Kitabı oku: «Zenjanisches Feuer», sayfa 3

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Zumindest, sobald sie das Problem gelöst hatten, das sie alle ins Unglück stürzen konnte.

* * *

In der Schiffsmesse herrschte Unruhe. Alle redeten aufeinander ein. Viele hielt es nicht länger auf ihren Plätzen. Cregh, der sich gegen Ende seines Zyklus befinden musste, hielt sich den Kopf und sah aus, als würde er jeden Augenblick jemandem die Kehle aufschlitzen.

»Könnt ihr vielleicht noch mal kurz die Schnauze halten?«, bellte Theasa in die Menge. Sie saß mit angezogenen Beinen auf einem Tisch am Durchgang zur Kombüse. Weder in ihrer Miene noch in ihrem Tonfall war die unsichere Frau zu erkennen, mit der Sothorn sich am Morgen unterhalten hatte.

Die Gespräche ebbten ab. Alle Blicke richteten sich nach vorn.

»Geht doch«, murrte Theasa halblaut. Sie sah von einem zu anderen. »Glaubt nicht, dass ich nicht weiß, was ich von euch verlange. Oder dass ich mir der Gefahr nicht bewusst bin. Allerdings hat mich heute Morgen jemand zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass wir gar keine andere Wahl haben. Ich weiß, jeder halbwegs vernünftige Mensch und anständige Bürger wird behaupten, dass das, was wir vorhaben, unmöglich ist. Aber ich sage, dass wir es schaffen können. Weil wir weder anständige Bürger noch vernünftige Menschen sind!«

Zum ersten Mal waren Laute der Zustimmung und sogar Gelächter zu vernehmen. Geryim, der Seite an Seite mit Sothorn an der Schiffswand lehnte, schnaubte und raunte, dass Theasa von den Kampfrednern in der Arena von Auralis viel gelernt hätte.

»Es wird nur darauf ankommen, dass wir zusammenarbeiten, wie wir es nie zuvor getan haben. Mit Gewalt allein werden wir nicht ans Ziel kommen. Mein Schlachtplan baut auf jeden Einzelnen von euch und…«

Ein höhnisches Auflachen unterbrach sie. »Auf jeden Einzelnen?« Shahims Stimme schnitt durch den Raum. »Auch auf mich? Was sieht dein Plan für mich vor? Soll ich die Gallionsfigur geben?«

»Bei Insa…«, ächzte Kara und auch Sothorn musste ein Seufzen unterdrücken. Er sah sich zu Shahim um, der in der hintersten Ecke auf einer Bank saß und das verletzte Bein auf einen Schemel gebettet hatte. Verschwunden war der lebenslustige Oramba, der trinken, tanzen, lachen und Geschichten erzählen konnte wie kein Zweiter. Zurückgeblieben war ein Mann, der an seinem Wert zweifelte und sich jeden Tag im Stillen oder auch laut hörbar fragte, warum die Bruderschaft ihn weiterhin durchfüttern sollte.

»Nein, Shahim«, antwortete Theasa überraschend sanft, was in ihrem Fall immer noch klang, als würden Steine einen Abhang herunterpoltern. »Du, Nouna und Lilianne… Ihr werdet die vielleicht größte Verantwortung übernehmen.« Sie zögerte und sah sich zu den beiden Frauen um. »Selbst der narrensicherste Plan kann fehlschlagen. Und wenn er das tut, werden wir nicht nur unser Leben, sondern auch die Henkersbraut verlieren.«

»Eigenartige Reihenfolge«, knurrte Szaprey aus den Schatten der Tür. Wie so oft hielt er sich möglichst weit von ihnen fern, als wollte er betonen, dass er niemals ganz zu ihnen gehören würde.

Theasa ignorierte den Einwurf. »Ich weiß um eine kleine Insel. Sie liegt dicht genug am Festland, um es im Ernstfall immer noch mit einem Beiboot erreichen zu können. Wir werden euch eines vor Ort lassen. Ich möchte, dass ihr drei dort auf uns wartet. Zusammen mit den Kindern, den Pferden und dem restlichen Lotus.«

Dass niemand protestierte, bewies, wie sehr sie sich der Gefahr bewusst waren, in die sie sich begeben würden. Auch Shahim schwieg und Sothorn konnte nur hoffen, dass er erkannte, wie viel Vertrauen man ihm entgegenbrachte. Sollten sie scheitern und in alle Winde verstreut werden, wäre es in Zukunft an ihm, Nouna und Lilianne, sich Tills, Gillas und all der anderen Kinder anzunehmen. Das war keine Aufgabe für Feiglinge.

Sothorn lag die Frage auf der Zunge, ob sie nicht auch Janis auf der Insel lassen sollten. Doch dann kam er zu dem Schluss, dass Theasa sich diese Frage sicher bereits gestellt und anders entschieden hatte. Trotzdem ahnte er, dass in Wahrheit Janis der Einzige unter ihnen sein würde, der keine tragende Rolle bei dem nahenden Angriff spielen würde.

»Geryim und Sothorn, die Hauptlast des Geschehens wird auf euch ruhen.«

Geryim zog einen Mundwinkel in die Höhe. »Soll mir recht sein. Auch wenn ich ahne, dass es eher Syv ist, auf den du baust.«

»Ohne ihn würden wir es wahrscheinlich nicht schaffen«, gab Theasa zu. Sie lächelte spröde. »Aber das gilt wie gesagt für jeden von uns.«

»Wann brechen wir auf?«, wagte Sothorn zu fragen. Zu seiner Erleichterung waren die Zweifel in den Augen ihrer Mitstreiter gewichen und hatten grimmiger Entschlossenheit den Platz überlassen; die Angst hielt sich in Grenzen oder wurde gut verborgen.

Theasa drückte den Rücken durch. »Sofort. Wir werden rund eine Woche brauchen, bis wir die Insel erreicht haben, auf der wir die Kleinen in Sicherheit bringen. Wenn der Wind richtig steht, werden wir einen Tag später an der Stelle sein, an der wir euch zwei absetzen müssen.« Sie hielt inne und Sothorn hatte den Eindruck, dass alle gemeinsam mit ihr den Atem anhielten. »Sobald ihr euren Auftrag erfüllt habt, greifen wir Zenja an.«

Kapitel 3

Staub und Schriftrollen

Der Sturz überraschte Thalid auf der letzten Schrittlänge. Im einen Moment fühlte sie sich sicher, im nächsten war es um sie geschehen. Sie ruderte mit dem Armen, riss im Fallen ein halbes Dutzend Schriftrollen aus dem Regal und schlug einen Augenblick später auf dem Steinboden auf. Ihr Aufprall hallte wie Donner in der hohen Bibliothek wider und schien sich böswillig in den Galerien zu verfangen, damit auch jeder noch so konzentrierte und angestrengt arbeitende Novize den Kopf hob.

Da es Thalid leider nicht gelungen war, sich wieder auf den Füßen zu fangen und sie auf allen vieren gelandet war, brannten ihre Handflächen und Knie. Das war jedoch nichts gegen die verlegene Hitze, die sich in ihrem Körper ausbreitete, und drohte, an die Oberfläche zu schlagen.

»Unser Wüstentrampel wieder«, zischelte ein Vorübergehender. Hinter einem gewaltigen Stapel schwankender Bücher war der Spötter nicht zu erkennen. »Du solltest es endlich einsehen, Thalid. Unter den Schaustellern am Ganija-Tempel wärst du besser aufgehoben als hier. Es heißt, sie suchen einen neuen Narrenkönig.«

Thalid hätte gern etwas erwidert, aber sie war zu sehr damit beschäftigt, hastig die verstreuten Schriftrollen einzusammeln und durch die Hitze in ihrem Bauch hindurchzuatmen. Sie hatte heute bereits genug Aufmerksamkeit erregt. Da konnte sie es nicht gebrauchen, dass ihr ein Funke von der Hand sprang und die altehrwürdige Bibliothek der Ikir-Akademie in Flammen aufgehen ließ.

Unverhohlenes Gelächter und zotige Bemerkungen verfolgten sie, als sie mit gesenktem Kopf an ihren Platz zurückkehrte. Sie hasste die langen Arbeitsstunden zwischen den turmhohen Bücherregalen, während denen sie ihren Mitschülern nicht ausweichen konnte. Im Unterricht sorgte der jeweilige Magister für Ruhe, sodass sie in den Lehrsälen vor Anfeindungen sicher war. Dasselbe galt für ihre kleine Schlafkammer oder ihre Ausflüge in die Stadt. Doch die Bibliothek…

Thalid erreichte ihren Platz in einer der Nischen unterhalb der halbrunden Fenster. Obwohl das Sonnenlicht durch die Buntglasscheiben fiel und herrliche Bilder auf die Tische zeichnete, hielten sich die meisten Novizen von diesen Plätzen fern. Die Akademie und insbesondere die Bibliothek waren alt und die Fenster schlossen längst nicht mehr so zuverlässig, wie es kurz nach ihrem Einbau der Fall gewesen sein musste.

Nachdem Thalid auf ihren gepolsterten Stuhl gesunken war, betrachtete sie die Lederrolle in ihren Händen. Sie nahm die feinen Schriftzüge auf der Hülle jedoch kaum wahr. Dafür war ihr Blick zu verschwommen; etwas, das sie weit mehr ärgerte als ihr Sturz. Sie hatte vor langer Zeit ihren Frieden damit gemacht, dass ihr die Geheimnisse mancher Zauber nie aufgehen würden. Genauso hatten ihre Lehrmeister es aufgegeben, sie in bestimmten Formen der Magie unterweisen zu wollen.

Das letzte Mal, als man sie auf einen Krankenbesuch mitgenommen hatte, hatte sie den kleinen Jungen beinahe umgebracht. Dabei hatte sie sich genauestens an die Anweisungen des alten Weihenstetten gehalten. Sie hatte die Essenz des Milchmoos mit altem Brot und versteinerten Muschelresten vermengt und jede Zutat dreimal abgewogen. Sie hatte die entzündete Wunde sorgfältig gereinigt und mit dem angerührten Brei bedeckt. Und bevor sie den Zauber gewirkt hatte, war sie in sich gegangen und hatte sich auf den Jungen eingestimmt. Aber die Wunde war nicht abgeheilt und die Fäulnis nicht verschwunden. Stattdessen war das Fieber des Kleinen innerhalb weniger Minuten so sprunghaft gestiegen, dass beinahe sein Herz ausgesetzt hätte. Nur das rasche Eingreifen Magister Weihenstettens hatte Schlimmeres verhindert. Seitdem durfte sie sich Kranken und Verletzten nicht mehr nähern, geschweige denn versuchen, ihnen Linderung zu verschaffen.

Nach einem kurzen Blick in die Runde stützte Thalid einen Ellbogen auf den Tisch und tupfte sich im Schutz ihres Unterarms die Augen.

Nein, es brach ihr nicht länger Herz und Stolz, dass sie nie eine Heilerin sein würde. Dass sie nie so viel Macht über den Wind gewinnen würde, dass die Akademie sie an die Handelsherren verlieh, um deren Schiffe durch die Flauten vor Inahain zu bringen. Sie musste dankbar sein, dass man sie überhaupt an der Akademie aufgenommen hatte.

Was ihr zusetzte, war die Geringschätzung, die ihr innerhalb dieser Mauern entgegenschlug. Ihre Mitschüler gaben ihr bei jeder Gelegenheit zu verstehen, wie unzulänglich sie war. Einige der Magister brachten ihr kaum mehr guten Willen entgegen; unabhängig davon, ob sie die höchsten Ränge der Großmeister bekleideten oder dank erfolgreicher Abschlussprüfungen gerade erst zum vollwertigen Magier aufgestiegen waren. Hätte sich nicht Venika ihrer angenommen und sie zu ihrer Gehilfin erklärt, wären ihre Tage gänzlich unerträglich geworden.

Und selbst dieser Wahl haftet ein Makel an, dachte Thalid bitter.

Sie biss die Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzte. Manchmal war es der einzige Weg, ihren Kummer im Zaum zu halten. Zu schade, dass sie erst recht dem Hohn der anderen ausgesetzt war, wenn sie ein dermaßen saures Gesicht zog. Für den Moment half der kleine Trick jedoch und sie konnte sich auf ihre Arbeit konzentrieren, um den Schein einer ehrbaren Novizin in den Hallen der einzigen Magierakademie der bekannten Welt zu wahren. Um der Gabe, die man als Kind in ihr aufgespürt und die ihr die Tore zu diesen Hallen geöffnet hatte, gerecht zu werden.

Nicht lange, nachdem sich Thalid in ihrer Schriftrolle vertieft hatte, ertönte der Gong auf der Galerie. Sofort wurde es um sie herum unruhig. Stuhlbeine kratzten über Stein, Bücher und Schriftrollen wurden mit erschreckender Gewissenlosigkeit in die Regale zurückgeschoben. Sie war froh, dass es diesen Monat nicht an ihr war, die über den Tag entstandene Unordnung am Abend zu beseitigen.

Obwohl sie es kaum erwarten konnte, die Akademie zu verlassen, ließ Thalid sich Zeit. Erst, als die letzten Schritte verklungen waren, räumte sie ihren Platz. Sie wollte nicht, dass die anderen sahen, wie sie ihre Schriftrolle in einen der Körbe für die jüngeren Schüler am Treppenaufgang legte.

Von Novizen ihres Alters wurde erwartet, dass sie sich hoch gelagerte Bücher und Schriftrollen mittels eines Schwebezaubers holten und sie auf demselben Weg zurückbrachten. Aber Thalids Hände brannten immer noch und sie hatte sich für einen Tag genug gehässige Bemerkungen verdient.

Draußen angekommen atmete sie die frische Winterluft ein. Von den Stallungen her roch es nach den Pferden der berittenen Feuerschutztruppe. Vom Stadtkern aus drängte der verführerische Duft nach heißem Würzwein und Stockbrot über die Mauern.

Prompt fiel ein großer Teil der Last von ihr ab. Heute Abend würde sie nicht gemeinsam mit den anderen im großen Weihsaal essen und sich giftige Bemerkungen über ihren Hunger oder auch den Mangel desselben anhören müssen. Aß sie, wie ihr Magen es ihr befahl, schimpften sie sie eine fette tashanso-Kuh. Stocherte sie stattdessen lustlos im Essen, fragte man sie, ob sie endlich Vernunft angenommen hatte und etwas von ihrem Schlachtgewicht verlieren wollte, bevor ihr Bett unter ihr zusammenbrach. Das Eigenartige war, dass mancher, der sie mit solchen Bemerkungen piesackte, weit massiger war als sie.

Sobald Thalid das Torhaus hinter sich gelassen hatte, war ihr, als hätte sie eine neue Welt betreten. War sie zuvor von der Ruhe zu weniger Menschen auf zu viel Raum umfangen gewesen, fand sie sich nun mitten in einem Strom aus laut schwatzenden, fluchenden und lachenden Passanten wieder. Manche hielten Humpen in der Hand und schienen geradewegs aus einer Schenke gestolpert zu sein. Andere schleppten Jutesäcke voller Einkäufe oder Waren für ihren Dienstherrn umher und schimpften lautstark, wenn sich ein Fuhrwerk zu ihnen in die enge Gasse drängeln wollte.

Doch nicht nur die Welt wandelte sich, als Thalid die Straßen von Auralis betrat. Auch sie selbst wurde eine andere. Sie merkte es daran, dass die Menschen ihr höflich Platz ließen, sobald ihnen der indigofarbene Kapuzenumhang der Magierzunft auffiel. Man nickte ihr respektvoll zu und einige lächelten sie sogar an. Und mit jeder Geste, die etwas anderes als Ablehnung und Herablassung ausdrückte, richtete sich Thalid innerlich wie äußerlich auf.

Es waren Abende wie diese, die sie durchhalten ließen. Ohne sie hätte sie längst ihr Bündel geschnürt und wäre in die Steppensee zurückgekehrt; ob sie sie nun in Brand steckte oder nicht.

Je näher sie dem Marktplatz im Rund der gewaltigen Lagerhäuser kam, desto lebendiger ging es in den Gassen zu. In den Fenstern der Häuser schimmerten bunte Laternen. Auf manchen Dächern zogen sich Reihen beleuchteter Girlanden entlang, deren eingelassene Halbedelsteine ein sanftes Glimmen abstrahlten. Thalid wusste, wie lange ein Magier an einer solchen Kette arbeitete, und auch, für welche schwindelerregenden Summen sie gehandelt wurden. Dennoch erfreute sie sich an jedem Funkeln und Schimmern und erst recht an den weit aufgerissenen Augen der Fremden, die zum Lichterfest nach Auralis strömten.

Auf dem Marktplatz angekommen, ignorierte Thalid die zahlreichen Stände, an denen am Spieß gebratenes Fleisch, Räucherfisch und berauschende Getränke angeboten wurden. Auch den Feuerspuckern vor dem Tempel der Ganija schenkte sie keinen Blick. Sie schaute ihnen ohnehin nicht gern zu. Es war ungerecht, dass man die jungen Männer und Frauen bejubelte, die inmitten von Flammen Purzelbäume schlugen und sich zu menschlichen Standbildern aufgetürmt Fackeln in den Rachen schoben. Thalid konnte nicht nur mit Feuer spielen, sie konnte es rufen. Wo blieb ihr Beifall?

Der Anflug schlechter Stimmung hielt sich nicht lange. Sobald sie die Schenke hinter der Tempelanlage betrat, sog sie genüsslich die Luft ein. Hier roch es nicht nur nach deftigem Eintopf und Bier, sondern auch nach Tannennadeln, Honig, warmem Holz und allem, was sie mit guter Gesellschaft in Verbindung brachte.

Dass Barim bereits an ihrem Stammtisch saß und mit der Nasenspitze beinahe die Seiten seines Buchs berührte, vertrieb auch die letzte Schwermut aus ihrem Herzen. Thalid wusste nicht, warum die Götter ihr Barim als Freund zur Seite gestellt hatten. Aber sie war dankbar für ihn und die langen Abendstunden, die sie miteinander verbringen durften.

Einer der Schankburschen zwinkerte ihr auf dem Weg zum Tisch zu. »Grüße, Frau Magierin. Heute hat's Gemüseeintopf und dicke Fischsuppe. Was soll's sein?«

»Den Gemüseeintopf, bitte. Und den heißesten Würzwein, den du auftreiben kannst.«

Thalid hatte es längst aufgegeben, dem aufmüpfigen Sohn der Wirtin zu erklären, dass sie keine Magierin war und es nach derzeitigem Stand wohl auch nie werden würde. Doch seitdem sie einmal mit einem Fingerschnippen das erloschene Feuer im Kamin wiedererweckt hatte, war sie in seinen Augen mindestens die Großmeisterin des Feuers, auch wenn es diesen Posten an der Akademie seit Jahrhunderten nicht mehr gab.

Barim sah erst von seiner Lektüre auf, als Thalids Robe neben ihm auf der Bank raschelte. Er verengte die Augen, schob das Kinn vor und lächelte breit, als er sie erkannte. »Da bist du ja. Ich dachte schon, du versetzt mich.« Er verzog seinen vollen Mund zu einem aufgesetzten Schmollen.

»Nicht doch. Ich bin nur nicht pünktlich aus der Bibliothek rausgekommen und in den Straßen herrscht ein einziges Gedränge«, antwortete sie, während sie den Umhang von den Schultern streifte.

»Wer kann es den Leuten verdenken?« Barim stieß ein lang gezogenes Seufzen aus. »Die Lichter an den Häusern müssen ein atemberaubender Anblick sein.«

Thalid griff nach seiner Hand und drückte sie. So reich ihr Freund in mancher Hinsicht beschenkt worden war, stand es mit seinem Augenlicht nicht zum Besten. Schon seit er ein kleiner Junge war, konnte er nicht gut sehen und je älter er wurde, desto mehr verschwamm die Welt um ihn herum.

An ihren finstereren Tagen glaubte Thalid sogar, dass Barim sich nur mit ihr abgab, weil er ihr plumpes, rundes Gesicht und ihre langweiligen braunen Haare nicht richtig erkennen konnte. Oder weil er sich selbst nie deutlich genug im Spiegel gesehen hatte, um zu begreifen, was für ein seltsames Paar sie abgaben. Er, ein blonder Lichtblick von einem Mann, der noch genügend Jungenhaftes an sich hatte, um reihenweise Herzen zu brechen, sie ein grobknochiges Weibsbild, dessen Nase mit jedem Jahr in die Länge zu wachsen schien. Er in der purpurnen Tunika und mit dem bunten Stirnband der lebhaften Priesterschaft der Ganija, sie in den blauen Roben der gestrengen Magier.

»Vielleicht findet sich irgendwann ein Weg, den Schleier zu lüften.« Thalid wusste, dass sich Großmeister Weihenstetten intensiv mit verschiedenen Augenerkrankungen auseinandersetzte und in einigen Bereichen bereits Erfolge erzielt hatte. Sie tippte mit der freien Hand gegen das Buch auf dem Tisch. »Und zum Glück betrifft es ja nur die Ferne. Was direkt vor dir ist, siehst du doch immer noch klar, nicht wahr?«

Barim nickte, aber es lag Sorge in seinem Blick. »Allerdings rückt die Ferne immer näher an mich heran. Ich kann das Bild meiner Göttin selbst dann nicht mehr klar erkennen, wenn ich direkt vor dem Opferstein stehe. Ich weiß nicht, ob ich es ertragen könnte, wenn die Buchstaben ebenfalls vor mir verschwimmen würden.«

»Das werden sie nicht«, versicherte Thalid, obwohl sie wusste, dass sie auf Sand baute. Sie wusste nichts über die Ursachen von Barims Gebrechen und konnte daher unmöglich Versprechen abgeben. Aber sie hatte Venika und die anderen Magier bereits Unglaubliches vollbringen sehen. Da sollte es doch möglich sein, ihrem Freund zu helfen.

»Für den Fall, dass es doch dazu kommt…« Barim griff nach dem Humpen, der in sicherer Entfernung zum Buch stand, »… sollten wir uns besser beeilen. Es gibt noch so viele Geschichten, die ich aufschreiben muss, und deine sind immer die schönsten.«

Bei diesen Worten flatterte ihr Herz wild in ihrer Brust. Sie hegte jenseits inniger Freundschaft keinerlei Gefühle für Barim. Anflüge dieser Art hatte sie sich ganz am Anfang ihrer Bekanntschaft rigoros verboten. Doch sie reagierte auf die Bewunderung in seiner Stimme. Sie erinnerte Thalid daran, dass sie mehr als eine Novizin war, deren Kräfte mehr Gefahr als Segen waren.

Sie war auch eine Oramba, die in jungen Jahren mit ihrer Sippe durch die Steppensee gezogen war und dabei stundenlang den Geschichten der Alten gelauscht hatte. Und sie hatte sich sie alle gemerkt, wie sie auch andere Worte – ob niedergeschrieben oder ihr böse ins Ohr geflüstert – niemals vergaß.

An diesen Abenden, wenn sie mit Barim in der Schenke saß und der hastig die Feder über das Pergament fliegen ließ, um keines ihrer Worte zu versäumen, war sie eine Geschichtenerzählerin und das war nach ihrem Verständnis eine ehrenwerte Berufung.

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