchtende Feuersäule in der Nacht vor den Israeliten in der Wüste und bannte alle trüben Gedanken.
Wir fuhren durch eine lange ungeebnete Straße. Rechts und links die gleichen strohbedeckten Hütten. Endlich kamen wir an einen weiten Platz, wo das erste große, vornehme, steinerne Haus mit einem grünen Blechdach stand. Es war das Ziel unserer Reise; das Haus der Familie Wengeroff. Begleitet von einer neugierigen Menge fuhr unser Wagen durch das Einfahrtstor und machte vor einem großen Balkon, der ganz mit Menschen besetzt war, Halt.
Meine zukünftige Großschwiegermutter kam mir entgegen, küßte mich und übergab mir ein »süßes Brot«. Ernst und ehrfurchtsvoll war der Eindruck, den diese Frau auf mich machte. Dagegen wußte die Tante, die Stiefmutter meines Bräutigams, sogleich mein Vertrauen und meine Zuneigung zu gewinnen. Auch schien mir ihre Umarmung herzlicher, traulicher und zärtlicher als die der anderen. Es wurden mir noch die Frau des älteren Bruders meines Bräutigams und seine jüngere Schwester vorgestellt. Von dieser wußte ich bereits soviel Gutes und Liebes, daß ich sie wie eine längst vertraute Freundin herzlich umfing. Aber über all diese Menschen hinweg schweifte mein Blick weiter und suchte den Liebsten, den Nächsten, nach dem ich mich das ganze lange Jahr so heiß gesehnt hatte. Aber nirgends war er zu sehen. Von allen begleitet gelangte ich durch das Vorzimmer in den Salon. Hier empfing mich glückstrahlend mein Bräutigam. Unsere Begrüßung war stumm: es bedurfte wirklich keiner Worte. Die Augen sagten so viel; sie sagten so manches, wofür noch kein Dichter den Ausdruck gefunden hat. —
Es wurde Abend. Zahllose Lichter brannten, und Wohnung und Menschen sahen feierlich aus. Man reichte den Tee. Die ältere Schwägerin wich nicht von der Seite meiner Mutter, die jüngere nicht von der meinigen. Mein Bräutigam mußte, um die Sitte nicht zu verletzen, meinem Vater Gesellschaft leisten und in der Herrengesellschaft bleiben. Er wagte es aber, ab und zu auf eine Weile an meiner Seite Platz zu nehmen, um mir einige liebe Worte zuzuflüstern.
Bald forderte man uns zum Tanz auf. Wir beide, meine Schwester und ich, mußten uns auch daran beteiligen, obwohl unsere Lust nicht sehr groß war. Wir tanzten die Polka-Mazurka mit Figuren, was großen Beifall erregte. Überhaupt: an diesem Abend waren wir der Mittelpunkt der lustigen Hochzeitsgesellschaft.
Nach dem Tanze wurde zu Tisch gebeten. Mein Bräutigam saß wieder mit den älteren Herren an der anderen Seite des Tisches, und nur durch Blicke konnten wir uns verständigen.
Das Abendessen war zu Ende. Halbschlafend vor Müdigkeit trennte ich mich von meinem Bräutigam und allen Anwesenden. – Als ich mit meiner Schwester in unserem Logis allein zurückblieb, tauschten wir noch allerlei Bemerkungen und Beobachtungen über die Gesellschaft aus, die wir soeben verlassen hatten. Plötzlich öffnete sich die Tür, und im Zimmer erschien ein ganz komisches Wesen. Es war eine kleine, untersetzte Person mit sehr stumpfer, echt russischer Nase, kleinen lebhaften Augen, breitem, sonnverbranntem Gesicht in einer ganz eigenartigen, kleinrussischen Tracht. Auf dem Kopfe trug sie einen Turban aus wollenem, buntem Tuch, an welchem grellrote, künstliche Rosen mit noch grelleren, grünen Blättern befestigt waren, die ihr tief ins Gesicht fielen. Vorn und hinten war der ganze Körper mit zwei bunten Schürzen bedeckt – darunter ein viel längeres weißes Hemd mit bauschigen, buntgestickten Ärmeln. Am Halse eine Masse Korallen, bunte Perlen, Messingmünzen und große Ringe in den Ohren. Schuhe und Strümpfe fehlten, und die nackten Füße ließen an Reinlichkeit viel zu wünschen übrig. Es war das Dienstmädchen, das uns frisches Wasser brachte und sich nach unseren Wünschen erkundigte. Wir sahen zum erstenmal diese wunderliche Tracht, waren im ersten Augenblick sprachlos vor Überraschung und brachen plötzlich in ein lautes, mutwilliges Lachen aus. Wir lachten noch lange, nachdem das Mädchen fort war und plauderten vergnügt. Vor dem Einschlafen umarmte mich meine Schwester Cäcilie stürmisch und rief aus: »Du bist glücklich und wirst sehr glücklich sein, Schwester!« Auch ich glaubte an mein Glück. Das Herz war so voll, schlug so stürmisch. Ich hätte die ganze Menschheit in jener Stunde umarmen können. Vom Glücksgefühl übermannt, in süße Träume eingewiegt, schlief ich ein.
Als ich am nächsten Morgen erwachte, war der Vater bei den Mechutonim5. Mutter und Schwester waren zum Ausgehen bereit. Von drüben fragte man schon einige Male nach mir. Ich zog mich rasch an, und als ich mit meiner Toilette fertig war, brachte mir die Mutter selbst den Ziganka, und wir verließen unser Quartier. Bei Wengeroffs wurden wir zum Frühstück erwartet.
In der zwanglosen, intimen und herzlichen Stimmung schwand auch meine Schüchternheit; wir jungen Leute durften uns in ein anderes Zimmer zurückziehen. Zweimal ließen wir uns dies nicht sagen und waren lustig und ausgelassen.
Die Schwiegermutter und die zukünftige Schwägerin äußerten den Wunsch, meine Aussteuer zu sehen. Sie betrachteten alles Stück für Stück mit Sachkenntnis und eingehendem Interesse, und meine Mutter erntete bei dieser Besichtigung großen Beifall. Über einen Gegenstand in der Wäsche waren sie aber sehr erstaunt, nämlich über die Unterröcke, denn als ich nach Konotop kam, trug keine einzige Frau solche. Auch in der Aussteuer meiner Schwester Eva fehlte dieses Stück Wäsche. In der kurzen Zeit seit der Verheiratung meiner Schwester war so manche neue Sitte in unserem Hause eingeführt worden. Die Frauen in Konotop trugen auch noch keine Unterröcke, sondern das Kleid direkt über dem Hemd. Unterröcke zu tragen, wurde schon als »christlich« betrachtet. Nur im Winter hatten die Frauen dicke Flanellunterröcke und sehr dicke hohe Herrenstiefel an. – Selbstverständlich wußte man nach kurzer Zeit in ganz Konotop von diesem Bestandteil meiner Aussteuer; und es dauerte nicht lange, so folgten andere Frauen in Konotop meinem Beispiel. Jedenfalls brachten es die Jüdinnen in Konotop leicht über sich, ein neues, modernes Kleidungsstück in ihre Toilette aufzunehmen.
Kulturell hauptsächlich aber gesellschaftlich stand Konotop noch weit hinter Brest zurück. Von der Mode wußte man hier nicht viel. Meine Sachen wurden bewundert; ich selbst, so oft ich durch die Straßen ging, angestaunt; und nach kurzer Zeit galt ich in Modesachen für tonangebend in ganz Konotop.
Am Tage vor der Hochzeit erwartete man noch Gäste aus Petersburg, einen Bruder und Schwager meiner künftigen Schwiegermutter. Sie kamen während des Mittagessens an. Es waren zwei hübsche, vornehm aussehende Herren. Sie trugen kurze hellseidene Sommerkostüme, eine Art Reiseanzug, und breitrandige weiße Strohhüte, die sie beim Eintritt ins Speisezimmer abnahmen, so daß sie mit bloßem Haupt sitzen blieben, während die übrigen Herren beständig ein kleines, schwarzes Samtkäppchen aufbehielten. Mein Schwiegervater war sogar etwas betroffen. Das freie, ungezwungene Benehmen seiner Gäste störte ihn um so mehr, als die Gegenwart meines lieben Vaters eine tiefreligiöse Stimmung verbreitete. Doch merkten die jungen Leute schnell ihren Fehler und suchten sich bald den anderen anzupassen. So setzten sie zum Nachtischgebet die Hüte auf und murmelten gezwungen vor sich hin, was uns sehr possierlich vorkam.
Nach dem Mittagessen verließ ich die Gesellschaft, denn nach den althergebrachten Gesetzen mußte ich mich vor meiner Hochzeit der rituellen Reinigung unterziehen. Bei dieser Zeremonie litt ich die unerträglichsten Qualen, und meine Feinfühligkeit wurde dabei auf eine harte Probe gestellt. Die religiösen Formalitäten in der »Mikwe« (dem rituellen Bade) wollten kein Ende nehmen. Ich wurde gewaschen. Man putzte mir sorgfältig die Nägel und zum Schluß mußte ich nach der Vorschrift dreimal ganz im Bassin untertauchen. In stummer Ergebung erfüllte ich die Befehle der alten Weiber, die mich wie ein Opferlamm behandelten. Wie froh war ich, als ich sie endlich verlassen durfte!
Am Abend wurde wieder getanzt. Und jetzt waren es nicht nur Mädchen allein, sondern auch einige junge Leute nahmen daran teil. Es war zwar gegen die Sitte; die Alten waren aber in einem entfernten Zimmer versammelt, und die günstige Gelegenheit nutzte die Jugend aus. An diesem Abend, dem Vorabend meiner Hochzeit, trennten wir uns zeitig voneinander, doch konnte ich lange nicht einschlafen und nahm mit Wehmut von meinen Mädchenträumen Abschied.
Am nächsten Tag erwachte ich mit dem Gedanken, daß es der bedeutendste Tag meines Lebens sei. Wir machten heute alle große Toilette. Ich legte das schwere grauseidene Kleid an, setzte den Myrtenkranz mit dem langen, weißen Schleier auf. Weiße Handschuhe, Fächer und ein zierliches Spitzentaschentuch ergänzten meinen Anzug. Man warf mir den Zigankamantel um, und wir bestiegen den Wagen, der uns, von einer gaffenden, neugierigen Menge begleitet, vor das Wengeroffsche Haus brachte. Die beiden Schwägerinnen empfingen uns. Im Salon wurden wir von den Schwiegereltern und vielen fremden Damen und Herren begrüßt. Erst nach einiger Zeit erschien mein Bräutigam, umgeben von zahlreichen Herren. Er wagte kaum mich anzusehen, denn nach der Sitte des Ortes sollten Braut und Bräutigam in der letzten Stunde vor der Trauung am meisten voneinander entfernt bleiben.
Ohne jede Feierlichkeit führte man mich in den Hochzeitssaal. Nicht einmal der bei uns gebräuchliche Lehnsessel wurde mir angeboten. Ich mußte an die Hochzeit meiner Schwester zurückdenken —: wie feierlich war dort alles zugegangen, wie bewegt waren wir Geschwister, als Vater und Mutter unter Klängen einer rührenden Musik die Braut in den Saal hineinführten, und sie dann auf einen Armstuhl, der sich in der Mitte des Salons auf einem Teppich befand, niederließen —. Mir wurde traurig bei dieser Erinnerung, und ich verspürte eine leise Enttäuschung. Meine Empfindlichkeit steigerte sich bis zum Ärger, als ich erfuhr, daß die ganze Zeremonie der Hochzeit nach der dort herrschenden Sitte auf dem Hofe in einer großen Bretterscheune stattfinden sollte. Mutter, Schwester und ich konnten es kaum fassen. An eine Weigerung war aber nicht zu denken, und wir mußten uns fügen. Zu unserer Beruhigung versicherte man uns, daß eine Hochzeit in Konotop nie anders gefeiert würde, wenn auch die prächtigsten Räume zur Verfügung ständen.
In der Scheune nahmen wir auf Stühlen Platz, während die Menge sich auf Bänken niederließ. Die Musik stimmte in grellen, schrillen Tönen an, und in die Scheune tanzte in wilden Sprüngen, sich im Kreise drehend, eine alte Frau herein. Hoch überm Haupte hielt sie einen runden Kuchen, und, lustig singend, brachte sie folgende Worte hervor:
»Ziwie Kumanow, Ziwie Kumanow, Ziwie Kumanow!« Dabei ermunterte sie die Musik, weiter zu spielen.
Ich und meine Schwester hatten noch nie Ähnliches erlebt. Unser Erstaunen war grenzenlos. Bald aber ergriff uns eine Lachlust, der wir gar nicht widerstehen konnten. Die Schwägerin merkte es und beeilte sich, uns diese Szene zu erklären: Nach dem Brauch des Ortes sandte jede Freundin des Hauses der Hausfrau einen Kuchen, der in dieser seltsamen Weise überreicht wurde. Diese Erklärung machte die Sache nicht weniger komisch und unsere Lachlust nicht geringer. Die gleiche Zeremonie wiederholte sich noch mehrmals, nur mit dem Unterschied, daß jedesmal der Name einer anderen Freundin ausgerufen wurde.
Um drei Uhr nachmittags waren die Feierlichkeiten in der Scheune zu Ende, und ich entfernte mich, um das Vorabendgebet zu verrichten und das Kleid zu wechseln. Die Mutter begleitete mich. Mit bewegter Stimme sprach sie zu mir von dem Ernste des Hochzeitstages, der für die Braut einen zweiten Versöhnungstag bedeute, an dem sie Gott um Vergebung aller ihrer bisherigen Sünden anflehen müsse. Tränen entflossen unaufhaltsam meinen Augen. Ich umklammerte krampfhaft das Gebetbuch und betete… Meine fromme und weihevolle Unterredung mit Gott dauerte eine gute Stunde, und mit verweinten Augen erschien ich wieder in der Scheune. Die anwesenden Mädchen näherten sich mir, nahmen mir den Brautkranz ab, lösten das Haar, das zu kleinen Zöpfchen geflochten war, damit die ganze Frauengesellschaft an dem Auflösen der Haare teilnehmen könnte, und breiteten es auf Schultern und Nacken aus. Ich schluchzte vor Bewegung. Da erschien der Bräutigam im Kreise der Herren, nahm das weiße Seidentuch, das über einer mit Hopfenblumen gefüllten Platte ausgebreitet lag, und auf Anweisung des Rabbiners bedeckte er damit meinen Kopf, wobei alle Umstehenden mich mit Hopfen bestreuten, ganz in derselben Weise, wie ich es bei der Hochzeit meiner Schwester Eva ausführlich beschrieben habe. – Dann wurde mein Bräutigam zur Synagoge gebracht, und ich wurde von Vater und Mutter dorthin geführt, wo der Akt der Trauung vor sich ging. Darauf trat ich am Arme meines Neuvermählten unter lustigen Musikklängen den Rückweg an. Ich sah den Weg nicht, da mein dichtes seidnes Tuch über den Augen mich wie blind machte.
Zu Hause angelangt, zogen wir uns ins Gastzimmer zurück, wo ich endlich das seidene Tuch auf einen Augenblick lüften durfte, um meinen Mann zum erstenmal nach der Trauung ins Auge zu sehen. Man servierte uns Tee, den wir mit wahrer Wonne tranken. Denn nach der jüdischen Sitte hatten wir bis zu dieser Stunde gefastet.
Während des Abendessens, zu dem in der Scheune gedeckt wurde, und an dem das ganze Städtchen teilnahm, saß ich am Damentisch und mein Mann am Herrentisch. Die »Schewa broches«, die sieben Segenssprüche, welche der Rabbiner bei der Einsegnung des Ehepaares rezitiert hatte, wurden hier wiederholt, eine Zeremonie, die eine ganze Woche hindurch, aus besonderem Anlaß sogar während des ganzen Honigmonats, beobachtet werden muß. Dieses Trauungsmahl (Chuppewetschere) dehnte sich bis Mitternacht aus, denn die Aufheiterung des Chossen und der Kalle (m'ssameach chosson w'kaloh) gehörte zu den größten Mizwaus, d. h. gottwohlgefälligen Handlungen.
Am nächsten Morgen erschien die mit einer Schere bewaffnete Frau, und auf Befehl meiner Mutter schnitt sie mir das Haar ab. Man ließ mir zum Andenken noch etwas vom Stirnhaar zurück. Aber auch dieses verdeckte die Perücke.
Die Perücke war bereits ein Fortschritt; meine letztverheiratete Schwester hatte nur eine festanliegende Kopfbedeckung aus Stoff und einem haarfarbenen Bande erhalten.
Die Operation war zu Ende. Ich warf einen Blick in den Spiegel und war entsetzt, über mein verwandeltes Äußere. Mein Mann tröstete mich aber liebevoll und versicherte, daß ich ebenso nett wie früher aussehe. So beruhigte ich mich allmählich. In der kunstvoll gearbeiteten Perücke mit einem koketten Häubchen, im hübschen Seidenkleid erschien ich, von Mutter und Schwiegermutter geführt, im Saale. Ich gefiel allgemein in meiner neuen Tracht, und es fiel so manche Bemerkung, die mich erröten ließ. Mein Mann wich nicht von meiner Seite.
Die letzten vier Wochen vor der Hochzeit wurde ich dermaßen behütet, daß ich buchstäblich keinen Schritt allein machen durfte. Ein Aberglaube herrschte sowohl im Volke, wie unter der damaligen jüdischen Intelligenz, daß die bösen Geister in den letzten vier Wochen, die man: kupferne, messingne, silberne und goldene nennt, besonders aber in der letzten, von der Braut Besitz ergreifen und leichten Zugang zu ihr haben könnten, wenn sie allein sei. Aus diesem Grunde wurde eine Braut, sowohl am Tage, wie bei Nacht, bis nach der Chuppe keinen Augenblick allein gelassen. Nach der Chuppe verloren die bösen Geister die Macht. Nun hörte auch meine Angst vor den Geistern, die ich überall auf mich lauern sah, auf, und ich freute mich meiner Freiheit.
Einige Tage vergingen in Lust und Freude. Ich fühlte mich heimisch in den neuen Lebensbedingungen und dachte nicht mehr mit solcher Angst an die Trennung von den Eltern.
Roschhaschonoh war vor der Tür, und meine Eltern wollten fort. Aber die Wengeroffs ließen sie nicht fahren. Sie nahmen die herzliche Einladung an, und wir verlebten gemeinsam die Feiertage. Aber nach den Feiertagen traten sie ihre Rückreise nach Brest an, und wir nahmen Abschied voneinander auf einige Jahre.
Und so kam ich als Gattin eines heißgeliebten, aber mir noch unbekannten Mannes in ein fremdes Land, unter fremde Leute, fremde Sitten und mußte mich in all dem Neuen mit meinen achtzehn Jahren zurechtfinden. So haben die Eltern in jenen Zeiten ihre unvorbereiteten, fast ahnungslosen Kinder verheiratet und, obwohl sie sie zärtlich liebten, hegten sie keinen Zweifel und keine Bedenken. Mit Zuversicht in Gottes Beistand übergaben sie die Kinder ihrem Schicksal. So nahm denn mein geregeltes jüdisches Eheleben seinen Anfang…
Vier Jahre im Hause der Schwiegereltern
Konotop, das von nun an meine zweite Heimat werden sollte, war ein kleines Städtchen von zehntausend Einwohnern. Dem Aussehen nach machte Konotop ganz den Eindruck eines Dorfes.
Die Hauptbevölkerung in Konotop bildeten Christen – Kaufleute, Beamte und Ackerbauer. Die Juden, die hier in einer ganz geringen Zahl lebten, waren hauptsächlich Getreidehändler und Schankwirte. Mein Schwiegervater, der reichste Mann im Orte, war der »Otkupschczik« von Konotop. In jener Zeit übergab die Regierung einem reichen Kaufmann – Russen, Juden oder Griechen – kontraktlich das Monopol auf Branntwein und alkoholische Getränke. Nach diesem Vertrag war der Konzessionär »Otkupschczik« verpflichtet, außer der Kaution, die in liegenden Gütern und Staatspapieren bestand, jeden Monat eine bestimmte Summe in die Staatskasse zu entrichten; blieb die Zahlung einen, höchstens zwei Monate aus, so ging die Kaution verloren, und die Konzession fiel an die Regierung zurück. Jede Stadt hatte einen solchen Konzessionär. Diese Verpachtung war für den Staat sehr einträglich – der Gewinn wurde auf hundert Millionen Rubel jährlich berechnet, eine Summe, die, wie es allgemein hieß, ausschließlich für die Armee verwendet wurde. Aber auch die Konzessionäre hatten, wenn die Geschäfte normal gingen, ihren guten Verdienst dabei. Sie erfreuten sich aller Freiheiten und des Schutzes seitens der Behörden, führten ein vornehmes, reiches Leben, gaben oft große Gesellschaften, bei denen üppig geschmaust und getrunken wurde. Die schönsten Pferde, die elegantesten Equipagen der Stadt gehörten ihnen. Kleinen Selbstherrschern gleich lebten sie in ihrer Umgebung.
Mein Schwiegervater besaß, wie gesagt, eine solche Branntweinkonzession. Den Genuß von Wein und Bier kannten damals nur die oberen Schichten der Gesellschaft. Das Volk trank Schnaps. Freilich verachteten auch die oberen Zehntausend den Schnaps nicht und tranken gern ein Gläschen, um ihren Appetit anzuregen. Der Arbeiter gebrauchte schon größere Dosen, um in den Ruhepausen »seine Kräfte zu stärken«. Den größten Absatz fand aber der Schnaps auf dem Lande bei dem Bauern, der ihn trank, um sich zu betäuben. Die Schänkstube war sein Klub, wohin er stets nach der Arbeit seine Schritte lenkte, wo er seinen »Wodka« trank, bald traurige, bald lustige Lieder dabei singend und oft im Rausche tanzend.
Der verführerische Schnaps war in den Städten viel teurer als auf dem Lande. Daher wurde Schmuggel damit getrieben. Es gab damals eine »Rogatka« (Schlagbaum) vor jeder Stadt. Ein »Straschnik« (Wächter mit einem großen Messingzeichen, dem Embleme der Konzession, auf der Brust und dünnem Eisenstock in der Hand) war der Hüter der Grenze. Mit diesem Stock durchstöberte er jeden Wagen, der an ihm vorbeifuhr, und wehe dem Bauern oder dem Kaufmann, bei dem etwas gefunden wurde. Der Unglückliche wurde ins Verwaltungsbureau geschleppt, der Tatbestand zu Protokoll genommen. Man behandelte den Ertappten dabei wie einen Verbrecher; und er entging nie einer großen Geldstrafe.
Mit solchen glücklichen Zufällen rechneten die Konzessionäre von vornherein. Sie bestritten teilweise die großen Ausgaben für das Personal, für die zahlreichen Aufseher zu Fuß und zu Pferde. Aber trotz der zahlreichen Hüter der Grenze wurde sehr viel geschmuggelt, und ganze Sendungen von 20 bis 30 Fässern auf Umwegen durch Schluchten, durch Wälder in finsteren stürmischen Winternächten in die Städte befördert. Da kam es nicht selten zu erbitterten Kämpfen zwischen den bewaffneten Hütern der Grenze und den ebenfalls bewaffneten Schmugglern. Wie oft gab es bei diesen Zusammenstößen Tote und Verwundete! Die erbeuteten Wagen wurden mit Triumph in das Verwaltungsgebäude gebracht; und nun begann der Prozeß. – Die Angestellten kannten keine Ausnahme – jeder, der durch die Grenze kam, mußte sich einer Revision unterziehen. Und so behelligten sie auch die Pilger, die von allen Enden Rußlands barfuß nach der heiligen Stadt Kiew wallfahrteten, wo die Katakomben der unermeßlich reichen Kirche »Peczerskaia Lawra« die Überreste vieler Heiliger aufbewahren und wo sich das Grab des ersten russischen Herrschers Wladimir des Heiligen, befindet. Das Fläschchen Branntwein, das die Pilger, unter denen sich oft die vornehmsten Frauen und Männer des Landes befanden, zu ihrer Stärkung und zur Einreibung der wunden Füße bei sich trugen, wurde ihnen zumeist unter Schimpfen und Drohen fortgenommen. Nur selten ließ man die Pilger ungestraft ihres heiligen Weges gehen.
Die meisten Juden in Konotop waren Chassidim, eine in ihrem Wesen so vielfach verkannte, in ihren Lehren so oft verleumdete Sekte. Vor etwa hundertfünfzig Jahren ist der Chassidismus in Wolhynien entstanden als Reaktion gegen die vornehmlich in Litauen herrschende, trockene Talmudgelehrsamkeit. Es war gleichsam der Kampf des aufkommenden Mystizismus und der Romantik gegen den kühlen Rationalismus. Nicht in Klügeleien und komplizierten spitzfindigen Auslegungen eines Bibelwortes, nicht in unaufhörlichem Brüten über dem Talmud, nicht in den leblosen Wortgefechten besteht die echte, wahre Frömmigkeit. Mit Herz und Gefühl soll Gott gedient werden. Begeisterung, Inbrunst, Ekstase müssen den Menschen allem Materiellen entrücken und ihn in die geistigen Höhen zu der Sphärenharmonie emporheben. So lehren die Chassidim. Nach ihren späteren Lehren können immer nur wenige – durch absolute Vergeistigung eine höhere Erleuchtung, eine göttliche Inspiration erlangen. Dies ist der Zaddik, der Rebbe, dem unbedingter Glaube und Vertrauen entgegenzubringen ist. Das Leben soll nicht getötet, sondern erhöht und gesteigert werden. Der Gottesdienst muß freudig und jauchzend verrichtet werden, und überall muß Schönheit sein. Die Schönheit des Rebben offenbart sich in allen seinen Bewegungen und reißt seine Anhänger zur Entzückung hin. Und so pilgern die Chassidim bei jeder Gelegenheit zum Rebben, nicht nur um Thora zu lernen und Gebete zu sagen, sondern um in der Frömmigkeit zu leben und seine Schönheit zu genießen. Der Rebbe hat Anteil an Gott. Seine Anhänger wollen Anteil haben an ihm. So greifen sie leidenschaftlich nach den Resten seiner Speisen. So verfolgen sie in Ekstase seine kleinsten Bewegungen, suchen ihn in seinem Tanze zu beobachten und tanzen mit ihm. Tanzend werden Gebete verrichtet, freudig gemeinsame Mahlzeiten eingenommen und zwischen den einzelnen Mahlzeiten Lieder im Chor gesungen, die der Rebbe einleitet. So erzählt ein chassidischer Weiser, Rabbi Leib: »Ich fuhr oft zum Magid (Prediger) von Mezritz, (einem Fleckchen in Polen), nicht etwa um Thoraneuigkeiten zu hören, sondern um zu sehen, wie er seine Strümpfe ab- und anlegt.«
In einem anderen chassidischen Buche wird erzählt: »Nie ist der Großvater aus Spale6 Gott so nahe gekommen, nie hat er sich so innig mit ihm vereinigt, wie während seines Tanzes am Sabbath und Jomtow.« Er besaß dann die natürliche Leichtigkeit und Fröhlichkeit eines vierjährigen Kindes. Wer seinem Tanze zuschaute, dem würden sofort die Gefühle der Buße und Reue wach. Das Herz füllte sich mit Freude, und die Augen wurden tränenvoll. Rabbi Scholem war einst beim »Großvater aus Spale«. Voll Ekstase saß er in einer Zimmerecke, während in einer anderen der »Großvater« saß. Nach dem Essen richtete plötzlich der Großvater an Rabbi Scholem die Frage, ob er tanzen könne. »Nein,« antwortete Rabbi Scholem. »Dann sieh, wie der Großvater tanzt.« Der Großvater erhob sich schnell von seinem Platze und begann einen herrlichen Tanz. Voll Begeisterung stand Rabbi Scholem da: »Seht, seht, wie der Großvater tanzt!« Diese Szene wiederholte sich einige Mal, und Rabbi Scholem sprach zu den Anwesenden: »Glaubt mir, seine Gliedmaßen sind unendlich weihevoll, mit jedem Schritt hebt er sich zur Gottheit empor, vereint sich mit der Gottheit.« Am anderen Tage saß Rabbi Scholem unbeweglich da und betrachtete bewundernd den alten Großvater.
Auch für die Naturschönheiten haben die Chassidim großes Verständnis; und es mutet uns fast pantheistisch an, wenn von Rabbi Nachman aus Bratzlaw erzählt wird, er habe die höchsten Stufen der Göttlichkeit erklommen, weil er in Feldern und Wäldern umherirrte, gemeinsam mit der Natur Lobhymnen an Gott richtete, in tiefen Höhlen Psalmen hersagte und ganz allein in einem kleinen Kahn auf dem großen, weiten See umherfuhr.
Der Rebbe ist die Verkörperung alles seelischen Adels. In ihm ist Gott am reinsten offenbart. Muß es da nicht selbstverständlich sein, daß man das Leben des Rabbi loslöst von allen materiellen Sorgen? Jeder, selbst der ärmste Chossid hält es für seine vornehmste Pflicht, für den Unterhalt des Rebben die sogenannten Pidjonim zu spenden. In diesem Eifer sind sich die mannigfachsten Untergruppen der Chassidim einig.
Es ist ein seltsames Leben, das die Chassidim führen. Sie weihen ihren Körper, denn auch er ist ein Geschenk des Herrn. Nur in höchster Reinheit wollen sie vor ihren Gott treten. Häufige Waschungen, mehrmalige Bäder am Tage, besonders in fließenden Gewässern, ganz gleich, ob es Winter oder Sommer ist, sind gottesdienstliche Handlungen.
Trotz all den frommen Übungen muß doch bemerkt werden, daß die litauischen Chassidim viel nüchterner sind und dem praktischen Leben mehr Verständnis entgegenbringen als die polnischen. Sie sind besonnene Kaufleute, gute Familienväter und treue Ehemänner. Ihre ganze weltentrückte Ekstase findet ihren Ausdruck im Gebete. Vollends in jenen heiligen Stunden, wenn sie einmal im Jahre zum Rosch-Haschonoh-Feste zu ihrem Rebben fahren. In ihrem Rebben ist Seligkeit und die Gewißheit der Zukunft. Da braucht man nur auf das Grab des Zaddiks ein Stück Papier zu legen, das alle Wünsche für das kommende Jahr enthält, und man kann getrost heimgehen. Der Rabbi wird das Schicksal beugen. Tiefe, mystische Vorstellungen beherrschen das Sinnen und Handeln der Chassidim. Und es hieße, die verschlungenen Wege der Kabbala wandeln, wollte man die tieferen Beziehungen ihrer oft seltsamen Bräuche zu erkennen suchen. So entsinne ich mich, daß vor dem furchtbaren Tage der Versöhnung, an dem der Allmächtige über Leben und Tod entscheidet, in den chassidischen ebenso wie in den misnagdischen Häusern große Wachslichte angefertigt werden. Aber der siebenmal gefaltete Docht wird nicht früher in das Wachs gelegt, als bis aus den Fäden die Namen eines jeden lebenden Familienangehörigen, wie jedes toten zusammengelegt worden ist. Zwischen den Lebenden und den Toten ist ja nur ein äußerer Unterschied.
Reicher an Bräuchen, ungleich verinnerlichter ist das Leben der polnischen Chassidim. Hat doch auch heute noch – in diesen aufgeregten Tagen – der Chassidismus gerade in Polen die größte Zahl seiner Anhänger. Dort hat er nur wenig von seiner alten Kraft und seinen alten Formen verloren. In jenen Zeiten, von denen ich hier berichte, war der polnische Chossid ein Wesen, dessen Leben zwischen Himmel und Erde schwebte und in seiner Verklärtheit dem praktischen Alltag entrückt schien. Im Gebet erst reifte sein Menschtum zur Ganzheit und Schönheit aus. So heilig war das Gebet, daß es erst aus der Seele emporsteigen konnte, wenn alle irdischen Gedanken verbannt waren. Lieber gar nicht beten, als ohne Inbrunst beten, war ihr Grundsatz. Sie verschmähten darum die zeitlichen Grenzen, die für das Gebet vorgeschrieben waren, sie harrten der Feierstunden. Und wollte sich die Seele nicht aufschwingen zur Weltvergessenheit, dann mußte ein Gläschen Wein – des Brechers der Sorgen, des Bringers der himmlischen Freuden – nachhelfen. Ihr Auge, aus dem die Flammen des inneren Brandes schlugen, sah die Welt erfüllt mit guten und bösen Geistern. Sie nahmen mannigfache Formen an. So erschien ihnen die Frau als ein Dämon, der die Menschen verführt und in die Niedrigkeit herabzerrt. Lieber einen weiten Umweg machen, als zwischen zwei Frauen hindurchgehen.