Kitabı oku: «Bildungsphilosophie für den Unterricht», sayfa 2

Yazı tipi:

Wenn Sie sich noch weiter interessieren

Zwei sehr gute und vertiefte Einführungen in die Bildungstheorie und Bildungsphilosophie finden Sie in REICHENBACH 2018 (b) und RIEGER-LADICH 2020. Wenn Sie sich für das Ethos von Lehrpersonen interessieren, also für die moralische oder sittliche Gesinnung, die zu Ihrer Profession gehört, bieten CRAMER/OSER 2019 einen guten Überblick.

Um die Frage wichtiger Werte unserer Kultur und weshalb wir sie immer wieder formulieren, diskutieren und auch verteidigen sollten, geht es explizit in Kapitel 11. Andere Kapitel beschäftigen sich mit allgemeinen Bildungszielen wie Selbstdenken (Kap. 1), Selbstwerdung (Kap. 7) oder verschiedenen Wissenstypen (Kap. 4–6). Doch auch diese Themen sind Antworten unserer Kultur auf die Frage, welche Ziele letztlich richtig sind und worauf es uns eigentlich ankommt.

1 Weshalb sollen wir lernen, selbst zu urteilen und zu denken? (Kant, Weber)

Es ist so bequem, unmündig zu sein.

IMMANUEL KANT (1923, 35)

Worum geht es?

Zwar diskutieren Ihre Schüler:innen gern – doch irgendwann langweilt es sie auch, dass sie laufend dazu aufgefordert werden, sich eine eigene Meinung und ein eigenes Urteil zu bilden. Sie als Lehrperson geben sich ja nicht zufrieden damit, einfach die Meinung der Schüler:innen abzufragen wie in einer Radiomoderation. Sondern Sie haken immer wieder nach und beharren auf guten Argumenten. In dieser Situation äußern ihre Schüler:innen einen gewissen Unmut. Sie fragen: Können Sie uns nicht einfach sagen, wie es richtig ist? Dieses ständige Pro und Kontra, dieses ewige Argumentieren und das ‚eigene Urteil‘! Und laufend heißt es, dass es nicht nur einen, sondern dass es verschiedene Standpunkte gibt. In diesem Kapitel erfahren Sie, wie Sie auf solche Äußerungen Ihrer Schüler:innen reagieren können. Genauer geht es um Folgendes:

 Weshalb ist das Selbstdenken für unsere Kultur ein so hoher Wert, weshalb ist es sogar überlebenswichtig?

 Weshalb sehen einige (z.B. Immanuel Kant) das Selbstdenken als eine Art Menschenrecht?

 Was bedeutet Ethos der Wissenschaft und der Wahrheitssuche (Max Weber) und was können Ihre Schüler:innen von diesem Ethos lernen?

 Wie können Sie Ihre Schüler:innen für das Selbstdenken motivieren?

1.1 Wir brauchen junge Menschen, die selbst denken können, denn die Wahrheit ist nie fertig

Ein Generationenvertrag. Es gehört zum Kernbestand unserer modernen Kultur, dass es nur ganz wenige immer schon bestehende und in alle Ewigkeit geltende Wahrheiten gibt. Eine Generation kann nicht einfach für die nächste entscheiden, was für diese unzweifelhaft richtig sein soll. Sie kann nicht für sie entscheiden – und doch kann die ältere etwas für die jüngere Generation tun: Sie kann ihr das Selbstdenken und Argumentieren beibringen. Und sie muss für die nächste Generation den Rahmen dafür sichern: die Freiheit, sich immer weiter eine eigene Meinung bilden zu können und auch zu dürfen. Wir brauchen junge Menschen, die es gelernt und trainiert haben, selbst zu denken. Dies ergibt sich unter anderem aus dem modernen Bewusstsein eines Nichtwissens.

Hintergrund: Moderne bezeichnet hier nicht die gesamte Zeit seit dem Mittelalter und auch nicht die Moderne in der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts, sondern die Zeit seit der Aufklärung (18. Jahrhundert) und der industriellen Revolution (19. Jahrhundert) bis heute.

Traditionelle Wahrheitsgewissheit. Die moderne Kultur hat sich von etwas verabschiedet, nämlich von einer bestimmten Form von Wahrheitsgewissheit. Solch eine Wahrheitsgewissheit ergibt sich aus einer geoffenbarten transzendenten Wahrheit, wie sie etwa in der Bibel als einer Heiligen Schrift vorliegt. Die mittelalterliche Gesellschaft, die noch viel stärker traditionell und religiös geprägt war, kannte in weit geringerem Maße die Anforderung, dass die Wahrheit immer erst mühsam gefunden werden muss. Stattdessen gab es eine traditionelle und geoffenbarte Wahrheit, die bezogen auf die Herausforderungen einer Gegenwart lediglich neu ausgelegt werden musste. Eine andere Quelle absoluter Wahrheit neben der religiösen war die Institution der erblichen Monarchie. Dass genau diese eine Herrscherfamilie über ein Land herrschen sollte, das schien unantastbar. Auch die Hierarchie der Gesellschaft wurde nicht angezweifelt. Herrschaft und Struktur der Gesellschaft wurden oft genug sogar zurückgeführt auf einen quasi göttlichen Ursprung.

Was ist mit Nichtwissen gemeint? Nichtwissen in einem sehr grundsätzlichen Sinn (Wissen ist prinzipiell begrenzt) wird in Kapitel 4 behandelt. Hier in Kapitel 1 geht es eher um das Bewusstsein der modernen Kultur, dass das traditionelle (religiöse, überlieferte etc.) Wissen nie ausreicht für die sich wandelnden Probleme. Laufend muss neues Wissen hervorgebracht werden. Auch dies ist ein Bewusstsein von Nichtwissen. Die moderne Gesellschaft, in der diese ältere Wahrheitsgewissheit zurücktritt, wird sich einer bestimmten Dynamik bewusst. Das ist die neue Idee eines laufenden historischen Wandels. Dieser umfasst alle Bereiche, nicht nur die Gesellschaft, sondern etwa auch die Wissenschaft. Denn diese gelangt immer wieder zu neuen Erkenntnissen. Schließlich betrifft die laufende Erneuerung auch dasjenige, was jeweils als die richtige Lösung für die anstehenden Probleme einer Zeit gesehen wird, also die sozialen und politischen Lösungsversuche. Doch mehr noch, die Dynamik umfasst sogar die Probleme und Herausforderungen selbst, auch diese befinden sich in ständiger Entwicklung, sie bleiben nicht einfach immer die alten. Das ist mit dem Begriff Nichtwissen gemeint: ein Bewusstsein für lauter noch nicht gelöste Probleme und die Erfahrung, dass Wissen nicht einfach vorhanden ist, sondern dass es erst gesucht und dass es auch immer wieder erneuert werden muss. Und diese neue Situation braucht die Fähigkeit der neuen Generationen, selbst denken und selbst Lösungen finden zu können.

Neue ethische Fragen. Wissenschaft und Technik verändern ihrerseits unsere Welt und durch diese Veränderung entstehen neue Fragestellungen und auch neue ethische Herausforderungen und Probleme, die es früher noch gar nicht geben konnte. Eine neue Technik in der Medizin etwa könnte so teuer sein, dass ungewiss ist, ob sie überhaupt allen Menschen zugutekommen kann. Wenn sie nur für eine begrenzte Anzahl von Menschen zur Verfügung steht, ergeben sich neue ethische Fragen: Soll sie nur für Menschen angewandt werden, die noch eine lange Lebenserwartung haben? Oder ist es gerecht, sie den Kräften des Marktes zu überlassen, sodass zahlungskräftige Patient:innen zum Zuge kommen? Neue Landwirtschafts- oder Kommunikationstechniken könnten Folgen haben, die noch weitgehend unbekannt sind oder aber, zum Beispiel als Gefährdung der natürlichen Ressourcen, die Gesellschaft definitiv vor neue Probleme stellen. Wieder entstehen neben neuen technischen auch neue ethische Fragen.

Wandel der Ansichten und Überzeugungen. Die Dynamik ist sogar noch umfassender. Sie betrifft auch die allgemeinen und vorherrschenden Ansichten darüber, was als sinnvolles und gutes Leben gelten soll; ja sogar, was als ethisch gut und ethisch schlecht bezeichnet werden muss. Nach einigen Jahrzehnten haben sich Ansichten in unserer Gesellschaft schon wieder leicht oder sogar gravierend geändert. Als Beispiele lassen sich das Verhältnis der Geschlechter nennen oder die Form, die Struktur und die Bedeutung der Familie. Was hier Norm und was Normalität ist, diese Ansichten sind im Wandel.

Selbstdenken ist überlebenswichtig. In dieser Lage, also mitten in einer grundsätzlichen Dynamik, welche Veränderungen in den meisten Bereichen mit sich bringt, braucht die Gesellschaft weniger junge Menschen, deren Kompetenz darin besteht, dass sie alte Lösungen und alte Entscheidungen über Richtig und Falsch kennen und vertreten, ohne diese weiter zu hinterfragen. Sondern die Gesellschaft braucht in dieser Lage Menschen, welche die Kompetenz mitbringen, durch kluge Informationsbeschaffung und Auswertung dieser Informationen sowie durch kluge Argumentation zu einem eigenständigen Urteil in den neu sich ergebenden Herausforderungen gelangen zu können. Hinzukommen muss die Fähigkeit, mit einer gewissen Pluralität von Meinungen umgehen zu können, das heißt zunächst einfach: daran gewöhnt zu sein, dass es verschiedene Ansätze zur Lösung von Problemen gibt.

Hintergrund: Pluralistisch nennt man eine Gesellschaft, die ganz unterschiedliche Individuen und Gruppen und ihre Ansichten toleriert, ja diese Pluralität sogar wertschätzt: Der Wettbewerb der Meinungen kann die Gesellschaft weiterbringen.

Bildung in der sich verändernden Welt. Die moderne Gesellschaft muss also in ihrem Bildungsbereich für vieles Sorge tragen. Sie braucht etwa immer genügend Menschen, welche die Technik wissenschaftlich weiterentwickeln können. Sie braucht ebenso immer genügend Menschen, die über hervorragende sprachliche, kulturelle oder politische Kompetenzen verfügen, um neue Aufgaben in der sich globalisierenden Welt anzugehen. Doch über eine Fähigkeit sollten möglichst alle jungen Menschen verfügen, nämlich über die Fähigkeit, selbst zu denken, selbstständig sich ein Bild der Herausforderungen zu verschaffen und zu einem eigenen Urteil zu kommen. Denn nur so können dann in einem fruchtbaren Streit um die besten Lösungen nach und nach und immer wieder neu auch tatsächlich sehr gute Lösungen gefunden werden und sich durchsetzen – Lösungen, die nicht Teil einer absoluten Wahrheit sind, Lösungen, die es nicht einfach schon gibt, sondern die in einem pluralen System gefunden werden müssen.

Wir müssen jungen Menschen das Selbstdenken beibringen, denn in der modernen Kultur kann eine Generation nicht für die nächste schon wissen, welche neuen Herausforderungen es geben wird und welche Lösungen richtig sein werden.

1.2 Selbstdenken ist ein Menschenrecht (Kant)

Selbstdenken nicht nur aus pragmatischen Gründen. Der Denker der Aufklärung, Immanuel Kant, sieht aber noch einen anderen Grund dafür, dass jede Generation selbst und immer wieder neu die Wahrheit suchen soll.

Hintergrund: Aufklärung meint seit dem 18. Jahrhundert die Ablösung aus den alten Bindungen an die staatliche und kirchliche Obrigkeit, stattdessen setzt man auf laufende Fortschritte durch rationales Denken und Wissenschaft; starkes Bewusstsein von Freiheit und Menschenrechten (siehe Kap. 11.2).

In der Aufklärung voranzuschreiten, so sagt Kant, das sei ein Menschenrecht. Exemplarisch lässt sich dieser Zusammenhang in Kants Schrift Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? Von 1784 gut nachvollziehen.

Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine […] Erkenntnisse zu erweitern, von Irrthümern zu reinigen und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht; und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwerfen. (Kant 1923, 39)

Selbstdenken als Menschenrecht. Kant fragt sich selbst und damit uns, seine Leser:innen, ob nicht etwa eine oberste Versammlung von Expert:innen ein für alle Mal entscheiden könnte über die wichtigsten Fragen der Gesellschaft, um auf diese Weise tragfähige Antworten festzuschreiben? Kants Antwort ist eindeutig: Nein, dies sei auf keinen Fall möglich und solle auch nicht versucht werden.

Hintergrund: Mehr als 150 Jahre später, in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen (1948) heißt es: Artikel 18: Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit […]. Artikel 19: Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung […] (https://de.wikipedia.org/wiki/Allgemeine_Erklärung_der_Menschenrechte, 19.07.2021).

Welche Gründe nennt Kant für seine Ablehnung? Im Text lassen sich, so scheint mir, zwei verschiedene Gründe für die Ablehnung finden: Zum einen ist da, eher zwischen den Zeilen angedeutet, aber für den Forschrittsdenker Kant typisch, der eben ausführlich dargestellte pragmatische Grund. Aufgrund der Dynamisierung der modernen Gesellschaft kann eine Generation, wie geschildert, unmöglich ein für alle Mal für die nächste entscheiden. Der andere Grund, von Kant explizit vertreten, ist grundsätzlicher Natur. Es gehöre zu menschlichem Leben notwendig ein Recht, durch eigenes Nachdenken immer weiter voranzuschreiten. Dieses Recht leite sich sogar aus der Natur des Menschen ab. Kant behauptet also nicht weniger, als dass die Aufklärung und das Fortschreiten in der Aufklärung zum Menschsein selbst dazugehören. Es geht um ein Menschenrecht: das Recht auf Selbstdenken, auf Selbstbestimmung und auf den eigenen Fortschritt im Denken.

Die Idee der Aufklärung: Bildung zum Selbstdenken ist notwendig, um ein Recht zu verwirklichen, welches der Mensch von Natur aus besitzt, nämlich das Recht auf Selbstdenken und Selbstbestimmung.

1.3 Der Wahrheit verpflichtet. Das Ethos moderner Wissenschaft (Weber)

Wahrheitssuche in der Scientific Community. In diesem Kapitel geht es um die moderne Wissenschaft und ihr Selbstverständnis. Der Zusammenhang zwischen Wissenschaft und Selbstdenken wird weiter unten klar werden. Zum Ethos (im Sinne von attitude oder Einstellung) der modernen Wissenschaft gehört es, einer objektiven oder auch intersubjektiven Wahrheit verpflichtet zu sein, welche niemand für sich allein herausfinden und besitzen kann. Seit Francis Bacon (1561–1626) entfernt sich die moderne Wissenschaft vom Vorbild des einzelnen genialen Forschers, seinen besonderen Ideen und Einfällen und seinem exklusiven Zugang zur Wahrheit.

Hintergrund: Einiges am erfolgreichen Vorgehen der modernen Wissenschaft geht auf Francis Bacon zurück. Man solle nicht immer weiter Gründe dafür suchen, was man für wahr halte, sondern solle versuchen, es zu widerlegen. Denn dazu reiche ein einziges Gegenbeispiel. Auch sollten die Forschenden skeptisch gegenüber ihren Grundannahmen über die Welt bleiben, es könnten Vorurteile sein.

Stattdessen wird die Wahrheitssuche auf viele Schultern verteilt. Eine Community der Forschenden, so die neue Idee, produziert Hypothesen und Forschungsergebnisse und stellt sie einander vor. Die gegenseitige Kritik an den Hypothesen und an den Ergebnissen garantiert ein möglichst objektives Wissen, aus dem alle subjektiven Anteile entfernt worden sind. Denn indem die einzelnen Forscher:innen und die einzelnen Arbeitsgruppen stets damit rechnen müssen, von den anderen, mit ihnen konkurrierenden Wissenschaftler:innen auch noch der kleinsten Fehler überführt zu werden, kommt es erst gar nicht zu Behauptungen, die nicht abgesichert sind.

Die Forschung geht immer weiter. Prinzipiell ist diese Art und Weise, wie moderne Wissenschaft vorgeht, unabschließbar. Sie kommt nie an ein Ende, weil jedes Ergebnis neue Fragen aufwirft und weil die Community der Forschenden immer wieder ganz neue Perspektiven einbringt. Dieses objektive, in der Scientific Community immer weiter vertiefte Wissen gehört zum Ideal und zum Paradigma der modernen Wissenschaft.

Das Ethos der Forschenden. Aber auch die einzelnen Forschenden sind einem bestimmten Ethos verpflichtet. Sie setzen die Sache an die erste Stelle. Sie versuchen, ihre Ergebnisse möglichst verständlich darzustellen, um so gemeinsam mit anderen das beste Argument oder die beste Lösung zu finden. Die Forschenden beugen sich dem besseren Argument, der besseren Deutung und Interpretation bestimmter Ergebnisse oder auch dem besseren wissenschaftlichen Modell. Und die eigenen Vorschläge für solche Modelle müssen möglichst objektiv sein, man muss sie reinigen von subjektiven Urteilen oder Vorannahmen, die einem unterlaufen, ohne dass man sie überhaupt bemerkt.

Die Wahrheit über die Wirklichkeit herauszufinden, das ist stets wichtiger als man selbst. Der Soziologe Max Weber (1864–1920) hat diesen Zusammenhang für das Ethos der modernen Forschenden exemplarisch formuliert.

Hintergrund: Max Weber hat gezeigt, wie durch und durch rational unsere moderne Kultur ist. Prinzipiell kann alles wissenschaftlich erklärt werden (Entzauberung der Welt). Wissenschaft darf nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, die irgendjemand als wünschenswert erscheint (Wertfreiheit).

Als Wissenschaftler:innen möchten wir vielleicht für geniale Ergebnisse gefeiert werden. Noch wichtiger ist uns aber, dass diese Ergebnisse kleine Bausteine der Forschung sind, auf denen andere weiter aufbauen können. Wir arbeiten für die Sache, nicht für uns selbst.

[…] jede wissenschafliche ‚Erfüllung‘ bedeutet neue ‚Fragen‘ und will ‚überboten‘ werden und veralten. […] Wissenschaftlich aber überholt zu werden, ist […] nicht nur unser aller Schicksal, sondern unser aller Zweck. Wir können nicht arbeiten, ohne zu hoffen, daß andere weiter kommen werden als wir. (Weber 1922 (b), 534, Hervorhebung i. O.)

Uns selbst durchschauen und in der Forschung Wertfreiheit anstreben. Doch Weber geht noch einen Schritt weiter. Bescheidenheit bedeutet nicht nur zurückzutreten, wenn andere Forschende weiterkommen als wir. Sondern Bescheidenheit meint auch, sich darüber klar zu werden, wo in der eigenen Forschung die Tatsachen aufhören und die eigenen Bewertungen anfangen. Als Forschende, insbesondere in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften, sollen wir immer besser auch uns selbst und unser Denken durchschauen: Was ist objektive Tatsache und was ist subjektive Bewertung? Weber fordert,

[…] sich selbst unerbittlich klar zu machen: was von seinen jeweiligen Ausführungen entweder rein logisch erschlossen oder rein empirische Tatsachenfeststellung und was praktische Wertung ist. Dies zu tun allerdings scheint mir direkt ein Gebot der intellektuellen Rechtschaffenheit […]. (Weber 1922 (a), 452f., Hervorhebung i. O.)

[…] daß wenn der Lehrer praktische Wertungen sich nicht versagen zu sollen glaubt, er diese als solche den Schülern und sich selbst absolut deutlich mache. (Weber 1922 (a), 460, Hervorhebung i. O.)

Was aber heute der Student im Hörsaal doch vor allen Dingen von seinem Lehrer lernen sollte, ist: 1. die Fähigkeit, sich mit der schlichten Erfüllung einer gegebenen Aufgabe zu bescheiden; – 2. Tatsachen, auch und gerade persönlich unbequeme Tatsachen, zunächst einmal anzuerkennen und ihre Feststellung von der bewertenden Stellungnahme dazu zu scheiden; – 3. seine eigene Person hinter die Sache zurückzustellen […]. (Weber 1922 (a), 455, Hervorhebung i. O.)

Zur modernen Wissenschaft und ihrer Wahrheitssuche gehört es also, Tatsachen einerseits und bewertende Urteile andererseits voneinander zu trennen. Das bedeutet, den eigenen, individuellen Standpunkt zunächst zurückzunehmen.

Intellektuelle Rechtschaffenheit als Tugend. Bescheiden sein, sich gegenseitig Rechenschaft geben, sich dem besseren Argument beugen, unbequeme Tatsachen akzeptieren und Tatsachen von Bewertungen trennen – Weber nennt dies intellektuelle Rechtschaffenheit. Er hat das Ethos moderner Wissenschaft exemplarisch in seinen Aufsätzen Der Sinn der ‚Wertfreiheit‘ in den soziologischen und ökonomischen Wissenschaften (1917/18) und Wissenschaft als Beruf (1919) formuliert. Mit Wertfreiheit ist gemeint, dass die Wahrheitssuche der Wissenschaft keinen ideologischen Interessen oder Weltbildern folgen, sondern sich nur an eine Tugend, die intellektuelle Rechtschaffenheit, halten soll. Weber spricht davon,

[…] daß deshalb die ‚intellektuelle Rechtschaffenheit‘ die einzige spezifische Tugend sei, zu der sie [die Wissenschaftler:innen ihre Studierenden, Ph.Th.] zu erziehen haben. (Weber 1922 (a), 453)

[…], daß innerhalb der Räume des Hörsaals nun einmal keine andere Tugend gilt als eben: schlichte intellektuelle Rechtschaffenheit. (Weber 1922 (b), 555)

Aber ich will gar keine Wissenschaft betreiben. Blicken Sie von hieraus zurück auf die Frage Ihrer Schüler:innen, weshalb sie das Selbstdenken und das Argumentieren lernen sollen. In diesem Kapitel (1.3) ging es nicht um Lösungen in einer sich laufend ändernden Welt (1.1) und auch nicht um Selbstdenken als Menschenrecht (1.2). Zudem möchten Ihre Schüler:innen später vielleicht gar keine Wissenschaft betreiben. Doch vieles spricht dafür, dass der Erfolg und die Geschwindigkeit, mit der die moderne Wissenschaft fortschreitet, nicht zuletzt auf ihr spezifisches, hier beschriebenes Vorgehen zurückzuführen ist: Alles muss nachvollziehbar begründet sein, alles muss jederzeit von allen kritisierbar sein. So funktioniert eine effektive Lösungssuche. Diese Effektivität ist an einen Ethos gebunden, Weber spricht von der intellektuellen Rechtschaffenheit. Dies ist ein Ideal, ein moderner Wert und soll das Bildungsziel des Selbstdenkens beflügeln.

Wissenschaftliche Wahrheitssuche und Selbstdenken. Das Vorgehen der Wissenschaft hat viele Parallelen zum Selbstdenken und Argumentieren, denn der eigene Standpunkt muss stets gegenüber der möglichen Kritik anderer vertreten werden, er muss durch Argumente gestützt werden, die man selbst vielleicht entwickelt hat, die aber von den anderen auch verstanden und akzeptiert werden müssen. Wer immer Lösungen sucht, die besser sind als die konkurrierenden Vorschläge anderer zur Lösung derselben Probleme, ob in der Wissenschaft oder wenn es um die eigene Meinung zu einer wichtigen Frage geht, sollte dem Ethos der wissenschaftlichen Wahrheitssuche folgen. Selbstdenken und intellektuelle Rechtschaffenheit sind Ideale schon in der Schule.

Argumentieren, Begründen, Kritisieren, der Wahrheit verpflichtet sein – dies sind Fähigkeiten, welche die moderen Kultur braucht (Kap. 1.1), welche die Aufklärung als Menschenrecht entdeckt (Kap. 1.2) und welche die moderne Wissenschaft erfolgreich machen (Kap. 1.3). Daher ist Selbstdenken ein Bildungsziel.

₺670,50

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
302 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783846357064
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre