Kitabı oku: «Agrarische Religiosität», sayfa 5

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2.4 Soziale Beziehungen, Konkurrenz und Solidarität

Die oft beschriebene typische Streusiedlung im Appenzellischen – etwas weniger ausgeprägt in Obwalden und den übrigen nordalpinen Landschaften – mit ihren arrondierten und eingezäunten «Heimaten» hat einige auswärtige Beobachter zur Vermutung veranlasst, wir hätten es hier mit einer Gesellschaft von ausgeprägten Individualisten zu tun. «Hochburg des Eigenwillens» titelte Fritz René Allemann seinen Beitrag über den Kanton.39 Wollte man aber andererseits in den 1940er- und 50er-Jahren am späten Mittwochmorgen die Hauptgasse des Dorfes Appenzell queren, so kam man kaum über die Strasse und hätte, wie der Volksmund sagte, «auf den Köpfen gehen müssen». So dicht standen die Bauern jeweils dort zusammen. Individualismus und Gemeinsinn schlossen einander also nicht aus.

Die Frage nach der Solidarität wurde von den Interviewpartnern nicht selten etwas ausweichend beantwortet: Wer schon hätte unsolidarisches Verhalten und Konkurrenzdenken, erst recht dauernden Zank und Hader zugeben wollen, sei es auch nur bei anderen Mitmenschen?40 Ein derartiges Verhalten wäre Sünde und direkt gegen das christliche Liebesgebot gewesen. Auf den bestehenden, aber nicht in jedem Fall konfliktträchtigen Gegensatz zwischen der Mittelschicht und den wenigen Grossbauern wurde schon hingewiesen. Zu Konkurrenzdenken konnte vieles Anlass geben: Wer hatte die ansehnlichsten Häuser und Ställe, den grössten Landbesitz, die fettesten Alpen, die schönsten Kühe, die am reichsten geschmückte Sennentracht (im Appenzellischen)? Doch derlei dürfte allgemein verbreitet sein, fand nur in der Bauernschaft des Voralpengebiets seine spezifische Ausprägung. Gelegentlich wurde darauf hingewiesen, die Solidarität sei früher grösser gewesen als heute – eine Feststellung, die für den Kenner der gegenwärtigen agrarischen Welt wohl keines Kommentars bedarf. In der Tat war wie in anderen Gesellschaften die bäuerliche Nachbarschaftshilfe in Problemsituationen (Zeitbedrängnis beim Heuen, Unwetterschäden, Unglücksfälle usw.) früher selbstverständlich – sich abseits haltende Aussenseiter wären da noch mehr an den Pranger gestellt worden. Andererseits gab es natürlich immer wieder Schwierigkeiten beim alltäglichen Zusammenleben. Anlass zu letztlich nicht selten beim Richter endenden Auseinandersetzungen gaben etwa umstrittene Quellen- und Wegrechte.41 Jahrzehntelange Familienfehden wurden in den Gesprächen nicht erwähnt. Sie sind nicht auszuschliessen, waren aber in den Bergen aus nachvollziehbaren Gründen mutmasslich seltener als im Tiefland.

Während der Arbeit gab es im Allgemeinen wenig zwischenmenschliche Begegnungen bei den Bauern, abgesehen etwa von den unmittelbaren Nachbarn und dem Zusammentreffen bei der täglichen Milchablieferung.42 Die wichtigste Kommunikationsmöglichkeit waren der sonntägliche Kirchgang und andere kirchliche Veranstaltungen, worauf noch einzugehen sein wird.43 In Appenzell gab es ausserdem allwöchentlich den eingangs erwähnten Mittwochsmarkt, der wegen seiner Singularität44 etwas näher betrachtet werden soll, vor allem auch, weil hier neben der geschäftlichen und kommunikativen Funktion auch die barocke Komponente der Musse zum Zuge kommt: Der Mittwoch wurde nämlich auch «Bauernsonntag» genannt. Nach Erledigung der morgendlichen Stallarbeit machten sich an diesem Tag die meisten Innerrhoder Bauern zu Fuss, allenfalls mit dem Fahrrad, auf den Weg ins Dorf.45 Sie trugen ein Stoffsäcklein («Reissäckli») mit sich, in welchem sie für den Rückweg ihre Einkäufe verstauten.46 Der Markt war zunächst Viehmarkt – wer also ein Tier zu verkaufen hatte, nahm die vierbeinige Ware mit sich. Man besorgte Einkäufe, in erster Linie Lebensmittel (die ja im Appenzellischen abgesehen von den tierischen kaum selber erzeugt wurden), aber auch etwa Tabak, Eisen- und Lederwaren und dergleichen. Mit den Erlösen aus Verkäufen zahlte man fällige Rechnungen und Bankzinsen bar. Man besorgte amtliche Geschäfte und holte notwendige Informationen (insbesondere die aktuellen Marktpreise) ein. Vor allem aber wurde die Gelegenheit wahrgenommen, Alles und Jedes, mit wem auch immer, zu besprechen. Diese Kommunikation fand im Freien statt – eben in der Hauptgasse (was bedeutete, dass dort mindestens für Autos kaum mehr ein Durchkommen war), auf den Marktplätzen oder aber in den bei dieser Gelegenheit ebenso randvollen Wirtschaften.47 Diese wurden zwingend bei einem grösseren Handel aufgesucht,48 sonst je nach Einkommenslage oder aber auch nach Entfernung von zu Hause. Vermögendere assen dort eine der bekannten Appenzeller Würste und tranken Wein oder Bier, andere begnügten sich mit Suppe oder einem Kaffee mit Gebäck, viele kehrten gar nicht ein. Im Laufe des Nachmittags, nachdem vielleicht noch ein Jass49 geklopft worden war, traten dann die meisten wieder den Heimweg an, um rechtzeitig für die abendliche Stallarbeit bereit zu sein. Vereinzelte, die erst spät, nach ausgiebigem Jassen und durch allzu reichlichen Alkoholgenuss bisweilen eher schwankend ihr Heim erreichten, trafen auf allgemeine Verachtung und auf ein empörtes Eheweib.

Der «Bauernsonntag» hatte kompensatorische Funktion. Der eigentliche Sonntag war ja nie ganz frei, sondern die Besorgung des Stalls beanspruchte genau gleich viel Zeit wie an einem Werktag. Deswegen liess man am Mittwoch die Arbeit draussen etwas ruhen und nahm sich einige Stunden frei, teils für notwendige geschäftliche Dinge, aber auch einfach zum Vergnügen. Weniger wichtige Arbeiten zu Hause konnte man eventuell den Söhnen überlassen. Am Mittwoch wurde nicht geheiratet, und es fand auch kein Alpaufzug oder -abzug statt.50 Eine Ausnahme war die Zeit des Heuens und Emdens; diese Arbeit hatte selbstverständlich Priorität vor dem Markt. Der Mittwochsmarkt in seiner traditionellen Form fand in den 1960er-Jahren sein Ende. Die Forderungen des zunehmenden Autoverkehrs liessen die stundenlange Blockierung der Hauptgasse nicht mehr zu. Die Bauern konnten ihre Einkäufe und Geschäfte anderweitig besorgen, zuletzt zunehmend auch mit dem Auto. Viehhändler und Futterverkäufer kamen auf den Hof, Rechnungs- und Zinszahlungen wurden per Post erledigt und die Marktpreise jeweils im «Volksfreund» publiziert. Dazu hatte auch jeder Bauernhof jetzt ein Telefon.

Eine vergleichbare Einrichtung gab es in Obwalden nicht. Hauptgrund war vermutlich die weniger zentralisierte politische und geschäftliche Struktur. In Appenzell konzentrierte sich alles auf den Hauptort, während man in Obwalden vieles in der Gemeinde erledigen konnte und nur ausnahmsweise nach Sarnen musste. Selbstverständlich gab es hier wie auch in Appenzell und überhaupt in der ganzen ländlichen Schweiz die grösseren saisonalen Jahrmärkte, besonders im Herbst.51 Sie dienten nicht nur dem Viehhandel, sondern boten durch die vielen Stände der wandernden Krämer auch ein grosses Warenangebot, für die Leute selbst wie für ihre bäuerliche Tätigkeit. In der Zwischenzeit kamen Viehhändler und Metzger in Obwalden selbst auf die Höfe, Einkäufe von Lebensmitteln, besonders Brot, konnten Frauen oder Kinder in der Nähe besorgen. Die sozialen Kontakte fanden hier mehr am Sonntag oder unter der Woche bei der Milcheinlieferung, beziehungsweise in den Wirtschaften statt, die besonders bei Schlechtwetter auch an Werktagen besucht wurden.

2.5 Die Einteilung des bäuerlichen Arbeitstages

Die bäuerliche Arbeit im Gebiet der reinen Milchwirtschaft und Viehzucht ist von Ferdinand Fuchs am Beispiel Innerrhodens im Tages- und Jahresablauf in allen Aspekten ausführlich beschrieben worden.52 Seine Feststellungen dürften im Wesentlichen für das ganze schweizerische Voralpengebiet verallgemeinerbar sein, abgesehen von wenig wichtigen Einzelheiten. Die Techniken der Viehbesorgung und Milchgewinnung unterschieden sich ja nicht grundsätzlich. Aus diesem Grund können wir uns hier auf eine summarische Darstellung jener Sachverhalte beschränken, die für die nachfolgenden Fragestellungen wichtig sind. In erster Linie interessiert das Verhältnis zur Zeit.

Eine grundlegende Bemerkung dazu wurde von mehreren Befragten gemacht: Obwohl die Tätigkeit streng und der Arbeitstag lang gewesen sei – eben wegen der praktisch ausschliesslichen Handarbeit –, hätten bei den Landwirten weniger Hetze und Druck als heutzutage geherrscht. Man habe es gemächlicher genommen und auch immer wieder für Pausen gesorgt. Letzteres ist ohne weiteres nachvollziehbar, denn anstrengende körperliche Arbeit rief von Zeit zu Zeit nach einem erholenden Ausgleich. In grösserem Masse ermöglichten diesen die früher noch zahlreicheren Feiertage und die Wallfahrten, auch wenn sie zumeist nicht in die arbeitsreichen Zeiten, sondern gemäss dem agro-liturgischen Kalender gerade umgekehrt in eher flaue fielen.53 Zwar nicht in unseren Untersuchungsgebieten, aber zum Beispiel im Luzernischen oder im Tirol, beendete man an Samstagen die Arbeit, abgesehen von der Tätigkeit im Stall, etwas früher.54 Waren viele Leute auf dem Hof, so liessen sich die verschiedenen Tätigkeiten auch besser verteilen und man konnte sie mit Ausnahme des Heuens geruhsamer angehen. Aber nicht nur sich selber, sondern auch den Tieren liess man mehr Zeit. So waren viele Appenzeller Bauern überzeugt, dass es der Gesundheit der Kühe zuträglich sei, wenn man beim Füttern langsam vorgehe. Sie verabreichten daher das Futter nicht auf einmal, sondern in kleinen Portionen, wodurch auch sie selber immer wieder Pausen hatten. Das ermöglichte ihnen zusätzlich, die Tiere genau zu beobachten und ihre Eigenheiten kennen zu lernen. Die Kuh war für sie noch ein Individuum und nicht einfach eine serienmässige Milchproduktionsmaschine.

Die Stallarbeit musste ausnahmslos jeden Tag erfolgen, auch an Sonn- und Feiertagen, wodurch sich verschiedentlich Kollisionen mit dem Gottesdienstbesuch und der Ausübung der Religion überhaupt ergeben konnten, auf die noch einzugehen sein wird.55 Im Winter beanspruchten die notwendigen Arbeitsgänge wie das Füttern, Tränken, Melken, Putzen der Tiere und des Stalles den allergrössten Teil des Arbeitstages. Er begann in Appenzell meist zwischen 5 und 6 Uhr und dauerte in der Regel bis etwa 10 Uhr morgens. Bauern, die später begannen, sehr langsam vorgingen oder allein eine grössere Zahl Tiere zu versorgen hatten, brauchten selbstverständlich länger, manchmal fast bis zum Mittag. In Obwalden begann man offenbar noch früher, war dann aber oft schon zwischen 8 und 9 Uhr fertig.56 Am Nachmittag fing man mit denselben Tätigkeiten überall zwischen 15.30 und 16 Uhr an, sie dauerten bis maximal 19 oder 20 Uhr. Zusammengenommen kam man damit im Schnitt bereits auf einen Acht- oder Neunstundentag. Im Sommer war die Arbeit um einiges kürzer. Die Kühe suchten ja ihr Futter jetzt selbst frisch auf der Weide, bloss das Rauslassen und Einholen der Tiere brauchte ein wenig Zeit. Im Winter war auch das Tränken umständlicher und bedurfte gelegentlich der Hilfe der Frau oder der Knaben: Es fand beim Brunnen vor dem Hause statt, die Tiere mussten folglich in die Kälte und den Schnee hinaus getrieben werden.57 Auf die speziellen Probleme, insbesondere den zusätzlichen Zeitaufwand, die sich ergaben, wenn die Kühe auf einem Vorsäss oder der Alp waren, ist hier nicht weiter einzugehen. Interessant ist aber ein Detail, das mehrere Befragte in Innerrhoden erwähnten. Am Abend schob man früher vor allem in jenen stark traditionellen Betrieben, welche die Milch noch ganz oder teilweise selber verarbeiteten, zwischen Füttern und Melken oft eine Pause von etwa ein bis anderthalb Stunden ein und melkte manchmal erst gegen 20 Uhr. Wenn man sich in der Zwischenzeit nicht anderen Arbeiten widmete, etwa der Butterherstellung, oder schon das Abendessen einnahm, so vertrieb man sich die Zeit, wenigstens im Winter, zusammen mit Nachbarn mit Jassen.58 Hier wurde also wiederum noch eine gewisse bäuerliche Musse gepflegt. Diese Gemütlichkeit hörte aber auf, als die Milchzentralen, welche nur eine begrenzte Zeit für die Einlieferung vorsahen, sich allgemein durchsetzten.59

2.6 Saisonalität, Arbeitsspitzen und -flauten

Der Anfall der landwirtschaftlichen Arbeit im Verlauf des Jahres war und ist ungleich, das Agrarjahr weist eine ausgesprochene Saisonalität auf. Dies ist noch ausgeprägter in den Ackerbauregionen zu beobachten, gilt im Grundsatz aber auch für unsere Gebiete, abgesehen davon, dass die Stallarbeit, wie vorstehend beschrieben, jeden Tag gleichmässig anfällt. Wie bewältigte man die Arbeitsspitzen zeitlich, was machte man, wenn es saisonal bedingt wenig Beschäftigung gab?

Die einzige ausgesprochene Arbeitsspitze im Grasbaugebiet stellt die Futterernte, das Heuen, dar. Sie fällt fast immer in den Juni. Ihr folgt etwas später eine zweite Ernte im Hochsommer, das Emden. Schliesslich kommt meist noch eine dritte, kleinere im Herbst hinzu. In dieser Jahreszeit, aber auch schon im Sommer, können sich ferner Arbeitsspitzen ergeben, wenn, wie in Obwalden, zusätzlich Obstbau betrieben wird: Die Früchte müssen geerntet, sortiert und in vielfältiger Form weiter verarbeitet und konserviert werden.

Die strenge Zeit des Heuens – für Details der Arbeitsvorgänge kann auf Fuchs verwiesen werden60 – begann mit Frühaufstehen, noch früher als für die Stallarbeit, nämlich in der ersten Morgendämmerung um 4 oder gar schon um 3.30 Uhr. Es war immerhin die Jahreszeit mit den längsten Tagen und daher früh hell. Das Schneiden des Grases war Männerarbeit, nachher gingen sie in den Stall. Für die weiteren Arbeiten der Trocknung (Worben, Wenden, Mahden machen, Heinzen aufschichten usw.), die wegen der nie sicher voraussehbaren Wetterlage möglichst rasch erfolgen musste, wurde die gesamte abkömmliche Familie eingesetzt: Frauen und Kinder, eventuell weitere Verwandte und Bekannte unter den Nichtbauern. Soweit nicht bereits Ferien waren, versäumten Bauernkinder dabei nicht ungern sogar die Schule, ein Verschulden, das damals vermutlich noch der häufigste Konfliktpunkt der Eltern mit den Lehrern war. Die Männer fanden sich nach Erledigung der Stallarbeit sofort wieder auf dem Feld ein. Unter dem hohen Arbeitsdruck versuchte man, bei den übrigen alltäglichen Tätigkeiten etwas Zeit einzusparen. Viele Bauern gingen in dieser Zeit bei der Stallarbeit etwas rascher und flüchtiger als sonst vor. Insbesondere unterliess man gerne das Putzen der Tiere. Auch im Hause liess man den alle Tage anfallenden Schmutz für einmal grösstenteils liegen und beschränkte sich beim Kochen noch mehr als sonst auf einfache Gerichte. Alle übrigen nicht unbedingt notwendigen Hausarbeiten verschob man auf kommende Schlechtwettertage. Selbst die täglichen Gebete wurden teilweise unterlassen und dem beruflich dafür zuständigen Personal, insbesondere Nonnen und Mönchen, zugeschoben. «Man lässt die Kapuziner beten» meinte ein Gewährsmann dazu.61 Auch der Sonntag musste bei ungünstiger Witterung für das Einbringen des Heus – dies wiederum grösstenteils Männerarbeit – herhalten. Auf die dazu notwendige kirchliche Dispens wird später noch eingegangen.62 Im Übrigen holte man an diesem Tag den an den Werktagen zu kurz gekommenen Schlaf nach. Konnte doch das Heuen einen Zwölf- bis Vierzehnstundentag bedeuten!

Zeiten mit wenig Arbeit waren einerseits die monatelange Winterruhe und andererseits die kürzeren relativ ruhigen Perioden in den übrigen drei Jahreszeiten, insbesondere während des Heranwachsens des Grases zwischen dem Düngen im Frühling und dem Heuen im Frühsommer. Irgendetwas gab es immer zu tun, sagten zwar einige Interviewpartner (vermutlich die besonders fleissigen). Im genannten Zeitraum zwischen den absolut notwendigen Tätigkeiten reparierte man insbesondere die Lattenzäune. Man nahm Bodenverbesserungen vor: Unkraut («Blacken») war zu beseitigen, die von den Kühen bei nassem Wetter in den Boden getretenen Löcher zu stopfen, kleinere Rutschungen nach ausgiebigem Regen wieder zu sichern, gegebenenfalls Steine zusammenzulesen.63 Besonders eifrige und sorgfältige Bauern suchten Unebenheiten auf ihren Bodenflächen zu beseitigen, sammelten trockene Kuhfladen zur gezielten Wiederverteilung und nahmen sogar grössere Dränierungen in Angriff. Es gab zwar Klauenschneider im Nebenberuf, viele Bauern besorgten diese regelmässig anfallende Arbeit an den Tieren aber auch selber. Einige kümmerten sich um entferntere Heimweiden oder gingen nach der Schneeschmelze für Ausbesserungs- und Vorarbeiten bereits kurz auf die Hochalpen. Obstbauern mussten sich der Schädlingsbekämpfung widmen.64 Im Herbst schnitt man Riedgras oder sammelte Laub für die Einstreue.

Die Winterruhe war, wie überall, den Arbeiten im Wald gewidmet. Im Appenzellischen begannen sie die Bauern gelegentlich bereits im Herbst, um nicht in der grössten Kälte draussen arbeiten zu müssen, und führten im hohen Winter nur noch die Transporte aus.65 Wenn man keinen eigenen Wald besass, so konnte man in den Korporationsund Staatsforsten Arbeit finden. Besonders für die Transporte zu den Verbrauchsstellen (Sägereien oder Brennholzaufbereitung) arbeitete man oft für andere Waldbesitzer. Etwas weniger Bedeutung als anderswo (besonders in den Inneralpen) hatte der mit Schlitten erfolgende winterliche Transport von Heu aus entfernter gelegenen Stadeln. Einmal wurde erwähnt, dass man darauf geachtet habe, dass die Kälber im Winter geboren wurden, wo man eher für sie Zeit hatte.66 Selbstverständlich konnte man auch im Haus etwas reparieren oder verbessern. Diese Tätigkeit wurde aber kaum erwähnt.67 Von einigen befragten Bauern in Innerrhoden wurde im Gegenteil die Winterruhe betont: Zwischen den beiden fixen Zeiten der Stallarbeit sass man einfach auf dem Sofa oder beim Ofen in der Wohnung, las ausgiebig Zeitung, rauchte die Pfeife, schaute zum Fenster hinaus oder jasste mit anderen. Auch hier kam also wieder die Mussekomponente zum Tragen. Nicht wenige Bauern allerdings suchten einen Nebenverdienst, ja waren darauf angewiesen. Diese Möglichkeiten sind nun im Folgenden zu prüfen.

2.7 Nebenerwerb der Männer und Heimarbeit der Frauen

Abgesehen von den reichen Grossbauern wäre es für die hauptberuflichen Landwirte – und nur von diesen ist hier die Rede – nahegelegen, vor allem in den ruhigeren Zeiten des agrarischen Jahres einen Nebenverdienst zu suchen, um die fast immer ziemlich knappe Bargeldkasse aufzubessern. Dem stellten sich allerdings einige Hindernisse in den Weg. Wie allgemein bekannt und auch von nicht wenigen Interviewpartnern betont, war der Bedarf an ungelernten Arbeitskräften begrenzt; eine berufliche Zusatzausbildung für Bauernsöhne lag aber damals jenseits der Vorstellungen. Einige der zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten waren nur im Sommer möglich, womit sie aber unter Umständen mit der bäuerlichen Arbeit kollidierten. Zu denken ist beispielsweise an die notwendigen Säumerdienste zu den zahlreichen Bergwirtschaften im Alpstein.68 Auch als Handlanger auf dem Bau zu arbeiten war nur in der schönen Jahreszeit möglich. Diese Tätigkeit wurde aber ohnehin als sozial eher diskriminierend empfunden und wenn möglich vermieden;69 auch wurde bis in die 1950er-Jahre hinein allgemein recht wenig neu gebaut. Ziemlich beliebt war bei den Appenzeller Bauern auch noch einige Zeit nach dem Krieg das Torfstechen in den Moosen von Gonten und Eggerstanden; es konnte aber auch nur erfolgen, wenn der Boden nicht gefroren war. Andere mögliche Nebenverdienste fielen für die meisten mangels der dazu nötigen Hilfsmittel aus. Für grössere Transporte – an und für sich eine beliebte Nebenerwerbstätigkeit – brauchte man Pferde, welche aber Kleinbauern nicht besassen.70 Fremdes Vieh aus dem Unterland gegen eine entsprechende Entschädigung auf seiner Alp zu sömmern setzte eine bestimmte Grösse der Alpweiden voraus, die bei kleinen und mittleren Bauern nicht zu erwarten war.

Es gab aber auch mentale Hindernisse gegen Nebenverdiensttätigkeiten, welche offenbar in vielen Fällen den potentiellen materiellen Vorteil überwogen. «Man war nicht mehr ein Bauer, wenn man sonst noch arbeiten ging», so drückte sich ein Innerrhoder unmissverständlich aus.71 Eher schränke man seine Bedürfnisse ein. Auch das Vieh liess man nicht gern länger aus den Augen, es könne ihm ja während der Abwesenheit etwas passieren.72 Einige meinten, man hätte sowieso überhaupt keine Zeit gehabt für andere Arbeit. Dieses Argument war aber, wie wir gesehen haben, mindestens für den Winter etwas vorgeschoben. Welche Möglichkeiten hatte man effektiv in dieser Jahreszeit, ausser der Waldarbeit? In Obwalden nahmen Bauern nicht selten stundenweise einfache nachgelagerte Arbeiten im Holzgewerbe an, zu Hause mit dem Herstellen von Schindeln und anderen einfachen Artikeln aus Holz, dann in Sägereien und Zimmereien, eventuell in den Parkettfabriken und Schreinereien. In Engelberg konnte man Arbeit im Zusammenhang mit dem schon stark entwickelten Wintersport finden, bei Seilbahnen und Skiliften. Die Schneeräumung der Strassen wurde nicht selten von Bauern besorgt – allerdings wurden dazu meistens Pferde gebraucht. Auch sonst nahmen Bauern Arbeiten im Strassenunterhalt an73 – es waren dies zumindest Tätigkeiten an der frischen Luft. Es gab solche, die nebenher als Klauen- und Schweineschneider oder als Störmetzger zu einem Zusatzeinkommen kamen. Einige versuchten ihr Glück im Handel mit Kleinvieh. Kaum verbreitet war, wie männliche Heimarbeit überhaupt, in unserer Untersuchungsgegend das Schnitzen und Herstellen von feineren Holzartikeln (etwa Spielzeug).74 Und insgesamt waren, um es nochmals zu betonen, die Möglichkeiten zu einem Nebenerwerb sehr begrenzt.

Ganz anders verhielt es sich bei der weiblichen Heimarbeit, insbesondere der Handstickerei in Innerrhoden.75 Von den meisten Interviewten, Männern und Frauen, wurde sie als wichtig, ja absolut notwendig für das Familieneinkommen angesehen, nur vereinzelt als blosser Zusatzverdienst gewertet. Der Zwang zum Sticken ergab sich natürlich vor allem bei sehr kleinen Landwirtschaftsbetrieben, bei vielen Kindern oder nicht sehr fähigen Ehemännern. Die Löhne aus der im Allgemeinen schlecht bezahlten Arbeit wurden vor allem für den Kauf jener Lebensmittel verwendet, die man nicht selber produzierte. Die Handstickerei hatte zwar 1945 ihre Blütezeit längst hinter sich. Schon der Ausgang des Ersten Weltkriegs und dann die Weltwirtschaftskrise hatten massive Absatzeinbrüche gebracht, umso mehr als sich auch die Mode änderte. Um 1950 beobachtete man nochmals eine kurze Konjunktur; damals soll es noch 1500 Heimarbeiterinnen gegeben haben, weit mehr als die Hälfte aller Bauernfrauen.76 Nach 1955 folgte indes der endgültige Absturz. Es wurden keine Stickereikurse mehr durchgeführt, die Stickereizentrale, welche die Schutzmarken ausgab, 1970 geschlossen. Die teils ausgefeilten Techniken gingen verloren und Wiederbelebungsversuche jüngeren Datums haben eher folkloristischen Charakter. Teils gab man den ehemaligen Stickerinnen einfachere und noch schlechter bezahlte Arbeiten («Fädelen», Roulieren) für die Herstellung von Taschentüchern77 als Ersatz mit nach Hause.

Das Sticken der Frauen fand in der Stube statt und wurde mit künstlichem Licht mittels spezieller Beleuchterkugeln teils bis spät in die Nacht hinein betrieben.78 Die Töchter lernten das Metier bei der Mutter, ausserdem gab es Kurse mit Prüfungen. Diese Tätigkeit passte gut zur appenzellischen landwirtschaftlichen Ökonomie. Die meist kleinen Betriebe benötigten nicht zwei vollzeitliche Arbeitskräfte. Die Frauen wurden, wie oben erwähnt, in der Regel nur zu Hilfsarbeiten oder beim Heuen beigezogen. Auf gröbere Arbeiten sollten sie ohnehin verzichten, denn sonst wären ihre Hände zur feinen Stickarbeit nicht mehr fähig gewesen. Weil das Sticken Priorität hatte, kultivierten die allermeisten Frauen auch keinen eigenen Garten. Ebenso machte die Kochkunst der Bäuerinnen in Appenzell keine Höhenflüge, es musste rasch und einfach vor sich gehen. Nur die Religion setzte dem Arbeitseifer Grenzen. Messbesuche, Andachten, die brauchtümlichen Gebete (vor allem der Rosenkranz), der ausgedehnte Totenkult und Wallfahrten schufen Freiräume. Und selbstverständlich durfte an Sonn- und Feiertagen nicht gestickt werden.79 An Werktagen aber konnte, alle Tätigkeiten zusammengenommen, auch für die Frauen nicht selten ein Arbeitstag von 12 bis 14 Stunden resultieren. Indessen hatte das Sticken auch eine gesellschaftliche Komponente: Es wurde nämlich vielfach gemeinschaftlich ausgeführt, und man konnte sich dabei unterhalten, gewissermassen das weibliche Gegenstück zu den geschilderten männlichen Mussestunden.

In Obwalden war die Zusatzarbeit der Frauen weniger wichtig, weil sie ja eine grössere Rolle bei der Selbstversorgung mit Lebensmitteln spielten. Eine gewisse Parallele zur Stickerei stellte dort aber das «Hüetlen» dar.80 1892 hatte ein Auswärtiger in Sarnen einen Betrieb zur Herstellung von Strohhüten gegründet. Diese wurden zunächst von Frauen in Heimarbeit angefertigt. Später wurde die Herstellung weitgehend in der Fabrik konzentriert und mechanisiert. Frauen und auch Männer arbeiteten dort im Schichtbetrieb. Nach 1945 ging es auch hier bergab, ebenfalls unter dem Diktat der Mode. 1974 erfolgte die Schliessung des einst wichtigsten Industriebetriebes in Obwalden, der auf dem Höhepunkt in der Zwischenkriegszeit noch rund 600 Personen beschäftigt hatte und auch von den Interviewpartnern bei der Frage nach einem Nebenerwerb immer zuerst genannt wurde. Eine Heimarbeit der Frauen erfolgte sonst nur partiell, vorwiegend im Textilsektor. Im Zweiten Weltkrieg waren es häufig Militäraufträge, die dann nach dem Frieden natürlich wegfielen. Ziemlich verbreitet war die Störschneiderei. In Engelberg strickten Frauen Sportartikel.81 Dort und ebenso in Appenzell gab es für Frauen selbstverständlich auch Arbeitsplätze im Tourismus (Service in Gasthäusern, Arbeit in Hotels). Die Arbeit im Service wurde von der Geistlichkeit wegen der in ihren Augen moralischen Gefährdung kritisch betrachtet.82

Anmerkungen

1 Vgl. 1.3 und die dort erwähnte Literatur.

2 Durchschnittswerte sagen wenig aus, weil die Streuung gross ist und auch das Pachtland mitberücksichtigt werden müsste. Es gab auch Nebenerwerbsbetriebe von weniger als 1 ha.

3 Zur Zauntechnik noch Enq 365; Fuchs, 76f. (mit Abb.).

4 Dazu ausführlich Inauen J., Heimweiden.

5 Schmidli, 43ff. Vgl. zur Alpwirtschaft daneben noch Fuchs, 166ff.

6 Obwaldner Heimatbuch, 303ff.; Müller; Rohrer.

7 Hess. Zum Alpwesen im inneralpinen Raum Mathieu, 234ff. Im Berner Oberland existierten die verschiedenen Typen nebeneinander.

8 Dieser Kult um das Rindvieh war zweifellos in AI ausgeprägter als in OW. Zu den Viehschauen Fuchs M. Zur früher wichtigen Unterscheidung von Sennen und Heubauern, welche nur Vieh hielten, bzw. nur Heu produzierten, vgl. Inauen J., Heimweiden.

9 Allg. Moser/Brodbeck.

10 Dies war schon vor der in den 1960er-Jahren propagierten Politik der «inneren Aufstockung», welche auch anderswo eine massive Zunahme der Schweinebestände mit sich brachte, der Fall. Bereits 1951 überstieg in AI die Anzahl der Schweine diejenige der Rinder leicht, während sie in OW nur etwa die Hälfte betrug.

11 Zu meiner Jugendzeit noch viel erwähnt; zit. auch bei Fuchs, 133.

12 Dies gilt natürlich nur für die hauptberuflichen Landwirte, bei nebenberuflichen ergab sich von selbst eine wesentlich veränderte geschlechtliche Arbeitsteilung. Dasselbe gilt für die südalpinen Regionen durch die dort häufige saisonale Abwesenheit der Männer.

13 Auch die Bauernseelsorger warnten davor, die Frauen körperlich überzubeanspruchen. Wäspi, Bauernseelsorge, 266.

14 AI M. I.; M. W.

15 Weiss, 310.

16 Schmid, 45.

17 Fritzsche, 21f., 23f., 179.

18 Ein Beispiel mit 17 Kindern aus Engelberg bei Furrer, 34ff. Vgl. auch Witzig, 206 und 247.

19 Hersche, 214ff.

20 Vgl. 9.6.

21 AI M. W.

22 Vgl. 3.6.

23 Dies weil die Grundstücke im Talgebiet ja in aller Regel umzäunt waren.

24 Ebel, 149. Die Feststellung z. B. in PB Eggerstanden 1952 und PB Haslen 1956. Vgl. zum Topos Fuchs M., 16.

25 Vgl. 9.4 und 9.5.

26 Laur, 204. Noch etwas höher war der Anteil im Wallis, Tessin und Lugnez, etwas niedriger im Luzerner Hinterland. In den klassischen Korngebieten fiel er auf weniger als 80 %. 1950 betrug der Anteil der familienfremden Arbeitskräfte in AI 9 %. Schmidli, 40. Die statistischen Zahlen geben aber keinen Aufschluss darüber, wie gross dabei der Anteil der Verwandten, also immerhin «familiennaher» Personen, ist.

27 Fuchs, 26. Etwas grösser waren die Unterschiede in Ausserrhoden.

28 Früher auch Sennen.

29 Dabei konnte dies unter Umständen wegen der auszuzahlenden Löhne das gesamte Betriebsergebnis merklich schmälern, sodass unter dem Strich oft gar nicht viel mehr als bei Durchschnittsbetrieben herausschaute.

30 Vgl. 3.6.

31 Gerade diese Funktionen – für die man ja gewählt werden musste – könnten aber dazu geführt haben, dass man den höheren sozialen Rang nicht allzusehr herausstrich, um die Neidgefühle der weniger Glücklichen im Rahmen halten zu können. Ein mir in OW geschildertes Beispiel (M. W.), wo ein reicher Bauer in seinen Wäldern Arbeitende mit Wasser und trockenem Brot abspeiste, sich selber aber an den Speckseiten, die bei ihm reichlich im Kamin hingen, gütlich tat, dürfte vereinzelt sein.

32 Beim Essen konnte man vor allem auf Fleisch verzichten, beim Trinken auf Alkohol und den Wirtschaftsbesuch überhaupt. Bei den Kleidern und Schuhen schonte man die vorhandenen schöneren Stücke, indem man sie nur am Sonntag trug. Die in den Bäuernhäusern üblichen Kachelöfen heizten nur die Stube und eventuell angrenzende Räume mehr oder weniger; die Schlafräume profitierten in aller Regel nicht oder nur wenig von dieser Wärme. Möbel mussten ein Leben lang oder noch länger halten und wurden wie alle anderen Gegenstände meist erst ersetzt, wenn sie gar nicht mehr zu reparieren waren. Ein Fahrrad war kein Luxus, sondern vor allem für Nebenverdienende eine Notwendigkeit, um an den Arbeitsort zu gelangen. Ebenso waren Skier nicht ein unnötiges Sportgerät, sondern für Kinder aus abgelegenen Berghöfen die einzige Möglichkeit, im Winter mit einem vertretbaren Aufwand die Schule im Tal besuchen zu können. Als fast einzige weitere Reisen wurden Wallfahrten unternommen, wobei man bei entfernteren Zielen, besonders Einsiedeln, auch die Bahn nahm. Vgl. 5.5. Nicht als Luxus betrachtet wurde das Rauchen, auch wenn die «Lindauerli», die charakteristischen Deckelpfeifen der Appenzeller, oft kalt im Mund hingen. Ein Abonnement der Lokalzeitung oder ein Radio waren ebenfalls in den meisten Bauernfamilien vorhanden und in gewissem Masse auch notwendig (Wettervorhersage, amtliche Bekanntmachungen, landwirtschaftliche Marktmitteilungen usw.). Am ehesten erstaunt, dass offenbar nicht wenige Bauernhaushalte über ein Grammophon verfügten (vgl. dazu 9.5 zum Tanz).

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