Kitabı oku: «Geheilt statt behandelt», sayfa 8
KAPITEL 6
FALSCHE ANREIZE
Einer der wichtigsten Anreize für Leistungserbringer in unserem Gesundheitssystem dürfte wohl oder übel – neben dem Wunsch und dem Ziel, einem Patienten zu helfen – das Geld sein. Insofern lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wohin denn das Geld fließt (Abbildung 10). Im Jahr 2019 lagen die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bei insgesamt 252,2 Milliarden Euro, dabei beliefen sich die reinen Leistungsausgaben auf rund 239,5 Milliarden Euro. Der Rest von 12,7 Milliarden, von immerhin fünf Prozent, waren Verwaltungskosten. Schauen wir auf die Leistungsausgaben, also den „Input“ in unser Gesundheitssystem: Wofür geben wir unser Geld aus, worin investieren wir?
Das Input-System
Zu den bedeutendsten menschlichen Interessen zählt die Gesundheit. Seit der Zeit der Industrialisierung wurde sie zu einem immer wichtigeren gesellschaftlichen Gut und infolgedessen auch zu einer politischen Angelegenheit. Der Strukturwandel seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stand im Zeichen des ständig steigenden Bevölkerungswachstums und der Verstädterung, die statt der Großfamilie andere Wege der sozialen und gesundheitlichen Absicherung erforderte. Als die preußische Regierung Rudolf Virchow 1848 nach Oberschlesien schickte, um die dortige Fleckfieber-Epidemie zu untersuchen, identifizierte er vor allem Hunger, Armut und mangelnde Hygiene als Ursachen. Die Verantwortung dafür sah er bei Staat und Kirche. Und sein Rezept? Nicht Medizin, sondern politische und soziale Reformen: „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und die Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen.“1 Die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung 1883 markierte schließlich den Beginn des modernen deutschen Gesundheitssystems.
Den größten Anteil der Ausgaben (Abbildung 10) stellt der Krankenhaussektor dar (80,3 Milliarden Euro, mit einem Anteil von 33,6 Prozent). Das überrascht und korreliert nicht damit, wo wir in unserer Lebenszeit den häufigsten Kontakt mit dem Gesundheitssystem haben, nämlich mit der ambulanten ärztlichen Versorgung, und zwar durch alle Haus- und Fachärzte zusammen. Diese machen nur die Hälfte dessen aus (41,1 Milliarden Euro, 17,2 Prozent), was wir uns unsere Krankenhäuser kosten lassen. Den immerhin drittgrößten Ausgabensektor bildet der Arzneimittelbereich (41,0 Milliarden Euro, 17,1 Prozent).2 Bedenkt man die hohe Number Needed to Treat und die geringe Erfolgsrate der gegenwärtig verschriebenen Arzneimittel, besteht hier ein offensichtliches Einsparpotenzial. Schließlich überrascht auch die vierte Position mit allen zahnärztlichen Leistungen, die mit 15 Milliarden Euro immerhin 6,3 Prozent und damit mehr als ein Drittel der 17,2 Prozent aller sonstigen Haus- und Fachärztekosten ausmachen, wobei die 52 Prozent privat zu zahlenden Kosten, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden, gar nicht eingerechnet sind.3
Abb. 10: Verhältnis der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2019 für Krankenversorgung – Krankenhaus (oben), ambulante Ärzte (links), Arzneimittel (unten) und Zahnärzte – im Vergleich zu den nahezu vernachlässigbaren Ausgaben für Prävention (schmales schwarzes Streifensegment rechts oben). Hinzu kommen weitere sonstige Leistungen für Heil- und Hilfsmittel, Krankengeld und andere.
Enttäuschend bis schockierend gering sind die Ausgaben für Prävention, der nachweislich kosteneffektivsten medizinischen Intervention: Nur 2,7 Milliarden Euro beziehungsweise ein Prozent aller Gesundheitsausgaben werden hier investiert. Deutlicher kann man es nicht machen, dass die Anreize ganz überwiegend in der Versorgung von Krankheiten statt in der Bewahrung von Gesundheit liegen und wir ein Krankheitssystem, aber kein Gesundheitssystem haben.
Schauen wir also genauer hin und am besten gleich dorthin, wo am meisten Geld ausgegeben wird: in den Krankenhäusern. Sie haben sicherlich die Diskussionen über eine Überkapazität an Krankenhäusern mitbekommen und dass Deutschland international einen Spitzenplatz in der Häufigkeit von Röntgenbildern und Operationen am Rücken, Kniespiegelungen, Herzkathetern und vielen anderen Interventionen innehat. Gleichzeitig waren wir während der Covid-19-Pandemie möglicherweise stolz und glücklich darüber, dass das deutsche Krankenhaussystem über extrem viele Beatmungsbetten verfügt, jedenfalls pro Kopf wesentlich mehr als alle anderen europäischen Länder. Gute Pandemieplanung? Sollten wir also aufhören, unsere Krankenhäuser zu durchleuchten und zu kritisieren? Nein!
Warum Deutschland so gut auf Covid-19 „vorbereitet“ war
Anders als in vielen anderen Länder kamen Deutschlands Beatmungskapazitäten während der Covid-19-Pandemie nie wirklich an ihre Grenzen.4 Wo einzelne, kleinere Krankenhäuser nahe der Hotspots mit einer potenziell bedrohlichen Patientenflut konfrontiert waren, gab es immer die Option einer Verlegung in benachbarte Kliniken. Warum war dies in anderen Ländern nicht der Fall, sodass Triagen, also Priorisierungen medizinischer Hilfeleistungen bei unzureichenden Ressourcen, notwendig wurden? Weil dort nur für das Notwendige und Sinnvolle geplant wurde. War Deutschland jedoch nicht deshalb so gut für die Pandemie gerüstet, weil man in weiser Voraussicht stille Überkapazitäten bereitgehalten hatte? Nein, es lag daran, dass deutsche Kliniken sich in einem gigantischen Rüstungswettlauf der Kommerzialisierung von unnötigen Gesundheitsleistungen befinden, der einen irrationalen Mehrbedarf an Intensivbetten erzeugt hat. Da viele dieser Gesundheitsleistungen gelinde gesagt nicht essenziell waren, konnten sie während der Covid-19-Pandemie mit Leichtigkeit verschoben werden. In anderen Ländern gab es diese unnötigen Überkapazitäten nicht und viel weniger bis gar keinen Spielraum, irgendwelche Operationen zu verschieben.
Doch der Reihe nach. Wenn man die deutsche Entwicklung verstehen will, muss man zunächst wissen, dass Deutschland eine Mixtur aus kommunalen, universitären, kirchlichen und privaten Kliniken sowie zusätzlich börsennotierten Klinikketten hat. Und nun kommt es: Was die Kostenerstattung der Kliniken betrifft, ersetzte der Gesetzgeber 2003 das bis dahin geltende sogenannte Selbstkostendeckungsprinzip durch das australische Fallpauschalensystem (Diagnosis Related Groups, DRG). Kurz nach der Einführung in Deutschland schafften die Australier das System übrigens wieder ab. Die Zahl der Diagnosen hatte sich bei ihnen nämlich mehr als verdoppelt, denn jede neue oder Nebendiagnose bringt im Fallpauschalensystem zusätzlich Geld. Verursacht zum Beispiel die gerade bei älteren Patienten häufig vorkommende Polypharmazie durch Arzneimittelwechselwirkungen unerwünschte Nebenwirkungen, dann ist es lukrativer, diese als neue Krankheit zu diagnostizieren anstatt eines der Medikamente abzusetzen oder auszutauschen, zumal hierzu auch meist die pharmazeutische Kompetenz auf den Stationen fehlt. Und so werden sogar noch mehr Arzneimittel verschrieben, um ebendiese „neue Krankheit“ zu behandeln. So entstehen groteske, für den Patienten nachteilige Verordnungskaskaden, die auch nach der Entlassung vom Hausarzt beibehalten werden – schließlich wurde die Medikation ja in der Klinik festgelegt.5 Betriebswirtschaftlich geschickt agierende Kliniken – insbesondere Ketten – konnten jetzt enorme Gewinne machen, aber kommunale oder staatliche Kliniken, wenn sie nicht aufpassten, auch extreme Verluste, die in der Regel letztendlich vom Steuerzahler getragen werden mussten.
Das von 1972 bis 1992 geltende Selbstkostendeckungsprinzip finanzierte Krankenhäuser durch Tagespflegesätze (eine von den Krankenkassen unterjährig zu zahlende Vorfinanzierung) und Investitionskosten (zu zahlen von der öffentlichen Hand). Am Jahresende übernahmen die Krankenkassen nachträglich dann alle offengelegten Kosten, sofern diese wirtschaftlich und nachvollziehbar waren. Es war den Krankenhäusern dabei verboten, Gewinne zu machen. Jeder Überschuss wurde im nächsten Jahr von den Tagespflegesätzen abgezogen.
Nach Auffassung der meisten Gesundheitsökonomen und -politiker wird das Selbstkostendeckungsprinzip jedoch mangels fehlender Anreize zur Rationalisierung und zu sparsamem Wirtschaften für die seinerzeit starke Kostensteigerung im Gesundheitssystem verantwortlich gemacht. Das Prinzip hätte zu einer Selbstbedienungsmentalität bei den Krankenhäusern geführt und für die Patienten zu längeren Liegezeiten, da ja pro Tag und Bett abgerechnet wurde. Zunächst ist seltsam, dass für andere Einrichtungen der Daseinsvorsorge, wie Schulen, Museen oder die Feuerwehr, der Ersatz der notwendigen Kosten als die adäquate Finanzierungsform gilt. Warum sollte das für Krankenhäuser nicht so sein? Zugegeben, es gab das Phänomen, dass damals Patienten tatsächlich noch „über das Wochenende“ bleiben mussten, zum Beispiel wegen der Konkurrenz von Chefärzten um die Bettenzahlen ihrer Abteilungen. Tatsächlich sanken jedoch insgesamt die Liegezeiten schon bis 1985 von 18,3 auf 13,9 Tage, also um 24 Prozent.
Aber es gab in der Tat Fehlentwicklungen, zum Beispiel die Privateinnahmen von Chefärzten, die mehrere Millionen D-Mark pro Jahr ausmachen konnten, und dadurch eine Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten. Chefärzte hatten dazu standardisiert neben ihrem Festgehalt das sogenannte Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen bei Privatpatienten (Privatpatienten wählen sich den Chefarzt). Einen Teil der Einnahmen führten die Chefärzte an den Krankenhausträger ab, der ja die gesamte Infrastruktur samt Personal bereitstellte; einen weiteren Teil erhielten die nachgeordneten Ärzte, insbesondere die Oberärzte, die bei der Behandlung der Privatpatienten mithalfen (Poolbeteiligung).
Statt die punktuellen Schwächen des Selbstkostendeckungsprinzips auszubessern, wurde die gesamte Krankenhausfinanzierung nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten reformiert und Krankenhäuser wurden zu einem Wirtschaftszweig für private Kapitalinvestoren. Das Verbot, Gewinne zu machen, wurde aufgehoben und das neue Fallpauschalensystem setzte eine Vielzahl ökonomisch rationaler, aber medizinisch-ethisch falscher Anreize:
•Kosten insbesondere für Personal zu drücken, was zu Zeitdruck beim Personal und schlechterer Versorgung der Patienten führt,
•Patienten so zu selektieren, dass sich eine möglichst günstige Kosten-Erlös-Relation ergibt,
•Fallzahl und Fallschwere zu erhöhen mit der Folge, dass Über- und Fehlbehandlungen erfolgen und Patienten kränker gemacht werden, als sie es sind.
All dies gab es bei der Selbstkostendeckung mit dem Ausschluss von Gewinnen und Verlusten nicht, da diese Finanzierungsform solche ökonomischen Anreize per Definition nicht enthielt. Zwar gab es auch bei der Selbstkostendeckung kritikwürdige Behandlungsprozesse in den Krankenhäusern und Missmanagement, diese waren aber nicht Folge systematischer wirtschaftlicher Fehlanreize. Ein riesiger Vorteil waren Anhaltspunkte für den Personalbedarf, um die Wirtschaftlichkeit nachprüfen zu können, also genau das, was heute unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten wegrationalisiert wird. Noch schlimmer: Im aktuellen Fallpauschalensystem werden abgebaute Personalstellen in Investitionsmittel umgewidmet, also Kassengelder veruntreut, weil die Investitionen der öffentlichen Hand unzureichend sind. Bei Selbstkostendeckung wäre dies nicht möglich gewesen; bei Personalabbau müssten die entsprechenden Überschüsse den Krankenkassen rückerstattet werden. Der Fehlanreiz würde entfallen.
Alle Fakten sprechen somit für die früher praktizierte Selbstkostendeckung und gegen eine finanzielle Steuerung über Fallpauschalen, also über die Preise. Die Gesamtausgaben für Krankenhäuser sind durch die Einführung der Fallpauschalen steiler gestiegen als vorher (Abbildung 11) und auch die Zahl der Fälle ist gestiegen. Da nun nicht mehr Personalkosten abgerechnet wurden, konnte dort gespart werden, insbesondere am nichtärztlichen Personal (Krankenschwestern und Pfleger). Eine direkte Ursächlichkeit ist dabei zwar nicht belegt, aber dennoch muss das Projekt Fallpauschalen als gescheitert betrachtet werden – allerdings nur dann, wenn die Senkung der Kosten die tatsächliche Zwecksetzung war.
Abb. 11: Fehlentwicklungen im deutschen Krankenhaussystem seit Einführung der Fallkostenpauschalen (1991 = 100 Prozent): Krankenhauskosten und Fälle nehmen zu, nichtärztliches Personal (Pfleger und Krankenschwestern) wird abgebaut, weil sich so Profite mehren lassen.6
Die Gegenhypothese wäre: Lobbyisten haben die Abschaffung des sozialstaatlichen Prinzips der Selbstkostendeckung betrieben, um den Krankenhaussektor zu einem lukrativen Geschäftsfeld für Privatinvestoren umzubauen. Es entstanden börsennotierte Klinikketten, die Rosinenpickerei sogenannter „guter Risiken“ betrieben, wie zum Beispiel Hüftprothesenpatienten ohne wesentliche Begleiterkrankungen und mit einem geringen Komplikationsrisiko. Patienten mit mehreren Begleiterkrankungen und einem hohen Risiko, „Langlieger“ zu werden, die nicht annähernd kostendeckend behandelt werden können, überließ man den kommunalen Kliniken mit ihrem Versorgungsauftrag. Umgekehrt wurden erfahrene Ärzte, insbesondere Chirurgen, die sich auf bestimmte Operationen spezialisiert hatten und diese mit minimalen Komplikationsraten durchführten, von diesen kommunalen Kliniken zu den Konzernen abgeworben. So sank zwar die durchschnittliche Liegezeit der Patienten von 14 auf sieben Tage, gleichzeitig aber stieg die Zahl der Fälle.
Viele kommunale Kliniken und Kreiskrankenhäuser sanierte der Landkreis zunächst noch mit Steuergeldern und verkaufte diese dann für einen symbolischen Euro an einen Konzern. Um die große Anzahl an Betten zu füllen, wurden immer ältere Patienten mit Begleiterkrankungen zu Therapien überredet, von denen man wenige Jahre vorher wegen zu großer Risiken abgeraten hätte. Jetzt wurden 90-Jährigen Hüftgelenkprothesen eingebaut, anstatt ihnen zu raten, ein wenig Schmerzen hinzunehmen und Physiotherapie zu nutzen. Dank verbesserter Operationstechniken und aufwendiger Intensivpflege geht das auch erstaunlich komplikationslos, zumindest kurz- und mittelfristig.
Und dann begann der Medizintourismus und brachte Patienten mit sich, die bereit und in der Lage sind, jede geforderte Summe zu zahlen. Auf den großen Gesundheitsmessen in Dubai und Riad pries man das deutsche Gesundheitssystem an. Araber mit mehreren Erkrankungen, später auch Russen und Superreiche aus anderen Nationen kamen mitsamt ihrer Familie, residierten in den teuersten Hotels und kauften zum Zeitvertreib ein. Eine unerwünschte Tatsache war, dass viele arabische Patienten nicht einfach für eine erbrachte Leistung zahlen, sondern nur für deren Erfolg. Und es ist eben nicht so leicht, einen Menschen, der sich ein Leben lang von fettem Fleisch und Süßigkeiten ernährt und dadurch schweren Diabetes und massive Organschäden erlitten hat, einfach zu reparieren. Doch genau mit solch unrealistischen Heilsversprechen hatte man auf den Gesundheitsmessen geworben. Man hat daraus gelernt. Nicht insofern, dass man auf Medizintourismus verzichtete, sondern in der Weise, dass man mittlerweile von jedem „ausländischen Selbstzahler“ verlangt, hohe Geldsummen in bar zu hinterlegen. Köstlich ist in diesem Zusammenhang die legendäre „Geldwechsel“-Aktion am Universitätsklinikum der RWTH Aachen.7 Im Mai 2010 meldete sich ein Mann mit arabischem Namen beim kaufmännischen Direktor des Klinikums und gab sich als Kontaktperson eines Mannes aus der libyschen Oberschicht aus. Dieser wohlhabende Patient wolle sich im Aachener Klinikum behandeln lassen. Im Juni fand dann ein Treffen statt, bei dem der Direktor gebeten wurde, die für die Behandlung erforderlichen 60.000 Euro Bargeld in kleinere Scheine umzutauschen, da man selbst nur große dabeihabe und dies doch sehr unpraktisch sei. Mit den kleineren Scheinen wolle man kleinere Rechnungen begleichen. Der Direktor selbst ging darauf ein und besorgte die Summe in kleineren Scheinen. Die Betrüger tauschten unbemerkt die Koffer aus. Zurück blieb ein Koffer voller Spielgeld. Als dies bemerkt wurde, waren die Täter längst über alle Berge.
Die arabischen Kunden brachten aber nicht nur Geld, sondern auch Keime mit sich, die gegen nahezu alle Antibiotika resistent sind.8 Arabische Länder sind nämlich weltweit führend im Missbrauch von Ultrabreitspektrum- und Reserve-Antibiotika und dadurch auch in der Entwicklung von Resistenzen.
Beides, die Behandlung schwerstkranker, aber zahlungsfähiger Patienten und die Infektionsgefahr, hatte zwei Reaktionen zur Folge, die uns während der Covid-19-Pandemie Vorteile verschafften: Sowohl die intensivmedizinischen als auch die Hygiene- und Mikrobiologiekapazitäten wurden massiv ausgebaut, während in Ländern wie Italien die Kapazitäten nicht ausreichten und viele Covid-19-Patienten an den Folgen bakterieller Superinfektionen mit multiresistenten Krankenhauskeimen verstarben. Der Marketingwert der weltweit wahrgenommenen niedrigen Covid-19-Mortalität in deutschen Kliniken wird nach der Covid-19-Pandemie den Medizintourismus auf neue Höhen klettern lassen.
Während also andere EU-Länder ein schlankeres Gesundheitssystem haben, das lediglich die Versorgung der Bevölkerung mit sinnvollen medizinischen Leistungen sicherstellt, und südliche EU-Länder durch die Banken- und Eurokrise kaputtgespart wurden, ist Deutschland einen anderen Weg gegangen. Die Einführung der Fallpauschalen erlaubte Investoren, eine Maximalmedizin einzuführen, dort wo sie finanziell lukrativ war, anstatt sich auf das Optimale zu beschränken. Die Covid-19-Pandemie war eines der wenigen denkbaren Szenarien, in denen ein derart überdimensioniertes System für eine Bevölkerung einen Vorteil darstellt. Aber damit nicht genug; selbst das schon aufgeblähte System wurde weiter „optimiert“, um noch mehr Gewinne zu erzielen, und das noch nicht einmal immer mit legalen Mitteln. Die Motive für die nachfolgend beschriebenen Methoden sind aber nicht etwa nur Gier, sondern auch finanzielle Not, da die Länder seit Jahren (also ihrerseits systematisch) ihren Investitionsverpflichtungen gegenüber den Kliniken einfach nicht nachkommen können. So hat sich seit 2010 ein Investitionsstau von mindestens 30 Milliarden Euro aufgebaut. Dringend notwendige Maßnahmen an Gebäuden, Medizintechnik und bezüglich der Digitalisierung bleiben aus.9
Klinik-„Optimierung“
Die Klinikbetreiber und insbesondere die Klinikketten ließen sich verschiedene Strategien der „Optimierung“ einfallen. Eine recht dreiste Methode funktioniert ganz unabhängig vom Patienten: das zunehmende Phänomen überzogener Krankenhausrechnungen – im Schnitt bei jeder zweiten Rechnung circa 2.000 Euro. Der erste Prüfdienst gesetzlicher Krankenkassen, der mit dieser Beobachtung an die Öffentlichkeit trat, war der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein, als dieser 307 Millionen Euro aus auffälligen Rechnungen von Kliniken zurückholte. Hochgerechnet auf alle 2.000 Krankenhäuser Deutschlands bedeutet das circa drei Milliarden Euro durch Fehlabrechnungen jedes Jahr. Trotz der immer höheren Aufklärungsrate breitet sich die Methodik eher aus: mit 20 Prozent mehr Beanstandungen im Jahr 2018 gegenüber 2017 beziehungsweise 40 Prozent mehr als 2016. Wird mehr geprüft, wird mehr gefunden. Die Quote der Beanstandungen bleibt gleich ohne eine Tendenz zu einer Umkehr zu korrekterem Abrechnungsverhalten. Die Krankenhäuser bilden für die Kreierung von Fällen und die nachfolgende Abrechnung von Fallpauschalen regelrechte Optimierer aus, stellen diese gezielt zu dem Zweck ein und lassen es schlicht darauf ankommen, erwischt zu werden. Werden sie erwischt, kürzen die Kliniken ihre Rechnungen in der Regel ohne jeden Widerspruch. Im Gegenzug rüstet der Medizinische Dienst der Krankenversicherung nun auf. Allein bei Nordrhein wurde seit 2015 die Zahl der Gutachter für den Krankenhausbereich von 70 auf 138 erhöht.
Was sind die Tricks der Kliniken? Da sich ein Klinikaufenthalt mehr lohnt als eine ambulante Therapie, rechnen Kliniken einen Krankenhausaufenthalt ab, obwohl die Behandlung ambulant hätte erfolgen können, zum Beispiel bei einer Magenspiegelung als Kontrolluntersuchung nach einer Krebsoperation. Oder ein Rheumakranker, bei dem eine Kernspintomografie gemacht werden soll, wird zu Unrecht für zwei Tage stationär aufgenommen. In vielen Fällen ist der Patient länger im Krankenhaus als erforderlich, zum Beispiel werden Patienten schon einen oder zwei Tage vor einem geplanten operativen Eingriff stationär aufgenommen. Das meiste Geld lässt sich jedoch mit der richtigen Wahl der Hauptdiagnose verdienen. So steigt die Vergütung für einen Beatmungspatienten auf der Intensivstation um mehr als 9.800 Euro, wenn er länger als 24 Stunden beatmet wird. Das verlockt dazu, einen Patienten – zumindest auf dem Papier – länger zu beatmen, als es eigentlich sein müsste. Um Abhilfe gegen die systematische Ausstellung von Fehlrechnungen zu schaffen, wären systematischere Prüfverfahren und vor allem empfindliche Strafzahlungen notwendig. Der Bundesrechnungshof schlägt hierzu einen Aufschlag von 50 Prozent auf die zu viel abgerechnete Rechnungssumme vor.
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