Kitabı oku: «Linguistic Landscape als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?», sayfa 5

Yazı tipi:

A.2.5.2 Aktuelle Sprachsituation

Bereits die Herausgeber von Hoffmann 1979 umreissen die Besonderheit der luxemburgischen Sprachsituation in einer zu einem grossen Teil noch heute gültigen Beschreibung:

Zum einen ist Luxemburg, abgesehen von Malta, das einzige Land Europas, in dem einer «exoglossischen», einer mehr oder minder nur schulisch erworbenen und nicht auf der Primärsprache des Kindes aufbauenden Standardsprache, nämlich dem Französischen, neben der primären Muttersprache ein bestimmter fester Platz im kulturellen Leben des Landes eingeräumt ist und deren fortdauernde intensive Pflege als konstitutiver Teil der nationalen Kulturtradition betrachtet wird.

Zum anderen ist Luxemburg die einzige Region im deutschen Sprachraum, in der die einheimische Mundart, das Letzeburgische […] bzw. ein Gemeinletzeburgisch als Koine der verschiedenen Orts- und Gebietsmundarten, eine solche Ausweitung des Gebrauchs und des Ausbaus erreicht hat, dass sie in wichtigen «Domänen» des Sprachgebrauchs […] die deutsche Standardsprache vielfach ersetzt hat1. (Auburger/Kloss/Kolde 1979: VII)

Zumindest zwei Merkmale gelten noch immer: die Verwendung des «exoglossischen» Französisch und die starke Präsenz des Luxemburgischen, das einige Jahre nach dem Erscheinen von Hoffmanns Übersicht einen offiziellen Status in der Luxemburgischen Verfassung erhalten sollte, durch den es sogar über das Deutsche und das Französische gestellt wird. Die offizielle Sprachpolitik wird seit 1984 durch die Loi sur les langues geregelt:

Nous JEAN, par la grâce de Dieu, Grand-Duc de Luxembourg, Duc de Nassau;

Notre Conseil d’Etat entendu;

De l’assentiment de la Chambre des Députés;

Vu la décision de la Chambre des Députés du 25 janvier 1984 et celle du Conseil d’Etat du 7 février 1984 portant qu’il n’y a pas lieu à second vote;

Avons ordonné et ordonnons:

Art. 1er.

Langue nationale

La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois.

Art. 2.

Langue de la législation

Les actes législatifs et leurs règlements d’exécution sont rédigés en français. Lorsque les actes législatifs et réglementaires sont accompagnés d’une traduction, seul le texte français fait foi.

Au cas où des règlements non visés à l’alinéa qui précède sont édictés par un organe de l’Etat, des communes ou des établissements publics dans une langue autre que la française, seul le texte dans la langue employée par cet organe fait foi.

Le présent article ne déroge pas aux dispositions applicables en matière de conventions internationales.

Art. 3.

Langues administratives et judiciaires

En matière administrative, contentieuse ou non contentieuse, et en matière judiciaire, il peut être fait usage des langues française, allemande ou luxembourgeoise, sans préjudice des dispositions spéciales concernant certaines matières.

Art. 4.

Requêtes administratives

Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’administration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant.

Art. 5.

Abrogation

Sont abrogées toutes les dispositions incompatibles avec la présente loi, notamment les dispositions suivantes:

 Arrêté royal grand-ducal du 4 juin 1830 contenant des modifications aux dispositions existantes au sujet des diverses langues en usage dans le royaume;

 Dépêche du 24 avril 1832 à la commission du gouvernement, par le référ. intime, relative à l’emploi de la langue allemande dans les relations avec la diète;

 Arrêté royal grand-ducal du 22 février 1834 concernant l’usage des langues allemande et française dans les actes publics.

 Mandons et ordonnons que la présente loi soit insérée au Mémorial pour être exécutée et observée par tous ceux que la chose concerne.


Le Président du Gouvernement, Ministre d’Etat, Pierre Werner Le Ministre de la Justice, Colette Flesch Le Ministre de la Fonction Publique, René Konen Château de Berg, le 24 février 1984. Jean

(Loi sur les langues)

Luxemburgisch gilt also als Nationalsprache «des luxembourgeois» (Art. 1), Französisch ist einzig gültige Sprache der Gesetzgebung (Art. 2) und Deutsch hat – zusammen mit Französisch und Luxemburgisch – den Status einer Amts- und Gerichtssprache (Art. 3). Alle drei Sprachen sind für die Kommunikation mit den Behörden zulässig, die in der jeweiligen Sprache antworten sollten (was in etwa der in A.2.0 beschriebenen Situation in der schweizerischen Verwaltung auf Bundesebene entspricht). Die drei Sprachen sind in der luxemburgischen Gesetzgebung also nicht gleichberechtigt, wie das – offiziell – beispielsweise für Französisch («parificata alla lingua italiana»2 (Art. 38 Statuto VdA), vgl. A.2.4.2) und Italienisch im Aostatal oder für Deutsch und Französisch («gleichberechtige Amtssprachen» (Art. 3 Stadtordnung), vgl. A.2.3.2) in der Stadt Biel gilt, sondern erhalten unterschiedliche, durchaus hierarchisch erscheinende Funktionen: Luxemburgisch als ‹Nationalsprache› steht auf der höchsten Stufe und wird kaum zufällig bereits im ersten Artikel erwähnt, Französisch steht zwar in Bezug auf das Prestige eine Stufe tiefer als Luxemburgisch, ist aber als Sprache der Gesetzgebung wichtiger als Deutsch, dem – zumindest im Sprachengesetz – keine distinktive Funktion zukommt. Diese erhält es allerdings durch den Gebrauch in der Schule (vgl. Loi du 6 février 2009 portant organisation de l’enseignement fondamental), wo es vor dem Französischen erlernt wird und somit die Sprache der Alphabetisierung der Schulkinder in Luxemburg darstellt, was eine nicht unerhebliche Bedeutung ausmacht. Zum Luxemburgischen gilt es weiter anzumerken, dass es im ersten Artikel des Sprachengesetzes explizit nicht als Nationalsprache «Luxemburgs», sondern «der Luxemburger» bezeichnet wird, wobei unklar bleibt, wer damit gemeint ist: die Wohnbevölkerung oder die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.

Das Sprachengesetz sieht keine Unterschiede zwischen einzelnen Landesteilen vor und seit dem Verlust der klar französischsprachigen Gebiete im Jahr 1839 ist dazu auch kaum ein Anlass gegeben. Die offizielle Dreisprachigkeit gilt gleichermassen im gesamten Staatsgebiet, wenn auch der tatsächliche Gebrauch des Französischen in der Hauptstadt und im Süden am deutlichsten ausgeprägt ist (vgl. Timm 2014: 15). Luxemburg kennt im Gegensatz zur Schweiz kein Territorialitätsprinzip, sondern ein System (das wir als ‹Funktionalitätsprinzip› bezeichnen können), in welchem den drei offiziellen Sprachen gemäss dem Sprachengesetz unterschiedliche Zuständigkeiten zufallen. Es gibt also keine offiziell luxemburgisch-, deutsch- oder französischsprachigen Gebiete Luxemburgs.

Die Erhebungen zur Hauptsprache (gemäss Fragestellung «die am besten beherrschte Sprache», Mehrfachnennungen sind nicht möglich) geben Aufschluss über die genannten Hauptsprachen der Bevölkerung. Gemäss den aktuellsten Zahlen aus der Volkszählung von 20113 nennen 265 731 oder 55,8% der Einwohnerinnen und Einwohner des Grossherzogtums Luxemburgisch als Hauptsprache, gefolgt von der Migrationssprache Portugiesisch mit 74 636 (15,7%), von Französisch mit 57 633 (12,1%) und von Deutsch mit 14 658 (3,1%). Werden ausschliesslich die Einwohnerinnen und Einwohner mit Luxemburger Nationalität berücksichtigt, erreicht Luxemburgisch als Hauptsprache einen Anteil von 88,8%, in grossem Abstand gefolgt von Französisch (4,2%), Portugiesisch (2,3%) und Deutsch (1,1%). Beschränkt sich die Auswertung auf die Einwohnerinnen und Einwohner, welche die Luxemburger Staatszugehörigkeit seit ihrer Geburt besitzen, beträgt der Anteil von Luxemburgisch 95,5%, Französisch 2,0%, Portugiesisch 0,9% und Deutsch 0,5%. Es wird also klar, dass Luxemburgisch als Hauptsprache der gebürtigen – und der meisten im Land aufgewachsenen – Luxemburgerinnen und Luxemburger die Regel ist. Die verhältnismässig hohen Anteile anderer Sprachen ergeben sich also aus der zahlreichen eingewanderten Wohnbevölkerung. Da deren Anteil in der Stadt Luxemburg besonders hoch ist, stellt sich hier auch die Sprachdemografie der Wohnbevölkerung anders dar und Luxemburgisch als genannte Hauptsprache erreicht einen Anteil von lediglich 35,2%, Französisch von 20,6%, Portugiesisch von 14,7% und Deutsch von 4,5%. Räumliche Unterschiede nach Hauptsprachen sind also auch in Bezug auf die offiziellen Amtssprachen durchaus vorhanden, jedoch nicht durch «herkömmliche sprachliche Zusammensetzung» (Art. 70 BV), sondern durch die unterschiedlichen Anteile an gebürtigen Luxemburgerinnen und Luxemburgern.

A.2.6 Aarau – Angaben zur Sprachsituation

Das Gebiet, in dem heute die Stadt Aarau liegt, ist seit dem 5. Jahrhundert vorwiegend durch die Alemannen besiedelt. Die Stadt Aarau wird zwischen 1240 und 1250 durch die Kyburger gegründet, fällt 1461 an Bern, zu dessen Gebiet sie für die folgenden Jahrhunderte gehören sollte. Diese Periode endet erst mit der Helvetik (vgl. A.2.1.1, resp. HLSe). Aarau wird für kurze Zeit Hauptstadt der Helvetischen Republik und bleibt anschliessend Hauptort des neu geschaffenen Kantons Aargau. Für einen ausführlicheren Überblick über die Geschichte des Kantons Aargau und der Stadt Aarau verweisen wir auf das Historische Lexikon der Schweiz: HLSk resp. HLSl.

Heute ist Aarau Hauptort des Bezirks Aarau und des Kantons Aargau. Einzige Amtssprache von Gemeinde, Bezirk und Kanton ist seit deren Einrichtung Deutsch.

Die Gemeindeordnung der Einwohnergemeinde Aarau (SRS 1.1-1) kennt ihrerseits keine explizite Erwähnung der Amtssprache, diese wird auf Kantonsebene durch Artikel 71a der Verfassung des Kantons Aargau festgelegt:

71a

Amtssprache

1 Die Amtssprache ist Deutsch. Behörden und Amtsstellen können auch in anderen Landessprachen oder in englischer Sprache verkehren, wenn anderen Verfahrensbeteiligten daraus keine Nachteile erwachsen. (Verfassung AG, Art. 71a)

Aarau befindet sich also in einem sowohl traditionell als auch offiziell deutschsprachigen Gebiet und in einem Bezirk, dessen Bevölkerung gemäss den Resultaten der Erhebung des Bundesamtes für Statistik für 2014-2016 (kumuliert) bei möglichen Mehrfachnennungen zum grössten Teil (64 915 von 74 729) Deutsch als Hauptsprache nannte, gefolgt von Italienisch (3 490), Englisch (2 683) und Französisch (1 609).

A.3 Methode
A.3.1 Linguistic Landscape – Entstehung eines Forschungsgegenstands?

Kaum ein Text zur Linguistic-Landscape-Forschung nach dem Jahr 2000 erwähnt nicht den Artikel von Landry und Bourhis, erschienen 1997 im Journal of Language and Social Psychology. Wenn der Text gemeinhin als erste Definition des Begriffs der Linguistic Landscape genannt wird (vgl. z.B. Gorter 2006: 2; Backhaus 2007: ix; Spolsky 2009: 26; Shohamy/Gorter 2009: 2; Ben-Rafael et al. 2010: xi; Purschke 2017: 181), ist damit der folgende Abschnitt gemeint:

The language of public road signs, advertising billboards, street names, place names, commercial shop signs, and public signs on government buildings combines to form the linguistic landscape of a given territory, region, or urban agglomeration. (Landry/Bourhis 1997: 25)

Hier soll nun ein kurzer Überblick (mit dem Schwerpunkt auf den Entwicklungen der Methoden und weniger auf den Resultaten der Untersuchungen) geboten werden, zum einen über Arbeiten vor 1997, die aber bereits zum eigentlichen Bereich der späteren Linguistic-Landscape-Forschung zu zählen sind, und zum anderen über nachfolgende Arbeiten mit ihren Definitionen und Methoden. Zunächst möchten wir aber etwas eingehender den Text von Landry und Bourhis beleuchten.

Der oben zitierten bekannten Umschreibung der Linguistic Landscape geht im Abstract eine knappere und allgemeinere Definition voraus: «Linguistic landscape refers to the visibility and salience of languages on public and commercial signs in a given territory or region» (Landry/Bourhis 1997: 23). Die aufzählende Definition (Landry/Bourhis 1997: 25) wird ihrerseits durch den folgenden Zusatz ergänzt: «The linguistic landscape of a territory can serve two basic functions: an informational function and a symbolic function» (Landry/Bourhis 1997: 25). Die «informational function» wird wie folgt erklärt:

[T]he linguistic landscape serves to inform in-group and out-group members of the linguistic characteristics, territorial limits, and language boundaries of the region they have entered.

The prevalence of a specific language on public signs also serves an informational function inasmuch as it indicates that the language in question can be used to communicate and obtain services within public and private establishments located in the pertinent territory. (Landry/Bourhis 1997: 25)

Zur «symbolic function» wird Folgendes festgestellt:

Having one’s own language enshrined on most private and government signs should contribute to the feeling that the in-group language has value and status relative to other languages within the sociolinguistic setting. Thus inclusion of the in-group language on public signs can serve a symbolic function. […]

Public signs in the in-group language imply that one’s own group has gained a measure of institutional control within key sectors of the economy, mass media, and state functions such as education, health, defense, and the civil administration. (Landry/Bourhis 1997: 27-28)

Die Sichtbarkeit der verschiedenen Sprachen in der Linguistic Landscape wird als Indikator für den Status der sprachlichen Minderheiten in Konkurrenzsituationen verstanden:

The share of visibility allocated to rival languages on private and government signs can be seen as the product of competing forces exerted by dominant and subordinate language groups inhabiting a given territory. […] [O]ne can consider the relative position of competing languages in the linguistic landscape as a measure of how the dominant group treats the linguistic minorities inhabiting the given territory. (Landry/Bourhis 1997: 29)

In ihrer Untersuchung, auf die wir hier nicht ausführlicher eingehen werden, stellen Landry und Bourhis die zuvor definierte Linguistic Landscape am Beispiel des Französischen in Kanada als Faktor der «ethnolinguistic vitality» dar und betrachten dazu ihre Rolle im «individual network of linguistic contacts» (Landry/Bourhis 1997: 31):

This study is a first attempt to verify empirically the relationship between linguistic landscape and specific aspects of vitality beliefs, ethnolinguistic identity, and language behaviour in multilingual settings. (Landry/Bourhis 1997: 36)

Die Arbeit von Landry und Bourhis gilt als grundlegend für den Begriff der Linguistic Landscape. Die geschriebene Sprache im öffentlichen Raum bestimmter Territorien war allerdings bereits zuvor Gegenstand von Untersuchungen.

Unter den Arbeiten vor 1997 ist zunächst diejenige von Spolsky und Cooper 1991 zu erwähnen. In ihren Untersuchungen zur Sprachsituation in Jerusalem (Spolsky/Cooper 1991) widmen sie der «Language of Signs» ein Kapitel. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Erstellung und Anwendung von sogenannten «Sign rules» nach dem Vorbild der «Preference rules» von Jackendoff (Spolsky/Cooper 1991: 74; Jackendoff 1983: 152-157), hier im Sinne von Regeln, die beim Gebrauch von geschriebener Sprache im öffentlichen Raum zur Anwendung kommen. Nachdem zunächst zwei verschiedene Möglichkeiten für eine Kategorisierung der Schilder («signs») vorgeschlagen werden, die eine nach ihrer Funktion und die andere nach Trägermaterialien und Herstellung, werden die drei «rules of signs» eingeführt:

Sign Rule 1 (‘sign-writer’s skill’ condition – necessary, graded): write signs in a language you know. […]

Sign Rule 2 (‘presumed reader’ condition – typical, graded): prefer to write signs in the language or languages that intended readers are assumed to read. […]

Sign Rule 3 (‘symbolic value’ condition – typical, graded): prefer to write signs in your own language or in a language with which you wish to be identified. (Spolsky/Cooper 1991: 81-84)

Anschliessend wird untersucht, inwiefern diese Regeln in der Beschilderung zur Anwendung kommen. Dazu betrachten Spolsky und Cooper in einem qualitativen Ansatz ausgewählte Beispiele, eingeteilt in die Kategorien nach Funktion, um zu folgendem Schluss zu gelangen:

[I]t is possible to explain the language chosen for signs in the Old City [von Jerusalem] by postulating three rules. The first of these is a necessary condition: write signs in a language you know. The other two are typicality conditions, and, as such, are often in conflict. One of them is concerned with the directly informative nature of a sign, preferring to use a language which accords with the writer’s assumption of the literacy of the desired or potential reader. The other is concerned with the symbolic (or political or other) value of the language being used; it proclaims ownership, as it were, by using the writer’s own or preferred language and by showing his or her claim to identity. […] In any specific case, the inherent function of the sign will predict which of these two rules applies first and whether the other rule is to be allowed its place, too, producing a multilingual sign. (Spolsky/Cooper 1991: 94)

In einem späteren Text erwähnt Spolsky (2009: 26) selbst frühere Arbeiten im entsprechenden Bereich, die sich aber sowohl in Bezug auf die Methoden der Datenerhebung als auch auf die Auswertung zuweilen deutlich unterscheiden vom soeben beschriebenen Ansatz: Masai 1972 zum Sprachgebrauch bei Geschäften im Zentrum von Tokio, Rosenbaum et al. 1977 zum Englischen in einer Strasse in Jerusalem, Tulp 1978 zum Sprachgebrauch in Werbeplakaten in Brüssel.

Für eine zusammenfassende Betrachtung der Untersuchung von Masai 1972 verweisen wir auf Backhaus (2007: 48-49) und unterstreichen lediglich, dass (gemäss Backhaus) bereits hier, noch vor Landry und Bourhis, der japanische Begriff für Linguistic Landscape verwendet wird (‹gengo keikan›). Auf die Arbeiten von Rosenbaum et al. und Tulp möchten wir im Folgenden etwas ausführlicher eingehen.

Der Text English on Keren Kayemet Street von Rosenbaum, Nadel, Cooper und Fishman (Rosenbaum et al. 1977) ist Teil einer umfassenderen Untersuchung (Fishman et al. 1977) zum Englischen ausserhalb des traditionell englischsprachigen Gebietes («the role of English in the non-English mother-tongue world», Fishman 1977: xi) und befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen sprachlicher und sozialer Organisierung im urbanen Raum: «The language was English, the city was Jerusalem, and the social contexts were set inside the shops and offices and outside on the sidewalks of a busy street: Keren Kayemet Street» (Rosenbaum et al. 1977: 179). Eine der vier Forschungsfragen wird folgendermassen eingeführt: «A fourth question concerns the extent to which English is used in public. Are immigrants who speak it natively reluctant to use it in public? To what extent is English heard in public and to what extent is it encountered in public signs?» (Rosenbaum et al. 1977: 180). Die Frage nach dem Englischen in der geschriebenen Sprache im öffentlichen Raum ist hier nur eine von mehreren Fragestellungen. Es wurden denn auch vier verschiedene Methoden zur Datenerhebung angewendet: «transaction count, sign count, planted encounter, and interview» (Rosenbaum et al. 1977: 185). Die Untersuchung im Bereich des «sign count» (Rosenbaum et al. 1977: 185-187) ist mit 50 erhobenen Schildern («signs») von vergleichsweise geringem Umfang. Sie kommt zu folgenden Resultaten:

Since English was used by a relatively small proportion of the speakers overheard on Keren Kayemet Street, one might have expected to find little English on the signs identifying the street’s shops and offices. This was not the case […]. Roman and Hebrew script were equally prominent on about one-third of the establishments’ identifying sings and on only one-third was there no Roman script at all. (Rosenbaum et al. 1977: 187)

Eine Unterscheidung zwischen privaten und behördlichen Einrichtungen wird ebenfalls vorgenommen, was in späteren Untersuchungen – auch in der vorliegenden – als bottom-up und top-down behandelt wird (vgl. A.3.2): «The signs of private offices tended to use Roman script more than the signs of government offices» (Rosenbaum et al. 1977: 187). Offen bleibt allerdings die Frage nach einer klaren Definition von «private» vs. «government». Inwiefern das lateinische Alphabet direkt mit dem Englischen gleichgesetzt werden kann, wird ebenfalls nicht näher erläutert. Die Rolle der Linguistic-Landscape-Forschung ist hier eher marginal, scheint aber trotzdem die folgende Schlussfolgerung zuzulassen: «[…] English could be seen as well as heard on Keren Kayemet Street, and it was relatively more seen than it was heard» (Rosenbaum et al. 1977: 189).

Stella Tulp wendet in ihrer Untersuchung zum Gebrauch des Niederländischen und Französischen in der Plakatwerbung in Brüssel eine Methode an, die aus heutiger Sicht klar in die Linguistic-Landscape-Forschung einzuordnen ist. Sie untersucht die geografische Verbreitung von niederländisch- und französischsprachigen Werbeplakaten in den 19 Brüsseler Gemeinden. Die Beschreibung des Forschungsgegenstandes kann als Teildefinition der Linguistic Landscape verstanden werden:

Wij zijn de verspreiding van reklame op linguïstisch vlak nagegaan waarbij wij ons beperkten tot de affichage omdat dit een open, universeel en gratis reklamemedium is, d.w.z. dat de structuur van het publiek waarop de affichage zich richt, de structuur van de bevolking is. De panelen richten zich tot iedereen, tot de massa, nooit tot het individu. (Tulp 1978: 273)1

Die Untersuchung beschränkt sich auf grossformatige Plakate mit einer Fläche von 10 bis 36 m2, das untersuchte Gebiet wurde folgendermassen eingeschränkt:

De keuze van de panelen viel derhalve op de borden langs de drukste en bekendste wegen van de negentien gemeentes van Brussel. Hiervoor namen wij de tram- en busroutes. Op een week tijd volgden wij deze lijnen. (Tulp 1978: 275)2

Das Territorium wurde also bereits in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit ausgewählt, die gewünschten Daten anzutreffen. Es wurden zwei Erhebungen durchgeführt, «[o]m de representativiteit te verhogen»3 (Tulp 1978: 276), die erste im August und die zweite im Dezember 1976. Die Resultate werden jeweils sowohl getrennt nach Erhebungsdatum als auch als Durchschnitt aus beiden Erhebungen angegeben. Die aufgenommenen Plakate wurden aufgeteilt in vier Kategorien: 1. «französische Plakate», 2. «niederländische Plakate», 3. «zweisprachige Plakate und Plakate ohne Text», 4. «anderssprachige Plakate» (Tulp 1978: 276). Die Zusammenlegung der zweisprachigen Plakate mit den textfreien Plakaten wird damit begründet, dass sich beide Arten von Plakaten sowohl an die französischsprachige als auch an die niederländischsprachige Bevölkerung richteten. Ausgangspunkt für die Untersuchungen ist also nicht zunächst die Autorschaft, sondern vielmehr das potentielle Zielpublikum. Es wird hier gewissermassen ausschliesslich von einer Anwendung der späteren «Sign Rule 2 (‹presumed reader› condition)» von Spolsky und Cooper (1991: 83) ausgegangen. Mit derselben Begründung geht Tulp später noch einen Schritt weiter und betrachtet alle Plakate, die nicht einsprachig Französisch sind, als an die niederländischsprachige Bevölkerung gerichtet:

«Affiches gericht tot nederlandstaligen […] Onder deze affiches rekenden wij behalve de nederlandstalige affiches ook de affiches zonder tekst en de affiches in een andere taal (zeer weinig).» (Tulp 1978: 277)4

Auch territoriale Unterschiede werden betrachtet: «Hoe noordelijker wij gaan, hoe meer nederlandstalige reklame» (Tulp 1978: 278)5 und:

Als wij de uitvalswegen nemen naar het noorden (Antwerpen) en het oosten, dan neemt het aantal nederlandstalige affiches langs de weg gestadig toe als men de stad uitrijdt. Anders gesteld: komt men de stad in, dan wordt het straatbeeld steeds «franser». (Tulp 1978: 279)6

Auch eine Unterscheidung zwischen «parastatale» und «commerciële»7 Werbung wird angesprochen, ohne jedoch näher untersucht zu werden. Dennoch lässt die Definition der «parastatale reklame» die später geläufigen Begriffe top-down und bottom-up bereits erahnen:

Onder parastatale reklame verstaan wij de binnenlandse, als regel informatieve reklame, uitgaande van de centrale of lagere overheidsinstanties en overheidsinstellingen […]. (Tulp 1978: 281)8

In der Schlussfolgerung wird dann Folgendes ausgeführt:

[D]e franstalige affiches hebben altijd voorrang op een nederslandstalig affiche […]. Het Brusselse straatbeeld is zeker niet tweetalig, maar voornamelijk franstalig met hier en daar een klein plaatsje voor de Vlaming. (Tulp 1978: 284)9

Und:

Het invoeren van «echte» tweetaligheid in de buitenreklame zou een rol spelen in de bescherming van de Nederlandse taal tegen de verfransing van de hoofdstad. (Tulp 1978: 285)10

Tulp stellt also nicht nur fest, dass Französisch in der Plakatwerbung in Brüssel deutlich stärker vertreten ist als Niederländisch, sondern äussert ihrerseits die Forderung nach mehr «echter» Zweisprachigkeit in der Plakatwerbung als Schutzmassnahme für die niederländischsprachige Bevölkerung gegenüber der «Französisierung» Brüssels. Von einer neutralen Position der Forschenden kann hier nicht die Rede sein, oder wie es Backhaus (2007: 14) ausdrückt: «Tulp’s overall evaluation of her findings is critical». Dennoch soll hier festgehalten werden, dass die angewendete Methode, insbesondere was die Art und Weise der Datenerhebung betrifft, zukünftige Untersuchungen in vielen Belangen vorausnimmt.

Wie dieser kurze Überblick über einige frühe Untersuchungen zeigt, ist die geschriebene Sprache im öffentlichen Raum nicht erst seit dem Erscheinen des englischen Begriffs der Linguistic Landscape bei Landry und Bourhis 1997 Gegenstand von Untersuchungen. Für eine Übersicht über weitere frühere Arbeiten (Monnier 1989 zu Montréal, Calvet 1990 und 1994 zu Paris und Dakar, Smalley 1994 zu Bangkok, Wenzel 1996 zu Brüssel) verweisen wir auf die ausführliche Zusammenstellung zu den Anfängen der Linguistic-Landscape-Forschung in Backhaus 2007 (12-53).

Nach dem Artikel von Landry und Bourhis von 1997 erscheint der Begriff der Linguistic Landscape vorerst nur spärlich in der sprachwissenschaftlichen Literatur. Für einige Arbeiten aus dem entsprechenden Bereich, jedoch nicht in allen Fällen mit Verwendung des Linguistic-Landscape-Begriffs, zwischen 1997 und 2006 (Untersuchungen des ‹Conseil de la langue française› 2000 zu Montréal, Inoue 2000 zu Tokio, Scollon/Scollon 2003 mit einer vergleichenden Untersuchung aus Asien, Europa und Nordamerika, Reh 2004 zu Lira (Uganda), Bagna/Barni 2005 und 2006 zu Rom) verweisen wir erneut auf Backhaus (2007: 12-53). Die Arbeit von Bagna und Barni stellt insofern eine wichtige Etappe dar, als hier erstmals in der Linguistic-Landscape-Forschung georeferenzierte Daten erhoben werden und der geschriebene Sprachgebrauch so noch deutlicher in Bezug zum Raum gesetzt wird.

2006 wird der Begriff der Linguistic Landscape von Gorter aufgegriffen und erscheint erstmals im Titel eines Sammelbandes: Linguistic Landscape – A New Approach to Multilingualism (Gorter ed. 2006). Wie bereits aus diesem Titel klar wird, steht der Begriff der Linguistic Landscape hier in eindeutigem Zusammenhang mit der Mehrsprachigkeit und wird es für die nächsten Jahre bleiben. In kurzem Abstand folgen weitere Publikationen zur Linguistic-Landscape-Forschung – und mit Erwähnung der Linguistic Landscape im Titel: Linguistic Landscapes – A comparative Study of Urban Multilingualism in Tokyo (Backhaus 2007), Linguistic Landscape – expanding the scenery (Shohamy et al. eds. 2009) und Linguistic Landscape in the City (Shohamy et al. eds. 2010).

Auf einige Texte aus diesen Jahren soll nun etwas ausführlicher eingegangen werden, in chronologischer Reihenfolge beginnend mit Gorter ed. 2006.

In der Einleitung zu Gorter ed. 2006 (1-6) wird der Begriff zunächst im folgenden Zusammenhang genannt, der den Einfluss der Landry/Bourhis-Definition klar erkennen lässt:

Language is all around us in textual form as it is displayed on shop windows, commercial signs, posters, official notices, traffic signs, etc. Most of the time people do not pay much attention to the ‘linguistic landscape’ that surrounds them. (Gorter 2006: 1)

Die Linguistic Landscape ist also hier als Gesamtheit der Sprache «in textual form» (gemeint ist die geschriebene Sprache, wie aus den angefügten Beispielen ersichtlich wird), die uns an einem bestimmten Ort umgibt.

Gorter liefert anschliessend eine zweifache Definition des Landscape-Begriffs:

According to the dictionary, ‘landscape’ as a noun has basically two meanings. On the one hand the more literal meaning of the piece or expanse of scenery that can be seen at one time from one place. On the other hand, a picture representing such a view of natural inland scenery, as distinguished from sea picture or a portrait. In the studies of the linguistic landscape presented here, one can say that both meanings are also used. On the one hand the literal study of the languages as they are used in the signs, and on the other hand also the representation of the languages, which is of particular importance because it relates to identity and cultural globalisation, to the growing presence of English and to revitalisation of minority languages. (Gorter 2006: 1)

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.