Kitabı oku: «LANDLÄUFIG», sayfa 3

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Olav Decker

taucht auf Flohmärkten auf, ein Trödler. Seiner Bauernkate schließt sich im hinteren Teil ein Schuppen an, der vollgestopft ist mit so ungefähr allem, was man gemeinhin Schrott nennt. Vieles steckt in eingedrückten, rissigen Kartons, grob gezimmerten Kisten, anderes steht frei herum, alte Fahrräder, verstaubte Haushaltsgeräte, angerostete Schreibmaschinen, ein alter Destillierapparat und Unzähliges mehr. Keiner im Dorf, der mal etwas nicht mehr braucht und es nicht irgendwo noch verschachern kann, wirft es weg, sondern trägt es zu Olav, der dann einen missmutigen Blick darauf wirft und sagt: Lass es von mir aus hier.

Flohmärkte gibt es in der Gegend nicht viele. Olav hat einen uralten Lieferwagen mit geteilter Frontscheibe, mit dem er weite Strecken fährt, um seinen Trödel zu verhökern oder neuen aufzutreiben.

Würde einer gefragt, wie alt Olav wohl ist, käme er in Verlegenheit. Hinter seinem vergilbten Bart hat es ihn schon immer gegeben und immer schon war er griesgrämig, wortkarg und ein bisschen schmuddelig. Aber alle üben Nachsicht mit ihm und halten ihm zugute, dass er, als Salzgebers vierjährige Tochter plötzlich verschwunden war und damit das ganze Dorf in helle Aufregung versetzte, sich mit auf die Suche nach ihr gemacht und sie in dem nah gelegenen Waldstück aufgespürt hat. Dort, hat sie später erzählt, wollte sie Rotkäppchen spielen. Tatsächlich hatte sie einen Korb dabeigehabt und sich darin mit einer Flasche Wein abgeschleppt, die sie ihren Eltern aus dem Kühlschrank stibitzt hatte. Und wenn der böse Wolf gekommen wäre?, ist sie gefragt worden. Der liegt doch im Bett mit Omi, hatte sie geantwortet. Die Flasche Wein schenkten sie dann Olav.

Und nun ist da die Spargelstecherin Agnieszka aufgetaucht. Seit Anfang April wohnt sie in einem Container, den Bauer Masch für seine Arbeiterinnen und Arbeiter während der Spargelsaison hat aufstellen lassen. Agnieszka ist eine kräftig gebaute Frau von Anfang dreißig, sie hat große staunende Augen, die Wangen sind leicht gerötet und sie geht trotz ihres fülligen Busens aufrecht wie eine Tanne. Ein wenig erinnert sie an die Frauengestalten in Robert-Crumb-Cartoons, die Olav in seiner Jugend verschlungen und die ihn in pubertären Träumen so manches Mal verfolgt hatten.

Gerne würde er mit Agnieszka ins Gespräch kommen, weiß aber nicht, wie er das anstellen soll. Außerdem hat er gehört, dass sie Polin ist, vermutlich spricht sie gar kein Deutsch. Aber irgendwie ist ihm das auch egal, er möchte nur mal Tuchfühlung mit ihr aufnehmen.

Der Spargelacker liegt nicht weit von seinem Haus entfernt und täglich marschiert der kleine Trupp Spargelstecher, Polen und Ukrainer, an Olavs Haus vorbei. Olav macht sich kurze Zeit später selbst auf den Weg. Halb hinter einem Baum am Feldrain versteckt, sieht er dann in leichter Erregung der gebeugten Maloche von Agnieszka zu.

Irgendwann im Supermarkt, wo er sich seinen obligatorischen Wacholderbrand besorgen will, bemerkt er zufällig einige der Spargelstecher. Plötzlich hofft er, auch Agnieszka in diesem Kreis zu finden, zumindest könnte sie ganz in der Nähe sein. Wie auf einer Party, wo einer auf das Erscheinen seiner heimlich Angebeteten hofft, blickt er sich um.

Aber die Männer sind mit einem vollen Einkaufswagen bereits auf dem Weg zur Kasse. Olav trottet ihnen hinterher, er gibt die Hoffnung nicht auf. Erschiene sie jetzt, würde er einfach zu ihr gehen und sagen: Meine Taube, ich bin der von nebenan und würde dich gerne kennenlernen. Das fantasiert er sogar noch vor sich hin, als die Spargelstecher und dahinter er mit seiner Flasche Wacholderbrand die Kasse bereits passiert haben.

Draußen sieht er die Männer in einen Kleinbus steigen. Gerade als der Motor gestartet wird, kommt Agnieszka gelaufen.

Zaczekaj na mnie!4, ruft sie laut. Aber die im Bus scheinen von ihrer Anwesenheit nichts mitzubekommen und fahren trotz Agnieszkas heftigem Winken ahnungslos davon.

Nun hat Olav sie unverhofft ganz für sich allein. Ein Geschenk des Himmels, sagt er sich, obwohl er an den Himmel noch niemals geglaubt hat. Jetzt schon eher.

Zufällig stehe ich mit meinem Auto unweit entfernt und erlebe die Szene mit, sehe, wie Olav sich Agnieszka mit Schritten nähert, die mich ihres Vor und Zurück wegen an einen Balletttänzer erinnern. Ich wüsste gerne, was er ihr jetzt sagt, als sie sich ihm unentschlossen und wohl noch leicht verärgert wegen des abgefahrenen Busses zuwendet. Eine junge Frau und ein gealterter Zausel auf dem Parkplatz vor Rewe, das wäre für sich betrachtet nichts Besonderes, in diesem Fall jedoch geht es, zumindest für Olav, um alles oder nichts. Davon habe ich im Augenblick verständlicherweise keine Ahnung. Ich sehe nur Olav, wie ihn wohl keiner hier kennt, nämlich mit einem charmanten Lächeln und einer Frau, die etwas schwankt zwischen Was’n-das-für-Einer und einer aufgenötigten Freundlichkeit, weil er ihr vielleicht versprochen hat, sie nach Hause zu bringen. Und wirklich steigt sie in seinen klapprigen Kleintransporter ein und Olav – ich traue meinen Augen immer weniger – hält ihr sogar die Tür auf. Der in Polen übliche Handkuss würde das Bild sicher noch passend abrunden, unterbleibt immerhin.

Sie spricht kein einziges Wort Deutsch. Daher haben Olavs Versuche, mit ihr auf dieser höchstens zehnminütigen Fahrt ins Gespräch zu kommen, keinen Erfolg. So nah und trotzdem erfolglos leidet er ein bisschen. Sie sitzt aufrecht und stumm neben ihm, ein einziges Mal nur lächelt sie kurz. Aber als sie dann vor dem Wohncontainer stehen, sagt sie nicht nur artig Dziękuję Ci, dankeschön, sondern beugt sich sogar zu ihm hinüber und drückt ihm einen Kuss auf die Wange.

Olav ist völlig perplex, will wenigstens ihren Arm berühren, aber da ist sie schon ausgestiegen. Für den Rest des Tages treibt ihm der Wacholderbrand jedenfalls die tollsten Visionen ins Hirn.

Starke Frauen werden auf dem Dorf allem zum Trotz noch immer an ihrer Körperstärke gemessen. Erst recht, wenn sie als Mann in Erscheinung treten.

Mal der Reihe nach: Das Dorf hat nämlich eine Fußballmannschaft. Sie existiert erst seit einigen Jahren. Doktor Reiter, ansonsten wenig vertraut mit Ballspielen, hat es sich dennoch nicht nehmen lassen, mithilfe eines Grafikers das ursprünglich angedachte stumpfe, lediglich aus einem Rautenschild und dem Namen des Vereins bestehende Wappen durch eine stilisierte Siegesgöttin zu ersetzen. Diese erst wird dem Namen des

FC Viktoria

wirklich gerecht. Die Umschrift per aspera ad astra5 suggeriert außerdem verwegene Ziele. Aber das muss in Augenblicken pathetischer Selbstbesinnung niemanden stören.

Die Wirklichkeit sieht freilich so aus: Das hiesige Spielfeld ist eine unschöne Mischung aus Schotter und Wildwuchs. Und wenn man dann noch weiß, dass es dem Verein kaum einmal gelingt, überhaupt elf Spieler auf den Platz zu bringen, weshalb sie zwar in der untersten Spielklasse mitmischen dürfen, aber eben nur zu elft, andernfalls das Spiel mit 0:3 gegen sie gewertet wird, verwundert es einen nicht, dass sie mit weitem Abstand am Tabellenende verharren.

Man hat versucht, dieses Manko dadurch auszugleichen, dass man die jeweils ein, zwei oder drei fehlenden Spieler durch den ersten und zweiten Vorsitzenden, zur Not noch den Kassierer ersetzt hat. Denn wie im Amateurfußball häufig zu beobachten, verlassen Spieler, weil sie mit den Entscheidungen des Schiedsrichters hadern, mit Kraftausdrücken, wegwerfenden Handbewegungen und mit gespielter Entrüstung gerne vorzeitig den Platz. Wenn nichts anderes hilft, mimen sie sogar schwerere Verletzungen.

Das ist nicht nur wegen des erheblichen Altersunterschieds innerhalb der Mannschaft, sondern auch der falschen auf dem Spielberichtsbogen eingetragenen Namen bei den Ligaoffiziellen ruchbar geworden. Man hat sich deswegen, um einer möglichen Sperre zu entgehen, im Verein zusammengesetzt und beraten.

Der Vorsitzende, Spargelbauer Helfried Masch, sein Vize, Julius Bommerland, ein städtischer Angestellter in der Kreisstadt, Albert Künzing, Kassierer und Packer bei Schleckes, schließlich Max Molka, Trainer und Wirt des örtlichen Dorfkrugs, verfolgen seither eine Idee. Molka ist es gewesen, der sie aufgetischt hat. Er bezeichnet sich gern als Taktikfuchs und untermauert diesen (einzig von ihm selbst am Leben erhaltenen) Ruf damit, dass er seine Trainingseinheiten im Schankraum seiner Kneipe abhält und dort eine Tafel aufstellt, auf die er ekstatische Schnittmusterbögen kritzelt. Das erste Bier ist immer gratis und dadurch ein gewisser Anreiz für die Kicker überhaupt mal zu erscheinen. Länger als dieses eine Bier bleibt freilich selten einer.

Molkas Idee scheint, wie er selbst an dieser Stelle einräumt, durchaus abseitig. Aber schlimmer könne es mit dem Verein eh nicht kommen, meint er, die Jungs hielten sich einfach nicht an seine taktischen Vorgaben.

Masch, Bommerland und Künzing räuspern sich jedes Mal bei diesem eingestreuten Vorwurf.

Also passt auf, sagt Molka, ich habe da an eine Verstärkung gedacht, die nicht bei uns ansässig ist, jedenfalls dürfte niemand sie im Umkreis hier kennen.

Und?

Molka schließt kurz die Augen und sagt: Eine Frau.

Was?

Die Rede ist von Gabi Sonnenstern. Rein optisch gleicht sie dem Klischee einer Kampflesbe. Aber das ist eine Unterstellung, die von ihrer bulligen Gestalt herrührt, ihrem burschikosen Gesicht und der heiseren, am Ende scheinbar durch Hormonbehandlungen tiefer gelegten Stimme. Fakt ist, dass Gabi Sonnenstern in ihrer Frauenliga Torschützenkönigin ist und das mit weitem Abstand. Molka hat sie auch deswegen angesprochen, weil sie – er blinzelt beflissen – einen flachen Busen hat.

Masch, Bommerland und Künzing dämmert was. Du willst sie doch nicht etwa …

Genau das will er. Aber sie macht es nicht umsonst, meint er. Pro Tor, das sie erzielt, verlangt sie – Einstiegspreis – fünfundzwanzig Euro. Plus Anfahrt und Maskenbildnerei. Aber kein Problem, um die kümmert sich meine Frau. Sie malt auch die Ostereier immer so schön an, kann er sich nicht verkneifen hinzuzufügen.

Masch, Bommerland und Künzing wiegen die Köpfe. Per aspera … Molka reißt die Augen auf, macht ein Gesicht, als sei das die große Chance. Sie nicken es schließlich ab.

Bernardo Tirpitz

ist der Pfarrer des Dorfes. Seine Kirche liegt freilich in einem der Nachbarorte und ist regelmäßig schlecht besucht. Um hin und wieder hier im Dorf einen Gottesdienst abhalten zu können, hat er keine geeignete Räumlichkeit gefunden. Nun kommt ihm eine Idee und er macht sie durch einen Flyer bekannt.

Darin werden die Bauern gebeten, ihren Kuhdung von der Weide zu kratzen. Der sei nämlich ein guter und nachhaltiger Baustoff. Bernardo Tirpitz ist einige Jahre missionarisch in Ostafrika unterwegs gewesen und hat gesehen, dass man Bauziegel mit einfachen Mitteln herstellen kann. Man braucht nur den Dung mit Lehm und Stroh zu vermischen und erhält ein hervorragendes und in besonderem Maße naturverträgliches Material. Tirpitz denkt an eine Kapelle.

Der Bürgermeister hat bereits durchblicken lassen, dass die Gemeinde Interesse daran hat. Heinz-Otto Krusche stellt sich ein fremdartig anmutendes Kirchlein vor, vielleicht mit einem Dach aus Haferstroh, jedenfalls etwas Afrikanisches. Das könnte im Hinblick auf mögliche Touristen ein echtes kleines Highlight werden.

Tirpitz’ Idee verleitet bald zu gemeinschaftsgeistigem Eifer. Bauern, gläubig oder nicht, heben angetrocknete Kuhfladen sorgsam, als seien es Vogelnester, von den Wiesen auf und bringen sie zu einem dafür vorgesehenen Anger. Dort stapelt sich allmählich der Dung und es liegt ein süßlicher Geruch in der Luft.

Aus Scheiße Geld machen, dieser Gedanke hat blitzartig von Großbauer Blauweiß Besitz ergriffen. Zwar hat er anfänglich ebenfalls seinen Kuhfladentribut geleistet. Dann aber geht er mit seinem Dung eigene Wege. Seine Absicht macht nicht schon bei Ziegeln halt, er denkt an Töpfe und Vasen, an Kunst. Man müsste das Ganze natürlich entsprechend promoten. Die Dorfkapelle wäre das Pilotprojekt und Blauweiß könnte ähnliche Objekte auch anderweitig verscherbeln. Seine Werbeagentur ist bereits aktiv und hat dazu geraten, gezielt auf die Kirche zuzugehen. Die bekäme dann für ihre Abnahmebereitschaft drei Kapellen für den Preis von zwei.

Blauweiß, der seine Kühe jetzt gern mit Na, ihr kleinen Scheißerchen! begrüßt, ist in seinem Element. Er gründet die Firma Stone Bovine GmbH. Außerdem gibt er allen kund, dass er das Dach der Kapelle finanzieren wird, denn er will seine Finger von Anfang an werbewirksam im Geschäft haben.

Das Projekt wird freilich durch die Einlassung des Pfarrers verkompliziert. In Afrika, sagt er, werden solche Ziegel an der Sonne getrocknet, eine Brennerei sei daher nicht im Sinne der Idee. Man hält ihm entgegen, dass wir uns hierzulande schließlich nicht in einer tropischen Gegend befinden.

Aber in einer, die ihre Nachhaltigkeit pflegen muss, entgegnet Tirpitz, verschränkt seine Hände und sagt: Vertrauen wir auf unseren Herrn. Den Klimawandel hat er bereits eingeleitet.

Die Aktion gerät ins Stocken. Man erhebt nämlich Einspruch mit einem lutherischen Kirchenlied, in dem es heißt: Eine feste Burg ist unser Gott. Diese Burg brauche gebrannte Ziegel. In einer leidenschaftlichen Rede vor dem Gemeinderat verweist Bürgermeister Don Otto auf den Fleiß, den guten Willen, gar die Leidenschaft, mit der die Dorfbewohner jeden Kuhfladen aufgelesen hätten, um die großartige Idee einer Kapelle ins Werk zu setzen. Das dürfe nicht einfach vom Regen weggespült werden. Wir haben, fügt er hinzu, nicht Granit noch Marmor, aber auch wir können es mit teuflischen Naturgewalten aufnehmen. Das »teuflisch« bewusst an Tirpitz' hyperökologische Sturheit gerichtet.

Letzterer gerät in eine strategische Zwickmühle. Zwar findet auch er eine Handvoll Unterstützer, Grete Hülsenbeck zum Beispiel, die notorische Apokalyptikerin, die jede modernistische Strömung im Höllenfeuer verglühen sieht, oder die Städterin Katharina, die sich auf melancholische Weise der Vergänglichkeit ausgeliefert weiß. Aber die Mehrzahl der Dorfbewohner stimmt für festes Mauerwerk, will »Härte zeigen«. Und diese Schäfchen gilt es doch für Tirpitz, in seinen Gottesdienst zu locken.

Er schichtet ideologisch um. Natürlich, verkündet er, braucht es starke Mauern, darin sei er sich mit allen einig. Aber im Fall der Kapelle gehe es nicht um eine Festung, sondern um ein Abenteuer des Glaubens.

Anders gesagt, man wird auf uns schauen, man wird neugierig sein und sicher in größerer Zahl anreisen. Wer hat schon einmal die Gelegenheit, eine ländliche Kapelle in Afrika zu besuchen? Liebe Brüder und Schwestern, beachtet den lukrativen Eventcharakter, den das hat.

Jetzt werden doch einige hellhörig. Korbinian Kropp, der vermeintliche Liebhaber der Bürgermeistersgattin, zum Beispiel. Er vermittelt Ferienaufenthalte in der Gegend und mit einer solchen Kapelle könnte er in seinen Prospekten sicherlich punkten. Helena – man begegnet ihr nur noch selten – lässt sich im Sarong zu ihrer verwaisten Wurstbude in der schwarzen Limousine ihres Liebhabers kutschieren. Sie will in Vorbereitung zu den Baumaßnahmen roast nyama nyama6 anbieten. Ihr Liebhaber Toketalagi, der von Gerüchten umrankte Südseediktator, wird ebenfalls kurz erscheinen und Autogramme verteilen. Außerdem, gibt Helena nebenbei kund, könne man sich durchaus vorstellen, später in dieser Kapelle zu heiraten.

Die bevorstehende Hochzeit eines Prominenten ist eine Nachricht, die sich in Windeseile im Dorf verbreitet. Die harte Mehrheit bricht rasch zusammen, jetzt richtet man den Blick ganz auf Publicity und Abenteuer.

Aber derlei Träume zerrinnen mit einem Mal. Niemand hat sich bislang mit den Tücken einer Baugenehmigung auseinandergesetzt. Nun aber schlägt sie mit voller bürokratischer Härte zu, weil Kuhdung kein zertifiziertes Material im Sinne der EU-Bauprodukteverordnung Nr. 305/2011 ist. Soviel dazu.

Der mystische Widerstreit von Ewig- und Vergänglichkeit wird an einem typisch ländlichen Produkt sichtbar. Bei einem jungen, noch kinderlosen Ehepaar, ist nämlich ein seltsamer Disput ausgebrochen, nachdem

Emil Knäbling

der Mann, häufiger Eier aus der Tenne holt, ohne die Absicht zu haben, sie zu verkaufen oder zu verzehren.

Konstanze, seine Frau, beobachtet nur, wie er sie mit einer Kanüle aussaugt, dann heißes Wasser, in das er einen Tropfen Spülmittel gegeben hat, einfüllt, schüttelt und das Wasser wieder absaugt. Man könnte vermuten, dass er gerade jetzt um die Osterzeit die Schalen bemalen möchte. Aber Konstanze hat ihn mit so etwas noch nie erlebt, ihr fiele außerdem niemand ein, dem er sie Lust hätte zu schenken. Im Haus werden die tauben Eier hinterher nicht mehr gesehen, dafür erhält Konstanze in einem fort Flüssigei und könnte ohne Ende Kuchen damit backen. Stattdessen ist sie gezwungen, es portionsweise einzufrieren, die Tiefkühltruhe ist mit geknautschten Beutelchen jedoch längst schon überfüllt. Weil Eiweiß und Dotter zuvor nicht geschieden worden sind, kann sie nicht einmal, was sie gerne täte, Eierlikör zubereiten.

Ihrer Frage, was er mit den leeren Eierschalen denn nun mache, weicht Emil jedes Mal aus. Er sagt lediglich, dass er eine Sammlung anlegen würde.

Du sammelst taube Eier?

Früher, meint er, hat man Blumen zwischen Buchseiten gepresst, das war auch nichts anderes. Ich will lediglich das Ei von heute noch in zwanzig Jahren in seinem ursprünglichen Zustand betrachten können, verstehst du? Warum hat man wohl im alten Ägypten Tote mumifiziert?

Konstanze kann Emils Logik nicht ganz folgen, sie sagt: Du sammelst Eier wie andere Bierkrüge oder Briefmarken. Warum tust du das? Unsere Hühner legen jeden Tag welche.

Sie versteht noch weniger seine Antwort, wenn er sagt: Ich will dem organischen Verfall etwas entgegensetzen.

Wie drückt er sich überhaupt neuerdings aus? Konstanze überlegt. Dem organischen Verfall – aber an den leeren Schalenhüllen verfällt doch gar nichts mehr, jedenfalls nicht so bald. Sie sagt ihm das.

Emil sieht sie träumerisch an.

Das stimmt, aber es geht dabei um die äußere Hülle, den schönen Schein. Davon leben wir doch alle ein gutes Stück weit.

Konstanze streicht ihm in mütterlicher Ratlosigkeit übers schüttere Haar.

Mag meine Haut im Lauf der Jahre immer runzliger werden, fährt er fort, die Eier behalten ihren glatten Teint.

Sie fühlt mit ihm, wenn er, dessen Kopfform auffallend einem Ei gleicht, in seiner Kollektion glaubt, weiterleben zu können. Die Eier sind das Spiegelbild seiner ewigen Jugend.

Ein Skelett wird von ihm übrig bleiben, ein Schädelknochen und der wird einstmals als krönender Abschluss in einer langen Reihe von leeren Eierschalen stehen. Archäologen werden kaum weniger rätseln, als es Konstanze tut.

Heimspiel

gegen Sparta 2000, den Tabellenführer und heißen Aufstiegsaspiranten, gegen den man sonst gar nicht angetreten wäre, weil eine 0:3-Niederlage auf dem Papier sich weit besser liest als ein zweistellig mieses Ergebnis, mit dem man rechnen müsste. Ein gewisser Hermann Stollbruch steht heute auf dem Berichtsbogen des FC. Hermann fällt durch seinen entschlossenen Blick und seine dynamisch nach vorn gebeugte Haltung auf, bei der man an ein grimmiges Huftier erinnert wird.

Gleich nach dem Anstoß schnappt er sich den Ball und tankt sich an zwei Sparta-Verteidigern vorbei. Sein Schuss streicht jedoch knapp am rechten Torpfosten vorbei. Die fünf zahlenden Zuschauer aus dem Dorf klatschen aufmunternden Beifall, fragen sich natürlich auch, wo dieser Bursche plötzlich herkommt.

Das 1:0 fällt erwartungsgemäß auf der anderen Seite. Ein leicht adipöser Verteidiger des FC lässt sich austanzen und unser Torhüter steht unzulässig weit vor seinem Kasten. Anschließend misslingt eine weite Flanke aus dem Anstoßkreis auf Hermann. Stattdessen fahren die Spartaner einen Konter: 2:0. Molka, der in einem fort am Spielfeldrand mit den Armen rudert oder mit ausgestreckten Fingern Zeichen gibt, die noch nie einer kapiert hat, kann sich nach dem bald erfolgten 3:0, einem bekloppten Eigentor, lediglich noch Hermann verständlich machen. Der rückt nun in die Verteidigung. Er zeigt auch gleich, wie es geht, und begeht ein zwar leichtes, aber leider auch taktisch inspiriertes Foul und das wird mit einer Gelben Karte bestraft. Macht nichts. Hermann zieht weiter die Fäden, bringt es zu einem doppelten Doppelpass mit Jungbauer Goltz, der sich kurz umschaut, ob’s auch alle gesehen haben, lässt wieder zwei Spartaner aussteigen und trifft dieses Mal satt ins obere rechte Eck. Der Jubel ist groß und die Jungs auf dem Platz tun das, was andere in dieser Situation immer tun, sie fallen über den Torschützen her, umarmen und küssen ihn. Hermann steckt es weg und der Club ist erst mal fünfundzwanzig Euro los. Bei Halbzeit steht es 1:3 gegen Viktoria.

An sich betrachtet ist das kein schlechtes Ergebnis. Hermann entzieht sich der verständlichen Neugierde seiner Mitspieler, indem er am Spielfeldrand Dehnübungen macht. Ein vom Ehrgeiz Beseelter. Aber solange er Tore schießt …

Das Spiel wird zur zweiten Halbzeit angepfiffen. Molka, der wieder hitzig auf seine Spieler eingeredet hat, steht vor seiner Trainerbank, die in diesem Fall nur ein simpler Biergartenstuhl ist, und fuchtelt herum. Hermann leitet jetzt artistisch einen Ball mit der Hacke weiter, ein Mitspieler nimmt ihn dankbar an, will zeigen, dass er nicht schlechter als Ballwuseler Hermann ist, bleibt aber prompt an der gegnerischen Abwehr hängen. Doch da ist erneut Hermann zur Stelle, erobert den Ball zurück und schlägt eine weite Flanke in Richtung Sparta-Strafraum. Zwei FC-Spieler recken die Hälse. Weil zu klein und sichtbar übergewichtig, erreichen sie das Spielgerät nicht wie erhofft mit dem Kopf. Aber auch der gegnerische Torwart fliegt darunter durch und der Ball landet für alle überraschend im Tor. Die paar erschienenen FC-Fans recken die Bierdosen in die Höhe und umarmen sich. Hermann kriegt wieder Küsse.

Das 3:3 erzielt nicht Hermann, sondern der schon genannte Goltz, nach zwei Spielzeiten sein erstes Tor in der Liga! Hermann küsst jetzt zurück und die FC-Fans tanzen Sirtaki. Noch mal Hermann, der einen schwach geschossenen Eckball seiner Mannschaft so gerade noch erreicht, den herausgelaufenen Torwart umkurvt, nun alleine vor dem Tor steht, aber anstatt den Ball humorlos ins Drahtgehäuse zu hauen, erst noch auf seine Stirn lupft und dann einköpft. Eine Showeinlage, wie man sie auf diesem Platz noch nie erlebt hat, es ist der helle Wahnsinn. Aber Sparta, zornig und gefrustet, kommt noch einmal vor das FC-Gehäuse. Der Sparta-Mittelstürmer steht jetzt zwei Meter vor der Torlinie und muss nur noch einschieben, doch Hermann, immer wieder Hermann, rauscht von hinten heran und holt ihn brutal von den Beinen. Die Entscheidung ist klar: Elfmeter und glatt Rot für den Übeltäter. Ein Schrank von Mittelstürmer aufseiten der Spartaner tritt an. Der FC-Torwart hechtet in die rechte Ecke. Der Schuss wäre jedoch in der linken gelandet. Wäre – hätte ihn nicht irgendein Fußballgott um den Pfosten gelenkt.

Leider sind die FC-Spieler bei dieser Aktion zu früh in den Strafraum gesprintet, der Elfer muss wiederholt werden. Der Wind, möchte man poetisch einfügen, wirbelt die verzweifelt ausgerissenen Haare der FC-Anhänger über das Spielfeld, kann aber noch mehr, denn er bläst den zweiten Strafstoß erneut am linken Torpfosten vorbei. Schlusspfiff.

Den FC Viktoria kostet dieser 4:3-Sieg fünfundsiebzig Euro für Hermanns drei Tore und die Mannschaft gibt sich einer bierseligen Siegesfeier hin. Jetzt fragen natürlich alle, wo Hermann, der unbestrittene Held des Tages, sich aufhält. Musste dringend weg, erklärt Molka. In Wahrheit verwandelt Hermann sich auf dem Dixi-Klo für Damen gerade wieder in Gabi Sonnenstern.

Sie hat tatsächlich noch einen Termin, muss in einem Flutlichtspiel mit ihren »Mädels« antreten. Drei Tore benötigt sie noch, um ewige Rekordhalterin in ihrer Liga zu werden. Aber dort werden die Tore, wenn überhaupt, schlechter bezahlt. »Männer« lohnt sich deswegen eher. Eine Geschlechtsumwandlung, fügt sie scherzhaft an, wäre trotzdem zu teuer für einen Nebenjob bezahlt. Von ihrem Freund, den ihre Mannschaftskolleginnen gern ihr kleines Schoßhündchen oder einfach Idefix nennen, lässt sie sich verwöhnen. Er liebt nun mal ihren Schweißgeruch, ihre fabelhaft muskulösen Schenkel, ihre Härte, ihre blauen Flecke.

Der FC Viktoria, der auch nach dem Sparta-Spiel weiterhin mit großem Abstand das Schlusslicht in der Tabelle bildet, lässt es sich in Gestalt von Masch, Bommerland und Künzing dennoch nicht nehmen, mit Hermann, ihrem Racheengel, bereits munter von einem kommenden Aufstieg zu träumen. Man überlegt, ob man die grün-weißen Vereinsfarben nicht verändern soll, um Blauweiß, den Großbauern, an dessen Tür man zuvor vergeblich geklopft hat, vielleicht doch noch als Sponsor zu gewinnen. Molka steht nun freilich die schwierige Aufgabe bevor, seinen Spielern zu erklären, wer Hermann in Wahrheit ist. Viel Freibier wird fließen müssen.

Masch, Bommerland und Künzing überlegen, was passieren wird, wenn der Schwindel auffliegt, wiegen wieder die Köpfe und kommen zu dem Ergebnis, dass in diesem Fall die überregionale Presse erschiene und genüsslich über Viktoria, den Skandalclub, berichten würde. Sie selbst würden es ebenfalls genießen, denn der Name des Clubs könnte angesichts der aktuellen Genderdebatte in die Annalen des Fußballsports Eingang finden. Das wiederum schlüge positiv bei den Einnahmen, zumal den möglichen Werbegeldern, zu Buche und man könnte eines nicht so fernen Tages mit seiner Vorreiterrolle Berühmtheit erlangen.

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