Kitabı oku: «Fritz und Alfred Rotter», sayfa 5

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ZEITEN DER RUHE, ZEITEN DES STURMS

Alles bisher Geschilderte wäre vielleicht, so gesehen, nur ein Blick zurück, eine traumartige Schlaufe der Gedanken, wie sie Fritz Rotter 1932, zurückgelehnt, gleichsam bei angehaltenem Atem, durch den Kopf gegangen sein könnten, während sein kleingewachsener Friseur, das Faktotum Archibald, ihn am späteren Morgen in der Villa in Grunewald – etwa nach einer langen Probenacht mit Fritzi Massary für Eine Frau, die weiß, was sie will – mit scharfem Messer nass rasiert …

Wer Haare schneiden und mit der langen Klinge rasieren kann, versteht sich auf Psychologie, reagiert auf den feinsten Wink. Archibald, der diskret bleibt, weiß mit Sicherheit mehr als die Presse, kennt auch die Gespräche der beiden Brüder untereinander – das „Man würde ja gern, man könnte auch, wenn man nicht müsste, sondern dürfte“ –, je nachdem, in welcher Stimmung Menschen gern oder ungern einen ereignisreichen neuen Tag beginnen.

Wenn hingegen Uraufführungen bevorstehen, geht der Blick in den Rasierspiegel und nicht selten in die eigene Vergangenheit. Und möglicherweise wird der belesene Fritz Rotter bei Archibald dann und wann auch an die Bemerkung eines „Buckligen“ im Roman Modeste Mignon von Honoré de Balzac gedacht haben: „Ach, was Sie für meinen Buckel halten, ist das Futteral meiner Flügel.“80

In solchen stillen Momenten im Haus hält Gertrud Rotter, wie zu vermuten ist, in ihrem Tagebuch die laufende Chronik fest. Nur zwei Einträge sind überhaupt erhalten. Am Sonntag, 24. April 1932, schreibt sie über eine Nachmittagsprobe mit ihrem Mann: „[…] Alfred alles geändert. 5 Uhr zuhause. Tauber mitgegangen. […]. Tauber dabei bis 7 Uhr.“ Und zum Ablauf des Montags, 9. Mai 1932, notiert sie: „Zu Tisch allein. Zum Café Dénes, Barsony, Bernhardy und verschiedene Leute zum Vorsingen. Ab 6 Uhr [18 Uhr] Lessing-Theater Generalprobe, klappte noch gar nicht. Bis [0]3 Uhr geprobt. Zu Hause noch viel geredet bis [0]4 Uhr.“81


Ida Wüst als Hella in Der Lebensschüler am Trianon-Theater, 1917


AKT II


VERLORENE JAHRE – UND DIE VERWEIGERTE THEATERKONZESSION

Die Wohnung haben die Brüder Rotter um die Wende 1917/18 noch immer bei ihrem Vater am Kurfürstendamm 42. Fritz, der Jüngere, der als Regisseur im Rampenlicht steht, zeigt sich von überschäumendem Optimismus. Der Erfolg im Berliner Trianon-Theater ermöglicht ihm nicht nur eine Beteiligung an diesem Bühnenhaus, sondern auch gleich den Abschluss eines Pachtvertrags. Er braucht nur noch die Theaterkonzession, um die er sich offiziell im Polizeipräsidium bewirbt. Im Lebenslauf vom 14. Dezember 1917 schreibt er: „Trotz der großen Skepsis, mit welcher meinem Plan in Theaterkreisen begegnet wurde, ist mir in Gemeinschaft mit Herrn Direktor [Hans] Arnim die Ausführung meines Vorhabens in kurzer Zeit gelungen. Dank meiner persönlichen Beziehungen sind erste Künstler und Autoren für die Bühne gewonnen worden.“ Er selbst „halte dem Theaterunternehmen ein beträchtliches Kapital zur Verfügung, welches aber dank der ausgezeichneten Einnahmen nicht gebraucht wird und nur als Reserve dient“.1

Als erste Schwierigkeiten auftauchen, reicht er am 2. Januar 1918 ein abgeändertes Gesuch ein. Es wirkt schon wie ein verzweifelter Appell: „Ich bitte hiermit ganz ergebenst, mir die Konzession für das Trianon-Theater zu erteilen.“ Sein „Eintritt in das Trianon-Theater“ bilde „den vorläufigen Abschluss meiner fast 10-jährigen Bühnentätigkeit“: „Werke erster Autoren wie: Strindberg, Hermann Bahr, Hans Müller, Eduard Stucken, Henrik Ibsen, Hermann Sudermann und Ludwig Fulda wurden zu diesem Zwecke erworben, Schauspieler von Rang wie: Ida Wüst, Erich Kaiser-Tietz usw. verpflichtet. Meine Bemühungen waren nicht erfolglos. Ludwig Fuldas Lebensschüler verschaffte dem Theater einen großen künstlerischen und wirtschaftlichen Erfolg.“

Zu diesem Zeitpunkt wirkt Fritz längst auch als künstlerischer Direktor. Der Konzessionsinhaber des Trianon-Theaters, Hans Arnim, hat den „Beteiligungsvertrag“ mit ihm schon fast ein Jahr zuvor, am 6. Februar 1917, abgeschlossen. Das Schriftstück ist zwar von einem Rechtsanwalt „beurkundet“, erweist sich aber als „unzulässig“, da Fritz eine eigene Konzession als „Schauspielunternehmer“ noch fehle: Eine „Verfügung“ der Theaterabteilung im Polizeipräsidium schließt für ihn „leitende Befugnisse“ kategorisch aus. Deshalb sieht er sich gezwungen, selbst um eine Konzession „gemäß den Bestimmungen der Reichsgewerbeordnung (§ 32)“ zu „ersuchen“. Er legt kurze Empfehlungsschreiben bei, unter anderem ein undatiertes von Alfred Kerr, das sich offensichtlich auf die Vorkriegszeit bezieht: „Herr Fritz Schaie-Rotter hat als Bühnenleiter und Regisseur wertvolle dramatische Werke der Öffentlichkeit in ausgezeichneter Wiedergabe vermittelt. Von ihm ist an ersten Theater[n] Berlins ernste künstlerische Arbeit geleistet worden.“2 Auch eine Bestätigung des berühmten Altphilologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff fügt Fritz Rotter dem Gesuch hinzu: „Herrn Oberregisseur Sch[aie] Rotter bestätige ich auf seinen Wunsch, dass die Aufführung meiner Übersetzung von Euripides-Hippolytes, die vor einigen Jahren hier großen Beifall fand, gerade nach der Seite der Inszenierung meiner Ansicht nach von großem künstlerischem Verständnis und Geschick zeugte.“3

Die Theaterabteilung des Berliner Polizeipräsidiums zögert die Entscheidung hinaus und fordert – obwohl es sich nur um eine Konzessionsangelegenheit handelt – von Leipzig, Dresden und überallher Akten an und beginnt, Leute über Fritz und Alfred Rotter zu verhören. Rückblickend urteilt der Montag Morgen 1932, dass die „Erfolge“ der Brüder vor allem „einen ärgerten“: den „damalige[n] Chef der Theaterpolizei, Herr[n] von Glasenapp, der ja auch Max Reinhardt die Konzession hatte verweigern wollen, weil der in wilder Ehe mit einer Schauspielerin lebte. Er ließ die Militärverhältnisse der Brüder Rotter in Dresden durchforschen […].“4 Glasenapp schaffte es auch, die Bühnengenossenschaft gegen die Rotters auszuspielen. Die Nachforschungen über das Brüderpaar fasste die Theaterpolizei wie eine Anklage zusammen – und reichte sie am 20. Juni 1918 beim Königlichen Bezirkskommando V in Berlin ein, um doch noch eine Bestrafung der beiden zu erreichen. Und dies, obwohl Fritz und Alfred auch nach Eingeständnis der Theaterpolizei 1916 „durch Gerichtsbeschluss außer Verfolgung gesetzt und aus der Untersuchungshaft entlassen“ worden sind.5 Die Beschuldigungen von Glasenapp gegen Fritz finden sich auch in einem zweiundzwanzigseitigen „Beschluss“ vom Juni 1918 zur Ablehnung seines Gesuchs („Der Antragsteller hat sich als unzuverlässig im Sinne des § 32 der Reichs-Gewerbeverordnung erwiesen“), das aber nie verschickt wurde – weil Fritz Rotter das Gesuch selbst zurückzog.6

Unter der Ägide der Theaterabteilung von Glasenapps wurde plötzlich jede mögliche Instanz – Staatsanwaltschaft, Militärgericht – gegen die „Gebrüder Schaie“ mobilisiert, alles nur, weil sich die Theaterabteilung „mit der Frage der Zuverlässigkeit der beiden Brüder Fritz und Alfred Schaie amtlich zu befassen“ hatte.7

In den Büros des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz verfasst Regierungsrat Klotz als Dezernent von Glasenapps die Berichte: „Das ganze Verhalten des Fritz Schaie ist als ein arglistiges anzusehen und lässt erkennen, dass er die Gesetze nicht achtet […].“ Er habe sich bereits 1917/18 am Trianon-Theater, wo er „Teilhaber“ ist, „unter seinem sogenannten Künstlernamen Rotter als ‚Direktor‘ bezeichnet“.

Der Konzessionsantrag wird abgelehnt. Daran ist auch ein Denunziationsschreiben vom 4. Februar 1918 nicht unschuldig. Hetzerisch fordert der mit „mehrere Schauspieler“ gezeichnete Brief: „Es wäre ein Akt wider die guten Sitten, wenn sich Fritz Schaie durch jüdische Manipulationen in ein gutes Licht setzte, die Behörden täuschte und somit die Konzession doch bekommen würde.“ Die anonymen Bühnenkollegen erreichen beinahe, dass Fritz Rotter im Sommer 1918 noch einmal verhaftet wird, hätte ihn nicht, ganz ohne Simulation, die spanische Grippe mit lebensgefährlicher doppelseitiger Lungen- und Rippenfellentzündung für lange Wochen ans Bett gefesselt – „mit Bewusstseinstrübungen und Herzschwäche“. Erst im August 1918 ist er über den Berg. Sein Arzt verordnet ihm „zur Wiederherstellung seiner Kräfte“ eine „mehrmonatige Sanatoriumsbehandlung in Wiesbaden“. Noch am 11. Oktober 1918 hat „ein Schutzmann“ Fritz Schaie „wegen angeblicher Kontrollentziehung festnehmen“ wollen. Ohne die Novemberrevolution 1918 wäre sein Fall sogar vor die „Ersatzbehörde“ gekommen. So gehören auf ihre Weise auch Fritz und Alfred, obwohl ihnen die Front erspart geblieben ist, zur verlorenen Generation. Abschütteln lässt sich keines der Kriegsjahre.

NOVEMBERREVOLUTION 1918 UND IHR ENDE: EIN GANZ PERSÖNLICHER KAMPF MIT DER THEATERPOLIZEI

Biografien sind nie gänzlich festgelegt: Im Frühsommer 1918, kurz nach dem Scheitern der Bemühungen um eine eigene Spielerlaubnis, verblüffen die Brüder Rotter die Öffentlichkeit mit der Meldung, sie wollen vom Theater weg zum Film. Absichten für Kinovorführungen bekundet Alfred schon 1915 in Dresden. Im Juni 1918 berichtet eine Zeitung, dass sich unter „dem Namen Trianonfilm-Gesellschaft […] ein neuer Filmkonzern gebildet [hat], an dessen Spitze Herr Alfred Schaie-Rotter als Generaldirektor steht. Der Konzern wird eine Filmfabrik, ein Film-Verleih-Institut und den Betrieb mehrerer Kinotheater umfassen.“8

Dieser Ausweg bietet sich geradezu an. Offenbar ist ihr Vater bereit, den künstlerisch und unternehmerisch gleich stark beseelten Söhnen aufs Neue unter die Arme zu greifen. Doch die schwere Erkrankung Fritz Rotters und die Wirren der nachfolgenden Revolutionsmonate verhindern die Umsetzung der Pläne. Darin steckt eine Tragik: Der Film, der in hohem Maße international ist, hätte ihnen nach 1933 eine Zukunft auch außerhalb Deutschlands eröffnet, anders als das Theater.

Der Kaiser dankt ab, die Republik wird ausgerufen. Am 9. November 1918 wird Friedrich Ebert Reichskanzler, am 11. Februar 1919 Reichspräsident. Die Novemberrevolution 1918 ändert den Ton. „Arbeit ist die Religion des Sozialismus“, erklärt Ebert in einer Ansprache am 10. Dezember 1918. Der Schriftsteller Eduard Bernstein von den abgespaltenen Unabhängigen Sozialdemokraten hält an einem Samstag, am 28. Dezember 1918, im Großen Saal der Philharmonie einen Vortrag Was ist Sozialismus?, und die Vossische Zeitung resümiert ihn sogleich in der Sonntagsausgabe: „Man könne das Wesen des Sozialismus am besten mit dem Begriff ‚Solidarität‘ zusammenfassen. Die Hauptforderung der Arbeiterschaft sei die Aufhebung jeder Klassenvorrechte und die Beseitigung der kapitalistischen Monopole zugunsten der Steigerung der Bedürfnisse von Staat und Gemeinde, ein Ziel, welches die Sozialisten aller Länder schon vor dem Kriege angestrebt hätten. Der Krieg habe nun den Weg zu einer organischen Umbildung der alten Verhältnisse geebnet.“

Der Spartakusbund um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fordert ein Rätesystem und schreitet am 30. Dezember 1918 zur Gründung der KPD. Die Deutsche Demokratische Partei demonstriert schon tags davor gegen solche Pläne – „an der Siegessäule“, die noch auf dem Königsplatz vor dem Reichstag steht.9

Unter diesen radikal neuen, verwirrenden Verhältnissen werden Fritz und Alfred Rotter in der Entscheidung zwischen Film und Theater wieder schwankend. Denn die ersehnte Schauspielkonzession scheint Fritz in der günstigen Stunde der Novemberrevolution doch wieder möglich. Sie schicken ihren Anwalt Fritz Grünspach vor den „Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrates Berlin“. Dieser Vollzugsrat beschafft sich in der Theaterabteilung des Polizeipräsidiums Einblick in die Akten und stellt über Fritz Rotter klar: „Ein völlig unbescholtener Mann, der […] die […] für einen Theaterleiter erforderliche Zuverlässigkeit, Sachkenntnis und materielle Grundlage in hohem Maße besitzt, wurde völlig grundlos durch offenbare Rechtsbeugung in der Ausübung seines Berufes gehindert; Spitzelwesen und Denunziantentum trieben dabei ihr bekanntes Spiel. Der vorliegende Einzelfall zeigt das Polizeisystem des gestürzten Regimes von seiner verwerflichsten Seite.“ Unterzeichnet ist diese Stellungnahme vom November 1918 von Oskar Kanehl: Er ist Lyriker der Zeitschrift Die Aktion; dem Vollzugsrat gehört er als Vertreter des Spartakusbundes an; Franz Pfemfert zufolge wird Kanehl dem „Genossen Liebknecht in die Gruft“ nachrufen: „Du lebst. Denn deine Proletarier leben!“ Kanehl ist ein trotzkistisch eingestellter Kommunist.


Ende des Kaiserreichs: Demonstration der SPD, Menschenmenge vor dem Reichstagsgebäude in Berlin, Dezember 1918

Mitten in der Revolution 1918/19 stellt nun Fritz bei der Ministerial-Baukommission auch den Antrag, „ihm das ehemalige Königliche Operntheater (Kroll) am Königsplatz auf mehrere Jahre pachtweise zu überlassen“: „Er beabsichtigt, dort volkstümliche Vorstellungen zu geben und den minderbemittelten Kreisen gute Aufführungen gegen mäßige Preise zu bieten.“ Die Rückkehr zu den Anfängen scheint möglich. Der Berliner Börsen-Courier berichtet, dass die Brüder Rotter „neuerdings auch stark am Residenztheater beteiligt sind“ und planen, „das ehemalige Neue Operntheater (Kroll), auf dessen Bühne sie schon früher heimisch waren, nach den erforderlichen baulichen Wiederherstellungsarbeiten zu übernehmen“.10 Die BZ am Mittag sieht darin ein Wagnis: „Das Theater wieder benutzungsfähig zu machen, würde aber nicht leicht sein, da es im Innern schon vollständig für den Abriss hergerichtet ist.“ Auf diesem Grundstück – heute die Wiese neben dem Kanzleramt – hätte, ohne den Ersten Weltkrieg, „die neue Königliche Oper gebaut werden“ sollen.11

Fritz Rotter begeht den Fehler, ganz auf den Sieg der Revolution zu setzen. Mit der Bescheinigung des Vollzugsrats in der Tasche wagt sich sein Anwalt Grünspach am 26. November 1918 politisch weit nach vorn: Im Gesuch an den neuen Polizeipräsidenten werden die Verantwortlichen der Theaterpolizei, von Glasenapp und sein „Hilfsarbeiter“ Regierungsrat Klotz, schonungslos charakterisiert: Sie hätten „sich wie erbitterte Feinde dem Rechtsuchenden gegenüber benommen, ihn mit Denunziationen verfolgt […], versucht, eine Verhaftung des Gesuchstellers und seines Bruders herbeizuführen“ und „Scheingründe“ angeführt, um Fritz „die Konzession zu verweigern“. „Ein solches Verfahren ist nur in dem gestürzten Obrigkeitsstaate möglich gewesen.“

Im revolutionären Eifer fordert auch Oskar Kanehl, „einen neuen Fachbeamten unserer Gesinnung neben oder besser noch an die Stelle des bisherigen Dezernenten der Theaterabteilung und seines Mitarbeiters Klotz zu setzen, um diesen typischen Vertretern polizeilicher Willkür endlich die so oft von ihnen missbrauchte Macht aus den Händen zu nehmen“.12 Doch der SPD-Mann Eugen Ernst, der im Januar 1919 für gut ein Jahr neuer Polizeipräsident von Berlin wird13, rührt die Theaterabteilung nicht an. Sofort klagt Glasenapps Untergebener, Regierungsrat Klotz, gegen Fritz Rotter wegen „Irreführung“ des Vollzugsrats.

Auch die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger – durch Curt von Glasenapp insgeheim mit Akten über Fritz Rotter beliefert – meldet „Bedenken“ an und spricht Fritz Rotter die „finanzielle und moralische Zuverlässigkeit“ ab.14

Mit dem Ende der Revolution im Januar 1919 schlägt auch in der Theaterpolitik das Pendel voll zurück. Der mächtige alte Gegner Curt von Glasenapp ist wieder unangefochtener Herr der Theaterpolizei und lässt sich selbst mit der untertänigen Anrede „Euer Hochwohlgeboren“ nicht mehr besänftigen: Der „Antrag des Theaterunternehmers Fritz Schaie, Bühnenname Rotter“ um eine Spielerlaubnis wird am 1. Februar 1919 von den neuen alten Leuten in der Theaterabteilung des Polizeipräsidium abermals „wegen Unzuverlässigkeit zurückgewiesen“.

Der Lyriker Oskar Kanehl aber wird danach über lange Jahre Regisseur der Rotters. 1922 veröffentlicht Kanehl im Band Die Schande eine Auswahl seiner nach 1914 entstandenen Dichtung. „Was jubelt ihr und schwenkt bunte Tücher? Und brüllt den Krieg?“, lautet die erste und letzte Zeile des Gedichts Krieg. Auch in mehreren anderen Gedichten werden die Schrecken des Krieges und seine Folgen direkt, aufrüttelnd und berührend in Sprache gefasst:

„[…] Dünne Haut zittert über Skeletten.

Gähnen und Keuchen. Winseln

und schauriges Wiehern.

Und alle sind heiß, wo man sie anfasst;

und riechen abscheulich. […]

Ein Gaul ist krepiert.

Ich werde die Nacht mit ihm schlafen.“

(Wache im Krankenstall)

„Bespannt von grauem Leichentuche ist der Himmel.

Das Land schneeüberweht.

Eiswind peitscht splittriges Glas in unser Fleisch.

Kein Wetter hemmt den Befehl zum Vormarsch.

Und kein Opfer.

Auf gefrorenem Boden hallt unser Schritt hohl,

als gingen wir auf Sargdeckeln riesiger Massengräber. […]

Wegweiser zeigen mit schwarzer Hand

in unbekannte Tode.“

(Vormarsch im Winter)

Die Wochenschrift Die Aktion, für die Kanehl seine Gedichte schreibt, ist radikal gegen den Krieg. Schon drei Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erkennt Herausgeber und Kanehl-Freund Franz Pfemfert den Nationalismus als Ursache von Kriegen: „Solange das Volk patriotisch bleibt, solange es an der sentimentalen Vorliebe für das Land, in dem der Zufall es geboren werden ließ, festhält, solange wird es auch glauben, dass sein Land viel mehr wert sei, als das danebenliegende; dass es ehrend sei, dafür zu sterben – solange wird es unmöglich sein, den internationalen Kriegen ein Ende zu bereiten.“15

SALONKOMÖDIEN – DAS SPIEL GEHT WEITER

Von jetzt an nennen sich Fritz und Alfred nur noch Rotter, nicht mehr Schaie, behalten aber in Oberregierungsrat von Glasenapp ihren unversöhnlichsten Gegner. Möglicherweise gibt diese ernüchternde Begegnung mit der Sphäre der Macht den Ausschlag dafür, dass die beiden Brüder sich fortan nicht mehr politisch äußern.

Aber sie spielen weiter. Nunmehr auch im Residenz-Theater, Blumenstraße 9, am Bahnhof Jannowitzbrücke, östlich vom Alexanderplatz. Am 18. März 1919 inszeniert Alfred Rotter dort Das höhere Leben, eine neue Komödie von Hermann Sudermann in vier Akten. Lola, die Hauptfigur, ist Pianistin; einst hat sie auf die Liebe eines bekannten Geigers verzichtet; nun lebt sie in Ehe mit einem eifersüchtigen Architekten, der glaubt, seine zwei Freunde hätten sich der Angetrauten „mit Liebesanträgen genähert“: „Ihr Männer“, sagt Lola im Schlussdialog, „seid wirklich nur im Plural zu gebrauchen – […] dazu da, die nötige Reibung abzugeben, damit unsere Persönlichkeit sich ihrer bewusst wird. Dann haben sie gelegentlich Blitzableiter zu sein für unsere seelischen – und auch unsere körperlichen Spannungen […]. Wir Weiber sind jahrtausendelang das Spielzeug des Mannes gewesen – sind genommen, betrogen und verlassen worden, wie’s jedem Narren und jedem Taugenichts beliebte. Jetzt haben wir gelernt, Rache an euch zu nehmen, indem wir den Spieß umdrehen. Jetzt nehmen, betrügen und verlassen wir euch – ganz wie’s uns nützlich scheint oder Spaß macht.“ Sudermanns Das höhere Leben steht unübersehbar unter dem Einfluss von Nietzsche und erscheint wie ein in die Komödie gewendeter Ibsen oder Strindberg. Ihrem Mann, der zu tragischen Gefühlen neigt, sagt Lola im zweiten Akt: „Ach, es ist so traurig. Was für Hoffnungen hab ich auf dich gesetzt! Was sollte das für ein Leben werden an deiner Seite! Ein Rausch – ein Empor zu den Gipfeln! … Und nun diese Plattheit des Alltags!“

Fritz bleibt seit der Grippe-Erkrankung als Regisseur zunächst im Hintergrund. Für ein formelles Konzessionsgesuch bemüht er sich im Frühjahr 1919 noch um zwei ärztliche Zeugnisse – wegen der alten Lazarett-Geschichte 1916/17. Das eine Gutachten ist kulturgeschichtlich bedeutsam, da es von Magnus Hirschfeld stammt, „Spezialarzt für nervöse und psychische Leiden, Berlin-Moabit, In den Zelten 191“: „Die vorübergehende Triebstörung, an der Herr Fritz Schaie im März 1916 litt, beruhte auf einer durch die militärischen Verhältnisse bedingten seelischen Depression und war im übrigen in keiner Weise geeignet, eine Person in geistiger oder gar sittlicher Beziehung herabzusetzen. Das damalige Leiden ist jedenfalls jetzt völlig behoben.“16

Der ältere Bruder Alfred leitet unterdessen die Bühnenarbeit. Sowohl im Trianon-wie neu auch im Residenz-Theater ist Direktor Arnim den finanziell beteiligten Rotters weiterhin gewogen. Doch das scheint wenig zu nützen. Einmal mehr greift von Glasenapp zu einem Manöver und droht Direktor Arnim den Entzug seiner Spielkonzession an, wenn es nicht zur „Gründung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zum Zwecke des Theaterbetriebes“ komme. So jedenfalls halten die Rotters den Sachverhalt in ihrer Klageschrift an den Polizeipräsidenten vom 15. April 1919 fest: Glasenapp habe verlangt, dass „wir mit unserem Namen weder in dem Gründungsvertrage noch sonst in die Erscheinung treten“. „Es wurde also von uns ein juristisches Scheinmanöver verlangt“, „mit Ausschluss unseres Namens“, obwohl sie „die Pächter des Theaters seien“. Die Brüder beteuern, ein „behördlicher Eingriff“ sei nicht „erforderlich“, das beweise „der ausgezeichnete Gang derjenigen Theater, an denen wir künstlerisch und wirtschaftlich interessiert sind, nämlich des Trianon-Theaters und des Residenz-Theaters“.

Den Rotters wird später die undurchsichtige Schachtelkonstruktion ihrer Bühnen stets angekreidet – diese ist aber, das zeigen die Akten, „auf Verlangen des Herrn Dezernenten der Theaterabteilung erfolgt“.17 Oberregierungsrat von Glasenapp beruft sich auf andauernde, möglicherweise auch nur vorgeschobene Klagen der Bühnengenossenschaft und droht am 11. April 1919, vier Tage vor der Einreichung der Klageschrift durch die Rotters, bereits mit der zwangsweisen Schließung des Trianon-Theaters.

Der SPD-Polizeipräsident unterschreibt daraufhin nicht nur brav, dass die Bühne zum 28. April 1919 den Betrieb einzustellen habe, sondern verfügt auch: „Das Polizeirevier ist angewiesen, von diesem Datum an den Verkauf von Theaterbilletts und den Besuch des Theaters durch das Publikum zu verhindern.“ Ein beispielloser Akt für die Theaterstadt Berlin – nur wenige Wochen nach dem Ende der Revolution. Von Glasenapp hat dem Polizeipräsidenten erfolgreich eingeflüstert, dies geschehe „mit Rücksicht auf das Gemeinwohl, welches die Duldung eines ungesetzlichen Zustandes unzulässig erscheinen lässt“, deshalb werde „die Verfügung […] auch dann zur Ausführung gebracht“18, falls sie von den Rotters angefochten werde – und von Glasenapp bekommt auch für diesen Passus die Unterschrift des Polizeipräsidenten. Da aber meldet sich das von Arbeitslosigkeit bedrohte Ensemble zu Wort. In einem überraschenden Umschwung wird dem Trianon-Ensemble eine „Notkonzession“ für einen „von ihm präsentierten Vertrauensmann“ erteilt. Und das Ensemble wählt „als Vertrauensmann des Personals“ – Alfred Rotter.

Der jüngere Fritz verschwindet in dieser Zeit von der Bildfläche, Alfred nimmt nach außen den Platz des anscheinend nicht mehr durchsetzbaren jüngeren Bruders ein. Beide aber wissen, dass die Zukunft noch vor ihnen liegt – und sie denken in weiten Zeiträumen: Im Juni 1919, eigentlich auf dem Tiefpunkt, schließen sie für das Jahr 1924 einen Pachtvertrag mit dem Besitzer des Lessing-Theaters, Victor Freiherr von Hartogensis. Bis dahin hat dort Direktor Victor Barnowsky „Hausrecht“.19 Diese Nachricht erreicht sogar das ferne Wien: „1924 ziehen Rotters ins Lessing-Theater ein – der Kreis ihrer Karriere schließt sich dort, wo er 1908 begonnen hat.“20

Alfred Rotter führt am 1. Oktober 1919 im Trianon-Theater das Stück Maskerade von Ludwig Fulda auf. 1904 als „Schauspiel“ entstanden, wird es nun als Komödie gegeben – mit Käthe Dorsch, die „von der Operette zum Schauspiel übergesprungen ist“. „Man erhält viel zu lachen und einiges zu weinen. Tränen der Rührung wechseln mit Schmunzeln und Ausbrüchen der Heiterkeit […].“21 Käthe Dorsch wird von den Rotters als Schauspielerin entdeckt und mit dieser Aufführung groß gemacht. „Unverändert gesellschaftskritisch“ sei der Titel des Stücks, „der die Heuchelei“ meine – „in sexuellen Dingen“, fügt die BZ am Mittag in Klammern hinzu.22

Mit einer Unterschriftensammlung vom 27. Oktober 1919 erzwingt das Ensemble des Trianon-Theaters die Umwandlung der Notkonzession Alfred Rotters in eine dauerhafte Spielerlaubnis. Auch Käthe Dorsch und Oskar Kanehl unterzeichnen. Der Deutsche Bühnen-Verein unter dem geschäftsführenden Direktor Baron zu Putlitz stimmt drei Tage später der Erteilung einer „Vollkonzession“ zu. Die Bühnengewerkschaft, die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger unter Gustav Rickelt, unterschreibt ebenfalls. Rickelt gilt als sozialdemokratisch, hat aber unter dem Einfluss des Sperrfeuers von Glasenapps bislang gegen die Rotters Stellung bezogen. Nun die Kehrtwende: „[…] seit ca. 6 Monaten ist Nachteiliges über die Geschäftsführung des Alfred Rotter nicht bekannt geworden“, bescheinigen die Präsidenten beider Bühnen-Organisationen.

Mit neuer Zuversicht sichern sich Alfred und der in den Hintergrund getretene Fritz im November 1919 bei Frau Baronin Tilly von Hartogensis, der Witwe des inzwischen verstorbenen Lessing-Theater-Besitzers, sogar ein Vorkaufsrecht auf dieses ins Auge gefasste Prestigeobjekt. Ihre Zeit, das spüren sie, hat eben erst begonnen.

Wie sehr jeder der beiden als Person ein eigenes Profil entwickelt und sie beide sich doch als Bruderpaar ergänzen, hat der ehemalige Direktor des Deutschen Schauspielhauses, Alfred Lantz, gegenüber der Theaterabteilung im März 1918 so umschrieben: Er könne „nicht sagen, dass einer der beiden Brüder stark unter dem Einfluss des anderen gestanden hätte“.

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