Kitabı oku: «Einmal Kuba und zurück», sayfa 4
Mein Schwiegervater Teo war ein herzlicher und liebevoller Mensch. Er war schon 72 Jahre, aber immer noch rüstig. Sein Umgang mit mir war von so viel Fürsorge geprägt. Er wusste, dass meine Familie weit weg war, und er gab alles, damit ich das nicht spürte. Er stand zu mir, er tröstete mich, wann immer es nötig war, er war immer für mich da. Er fieberte mit mir, wenn ich auf Post wartete. Er freute sich mit mir, wenn ich endlich einen Brief aus Deutschland in der Hand hielt, und er weinte mit mir, wenn die Briefe mich zum Weinen brachten und ich Heimweh hatte. Wenn ich Hunger hatte, versuchte er, irgendwo in einer Bodega etwas zum Essen für mich aufzutreiben. Ich liebte ihn wirklich. Laura, Rauls Schwester, meine Schwägerin wohnte nebenan. Sie war für mich wie eine Schwester. Wir standen uns sehr nah. Sie arbeitete in einem Büro einer Zuckerfabrik und ich freute mich so sehr, wenn sie von der Arbeit kam. Sie kam immer erst zu uns, blieb eine Weile und dann ging ich mit zu ihr rüber, wir rauchten eine Zigarette, tranken Kaffee, wenn wir welchen hatten, und wir redeten über alles. Ich konnte ihr alles über mein Befinden erzählen genauso wie sie mir. Lauras Söhne waren auch verliebt in die neue Deutsche. Es war einfach großartig, diese bedingungslose Liebe zu bekommen. Ihr Sohn José kam immer nach der Schule zu mir. Er war 12 Jahre alt und für mich wie eine Freundin. Wir lachten zusammen, heckten Geschäfte aus, um an was Essbares zu kommen und halfen uns in allem gegenseitig. Er wollte alles über Deutschland wissen und ich erzählte ihm darüber von der allerschönsten Seite Deutschlands. Deutschland als Schlaraffenland. Welchen Unfug er auch anstellte, ich nahm ihn immer in Schutz. Er kümmerte sich auch liebevoll um Raulito. Josés kleiner Bruder war 2,5 Jahre alt und er klebte an mir wie eine Klette. Ich hatte jetzt sozusagen drei Kinder. Geballte Liebe, einfach wunderschön, das gab mir Halt. Hatte ich jemals so viel Liebe oder überhaupt Liebe bekommen? Was hatte ich für ein Glück, in so eine herzliche und liebevolle Familie zu kommen. Ihre Liebe war absolut echt, bedingungslos und ohne Erwartungen.
Wir lebten von nur sehr wenig Nahrungsmitteln. Was wir kaufen konnten, gab es nur auf Zuteilung auf Lebensmittelmarken. Die Rationen reichten nicht aus und meistens hatten wir in der Hälfte des Monats kaum noch was übrig. Es gab ein Stück Seife für zwei Personen im Monat und ein Stück Seife für die Wäsche für eine Familie mit einem Kind. Wollte ich Wäsche waschen, zündete ich im Garten zwischen aufgebauten Ziegelsteinen ein Feuer an. Darauf stellte ich einen großen Trog und rieb die Seife wie kleine Parmesanstückchen hinein. Darin kochte ich dann die Handtücher. Den Rest dieser Seifenlauge goss ich in die Waschmaschine und wusch unsere restlichen Sachen. Doch das war auch Glücksache, denn es ging nur, wenn wir Strom hatten. Zum Spülen brauchte ich dann eine Menge Wasser. Wäsche waschen war jede Woche ein kräftezehrender Akt für mich. Es gab einfach von allem zu wenig: zu wenig Reis, zu wenig Bohnen, zu wenig Kaffee, zu wenig Milch, Fleisch gab es nur alle neun Tage, ja sogar die Zigaretten waren auf Zuteilung. Alle Nichtraucher kauften ihre Rationen Zigaretten, um sie dann bei den Rauchern gegen etwas Essbares einzutauschen. In einem Land, wo Tabak angebaut wurde, das konnte ich kaum glauben. Von all diesen Entbehrungen hatte mir mein Mann nie etwas erzählt. Nach einiger Zeit sagte ich zu ihm: „Ich halte das nicht mehr aus. Wieso haben wir denn so wenig zu essen und warum hast du mir das nie zuvor gesagt?“ „Das ist jetzt nun mal so und es reicht ja auch, wenn man will“, antwortete er. „Nein, es reicht nicht. Wir hatten doch in Deutschland alles und jetzt müssen wir hier mit so wenig klarkommen. Du hast mir das einfach nicht gesagt, genauso wie das mit der Wohnung, dass wir hier bei deinen Eltern leben müssen. Warum hast du mich so angelogen?“ Er wurde so wütend, schrie mich an und schüttelte mich. Solange seine Familie da war, blieb er gewaltfrei und es blieb beim Durchschütteln. Die Familie beschütze mich auch da, ohne es zu wissen. Sein Unverständnis war nicht zum Aushalten, aber wie immer kapitulierte ich. Diese Ohnmacht ergriff in dem Moment wieder Besitz von mir, ihm und dieser Situation vollständig ausgeliefert zu sein, denn es gab kein Zurück mehr. Von da an sagte ich nie mehr etwas über den Versorgungsmangel.
Die Tage vergingen, er ging arbeiten und ich war zu Hause mit meinen Schwiegereltern und den Kindern. Eines Tages sagte mein Mann zu mir: „Wir sind verabredet mit meinem Arbeitskollegen und seiner Frau. Sie kommen am Samstag und mal schauen, was wir dann machen.“ Ich freute mich auf diese Abwechslung. Der Samstag kam und der Kollege Alberto und seine Frau Marina kamen zu uns. Wir begrüßten uns und es war gleich von Anfang an sehr herzlich und unkompliziert. Marina und ich verstanden uns auf Anhieb. Marisol machte Kaffee, wir saßen alle zusammen im Salon und unterhielten uns über alles Mögliche. Nach einer Weile sagte Marina zu mir: „Lass uns doch zusammen jetzt zu uns nach Hause fahren. Dann weißt du auch gleich, wo wir wohnen, und wenn du Lust hast, kommst du einfach mal spontan vorbei.“ Das war eine super Idee, obwohl ich wusste, dass ich niemals alleine einfach so zu ihr gehen dürfte. „Gerne, los, lass uns zu euch fahren. Raul komm, wir können doch das kurze Stück mit dem Motorrad fahren. Haben wir noch genug Benzin?“ Denn auch das war immer rar und tagelang gab es kein Benzin zu kaufen. Es war nicht weit von unserem Zuhause entfernt. Wir kamen an und ich sah diese wunderschöne alte Villa mit einem riesigen Vorgarten. Der war allerdings sehr verwildert. Als wir ins Haus eintraten, ging es durch eine riesige Empfangshalle. Es war alles alt und kaputt. Der Putz bröckelte teilweise von den Wänden und die Fliesen am Boden waren zum größten Teil gerissen. Über eine Treppe nach unten ging es in einen großen Raum, von welchem es links in die Küche ging. Die Küche war groß und fast vollständig ausgestattet. Von diesem Zimmer aus ging es dann in den hinteren Garten, der auch verwildert war. Für kubanische Verhältnisse war dennoch alles schön. Diese Villa war früher mal eine Herrschaftsvilla. Jetzt aber hatte sie was Ehrfürchtiges und Unheimliches. Es fühlte sich kalt an, die Decken waren hoch. Es hing ein großer verstaubter Ventilator an der Decke. Ich hatte das Gefühl, er würde gleich herunterfallen. Die Männer und unser Sohn gingen in den Garten und holten einige Früchte. Marina und ich waren in der Küche. Sie kochte uns Kaffee und wir unterhielten uns. Sie sagte: „Was machst du so den ganzen Tag, wenn Raul arbeitet?“ „Ich bin zu Hause mit den Schwiegereltern und helfe hier und da im Haushalt. Ab und zu nähe ich, ich mache aus unsere Bettwäsche Kleider oder Unterhosen für die Kinder.“ „Hast du nicht Lust, zu arbeiten? Ich arbeite in einer Nähfabrik, du kannst bestimmt auch dort anfangen. Soll ich einen Termin mit der Meisterin machen?“ „Ich kann nicht so gut nähen.“ „Ach was, du hast doch gesagt, dass du Kleider nähst. Das bekommst du hin. Du bekommst dort alles zugeschnitten mit nach Hause und dann bringst du es fertig genäht wieder zurück. Ich kann dir dabei auch noch helfen.“ Das war ein schöner Gedanke, so einen Job zu haben. Ich hätte eine Aufgabe und eigenes Geld. Aber ich musste Raul fragen, ich war nicht sicher, ob er mir das erlaubt. Marina war so selbstbewusst und wirkte auf mich so eigenständig. So wie ich gerne wäre. Die Männer kamen wieder zurück. Wir tranken zusammen Kaffee und währenddessen sagte Marina: „Raul, deine Frau kann bei uns in der Nähfabrik arbeiten, sie kann doch nähen. Ich werde mit der Meisterin sprechen. Das wäre doch super.“ Das war meine Rettung. Raul musste ja wieder sein Gesicht wahren und im Beisein der anderen gab er sein Einverständnis. Als wir nach Hause kamen, erzählte ich Laura und Teo von meinem vielleicht neuen Job. Sie hatten sich so sehr mit mir gefreut. Teo sagte: „Da kannst du mir ja die eine oder andere Unterhose, die du nähst, dalassen“ und er lachte dabei so verschmitzt.
Montag kam Marina: „Hola Petra, ich habe für jetzt einen Termin bei der Meisterin bekommen. Wir sollen kommen. Los, mach dich fertig.“ Mein Herz raste vor Aufregung. „Jetzt schon? Ich kann das nicht, ich muss erst noch ein bisschen üben und ich muss dann die Kinder von der Schule abholen.“ „Die Nähfabrik ist genau gegenüber der Schule. Du kannst die Kinder direkt danach abholen, passt doch perfekt.“ Ich wusste, dass sie recht hatte. „Ja aber …“ Kein Aber, ich bin bei dir und helfe dir, wenn es nötig ist.“ Es gab jetzt kein Zurück mehr und so liefen wir in der heißen Sonne bei 40 Grad los. Marina machte auf dem Weg einen Plan. „Lass mich zuerst reden. Ich stelle dich vor, erzähle etwas über dich und sage ihr, dass du nähen kannst und was du alles so nähst, was für eine Nähmaschine du hast und du wirst sehen, dass sie einverstanden ist und dir auch gleich die ersten Pakete mit nach Hause gibt.“ „Hört sich gut an, wenn es so einfach ist, dann haben wir es schnell hinter uns.“ Und ich wusste, dass die Kubaner in solchen Sachen sehr unkompliziert waren und dass es reichte, wenn man einen Fürsprecher hatte. In diesem Fall war es Marina für mich. Jetzt hatte ich wieder Mut. Wir kamen an und blieben erstmal vor dieser großen Theke stehen, wo die Bündel mit zugeschnittenen Sachen rausgegeben wurden. Hinter der Theke waren die Näherinnen und Marinas Augen suchten die Meisterin. „Da ist sie, Marta“, rief Marina, „Marta hier sind wir.“ Marta machte eine Handbewegung und zeigte uns damit, über den linken Eingang hereinzukommen. „Hey Marta, das ist Petra, ich hatte dir von ihr erzählt. Sie ist Deutsche und mit einem Kubaner verheiratet und lebt jetzt hier. Sie möchte auch gerne hier in der Näherei arbeiten. Sie kann auch gut nähen und hat zu Hause eine Singer Nähmaschine. Kannst du ihr auch schon heute was zum Nähen mitgeben?“ Marina kam ja direkt zur Sache, das gefiel mir. Marta begrüßte mich, ich stellte mich nochmal kurz vor, dann schaute sie zu Marina und sagte: „So einfach geht das nicht, sie muss zuerst eine Prüfung machen, dann kann ich was mitgeben.“ Ich schluckte, oh Gott eine Prüfung, das war dann wohl nichts. Marta schaute mich an uns sagte, „Na dann komm gleich mal mit, dahinten die freie Nähmaschine, da kannst du dich schon mal hinsetzen. Ich komme gleich und bringe dir das Material.“ Ich schaute hilfesuchend zu Marina. Sie ging mit mir mit. „Das schaffst du schon, es ist alles schon zugeschnitten, du musst es nur zusammennähen.“ „Kannst du nicht bei mir bleiben und mir über die Schulter schauen?“ „Ich bleibe bei dir.“ Erst mal Erleichterung. Marta kam und brachte ein Poloshirt. Es war zugeschnitten, aber es musste noch ein Bund an den Ärmeln und eine aufgesetzte Tasche extra angebracht werden. Zudem kam noch der Kragen. Sowas hatte ich noch nie genäht. Selbst wenn es zugeschnitten war, musste ich so aufpassen, ordentliche und gerade Nähte hinzubekommen. „Du gehst bitte wieder raus“, wandte sie sich zu Marina. „Das muss sie schon alleine machen.“ Marina schaute auf das Poloshirt und sagte noch schnell zu mir: „Näh erstmal die Seitenteile zusammen, Ärmel auch kein Problem und dann geht es ruckzuck.“ Ach was ruckzuck, schön wäre es. All mein Mut entwich mir. Da saß ich nun und Marta entpuppte sich als streng. Ich saß jetzt hier alleine an dieser Nähmaschine. Marta ging wieder zu den anderen Näherinnen. Ich dachte: „Hoffentlich beobachtet mich niemand und sieht, wie hilflos ich mich anstelle.“ Die Nähmaschine war vorbereitet. Das Garn war schon mal drin. So fing ich an, die Seitenteile zusammenzunähen. Das lief schon mal ganz gut. Schwieriger wurde es erstmal bei den Ärmeln. Das war nie meine Stärke. Wenn ich selber Kleidung zuschnitt, machte ich die Ärmel so weit, dass ich nach dem Annähen ein Stück an der Naht wieder abschneiden musste. Das auch nur, weil ich die Ärmel am Anfang immer zu knapp geschnitten hatte. Hier jedoch war alles auf das Genaueste zugeschnitten, also bloß keinen Fehler beim Annähen machen. Doch das war eine knappe Sache, egal geschafft. Ich fühlte mich wieder etwas sicherer. Nähte noch den Saum und das Poloshirt nahm endlich etwas Gestalt an. Jetzt kam jedoch der Kragen. Der war doppelt und musste erst einmal zusammengenäht, mit einer zweiten Naht versehen und dann an das Poloshirt angenäht werden, jedoch so, dass das Shirt im Kragen verschwand und der Kragen selbst auf rechts war. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das machen sollte, und schaute auf den Kragen, aber von allein kam der jetzt nicht an das Shirt. Das war es dann jetzt, ich musste Marta fragen und dann konnte ich es vergessen, hier zu arbeiten. Ich saß völlig verzweifelt da und tat weiterhin so als wäre ich immer noch beim Nähen, da ich nicht wusste, ob mich jemand beobachtete. Hinter mir war ein reges Treiben. Die Näherinnen saßen an ihren Maschinen. Ich hörte das Treten der Pedale und wie schnell es ihnen von der Hand ging. Sie unterhielten sich, lachten und sangen. Das war eine wunderschöne und heitere Stimmung. „Ich möchte das auch, ich möchte auch in so einer unterhaltsamen Atmosphäre arbeiten.“ Ich hing meinen Gedanken nach und plötzlich hörte ich ein Geräusch und sah, wie Marina über die Theke kletterte und dann stand sie auch schon direkt neben. Mir. „Gib mir schnell den Kragen, das ist doch ganz einfach, stell dich nicht so an. Ich stecke dir das Ding schnell am Shirt fest.“ „Ich habe das doch noch nie gemacht.“ „Das ist jetzt auch egal, los gib mir das Shirt, bevor Marta kommt.“ Sie steckte den Kragen mit Nadeln fest, ich sah ihr zu und es schien so einfach. Hoffentlich würde sich das dann nicht verschieben, wenn ich es zusammennähte. „Schnell beeil dich, Marta schaut zu uns, oje sie kommt.“ Marina schaute zu ihr, lachte sie an und so wie sie gekommen war, war sie auch ganz schnell wieder hinter der Theke verschwunden. Marta sagte: „Bist du fertig? Zeig mal her.“ „Nein noch nicht ganz, gleich habe ich es.“ Sie sah es sich sehr genau an und sagte dann: „Ich habe euch zusammen gesehen!“ „Oh Gott, wie peinlich“, dachte ich. Dann sah ich sie verschüchtert an und sie drückte ein Auge zu. „Okay, du kannst für uns arbeiten. Geh an die Theke und hol dir gleich ein Paket zum Nähen für zu Hause.“ Freude herrschte in meinem Herzen, ich umarmte sie und bedankte mich bei ihr. Marina stand draußen. Ich ging zu ihr. „Danke, danke, es hat geklappt, du hast mir echt geholfen.“ Ich holte meine ersten zwei Pakete mit jeweils zehn Unterhemden. Das war für den Anfang schon nicht schlecht. Es gab 32 Centavos pro Stück. „Am Anfang gibt sie dir die weniger rentablen Sachen. Später bekommst du dann größere Teile wie Hosen. Da gibt es 1,50 Peso pro Stück, aber du musst immer rechtzeitig hier sein, sonst sind die guten Teile schon weg.“ Wir holten die Kinder aus der Schule und gingen glücklich wieder nach Hause. Marina begleitete mich noch bis zu mir nach Hause. Teo stand auf dem Portal mit seiner Zigarre und seinem Sombrero und er sah uns von Weitem kommen und rief.:„Petranaja (so nannte er mich) hey, super es hat geklappt. Das wusste ich doch.“ Er freute sich so sehr für mich. Gleichzeitig überkam mich mein schlechtes Gewissen, weil ich jetzt auf die Nähmaschine meiner Schwiegermutter angewiesen war. Obwohl sie nie darauf nähte. Ich sagte zu ihr: „Marisol, ist es in Ordnung für dich, wenn ich jetzt öfters deine Nähmaschine benutze?“ „Ich kann sowieso nicht nähen, dann wird sie wenigstens gebraucht.“ Sie war auch ein herzensguter Mensch, nur konnte sie es nicht so zeigen. Wir tranken noch zusammen Kaffee und dann ging Marina. Ich war so glücklich, sie zu kennen. Sie hatte sich so herzlich und mit voller Überzeugung für mich eingesetzt. Laura kam von der Arbeit. „Und hat es geklappt?,“ fragte sie gleich als Erstes. „Ja, es hat geklappt.“ „Dann bist du ja jetzt eine kubanische Näherin. Komm wir gehen rüber zu mir und rauchen erstmal eine.“ Ich liebte es, mit ihr zusammen zu sein. Später kam Raul von der Arbeit zurück. Er konnte sich nicht mit mir freuen. Es hatte ihn eher genervt, dass alle so begeistert waren. Er wusste einfach, dass ich jetzt öfters unterwegs sein würde, wenn auch nur auf dem Weg zur Nähfabrik und dann wieder nach Hause. Das ging gegen seine krankhafte Eifersucht. Ich ließ das Thema unter den Tisch fallen, damit er sich nicht unnötig in etwas hineinsteigerte. Irgendwann nach dem Essen war auch dieser Abend vorbei und wir gingen alle zu Bett. Raul verlangte jeden Abend sein Recht. Jeden Tag wollte er Sex, auch wenn ich nicht wollte und auch nicht dazu bereit war und sogar, wenn ich meine Periode hatte. Er musste seiner sogenannten Männlichkeit nachgeben. Ich war so angewidert und verabscheute Sex zutiefst. Für mich war es schon lange zur Pflicht geworden und es gab Abende, an denen ich einfach nicht zu Bett wollte, weil ich wusste, was mich wieder erwartete. Ich konnte noch so müde sein und auch wenn ich ihn darum bat, mal darauf zu verzichten. Das kostete mich mehr Anstrengung als der eigentliche Akt überhaupt. Wenn er merkte, dass ich überhaupt keine Lust hatte, fing er an, zu diskutieren. Wie konnte es sein, dass ich keine Lust hatte, ich war doch jung. Ja wie konnte es denn sein, dass ich keine Lust hatte, verdammt nochmal. Er war einfach gnadenlos rücksichtslos, dachte nur an sich, mit liebevollem Sex hatte das nichts zu tun. Hinzu kam, dass ich überhaupt keinen Vergleich hatte. Er war kein Mann, dem ich mich hingeben wollte. Zu viel war schon passiert. Und wenn ich schon dieser verdammten Pflicht nachkommen musste, dann wollte ich es ganz schnell hinter mich bringen. Wenn es vorbei war, konnte ich endlich schlafen. Ich verstand nicht, wie Menschen an Sex Spaß haben konnten. Für mich war es etwas, auf das ich für immer freiwillig verzichten wollte. Es war doch nur etwas, um Kinder zu zeugen, und ich wollte keine Kinder mehr mit ihm. Das war immer wieder Thema bei uns. Raul wollte unbedingt noch mehr Kinder und ich hielt ihn damit hin, soweit mir das gelang. Wenn er das wieder mal ansprach, sagte ich: „Wir haben hier in Kuba noch nicht mal eine eigene Wohnung. Wir wohnen hier in einem Zimmer zu dritt, das muss warten, bis wir eine eigene Wohnung haben.“ Dabei dachte ich, dass ich zwar gerne wieder ein eigenes Zuhause hätte, aber wenn ich dabei noch mehr Kinder mit ihm haben musste, dann verzichtete ich lieber auf das eigene Heim. Dennoch, wie lange konnte ich ihn damit noch hinhalten. Ich nahm die Pille und hatte mich bei meiner Abreise aus Deutschland ausreichend damit eingedeckt. Doch langsam ging mein Vorrat zu Ende. Zuerst sprach ich jedoch mit Laura darüber. Sie sagte: „Petranaja du brauchst die Spirale.“ „Was ist das?“ „Kennt ihr das denn nicht aus Deutschland?“ „Nein, ich habe noch nie davon gehört.“ „Das kommt aus Amerika und das wird der Frau in den Unterleib eingelegt.“ „Und das soll verhüten? Sieht das aus wie eine Spirale?“ „Nein, das ist ein T, wie der Buchstabe T.“ Ich verstand nichts. Sie sagte: „Wir müssen Ramón fragen, er hat gute Kontakte zu Doktoren.“ Ramón war der älteste Bruder und er wohnte in Sancti Spiritus. Nun blieb mir nichts anderes übrig, als mit Raul zu sprechen. „Meine Pille reicht nicht mehr lange und ich brauche Ersatz.“ „Dann ist sie eben aufgebraucht, du brauchst keine Pille mehr. Wenn du schwanger wirst und bis das Kind geboren ist, wohnen wir längst allein.“ Er bestimmte wieder alles alleine, wie immer. Ich fühlte mich wie kurz vor einer Ohnmacht und wusste nicht, was ich dem entgegensetzen sollte, aber ich musste jetzt was sagen, nur was. „Laura hat mir von einer Spirale erzählt und Ramón könnte uns diese besorgen. Das kommt aus den USA und man kommt nur mit Beziehung daran. Das ist eine sichere Verhütungsmethode.“ Plötzlich in dem Moment wurde mir bewusst, wenn er doch jetzt zustimmen würde. So ein Teil, das war dann in mir drin. Das kann er mir nicht einfach raus oder wegnehmen wie die Pille. Das lag dann ganz allein in meiner Hand. Oh Gott, bitte, ich wollte diese Spirale, unbedingt. Schon nur, dass ich mit Laura vorher gesprochen hatte, machte ihn wieder so wütend. „Warum hast du schon mit Laura darüber gesprochen? Sie hängt sich in alles rein. Das ist meine Sache.“ Ich sagte: „Wenn schon, dann ist es wohl unsere Sache.“ Er antwortete: „Ich entscheide das und nicht Laura.“ Er entschied wieder mal für mich. Ich merkte dennoch, dass es für mich gut ausgehen würde. Wenn Laura schon Bescheid wusste, würde es schwer für ihn, sich dagegenzustellen. Ich ließ ihn toben, ich gönnte ihm seinen jähzornigen Anfall geradezu. Denn in all den Jahren hatte ich gelernt, mich dem anzupassen, auszuharren und mich auf das Ergebnis zu konzentrieren. Auch wenn es für mich jedes Mal ein großer Umweg mit enormer Anstrengung war, ich musste dafür einiges in Kauf nehmen. Ich erzählte Laura von unserem Gespräch. Ich musste sie vorwarnen. Sie konnte mich mit seinem Gehabe nur zum Lachen bringen. Das war wunderbar mit anzuschauen, wie sie ihn dabei immer nachäffte. Sie nahm ihn nicht ernst. „Die Zeit läuft mir langsam davon. Ich kann nicht mehr lange warten, bis es zu spät ist. Außerdem, wie sollen wir Ramón erreichen? Ich muss Raul dazu bewegen, zu ihm zu fahren.“ „Das machen wir schon. Überlasse das mir. Ich werde das am Abend ansprechen, sodass alle dabei sind. Er wird mit dir zu ihm fahren.“ Ich kannte Ramón schon. Er hatte mich nach meiner Ankunft auf Kuba nach drei Wochen besucht. Er wollte unbedingt sehen, wie die Deutsche aussah, und genau mit diesen Worten begrüßte er mich auch. Ramón war so alt wie mein Vater. Sogar Marisol war dem Charme ihres Sohnes erlegen. Als er kam, löcherte er mich mit Fragen. Zu dem Zeitpunkt konnte ich kaum spanisch. „Ich lerne dir jetzt spanisch, versuche, zu antworten, ich helfe dir, nur so lernst du es“, sagte er. Mit Händen und Füssen hatte ich versucht, ihm zu antworten. Er war auch derjenige, der mich fragte, ob ich mir das gut überlegt hatte, nach Kuba zu kommen, und ob ich wüsste, dass das Leben in Kuba anders ist als in Deutschland und dass ich wohl meine Familie sehr lange nicht mehr wiedersehen würde. All das, was Raul mir nie zuvor gesagt hatte. Er sagte: „Na, da muss die Liebe ja groß sein.“ Diese Worte werde ich nie vergessen.
Am Abend nach dem Essen waren wir wieder alle zusammen. Die ganze Familie, die Kinder, Laura, Teo, Marisol, Raul und ich. Lauras Mann war in ihrem Haus nebenan und spülte das Geschirr. Wie hatte Laura das nur geschafft, dass ihr Mann den Haushalt machte. Sie war so stark und selbstbewusst. Das hatte sie sich hart erkämpft. Sie wollte einfach ihren Kindern die Gleichberechtigung vorleben. Es war ihr ein großes Anliegen, ihren Kindern den Wert der Frauen zu vermitteln und sie nicht zu Machos zu erziehen. Ich liebte diese Frau. Mein Herz ging auf, wenn ich sie sah. Laura sagte: „Hey Raul, wann fahrt ihr zu Ramón?“ Oje, das war sehr direkt. „Wieso zu Ramón?“, antwortete er. „Tue nicht so, fang jetzt nicht an, zu spielen. Ihr habt doch darüber gesprochen, dass Petra die Spirale braucht, und Ramón kann sie besorgen. Ihr müsst nur zu ihm fahren und das mit ihm besprechen.“ Alle waren dabei und hörten zu. Er konnte gar nicht anders als nachgeben und ich wusste, dass ich das dann wieder ausbaden musste. Aber es war für mich so wichtig. Damit konnte ich sehr gut mein Hirn überlisten und alles würde nur halb so schlimm sein. Ich sagte gar nichts, nicht einen einzigen Ton. Ich war auch nicht in der Lage dazu. Gespannt schaute ich zu Raul, um seine Reaktion einzuordnen. Laura hatte alles in die Hand genommen. Plötzlich meldete sich Marisol zu Wort. „Ramón macht das schon und sei doch froh, dass es sowas heutzutage gibt. Kinder bekommen ist das eine, aber du musst sie auch ernähren können. Wir hatten 16 Kinder, auch wenn davon drei gestorben waren, aber es gab viele Nächte, an denen die Kinder ohne genug zu essen ins Bett gingen. Oder willst du etwa auch so viele Kinder?“ Ich war so erstaunt. Marisol, wenn sie etwas sagte, dann aber richtig. Das war immer so. Diese kleine Frau hatte so viel durchgemacht in ihrem Leben. Hart auf den Feldern gearbeitet und nebenbei die 16 Kinder bekommen und großgezogen. Auch wenn sie nie eine Schule besucht hatte, sie war so gescheit und weise. Sie hatte die Lebensschule gemacht. Ihr Wort hatten so viel Gewicht. Raul verehrte seine Eltern und erst recht seine Mutter. Die Mütter waren das absolut Heiligste für alle Kubaner. Sie hatte sie geboren und ohne sie wären sie nicht da. Die Mütter hatten ihnen das Leben geschenkt. Marisol war immer Mutter. Sie wollte am liebsten immer alle um sich rumhaben, deshalb lebte nun auch ihre Enkeltochter Yana bei ihr. Yana war genauso alt wie Raulito und sie gingen auch zusammen zur Schule. Das letzte Wort hatte nun noch Raul. „Wir fahren am Samstag zu ihm und werden sehen, was er dazu sagt und was er machen kann.“ Mein Herz klopfte im Hals. Für mich würde endlich ein Stück meiner Selbstbestimmung zurückkehren, sobald ich diese Spirale hatte. Der Samstag kam und wir fuhren früh am Morgen mit dem Motorrad nach Sancti Spiritus zu Ramón und hofften, ihn auch anzutreffen. Als wir nach zwei Stunden ankamen, war die Freude riesengroß bei Ramón. Nie hätte er mit einem spontanen Besuch von uns gerechnet. Er hörte schon das Motorrad kommen und stand aus Neugier auf seinem Portal. Als er sah, dass wir es waren, war er außer sich und rief ganz laut: „Hey, la Alemana.“ Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht. „Was für eine Freude, euch zu sehen und dass ihr uns besucht. Wo ist der Kleine, warum habt ihr ihn nicht mitgebracht? Was macht ihr hier?“ Seine Frau und sein Sohn kamen raus und umarmten uns herzlich. Ramón sprach mich sofort an und ich wusste, er wollte sehen, ob ich inzwischen besser Spanisch spreche. „Erzähl, Alemana, wie geht’s dir in Kuba?“ „Mir geht’s gut und ich habe mich inzwischen eingelebt, ich habe sogar Arbeit in einer Nähfabrik.“ Ich erzählte und erzählte von meinem Dasein und auch von meinem Heimweh, als er sagte: „Ich kann es kaum glauben, wie gut du jetzt Spanisch kannst. Hey Isolde, hast du das gehört? Sie spricht wie eine Kubanerin. Ihr bleibt natürlich zum Essen.“ „Oh ja“, dachte ich, „gerne, etwas Feines zu Essen. Sie hatten ein wirklich schönes Haus.“ Ein großer Eingangsbereich bestückt mit Schaukelstühlen, einem Fernseher und einem Tisch. Seitlich ging es in die Zimmer und ganz hinten war die Küche. Isolde hatte inzwischen Kaffee gekocht. Ohne Kaffee ging es in Kuba nicht und er wurde bei jedem Besuch immer angeboten. Wir tranken zusammen den kleinen, starken Kaffee, el cortado. Ich sagte, „Wir konnten Raulito nicht mitnehmen, die Fahrt ist zu lange und alle drei auf dem Motorrad ist zu gefährlich. Wenn uns die Polizei anhält, müssen wir Strafe zahlen.“ „Warum seid ihr denn gekommen? Sicher nicht einfach so.“ Raul fing an zu reden und sagte: „Laura hat uns gesagt, du könntest uns für Petra die Spirale besorgen, weil du Kontakte zu einigen Ärzten aus dem Krankenhaus hast.“ „Ja das stimmt, aber das Ding kommt aus den USA. Ich müsste klären, ob jemand diese Spirale hat oder besorgen kann. Das kann aber noch eine Weile dauern.“ Meine Ängste meldeten sich sofort zurück. Ich hoffte, dass es schnell ging und ich bis dahin mit meiner Pille auskam und falls nicht, ich hoffentlich nicht schwanger werden würde. „Ich werde das gleich am Montag mal nachfragen.“ Wir blieben noch bis Nachmittag bei ihnen. Das Essen war reichlich und einfach nur köstlich. Es war ein wunderschöner Tag. Ramón hatte mir wieder viel über Kuba erzählt, über die Revolution und wie auch er als junger Mann gekämpft hatte. Er zeigte mir seine Auszeichnungen und war sehr stolz darauf. Ramón sagte zum Abschied noch: „Ich werde Laura in ihrem Büro anrufen und Bescheid geben, ob es klappt und wann ihr kommen könnt.“ Wir verabschiedeten uns und fuhren nach Hause. Während der Fahrt hing ich meinen Gedanken nach. Wie schön und liebevoll es immer bei und mit den anderen war. Alle, wirklich alle machten mir das Leben auf Kuba leicht, nur mein Mann erschwerte mir alles. Seine Bestimmung und seine Kontrolle über mich waren wie Gift und vergiftete auch alles. Laura freute sich über die guten Nachrichten und ich war so glücklich, dass sie das alles in die Wege brachte. Die Tage vergingen, ich brachte die Kinder zur Schule und holte mir gleich meine Pakete mit der Kleidung zum Nähen aus der Nähfabrik. Wenn ich kam, waren die guten Sachen meistens schon weg. Oft hatte ich nur die Geschirrtücher, die zwar einfach zu nähen waren, aber nur 11 Centavos pro Stück einbrachten. Davon konnte man auch genug Pakete mitnehmen. Gab es Unterhemden oder Unterhosen oder auch T-Shirts, bekam man maximal zwei Pakete. Ab und zu hatte ich Glück. Ich war trotzdem einfach froh, diesen Job zu haben, und ich bekam so viel Nähgarn und Nadeln, dass auch noch was für mich selbst übrigblieb. Meistens brachte ich Mittag die Sachen wieder zurück, bekam meinen Lohn und holte dann die Kinder von der Schule ab. Bereits nach acht Monaten, in denen wir auf Kuba lebten, kam Raulito in die Schule. Er hatte sich in der Zeit gut eingelebt und konnte auch sehr gut Spanisch sprechen. Er sprach nur mit mir Deutsch, was leider dazu führte, dass sein Spanisch inzwischen besser war als sein Deutsch. Wenn er etwas wollte, fiel es ihm leichter, in Spanisch zu fragen, und fragte dann auch lieber seinen Vater oder seinen Opa oder seine Oma. Das hatte mich zutiefst getroffen und ich wusste nicht, wie ich das verhindern sollte. Ich wollte doch nur, dass er weiterhin Deutsch spricht und die Sprache nicht verlernt. Noch weniger wollte ich, dass mein Sohn nicht mehr mit mir spricht. So kam es dazu, dass ich ihm aus seinen Kinderbüchern vorlas, was ihn leider sehr langweilte. Wir fanden einen Mittelweg. Ich sprach mit ihm Deutsch und er antwortete in Spanisch und umgekehrt.
In Kuba trugen alle Kinder in der Schule eine Uniform. Das machte es den Kubanern auch viel leichter. Die Uniform gab es von der Schule und für jedes Kind gab es eine zweifache Ausstattung. Raulito freute sich auf die Schule und war stolz, die Uniform zu tragen, so wie alle kubanischen Kinder. Das Erbe der kubanischen Revolution. Alle Kinder hatten jetzt ein Recht auf Schulbildung und die Kosten trug der Staat. Alle hatten die gleiche Chance. Der Tag der Einschulung wurde sehr groß zelebriert. Alle Kinder und Eltern gingen zusammen zur Schule. Vor der Schule gab es einen Appell zu Ehren Fidel und Che Guevara. Sie sangen Friedenshymnen und die Nationalhymne. Die älteren Schüler machten eine Begrüßungszeremonie für die neuen Schüler und gingen anschließend mit ihnen in das Schulgebäude hinein und zeigten ihnen alles. Vor der Schule war ein großer Innenhof und im hinteren Gebäude waren die Klassenzimmer. Stolz liefen die großen Schüler voraus und die Kleinen friedlich hinterher. Als alles vorbei war, gingen wir wieder nach Hause. Montagmorgen ging es dann los. Der erste Schultag von meinem Raulito. Die Aufregung war groß, dennoch spürte ich, dass Raulito überfordert war. Ich sah ihm an, dass er sich nicht wohlfühlte, er trödelte und die ganze Freude vom Samstag, der Tag der Einschulung, war weg. Ich als Mutter, und wie jede andere Mutter auch, spürte dieses Unwohlsein. Ich musste gar nicht lange überlegen, denn auch ich konnte mich nur noch zu gut an meinen ersten Schultag erinnern. Genau genommen war der ja erst 16 Jahre her. Es war furchtbar für mich und ich wollte nicht in die Schule. Alles, was fremd war, wollte ich vermeiden. So fühlte sich jetzt auch mein kleiner Schatz. „Raulito, komm‘ beeil dich doch, wir müssen los, Yana ist schon fertig und wartet auf uns. Freu‘ dich doch, du wirst so viele neue Freunde finden und Schule macht Spaß. Du siehst so schön aus in deiner neuen Uniform.“ Ich wollte ihn ermutigen, wusste jedoch, dass das einfach nur leere Worte für ihn waren. Endlich konnten wir los. Als wir ankamen, standen alle Schüler schon draußen vor der Schule und warteten auf den morgendlichen Appell. Es wurde wieder gesungen, sich bei Che und Fidel bedankt, den Lehrern alle Ehre erwiesen und anschließend gingen alle in die Klassenzimmer. „Mami, bitte komm‘ mit“, sagte Raulito und fing an zu weinen. „Ich kann doch nicht mitkommen, mein Schatz. Alle Kinder gehen jetzt in die Klassenzimmer, der Unterricht beginnt und da sind die Eltern nicht mit dabei.“ Die Lehrerin kam auf mich zu und sagte, „Komm‘ doch einfach noch mit ins Zimmer und dann kannst du noch einen Moment dableiben und dann leise das Zimmer verlassen. Er wird das nicht merken, sobald der Unterricht beginnt, ist er abgelenkt.“ Also gut, ich ging mit. Im Klassenzimmer setzte sich Raulito ganz hinten hin an den letzten Tisch. In der Ecke links von der Tür stand ein Stuhl, auf dem ich mich setzte. Ziemlich nah am letzten Tisch im Zimmer. Die Tür blieb offen, um den Schülern genug Luftzug zu lassen. So saß ich da nun und alle 30 Sekunden schaute Raulito zu mir nach hinten. Wie sollte ich es schaffen, mich hier leise rauszuschleichen, ohne dass er das merkte? Ich gestikulierte ihm zu, er solle doch nach vorne schauen. Ich fühlte mich nun auch nicht mehr wohl und wusste nicht, ob ich gehen sollte oder bleiben. Nach einer halben Stunde schlich ich mich dann raus. Ich war kaum draußen, da kam schon Raulito hinter mir hergerannt und schrie. „Mami, Mami bitte geh nicht weg, nimm mich mit, lass mich hier nicht alleine.“ Oh mein Gott, was war nur mit ihm los, warum war er so verzweifelt? Ich konnte das kaum ertragen. So viel Leid war in seiner Stimme, in seinen Augen, in seinen Tränen und in seinem ganzen kleinen Körper. Er schrie, zitterte und weinte, das hielt ich nicht aus. Ich nahm ihn in den Arm. „Mein Schatz, was ist denn los, ich bin ja da, ich gehe nicht weg. Ich hole dich Mittag wieder ab.“ Nein, Mami, ich will hier nicht bleiben, nimm mich mit.“ Vor lauter Weinen war es kaum zu verstehen, was er sagte. Es zerriss mir das Herz. Die Lehrerin kam raus und wollte ihn holen. „Du musst in die Schule, komm jetzt wieder mit rein!“ Als sie das sagte, zog sie an seiner Hand. Dann war es bei mir vorbei. „Lass‘ ihn los!“ Mein Herz klopfte mir wieder mal bis in den Hals. „Ich nehme ihn wieder mit nach Hause. Unter diesen Umständen wird er eben nicht in die Schule gehen. Das ist mir jetzt auch egal.“ „Du kannst ihn nicht mitnehmen, er muss in die Schule.“ Von wegen ich konnte ihn nicht mitnehmen. Jetzt erst recht. „Und ob ich ihn mitnehmen konnte. Komm, mein Schatz, wir gehen.“ Ich drehte mich um und lief davon. Die Lehrerin rief mir noch etwas hinterher, was ich aber nicht mehr verstand. Ich hatte ihn gerettet, ich hatte meinen kleinen Schatz gerettet. Er war so erleichtert. Das war das, was erstmal für mich zählte. Auch wenn es sich anfühlte, als hätte ich nur von der Tapete bis zur Wand gedacht. Denn was jetzt? Dieser kleine Mensch hatte schon so viel erlebt. Ich war mir sicher, dass ihn Verlustängste plagten. Wir kamen zusammen wieder zurück nach Hause. „Raulito, was ist los, wieso bist du nicht in der Schule?“, sagte Teo und sah mich dabei an. Teo konnte ich alles sagen, meinem Zieh-Vater, meinem Opa, meinem Schwiegervater, meinem Vertrauten, meinem Beistand, meinem Helfer in einer Person. Als ich fertig war mit Erzählen, sagte er: „Du hast zu schnell nachgegeben, du hättest es versuchen sollen, denn der Tag morgen kommt und was machst du dann? Er wird nicht drumherum kommen.“ „Teo, ich konnte nicht anders, wenn du dein Kind so verzweifelt, schreiend und zitternd siehst, da musste ich ihn einfach wieder mitnehmen.“ „Das verstehe ich, aber das ist keine Lösung. Wenn du 16 Kinder hast wie wir, dann hättest du sicher anders entschieden.“ „Ich weiß, dass du recht hast, aber ich habe im Moment keine Lösung.“ Teo sagte das alles, sodass auch Raulito zuhören konnte. So langsam realisierte auch er, dass er sich vielleicht doch wie ein Baby verhalten hatte. Ich jedoch verstand seinen ersten Impuls und der schrie einfach und wollte weg. Marisol lachte nur und sagte „Ach Raulito, lass sie reden, das wird schon, es eilt ja auch nicht. Komm‘ mein Kleiner, ich mache dir erstmal einen Kinderkaffee.“ „Ja Oma danke.“ Und auch er strahlte nun wieder. Die Angst war erstmal verflogen. Marisol rief noch: „Teo überleg dir lieber schon mal, was ihr Raul sagt, wenn er nach Hause kommt.“ Sie hatte recht, obwohl ich davon ausging, dass Raul genauso gehandelt hätte wie ich. Erst kam José nach Hause. Ich erzählte ihm alles. Er sprach Raulito Mut zu, damit er es am nächsten Tag nochmal versuchte. Dann kam Laura, sie hatte wie immer Verständnis für mich, sagte aber gleich: „Das wird Raul nicht gefallen.“ Langsam bekam ich Angst. „Was soll ich ihm sagen? Ich kann es doch nur genau so erzählen, wie es war.“ „Ich unterstütze dich, wenn er blöd tut.“ Ich wusste, ich konnte mich auf sie verlassen. Inzwischen sprachen alle Raulito Mut zu außer Yana. Sie hatte ich inzwischen von der Schule wieder abgeholt und sie lachte Raulito nur aus. Sie konnte sehr gemein sein. Ich hoffte, dass das nun eine einmalige Sache für Raulito blieb und er morgen in der Schule blieb. Raul kam von der Arbeit nach Hause. Er hatte es wie immer schon von den Nachbarn auf dem Heimweg erfahren. Das hatte auch schon wieder großen Einfluss auf ihn und seine Begrüßung genommen. Teo stand wie immer draußen auf dem Portal. „Wo ist Petra?“, rief Raul. Ich hörte ihn schon. „Junge, beruhig dich!“, sagte Teo. „Es ist nichts passiert, alles nicht so schlimm, jetzt mach‘ kein Drama draus.“ Ich saß bei Marisol in der Küche und war froh, bei ihr zu sein, als er Sekunden später dastand. „Was muss ich da schon auf der Straße hören? Raulito war nicht in der Schule, weil du ihn wieder mitgenommen hast. Hast du sie noch alle beisammen? Das Kind muss in die Schule und du kannst ihn nicht so einfach wieder mitnehmen. Warum hast du das gemacht? Wie stehen wir denn jetzt da?“ Wie er das sagte, gleich würde er auf mich losgehen. Laura kam rein, „Hey Raul, beruhige dich, mach sie jetzt nicht auch noch fertig. Du hättest doch das Gleiche getan.“ „Halt dich da raus, das geht dich nichts an“, fauchte er sie an. „Sicher geht mich das was an, wenn du auf Petra losgehst. Ich habe Verantwortung, genau wie Papi und Mami. Komm‘ mal wieder runter und lass‘ sie in Ruhe.“ Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, sagte aber gar nichts, keinen Ton. Wie immer stand er nicht hinter mir und ich erstickte an meinen Gefühlen, die alles andere als Liebe waren. Im Stillen dachte ich: „Danke, Laura!“ Da kam Raulito von Hintereingang ins Haus. Auch er durfte sich eine Standpauke anhören. „Das machst du nicht noch einmal!“, sagte Raul zu ihm. „Morgen gehst du in die Schule und du bleibst dort, bis du wieder abgeholt wirst und wehe, wenn nicht!“ Alles was Laura sagte, hatte immer eine große Wirkung. Könnte ich doch so sein wie sie. Aber vielleicht musste ich einfach nur noch ein paar Jahre warten und dann hatte ich die nötige Reife dazu. Am nächsten Tag gingen wir wieder zur Schule. Raulito zeigte sich mutig, aber ich merkte schon wieder, das war nur Fassade. In der Schule angekommen nahm mich die Lehrerin beiseite. „Er muss heute hierbleiben.“ „Ich weiß, ich möchte aber bitte wieder mit ins Zimmer.“ Sie willigte ein. Der Schultag begann genauso wie am Vortag, dieselbe morgendliche Zeremonie. In Raulitos Augen sah ich pure Angst. Er hielt meine Hand und ließ sie nicht mehr los. Yana lief vor uns und drehte sich dauernd um und lachte ihn aus. Ich sagte zu ihr auf Deutsch: „Du blöde verwöhnte Göre, halt doch einfach deine Klappe.“ Sie verstand das nicht, wusste jedoch, dass es nichts Nettes war. Dann hatte ich mein Ziel in dem Moment auch nicht verfehlt, was sie betraf. Nur wenn ich mit ihr alleine war, hatten wir es gut zusammen. Sobald jemand aus der Familie dabei war, benahm sie sich schlecht und war vorlaut und frech. Ihr Verhalten bereitete mir viel Mühe. Da Kinder sich alles voneinander abschauen und ich wollte um alles auf der Welt verhindern, dass Raulito ihre Frechheiten und ihr Verhalten übernahm. Im Klassenzimmer setzte ich mich wieder in die Ecke und Raulito an den letzten Tisch im Zimmer. Es ergab sich für mich keine Möglichkeit, den Raum zu verlassen. So blieb ich bis zum Schluss in der Schule. Auch das war niemandem recht in der Schule, aber ich sah jetzt keine andere Lösung. Teo konnte sich das schon denken, als ich nicht nach Hause kam. Er sagte zu mir, „Kind, mach‘ es so, bis er freiwillig von alleine dableibt. Irgendwann wird dieser Tag schon kommen.“ Die nächsten Tage blieb ich immer mit in der Schule. Raulito fühlte sich immer sicherer und das war gut so. Seine Leistungen waren nicht sehr gut und es fiel ihm schwer. Aber er war erst fünf Jahre alt. Yana hatte keine Probleme und war gut in der Schule. Sie hänselte ihn dauernd und ich konnte das nicht verhindern. José half ihm, wo er konnte. An einem Morgen sagte Raulito zu mir, „Mami, du kannst heute wieder nach Hause gehen.“ „Bist du sicher? Ich bleibe noch am Anfang und gehe dann nach Hause.“ „Das brauchst du nicht, wirklich nicht.“ Als alle Kinder in das Schulgebäude hineingingen, winkte er mir zu und rief, „Tschüss Mami, bis nachher.“ Wie niedlich er das sagte und jetzt war ich fast sauer, dass er ohne mich in die Schule wollte. Er hatte es geschafft, oh Gott, wie froh ich war. Es war alles richtig so, wie ich es gemacht hatte. Ich hatte keine Sekunde davon bereut. In diesem Moment wusste ich jedoch noch nicht, dass ich dies noch einmal erleben würde.
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