Kitabı oku: «Im Schatten des Burn-outs», sayfa 3

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MONDSCHEINPARTY

Estrella war aus ihrem Heimatland farbenprächtige Pflanzen gewöhnt und machte kein Hehl daraus, dass meine feierliche, weiße Pflanzenwelt für ihre temperamentvolle Frohnatur zu steril wirkte. Strahlend überreichte sie mir ein knallrotes fleißiges Lieschen, das einen belebenden Farbtupfer auf meiner Terrasse bildete inmitten schlohweißer, üppiger Hortensien in mächtigen Terrakotta-Kübeln. Aber nachdem die Abendsonne zwischen den staksigen, hochwüchsigen Tannen des Nachbarn glutrot in den Feldern versunken war, beeindruckte sie doch das Leuchten der weißen Blütenpracht in der Abenddämmerung, das allmählich verlosch, als der Schatten der Nacht fiel, um dann erneut feenhaft durch das Mondlicht illuminiert zu werden.

Unser Nachbar, der offensichtlich den lieben langen Tag nicht viel zu tun hatte und den wir häufiger hinter einem Buchsbaum am Gartenzaun hervorlugen sahen, musste vor Neid erblassen, was wir leider zu dieser späten Stunde nur vermuten konnten, wenn eine abrupte, unbeholfene Bewegung im Gebüsch seine Spionage verriet. Einmal war er tatsächlich dabei plump auf seine vier Buchstaben gefallen und wir mussten zu Hilfe eilen, um ihn gemeinsam wieder auf die Beine zu hieven.

Heute nun herrschte ein lustiges Treiben in meinem sonst so feierlichstillem Garten. Mein sonniger Freund und Lebensgefährte Felix spielte Keyboard und sang „Unter den Wolken“ nach Reinhard Mey, da er nicht gern flog. Sohn Timo, in den Semesterferien aus London eingeflogen, wo er Elektrotechnik studierte, war da weniger zimperlich. Er zupfte eifrig die Gitarre, bis Estrella protestierte, eine ihrer heißen CDs auflegte und ihn mit wiegenden Hüften zur Bachata auf die vermooste Rasenfläche zog. Sie hatte zahlreiche Freunde aus dem Container mitgebracht, sodass in den unterschiedlichsten Sprachen geschwatzt, gesungen und zu den lateinamerikanischen Rhythmen geklatscht wurde. Auch von uns waren weitere Freunde und Kollegen dabei, die sich um den Gartenteich scharten, auf dem Mückenschwärme tanzten, die uns anspornten, es ihnen gleich zu tun. Die Silhouetten der Gäste zeichneten sich nostalgisch vor einem Supermond ab, dreißig Prozent heller und vierzehn Prozent größer als ein normaler Vollmond, da er in seiner elliptischen Umlaufbahn an seinem erdnächsten Punkt der Erde 50.000 Kilometer näher war.

Plötzlich erstarben die fröhlichen Klänge jäh. Zwei uniformierte Polizisten tauchten geisterhaft hinter der Hausecke auf und richteten ihre grellen Taschenlampen auf mich.

„Was geht hier vor?“, fragte der ältere von beiden und runzelte strafend die Stirn unter seiner Schirmmütze, sodass sich eine drohende Falte mittig eingrub. Sein Vollbart erinnerte an Rübezahl. Offensichtlich hatte unser indiskreter Nachbar sich dieses weitere Mal nicht mit der Befriedigung seiner Neugier zufriedengegeben, sondern aus Neid Rache ersonnen, fühlte er sich doch trotz dieses Schauspieles zum Nulltarif in seiner Ruhe gestört.

„Nur ein kleines Sommerfest. Waren wir zu laut?“, versuchte ich, die Ordnungshüter zu besänftigen.

„Es hat mehrere Beschwerden gegeben“, erklärte der jüngere, milchgesichtigere von beiden, von dem offensichtlich eher Empathie und Verständnis für unsere Ausgelassenheit zu erwarten war.

„Oh, das tut mir leid“, beeilte ich mich zu sagen. „Darf ich Ihnen etwas anbieten?“

„Was sind das für Leute?“, forschte der Ältere weiter und deutete auf Estrella und ihre Freunde aus dem Wohncontainer, indem er mein Friedensangebot zunächst ignorierte. „Riecht nach Schwarzarbeitern“, fügte er misstrauisch hinzu und zog die gestutzten Augenbrauen skeptisch hoch, wodurch seine Stirn wiederum in nachdenkliche Falten geworfen wurde, sodass er mich an einen Mops erinnerte. Die steile Falte in der Mitte hingegen hatte mehr Ähnlichkeit mit einer Haifischflosse.

„Nein, sie sind alle über die Überlasserfirma sozialversichert“, suchte ich zu beruhigen, während ich gedanklich zwischen Mops und Haifischflosse schwankte.

„Nun, wir nehmen die Personalien auf und die Aufsichtsbehörde wird in Ruhe ermitteln“, entgegnete der ältere Polizist, der sich durch meinen ebenfalls prüfenden Blick offensichtlich nicht beirren ließ. Er schielte auf eine Flasche Biokoka mit Waldmeisteraroma und dementsprechend giftig grüner Färbung, sodass ich mich beeilte, ihm ein dickbauchiges Glas voll zu schenken. Die Schaumkrone benetzte seinen weißen Oberlippenbart, als er es ansetzte, mit einem Zug leerte und dabei über den Glasrand unter seinen buschigen Brauen kritisch Estrella musterte.

„Ich komme morgen und bringe alle Papiere“, versprach diese geistesgegenwärtig, indem sie mit ihren frisch erworbenen Deutschkenntnissen glänzte und mich davor bewahrte, wegen meiner Mondscheinparty mit den fremden Gästen vor Panther Rechenschaft ablegen zu müssen.

„Uff“, atmete ich erleichtert auf, als ich wahrnahm, wie beeindruckt der Milchgesichtige von Estrellas hübscher Erscheinung war, ihrer schlanken, wohlproportionierten Figur, ihrer bronzefarbenen Haut und ihrem verführerischen Lächeln. Ich bot dem jüngeren Ordnungshüter auch ein Glas Biokoka an, während er Estrellas Personalien aufnahm.

„Wie lange soll die Party noch dauern?“, erkundigte sich der Chef, schon deutlich milder gestimmt, nachdem Biokoka seine Wirkung entfaltet hatte.

„Nur bis Mitternacht“, gelobten Estrella und ich artig.

Schließlich gaben sich die beiden Nachtwächter zufrieden und trotteten in der Überzeugung davon, ihrer Pflicht Genüge getan zu haben.

Nun tobte der Bär bis zum Morgengrauen, als wir erschöpft und glücklich in den Schlummer sanken, während der Mond sich hinter dunklen Wolken versteckte und die fröhliche Stimmung unsere Träume verzauberte. Die Feen aus dem Mondscheingarten verneigten sich in unendlich weiteren Reigen, bis das Quaken der Frösche in der Morgendämmerung uns weckte und sich alles in Traumstaub verlor.

TAG DES UFOS WECKT SIEBENSCHLÄFER

Am Siebenschläfertag hatten die erneuten tagelangen Regengüsse sich erschöpft und die Wetterlage war völlig undurchsichtig, sodass nähere Vorhersagen in Anlehnung an die alte Bauernregel unmöglich schienen. Bedeutete dies nun Schutz durch eine gute Fee oder drohte Unheil? Sollte sich nichts verändern?

Bald darauf, am Tag des Ufos, wurden nicht unser Winterschlaf unterbrochen, aber unser jahrzehntelanger Dornröschenschlaf fand ein rasches Ende. Es war ein wichtiger Tag, nicht nur für Geheimdienste, sondern auch für unsere Geschäftsführung, denn es galt, alle Sicherheitsvorkehrungen gegen seltsame unirdische Flugobjekte, aber auch Cyberattacken einer genauen Investigation zu unterziehen. Für diesen Zweck hatte Panther seine wichtigste graue Eminenz Fade beauftragt, eine sehr kostenintensive Anzeige zur Gewinnung eines advocatus diaboli oder Cyber-Kommandanten zu lancieren, der idealerweise als jung-dynamischer millennial durch die digitalen Techniken geprägt sein sollte.

„Ich erwarte von ihm das Kommando über Cyberattacken“, kündigte Panther entschieden an. „Das bedeutet nicht nur die Kreation von Killerviren zur Säuberung von Festplatten, sondern auch von cyber-kinetischen Attacken, die wiederum jegliche feindliche Objekte zerstören, ja selbst Whistleblower unmittelbar ausschalten“, fuhr er übereifrig fort, während in seinen gierigen Augen ein irrer Glanz flackerte, so sehr hatte er sich in Rage geredet.

Fade wiederholte devot, wie um sich zu vergewissern, dass er richtig verstanden hatte: „Alles ist zu hinterfragen, Schlüsselprozesse sind auf den Kopf zu stellen. Sensible Daten der Konkurrenz, Chat-Foren und Suchmaschinen sollen durch diese künstliche Intelligenz umfassend archiviert und ausgewertet werden, sodass durch unmittelbaren Zugriff auf die Gedanken der Bürger destruktive feindliche Ufos und auch Whistleblower durch cyber-kinetische Abwehr mit sofortiger Wirkung ausgeschaltet werden.“

Tatsächlich, Panthers diesbezügliches Alter Ego, Mr. Y, ward sehr bald gefunden. Er war mit den neuen Medien sozialisiert, sozusagen ein digital native. Er kommunizierte rund um die Uhr, natürlich an seinem Lieblingsort und unter Nutzung von Skype zur Zuschaltung bei wichtigen Sitzungen. Manchmal bestellte er unverbindlich eine Herzdame dazu. Er würde sich nicht an den Biokoka-Konzern anpassen, sondern machte schon im Bewerbungsgespräch klar, woher der Wind wehte.

„Sie gehören in die engere Auswahl“, drehte er den Spieß überlegen lächelnd um und zeigte seine makellosen, strahlend weißen Zahnreihen, ehe Fade noch wusste, wie ihm geschah. Zuvor hatte er zunächst genau geprüft, ob sich sein neuer, virtueller Arbeitsplatz lohnen würde.

So blieb für uns die Wetterlage nicht indifferent, sondern nach dem Siebenschläfertag gab es einen heftigen Umschwung. Mr. Y ließ uns fühlen, dass wir Gruftis zum Inventar gehörten. Schon bald fand sich eine E-Mail von Fade auf meinem Desktop: „Sie sind anonym observiert worden. Sie haben sich zum Frühsport nicht ausgestempelt.“

Ich fühlte Ärger in mir aufsteigen. Welcher Spitzel hatte das beobachtet?, fragte ich mich. Schließlich hatte ich doch meinen Abwesenheitsagenten aktiviert. Aber es half nichts, Besserung musste gelobt werden und Nachsitzen war angesagt. Allgemeines unterschwelliges Misstrauen breitete sich aus, kroch von hinten die Wirbelsäule empor, bis sich die Nackenhaare sträubten, ließ uns erschaudern. Wer war Freund und wer gehörte ins feindliche Lager? Waren Cookies unterwegs, ein Lauschangriff geplant oder gar elektronische Ufos im Anflug?

Das ehrgeizige Bemühen, nicht ins Fettnäpfchen zu treten, keine Fehler zu machen, provozierte Pannen, ja forderte sie heraus, im Gegensatz zu einer gesunden Fehlerkultur, in der es erwünscht war, aus ihnen zu lernen. Mr. Y war virtuell überall präsent und dabei nicht greifbar, nicht angreifbar. Wir bekamen ihn nie persönlich zu Gesicht. Eine Bedrohung, mit der wir von nun an leben mussten. In Konferenzen schaltete er sich dazu, wenn immer Panther verhindert war. Plötzlich tauchte während der PC-Arbeit eine Botschaft von ihm auf dem Screen auf oder er schaltete sich auch hier dazu und übernahm die Führung. Mitunter observierte er lautlos. Über Skype hatte er uns und unsere Umgebung jederzeit im Visier. Und er hatte die Gabe, Schwächen der Mitarbeiter unmittelbar herauszufinden. Er fokussierte punktgenau und traf stets ins Schwarze. Die paranoide Atmosphäre zehrte an unseren Kräften.

Blieb da nicht nur die Identifikation mit dem Aggressor als Überlebensstrategie? Hierüber waren die früher so (zu?) harmonischen Teams nun gespalten, was eine ständige Wachsamkeit forderte. Aggression wurde nicht offen ausagiert oder verbalisiert, aber sie schwelte ständig in einer Luft, die wie unsere Nerven zum Zerreißen angespannt waren. Morgens, wenn ich den Computer hochfuhr, plagten mich feine Magenschmerzen, zunächst nur ein Knurren und Grummeln in der Oberbauchmitte, schließlich immer häufiger diese feinen, leisen Nadelstiche. Mein Hirsemüsli mit Rosinen zum Frühstück lockte mich nicht mehr, stattdessen hastig ein paar Schluck Biokoka zur Linderung, nur nichts mehr spüren. Selbst für Toilettengänge musste nun der Abwesenheitsagent eingeschaltet werden. Geschah dies zu häufig, musste beim Frühsport von der Gruppe zur allgemeinen Ertüchtigung zur Gruppe für Beckenbodengymnastik gewechselt werden, bis sich alles wieder normalisierte. Und das war schambesetzt, vor allem wegen der gemischten Gruppen und der Rückschlüsse, die möglicherweise aus der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit abgeleitet werden konnten.

Immer häufiger erwischte ich mich dabei, an Biokoka denken, trank immer häufiger während meiner Arbeit kleine, labende Schlucke davon. Den meisten Mitarbeitern ging es ähnlich. Die freundliche, zierliche Kollegin Katinka stopfte zusätzlich unaufhörlich und wahllos Süßigkeiten in sich hinein, gemeinsam mit dem ehemals lustigen Chirurgen, der das Studium der Zwillinge finanzieren musste. Offenbar hatten sie Frustessen und drohten sichtlich, aus dem Leim zu gehen. Selbst Katinka, die ursprünglich so schmächtig gewesen war.

Die sonst so robuste Gesine brach während einer Sitzung in Tränen aus. Neptun schrie vehement: „Ich bin nicht kontaktgehemmt!“, nachdem sie ihm vorgeworfen hatte, er würde sich zu sehr hinter seinem Screen verschanzen. Er verlor die Beherrschung und richtete eine Schimpftirade gegen Gesine, die zu ihrem Zusammenbruch führte. Zum Glück war Edeltännchen geistesgegenwärtig und diplomatisch genug, Kampfhahn und Henne so rechtzeitig zu trennen, dass größerer Schaden vermieden wurde. In einem Acht-Augen-Gespräch ließ sich alles glätten. Gut, dass Mr. Y offensichtlich mit einer wichtigeren Mission betraut war.

Sonja, die wegen der nicht zu bewältigende Arbeitsmengen notfallmäßig aus ihrer Altersteilzeit zurückgerufen worden war, litt an schwerem Burn-out, musste sie doch zusätzlich ihren dementen Vater zu Hause pflegen. Unglücklicherweise (oder war das ihr Glück?) vertrug sie kein Biokoka, da sie aufgrund ihrer Sensitivität hierauf mit starkem Schwindel und Übelkeit reagierte, sodass Neptun sie teilnahmsvoll fragte: „Soll ich Sie wieder heimfahren?“

Dina, meine freundliche Bürogenossin, und Roswitha, die sommersprossige, rotwangige Nachbarin mit dem Obstgarten, waren zusätzlich zu der harten Arbeit im Konzern familiär stark engagiert mit der Verwöhnung ihrer Großfamilien und litten inzwischen nicht nur an Erschöpfung und Überarbeitung, sondern auch an bohrenden Rückenschmerzen.

Gesines pubertierender Sohn entzog sich zunehmend ihres energischen Einflusses und war diverse Male stoned durch „Biokoka on the rocks“ von der Polizei aufgegriffen worden, um dann zu Hause in den Plastikeimer zu erbrechen, der eigentlich der Reinemachefrau zur Aufwartung dienen sollte. Hierüber verbrachte seine besorgte Mutter verständlicherweise schlaflose Nächte, die sie noch dünnhäutiger gegenüber Panthers cholerischen Ausbrüchen, Neptuns Launenhaftigkeit und Mr. Ys hinterhältigen, virtuellen Attacken vor ihrem Desktop zusammenkauern ließen, wenn sie sich unbeobachtet wähnte.

So hatte jeder sein Päckchen zu tragen. Die Fortschritte des Anthropozäns rasten voran so schnell wie ein Lichtstrahl, doch sie forderten einen hohen Preis.

MISSBRAUCH

Bild war dabei. Die Schlagzeile lautete: Missbrauch von Biokoka. Es ging wie ein Lauffeuer durch den Konzern: Offensichtlich hatte es einen Überfall im ICE Hamburg – München gegeben, unmittelbar nach dem Zwischenstopp in Würzburg. Zunächst hatte der Zug friedlich und unmerklich seine Fahrt bis auf 400 km/h beschleunigt. Ortschaften mit schmucken Einfamilienhäusern, Felder und Auen huschten vorüber. Die Reisenden dösten, lasen, telefonierten mit ihren Handys oder waren in ihre Laptops vertieft. Ein lebhafter – einige Gäste meinten auch hyperaktiver – vierjähriger Junge mit kurzen, schwarzen Haaren, offenbar zur Hälfte chinesischer Abstammung, stellte seinem Vater ununterbrochen und wissbegierig Warum-Fragen. Seine chinesische Mutter und die Oma saßen weiter vorn im Abteil und überließen dem deutschen Papa, der neben dem Sohnemann saß, die ausführliche Beantwortung. Er war sichtlich stolz auf seinen (alt)klugen Sprössling, nicht ahnend, wie sehr einige der Mitfahrenden dessen laute, durchdringende Stimme nervte. Frage reihte sich an Frage.

„Nervig“, bemerkte die jüngere Frau gegenüber stirnrunzelnd und unwirsch. Ein älteres, ruhiges Ehepaar aus der Reihe dahinter wehrte sich lautstark gegen die Lärmbelästigung.

„Er kann schon reden, nur nicht so laut.“ Der Vater schnappte hörbar ein. Nur wenige Minuten lang verlief die Fragerei etwas gedämpfter, ehe dieser Einwand in Vergessenheit geriet. Erleichterung kehrte erst ein, als die Familie für ein halbes Stündchen in den Bistrowagen einkehrte. Welche wohltuende Ruhe!

Dann allerdings ratterte der transportable Wagen mit Kaffee und Snacks den Flur entlang, sodass niemand mehr eine Chance hatte, zur Toilette zu passieren.

„Wünschen Sie Kaffee, Cappuccino, Erfrischungen, Biokoka?“, pries eine junge Rumänin mit deutlichem Akzent ihr Arsenal an. „Biokoka ist heute im Angebot“, fügte sie hinzu und lächelte verführerisch, denn sie erhielt eine, wenn auch geringe, Provision. Tatsächlich, Biokoka war der Renner. Zufrieden verließ sie das Abteil. Das muss der entscheidende Moment gewesen sein.

„Wir erreichen in Kürze Nürnberg. Sie erreichen alle Anschlusszüge planmäßig“, kam die Ansage über Lautsprecher und das finale: „Thankyou for travelling wis Deutsche Bahn.“

Die Familie mit der chinesischen Mutter, dem deutschen Vater, dem wissbegierigen Jungen und der Oma im Schlepptau kehrte nach einer halben Stunde gesättigt zurück.

„Papa, warum schlafen die alle?“, fragte das Nesthäkchen erstaunt.

„Weil sie müde sind.“

„Papa, wo ist unsere Tasche?“, ließ sich der aufgeweckte Junge nicht beirren. Das war eine Schrecksekunde. Tatsächlich – die Reisetasche und auch der knallrote Trolley fehlten. Eine aufgeregte, hektische Suche begann, in deren Folge die übrigen Reisenden des Abteils erwachten, etwas ratlos. Auch sie vermissten einzelne Gepäckstücke oder Hand- und Brieftaschen, konnten sich aber im Gegensatz zu der bilingualen chinesischdeutschen Familie an die Details der letzten dreißig Minuten nicht erinnern. Es bestand eine Amnesie. Über Handy wurde die Polizei alarmiert. Urinproben wurden eingesammelt, eine Großrazzia gestartet. Schon am Nachmittag stand das Ergebnis fest: Biokoka war mit der Partydroge Liquid Ecstasy verunreinigt worden, einer Art K.-o.-Tropfen. Ein bekannter Serientäter hatte vor vielen Jahren sexuelle Handlungen an bewusstlosen Frauen mit Liquid Ecstasy vollzogen und war wegen zahlreichen Vergewaltigungen insgesamt zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden. Nun, hierzu war es Gott sei Dank nicht gekommen.

Hinter vorgehaltener Hand tuschelte man im Konzern über diese schockierende Schlagzeile, mutmaßte ergebnislos: „Welches Komplott kann nur hinter der potenziell den Ruf schädigenden Affäre stecken?“

Fade wurde investigativ mit der näheren Ursachenanalyse beauftragt und erstellte zunächst mit einer Projektgruppe ein fischförmiges Ishikawa-Diagramm mit den Rubriken Mensch, Natur, Maschine und Technik für die Fehlersuche. In einer Sondersitzung sollten uns die Ergebnisse dargelegt werden. Er präsentierte eine PowerPoint, während die hübsche Assistentin Yolanthe, modisch im kleinen schwarzen Mini, nicht von seiner Seite wich und artig und adrett mit den billigen Porzellantassen für Tee und Kaffee schepperte. Auch half sie ihm bei der Technik auf die Sprünge, wenn er mit erlernter Hilflosigkeit Blickkontakt suchte oder ins Leere zu greifen drohte.

„Die chemische Analyse der entsprechenden Serie hat Verunreinigungen mit Liquid Ecstasy ergeben. Eigentlich schmeckt es bitter, aber diese potenzielle Geschmacksirritation wurde mit Orangensaft neutralisiert“, führte er aus.

„Wo vermuten Sie die Sicherheitslücke, die diesen Sabotageakt ermöglichte?“, fragte Panther streng und zog nun seinerseits irritiert asymmetrisch seine Augenbrauen hoch in die von tiefen Querfurchen zerpflügte Denkerstirn als Zeichen hochgradiger Anspannung, zum Äußersten entschlossen.

„Nun …“ Fade zögerte, deutlich verunsichert durch diese direkte Frage, die keinerlei Ausweichen ermöglichte. „Es gibt verschiedene Indizien, aber keine sichere Spur“, versuchte er, Zeit zu gewinnen. Panther trommelte ungeduldig im Bonanza-Takt auf sein Rednerpult. Die Beklemmung im Saal stieg und die verbrauchte, mit Kohlendioxid überladene Luft war zum Zerreißen gespannt. In diesem Moment brach die Technik zusammen, vermutlich ein Wackelkontakt oder eine Inkompatibilität der Programme. Fade und Yolanthe widmeten sich nun hastig einer diesbezüglichen Fehlersuche.

„Pina“, befahl Panther streng, „aufgrund Ihrer Kompetenz in Qualitätssicherung lösen Sie Fade bei der weiteren Investigation des Missbrauchsskandals ab und übernehmen das Rruder.“ Da war es wieder, dieses einschüchternde, angsteinflößende, rollende „r“. „Falls es Ihnen zu viel wird, delegieren Sie an die Kriminalpolizei“, fügte er trocken hinzu. „Die Sitzung wird bis auf Weiteres vertagt!“

Energisch bekräftigend klopfte er zweimal auf das Rednerpult und die Versammlung war beendet, während ich meinen Ohren nicht trauen wollte und ein feines Ziehen in der Magengegend verspürte, gefolgt von einem bitteren Geschmack wie von Liquid-Ecstasy.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
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270 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783961450411
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