Kitabı oku: «Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD)», sayfa 11

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Glück und Innerlichkeit

Was Menschen glücklich macht, ist so vielfältig wie die Menschen selbst. Kultur, Zeitepoche, Gesellschaft, Alter, Geschlecht, Leiberleben sowie psychische, soziale, ökologische, materielle und politische Verhältnisse sind Variablen, unter denen Glück sich für das Subjekt als personale Erfahrung gestaltet oder allenfalls: sich gestalten lässt. Modernen Einstellungen entsprechend, verstehen Menschen unserer Kultur unter Glück für gewöhnlich von außen kommende Bedingungen, die angenehm erscheinen, meist verbunden mit materiellen Vorstellungen. Dabei ist der Mensch der Hochleistungsgesellschaften durchaus bereit, für sein Glück auch etwas zu tun. Tatsächlich treibt einen Großteil der westlichen Welt seit der Aufklärung der nach außen gewandte Gedanke um, man müsse die Welt verändern, um glücklich sein zu können.

Lustgewinn, Reichtum, Ruhm, Erfolg und Ehren, Selbstzufriedenheit, das Schöne ganz allgemein oder konsumatorische Interessen werden damit eher assoziiert als antike Obligationen des Glücks: Pflicht und erfülltes Tätigsein, Tugend, Liebe und Mitmenschlichkeit, die Sorge für Familie und Gemeinwohl, hinter denen allesamt Herausforderungen stehen (Forschner, 1993). Gewiss leben wir freier und sicherer, ob wir auch glücklicher sind, darüber kann nur eine semantische Analyse Aufschluss geben. Um Zufriedenheit geht es jedenfalls nicht, denn Glück ist in gewisser Weise die dialektische Verneinung der Zufriedenheit (Badiou, 2016b, 64). Aus Gründen der Nähe zur psychotherapeutischen Arbeit soll jetzt Bedeutung und Rolle der Innerlichkeit für das Glück nachgegangen werden.

Ganz unabhängig davon, von woher es rührt – von äußerlichen Umständen her oder als Erfahrung der Innerlichkeit –, stellt wahres Glück sich dem Menschen als ein Widerfahrnis (Marquard, 1995) dar, als eine Nebenfolge seines Tuns (Bien, 1999). Es ist das freudige Annehmen dessen, was Gegeben ist, vor allem dann, wenn man nicht damit gerechnet hat. Insoweit es noch immer Resultat der eigenen Bemühungen ist, verfehlt das Glück seine Natur als Gegebenes, der Mensch bleibt weiter Akteur, vermeidet es, beschenkt zu werden, und findet sich nicht in der Rolle des Teilhabenden (Marion, 2015). Eine schlichte Auffassung beinhaltet den Gedanken, dass das Glück sich einstelle, sobald Wünsche, Vorstellungen oder der eigene Wille sich erfüllten. Das mag hin und wieder der Fall sein, aber ebenso oft stehen die eigenen Vorstellungen der Erfahrung von Glück im Wege. Im eigenen Bewusstsein erzeugen sie Einengungen, Abschattungen (Husserl, 1913), unter denen das Konkrete, was einem das Leben im kontingenten Augenblick schenken mag, unter Umständen aus dem Blick gerät, verloren geht. Das schattenlose Glück indes, unter dem alles Zuträgliche vorhanden ist und alles Abträgliche fehlt, ist nicht menschenmöglich. Glück ist neben dem Unglück, trotz des Unglücks oder gar durch das Unglück, das eigene oder das der Anderen oder indem beides zusammenfällt (Marquard, 1995, 11).

Mit Badiou (2016b) kann man sagen, dass das Glück nicht absolut existiert, man kann es weder denken noch konstruieren, vielmehr muss man sich ergreifen lassen, das Wagnis der Selbstöffnung eingehen. Allein die Innerlichkeit der Erfahrung ist Kennzeichen einer subjektiven Wahrheit des Glücks. Dies scheint zwar der Auffassung zu widersprechen, dass „jeder seines Glückes Schmied“ sei. Aber es soll nur erst darauf aufmerksam gemacht werden, dass Wünsche und Vorstellungen und die Anstrengungen, mit denen der Mensch sie zu erreichen versucht, nicht notgedrungen immer zu den gewünschten Resultaten führen. Selbst die höchste Rührigkeit benötigt das Quäntchen Fügung, um ihr Ziel zu erreichen. Die Antike stellte hierfür eine eigene Figur in den Götterhimmel, von der abgeleitet das heutige Verständnis der „Tücke“ rührt: Das Schiff ist bereit, die Mannschaft komplett, der Proviant geladen, die Route festgelegt, der Wind steht günstig – die Seile werden eingeholt, man legt ab, ob man ankommt oder nicht, liegt aber in den Händen der Göttin Tyche (Janke, 2002). Auf sie zu hören, ist eine Sache der Innerlichkeit, auf sie zu vertrauen, eine Sache der Kontingenz.

Diametral gegenüber stehen die Haltungen der Machbarkeit, der Herbeiführbarkeit, der Leistungsbereitschaft, der Kontrolle. Was also soll das Subjekt wählen, wie soll es sich entscheiden? Kann es sein Glück meistern oder muss es sich in die Kontingenz fügen? In dieses Paradox ist der Mensch eingelassen (Seel, 1995). „Man muss mit sich eine Wette eingehen“, sagt Blaise Pascal, „man muss in sich selbst der Stimme des Gewissens begegnen“, sagt Rousseau, und Kierkegaard: „Durch die Wahl sinkt das Subjekt in das Gewählte hinab, aber wenn es nicht wählt, stirbt es an Auszehrung“ (Pascal, zit. nach Badiou, 2016b, 45; vgl. Russel, 1930). Das Werden des Subjekts aber besteht allein in dieser Prüfung, die angenommen werden muss. Selbst die trivialste Situation kann mit dieser Vorstellung in eine Erfahrung absoluten Glücks führen, weil jetzt nicht mehr nur äußere Umstände verantwortlich, sondern die Bewegungen des eigenen Bewusstseins mit einbezogen sind. In diesem Sinne haben die Stoiker diese „ständig dominierende Weisheit“ (ebd., 51) in Worte gefasst, dass das „Glück im gelassenen Hinnehmen des Unvermeidlichen besteht“, in Selbstgenügsamkeit und Seelenruhe (vgl. Seneca, 1986).

Wachheit und Achtsamkeit gegenüber den Bewegungen des eigenen Geistes stellen also eine Grundbedingung des Glücks dar, denn bis zu einem bestimmten Grad spiegeln subjektive Wahrnehmung, Auffassung, Einschätzung und Bewertung dem Menschen, wenn er in die Welt blickt, die eigenen inneren Einstellungen wider (Schneider, 1983). Die in der Sozialpsychologie so genannte Attribution spielt sowohl im Erleben von Glück und Wohlbefinden als auch im Erleben von Belastungen eine zentrale Rolle. Ein Depressiver sieht nur Dunkelheit, eine Ängstliche nur Bedrohungen, eine Histrionische nur Unverständnis, ein Zwanghafter nur Unordnung usw.; es ist eine Frage subjektiver Erkenntnis, was nun ,mehr‘ Wirklichkeit ist – das von innen oder das von außen Kommende. Was beim kranken Menschen die Symptome sind, wird im Gesunden durch seine Emotionen ersetzt. Unter Zuständen von Angst, Wut, Stolz, Eitelkeit, Neid und Gier etwa ist kaum ein glückliches Moment zu erwarten, schon gar nicht, wenn man glaubt, ein Recht auf Glück zu haben. Und wer dem „Unmöglichen nachjagt, verspielt möglicherweise seine Glücksfähigkeit: die Tüchtigkeit der Seele zum menschenmöglichen Glück“ (Marquard, 1995; vgl. Steinfath, 2001).

Die Erfahrung des „Glück[s] der Sterblichen“ (Janke, 2002) hat daher etwas mit Lebenskunst zu tun. So, wie Möglichkeiten der Freiheit sich erst erfüllen, wenn sie durch ein Bewusstsein zur Verantwortung veredelt werden, so sind auch Glück und Wohlbefinden nur Anlagen des Menschen, die der Kultivierung bedürfen (Schummer, 1998). Mäßigung scheint hierfür eine Tugend erster Wahl zu sein (vgl. Comte-Sponville, 1998; Spaemann, 2009). In jeder Hinsicht zwar, hier nur in einem Beispiel: In Zusammenhang mit herausfordernden Emotionen gilt es, zwei Fehler zu vermeiden. Der eine besteht darin, das innere Geschehen zu ignorieren, so zu tun, als ob es gar nicht da wäre, der andere darin, dem Gefühl und den ihm innewohnenden Handlungssuggestionen ohne Weiteres zu folgen, auf diese Weise zum Sklaven der Emotion zu werden. Auf der Mitte dieser beiden Pole besteht die Möglichkeit, nach außen hin, hinsichtlich des Handelns, zu verharren wie ein Stück Holz, dagegen nach innen hin den Sturm im Wasserglas aufmerksam zu verfolgen, bis er sich in sich selbst erschöpft. Derselbe Umgang empfiehlt sich allgemein mit den vielgestaltigen, versklavenden Begierden, denen der Mensch ausgesetzt ist.

Zum Glück gehört, dass man sich selbst kennt oder kennenlernt, bis zu einem Punkt, wo man sich vertraut wird, den Schrecken vor der Innerlichkeit verliert, die eigene Subjektivität als „hingegebene“ erlebt (Marion, 2015) und vielleicht sich sogar mit sich anfreundet (Schmid, 2004; Wolf, 1996). Dies ist als Vorleistung zu verstehen, als ein Einsatz dafür, dass die Innerlichkeit zu einer Kraftquelle wird, die Identität durch ihre Tiefe erst Robustheit erlangt (Sedmak, 2003). Glück kann sanft sein, leicht, wie eine warme Sommerbrise, die die Haut umspielt. Der Wucht großem Glück aber, Badiou (2016b) spricht von absolutem Glück, muss man standhalten können, zum Beispiel, wenn man dem „Vernünftigen“ und „Legalen“ widerspricht: „Wenn Du etwas anderes werden willst als das, was zu sein dir befohlen wurde, vertraue nur auf Begegnungen, sei dem treu, was offiziell ausgeschlossen wird, verfolge hartnäckig die Wege des Unmöglichen. Begib Dich auf Abwege. Erst dann kommst Du dazu, […] es kennenzulernen, das Glück“ (ebd., 45). Es braucht eine gewisse Dosis Verzweiflung und die Fähigkeit, Schuldgefühle zu ertragen, als Voraussetzung für das Zulassen großen Glücks. Und noch einmal mit Badiou: „Glück ist […], wenn das Individuum entdeckt, dass es Subjekt werden kann […], ein Subjekt, das nicht durch eine Identität geschlossen werden kann“ (ebd., 61f.).

Orientierung am Guten, das Ignorante, das Böse

In diesem Versuch wird es nicht darum gehen, was im ontologischen, säkularen Sinn als „gut“ oder „böse“ zu betrachten ist. Das ist Angelegenheit der Moralphilosophie (Überblick z. B. bei Celikates & Gosepath, 2009). Vielmehr sollen, im Anschluss an Holmer Steinfath (2001), handlungs- und einstellungstheoretische Überlegungen des Subjekts betrachtet werden, dessen Inhalte am „Guten für das Subjekt“ orientiert sind. Im Zweiten wird das Ignorante im Durchgang von der unbewussten Vermeidung über die mentale Einstellung bis hin zur Weigerung oder bewussten Verneinung dargestellt. Dabei soll Ignoranz zunächst nicht im (ab)wertenden Sinn verstanden werden, sondern als eine beim Menschen naturgemäß vorkommende Unwissenheit oder Abschattung im Sinne Husserls (1913). Erst im Letzten, im Übergang zum Nichtwissen-Wollen, tritt die landläufige Bedeutung der Ignoranz hervor. Indem das Subjekt Überlegungen, die es qua Fähigkeit anstellen könnte, nicht unternimmt, kann es durch seine Handlungen in Konflikt mit sich selbst oder dem Anderen geraten. Im Geschehen der Ignoranz ist somit – vom Denken, den Einstellungen und vom Handeln her – der zum Großteil noch ungerichtete Übergang zum Bösen, der dritten Auseinandersetzung in diesem Abschnitt, zu lokalisieren.

Wie das Böse zu deuten ist, war nicht immer gleich. Während die Menschen der Frühzeit bis ins Europa des 17. und 18. Jahrhunderts im Bösen vornehmlich den Ausdruck dämonischer Geister und Naturkräfte, wahlweise zornvoller Gottheiten sahen, gilt es heute fast ausschließlich als Folge selbstbezogenen, grausamen oder sozial unverantwortlichen Handelns von Menschen selbst. Das Böse stellt eine Herausforderung dar, einesteils für die Vernunft, andernteils für Sicherheitsbedürfnisse. Es bringt die affirmative Zuversicht ins Wanken, dass der Lauf der Welt, der Dinge, der Bezüge einen Sinn ergibt: Wie viel Sinn steckt in einer Welt, in der Unschuldige leiden? Ist das Böse tiefgründig oder banal? Ist es verstehbar oder sind wir aus Gründen der Moral verpflichtet, es zu vermeiden? (Neiman, 2004; Arendt, 2007; Marquard, 1986b) Folgt man Jean-Luc Nancy (2014a), so leben wir in einer „Welt des abwesenden Sinns“ – in dieser Denkart kann es nur der Mensch sein, der Sinn konstruiert. Im Hinblick auf das Böse kann dies wiederum nur Gemeinsinn sein (ders., 2016b).

Das Gute und das Böse verhalten sich dialektisch zueinander, lassen sich daher nur relational definieren. Die kürzeste, daher freilich verkürzte, handlungstheoretische Definition des Guten ist daher: Was für mich selbst vorteilhaft ist, gleichzeitig für den Anderen annehmbar (Foot, 2014). In Entsprechung ist das Böse nur allein für mich gut oder gar das Beste, für den Anderen jedoch einschränkend und beschädigend (Pieper, 2002).

In der Herausforderung durch Immanuel Kants Fragen „Wieviel kann ich wissen?“, „Worauf darf ich hoffen“ und „Wie soll ich handeln?“ findet sich der Mensch im Konflikt seiner Doppelnatur wieder, zwischen seinen Anlagen von Kooperation und Konkurrenz (Höffe, 2015) auf der einen, der (bedingten) Freiheit seines Willens auf der anderen Seite (Safransky, 1999). Das menschliche Subjekt tritt als ein Wesen hervor, das sich selbst, die Dinge, den Anderen und die Welt deliberieren2 und in Hinsicht auf sein Handeln evaluieren kann, sogar muss. Welt und Natur (insofern wir sie auch selbst sind), der Andere, die Dinge gehen uns etwas an, wir sind Wesen, für die etwas zählt und die im Hinblick darauf praktische Überlegungen anstellen. Unabhängig von moralischer Bewertung trägt die Struktur dieser subjektiven Überlegungen immer das Merkmal der Orientierung am Guten in sich (Steinfath, 2001, 23ff.). Dabei ist an einer Einschätzung und Entscheidung für das Gute aber nicht nur die Vernunft beteiligt, sondern gleichermaßen das Herz – Verantwortung, Engagement und Mitmenschlichkeit – am Ende die Liebe (Frankfurt, 2016). Im Ausgang praktischer Überlegungen entscheiden wir uns daher auch weitgehend in Bezug auf die Frage, wer wir sind oder sein wollen.

In der Entscheidung zum Guten ist es das Subjekt selbst, das, nicht nur aufgrund seiner Vernunft, sondern auch von seinen Gefühlen und unbewussten Motiven – also von seiner Innerlichkeit – her, Einschätzungen und Bewertungen vornimmt. Die bewusste Entscheidung zum Bösen kommt sehr viel seltener vor. Sie ist dann eine egozentristische, die für die Durchsetzung der eigenen Vorstellungen den Schaden des Anderen ausblendet oder billigend in Kauf nimmt. Und dann kommt die Bewertung von außen. Der ,Böse‘ glaubt an einen Vorteil für sich, daher bewertet er das Böse subjektiv immer noch als gut. Wenn das Böse vom Subjekt überhaupt nicht intendiert wurde, sich der Andere aber verletzt fühlt, muss die Bewertung zwischen den Subjekten ausgehandelt werden.

Da Menschen die Fähigkeit besitzen, sich auf sich selbst zu beziehen, können sie die Wünsche, die Gründe und die Ziele ihres Handelns in gewissen Grenzen reflektieren. Dies ist keine Frage der Bildung. Menschen sammeln und tradieren Wissen über sich selbst, die Welt, die Anderen und die Dinge, das sie schier selbstverständlich in Hinsicht auf ihre Entscheidungen hin wieder anwenden. Auch ohne Moralphilosophie wissen sie, was dem „guten Leben“ zuträglich ist und was nicht (Fenner, 2007). Werturteile sind generell nicht notwendig expliziert, sondern intuitiv, Bewusstheit trifft allenfalls auf höherstufige Einstellungen zu. Intellektualismus ist daher in der Entscheidung für das Gute nicht erforderlich. Fehlende oder mangelnde Bildung ist höchstens eine Erklärung, nicht aber eine Entschuldigung für böses Handeln.

Was auf diese Weise zur Herausforderung wird, verleiht uns einerseits Souveränität, andererseits stellt es eine Quelle mannigfaltiger Probleme dar. Nicht mit allen unseren Wünschen können wir uns identifizieren, manche entzweien uns sogar und führen zu Entfremdung. In der Frage, wie wir leben sollen, mögen uns einerseits die Vernunft und die Ethik Orientierung geben (Frankfurt, 2016). Diese aber entsprechen tendenziell einem Top-down-Prinzip, welches einen Dualismus und, innerhalb dessen, ein Herrschaftsverhältnis ,im eigenen Haus‘ generiert: der Leib, das Begehren, die Triebe, das ,Gefährliche‘ sollen kontrolliert werden. Im Abschnitt über Leiblichkeit wurden diese Probleme bereits diskutiert und es wurde für die Notwendigkeit einer Bejahung des Leiblichen gestimmt. Die Empfindung der Integrität, die wir für das gute Handeln benötigen, kann daher nicht allein aus der Vernunft kommen.

Zählt für unsere praktischen Überlegungen einfach nur das Gute oder zählt das Bessere oder das Beste? In oberflächlicher oder umfassender Absicht, die das Prinzip der Maximierung oder wenigstens Optimierung im Sinn trägt, wäre Letzteres das wahrscheinlich Zutreffende. „Die beste Option ist die, die besser ist als alle anderen“ (Steinfath, 2001, 16). Differenzierend wird dann gefragt: Wodurch wird sie besser als alle anderen? Ein überlegendes Subjekt kann sich solchermaßen auch mit dem Erstbesten begnügen, dem, was gerade gut genug ist, bis es auf Handlungs- oder Lebensmöglichkeiten stößt, die wenigstens nicht allzu schlecht sind. Auch damit kann ein Mensch sich gut oder sogar glücklich fühlen. Die Strategie des bewussten Sichzufriedengebens kann sich besser anfühlen als die Strategie des Optimierens. Außerdem kann etwas vielleicht an sich wertvoll sein, ohne jedoch für mich wertvoll zu sein. Und am Ende kann am besten sein, nicht dem Besten nachzujagen, weil einem sonst das Beste entgeht (ebd., 17).

Mehrere Faktoren sind für das praktische Überlegen im Rahmen der Orientierung am Guten ausschlaggebend. Zum einen stellt sich das Gute immer als Perspektive „in der ersten Person“ dar (Williams, 2011), zum anderen ist, was sich als gut, am besten oder als gut genug zeigt, an die je vorfindliche Situation und die Verfasstheit der Welt gebunden. Die Gründe des Handelns – seien sie ethischer, konventioneller, hedonistischer oder instrumenteller Natur – verbinden sich außerdem immer mit ihren Zwecken. Diese sind in der Einschätzung des Guten in gleicher Weise einbezogen wie die Gründe. Insofern ist die Orientierung am Guten auch an die Belange des Anderen gebunden. Weil aber alle Affirmationen den Ausgang oder die Folgen einer Handlung betreffend offen bleiben, sind praktische Überlegungen ein kreativer, immer nur im Augenblick abschließbarer Prozess (Hogrebe, 2006).

Neben allen äußeren Faktoren ist also die Vernunft mit ihren Idealen – die ethische Erwägung mitsamt ihren kognitiven Dissonanzen – nur eine von mehreren Ebenen, die für die Orientierung am Guten notwendig sind. Über das eigenleibliche Spüren kommen Gefühle, Stimmungen und Atmosphären als primäre und unverzichtbare Medien der Einschätzung hinzu. Ohne die Gefühle und die ihnen verwandten Instinkte könnten wir gar nichts als gut oder schlecht, wertvoll oder schädigend erfahren (Steinfath, 2001). Nach reiflichen Überlegungen ist es meist die Intuition – an sich mehr etwas Gegebenes als ein Produkt der Machbarkeit –, die eine Lösung aus ethischen Dilemmata erfindet. Meist erst im Nachhinein werden daraus Absichten und Entscheidungen geformt (Velleman, 1989; Hogrebe, 1996).

Hierin sind implizit beinah alle Gründe der Ignoranz schon genannt. Es wurde bereits erwähnt, dass sie den noch ungerichteten Übergangspunkt zum Bösen darstellt. Hier sind nun Differenzierungen angezeigt. Über sein Bewusstsein besitzt der Mensch die Anlage zu Freiheit und Verantwortung. Aber er kann diesen Spannungsraum nicht in vollem Umfang nutzen, weil er die Folgen seines Handelns nicht weitreichend genug überblicken kann. Insofern sind der Subjekthaftigkeit Fehler immanent. Wenn man ihm überhaupt eine geringfügige Tendenz unterstellen will, wäre es schon aus programmatischen Gründen notwendig, obwohl er auch das Böse als Option in sich trägt, ihm affirmativ als grundlegende Natur das Gute zuzusprechen (meint: desillusioniert und auf das Beste hoffend). So erhielten das Ignorante, die Laster (für die man wenigstens teilweise etwas kann), selbst noch das Böse die Gnade der Zuschreibung von Fehlbarkeit (Ricœur, 1971a, b; Sofsky, 2009; Seel, 2011).

Ignoranz im Sinne der Unwissenheit kann schlicht fehlende Achtsamkeit sein, Ausblendungen aufgrund der Tatsache, dass wir die Komplexität der Ereignisse nicht überblicken. Auch unbewusste Prozesse der Vermeidung führen zu Unwissenheit, der Geist versucht unangenehme Inhalte zu umgehen, sie zu projizieren oder auf andere Weisen unschädlich zu machen (Geisenhanslüke & Rott, 2007). Das kann bis zu Verleugnungen und Abspaltungen reichen, unter denen dann wichtige Orientierungsfunktionen – Gefühle, Empfindungen, die Intuition – nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung stehen oder gar dissoziiert sind. Die Folgen der Einschränkung eigenleiblichen Spürens sind Fühllosigkeit und Entfremdung, bis hin zu Torpidität (Stumpfheit). Der Instinkt als Leibgeschehen und die Intuition als kognitives Geschehen schenken uns normalerweise eine reiche Kreativität, Sinnlichkeit, Phantasie und Humor. Wenn das Schöne leiblich und emotionell nicht mehr gespürt werden kann, kommt es zu Verhärtung und Verbitterung, in deren Gefolge die fehlende Offenheit und Durchlässigkeit zu frustrierten Einstellungen führt.

Die ständig Unzufriedenen sind wie ,chronifizierte Säuglinge‘, deren Wohlsein sich erst einstellt, wenn die Welt sich ihnen so darbietet, wie es ihren Vorstellungen entspricht – also nie. Die Form der Darbietung wird dabei gerne den Mitmenschen überantwortet. Derweil verfließt die Zeit, in der sie ignorieren, dass ihnen nicht nur die Freiheit, sondern auch die Verantwortung für die Gestaltung eines eigenen Lebens in einer unvollkommenen Welt obliegt. In der Weigerung, die eigenen Gefühle und Instinkte, den Anderen oder das Andere überhaupt noch zuzulassen und sie in das Kalkül subjektiver Überlegungen mit einzubeziehen, ist dann der Übergang von der Unwissenheit zur bewussten Ignoranz zu finden. In diesem Zustand befindet das Subjekt sich in einem zutiefst verstörten Selbst- und Weltbezug. Empathische Fähigkeiten können dann dazu verhelfen, anderen gezielt zu schaden (Breithaupt, 2017).

Das sieht im Bild robuster Ablehnung stark aus, ist aber im Innern ein Bild der Ohnmacht. Nichts zählt mehr, man rechnet sich nichts mehr aus, ist traurig, wütend, voller Hunger und Schmerz, ohne es sich eingestehen zu können, dazu fehlt der Mut oder die Kraft, man kann nichts mehr verlieren, man hasst sich dafür, sich so zu empfinden, und blickt neidvoll auf andere (Richter, 2007). Die heilende Selbstöffnung für den Schmerz scheint unerreichbar, denn dazu braucht es den Anderen. Das kann chronifizieren und zu einem Modus Vivendi werden. Diese bewussten oder unbewussten Verweigerungen stellen in der Art ihrer Sinnlosigkeit einen möglichen Ausgangspunkt dar, um gewalttätig zu werden oder das intendiert Böse zu tun, ein Abgleiten ins Absurde (Nagel, 2012b). „Die Gewalt [aber], die man ausübt, ist stets der Spiegel der Gewalt, die man sich selbst auferlegt [und umgekehrt]. Das ist die Intelligenz des Bösen“ (Baudrillard, 2010a, 141; Einfügung durch Autor). Durch sie kann es auch zu einer Zerstörung der Urteilskraft kommen.

Paul Ricœur (1971a, b) sieht die „Einbruchstelle des Bösen“ in einer konstitutionellen Schwäche des Menschen, in seiner affektiven Zerbrechlichkeit und Nicht-Koinzidenz mit sich selbst. Obwohl er nicht weiß, ob er das Böse selbst setzt oder ob es ihn gefangen nimmt, muss er sich dazu bekennen, dass er sich in einem Akt des „unfreien Willens“ (ebd., 175ff.) von seiner natürlichen Fehlbarkeit zu einer Fehltat hat verleiten lassen. Dabei besitzt das Böse an sich keine unabhängige, objektive Realität. So wenig, wie wir ein Tier, das tötet, um zu überleben, als böse bezeichnen würden, so wenig können wir die menschliche Destruktivität isolieren und aus Kontext oder Kontinuum ausklammern. Das Gute zu tun heißt, sich vom Ignoranten und vom Bösen abzuheben. Beides muss daher repräsentiert sein, sonst kann man nicht damit arbeiten. Man entsorgt das Böse nicht, indem man es dämonisiert und zu verbannen versucht, sondern indem man ihm ins Auge blickt und mit ihm ringt.

Orientierungen hierfür sucht das Subjekt oft im Diskurs mit dem Anderen (Apel, 1990; Habermas, 1983). Hierin erhalten das Gute wie das Böse eine eingängige narrative Struktur, die auch für die Tradierung von Sinn, Werten und Handlungsorientierungen die zentrale Rolle spielt (Joisten, 2007). Dieser Andere kann insbesondere auch die Psychotherapeutin sein, die mit ihrem Patienten den Ausgang aus dem Ignoranten, den Lastern, dem Bösen sucht. Dann ist es eine Aufgabe der Profession, hier nicht nur für Einsicht, manchmal Nachsozialisation, sondern auch für Aufklärung, vielleicht sogar Bildung zu sorgen. Im Sinne der Psychotherapie ist mit Badiou (2015a) hierbei einer subjektivistischen Konzeption des Guten der Vorrang vor moralischen Entwürfen zu geben (was die Auseinandersetzung mit der Moralphilosophie aber nicht stört).

Erst wenn es etwas ,aus ganzem Herzen‘ tut ist die Integrität des Subjekts in vollem Umfang gegeben. Somit ist es am Ende die Liebe, die nicht nur die Gründe (warum), sondern auch die Zwecke (wozu) unserer Überlegungen und unseres Handelns strukturiert. Insofern ist sie der Vernunft sogar überlegen: Weit hinter moralischen Überlegungen, und selbst noch hinter den Gefühlen, tritt sie uns – „bottom up“ – am äußersten Horizont unseres Daseins als letzte Notwendigkeit entgegen, mit der finalen Frage: „Kannst Du lieben, was Du tust?“ (wonach Dich verlangt, was Du denkst, was Du fühlst, was Du willst usw.). „Nicht das Böse, nur das Gute kann man mit ganzer Seele tun. Was einer sich erst abringen muss, ist noch nicht das Gute. Erst, wenn er sich selbst errungen hat, gerät das Gute durch ihn“ (Buber, 1958, 42).

Das Böse soll hier nur im Rahmen subjektiver Verantwortlichkeit besprochen werden. Der Versuch, alle Formen des Bösen mit einer Formel abzudecken, muss scheitern: „Sklaverei, rituelle Schändungen, Verstümmelungen oder Exekutionen, die Verfolgung von Außenseitern, Ungläubigen oder Missliebigen, Torturen und Martern im Namen der Götter, des Staates oder des Rechts, der Nation, der Klasse oder Rasse, all dies entbehrt jeder Legitimität“ (Sofsky, 2009, 14). Inzwischen kann das Böse, das Üble auch in systemischen Verwerfungen gesucht werden. Han (2016, 20) etwa sieht den Motivator des aktuellen Terrorismus nicht im Religiösen, sondern in einem Widerstand des Singulären gegen die Gewalt des Globalen, die alle Singularitäten hinwegfegt (vgl. Baudrillard, 2002). Obwohl eben das Gesellschaftliche und das Politische Orte der Austragung, sogar Verwaltung, für das Böse darstellen und sie daher für den Menschen eine große Rolle spielen, muss der Diskurs über kollektive und globale Formen des Bösen an dieser Stelle ausgelagert werden (vgl. hierzu Han, 2016; Stangneth, 2016; Chomsky, 2014; Baudrillard, 2010a; Arendt, 2007; Sofsky, 2005; Simon, 2004; Neiman, 2004).

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