Kitabı oku: «LANDLÄUFIG», sayfa 2

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Herr Deng

züchtet Enten, die auf Märkten und im einen oder andern Chinarestaurant als besondere Delikatesse angeboten werden. Freilich hat Herr Deng, ein spindeldürrer Mittsiebziger, nur Spott für das übrig, was hierzulande unter chinesischer Küche verkauft wird. Alleine, dass man Suppen als Vorspeisen anbietet, statt sie wie überall in China verdauungsfördernd erst nach den festen Speisen zu servieren, ist ihm gänzlich fremd. Von der fehlenden Yin-und-Yang-Balance und dem fatalen Einknicken vor westlichen Geschmacksnormen einmal völlig abgesehen.

Im Übrigen ist Herr Deng Altmaoist. Er habe es, erzählt er, seit sein Namensvetter Xiaoping zum mächtigsten Mann im Staat aufgestiegen war, nicht mehr lange in seiner Heimat ausgehalten. Die Regierung habe das Land geradezu folgerichtig in den Raubtierkapitalismus getrieben. Man müsse sich nur mal vergegenwärtigen, wie die Volksmassen heute zur Wanderarbeit gezwungen würden, wie sie am Smog erstickten, den andere in ihren Luxuskarossen zusammenbrauten. Dafür habe er in seiner Jugend wahrlich nicht Der Osten ist rot gesungen. Herr Deng ringt, wenn er davon erzählt, ein wenig mit der Fassung. Hierzulande gehe es ehrlicher zu, hier trüge der Kapitalist keinen roten Stern am Jackenrevers, sondern einen steifen Hut und Glacéhandschuhe und sei von daher als Feindbild immer klar erkennbar. Herr Deng hätte ihm noch ein Paar Gamaschen anlegen können und ich gebe ihm zu bedenken, dass solche Dandykapitalisten einer ganz anderen Zeit angehörten.

Keineswegs, widerspricht mir Herr Deng, zieht ein Buch aus seiner Tasche, ein chinesisches, und deutet mit ausgestreckter Handfläche auf ein Foto, das exakt einen so geschilderten Mann zeigt. Das Bild ist etwas unscharf und in Sepia und das Buch stammt aus den sechziger Jahren, aus der Zeit der Kulturrevolution. Auf dem Einband vor einem goldenen Strahlenkranz oder dem, was häufiger Gebrauch noch davon übrig gelassen hat, ist der Vorsitzende Mao abgebildet. Für Herrn Deng gibt es daher keinen Zweifel an der Richtigkeit des Inhalts. Auch als ich ihn frage, ob er hierzulande einmal einem solchen Menschen mit Zylinderhut begegnet sei, sagt er, dass man einem wie dem nicht auf der Straße begegnen würde. Dergleichen verschanzten sich in ihren Villen, ihren Gärten, ihren Büros, ihren Freudenhäusern.

Und wie soll so einer wie der, frage ich, den Zorn des Proletariats wecken?

Ausbeutung ist nicht an Gesichter gebunden, belehrt mich Herr Deng und nimmt mich, obwohl wir hier mutterseelenallein an der Eingangspforte seines Hauses stehen, ein wenig zur Seite.

Die Arbeiter rüsteten sich bereits im Verborgenen für die nächste Krise, raunt er mir zu. Wenn es dann soweit sei, kämen sogar jahrzehntelang frustrierte Sozialdemokraten wieder aus ihrer Deckung. Ein Sturm würde über Europa einsetzen und bis nach China fegen. Der einbalsamierte Vorsitzende am Platz des Himmlischen Friedens würde seine Glieder ausstrecken, erhöbe sich und wandelte, ein Heilsbringer, in einer langen Kutte über das Land. Bald versänke alles wieder wie einst in einem roten Fahnenmeer. Aber er, Herr Deng, sei Realist, er werde das sicher kaum mehr erleben dürfen, er begnüge sich daher mit der Rolle des Propheten.

Herr Deng verneigt sich und schreitet auf nicht mehr ganz sicheren Beinen in sein Haus zurück. Trinkt er?

Katharina

probiert es mit allem Möglichen, in der vergangenen Nacht zum Beispiel mit der melodramatischen Strauss-Oper Die Frau ohne Schatten. Helfen tut es nicht. Friedrich ist nun mal weg, irgendwo abgetaucht und Katharina ist plötzlich sterbensallein in diesem Dorf zurückgeblieben. Auf den Tag ein Jahr ist es her – jeder im Dorf weiß genau darüber Bescheid –, dass Friedrich sich eines Nachts und ohne mehr als das Allernötigste eingepackt zu haben, aus dem Haus geschlichen hat. Nicht einmal eine kleine Notiz hatte er geschrieben. Und als wollte er sie von jeglichen Nachforschungen abhalten, lag am Morgen auch noch sein Mobiltelefon auf dem Küchentisch. Augenscheinlich brachte er damit zum Ausdruck, dass er es nicht mehr brauchte, dass er ein neues Leben beginnen wollte, am liebsten auf einem anderen Planeten. Der Schuft!

Katharina ist ursprünglich ein Kind der Stadt, doch Friedrich hatte sie überredet, mit ihm aufs Land zu ziehen. Da versucht sie sich nun mit ihrer aufgezwungenen Einsamkeit zu arrangieren, spaziert mit Vorliebe bei schlechtem Wetter über die Wiesen (damit sie noch einen Grund verspürt, wieder in ihr verlassenes Haus zurückzukehren), liest Kafka und Katastrophenromane, versendet Hate-Speech im Internet an die Adresse von wildfremden Männern, hört Opern.

Eines verregneten Tages – sie will gerade einen ihrer Spaziergänge machen – klingelt an der Haustür ein Mann und fragt unumwunden, ob er zwei Tage hier nächtigen könne.

Katharina hält ihn für einen Verrückten oder Kleinkriminellen. Der Mann, wirres Haar, wirrer Spitzbart, mausgrauer Trenchcoat, eine Tragetasche unterm Arm, sagt: Friedrich hat mir deine Adresse gegeben.

Was?

Der Mann ergänzt: In der linken unteren Schublade seines Kleiderschranks liegt ein dunkelrotes Fotoalbum mit Bildern aus seiner Kindheit. Das soll ich erwähnen, damit du mir glaubst, dass ich von Friedrich geschickt worden bin.

Katharina weiß zwar, dass so ein Album existiert, aber nicht, wo es gerade liegt. Sie lässt den Mann draußen stehen, läuft in Friedrichs Zimmer, zieht die besagte Schublade auf und tatsächlich, da liegt das bewusste Album. Voll banger Neugier, öffnet sie wieder die Haustür, aber der Mann ist verschwunden. Auf der breiten Dorfstraße ist niemand zu sehen, auch hinten im Garten kann sie ihn nirgendwo entdecken.

Was will dieser Kerl von ihr? Katharina ist durcheinander, und hofft, dass der Mann erneut am Eingang läuten wird, damit sie ihn nach Friedrich fragen kann. Ihre Hoffnung wird gleich darauf wieder in die Höhe getrieben, als erneut die Klingel betätigt wird.

Sie reißt die Tür auf. Vor ihr steht nun allerdings ihre Nachbarin Klärchen Hummer.

Sagen Sie, sagt Klärchen Hummer, der Mann, der da vorhin zu Ihnen gekommen ist …

Sie sieht angestrengt an Katharina vorbei ins Innere, als hoffe sie, dort etwas ausmachen zu können.

… den kenne ich.

Sie kennen den?

Lief gestern Abend in Aktenzeichen XY. Ich hab ihn gleich wiedererkannt.

Wen?

Eine vorläufige Antwort gibt der Streifenwagen des Dorfpolizisten Holgass, der mit einer im Dorf nie gesehenen Geschwindigkeit herangebraust kommt. Die Reifen quietschen filmreif, als er vor Katharinas Haus anhält.

Ist er da drin?, fragt Holgass.

Nein, da ist niemand, sagt Katharina, ich würde ja selbst gern wissen …

Holgass rinnt der Schweiß unter der Mütze heraus, er verzichtet auf Erklärungen, schiebt Katharina ungeduldig beiseite, das ist jetzt seine Chance. Drinnen hört man ihn, wie er Zeigen Sie sich! ruft.

Klärchen Hummer hält es vor der Haustür kaum noch aus. Sie streckt ihre Nase noch weiter vor, atmet hörbar und sagt: Aber die Belohnung krieg ich!

Katharina knallt ihr die Tür vor der Nase zu. Sie will wissen, was Holgass, der gerne mit Cowboystiefeln herumläuft, in ihrem Haus anstellt, was, verdammt, hier überhaupt gespielt wird.

Ein Schuss fällt oder sind es zwei? Katharina, die Treppe hochhastend, entdeckt Holgass, der blass wie ein Schlossgespenst vor der geöffneten Badezimmertür steht. Schlaff hält er seine Dienstwaffe in der Hand und Katharina hat schon das Schlimmste vor Augen, wenn sie jetzt in dieses Badezimmer blicken wird. In der Tat klebt rot verfärbte Hirnmasse an den Kacheln der Wand und es hängt einer blutend über dem Badewannenrand – ihr seltsamer Besucher.

Er hat auf mich geschossen, bringt Holgass endlich keuchend heraus. Da.

Er fasst sich an den Oberschenkel und sinkt schon im nächsten Moment ohnmächtig zu Boden.

Katharina, die starr vor Schreck ist, schafft es nicht einmal, gleich einen Krankenwagen zu verständigen. Ihr geht nur Friedrich im Kopf herum, der sie verlassen hat, der sie weiter quält. Gleichgültig, was für ein Mann der Tote da ist oder wie er heißt, für Katharina ist er von Friedrich gesandt und steht ihr deshalb so grauenerregend nahe. Und diese Hummer kassiert auch noch die Belohnung dafür!

Man stelle sich die unbewegte Oberfläche eines Sees vor (meistens kündigt sich dann ja ein Unwetter an), in den ein dicker Stein plumpst. Der wirbelt das Wasser in konzentrischen Kreisen auf, die sich bald in der Ferne verlieren, wo niemand mehr den eigentlichen Ursprung dieser Bewegung ermitteln könnte. Auf dem äußersten Kreis liegt, bildlich gesprochen, unser Dorf.

Weiter abseits liegt ein altes Gut, ein Vierseithof, der einer kleinen Festung gleicht. Allerdings steht er seit vielen Jahren leer und war zuletzt von einem gewissen Harry Deister bewohnt, der sich mit dem Export von Sexspielzeug in arabische Golfstaaten verkalkuliert hatte. Jetzt wird der Hof mit einigem Aufwand wiederhergerichtet.

Don Otto, der Bürgermeister, macht diese Angelegenheit gegenüber den Dorfbewohnern insofern spannend, als er behauptet, lediglich zu wissen, dass »die Regierung« das Grundstück gekauft habe.

Welche Regierung?

Das wisse er selbst nicht. Jedenfalls blühen seither die Spekulationen und sie reichen bis hin zu einem mutmaßlichen Domizil für einen ehemaligen amerikanischen Präsidenten nach dessen Amtsenthebung. Was freilich barer Unsinn ist.

Dann, eines trüben Tages, trifft eine kleine, von einem Polizeifahrzeug begleitete Eskorte mit verdunkelten Scheiben ein. Der Bürgermeister ist erst kurzfristig darüber benachrichtigt worden und bildet nun mit seiner stundenweise beschäftigten Sekretärin eine Art Empfangskomitee. Dem Wagen entsteigt

ein kleiner schmaler Herr

im fliederweißen Anzug. Trotz des bewölkten Himmels trägt er eine Sonnenbrille. An seiner olivbraunen Hautfarbe und dem breiten Mund erkennt man, dass er aus einem fernen Land stammen muss. Ihm folgen zwei Frauen mit Gesichtern, wie Gauguin sie gemalt hat, allerdings stecken sie des schlechten Wetters wegen in langen Regenmänteln, die ihnen bis zu den Knöcheln reichen und deren Kapuzen sie mönchsartig verhüllen.

Rasch sickert durch, dass die Gestalt mit der Sonnenbrille aus Tokevalu stammt, einem kleinen Inselstaat in der Südsee, und dass der kleine Herr dort viele Jahre Präsident gewesen ist. Was will er hier?, fragen sich alle. Wenn er in diplomatischen Angelegenheiten unterwegs ist, warum so fernab in einem Dorf, das nur über eine Landstraße zu erreichen ist und bis vor Kurzem noch in einem Funkloch lag? Man erfährt bald mehr, vor allem seinen Namen, Toketalagi, und dass ihn ein Aufstand seines Volkes gezwungen hat, ins Exil zu gehen. Nun ist er, offenbar seinen Wünschen gemäß, in der geografischen Abgeschiedenheit gelandet. Zu Gesicht bekommt ihn nach seinem Einzug in den Vierseithof erst einmal niemand mehr.

Wer die beiden jungen Damen sind, bleibt offen. Trotzdem gehen alle davon aus, dass es gerade ihres deutlich jüngeren Alters wegen seine Ehefrauen sein müssten. Ein Selbstherrscher wie Toketalagi hat bei der Auswahl von Frauen bekanntlich die freie Wahl, weshalb sollte er sich da mit gleichaltrigen zufriedengeben?

Aber bloß zwei Frauen?, fragt man. Müsste es nicht ungefähr ein halbes Dutzend sein? Zu schweigen vom Rest der Großfamilie. Man denkt sich melodramatische Geschichten aus. Etwa, dass er ohne etwas mitnehmen zu können auf einem viel zu kleinen Boot die Flucht angetreten hat. Dass ein Sturm aufgekommen ist, der fast alle aus seiner Entourage über Bord gespült hat, dass auch er und die Frauen bereits verloren schienen, dass aber kurz vor ihrem Verdursten, als sie nur noch auf dem Ozean umhertrieben, ein Überseedampfer sie aufgegabelt hat und Toketalagi schließlich gerettet wurde, er und sein Geld. Denn jetzt konnte er wieder an seine Schweizer Konten gelangen. Nur müsse er sich eine geraume Zeit vor seinen Feinden verbergen, wenigstens solange bis Gras über seine Machenschaften gewachsen sei.

Seine Verbrechen, verbessert Albert, genannt Ali der Hacker, und verweist auf einen Link dazu im Internet, wo Toketalagis kriminelle Schamlosigkeiten aufgelistet sind. Wäre demnach ein blutiger Diktator ins Dorf gezogen? Man schwankt ein wenig zwischen Faszination und Grauen.

Nun kommt jedoch Helena ins Spiel, die mit weiblichen Rundungen nicht geizende Wurstbraterin. Sie ist nämlich die Assistentin jenes Harry Deister gewesen und kennt diesen Hof, in den Toketalagi Einzug gehalten hat, nur zu gut. Vor allem, wie sie betont, kennt sie die Geheimnisse des Hauses. Von ihren Informationen wie immer freizügig Gebrauch machend, deutet sie an, dass dieses Haus mehr als nur ein Depot für erotische Accessoires gewesen sei. Man hätte durchaus prominente Kunden gehabt, die inkognito ihre Toys hätten testen können. Mit Handreichungen des diskreten Personals. Dazu macht sie ein vielsagendes Gesicht und fügt anstandshalber hinzu, dass sie natürlich keine Namen nennen könne.

Es gelingt ihr – über das Wie kann man bloß Mutmaßungen anstellen –, sich bei Toketalagi Zugang zu verschaffen.

Am nächsten Tag ist ihre Brutzelbox geschlossen, am übernächsten und den folgenden Tagen auch. Normalerweise macht sich um Helena niemand im Dorf besondere Gedanken. Aber dieses Mal, weil viele schon damit gerechnet hatten, dass sie nicht zögern würde, an ihre alte Wirkungsstätte zurückzukehren, erscheint sie übergroß auf dem dörflichen Radar.

Sie ist in die Hände eines berüchtigten Gewaltherrschers geraten, dem ist alles zuzutrauen!, meint Klärchen Hummer und Rose Gürtler sagt: Was muss sie sich auch dauernd in die besseren Kreise hochschlafen wollen? Jetzt ist sie schmerzhaft ins wahre Leben getappt!

Holgass, der Dorfpolizist, gerät ins Schwitzen. Er pocht auf eine formale Anzeige, die freilich niemand stellt, aber es scheint wohl Gefahr im Verzug. Schnaubend setzt er sich seine Dienstmütze auf den Kopf. Wenig später klopft er ans Tor, die Hand schon am Pistolenhalfter. Im nächsten Moment verschwindet auch er von der Bildfläche.

Im Dorf macht sich große Unruhe breit. Don Otto überlegt laut, ob er nicht einen Marsch auf diese von allen Seiten umfriedete Festung ausrufen soll, mit Presse und mit dem Schützenverein.

Sie werden bei unserer Ankunft bestimmt keine heißen Teerkübel aus den Fenstern auf uns gießen, meint er mit nervöser Süffisanz und hat ein Bild vor Augen wie zu Zeiten der Bauernkriege, wo die Dorfbewohner mit Heugabeln, Hellebarden und Sensen bewaffnet gegen Toketalagis Burg ziehen werden. Gegen ein Troja, um eine Helena zu befreien.

Bewaffnet hat sich freilich niemand. Nicht dass sie tapfer wären oder gar opferwillig. Was die Schar, die sich jetzt zum Angriff rüstet, alleine antreibt, ist ihre unbezwingbare Neugierde. Dreißig Leute sind ungefähr zusammengekommen, verstärkt um den Reporter vom Kreisblatt. Die Frauen sind dabei deutlich in der Mehrheit. Don Otto setzt sich mit unentwegt gerunzelter Stirn an die Spitze, in der Hand ein Megafon. Er wird Toketalagi auffordern, seine Gefangenen freizulassen, ansonsten der mal den Rechtsstaat kennenlernen werde, mit dem sei nämlich nicht zu spaßen. Mit seiner Krawatte tupft er sich die Stirn.

Nun rücken sie an, zusammengehalten durch die Aufregung, mit der jeder sich jedem aufdrängt. Ich habe mich dem Zug ebenfalls angeschlossen und vermag schon von Weitem zu erkennen, dass an der Eingangsseite die Fenster des Gebäudes geöffnet sind. Als wir näherkommen, erkenne ich Helena, die sich hinabbeugt und heftig mit den Armen fuchtelt.

Don Otto ruft durchs Megafon: Wir kommen, dich zu befreien!

Aber Helenas aufgeregtes Winken ist ganz anders gemeint.

Er wird mich heiraten!, ruft sie atemlos. Gestern hat er mir einen Antrag gemacht!

Noch und noch mal und fast zu jedem Einzelnen in der gaffenden Schar ruft sie: Er wird mich heiraten!

Ich stelle mir vor, dass ihre ausladenden Formen in dem schmächtigen Toketalagi eine lustvolle Entsprechung finden.

Nun erscheint neben ihr auch Holgass, im Hawaiihemdchen und mit einem knallroten Stirnband. Übermütig wirft er seine polizeiliche Dienstmütze wie eine Frisbeescheibe in die Menge.

Ich bin zur Leibgarde ernannt worden, tönt er und schießt mit seiner Dienstpistole, die er behalten hat, zweimal in den Himmel.

Zuletzt erscheint auch er selbst am Fenster, Toketalagi, schmal und mit Sonnenbrille. Es ist nur ein kurzes Lächeln, das er zeigt und das seine schneeweißen Zähne entblößt. Er winkt uns lässig, fast gelangweilt zu und zieht sich dann wieder ins Innere zurück, mit ihm Helena in ihrem goldgrünen Sarong.

Die Dorfbewohner starren noch eine Weile zu den leeren Fenstern hinauf und sind, ob sie es wollen oder nicht, ziemlich beeindruckt.

Blauweiß, der Großbauer, destilliert einen vierzigprozentigen Wodka, den er selbstverliebt

Der Blauweiße

nennt. Ein zugehöriger Werbeslogan lautet Himmlisch (auf blauem Grund) Rein (auf weißem Grund). Das reizt die Spötter. Sie nennen den Blauweißen »diese Waschmittelbrühe« und schlagen vor, noch etwas Kohlensäure zuzusetzen, damit's auch ordentlich schäumt.

Blauweiß reagiert flexibel. Er sucht eine Werbeagentur auf. Daraus lässt sich was machen, sagen sie dort. Und dann machen sie was draus.

Himmlisch Rein ist nun eine neue und größere Werbeanzeige überschrieben. Eine pausbäckige Bauernmagd mit weitem Rock und langer Schürze will die Blauweißflasche in einen schäumenden Waschbottich gießen. Ein feixender Bilderbuchkosake hat sich jedoch dazwischengeschoben und der Wodka fließt nun statt in den Bottich in das Glas, das er darunterhält. Rettet unseren Besten steht daneben und es folgt ein Aufruf zu einer großen, mit Preisen angereicherten Aktion, bebildert durch eine Gruppe von Leuten, die alle in einen blauen Himmel blicken und dabei ein Wodkaglas in die Höhe halten. Fehlen nur noch die Kinder.

Blauweiß hat es wieder einmal allen gezeigt, mit dem Blauweißen macht er Umsatz.

Doch wird im Ort ein Murren vernehmlich. Es rührt von den oftmals unberechenbaren Landfrauen her. Sie beschweren sich über das Bild der tumben Bauernmagd. So könne man heutigentags keine Frau mehr zum Besten geben, nicht nur in der Stadt hätten die Dinge sich gewandelt. Man rede ja auch kaum noch von Dorfdeppen. Warum schütte so einer nicht den Schnaps ins Waschwasser? Es weht ein Hauch von Feminismus durchs Dorf.

Blauweiß, dem alles zu Ohren kommt, beschwichtigt, wo er kann, meint, man sollte diese Reklame mit Humor begleiten, verteilt hier und dort Probefläschchen und reibt sich sogar die Hände, weil sein Etikett so viel Aufsehen erregt.

Die Sache nimmt jedoch ein ungeahntes Ausmaß an. Denn in einzelnen Familien kommt es bereits zu Verstimmungen. Frauen versuchen den Männern – vergeblich – den Blauweißwodka auszureden. Die pensionierte Dorfschullehrerin Luzi Kumbernuss erwähnt bei der nächsten Zusammenkunft der Landfrauen eine Komödie des altgriechischen Dramatikers Aristophanes, der in einem Stück beschreibt, wie die Frauen aus Athen und Sparta sich zusammentun, um ihre martialischen Ehegatten daran zu hindern, weiter gegeneinander Krieg zu führen3. Ihre weibliche Strategie ist so einfach wie total: Sie verweigern sich den Männern beim Sex.

Natürlich ruft das erst einmal Heiterkeit hervor, dennoch spinnt man diesen Gedanken, von eigenen Fantasien beflügelt, noch ein Stück weiter. Liebesentzug gegen männlichen Wodkawahn – das ist zumindest einen Versuch wert. Blauweiß meint gegensteuern zu können, indem er weiterhin kleine Wodkawerbegeschenke verteilt und darauf vertraut, dass »die Weiber vernünftig bleiben«. Aber denen ist es ernst.

Sie treffen eine Vereinbarung und fahren in die Stadt. Jedes ihrer Autos ist voll besetzt und die Verkäuferin eines Dessousladens wundert sich über einen nie erlebten Ansturm. Sie breitet alle verfügbaren Größen der meist in Schwarz oder Purpur verlangten Teile aus. Zum Schluss bleiben sogar ihre beiden Schaufensterpuppen splitternackt zurück.

An diesem Abend erwartet die Männer, die blauweißen Wodkatrinker, eine verschärfte Form von Triebstau. Viele von ihnen erfahren erst jetzt, welche Reize ihre Frauen ausstrahlen können und sind erregt wie nur bei einem Seitensprung. Zugleich zerschellen sie an der hartnäckigen Sprödigkeit dieser Frauen, die, während sie ihren Männern mit Spitzendessous und hauchzarten Nylonstrümpfen vor der Nase herumtänzeln, Bemerkungen machen, wonach man so etwas ja nicht tragen könne, für Bauernmägde sei das höchst unanständig. Nein, nein, sagen sie und schlüpfen wieder in das, was auf keiner Wäscheleine weiter ins Auge fällt. Dass einige der Kerle sich verzweifelt an die gesammelten Blauweißfläschchen halten, die nun sie retten sollen, passt natürlich ins Bild.

Lange geht das aber nicht gut, auf beiden Seiten nicht. Naturgewalten lassen sich schwerlich aufhalten und so erwacht manche der dörflichen Schlafstuben zu ganz neuem Leben.

Blauweiß, ansonsten allein betört von der blaublütigen Blässe seiner Gattin, will auch die neue Situation zu seinen Gunsten nutzen. Er wird mithilfe seiner Werbeagentur den Blauweißen zum Liebestrank umfunktionieren. Die Frau, die diesmal in den Werbeannoncen erscheint, ist jedenfalls weder mit Zwiebeldutt noch kurzen Puffärmeln und dicken roten Wangen abgebildet. Vielleicht reichen schon ein paar Wölkchen am blauen Himmel samt dem sehnsüchtigen Blick eines Schlagersternchens, das in diversen Supermärkten für Promoauftritte gut sein wird. Mit ein bisschen sanfter Erotik läuft es jedenfalls konfliktfreier ab, Mädchenträume werden wachgerufen, weil die Wölkchen sich wie zufällig zu einem Einhorn formen. Was Hartes soll zum Enthärter werden.

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