Kitabı oku: «Im Schatten des Burn-outs», sayfa 2

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ZUGABE

Auch ohne Helena nahm die gleichförmige tägliche Routine im Konzern ihren Lauf. Mühelos verteilte Edeltännchen die bisher ihr zugedachten virtuellen Aktenberge und E-Mails auf die Hinterbliebenen. Da ich Fachkollegin war, landete der Hauptanteil in meinem PC. Ich fühlte mich erschlagen. Glückliche Helena!

Gesine, die resolute Betriebsärztin mit dem leeren Hühnernest am Hinterkopf, war hartnäckig. Sie schrieb wortreiche Bittgesuche an die Geschäftsführung zur Gewährung einer saftigen Gehaltserhöhung, begründet mit der lawinenartigen Steigerung der Arbeitsanforderungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht infolge der großzügigen Frühpensionierungen, in deren Genuss wir nicht mehr kommen würden. Unverhohlen die Drohung, dass wir uns anders orientieren könnten, noch ehe der frostige nächste Winter nahte, die wir gehorsam unisono unterzeichneten. Beklommenheit machte sich breit – wie würde Panther auf diese Provokation reagieren? Hatten wir den Bogen überspannt? Fade, seine erste graue Eminenz, den ich so langweilig fand, kündigte in einer umständlichen E-Mail seine Erscheinung vor versammelter Mannschaft an. Edeltännchen begrüßte ihn mit den gebührenden höflichen Floskeln. Anschließend herrschte nicht Panther, sondern eine gespannte Stille, elektrisierend aufgeladen, sodass nur das Ticken der großen, altmodischen Wanduhr zu hören war, als der Sekundenzeiger unermüdlich seine Runden drehte, zirkulierend wie die Spiralen unserer automatischen negativen Gedanken. Aber es kam wider Erwarten anders.

„Verehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, hub Fade in monoton devoter Stimmlage an, wiederholend, wie um uns noch mehr auf die Folter zu spannen: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, Panther möchte Ihre Anstrengungen gebührend anerkennen und gewährt Ihnen eine monatliche einheitliche Zugabe, deren Höhe Ihnen individuell in den nächsten Tagen errechnet wird.“

Die allgemeine Anspannung löste sich und Überraschung spiegelte sich auf unseren Gesichtern, bei den langjährigen Hinterbliebenen gepaart mit Misstrauen in Erwartung des genauen Preises dafür. Gesine nickte anerkennend, einzelne graue Haarsträhnen hatten sich bei der Aufregung gelöst und waren unfreiwillig zu Nestflüchtern geworden. Besser diese, als wir alle.

„Panther erwartet dafür, dass Sie in Zukunft auf semi-private Versammlungen verzichten und sich voll und ganz den anspruchsvollen Unternehmenszielen widmen. Das Soll-Output für diesen Monat entnehmen Sie der aktuellen Rundmail. Jegliche Abweichungen werden unweigerlich sanktioniert. Guten Tag, meine verehrten Damen und Herren.“

Er verbeugte sich förmlich und dienerte so laut- und farblos davon, wie er gekommen war, eine fade Marionette seiner selbst.

„Hört, hört“, schwatzte es durcheinander wie ein aufgebrachter Hühnerhaufen. „Kinder, Kinder!“ Gesine klatschte in die großen, kräftigen Hände, zur Ordnung mahnend. „Besonnenheit!“

„Das hat doch einen Haken“, vermutete eine kleine, schmächtige Kollegin namens Katinka mit so piepsiger Stimme, dass sie mich an ein graues, unscheinbares Mäuschen erinnerte.

„Na, es wird gebührende Abzüge geben“, vermutete Gert, der warmherzige, lustige Chirurg, der heute ernst dreinschaute, musste er doch seine Zwillinge durch das teure Auslandstudium bringen, und das, obwohl seine Frau gerade ihren Job in einem Konkurrenzunternehmen verloren hatte. Die kleinen Grübchen auf seinen schwindenden Pausbacken waren Sorgenfalten gewichen.

„Ich schlage vor, wir warten zunächst das Monatsende mit den Abrechnungen ab.“ Gesine achtete sorgsam darauf, die Situation nicht voreilig zu bewerten.

„Dies ist zumindest ein Etappensieg“, bemühte ich mich, die Dinge positiv zu sehen.

Mutter, die erste Sekretärin, schneite herein. „Neptun braucht Unterstützung bei seinem jüngsten Projekt und ist schon sehr ungeduldig.“

Katinka eilte flink, leichtfüßig wie ein scheues Reh zu seiner Unterstützung, während wir in unsere Büros zurückkehrten.

SINTFLUT UND DIE ARCHE NOAH

Angie II, Adoptivtochter und Nachfolgerin der ersten Bundeskanzlerin, bemühte sich ebenso wie Gesine redlich, allerdings nicht im Tarifkampf, sondern um das Empowerment der Energiewende. Doch die Explosion der Grünstrompreise limitierte naturgemäß ihre Erfolge, sodass unwetterartige Niederschläge sich unaufhörlich überboten. Nicht mehr von Jahrhundertfluten war die Rede, sondern von Jahresfluten. Infolge der Klimaerwärmung schmolzen die Pole und Gletscher zusehend, selbst Iglus konnten nur aus Kunststoff oder mit Thermobarriere als Kühlaggregat konstruiert werden. Angie II, obgleich nicht Pfarrerstochter und auch nicht genetisch verwandt mit ihrer erfolgreichen Adoptivmutter, predigte durch Modelllernen ähnlich gleichförmig-distanziert, mütterlich-beruhigend und fürsorglich, böse Zungen nannten ihre Intonation „einschläfernd“, kontrastierend mit der Brisanz der katastrophalen Naturereignisse, die sich überschlugen. Auch sie strahlte Ruhe aus und formte, wie bereits der heilige Johannes um 1450, die Hände zur Raute, die Finger nach unten weisend.

Irgendwie mochte ich sie, sie war mir eine Art Vorbild, versprühte sie doch einen gewissen Ostcharme. Von Burn-out keine Spur. Bei aller Sparsamkeit, Nüchternheit und Prinzipientreue war sie durchaus lebensklug und effizient. Die Bürgerinnen und Bürger waren die marktkonforme Demokratie gewöhnt, auch hatte die geistige Flexibilität bei den steigenden Außentemperaturen sich tendenziell reziprok entwickelt, ebenso wie die Fertilität des empfindlicheren männlichen Geschlechtes, die zusätzlich durch die Kontamination der Gewässer mit ultrafeinen Plastikpartikeln minimiert wurde. Auch äußerlich, zumindest stilistisch, hatte Angie II sich ihrer Adoptivmutter angeglichen, trug ähnliche Blazer in changierenden Farbtönen, allerdings – aus Kostenbewusstsein und nicht, um die Bevölkerung zu foppen – als Wendejacken, was als opportunistische, pragmatische Verwandlungskünstlerin besonders gut ankam. Gelegentlich legte sie einen Zwischenstopp bei Karl Lagerfeld in Paris ein, um sich beraten zu lassen. Um ihre untere Gesichtspartie trotz schlankerer Silhouette straff zu bewahren und gleichzeitig die Gunst der jüngeren Generation zu gewinnen, trug sie seitlich der Mundwinkel jeweils ein dynamisches Piercing, das zur Korrektur von Faltenbildung schraubenförmig adjustiert werden konnte, abhängig davon, ob die situativen Erfordernisse mütterliche Wärme, kühle Arroganz oder schüchterne Zurückhaltung verlangten.

Obwohl bereits Sommeranfang, ergossen sich folglich auch dieses Jahr sintflutartige Niederschläge. Wer es sich leisten konnte, hatte sein Haus zu einem Pfahlbau umgerüstet, lebte bereits in einem Hausboot oder hatte rückgebaut. In den Mietshäusern mussten in den Überschwemmungsgebieten die unteren Etagen ausgebootet werden. Dies war wesentlich kostengünstiger, als die Ausbesserung der durch Hitzewellen porösen Deiche. Lediglich die Tierwelt war nahezu unprotegiert und den Naturgewalten ausgeliefert. Überraschenderweise verkraftete sie diese erstaunlich gut. Die Mücken vermehrten sich rasant und entwickelten sich zu besonders blutrünstigen, unangenehmen Plagegeistern. Einige Laufkäfer mutierten zu wendigen Flugbooten und auch Ameisen verknoteten erfindungsreich ihre flinken Beine zu Rettungsbooten, während sie mit den Armen unermüdlich ruderten. Koi-Karpfen tummelten sich auf Wiesen, Schwäne, Hechte und Welse erkundeten neue Reviere auf überfluteten Äckern.

Für die weniger flexible Tierpopulation hatte Panther eine besondere Werbekampagne ersonnen: Er hatte eine schwimmende Arche vor dem Konzern stationiert, in welcher gestrandete Tiere Asyl fanden, unter anderem herrchenlose Hunde jeglicher Rassen, vom Chihuahua bis zum Kampfhund, aber auch ein völlig verschrecktes Kälbchen, eine braunweiß gescheckte Katzenmutter namens Flöcki mit ihren possierlichen Jungen und freundlicherweise mein braunes, stattliches Rentnerpferd Antoinette mit dem sternförmigen Abzeichen, da das sie beherbergende Rittergut für Pferdesenioren weitreichend überflutet war. Mangels Veterinärmedizinern war die medizinische Versorgung der tierischen Gäste unsere Aufgabe. Dies dauerte natürlich empfindlich länger, und selbst für Bagatelleingriffe wie eine Venenpunktion mussten die Tiere von unserer Anästhesistin in Narkose versetzt werden, damit wir in Ruhe fündig wurden, unterschied sich doch die Anatomie von der menschlichen teilweise empfindlich.

Nun war Panther nicht durch die Flut der Ereignisse zu Menschlichkeit mutiert, sondern er erwartete von uns – ganz nebenbei – Tierversuche in Bezug auf die Verträglichkeit und Effektivität seines Lebenselixiers, was mich in erhebliche Gewissenskonflikte stürzte, waren diese doch bereits von Angie I bei Strafe untersagt worden. Natürlich waren aufgrund der geringen Tierpopulation keine Doppelblindstudien vom ersten Evidenzgrad möglich, sondern lediglich Einzelfallanalysen, die allenfalls Expertenmeinungen vom Evidenzgrad 4 spiegelten. Sollte ich den frisch gebackenen Mediator des Konzerns, der gerade seine diesbezügliche Weiterbildung abgeschlossen hatte, zu dieser Problematik befragen? Hier meldeten sich bei mir erhebliche Zweifel an, schließlich war er noch in der Probezeit und bisher lediglich dadurch aufgefallen, dass er sich zur näheren Orientierung beflissentlich und übereifrig selbst zu unwichtigen Details Notizen machte, vermutlich, um für seinen monatlichen Report an die Geschäftsführung überhaupt einen Inhalt und damit eine Daseinsberechtigung zu kreieren. Dies schloss ich alsbald aus. Ebenso gut hätte ich diesen Entscheidungskonflikt auch Panther direkt soufflieren können. Klüger erschien es mir, mich bei einer günstigen Gelegenheit während des Abwaschens mit der erfahrenen Kollegin Gesine zu beraten, zumal sie selbst an der Problematik als Besitzerin einer noch kürzlich aufgenommenen Yorkshire Terrierin mit dem spitzbübischen Namen Pfiffie emotional beteiligt war.

„Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, bemerkte sie zutreffend. „Wir haben auch Macht, denn Panther kann nicht alles kontrollieren und ist in gewissem Maße auf ein Vertrauensverhältnis angewiesen.“

„Wäre es eine Idee, die chemische Abteilung um eine tierbekömmliche, entsprechend auch für animalische Organismen wohlschmeckende Abwandlung zu bitten, sozusagen um einen Cocktail, der bei Ultrafiltration in den Nieren zu Metaboliten abgebaut wird, die in Panthers Schnelltest ebenfalls ihren Nachweis finden?“, sinnierte ich.

„Perfekt!“ Gesine strahlte. „Ich konsultiere sogleich unsere Nachbarn, schließlich habe ich gestern bei einem Schüttelfrost mit meinem Heizkissen ausgeholfen. Wichtig ist nur, das die Ecstasy-ähnliche, dopaminerge Wirkung erhalten bleibt. Allerdings unter der Nebenwirkungsgrenze.“

Bereits am nächsten Morgen hatten die Chemiker eine entsprechende Rezeptur gemixt und Antoinette, aufgrund der Ausdehnung ihrer Körperoberfläche und des günstigen Body-Mass-Indexes, war zum Versuchskaninchen auserkoren. Da das Getränk süß schmeckte, mundete es. Genüsslich leckte sie sich die rosa tingierten Nüstern, schnaubte doppelt zu unserer Erleichterung und säuberte minutiös mit ihrer großen Zunge die provisorische Krippe. Ein voller Erfolg! Psychische Nebenwirkungen im Sinne von Unruhe oder Agitation traten akut nicht auf, im Gegenteil, Antoinette wirkte erfreulicherweise überaus im Gleichgewicht. Die anderen Tiere in der Arche forderten nun ungeduldig ihren Tribut, sodass wir eilig aus der chemischen Abteilung Nachschub orderten. Ich bat die Ingenieure um eine direkte Pipeline zur Optimierung der Versorgung. Allerdings durften sie auf keinen Fall undicht sein, um Überdosierungen in den potenziell toxischen Bereich zu vermeiden.

Rasch entwickelte sich eine Gewöhnung an das wohltuende Lebenselixier, wenn nicht gar psychische Abhängigkeit. In immer kürzeren Abständen forderte die Tierpopulation vehement und lautstark Nachschub ein, es war ein Kratzen und Scharren, Schnauben, Wiehern, Schnurren und Miauen, Muhen und Bellen. Alle Register wurden gezogen. War es nicht der Erfolg für seine Droge, den sich Panther erträumt hatte? Oh weh, mit diesem sensationellen Ergebnis hatten wir nicht wirklich gerechnet.

Bald schon tauchte Shiny, der schlaksige, kahlköpfige Pressereferent auf, um an die lokale Presse Bericht zu erstatten.

„Pina, bitte, schwing dich zum Posing auf Antoinettes Rücken“, forderte er mich enthusiastisch auf. Und das noch dazu mit einem Tritthocker! (Aus dem Alter, in dem ich von hinten über die Kruppe aufgrätschen konnte wie beim Voltigieren, war ich heraus.) Glücklicherweise gelang es mir, diesen Auftrag, mit dem ich mich nicht wirklich identifizierte, an eine junge, hübsche Azubi zu delegieren, die sichtlich gern diese Chance der Publicity ergriff und wirksam ihre blonde Mähne und die nostalgischen Hängerohrringe in Position schüttelte. Gern ließ sich Panther mit ihr für die Titelseite ablichten, mit vor Stolz geschwellter Brust neben Siliconpolstern stehend, denn die modische Azubi hatte der Natur nachgeholfen.

Nach einer Woche war der Spuk vorbei. Die Gäste hatten ihren Zweck erfüllt und bei sinkenden Pegelständen und nach erfüllter Werbemission wurden die Lieblinge zu ihren Besitzern entlassen. Antoinette erhielt eine ausschleichende Dosis Lebenselixier und wurde aufbauend auf Vollwertkost mit Möhren, Äpfeln, Heu und Hafer umgestellt, während ihr Konterfei weiter mit Panther an ihrer Seite auf Werbeplakaten prangte. Von nun an graste sie ökologisch in meinem Mondscheingarten inmitten einer weißen Blumenpracht von Hortensien, Rosen, Margeriten, Rhododendron und nicht zuletzt Gänseblümchen, die allabendlich in der Dämmerung leuchteten, wenn ich von meinem Tageswerk heimkehrte.

DIE ESSBARE STADT STEIGERT DEN ABSATZ

Panthers Modellprojekt, die essbare Stadt, war ebenfalls zu großen Teilen überflutet worden. Wenn ich auch sonst wenig Mitleid mit Panther hatte, dies tat mir aufrichtig leid, denn in dieser Stadt wuchs in allen Gärten Gemüse und Obst, ebenso wie auf Brachflächen Nutzpflanzen angebaut wurden, insbesondere Kartoffeln, Möhren und Bohnen. Wein rankte an Friedhofsmauern. Auf den Dächern wuchs Gemüse unter Plexiglas, so reiften Gurken, Salat, Tomaten, Basilikum und köstlich erfrischende aromatische Wassermelonen. Diese Form der Selbstversorgung war transparent und schaffte Nähe zur Landwirtschaft und urbanen Natur. Die Produkte waren ausgezeichnet durch ihre Regionalität, Frische, geringe Schadstoffbelastung, kurze Transportwege und Wertschöpfungsketten. Es war eine Form des Rückzuges auf das Wesentliche, Authentische vor der eigenen Haustür. Purismus statt Hype. Alle Bewohner gingen äußerst achtsam mit diesem neuen Lebensraum um und hatten sich jeweils mit ihren individuellen Fähigkeiten bei der Gartenpflege eingebracht: die jüngeren mit ihrer körperlichen Kraft und Geschicklichkeit bei der Anlage und Pflege der Beete und der Beseitigung überflüssiger Zierpflanzen, beim Fällen nun nutzloser Nadel- und Laubbäume, während die ältere Generation ihren Erfahrungsschatz bereitstellte. Hierdurch war ein enormer sozialer Zusammenhalt entstanden, nicht nur unter den Bürgerinnen und Bürgern, auch in der Tierpopulation. Kein Hund oder Straßenköter hob mehr sein Bein an diesem essbaren Grünraum. Selbst die Hündinnen pinkelten in Gullys. In einem effizienten, ökologischen Kreislaufsystem nutzen die Gärtner Sonnenenergie, Regenwasser, Abwärme und Abwasser der Gebäude. Panther hatte dieses Vorzeigeprojekt besonders dadurch honoriert, dass es acht Wochen Biokoka in Hülle und Fülle geben sollte, zu Werbezwecken natürlich und mit dem entsprechenden Medienrummel verbunden. Nun war der Deich durch diese ungewohnte Vegetation an einer entscheidenden Stelle porös geworden und die innovative Pracht wurde nach dem Dauerregen von reißenden Strömungen überschwemmt. Eilig ließ Panther von Mutter, der fürsorglichen, dabei energischen ersten Sekretärin, eine außerordentliche Sitzung der gesamten Belegschaft einberufen.

„Neptun“, hub Panther bedeutungsschwer an, „ich lege die Rettungsaktion unseres Vorzeigeobjektes vertrauensvoll in Ihre erfahrenen Hände – die ja bekannter Weise mit allen Wassern gewaschen sind“, endete er in dem ihm eigenen, leicht ironischen Tonfall und lächelte jovial und selbstgefällig. „Ich hoffe, Sie machen Ihrem Namen alle Ehre.“

Neptun lief puterrot an vor Überraschung, denn insgeheim bereitete auch er sich auf seine Pensionierung vor und hatte gehofft, es sei Zeit, dass das Ruder von Nachwuchskräften oder zumindest jüngeren Kollegen geschwungen wurde. Aber er fing sich alsbald und ließ Gummistiefel austeilen.

„Präferieren Sie lange Öljacken oder Goretex-Anzüge?“, fragte er pragmatisch in die Runde. Sofort entbrannte eine lebhafte Diskussion und das Team spaltete sich in die Anhänger der alt bewährten signalfarbenen gelben Öljacken und die Verfechter von Atmungsaktivität durch Luftdurchlässigkeit gegen Transpiration. Ich enthielt mich diplomatisch der Stimme, was mir einen Ellbogenstoß von Gesine einbrachte, die Unentschiedenheit nicht ausstehen konnte. Schließlich stimmte Neptun zu, dass alle Rettungskräfte wahlweise ausgestattet werden durften, solange das Konzern-Logo sichtbar imprimiert war und auch die Goretex-Jacken eine gelbe Signalfarbe aufwiesen.

Für den folgenden Morgen bestellte Neptun den Betriebsbus und kommandierte die gesamte Belegschaft unseres Konzerns – selbst die ältere Generation – zum Füllen von Sandsäcken ab. Der ärztliche Dienst hatte außerdem notdürftig erste Hilfe zu leisten.

Meine besondere Mission war es, an die frustrierte Bevölkerung der essbaren Stadt unser Lebenselixier zur Förderung regenerativer Energien zu verteilen. Dies hinterließ ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengrube, denn ich war keineswegs von der nur wohltuenden Wirkung unserer Hausmarke überzeugt und es erfüllte mich mit Trauer, dass selbst die Not dieser vom Schicksal gebeutelten Menschen noch zu kommerziellen Zwecken genutzt werden sollte. Es war ja keinesfalls ein freigiebiges, uneigennütziges Geschenk von Panther, sondern er erhoffte sich durch den Reklameeffekt weitere Absatzsteigerungen. Deshalb murmelte ich bei der Abgabe an sich mir erwartungsfroh entgegenstreckende Arme schuldbewusst und kaum hörbar: „Grüner Tee mit Zitrone stärkt auch sehr gut die Abwehrkräfte“ und verteilte zusätzlich Senchabeutel aus meinem eigenen Bestand.

Ein kleines, rothaariges Mädchen mit Sommersprossen spuckte den Energydrink tatsächlich aus, offensichtlich hatte sie ein gesundes Empfinden. Ihre Mutter, in Gummistiefeln, zerzaust und durchnässt von allen Strapazen, zog sie eilig weg, während sie in die Pfützen stapfte und aufmüpfig krähte: „Plitscheplatsch, pudelnass. Das macht Spaß.“ Ich bereitete ihr die Freude, gemeinsam in meinen nagelneuen, signalgelben Gummistiefeln durch die Miniaturseenlandschaft zu stapfen. Sie fand mich lustig, vermutlich, weil ich mit meinen grünen Augen mit den von vielen Regentropfen leicht geröteten Rändern und den vor Feuchtigkeit struppigen Haarsträhnen, die in alle Richtungen abstanden, aussah, wie das Pendant zum Wassermann. Es fehlte da nur der Seetang.

Nach zwei Tage dauerndem, unermüdlichen Einsatz war endlich Land in Sicht, die Pegelstände sanken. Erste Anwohner konnten in ihre Häuser zurückkehren und die Aufräumarbeiten dort fortsetzen. Offensichtlich hatten sogar die meisten Nutzpflanzen am Boden überlebt, wenn auch die Ernte dieses Jahr karger ausfallen würde und überwiegend durch den Dachanbau bestritten wurde. Tatsächlich steigerte diese erfolgreich unterstützte Rettungskampagne den Absatz unserer Wunderdroge Biokoka nahezu um das Doppelte.

AUSGEBEUTETE BEUTE

Nachdem wir erschöpft in den Konzern an unsere Schreibtische zurückgekehrt waren, nahm dementsprechend der Papierkrieg zu, denn alle Details der erfolgreichen Rettungsaktion mussten für die Metaanalysen minutiös dokumentiert und ausgewertet werden. Hierfür wurde aus zeitökonomischen Gründen und zur Optimierung der Effektivität die elektronische Akte optimiert. Leider steckte ihre Technik noch in den Kinderschuhen. Sie konnten nur schrittweise und nach dem Käsekästchenprinzip von billig akquirierten Hilfskräften seitenweise eingescannt werden. Das Entziffern der Käsekästchen war sehr mühsam und zeitintensiv, denn jede Seite musste einzeln angeklickt werden und es war nicht möglich, zu scrollen oder gar elektronisch zu blättern. Das blieb Zukunftsmusik. Übersichten gab es nur im Miniaturformat, sodass Stecknadeln in Heuhaufen gesucht werden mussten. Meine Augen brannten, die Bindehaut trocknete aus und bereits am frühen Nachmittag flimmerten und tanzten mir die elektronischen Buchstaben auf der Nase herum. Sie führten ein Eigenleben. Was ich nicht auf den Schirm bekam, würde früher oder später eine wie auch immer geartete Kontrollinstanz auf den Screen rufen. Diese Furcht nagte an mir, die ich hilflos wie in einem Hamsterrad gegen die Schrumpfung der Gegenwart ankämpfte.

Zum Scannen flog Fade Leiharbeiter aus Übersee ein. Sie wurden wie Ware gehandelt, teilweise direkt durch wechselnde Überlasserfirmen oder über weitere Ombudsmänner. Er setzte sie auch für Putz- und Botendienste und für die Registratur ein, sowie für jedwede mögliche Anlerntätigkeit. So konnte die Konzernleitung die Konkurrenzfähigkeit erhöhen, indem sie flexibel Einstellungen und Kündigungen vornahm. Zahlreiche Anüs, Arbeitnehmerüberlassene, waren der deutschen Sprache zunächst gar nicht mächtig. Die Headhunter der Leihfirmen zwangen sie bereits in ihrem Heimatland, befristete Verträge zu unterzeichnen, ebenso wie die fristlose Kündigung, die den armen Geschöpfen also jederzeit bei Nicht-Funktionieren unter die Nase gerieben werden konnte. Jeden Tag mussten sie damit rechnen, dass es ihr letzter sein könnte in relativer Sicherheit an einem Ort, der für sie paradiesische Zustände zu versprechen schien, sollte die Integration gelingen. Eine Kündigung führte zur fristlosen Demission ins unspezifische Nichts, denn meist hatten sie nicht einmal das genügende Kleingeld für ein Rückreiseticket. Sie erhielten einen Spottlohn und zusätzlich Hartz IV zur Sicherung ihres Existenzminimums und waren in großen Wohncontainern auf dem Konzerngelände hinter dem Park der Selbstwirksamkeit für die Führungskräfte untergebracht. Boni gab es nur in Form des Lebenselixiers, das ihnen zwar reichlich zum Nulltarif zur Verfügung gestellt wurde, sie aber nicht weiter veräußern durften. Kopfjäger im Heimeinsatz zur Regenerierung ihrer Ressourcen nach längerer Akquise im Ausland hatten die Aufgabe übernommen, im Wohncontainer für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Für die Hygiene waren sie nicht zuständig.

Die erbärmlichen Bedingungen weckten mein Mitgefühl. Wie konnten wir diese bedauernswerten Mitarbeiter unterstützen? Kontakt war uns strengstens untersagt und nur heimlich und im Verborgenen möglich. Aber konnte Panthers allgegenwärtigen Argusaugen überhaupt etwas entgehen oder drückte er nur ein Auge zu, um jegliches Vergehen zu einem späteren Zeitpunkt noch härter sanktionieren zu können?

Besonders aufgefallen war mir Estrella aus Chile, die ein offenes, fröhliches Wesen hatte, trotz dieser finanziellen Engpässe, der harten Arbeitsbedingungen und der notdürftigen Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen. Ich konnte mich mit ihr recht gut auf spanisch unterhalten und erfuhr die wesentlichen Details der unbarmherzigen Personalgewinnung, die nur der berechnende Panther gemeinsam mit seiner Herzdame Liliane ersonnen haben konnte.

Einmal fuhr ich Estrella am Morgen nach ihrer Nachtschicht „nach Hause“ in den Wohncontainer, da sie zu ausgelaugt war von der monotonen Arbeit und dem Transport der Aktenberge, um sich noch auf den Beinen zu halten. Sie zeigte mir die enge, doppelte Schlafkabine und die unhygienische schwimmende Kochnische, die sie mit zwanzig Mitarbeitern teilen musste und deren Ausgussrohr von einem Haarknäuel verstopft war, sodass sich auch hier Rinnsale auf dem Fußboden bildeten, nachdem das Auffangbecken übergelaufen war – allerdings nicht ganz so heftig wie in der essbaren Stadt. Auch gab es nichts Essbares hier, nur schmierige Reste lagen im Raum verteilt. Es herrschte ein muffiger, ekelerregender, dumpfer Geruch. Ich reichte Estrella mein Pausenbrot, das ich heute aus Zeitdruck nicht gegessen hatte. An meinem PC leuchtete bereits aus Überlastung wegen des Arbeitstaues die warnende rote Ampel, die mich zur Eile und zum Multitasking antrieb, um nicht nachsitzen zu müssen. (Nach zwei Tagen andauernden roten Signals programmierte sich automatisch die elektronische Zeitkarte zur Leistung von Überstunden retour. Dieser Kelch war gerade noch an mir vorbeigegangen.) Ein Aufpasser in Uniform mit Schlagknüppel im Gürtel musterte mich misstrauisch und zog ein grimmiges Gesicht.

„Gäste sind hier nicht gestattet“, herrschte er mich mürrisch an und blies sein Kaugummi zu einer großen Blase, die er provozierend vor meinen Augen platzen ließ. Mich fröstelte. Beschämt verabschiedete ich mich von Estrella und lud sie – nachdem die Luft wieder rein war – zum Wochenende in meinen Mondscheingarten ein, um sich von allen Strapazen erholen zu können.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
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ISBN:
9783961450411
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