Kitabı oku: «Fritz und Alfred Rotter», sayfa 8

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Der Regisseur Kanehl wird dafür getadelt, lediglich „das alles in eine schrecklich feines, echt gräfliches Milieu mit goldenen Möbeln“ gesetzt zu haben.116 Es gibt aber auch Stimmen, die „dieses Drama aus der deutschkonservativen Reichstagsfraktion“ von Hermann Sudermann verteidigen, da „niemand mehr in gleichem Grade Spannendes geschrieben hat, Effektvolles, Pointiertes.“117 Herbert Jhering spricht jedoch vom „Museumsstil“:

„Soll man gegen Sudermann schreiben? Die Sprache hat sich auf andere Erlebnisse eingestellt […]. Vorbei, vorbei. Man hört eine Sprache, man sieht Dinge, die in der Ferne der Zeit versinken. Man sieht Zuschauer, die dem Gespenst ihrer selbst applaudieren. Und hat nur die Hoffnung für die Berliner Theater, dass, selbst wenn sie alle den Rotters überliefert werden sollten, es gar nicht so viele Schauspieler gibt, die in diesem Museumsstil spielen können, dass dann die Zeit gekommen sein wird, wo die Rotters zwar die Bühnenhäuser besitzen, die besten Schauspieler und jungen Dramatiker aber längst in Vorstadtsälen und Bötzowbrauereien ihre Kunst machen.“118

Wenig später führt derselbe Kanehl am 27. Februar 1923 im Residenz-Theater die aus der Vorkriegszeit stammende ernste Komödie Professor Bernardi (1912) Arthur Schnitzlers auf. Die BZ am Mittag erkennt die Aktualität: „Das Jahrzehnt hat genügt, dieses Drama historisch werden zu lassen. […] Und doch: diese Komödie ist noch immer lebendig.“119 Und Alfred Kerr befindet sogar: „Es wird noch immer nicht ganz schlecht Komödie bei uns gespielt.“120 Vier Wochen später inszeniert Kanehl Die Wildente von Henrik Ibsen.121 „Mit dem launig untermalten Resignationsstück gegen die Lebenslüge“ werde „der Rotter’sche Ibsen-Zyklus fortgesetzt“, kommentiert Emil Faktor im Börsen-Courier.122 Der Vielarbeiter Kanehl ist für Fritz und Alfred Rotter unersetzlich geworden.

Als Ende August 1923 die nächste Spielzeit beginnt, scheint „eine politische Explosion bevorzustehen“123. Zwar erklärt die Regierung, die das Inflationsdesaster so lange ignoriert hat, am 12. August 1923 ihren Rücktritt, und Gustav Stresemann wird am folgenden Tag neuer Reichskanzler. Doch das Ende des Währungsspuks kommt erst am 15. November 1923 durch die Einführung der Rentenmark.

Vorher müssen die Kassiererinnen der Rotters gleich frühmorgens, mit Koffern voller Geld, zur Bank eilen, um die Abendeinnahmen rasch in Aktien oder Goldanleihen zu wechseln, ehe die dicken Bündel von Geldscheinen am Mittag bei Ausrufung der neuen Kurse schon wieder an Wert verlieren. Im August 1923 kostet eine Theaterkarte noch Hunderttausende, bald schon Millionen und im November 1923 Milliarden – für die besten Plätze wird vermutlich eine Billion gezahlt, wenn die Vossische Zeitung zuletzt, bei Drucklegung Stunden vor dem Währungsschnitt, schon 50 Milliarden gekostet hat.124

Es ist eine fiebrige Zeit in jeder Hinsicht. Nichts ist, im Abstand betrachtet, so typisch für diese frühen Zwanzigerjahre wie die Rotter-Produktionen. Noch bevor der Tonfilm Ähnliches wagt, ist auf den Bühnen der Rotters alles schon zu sehen – in Farbe. Dem Publikum gefällt es, ein Teil der Presse giftet, doch insgesamt werden die Kritiken besser.

Die Nerven blank aber legt schließlich Joujou, ein Stück von Max Kempner-Hochstaedt und Franz Cornelius, mit Erika Gläßner als Hauptdarstellerin. Regie führt wieder einmal Oskar Kanehl, Premiere ist am 17. Oktober 1923 im Trianon-Theater. „Zweideutigkeiten werden als überflüssig vermieden. Missverständnisse sind ausgeschlossen“125, heißt es in einer Zeitung, und Alfred Kerr dichtet: „Kanehls Regie […] tut, was man bei den Rotters soll […] ‚O’ krabble nicht da vorn!‘ […] So sieht der Mensch im Zeitenstrom / ein liebliches Kultursymptom.“126 In der Vossischen Zeitung erinnert man daran, dass „Rotters Regisseur“ Oskar Kanehl „immer noch Verfasser kommunistischer Streitgesänge für das kämpfende Proletariat“ sei. Lissi, die Kokotte, werde von Erika Gläßner gespielt, die „ihren Text im Tonfall jener freundlichen Puppen“ spreche, „die Papa und Mama sagen, wenn man auf ihren Bauch drückt. […] Deutsche Schwankmacher, spielt meinetwegen mit Tod und Teufel Kegel, seid frivol, seid toll und trunken! Aber wenn euch nichts einfällt als die zotige Eindeutigkeit, als Späße ohne Laune und ohne Witz, dann ist’s an der Zeit, mit den Kohlen des Trianontheaters die Heimstätten verarmter Kulturmenschen zu heizen.“127 Die BZ am Mittag spottet: „Die Gläßner […] liegt […] im Bett unter dem Baldachin. Als Scheintote. […] Ein paar Momente, wo sie noch ein bisschen drollig ist. Wenn sie huschelt und nuschelt mit ihrem flinken Berliner Sprechapparat. Doch ach, das graziöse Püppchen ist eine deftige Puppe geworden. Adieu, Rokoko-Nippesfigur!“128 Die Berliner Morgenpost sieht es ähnlich: „Dieser Schlussakt hat Situationswitz und versöhnt ein wenig mit den plumpen Eindeutigkeiten wie mit den […] gehäuften Albernheiten. […] Wenn die trauernden Hinterbliebenen die ‚Leiche‘ aus dem Bett schleppen, um Wiederbelebungsversuche mit ihr anzustellen, das ist von grotesker Komik […].“129


Inflation: Nach Einführung der Rentenmark spielen Kinder mit den wertlos gewordenen Bergen von Papiergeld, 1923

Die rechtsnationale Presse läuft beinahe Amok. Die Zeitung Der Deutsche schreibt: „Der äußere Erfolg – ein gewisses Publikum wieherte bei jeder Zote und kam infolgedessen aus dem Wiehern den ganzen Abend nicht heraus – soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dieser Joujou Rotters ihrem Ruf als Leiter literarischer Bühnen den Todesstoß versetzt haben. Und der letzte Akt, der besagte Joujou als witzelnde ‚Leiche‘ zeigt, mit Kränzen, Bratenröcken und Trauerfloren arbeitet, ist mit seiner Verhöhnung alles dessen, was empfindsame Menschen an einem Totenbett schon erlebt haben, geradezu ein öffentlicher Skandal!“130 Die Zeitung Germania, geht noch weiter: Das Stück sei „von Anfang bis Ende eine widrige Cochonnerie, oder besser auf deutsch eine große Schweinerei“: „Wie weit die Geschmacksverirrung geht, mag der letzte Akt dartun, in dem eine Kokotte eine Leiche im Bett mimt und Wiederbelebungsversuche mit sich anstellen lässt. […] Die Kunst ist hier bordellisiert, das Theater zum Amüsierbetrieb geworden. In einer Zeit, wo Tausende von Volksgenossen nicht wissen, woher sie die Kohlen und Brot nehmen, findet sich im Bogen an der Friedrichstraße ein Publikum ein, das durch Meckern und Wiehern seine pöbelhafte Lust an diesen Pfeffrigkeiten zu erkennen gibt. […] Kann gegen diese ganz zweifellose Bordellkunst nicht einmal gemeinsam Attacke geritten werden? Soll wirklich nichts geschehen? Im Interesse deutscher Kultur und deutscher Kunst müssen diese Darbietungen auf irgendeine Weise unmöglich gemacht werden.“131

Drei Wochen später, zwei Tage vor dem Hitler-Putsch in München, wird am 6. November 1923 bei den Rotters Eine galante Nacht von Hans Bachwitz132 aufgeführt – Kanehl inszeniert. Ein Attentäter, der auf einen russischen Minister geschossen hat und verhaftet werden soll, entführt als falscher Onkel die Tochter des Ministers. Doch „die Sensationslust einer sorglich Behüteten findet Geschmack an dem Abenteuer. Die Zurückhaltung des Gentleman-Anarchisten, die ihr unerlässliche Bedingung schien, wird ihr zur Qual. Am Morgen des dritten Aktes ist sie beleidigt […], weil er die ganze Nacht hindurch auf- und abgegangen ist. Und als die große Liebe gerade zum Durchbruch kommt, da fällt nebenan ein Schuss. Die Tür wird aufgerissen. Ein Schupo will verhaften.“133 In der ausführlichen Besprechung bezeichnet das Berliner Tageblatt die männliche Hauptfigur als Nihilisten. Doch er erweise sich als „nur scheinbar dämonisch“, „ein Oberlehrer mit Hemmungen“: „Er will flüchten, nicht lieben.“134

Das hört sich an wie ein guter Film – und in der Tat bringt der Film später unbekümmert das, was schon die Rotters auf der Bühne gemacht haben. In der Theatergeschichtsschreibung jedoch fallen die Rotters durch. Wie viel Ernst Lubitsch und Billy Wilder in ihnen ist, wie stark sie vom Herrnfeld-Theater geprägt sind, wird einfach übersehen. Lissi oder Joujou auf Zelluloid wären mittlerweile Kult.

„FILIGRAN AUS LUFT, LUST, LÄCHELN“

Übelwollende Zeitgenossen, allen voran ihr nationalsozialistisch gesinnter, mit Gertrud Rotter verschwägerter Verwaltungsdirektor Ludwig Apel, werden ihnen später nachsagen: „Sie kauften noch während der Inflation das Zentraltheater für ein Ei und ein Butterbrot sowie später das Lessing-Theater für billiges Geld […].“135 Apel, der das 1933 niederschreibt, hätte klarstellen müssen, dass inzwischen dafür noch „Aufwertungsbeträge“ fällig wurden.

Als bekannt wird, dass die Rotters das damalige Zentraltheater an der Alten Jakobstraße 30-32 in Berlin-Kreuzberg, das heute nicht mehr existiert, im Dezember 1922 erworben haben, entringt dies Siegfried Jacobsohn in der Weltbühne den verzweifelten Ausruf: „Das Zentraltheater ist pleite und wird eine Nummer des Konzerns Rotter, dem in anderthalb Jahren halb Berlin gehören wird.“136 Der Eintrag im Grundbuch erfolgt im November 1923 unter dem Namen Deutsche Schauspiel Betriebs AG, die ihnen gehört. Seit 1. September 1922 halten Fritz und Alfred bzw. ihre AG dieses Zentraltheater bereits in Pacht. Es hat 1000 Plätze.

Direktor in Unterpacht ist in jener Spielzeit der avantgardistische Theatermann Erwin Piscator. Ob Oskar Kanehl vermittelt hat? Piscator inszeniert dort Die Kleinbürger von Maxim Gorki137, von Romain Rolland Die Zeit wird kommen138 und von Tolstoi Die Macht der Finsternis139. Mit Wirkung vom 1. September 1923 wird Erwin Piscator im Deutschen Bühnen-Jahrbuch 1924 als einer der Direktoren der Rotterbühnen genannt, mit Sitz im Vorstand, zusammen mit Georg Altmann als vormaliger alleiniger Direktor des Kleinen Theaters. Piscator tritt aber von da an nicht mehr als Regisseur in Erscheinung, und als die Brüder Rotter im April 1924 das Zentraltheater weiterverpachten, weil ihnen die Spielerlaubnis verweigert wird, wechselt Piscator im Mai 1924 zur Volksbühne, ehe er zwischen 1927 und 1929 seine eigene Bühne im Theater am Nollendorfplatz bekommt.

Dennoch beobachtet Erwin Piscator in der kurzen Zeit die Rotters genau – auch bei den Proben – und stößt offenbar auf eines ihrer Geheimnisse. In einem Gespräch 1959 (mit Gerd Semmer) betont er: „Zu einer Aufführung gehört eine Stimmung, und diese Stimmung ist ein Filigran, aus Luft, Lust, Lächeln gebaut. […] Die Rotters lachten schon, bevor der Komiker, der natürlich teuer bezahlt war, überhaupt nur den Mund öffnete. Aber sie wussten warum, sie waren Theaterleute.“140 Als solche erkennt Piscator sie auch an, während sie für die meisten anderen Linksintellektuellen in der Weimarer Republik die Personifikation des sogenannten Geschäftstheaters bleiben.

Piscator kämpft für ein anderes Theater – und aus diesem Blickwinkel kommt auch seine Kritik an den Rotters. Er fordert auf der Bühne „statt des Privaten das Allgemeine, statt des Besonderen das Typische, statt des Zufälligen das Kausale […], statt des Dekorativen das Konstruktive, Bauende, statt des allein Emotionellen, Gefühlsmäßigen das Rationelle, Vernunftgemäße, statt des Sensuellen das Pädagogische und anstelle des Phantastischen die Wirklichkeit, das Dokument“.

Aber Piscator verleugnet die Rotters nie, verweigert ihnen als Theaterleuten nicht den Respekt – und erinnert an sie als einer der wenigen nach dem Zweiten Weltkrieg. In einem Gespräch im Nationaltheater Mannheim 1954 urteilt er: „Es gibt zwei Formen des Theaters: das moralisch-fordernde und das der Unterhaltung. Beide sind berechtigt […].“ Und ergänzt, die deutschen Theater der letzten Jahre gäben „offener zu, für Unterhaltung zu sein, als in den Zwanzigerjahren selbst die Rotters zuzugestehen bereit gewesen wären“.141

1923 stirbt ihr Vater. Mit dem Erbe, das sie mit den Schwestern Lucie und Ella teilen, können Fritz und Alfred das Lessing-Theater kaufen – ein lange gehegter Wunsch, obwohl sie noch gar nicht darin spielen dürfen. 1887/88 erbaut, wird es später, 1945, im Luftkrieg zerstört werden: ein freistehendes Gebäude am damaligen Friedrich-Karl-Ufer 1 (heute Kapelle-Ufer, direkt bei der Kronprinzenbrücke über die Spree). Es bietet 1140 Personen Platz.

Bereits im Juni 1919 haben die Brüder die Weichen dafür gestellt, spätestens ab 1924 die Zukunft dieses Theaters bestimmen zu können. Direktor und Regisseur Victor Barnowsky, der seit 1913 im Haus gewirkt und auf unbestritten hohem Niveau Theaterkunst betrieben hat, hat zwar noch einen gültigen Pachtvertrag, verfügt aber nicht über genügend eigene Mittel, um den Bühnenbetrieb weiterzuführen.

Der formelle Vertragsabschluss erfolgt am 24. März 1923. Der Dollarkurs an diesem Tag beträgt 21 000 Papiermark, und zur inflationsbedingten hohen Kaufsumme von 150 Millionen Mark kommt ab Januar 1925 noch eine „lebenslängliche Leibrente“ an die Baronin von jährlich 18 000 Reichsmark hinzu. Außerdem müssen die Rotters alle auf dem Haus liegenden Hypotheken übernehmen.

Das Lessing-Theater ist ein Privattheater ohne jede öffentliche Unterstützung. In der Theaterlandschaft der Hauptstadt nimmt es seit der Direktion von Otto Brahm hinter den staatlichen Häusern und den Reinhardt-Bühnen vielleicht den wichtigsten Platz ein.

Expansion verläuft bei Fritz und Alfred bis dahin immer über die Integration jener Person, die das betreffende Theater als Regisseur bzw. Direktor geprägt hat. Das ist ihr Erfolgsprinzip: 1919 bei Eugen Robert im Residenz-Theater, 1920 beim Kleinen Theater Unter den Linden mit Georg Altmann, später ab 1927/28 am Metropol an der Behrenstraße mit Fritz Friedmann-Frederich. Damit beweisen sie eine glückliche Hand. Von diesem Rezept weichen sie nun 1924 beim Lessing-Theater ein erstes und einziges Mal ab – zu ihrem Schaden.


Theaterdirektor Victor Barnowsky (links) und Valérie von Martens mit Ehemann Curt Goetz (3.v.l.) in Karlsbad, 1924

Mit Victor Barnowsky finden sie nicht zusammen, was zweifellos eine der Ursachen für die nachfolgende Kampagne gegen sie ist, obwohl sie ihrem Direktorenkollegen und -Rivalen entsprechende Angebote unterbreitet haben. Nach Bekanntwerden des formellen Verkaufsakts im Frühling 1923, als die einsetzende Hyperinflation ohnehin alles verkompliziert, kündigt Barnowsky sogar an, das Haus schon ein Jahr früher zu verlassen, im Sommer, „mit Ablauf dieser Spielzeit“, worüber die Vossische Zeitung berichtet: „In den letzten Tagen hat ein Gerücht festere Form angenommen, dass Direktor Barnowsky beabsichtige, in den Rotter-Konzern, der ja das Lessing-Theater im Sommer übernimmt, einzutreten. Wie wir hierzu erfahren, hätte Barnowsky allerdings gern die künstlerische Leitung des Lessing-Theaters in seinen Händen behalten, und er hat mit den Gebrüdern Rotter Verhandlungen wegen einer Pachtung des Lessing-Theaters geführt. Aber die Bedingungen, die die neuen Herren des Lessing-Theaters an Barnowsky stellten, waren derart, dass er sie nicht annehmen konnte. Die Verhandlungen sind infolgedessen ergebnislos abgebrochen worden.“142

Victor Barnowsky ist vermutlich den Rotters zu ähnlich, auch er macht Geschäftstheater ohne staatliche Subventionen, auch er betreibt mehr als ein Haus: neben dem Lessing-Theater „für literarische Stücke“143 seit Anfang 1915 noch das Deutsche Künstlertheater, wo er wie die Rotters ebenfalls „in erster Linie“ Lustspiele geben lässt. Mit Max Reinhardt und Eugen Robert hat er einst die Theaterkarten-Vertriebsorganisation Reibaro gegründet, aber zum finanziell ganz großen Erfolg reicht es nie. Barnowsky – ein paar Jahre älter als die Rotters – hat sich anders als sie in den Kriegsjahren nicht verstecken müssen, sondern regulär am Kleinen Theater (das nun Fritz und Alfred betreiben) inszenieren und Erfahrungen sammeln dürfen. Jüdisch ist auch er, was aber in dem Streit keine Rolle spielt. Er verzichtet danach auf die Fortsetzung seiner Tätigkeit am Deutschen Künstlertheater und übernimmt 1925 das Theater an der Königgrätzer Straße, das 1930 in Theater an der Stresemannstraße umbenannt wird, das gegenwärtige Hebbel am Ufer. Er emigriert 1933. Ab 1937 lebt und arbeitet Barnowsky in den USA, 1952 stirbt er in New York City.

Eine Frage bleibt: Haben die viel beschworenen Inflationsgewinne Fritz und Alfred als Theaterunternehmer reich gemacht oder macht das abrupte Ende der Inflation sie als reiche Erben arm, so dass ihnen nur noch die Theater bleiben? Nach langen Prozessen mit rechtskräftigem Urteil vom Januar 1931 bekommen die Rotters, als sie schon selbst tief in den roten Zahlen stecken, für das Lessing-Theater einen sogenannten „Aufwertungsbetrag“ von 270 000 Reichsmark aufgehalst, müssen diese Schuld verzinsen, womit sie dann aber – wie mit fast allem sonst schon – 1931/32 sofort in Rückstand geraten.

Im September 1923, als die Hyperinflation immer neue Rekorde bricht, führen die Rotters im Zentraltheater an der Alten Jakobstraße ihre erste Operette auf: Die Polnische Wirtschaft (1910) von Jean Gilbert – eine Posse mit vielen Missverständnissen und einem Geschlechterwechsel. Spüren sie schon, dass sie erst in der Operette zu ihrem ganz eigenen, wirkungsvollen Bühnenstil finden werden und Operette am besten können?

Eine Fortsetzung des Versuchs bleibt ihnen untersagt. „Im Zentraltheater wird seit mehreren Monaten ohne Konzession Theater gespielt“, erklärt der Polizeipräsident drohend Alfred Rotter am 8. Dezember 1923; er habe „aus Rücksicht auf die schwierige Lage im Theaterwesen diesen Zustand einstweilen geduldet“, sehe sich aber „genötigt“, ihm, Direktor Rotter, „mitzuteilen, dass ich nach dem Dezember des Jahres öffentliche Aufführungen im Zentraltheater nicht mehr dulden werde“ – wenn bis dahin keine Konzession vorliege.144

Zuversichtlich, diese Konzession zu erhalten, schließen Fritz und Alfred schon am 25. Dezember 1923 erste unbefristete Verträge mit Schauspielern ab – für die geplante nächste Operette Der fidele Bauer (1907) des Komponisten Leo Fall und „für alle darauffolgenden Operetten“. Doch die Konzession am Zentraltheater wird ihnen verwehrt.

„REKLAME MACHT NICHT DEN ERFOLG“

1924, als sie inzwischen bewiesen zu haben glauben, etwas vom Fach zu verstehen, stellen sie bei der Theaterabteilung des Polizeipräsidiums das Gesuch, Alfred Rotters Spielerlaubnis – die Theaterkonzession – vom Residenz- auf das im Jahr zuvor von ihnen gekaufte Lessing-Theater zu übertragen. Eine Formalität?

Nein, wie schon beim Konzessionsgesuch 1917/18 kommt es zu einer regelrechten Empörungswelle gegen sie als Theaterdirektoren. Die Kampagne gegen die Rotters nimmt ihren Ausgangspunkt im Barnowsky-Lager. Einer der Lustspiel-Regisseure Barnowskys am Künstlertheater, Emil Lind, sitzt 1924 im Vorstand der Bühnengenossenschaft. Der Versuch der Bühnengenossenschaft, die Erteilung der Konzession an Alfred Rotter zu verhindern, ist ein letzter, verbittert geführter Versuch, Barnowsky am Lessing-Theater zu halten.

Barnowskys Verdienste stehen über jedem Zweifel. Der Schauspieler Paul Hörbiger sagt über ihn, er sei „ein Theaterbesessener“145, Fritz Kortner weiß um Barnowskys „besondere Beziehung zum Schauspieler. Er liebt ihn, ja er ist in ihn verliebt, wenn er ihn nicht gerade hasst.“146 Seine „Liebenswürdigkeit“ wird als „ein so sichtbarer Grundzug in der Erscheinung und dem Wesen Barnowskys“ hervorgehoben,147 der Schriftsteller Carl Zuckmayer bezeichnet ihn als „immer soignierten und auf seine Haltung bedachten Bühnenleiter“.148

Unschön ist, dass die Bühnengenossenschaft noch einmal ihre alten Klagen vorbringt. „Es wäre eine Pflichtvergessenheit unsererseits, wollten wir nicht alles aufbieten, um zu verhindern, dass Künstler einer solchen frivolen Kunstauffassung ausgeliefert werden“ – gemeint war: wie jener der Rotters. „Was wir dem Antragssteller [Alfred Rotter] vom Standpunkt der berufenen Schützerin der künstlerischen Interessen ganz besonders vorzuwerfen haben, ist, dass Herr Rotter in unvornehmer Weise den Betrieb seiner Theater nicht nach künstlerisch ethischen Gesichtspunkten handhabt, sondern dabei Methoden verfolgt, die dem Betriebe eines Warenhauses um ein Haar ähneln. Für die Herren Rotter kommt es in allererster Linie darauf an, um jeden Preis mit den Leistungen der von ihnen verpflichteten Bühnenkünstler Geschäfte zu machen.“ Das war für eine Bühnengewerkschaft ein seltsamer Zungenschlag.

Es beginnt ein eigentlicher Aufstand gegen Alfred Rotter, an dem sich die Theaterkritiker beteiligen. Die Bühnengenossenschaft schreibt alle einzeln an und beliefert sie mit den sattsam bekannten Akten über die Rotters aus dem Krieg. Daraufhin gehen die Kritiker, egal ob für linke, konservative oder extrem rechte Blätter schreibend, eine seltsame Allianz ein. Die Gewerkschaft glaubt einen linken Kampf zu führen, wenn sie den Streit darauf reduziert, „deutsche Theaterkunst“ werde „dem rein profitmäßig eingestellten Managertum ausgeliefert“. Präsident Gustav Rickelt formuliert sozusagen als Startschuss des Feldzugs gegen die Rotters: „Kurz vor Beendigung des Krieges machten sich im Berliner Theaterleben, ohne dass sie sichtbar in die Erscheinung traten, zwei Persönlichkeiten bemerkbar, die sich in skrupelloser Weise an die Theater herandrängten. […] und heute sind die Herren teils Besitzer, teils Pächter von 6 hervorragenden Berliner Bühnen.“149

In der Tat: Das Trianon-Theater haben die Rotters am 17. November 1919 übernommen; schrittweise auch das Residenz-Theater – mit einer Spielerlaubnis seit dem 30. Dezember 1920; das Zentraltheater gehört seit 1922/23 ihnen. Das Lessing-Theater, das 1923 an sie übergeht, bildet nunmehr ökonomisch ihren wichtigsten Besitz. Lediglich gepachtet hingegen sind das Kleine Theater, wo Georg Altmann für sie inszeniert, sowie das Theater des Westens, und dies auch erst ab September 1924. Jenes bespielen sie noch nicht, tun dies erst später mit Operetten, sondern – und das ist ein weiterer Anlass für Kritik – verpachten es einstweilen weiter. Rickelt weiter: „Gleich bei ihrem ersten Auftreten warnte man vor diesen Herren, sie verstanden es aber mit allen Mitteln, sich immer mehr durchzusetzen. […] Nun kann man dem Grundsatz huldigen: ‚Geschäft ist Geschäft‘, und es kann niemandem verübelt werden, wenn er ein großes und gutes Geschäft machen kann.“ Doch dann wirft Rickelt ihnen vor, sie wollen „eine allgemeine Vertrustung der Theater […] nach amerikanischem Muster“ herbeiführen, und ruft eine Spur zu schrill nach Maßnahmen gegen das „Geschäftsgebaren dieses Parasitentums im deutschen Theaterleben“: „Leider bieten die bestehenden Gesetze und Verordnungen keine Handhabe, diesem Verderben bringenden Unwesen ein Ende zu machen.“

Selbst Curt von Glasenapp, einst wilhelminischer Theaterzensor und nun im Ruhestand, meldet sich als Oberregierungsrat a.D. nochmals zu Wort, doch ihm fällt, vermutlich aus altem Reflex heraus, nur die Forderung nach schärferen Theatergesetzen ein – „ein durchgreifendes Konzessionserneuerungsverfahren, das gesetzlich vorgeschrieben werden müsste“.150

Der sozialdemokratische Vorwärts ruft sogar nach Enteignung: Es müsse „ein Weg gefunden werden, den Herren Rotter diejenigen Theater, die sie gekauft oder aufgepachtet [sic] haben, nicht, um selbst darin zu spielen, sondern nur: um damit Geschäfte zu machen, glattweg zu enteignen.“151 Einige Tage später bestärkt der Vorwärts nahezu alarmistisch die Bühnengenossenschaft noch einmal in ihrem „Kampf gegen das kulturschädliche Geschäftstheater […], wie es der Rottertrust betreibt“ – die Genossenschaft sei „berufen […], die Theaterkunst vor der ihr drohenden Barbarei zu schützen“.152

Der Anwalt der Brüder, Wolfgang Heine, bemüht sich um Sachlichkeit: In einer umfassenden Stellungnahme vom 20. Juli 1924 charakterisiert er die „Entwicklung“ an den Theatern, die mit der Bezeichnung „Vertrustung“ in „ganz maliziöser und ganz unzutreffender Weise“ bezeichnet werde, als „in gewissem Maße unaufhaltsam“: „Sie ist aber keineswegs durch die Herren Rotter herbeigeführt worden. Vor ihnen hatte bereits [Viktor] Barnowsky zwei Bühnen, [Carl] Meinard & [Rudolf] Bernauer beherrschten drei, die Reinhardt-Bühnen bildeten schon seit 1914 einen Konzern von 3 Theatern […]. Das hat innere und vor allem auch künstlerische Gründe. Nicht nur in Berlin zeigt sich dies, sondern in Wien und anderen großen Theaterstädten. […] Es mag sein, dass das Lessing-Theater durch den Übergang an Herrn Direktor Alfred Rotter eine gewisse Veränderung erfährt. […] Niemand wird auch die Verdienste des Herrn Victor Barnowsky unterschätzen, und auch der Unterzeichnete kann das Bedauern nicht unterdrücken, dass es diesem hervorragenden und sympathischen Künstler zurzeit nicht geglückt ist, eine Bühne in Berlin zu seiner Verfügung zu haben. Dies kann aber nicht dazu führen, das Recht des Herrn Alfred Rotter zu bestreiten, dem nun einmal Frau von Hartogensis das Lessing-Theater verkauft hat, und der in seinem Haus Theater spielen will.“ Für die kommende Spielzeit seien, so wird jetzt bekannt, Stücke von Hauptmann, Ibsen, Schnitzler, Fulda und Shaw geplant.


Kronprinzenbrücke über die Spree mit dem Lessing-Theater links oben im Bild, Dreißigerjahre


Das zerstörte Lessing-Theater, 1946

Gerade wegen seiner Heftigkeit ermöglicht der Streit ums Lessing-Theater tiefe Einblicke in die damalige Bühnenwelt. „Die Sammelreklame an den Litfaßsäulen gibt es seit 1 ½ Jahren“, heißt es etwa im Protokoll der Sitzung des Berliner Bezirksverbandes der Bühnengenossenschaft am 28. Juli 1924. Vorgeworfen wird den Rotters nämlich, Umbesetzungen in der Presse nicht anzukündigen, wie offenbar geschehen, obwohl sie „noch besondere Reklame an den Säulen gemacht“ hätten und „sehr wohl in der Lage gewesen“ wären, „Berichtigungen anzubringen“ oder diese wenigstens vor der Vorstellung selbst gebührend bekannt zu geben. Die Theaterabteilung im Polizeipräsidium erhebt ebenfalls den „Vorwurf der falschen Anzeigen von Stars auf den Theaterzetteln, Litfaßsäulen und in den Zeitungsannoncen“. So etwa sei der Rotter-Schauspieler Kaiser-Titz, der einen fünfjährigen Vertrag hat, während einer Beurlaubung für Filmaufnahmen immer noch auf den Theaterzetteln erschienen.

In einem anderen solchen Fall verteidigt Anwalt Heine die Rotters mit dem Verweis auf das Chaos der Hyperinflation in den Milliarden-Tagen des Novembers 1923: „Dass Frau Toelle vor der Premiere von Eine galante Nacht Anfang November 1923 angekündigt wurde, war selbstverständlich, denn sie hatte die Rolle übernommen und geprobt.“ Sie trat im Übrigen auch auf. Aber, so Anwalt Heine weiter: „Infolge der fortschreitenden Geldentwertung kam es dann zu dem Prozess, weil die Beteiligten sich nicht über die Höhe der Gage einigen konnten und Frau Toelle sich weigerte, zu spielen. […] Die Ankündigung der Frau Toelle wurde fortgesetzt, weil man annahm, dass dies nötig wäre, um ihre Kontraktbrüchigkeit und den Schaden festzustellen […]. Eine Täuschung des Publikums war nicht beabsichtigt. Fast täglich stand in den Zeitungen, dass Frau Toelle nicht spielte. Im Kassenraum war ein entsprechender Anschlag. Die Billetts wurden selbstverständlich anstandslos zurückgenommen.“ Um solches Klein-Klein geht es.

Anwalt Wolfgang Heine darf sich dazu sogar im Berliner-Tageblatt äußern: „In der nervösen Inflationszeit hat es manche Prozesse von Mitgliedern gegeben; auch etliche mit Autoren. Bei welchem Theater ist das nicht vorgekommen? – Dafür ist ja das Schiedsgericht geschaffen. Die meisten Streitfälle sind gütlich erledigt, die Kläger zum großen Teil noch immer bei Rotter engagiert.“153

Frau Jlm, ebenfalls Mitglied des Verwaltungsrats der Bühnengenossenschaft, referiert laut Protokoll einer Versammlung eine abfällige Bemerkung von Oskar Kanehl: „Der Regisseur an den Rotterbühnen, der Kommunist Kanehl, habe geäußert: ‚Der Kampf, der jetzt geführt wird, ist der Kampf des Kapitals gegen die Arbeitnehmer, und diese blöden Hunde in der Genossenschaft glauben, für ihre paar Groschen eben was tun zu müssen, in dem Kampf selbst wird aber selbstverständlich das Kapital siegen.‘“

Doch das Verhängnisvolle ist, dass im Streit zwischen den Theaterdirektoren Alfred Rotter und Victor Barnowsky auch andere, offen rechtsradikale Stimmen laut werden. Die Deutsche Zeitung höhnt am 29. Juli 1924 unter dem Titel Aus Rotters Warenhäusern:

„Der ‚König der deutschen Bühnen‘, wie er sich großherrlich zu wiederholten Malen selbst nannte, Alfred Rotter, hatte sich um die Spielerlaubnis für das Lessing-Theater beworben […]. […] 33 Klagen der Künstler, die beim Bühnenschiedsgericht anhängig gemacht wurden, geben einen Beweis der weisen und gerechten Regierung ‚König Alfreds I‘ alias des Juden Alfred Rotter. Eine Regierungs-(Geschäfts-)führung war bei den Gebr. Rotter üblich, die nicht einer Stätte der Kunst, sondern einem schlecht geleiteten Warenhause würdig ist. […] Der Rotter’sche Geist macht sich in jeder Rotteraufführung bemerkbar. Die Gebrüder Rotter sind nicht nur üble Schädlinge am deutschen Bühnenwesen, sondern missbrauchen durch ihre Reklamesucht, ihre ‚Geschäftstüchtigkeit‘ die nichtsahnenden Besucher ihrer theatralischen Warenhäuser.“

Als Rickelts Bühnengenossenschaft eine Umfrage unter den bekanntesten Theaterkritikern macht, findet Monty Jacobs von der Vossischen Zeitung am 1. August 1924 zu einer zwar ablehnenden, aber nuancierten Stellungnahme. Er sagt:

„Ob es jetzt noch möglich ist, den Einzug der Direktion Rotter in ihre sechste Berliner Heimstätte zu verhindern, haben die Juristen zu entscheiden. […] Rotters hat es immer und überall gegeben, und es ist vielleicht nötig, dass es sie gibt. Aber hier handelt es sich ja um etwas anderes. Hier wird die Frage entschieden, ob es in der Berliner Theaterkunst überhaupt noch etwas anderes neben den Rotters geben soll. Solange sie an der Jannowitzbrücke [gemeint ist das Residenz-Theater] genügsame Geister erfrischten, waren sie ein Unternehmen wie andere auch. Seitdem sich aber dieses Unternehmen zum Trust ausgewachsen hat, seitdem es durch einen kapitalistischen Handstreich Otto Brahms Haus erobert hat [gemeint ist das Lessing-Theater] muss die Gefahr einleuchten, die eine Ausdehnung dieses Betriebs bedeutet.“

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