Kitabı oku: «Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?», sayfa 2
A.2.1 Freiburg (Kanton und Stadt)
A.2.1.1 Sprachgeschichtlicher Überblick
Der Kontakt zwischen romanischer und germanischer Sprache findet im Gebiet des heutigen Kantons Freiburg sehr früh statt. Bevor die Gebiete im 1. Jahrhundert v.Chr. Teil des Römischen Reiches werden, sind sie durch die keltischen Helvetier bevölkert. Im 3. Jahrhundert führen die eingewanderten Alemannen die germanischen Sprachen ein, während die zur selben Zeit eingewanderten Burgunder rasch romanisiert werden (vgl. Mariano 2010: 290).
Die Gründung der Stadt Freiburg erfolgt 1157 durch den Herzog Berchtold IV von Zähringen. Die Stadt erobert bald neue, sowohl deutsch- als auch französischsprachige Gebiete.
Für die Entwicklungen der Sprachsituation sind schliesslich insbesondere die Ereignisse im 15. Jahrhundert wichtig. Nach den Burgunderkriegen wird die Stadt Freiburg 1477 unabhängig und erhält den Status einer freien Reichsstadt (vgl. HLSa; HLSb). Dies hat eine bedeutende Vergrösserung ihrer zugehörigen Gebiete zur Folge, die sie in mehreren Fällen (dazu zählt auch das Gebiet um Murten, vgl. A.2.2.1) zusammen mit Bern als ‹Gemeine Herrschaften› (vgl. HLSc; HLSd) verwaltet. Auch der offizielle Sprachgebrauch ändert sich zu dieser Zeit: Latein wird aufgegeben, zu Gunsten vor allem des Französischen, das erste Amtssprache wird, aber auch des Deutschen (vgl. Altermatt 2003: 22).
Einige Jahre später, 1481, wird der Kanton Freiburg – als erster nicht ausschliesslich deutschsprachiger Kanton – in die Eidgenossenschaft aufgenommen, wodurch die Bedeutung des Deutschen im Kanton weiter gestärkt wird. Deutsch wird 1483 Verwaltungssprache. Sein Gebrauch ist allerdings auf die Beziehungen nach aussen, die Kanzlei, die Räte und die Beziehungen zu den Gemeinen Herrschaften beschränkt (vgl. Altermatt 2003: 26), in den französischsprachigen Gebieten des Kantons bleibt Französisch einzige Verwaltungssprache.
Als 1798 in der Folge des Zusammenbruchs des Ancien Régime die Helvetische Republik entsteht (vgl. HLSe), ändert sich die sprachliche Situation des Gebietes erneut. Im Zuge einer territorialen Neuaufteilung während der Helvetischen Republik werden nicht nur die Region um Murten, sondern auch mehrere französischsprachige Gebiete vollständig Teil des Kantons Freiburg. Französisch wird Kommunikationssprache der Kantonsverwaltung mit der kurzzeitigen Landesregierung, dem Helvetischen Direktorium (vgl. HLSe). Deutsch bleibt zunächst noch Sprache der Kommunikation mit den übrigen Gebieten der Eidgenossenschaft und verliert seinen offiziellen Status zu Beginn des 19. Jahrhunderts ganz (vgl. Altermatt 2003: 29).
Auch nach dem Ende der Helvetischen Republik 1803 und der darauf folgenden Mediationszeit (vgl. HLSf) verändert sich diese Sprachsituation kaum (vgl. Altermatt 2003: 30). Als 1830 ein liberales Regime eingerichtet wird, bleibt eine gewisse Zweisprachigkeit erhalten, als Regierungssprache gilt allerdings ausschliesslich Französisch (vgl. Altermatt 2003: 33).
Nach dem Schweizerischen Bürgerkrieg (‹Sonderbundskrieg›, vgl. HLSg) wird eine neue kantonale Verfassung geschaffen, durch welche die Bezirksverteilung innerhalb des Kantons Freiburg entsteht (vgl. A.2.1.2), die weitestgehend bis heute gilt.
Als es 1857 erneut zu einem Regierungswechsel und zu einer Änderung der Kantonsverfassung kommt, wird der Versuch unternommen, weder das Französische noch das Deutsche zu bevorzugen: Es wird keine offizielle Sprache mehr festgelegt und Französisch bleibt lediglich Originalsprache der juristischen Dokumente.
Spannungen bleiben dennoch nicht aus. Namentlich während des Ersten Weltkriegs sind die Spannungen zwischen Deutsch- und Französischsprachigen, die in der ganzen Schweiz wahrnehmbar sind und namentlich durch die Propaganda der Kriegsparteien in der Schweiz verstärkt werden (vgl. Elsig 2014), in Kanton und vor allem Stadt Freiburg deutlich zu spüren (vgl. Tétaz 2007: 74-75). In der Zwischenkriegszeit wird die deutschsprachige Gemeinschaft zwar stärker in die Kantonsregierung eingebunden, diese versteht den Kanton jedoch nach wie vor als vornehmlich französischsprachig (vgl. Altermatt 2003: 47). Während dem Zweiten Weltkrieg ist die Situation nicht mehr dieselbe. Kulturelle und sprachliche Vielfalt werden als Teil der Schweizerischen Identität verstanden und auch in Freiburg wird diese Haltung geteilt (vgl. Altermatt 2003: 48).
Von der hier mit Blick auf die Sprachsituation kurz umrissenen Geschichte des Kantons hebt sich diejenige der Stadt Freiburg zuweilen ab, was auch für Murten gilt. Auf die (Sprach)geschichte Murtens werden wir in A.2.2.1 eingehen, auf die aktuelle Sprachsituation in Stadt und Kanton Freiburg in A.2.1.2. Hier beleuchten wir zunächst einige sprachgeschichtlich bedeutende Ereignisse in der Stadt Freiburg. Die Stadt wird 1157 gegründet und ihre Bevölkerung besteht bereits zu diesem Zeitpunkt aus deutschsprachigen und französischsprachigen Einwohnerinnen und Einwohnern (Altermatt 2007: 400). Die schwäbische Herkunft der zähringischen Stadtgründer1 und die Abhängigkeit der damals existierenden zwei Klöster von deutschen Provinzen (Altermatt 2003: 19) tragen zur Bedeutung des Deutschen bei, was sich auch in der Toponymie niederschlägt. Gleichzeitig gewinnt Französisch in der Stadt Freiburg rasch an Bedeutung durch die Einwanderung aus den abhängigen französischsprachigen Gebieten. Der Kontakt der beiden Sprachen ist daher seit der Stadtgründung attestiert (vgl. Guex 2010: 58).
Die Stärkung des Deutschen durch den Eintritt in die Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert hat im Kantonshauptort Freiburg jedoch besonders deutliche Auswirkungen, während sie in den umliegenden Gebieten weniger zu spüren ist. Im 18. Jahrhundert werden namentlich durch die in der Stadt wohnhaften Patrizierfamilien wieder intensivere Beziehungen mit Frankreich gepflegt (vgl. Villiger/Bourceraud 2008: 21). Als die französische Sprache zu dieser Zeit im gesamten Kanton wieder an Bedeutung gewinnt, ist daher auch diese Bewegung in der Stadt stärker zu spüren als in anderen Kantonsgebieten. Die Veränderungen der sprachlichen Situation und die wiederholten Wechsel des Status der beiden Sprachen Französisch und Deutsch sind also in der Stadt Freiburg grundsätzlich stärker als anderswo in den heutigen Kantonsgebieten. Dies gilt ebenso für die erwähnten Spannungen während dem Ersten Weltkrieg und für eine positivere Haltung gegenüber dem Sprachkontakt während des Zweiten Weltkriegs und bis heute (vgl. z.B. Wicht-Pierard 2007: 171).
A.2.1.2 Aktuelle Sprachsituation
Bevor wir die aktuellen sprachdemografischen und sprachpolitischen Gegebenheiten von Kanton und Stadt Freiburg zusammenstellen, möchten wir auf die Entwicklungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingehen und ziehen dazu im Wesentlichen die Untersuchung von Altermatt (2003) heran, in der Folgendes festgestellt wird:
[L]es deux décennies suivant la Seconde Guerre mondiale furent essentiellement marquées par la continuité d’une situation linguistique inégalitaire et discriminante envers la minorité germanophone. […]
À la fin des années 1950, la situation linguistique et le biculturalisme furent l’objet d’un regain d’intérêt, notamment de la part des milieux culturels […]. Les revendications de plus en plus explicites de la minorité ainsi que leur articulation à travers des organismes privés (DFAG [Deutschfreiburgische Arbeitsgemeinschaft]) ou publics (Grand Conseil) contribuèrent à la sensibilisation progressive des autorités cantonales. […] La consécration de l’article constitutionnel sur les langues cantonales au tournant des années 1980/90 marqua le point culminant de ce mouvement vers l’égalité linguistique qui, par ailleurs, continue encore au XXIe siècle. (Altermatt 2003: 308-309)
Er nennt im Weiteren ein Ungleichgewicht zwischen sprachlicher Realität und administrativer Praxis:
La situation du canton de Fribourg en général et des districts du Lac et de la Sarine en particulier démontre que des problèmes sont susceptibles d’apparaître dans des régions où on assiste à un déséquilibre trop marqué entre la réalité linguistique (bilinguisme) et la pratique administrative (monolinguisme). (Altermatt 2003: 313)
Dennoch wird eine verstärkte Anerkennung der Zweisprachigkeit auf Kantonsebene eingeräumt:
Malgré ces quelques points ambigus, le bilinguisme fribourgeois s’est fortement développé dans la deuxième moitié du XXe siècle. La politique des langues du canton de Fribourg tend résolument vers un renforcement de la coexistence linguistique et vers une application des avantages du biculturalisme. Le bilinguisme n’a jamais été autant favorisé et valorisé qu’à la fin du XXe et au début du XXIe siècles. (Altermatt 2003: 315)
Trotz der erwähnten verstärkten Massnahmen für eine Unterstützung der Zweisprachigkeit seit Ende des 20. Jahrhunderts scheint im Kanton Freiburg eine stetige Abnahme der Minderheiten auf allen Ebenen stattzufinden. Wie die von Altermatt (2003: 348-350) betrachteten Zahlen aufzeigen, findet von 1990 bis 2000 sowohl auf kantonaler Ebene als auch in den meisten Bezirken und Gemeinden eine Abnahme der Sprechenden der jeweiligen Minderheitensprache statt. Für die Stadt Freiburg stellt Altermatt die folgenden Veränderungen fest (vgl. A.2.2.2 für die entsprechende Auswertung für Murten):
En 100 ans (1888-1990) : diminution importante (-9.41) / en 50 ans (1941-1990) : diminution significative (-7.0) / en 30 ans (1960-1990) / diminution significative (-7.0) (vgl. Altermatt 2003: 348-350).
Die Grundlagen der regionalen Sprachpolitik hängen wiederum von der Aufteilung in verschiedene Staats- und Verwaltungsebenen ab. Der Kanton Freiburg ist einer der vier offiziell mehrsprachigen Kantone der Schweiz (vgl. A.2.0) und wird administrativ in sieben Bezirke unterteilt. Vier davon sind offiziell französischsprachig (Broye, Glâne, Gruyère2, Sarine (Saane)3 und Veveyse), einer deutschsprachig (Sense) und einer zweisprachig (See/Lac). Die in der vorliegenden Untersuchung betrachteten Städte Freiburg und Murten sind Hauptorte der Bezirke Saane respektive See (vgl. A.2.2.2).
In Artikel 6 der Verfassung des Kantons Freiburg werden Deutsch und Französisch als Amtssprachen auf kantonaler Ebene festgelegt. Gleichzeitig wird in Absatz 2 das Territorialitätsprinzip – im Gegensatz zu den schweizerischen Bestimmungen auf Bundesebene, vgl. A.2.0 – explizit als solches bezeichnet:
Art. 6 Sprachen
1 Französisch und Deutsch sind die Amtssprachen des Kantons.
2 Ihr Gebrauch wird in Achtung des Territorialitätsprinzips geregelt: Staat und Gemeinden achten auf die herkömmliche sprachliche Zusammensetzung der Gebiete und nehmen Rücksicht auf die angestammten sprachlichen Minderheiten.
3 Die Amtssprache der Gemeinden ist Französisch oder Deutsch. In Gemeinden mit einer bedeutenden angestammten sprachlichen Minderheit können Französisch und Deutsch Amtssprachen sein.
4 Der Staat setzt sich ein für die Verständigung, das gute Einvernehmen und den Austausch zwischen den kantonalen Sprachgemeinschaften. Er fördert die Zweisprachigkeit.
5 Der Kanton fördert die Beziehungen zwischen den Sprachgemeinschaften der Schweiz.
(Verfassung FR, Art. 6)
Die Gemeinden des Kantons Freiburg hätten zwar auch die gesetzliche Grundlage für Ausnahmen zum Territorialitätsprinzip (Art. 6 Abs. 3 Verfassung FR), bisher hat jedoch keine Freiburger Gemeinde davon Gebrauch gemacht. Für die Stadt Freiburg gibt es keine weitergehenden Bestimmungen zur Sprachpolitik (vgl. z.B. Brohy 2011: 110).
Gemäss den Statistiken zu den Hauptsprachen aus der Volkszählung von 2000 war eine Mehrheit der Wohnbevölkerung von 63,2% französischsprachig und eine Minderheit von 29,2% deutschsprachig (Lüdi/Werlen 2005: 23). In den letzten verfügbaren Erhebungen von 20164 (vgl. A.2.0 in Bezug auf die Vergleichbarkeit mit Erhebungen bis und mit 2000) nannten von den 305 603 Einwohnerinnen und Einwohnern5 80 116 Deutsch als Hauptsprache6 und 209 109 Französisch. Im Saanebezirk sind es 2014-2016 (kumuliert) 13 512 mit Deutsch als genannter Hauptsprache zu 80 909 mit Französisch (2000: 14,5% zu 75,3%, vgl. Lüdi/Werlen 2005: 93). Für die Stadt Freiburg stellen Lüdi/Werlen (2005: 93) für das Jahr 2000 Anteile von 63,6% Französischsprachigen zu 21,2% Deutschsprachigen fest.
A.2.2 Murten
A.2.2.1 Sprachgeschichtlicher Überblick
Die Anfänge der Besiedelung der Region vor der Gründung der Stadt Murten ist mit den Gegebenheiten im übrigen Gebiet des heutigen Kantons Freiburg vergleichbar (vgl. A.2.1.1): Besiedelung durch Helvetier, römische Einflüsse durch die Gründung der Kolonie Aventicum, Einwanderung der Burgunder und Alemannen (vgl. Mariano 2010: 290). Romanische und germanische Sprache stehen auch hier sehr früh in Kontakt.
1034 wird die Stadt Murten in der Folge eines Konflikts im Zuge der Auseinandersetzungen über das Erbe Rudolfs von Burgund zerstört (vgl. Mariano 2010: 294-295). Seit der Gründung der Stadt Freiburg (vgl. A.2.1.1) sind die Zähringer in der Region präsent und Ende des 12. Jahrhunderts gründen sie mutmasslich eine neue Stadt Murten an der Stelle der zerstörten Burgunderstadt (Mariano 2010: 302; HLSh). Wie in Freiburg hat auch in Murten die Ankunft der Zähringer die Bedeutung der deutschen Sprache verstärkt.
Nach dem Ende der Zähringerherrschaft 1218 durch den Tod Herzog Berchtolds V verlaufen die Entwicklungen in Murten jedoch anders als in Freiburg. Murten und Bern werden seither direkt durch Kaiser Friedrich II regiert, während Freiburg zusammen mit anderen Städten an die Dynastie der Kyburger fällt. In der Folge des Konfliktes zwischen den Städten, die sich unter dem Schutz des Kaisers befinden, und denjenigen unter Schutz der Kyburger stellt sich Murten unter den Schutz von Peter von Savoyen, der im Anschluss Herrscher der Stadt Murten wird (vgl. Mariano 2010: 307-309). Die Zeit der Herrschaft Savoyens in Murten dauert bis 1475, anschliessend fällt das Territorium als ‹Gemeine Herrschaft› an Freiburg und Bern.
Während die vorherrschende Sprache in der Savoyerzeit noch Französisch war, wird Murten nun unter dem Einfluss von Bern zunehmend deutschsprachig. 1530 schliesst sich Murten der Reformation an, wie Bern bereits zwei Jahre zuvor. Die Orientierung Murtens in Richtung Bern und weg vom katholischen Freiburg wird dadurch noch verstärkt, was gleichzeitig eine zunehmende Bedeutung der deutschen Sprache zur Folge hat (vgl. Altermatt 2003: 27).
Während der Zeit des Ancien Régime bleibt Murten Gemeine Herrschaft von Freiburg und Bern, bevor es 1803 durch die Mediation (vgl. A.2.1.1) definitiv Teil des Kantons Freiburg wird. Die sprachliche Situation scheint sich dadurch allerdings nicht zu verändern (vgl. HLSh).
Murten bleibt Teil des Kantons Freiburg, behält aber seine Orientierung nach Bern bei, begünstigt durch die Konfession und die deutschsprachige Mehrheit. Im 19. Jahrhundert nimmt auch in Murten die Industrialisierung zu und ein früher Tourismus gewinnt bereits vor dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung. Internationale Unternehmen werden sich erst später in Murten niederlassen. Ein entscheidender Faktor für die Bekanntheit der Kleinstadt Murten innerhalb der Schweiz ist die Tatsache, dass die zweite Schlacht der Burgunderkriege 1476 auf dem Stadtgebiet ausgetragen wurde. Die Gedenkfeier von 1876 trägt wesentlich zu den Anfängen des Tourismus in Murten bei. In näherer Vergangenheit erhält Murten durch die Landesausstellung ‹expo.02› im Jahr 2002 erneut nationale Beachtung (vgl. HLSh).
A.2.2.2 Aktuelle Sprachsituation
Die Stadt Murten ist heute Hauptort des zweisprachigen Seebezirks/District du Lac, der als einziger der sieben Bezirke des Kantons Freiburg offiziell zweisprachig ist und Deutsch und Französisch als Amtssprachen auf Bezirksebene anerkennt, während seine einzelnen Gemeinden offiziell wiederum einsprachig sind. Gemäss den Resultaten der Erhebungen des Bundesamtes für Statistik für 2014-2016 (kumuliert) nennen 22 550 Einwohnerinnen und Einwohner des Seebezirks Deutsch und 11 320 Französisch als Hauptsprache, wobei Mehrfachnennungen möglich sind.
Wie für die Stadt Freiburg werden auch für die Gemeinde Murten (vgl. A.2.1.2) keine sprachpolitischen Grundlagen explizit festgehalten, eine Regelung zur Sprachpolitik findet sich in den Gemeindereglementen nicht1. Die Gemeinde ist offiziell deutschsprachig, verfügt aber über eine französischsprachige Minderheit. Gemäss den aktuellsten Zahlen gelten die 8 218 Einwohnerinnen und Einwohner von Murten zu 83% als deutschsprachig und zu 15% als französischsprachig2. Im Unterschied zu den Erhebungen des Bundesamtes für Statistik sind Mehrfachnennungen hier nicht zugelassen. Offiziell ist die Gemeinde deutschsprachig. In A.2.1.2 haben wir mit Altermatt die Entwicklung der Minderheitensprache in Freiburg gezeigt. Die gleiche Untersuchung für Murten bietet das folgende Bild:
En 100 ans (1888-1990) : diminution faible (-0.53))/ en 50 ans (1941-1990) : augmentation faible (+2.0) / en 30 ans (1960-1990) / augmentation faible (+0.8) (Altermatt 2003: 348-350)
Die französischsprachige Minderheit in Murten ist also zwar kleiner als die deutschsprachige Minderheit in Freiburg, jedoch ist die Situation in Murten während dem gesamten 20. Jahrhundert stabiler als jene in Freiburg. Die Zahl der Sprechenden der Minderheitensprache Französisch hat auf die 100 Jahre zwischen 1888 und 1990 gesehen zwar insgesamt leicht ab-, gegen Ende dieser Zeitspanne jedoch wieder etwas zugenommen.
Dieser Unterschied zwischen den Städten Freiburg und Murten entspricht auch der allgemeinen Situation in den jeweiligen Bezirken. Im Saanebezirk mit Hauptort Freiburg ist die Mehrheitssprache in allen 46 Gemeinden Französisch. In 32 dieser Gemeinden hat die deutschsprachige Minderheit von 1990 bis 2000 abgenommen. Im Seebezirk mit Hauptort Murten ist die Abnahme der Sprechenden der jeweiligen Minderheitensprache insgesamt schwächer als im Saanebezirk und betrifft hier hauptsächlich das Französische in den Gemeinden mit deutschsprachiger Mehrheit. Die Abnahme der Minderheiten stärkt also das Französische im Saanebezirk und in etwas schwächerer Form das Deutsche im Seebezirk (vgl. Altermatt 2003: 264-271).
A.2.3 Biel
A.2.3.1 Sprachgeschichtlicher Überblick
Im Gegensatz zu den Gebieten der heutigen Städte Freiburg und Murten (vgl. A.2.1.1 und A.2.2.1) sind für die Region der heutigen Stadt Biel keine Belege für eine Besiedelung in der vorrömischen Zeit vorhanden (vgl. HLSi). Die erste bekannte Besiedelung ist diejenige durch die Alemannen im 6. oder 7. Jahrhundert. Wie im Gebiet des heutigen Kantons Freiburg (vgl. A.2.1.1) fand zwar auch in dieser Gegend früh ein erster Kontakt zwischen romanischer und germanischer Kultur statt, jedoch nur vorübergehend: «[A]b dem 8. Jh. dominierte das germanische Kulturelement» (HLSi: 1.2.).
Die Stadt Biel kann nicht seit ihrer Gründung als zweisprachig bezeichnet werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Stadt zwischen 1225 und 1230 durch den Bischof von Basel, Heinrich II von Thun, gegründet wurde (vgl. HLSi) und somit zu einer Zeit, in der die betreffende Gegend längst deutschsprachig war. Seit ihrer Gründung befindet sich die Stadt in einer angespannten Situation zwischen verschiedenen Machthabern und Bündnispartnern. Sie ist gleichzeitig Verwaltungszentrum eines Teils des Basler Fürstbistums, emanzipiert sich aber rasch von der Herrschaft durch den Bischof und schliesst im 13. Jahrhundert eigene Verträge ab, dies unter anderem mit der Stadt Bern, was 1367 zum Krieg zwischen Bern und der bischöflichen Herrschaft in Basel führt. In der Folge fällt Biels Nachbarort Nidau an Bern. Biel wird somit zur Grenzstadt der bischöflichen Gebiete, wodurch der Aufbau eines eigenen Herrschaftsgebietes verhindert wird (vgl. HLSi).
Im 15. Jahrhundert erhält die Stadt den Status eines zugewandten Ortes der Schweizerischen Eidgenossenschaft1, wird somit nicht als vollberechtigter Ort anerkannt und bleibt sogenannte ‹Landstadt› unter fürstbischöflicher Herrschaft.
Die Französische Revolution stellt schliesslich einen entscheidenden Moment der Stadtgeschichte dar, der sich auch auf die Sprachsituation der Stadt auswirken sollte. Nachdem Frankreich 1793 zunächst Teile des Fürstbistums Basel annektiert hatte, wurde 1798 schliesslich auch die Stadt Biel als ‹Canton de Bienne› innerhalb des ‹Département du Mont-Terrible› für kurze Zeit Teil Frankreichs (vgl. HLSi). Innerhalb des Departements, das grösstenteils aus Gebieten des heutigen Kantons Jura bestand, wird Deutsch zur Minderheitensprache. Das Französische gewinnt in Biel zunächst an Präsenz durch die Anwesenheit französischer Funktionäre und Soldaten, die sich von dort aus auf den Angriff auf Bern vorbereiten. Dieser endet mit der Niederlage Berns und führt schliesslich zur Gründung der Helvetischen Republik (vgl. HLSe). Die französische Sprache wird aber auch zur offiziellen Sprache der Administration, anscheinend ohne grossen Widerstand der Bieler Bevölkerung: «Dès le 20 mars 1798, la correspondance administrative fut tenue en français, comme si ce changement avait été la chose la plus naturelle du monde» (Kaegi 2013: 472).
Biel blieb auch nach dem Ende der Helvetischen Republik unter französischer Herrschaft (nun innerhalb des neuen ‹Département du Haut-Rhin›) bis zur Niederlage Napoleons 1814 und wird im Zuge der Entscheidungen des Wiener Kongresses schliesslich Teil des Kantons Bern, obwohl sich grosse Teile der Bevölkerung einen eigenständigen Kanton Biel innerhalb der Schweizerischen Eidgenossenschaft wünschen. Das Verhältnis zum Kanton Bern ist zunächst weiterhin angespannt:
Die Skepsis gegenüber Bern blieb bestehen. Ein Teil der Bieler Bürger schloss sich aus den verschiedensten Motiven der liberalen Opposition gegen das Berner Regime an […]. 1832 wurde Biel Hauptort des gleichnamigen, neu geschaffenen Amtsbezirks. Erst mit der einsetzenden Demokratisierung während der Regenerationszeit begannen die Bieler, sich mit dem Staat Bern zu identifizieren. (HLSi: 3.1.1.)
Bis heute ist die Stadt Teil des Kantons Bern geblieben und seit 2010 Hauptort des Verwaltungskreises Biel/Bienne (vgl. A.2.3.2). Die hier kurz beschriebenen Ereignisse bis zur Aufnahme der Stadt in den Kanton Bern hatten – mit Ausnahme der französischen Periode – kaum Auswirkungen auf die Sprachsituation der bis dahin deutschsprachigen Stadt, in der das Französische lediglich durch den Kontakt mit französischsprachigen Gebieten (vgl. Werlen 2010: 10) und seit dem 18. Jahrhundert als «zweite Umgangs- und Bildungssprache» der Oberschicht (HLSi: 2.7.) gebräuchlich war. Dies ändert sich mit der raschen Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in deren Folge sich die überbaute Fläche rund verzehnfacht. Die Stadt erlebt namentlich dank dem Uhrmacherhandwerk, das als Ersatz für die gescheiterte Baumwollindustrie eingeführt wird, einen wirtschaftlichen Aufschwung.
Für diesen neu in Biel angesiedelten Zweig werden zahlreiche Arbeitskräfte aus den französischsprachigen Gebieten des nahegelegenen Jura in die Stadt geholt (vgl. Kaestli 2013a: 666). Erst diese Einwanderungen legen den eigentlichen Grundstein für die heutige Zweisprachigkeit der Stadt Biel, die also im Vergleich zu Murten und Freiburg (vgl. A.2.1.1 und A.2.2.1) sehr spät entstanden ist. Die Zweisprachigkeit scheint jedoch sehr schnell in die städtische Realität integriert worden zu sein. Bereits 1845 wird auf eine Forderung der französischsprachigen Gemeinschaft des Uhrmacherhandwerks die erste französische Schule eröffnet, die zunächst als private Einrichtung funktioniert und später von der Gemeinde übernommen wird. Auch ein erstes Projekt für eine zweisprachige Schule existiert bereits zu dieser Zeit: Das Schulreglement von 1857 sieht keine französischsprachigen Schulen, sondern zweisprachigen Unterricht für alle vor. Das Projekt scheitert schliesslich am Mangel an zweisprachig qualifizierten Lehrkräften (vgl. Kästli 2013a: 670). 1893 nimmt die französischsprachige Bevölkerung Biels mit der Umgestaltung der politischen Institutionen der Gemeinde erstmals offizielle Vertretungen in der Stadtpolitik ein (vgl. Kästli 2013b: 756).
Im 19. Jahrhundert findet aber auch eine Einwanderung aus deutschsprachigen Gebieten statt, die ihrerseits Einfluss auf den Sprachgebrauch der deutschsprachigen Stadtbevölkerung hat:
[Es] wirkte sich aber auch die deutschsprachige Einwanderung aus dem benachbarten Seeland aus. Die Einwanderer brachten berndeutsche Dialekte mit und trugen so zur Veränderung des Bieler Dialekts bei. (Werlen 2010: 11)
Das schnelle Wachstum der Stadt führte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schliesslich auch zu einer Verschiebung des Stadtzentrums weg von der Altstadt, «indem der Schüssübergang zwischen Altstadt und dem 1923 eingeweihten neuen […] Bahnhof […] als Zentralplatz gestaltet wurde» (HLSi: 3.2).
Während die Spannungen zwischen der deutschsprachigen und der französischsprachigen Schweizer Bevölkerung während des Ersten Weltkriegs in Freiburg deutlich zu spüren sind (vgl. A.2.1.1), sind die Auswirkungen im nunmehr zweisprachigen Biel geringer. Zwar finden sich auch in Biel Anzeichen für unterschiedliche Sympathien der beiden Sprachgemeinschaften, beispielsweise in der Presse, Konflikte bleiben jedoch aus (vgl. Gaffino 2013a: 779-782).
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die französischsprachige Minderheit stärker in das politische und kulturelle Leben der Stadt eingebunden, wodurch auch die Präsenz der französischen Sprache im öffentlichen Raum zunimmt. 1947 wird erstmals ein französischsprachiger Stadtpräsident gewählt, in dessen Amtszeit 1955 das erste französischsprachige Gymnasium eröffnet wird. Mit dem ‹Capitole› und seinem Gastspieltheaterbetrieb wird Französisch auch zu einer Sprache des Bieler Kulturlebens. Stimmen, die dieser Entwicklung kritisch gegenüberstehen und eine Schwächung der Übermacht der Mehrheitssprache Deutsch ablehnen, existieren zwar, werden aber wenig beachtet, wie das Beispiel der Zeitung Der Bieler zeigt, die mit ihrer antifranzösischen Haltung in Biel keinen Verlag findet und in Zürich erscheinen muss (Gaffino 2013b: 897-903).