Kitabı oku: «Wie angelt man sich einen Prinzen?», sayfa 2
ZWEI
Königreich Brighton – Cathedral City
LIBERTY PRESS
4. Juni
Prinz Stephen ist der begehrteste Junggeselle der Welt
DER INFORMANT
5. Juni
Die königliche Behörde behauptet, Prinz Stephen suche nicht nach Romantik und sei glücklich mit seiner großen Liebe, dem Rugby
6. Juni
Prinz Stephen, Schirmherr der Jungen Rugby-Liga, soll Sommerturnier eröffnen
Stephen schaltete knurrend den Fernseher aus und fand murmelnd ein paar Worte darüber, was er über die Faxen bei Madeline & Hyacinth Live! dachte. Was meinten die eigentlich, wer sie waren, dass sie ihm jetzt auch noch eine Braut suchen wollten?
Kaum zu glauben, dass er sie als Freunde betrachtet hatte. Aber heute waren sie einfach zu weit gegangen, als sie auf das Trittbrett der medialen Spekulationen über sein Liebesleben aufgesprungen waren. Was hatte das nur ausgelöst? Er war seit Ewigkeiten nicht mehr mit einer Frau ausgegangen. Und sein unglückseliger verletzter Knöchel hatte ihn die letzten drei Monate vom Rugbyfeld und damit aus den Augen der Öffentlichkeit verbannt.
Was ging hier vor?
Denn trotz allem schauten Frauen und Männer im ganzen Königreich Brighton die Show und twitterten zu dem Hashtag #wiemaneinenprinzenangelt. Schönen Dank auch, Maddie und Hy.
Er sollte seine eigene Antwort darauf twittern. Wenn er denn ein Twitterkonto hätte. Lasst ihn in Frieden #wiemaneinenprinzenangelt.
Sein Magen knurrte bei dem Gedanken an Tee und Krapfen, als er aus dem Medienzimmer Richtung Küche humpelte. Er hielt am Fenster im Flur an und sah durch die Schwaden aus Licht und Schatten in die Palastgärten hinunter.
So herrlich grün. Sie verursachten Heimweh nach dem Platz. Aber er steckte hier drin fest, musste warten, bis alles verheilt war. Seine Sprunggelenksverletzung wurde von einer Gehschiene gestützt. Er hatte sich die Verletzung im Frühjahr bei der Seven Nations Championship zugezogen, gerade als seine Karriere einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. Die Rugby Union hatte ihn als den besten Außendreiviertel der Liga gelistet.
Er, ein königlicher Prinz, hatte es ganz aus eigener Kraft zu so einer Auszeichnung gebracht.
Und dennoch blieb die Verletzung und heilte nicht so schnell, wie es Stephen sich erhofft hatte. Er spürte Tag für Tag, wie die jüngeren, kühneren Jungs auf seine Position schielten. Die Nummer 14.
In der Küche waren das Teeservice und eine Platte mit Zimtkrapfen bereits für ihn vorbereitet. Guter Mann, Robert. Sein Dienstmann, Butler und Assistent.
Stephen setzte sich an die Kücheninsel, die mit einem Tischtuch, Porzellan und Tafelsilber gedeckt war, einem königlichen Protokoll folgend, das Robert sich aufzugeben weigerte. Stephen goss sich eine dampfende Tasse Tee ein und nahm einen langen, kräftigen Schluck. Dann tunkte er die Spitze des Krapfens ein.
Das leichte, süße Gebäck zerschmolz auf seiner Zunge. Pures Glück.
Stephen starrte durch die Küche aus Stahl und Granit – seine Mutter hatte ein Auge auf die Neugestaltung vor ein paar Jahren gehabt, während er bei der Weltmeisterschaft spielte – und versuchte, seine Gedanken zu ordnen.
Was war es, das ihm wirklich zu schaffen machte? Die Schlagzeilen über sein Liebesleben? Maddie und Hy und das versammelte Twitter-Universum, die ihm Ratschläge geben wollten? Vielleicht war es ja gerade der Mangel an Liebesleben, der ihm zu schaffen machte.
Denn in Wirklichkeit kümmerten ihn Maddie und Hy nur wenig. Der Hashtag war im Grunde ein kluger Schachzug. Die Mädels waren eigentlich gute Kumpels und machten einfach nur ihre Arbeit. Indem sie nämlich die Leute von Brighton jeden Nachmittag der Woche unterhielten.
Nein, nein, was ihm wirklich zu schaffen machte, waren die Albträume. Die Erinnerungen, die plötzlich auftauchten. Genau die Dinge, deretwegen er beim Versuch, sie zu vergessen, tausende Meilen das Rugbyfeld auf und abgerannt war.
All das hinter mir lassen.
Aber jetzt, wo sein Körper und sein Geist nicht länger von dem Spiel vereinnahmt waren, verlangten die selbstsüchtigen Dinger seine Aufmerksamkeit.
Bestimmt würde er vor dem Ende des Sommers wieder Herr der Lage sein. Seit seiner Operation im Frühjahr hatte er sich streng an die Physiotherapie gehalten. Er würde in einer Spitzenverfassung und bereit sein, in der Herbstsaison alles zu geben.
Stephen nahm sich noch einen Krapfen, und eine weitere, fern geglaubte Erinnerung tauchte auf. Warum brachten ihn denn nun Krapfen dazu, an sie zu denken?
Aber er wusste, warum. Sie hatten zusammen Krapfen gegessen, in jener Nacht. In Franklins Bäckerei. Und die war für immer in sein Gedächtnis eingebrannt.
Robert trat mit einem Stapel Geschirrtücher in der Hand ein. »Da sind Sie ja, Sir. Wie war Ihre Therapie?«
»Gut. Haben Sie die heutigen Schlagzeilen gesehen?«
»Grässliche Angelegenheit, dass derart über Ihr Liebesleben spekuliert wird.«
»Hier haben sie aber nicht angerufen, oder?«
Robert zog eine Grimasse und räumte die Geschirrtücher sorgfältig in eine Schublade. »Sie wären schlecht beraten, das zu tun. Reine Zeitverschwendung.«
»Ganz meine Meinung. Ich kann mir nicht vorstellen, was dieses plötzliche Interesse ausgelöst haben könnte.«
»Vielleicht ist einfach sonst nichts los.« Robert lächelte, und Stephen lachte.
»Das verstehe ich als Kompliment.«
»So war es auch gemeint.« Robert eilte geschäftig in der Küche hin und her und traf Vorbereitungen für das Abendessen. »Ich nehme an, Sie werden für die Summer Internationals wieder auf dem Platz sein? Immerhin brauchen die Brighton Eagles ihren Außendreiviertel.« Der ältere, rothaarige Gentleman war schlank und fit und ein brennender Rugbyenthusiast. »Die ganze Stadt steht wegen des anstehenden Turniers unter Strom.«
Als Stephen Robert im Frühjahr eingestellt hatte, war seine Liebe zum Spiel die entscheidende Eigenschaft gewesen, die ihn aus der Menge der königlichen Angestellten hatte hervorstechen lassen. Das und die Tatsache, dass er der Sohn eines Dienstmannes war, der wiederum der Sohn eines Dienstmannes gewesen war. Sein Vater hatte ebenfalls im Palast gedient.
»Für mich wird es keine Summer Internationals geben«, sagte Stephen. Dank dieser vermaledeiten, blöden Verletzung. Er hätte sich besser um seine linke Seite kümmern sollen. Bei den Internationals hätte er gut noch ein paar Länderspiele verbuchen können. Bisher hatte er in 28 Länderspielen gespielt und war auf gutem Wege zu seinen angestrebten 50. »Der Knöchel ist noch nicht so weit.«
»Ein echter Jammer, Sir, wo wir doch das neue Stadion haben und all das. Es heißt, wir könnten eine schöne Auftaktveranstaltung erwarten.«
»Ich werde von der Bank aus Stimmung machen.«
»Ich bin mir sicher, dass die Jungs von der Unterstützung ihres Prinzen und Kapitäns begeistert sein werden.«
Stephen rutschte in seinem Stuhl hin und her und dehnte vorsichtig seinen linken Knöchel. Den Schmerz schluckte er schweigend. Warum nur wurde es nicht besser? Das Pulsieren schien zu einem Dauerbegleiter geworden zu sein. Was ihn noch mehr wunderte war, wie der Schmerz nach oben hin in seine Brust ausstrahlte und sich in sein Herz fraß.
Seitdem er von seinem Einsatz in Afghanistan zurückgekehrt und vom Royal Air Command aus dem Kriegsdienst entlassen worden war, hatte er seine Zeit auf dem Platz verbracht. Er hatte sich ganz von der Gegenwart gefangen nehmen lassen, hatte an der Zukunft gefeilt und war froh um jede Trainingseinheit, jeden Test, der seine dunklen Dämonen, die schmerzvolle Vergangenheit und die Zweifel an einem freundlichen, liebenden Gott verbannte.
Nun gut, es war ja erst Juni. Dann würde er eben die Sommerspiele verpassen, aber Dr. Gaylord hatte prophezeit, dass noch ein weiterer Monat in der Gehschiene samt Physiotherapie notwendig wäre, bis Stephen wieder bei voller Kraft trainieren könnte.
Während er sich seinen sechsten Krapfen in den Mund stopfte und mit Tee nachspülte, schallte das Läuten der Türglocke durch seine Palastwohnung.
Robert wischte sich die Hände an einem Handtuch ab. »Erwarten Sie jemanden, Sir?«
»Vielleicht ist es ja jemand, der herausgefunden hat, wie man sich einen Prinzen angelt?«
Roberts kleines, strahlend weißes Lächeln sprühte Funken in seine Augen. »Soll ich den Besucher hereinbitten?«
»Aber bitte, ich wüsste die Antwort nämlich selbst gerne.«
Stephen schenkte sich eine neue Tasse Tee ein. Wie genau angelte man sich denn einen Prinzen? Eine Amerikanerin, Susanne, hatte seinen Bruder, den König, mit einem einzigen Blick dingfest gemacht.
Und er? Er war bereits gefangen worden. Einmal. Und er war sich sicher, dass er nicht noch einmal geangelt werden wollte, trotz all der wenig dezenten Hinweise seiner Mutter, die sich Enkelkinder von beiden Söhnen wünschte.
»Sir, Ihr Bruder möchte Sie besuchen.«
Stephen wandte sich um und sah Nathaniel hereinkommen, der einen großen weißen Umschlag unter dem Arm trug. »Komm, setz dich zu mir, es gibt Tee und Krapfen. Deine Lieblingssorte.« Stephen machte den Arm lang und schob den zweiten Stuhl von der Kücheninsel zurück, um seinen Bruder einzuladen, sich zu setzen.
»Kann ich dich bitte unter vier Augen sprechen?«, fragte Nathaniel ernst mit seiner tiefen Stimme und ohne die Krapfen auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Äh, ja, natürlich, was gibt es denn?« Es war nicht Nathaniels Art, Krapfen links liegen zu lassen. Stephen wies noch einmal auf den Barhocker. »Robert, bitte lassen Sie uns einen Augenblick alleine.«
Der Dienstmann-Butler-Assistent legte ein zweites Gedeck auf und verließ dann ohne ein Wort den Raum, indem er die Küchentüren mit den Buntglasfenstern zuzog.
»Möchtest du nicht wenigstens etwas Tee?« Stephen griff nach der Teekanne und füllte die Tasse, die Robert für den König aufgedeckt hatte.
»Ich glaube, ich könnte ganz gut eine Tasse gebrauchen.« Nathaniel setzte sich. Den Umschlag hielt er immer noch in der Hand.
»Warum bist du so mürrisch? Hatten Susanna und du Streit?«
»Nein, uns geht es gut. Mehr als gut. Wir versuchen, ein Kind zu bekommen.«
Stephen grinste. »Warum machst du denn dann so ein langes Gesicht, Bruderherz?« Dann zeigte er auf den Umschlag. »Bitte sag mir jetzt nicht, du bist schon wieder wegen der Angelegenheit um den Prinzen von Brighton hier.«
Nathaniel legte das Kuvert auf den Tresen und klopfte sacht mit der Handfläche darauf, als wollte er sichergehen, dass es artig an seinem Platz blieb. »Heute nicht, aber der Streit ist sowieso rein akademisch. Ich verstehe nicht, warum du dich so sträubst. Als mein Bruder bist du eben der Prinz von Brighton. Die Krönung macht das nur offiziell.«
»Ganz genau, und wenn dann dadurch das offizielle Protokoll in Kraft tritt, werde ich Schirmherr wovon noch gleich? 15 karitativen Einrichtungen und Organisationen … inklusive des Gedenktages für die Gefallenen.«
»Ich hätte gedacht, dass du es als eine Ehre ansehen würdest, Schirmherr für das Kriegsdenkmal und den Gedenktag für die Gefallenen zu sein. Du hast für dein Land gekämpft und wurdest bei dem Einsatz verwundet.«
»Lass es, Nathaniel. Du weißt ganz genau, warum.«
»Ich weiß, was du mir erzählst, ja, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das alles verstehe.«
»Soll ich dir nochmal meine letzten Tage in Afghanistan zusammenfassen?«
»Nein, ich erinnere mich gut an die tragischen Details und an die Gefallenen – ein Grund mehr, warum ich erwarten würde, dass du diesen Männern die Ehre erweist, indem du ihnen eine Stimme verleihst und das Volk daran erinnerst, welcher Preis für ihre Freiheit bezahlt wurde.«
»Ich gedenke der Jungs auf dem Platz. Ich spiele für sie.«
Stephen verstand den Druck, der auf Nathaniel lastete. Er war ein König mit königlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten, es wurden Erwartungen an ihn gestellt. Die Presse hatte schon fast aufgegeben, danach zu fragen, wann der König seinen Bruder ins Amt des Prinzen von Brighton krönen würde.
Die königliche Behörde antwortete immer dasselbe. »Seine sportlichen Interessen im Rugby stehen aktuell im Vordergrund. Wir lassen ihm den Raum, diesen Interessen nachzugehen.«
Der Prinz von Brighton diente als Schutzpatron, Fürsorger und Verteidiger der Schwachen. Der Adelstitel war im Jahre 1850 von König Leopold IV. für seinen Bruder geschaffen worden, den er zum Schirmherren und Fürsprecher der Armen und der alternden Veteranen berufen hatte.
Jeweils der älteste Bruder des Regenten erbte den Titel. Der letzte Prinz von Brighton war ihr Urgroßonkel Prinz Michael gewesen, ebenfalls ein Rugbyspieler und Colonel der Luftwaffe, der am Tag der Landung der Alliierten in der Normandie gefallen war.
»Ich hätte erwartet, dass du Onkel Michael, die Männer, die gefallen sind, und ihre Familien, ehren würdest, indem du Schirmherr für das Kriegsdenkmal wirst. Besonders für diejenigen aus anderen Ländern, die Teil des Internationalen Alliiertenverbandes waren, Männer, die nicht aus Brighton stammten, aber trotzdem ihr Leben für die Truppe gelassen haben. Diese Männer waren deine Kameraden und deine –«
Stephen stieß sich vom Tresen ab und stolperte über seinen Barhocker, weil sich sein geschienter Fuß daran verfangen hatte. »Ich weiß, wer diese Männer waren und wie sie gestorben sind. Ich brauche keine Gardinenpredigt, Nathaniel.« Der Tee und die Krapfen wurden ihm sauer im Magen.
Er konnte das nicht tun. Seine Uniform anziehen, sich mit seinem königlichen Ich-bin-heiliger-als-ihr-Titel vor die Nation, ja, die ganze Welt stellen und so tun, als wäre er jemand, der er einfach nicht war. Jemand Würdiges.
Außerdem hatte er seine eigene Gedenkstätte bei Parrson House geschaffen, wo er seinen Kameraden an jedem Gedenktag Respekt zollte. Oder immer, wenn er aufs Land fuhr.
»Gut, hör zu, ich bin mir sicher, dass ich das nicht verstehe, aber …« Nathaniel nahm den Umschlag zur Hand.
»Nein, du verstehst das nicht. Wirklich nicht. Also lass mich einfach. General Horsch füllt die Rolle des Schirmherren für den Gedenktag und das Kriegsdenkmal sehr gut aus. Er ist ein großartiger Mann, ein verdienter Soldat, und er war der Kommandeur des Internationalen Alliiertenverbandes.«
»Du gibst vor deiner Angst klein bei, Kumpel.«
»Kleinbeigeben?« Ha! »Du glaubst, das sei Kleinbeigeben? Ich habe mir das Recht verdient, eine Entscheidung zu treffen.« Stephen schlug sich die Hand vor die Brust und zügelte seine Ängste. »Aber sag nie, ich hätte nachgegeben. Ich stehe jeden Tag auf, trete dem Leben entgegen und erinnere mich daran, was an jenem Tag in Torcham passiert ist.«
Seine Stimme verstummte, und die Kacheln der Küche warfen das Echo der Stille zurück.
»Es tut mir leid«, sagte Nathaniel nach einem Moment. »Aber ich bin aus einem ganz anderen Grund hier. Über die Krönung können wir ein andermal sprechen.« Nathaniel reichte Stephen das Kuvert. »Das hier müsstest du mir bitte mal erklären.«
Stephen drehte den Umschlag hin und her. »Das ist eine weiße Versandtasche in einem gewöhnlichen DIN-Format. Sowas verwendet man gewöhnlich zum Verschicken von Drucksachen oder vielleicht auch dazu, Akten und Papiere aufzubewahren.«
»Sehr witzig. Mein Bruder, der Spaßvogel. Schau rein. Schau dir an, was da drin ist.« Nathaniel beugte sich vor und schnipste mit dem Finger gegen die Kante des Umschlags. »Ich habe Mama gegenüber kein Wort über die Sache verloren, weil sie das völlig fertigmachen würde.«
In seinen 31 Jahren hatte er seine Mutter schon öfter »völlig fertiggemacht.« Aber das war als junger Mann gewesen. Seit seiner Zeit an der Universität war das nicht mehr vorgekommen. Jedenfalls seines Wissens nach. Er hatte hart daran gearbeitet, seinen Ruf als »Versager-Prinz« auszulöschen. Ein Versuch, bei dem er sich stets bemühte, aber immer wieder scheiterte.
»Fertigmachen? Was redest du da?« Eine unheimliche Vorahnung griff mit eisigen Fingern nach Stephen, als er das Papier aus dem Umschlag zog. Er fluchte kaum hörbar. »Woher kommt das?«
»Also ist es wahr?«
Stephen starrte auf die goldverzierte Urkunde mit den eingeprägten Lettern. »Ein Stück weit. Nicht so richtig. Ich meine, ja, wir sind nach Hessenberg gefahren und … Wo hast du das her?«
Erinnerungen, Gefühle, eine Sehnsucht, die er längst überwunden geglaubt hatte, durchströmten ihn.
»Erzbischof Burkhardt ließ es mir per Spezialkurier zukommen. Er ist äußerst besorgt.« Miles Burkhardt war das aktuelle Oberhaupt der Kirche im Großherzogtum Hessenberg, Brightons verschwisterter Nordseeinselnation. »Ihm ist die Urkunde in seinem Büro in die Hände gefallen. Er fand sie in einem Geheimfach, das Erzbischof Caldwell ihm gegenüber nie erwähnt hatte. Er war dabei, vor einer Umgestaltung des Büros Dinge zu sortieren und auszuräumen, und da war es und zeigte sich.«
»Dann mach dir keine Gedanken darum.« Stephen steckte die Urkunde wieder in den Umschlag. Sein Kopf erinnerte sein Herz daran, dass das hier keine große Sache war. »Ich habe die Papiere nie bei den Ämtern offiziell gemacht. Das hat gar keinen rechtlichen Bestand. Und wir haben die Sache sowieso beendet, als ich von meinem Einsatz zurückkam.«
»Beendet?«
Nathaniels gerunzelte Stirn irritierte Stephen. Verstand er es denn nicht?
»Wie hat das geendet?«
»Ich weiß es nicht.« Aber doch, er wusste es, wusste es ganz genau. Lügner. »Sie ist ihres Weges gegangen, und ich bin meines Weges gegangen.« Er war das Ganze sooft innerlich durchgegangen, um sich davon zu überzeugen, dass er das Richtige getan hatte. Um sich davon zu überzeugen, dass es ihm übrigens auch gar nichts ausmachte. Egal wie, es musste jedenfalls beendet werden. Also hatte er es beendet.
»Stephen«, sagte Nathaniel, stand auf und schnappte sich den Umschlag. »Du bist verheiratet.«
»Nein, bin ich nicht. Ich habe nie den behördlichen Teil des Ganzen abgewickelt.«
»Hast du denn dann die Ehe bei der Kirche aufheben lassen? Diesem Papier hier zufolge …«, Nathaniel schwenkte die Heiratsurkunde, als sei sie eine Art Du-hast-es-einmal-mehr-versemmelt-Flagge, »bist du nämlich immer noch verheiratet.«
»Aufheben lassen? Wie hätte ich das tun sollen? Keiner wusste davon. Das hast du selbst gesagt … Dieses Ding …«, jetzt war es Stephen, der gegen den Umschlag schnipste, »… war in einem Geheimfach versteckt. Die Ehe war nie offiziell.«
»Bist du so schwer von Begriff? Eine Ehe, die von einem Erzbischof geschlossen wird, ist automatisch bei der Kirche aktenkundig. Das ist so gut wie eine behördliche Anerkennung, wenn nicht sogar schwerwiegender.«
»Aber Bischof Caldwell hat die Ehe nie aktenkundig gemacht.« Wie lange wollten sie sich denn noch im Kreise drehen? Stephen war alles klar. Er war nicht verheiratet. Er war aus Afghanistan zurückgekehrt mit dem festen Vorsatz, professionell Rugby zu spielen und die Beziehung zu seiner Ehefrau zu beenden.
»Bist du so naiv? Du bist Mitglied des Königshauses. Wenn diese Urkunde bezeugt, dass du Corina Del Rey am …«, Nathaniel zog die Urkunde wieder aus dem Kuvert und studierte sie, »… am dritten Juni vor sechs Jahren geheiratet hast, dann bist du verheiratet, kleiner Bruder.«
»Unmöglich.« Stephen ging nachdenklich in der Küche auf und ab. Seine Gedanken stießen hart mit den Gefühlen zusammen, die sich in ihm Bahn brachen. »Ich habe sie noch nicht einmal gesehen, seit –«
»Das ändert nichts an dieser unterschriebenen und versiegelten Urkunde. Du bist vor Gott und der Kirche verheiratet. Es sei denn, du hast die Annullierung eingereicht. Hast du das?«
»Nein!« Er zerschnitt die Luft mit einer weiten Armbewegung. »Es war ein Geheimnis. Der Erzbischof versprach, die Urkunde bei sich zu behalten, bis ich sie abholen komme.«
»Nun, da hat er sich also als vertrauenswürdig bewiesen. Leider hat er auch Erzbischof Burkhardt gegenüber keine Silbe darüber verraten. Hat Caldwell dir denn nicht erzählt, dass dieses Zertifikat dich rechtskräftig verheiratet, egal, ob du es bei den Behörden offiziell machst oder nicht?«
Nein. Vielleicht. Ja. Stephen fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Seine zerzausten Locken standen wild in alle Richtungen ab. Ungestüm. Es war eine spontane, ungestüme Entscheidung gewesen. Sie waren verliebt gewesen und er kurz davor, an seinen Einsatzort zu fliegen. Bevor er abreiste, hatten sie vier Wochen, um Mann und Frau zu sein. Sie wollten ihr Geheimnis das halbe Jahr über, das er weg sein würde, bewahren und es dann seiner Familie mitteilen wollen, dann ihrer, und am Ende der ganzen Welt.
Er war gut darin, aus dem Bauch heraus ungestüme Entscheidungen zu treffen. Es waren die Dinge, bei denen er zögerte, die am Ende oft schiefgingen. Wie an jenem Tag in Torcham. Wie an jenem Tag auf dem Spielfeld bei der Seven Nations Championship, als er bei seinem Manöver mit einem Abwehrspieler der England Lions gezögert hatte.
»Hast du sie geliebt?«
»Ich glaube schon, ja …«
Nathaniel atmete aus und strich sich mit der Hand über den Kopf. »Du heiratest die Tochter einer amerikanischen Millionärsdynastie und erzählst keinem etwas davon?« In seinen Augen loderte Feuer auf. Seine Nasenlöcher weiteten sich. Stephen verabscheute seinen Tonfall.
»Ja, ich habe sie geheiratet. Was macht das schon?« Er nahm seinem Bruder das Kuvert wieder weg. Der mochte zwar sein Bruder und sein König sein, aber deswegen war er weder sein Vater noch sein Gewissen noch Gott höchstselbst. »Wenn ich mich recht erinnere, mochtest du sie.«
»Wo ist sie jetzt?« Nathaniel stemmte die Hände in die Hüften und sah sich übertrieben in der Küche um. »Ich sehe keine Fotos. Keine Erinnerungsstücke. Keine Spur davon, dass sie je in deinem Leben war.«
»Weil die Beziehung vorbei ist. Und wo sie jetzt gerade ist, weiß ich nicht. In den Staaten, nehme ich an. Bei ihrer Familie. Sie ist nach Hause gereist, nachdem ihr Bruder gestorben war.« Er wollte seinen Bruder dafür hassen, dass er all das ans Licht zerrte. »Schau, wir zerreißen das Ding einfach und vergessen es. Kein Schaden entstanden, nichts Schlimmes passiert.«
»Der Erzbischof hat eine Kopie angefertigt, und zu Recht. Und wir können nicht einfach eine Heiratsurkunde zerreißen. Corina ist nicht dein Haustier. Sie ist deine Frau.«
»Die ich seit fünf Jahren nicht gesehen habe.« Stephen setzte sich wieder auf seinen Hocker an der Kücheninsel und nahm einen Krapfen, den er dann aber wieder auf den Teller fallen ließ.
»Das wäre mir neu, dass Ehen verjähren können, nur weil man jemanden nicht tatsächlich von Angesicht zu Angesicht sieht. Es sei denn natürlich, sie wäre gestorben. Ist sie das? Gestorben?«
»Sei nicht geschmacklos. Obendrein ist das grob unhöflich, wo du genau weißt, was mit ihrem Zwillingsbruder passiert ist.« Stephen tigerte wieder in der Küche herum. Sein Adrenalin setzte zu neuen Höhenflügen an und machte es ihm unmöglich, still zu sitzen. »Und rede nicht so herablassend mit mir.«
»Du hast recht. Ich entschuldige mich. Diese ganze Angelegenheit ärgert mich einfach so dermaßen. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Was hast du dir nur dabei gedacht? Hast du sehenden Auges den Thron von Brighton aufs Spiel gesetzt? Vor sechs Jahren war diese Heirat noch ganz und gar gesetzeswidrig. Einem Anwärter auf den Königsthron war es verboten, eine Ausländerin zu heiraten. Was, wenn mir etwas passiert wäre?« Der Rauch des Zorns kräuselte sich um Nathaniels Worte. »Du bist der Zweite in der Thronfolge.«
»Also bitte, ich war es doch, der sich für den Auslandseinsatz eingeschifft hat. Du, der Kronprinz, durftest doch gar nicht.«
»Ich hätte auch in der Badewanne ausrutschen, hinfallen und mir mein königliches Haupt stoßen können.«
»Das kann jetzt nicht dein Ernst sein.« Stephen legte einen boshaften Unterton in sein spöttisches Lachen.
»Nein, wohl nicht.« Zum ersten Mal nahm Nathaniel seinen Tee wahr und nahm einen Schluck. Er zog eine Grimasse. »Der ist kalt.«
»Ich mach uns schnell neuen.«
»Lass gut sein, Stephen.« Nathaniel kauerte auf seinem Hocker. »Erzähl mir mal, was da passiert ist. Warum die Geheimniskrämerei? Wie sah denn euer Plan für die Zeit nach deiner Rückkehr aus?«
»Ich weiß es nicht. Du mit deinen wasundzwanzig Fragen. Also schön, ich war verliebt.« Stephen lehnte sich gegen die Anrichte und kreuzte den geschienten Knöchel über seinen gesunden Fuß. Er spürte einen dumpfen Schmerz. »Es war der Abend des Militärballs. Corina und ich waren auf der Spitze des Braithwaite Tower. Sonst war keiner da, nur wir zwei. Wir schauten hinunter auf die Rue du Roi, die von den Lichtern der Stadt umgeben war, und in dem Moment war das Leben einfach perfekt gewesen. Es war neun Uhr am Abend. Die Glocken der Kathedrale hatten gerade begonnen zu läuten.«
Der Wind wehte durch die Avenue und trug den Duft des River Conour mit sich. Stephen fing Corina mit seinen Armen ein, indem er seine Hände fest auf das Geländer des Braithwaite legte.
Ihr Haar strich ihm über die Wange, und er fühlte sich, als würde er im Glück ihrer Gegenwart ertrinken.
Er drehte sie zu sich herum und fuhr sanft mit dem Finger über ihre Wangenknochen. Dann hob er ihr Kinn an und berührte ihre Lippen mit den seinen. So sanft, so süß. Das weckte einen tieferen, stärkeren Hunger. Als er zurückwich, wusste er, dass das, was da seit Monaten in seinem Herzen flüsterte, echt war.
Er liebte sie. Er wollte sie heiraten. Aber schon in vier Wochen würde er mit seiner RAC Staffel zu einem sechsmonatigen Einsatz in Torcham aufbrechen.
Hinter ihm, neben ihm, vor ihm fingen die aufeinander abgestimmten Glocken der Kathedrale an zu läuten.
Eins, zwei, drei …
Dann war sie es, die es zuerst sagte. Die Worte, die sein Herz fast zum Platzen brachten. »Ich liebe dich, Stephen. Du bist mein Prinz.« Ihr sanftes Lachen rankte sich um sein Herz.
Vier, fünf, sechs …
Dann wusste er, was er mehr wollte als alles andere. Er dachte nicht lange nach, zögerte nicht, denn er wusste, dass es richtig war. Er kniete sich hin und sah in ihre haselnussbraunen Augen mit den goldenen Pünktchen.
Sieben, acht …
»Heirate mich, Corina Del Rey. Ich liebe dich so sehr.«
Neun.
»Was? Dich heiraten?« Ihre Stimme klang laut in der Stille. Die Luft des Juniabends duftete nach Geißblatt.
»Ja, heute. Wir können die Fähre nach Hessenberg nehmen.«
»Hessenberg? Aber warum? Wie? Brightons Gesetz verbietet es dir, eine Ausländerin zu heiraten.« Ihre Stimme zitterte, als sie die Wahrheit aussprach.
»Und doch bist du hier, in meinen Armen.«
»Ich liebe dich, und ich kenne mich mit dem Gesetz nicht aus. Aber ich will nicht verantwortlich dafür sein, das Hause Stratton oder eines seiner Mitglieder zu Fall zu bringen.«
»Aber nicht doch. Das schaffe ich schon ganz alleine. Mein lieber Schatz, ich muss in einem Monat in den Krieg. Wenn das keine Bedrohung für das Hause Stratton ist, weiß ich auch nicht. Aber es ist bestimmt keine, wenn ein Prinz die Frau heiratet, die sein Herz für sich gewonnen hat. Also heirate mich! Bitte. Der Erzbischof ist ein feiner Kerl. Ich bin mir sicher, dass er uns trauen wird.« Oder zumindest hoffte er das.
»Du willst mich wirklich heiraten?«
»Ist das ein Ja?«
»Wenn du mich heiraten möchtest, dann …«
»Ja, du wirst mich heiraten.« Er nahm sie in den Arm, wirbelte sie herum und küsste sie zum ersten Mal so richtig. So, wie sie sich noch oft küssen würden.
»Stephen? Hast du mich überhaupt gehört?«
Er kehrte wieder zurück zu seinem Bruder in die Gegenwart. »Was hast du gesagt, bitte?«
Nathaniel schenkte sich eine Tasse Tee ein. »Warum hat es aufgehört?«
»Warum machst du das nur? Rate doch mal. Du weißt, dass ihr Bruder einer der Männer war, die an jenem Tag gefallen sind.« Nathaniel war neben dem Verteidigungsminister, dem Leiter der Rechtsabteilung der Luftwaffe und seinem lieben, verstorbenen Vater der einzige, der die ganze Wahrheit kannte.
»Ah, also hast du die Ehe wegen ihres Bruders beendet.« Nathaniel wusste, dass Stephen und Carlos befreundet gewesen waren. Und er wusste, dass Stephen ziemlich von der Zwillingsschwester seines Kumpels, Corina, angetan gewesen war.
»Sie ist mit ihren Eltern nach Hause zurückgekehrt, als sie die Nachricht … wegen Carlos … bekommen hat.« Stephen schüttelte den Kopf, eine einfache, seichte Geste, die ausdrückte, was er nicht in Worte fassen konnte. »Während dieser fünf Tage, die ich nach der Explosion im Krankenhaus verbrachte, wusste ich, dass ich mich jedes Mal, wenn ich sie ansah, erinnern würde, und –«
»Und dann was? Dann hast du sie angerufen und gesagt, ›das war’s, Liebes‹?«
»Nein … Nach Carlos‘ Beerdigung kam sie wieder nach Brighton. Ich konnte ihr nicht sagen, wie ich ihr abhandengekommen war, warum ich ihre Anrufe und ihre E-Mails nicht beantwortet hatte, warum ich nicht bei der Beerdigung ihres Bruders gewesen war. Weil die Luftwaffe nicht wusste, dass sie meine Frau war, hatten sie sie natürlich auch nicht kontaktiert, als ich verwundet wurde.«
»Und die Familie hat das ebenso wenig übernehmen können. Du meine Güte, Stephen.« Nathaniels Seufzer tat mehr, als ihn nur zu rügen. Er bestätigte ihn. Du hast es vermasselt.