Kitabı oku: «Der Nagel», sayfa 3
Ju 52, über der deutsch-französischen Grenze, Mittwoch, 31. Mai 1944, 09:10 Uhr
Hans saß die erste Zeit des Fluges schweigsam auf seinem Platz und hatte mit ausdruckslosem Gesicht die Landschaft beobachtet. Die drei 600 PS starken Sternmotoren der Ju 52 taten zuverlässig und unüberhörbar ihren Dienst und begleiteten sie von Anfang an mit gleichmäßigem Dröhnen. Kurz nach dem Start hatten sich zwei Messerschmitt BF 109 Jagdflugzeuge als Begleitschutz zu ihnen gesellt. Eine der Maschinen flog links neben der Junkers, sodass Hans die Möglichkeit hatte, den Piloten in seinem Cockpit zu beobachten. Auch wenn sie erst etwas über drei Stunden in der Luft waren, kam ihm der junge Mann in der Kanzel fast schon vertraut vor.
Die Ju hatte eine Reisegeschwindigkeit von 180 km/h, war also nicht besonders schnell. Der Flug ging über 1.200 km Luftlinie und man hatte geplant, gegen Abend die französische Küste zu erreichen.
Was würde sie in Frankreich erwarten? Wie war die Situation in dem seit vier Jahren besetzten Land? Wie würde sich die Bevölkerung verhalten? Die verschiedensten Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf und erneut nistete sich ein flaues Gefühl in seinem Magen ein.
Sie hatten einen wichtigen Auftrag zu erledigen. Der Führer persönlich hatte das Dieter und ihm noch einmal eindringlich nahegelegt. Auf ihren Schultern lag nun die Hoffnung der deutschen Führung. Was würde geschehen, wenn sie scheiterten? Er wollte den Gedanken nicht weiterspinnen. Gott sei Dank hatten sie eine gute Mannschaft, von denen viele schon seit Tagen vor Ort waren, um die letzten Vorbereitungen zu treffen und zu überwachen. Allen voran Oberingenieur Fritz. Ein Mann, auf den man sich einhundertprozentig verlassen konnte. Egal, worum es ging.
Hans drehte den Kopf und sah Dieter am rechten Fenster sitzen, den Kopf auf der Brust. Der schläft schon, seit wir losgeflogen sind, dachte er. Dann fiel ihm wieder ein, dass Dieter die letzte Nacht wenig geschlafen hatte.
Er blickte nach draußen und heftete seinen Blick auf die Messerschmitt, die weiterhin vor der Ju flog. Monoton und unermüdlich drehten sich die Propeller der Junkers 52 und Hans spürte, wie auch ihn die Müdigkeit übermannte. Er lehnte sich zurück und ließ die Augen über die Decke der Kabine gleiten. Verschiedene Kabel waren dort befestigt und zogen sich die Decke entlang, bis sie vor der Trennwand zur Pilotenkanzel nach links abbogen und in einem Kabelkanal verschwanden. Er schloss die Augenlider und die regelmäßigen Vibrationen des Flugzeugs schaukelten ihn in einen leichten Schlaf.
Von einem lauten Geräusch wachte Hans auf. Er hörte Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Rufe hallten die Straße entlang und zwischendurch war ein Schuss zu hören gewesen. Er stand auf und ging ans Fenster, um nachzusehen. Draußen war es dunkel. Er streckte den Kopf aus dem Fenster und vernahm Laute von der rechten Seite. Er spähte in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen. Nur vereinzelt leuchtete eine Straßenlaterne und gab durch die angebrachte Verdunkelungsvorrichtung ein schwaches Licht nach außen ab.
Das Geräusch, ein wirres Gemisch aus Stiefelschritten und Stimmen, schwoll an. Im Augenwinkel nahm er eine schnelle Bewegung wahr. Eine dunkel gekleidete Gestalt kam angerannt und blieb vor dem Haus stehen. Hans konnte erkennen, wie sich der Unbekannte mit einer Hand an der Laterne festhielt und hastig in alle Richtungen sah. Der Flüchtende schien unschlüssig zu sein, wohin er sollte. Schwer atmend stand er neben dem schwarz schimmernden Metallmast. Er verharrte noch einen Augenblick, dann trat er einen Schritt vor, um die Straße zu überqueren. In dem Moment fiel ein Schuss und er sackte nach vorne zusammen. Ein paar Sekunden später tauchten Soldaten aus dem Dunkeln auf und reihten sich um den Verletzten, der sich am Straßenrand liegend vor Schmerzen krümmte. Einer der Uniformierten zog die Pistole und schoss ihm in den Kopf. Der Mann am Boden zuckte noch einmal, dann rührte er sich nicht mehr.
Hans war vor Schock wie gelähmt. Er traute seinen Augen nicht. Im schwachen Licht der Straßenlaterne konnte er die Uniformen der SS-Soldaten erkennen. Ihre Gesichter blieben im Schatten der Stahlhelme verborgen. Zwischen dem Schützen und seinem Nebenmann entbrannte eine kurze Diskussion. Offenbar ging es um den letzten Schuss. Hans konnte nur die Antwort verstehen. »Das war nur ein Jude. Die werden doch sowieso alle umgebracht.«
»Hey Hans, träumst du?«, vernahm er eine Stimme zwischen dem Dröhnen der Motoren. Er spürte eine Hand auf seiner rechten Schulter und ein leichtes Rütteln holte ihn aus dem Schlaf in die Wirklichkeit zurück. Dieter war aufgewacht.
»Jetzt geht‘s endlich los.« Dieter sprühte vor Begeisterung. »Wie lange haben wir auf diesen Tag hingearbeitet. Kannst du dich daran noch erinnern? Noch vor ein paar Jahren hätte niemand erwartet, dass wir in so kurzer Zeit einen solch großen Sprung nach vorne machen. Hans, wir haben es geschafft! Monatelang haben wir uns auf diesen Einsatz vorbereitet, alle haben eine wahnsinnige Leistung vollbracht und jetzt wird unsere Mühe belohnt. Bist du darauf nicht stolz?« Dieter sah ihn erwartungsvoll an. Den fehlenden Schlaf hatte er wohl nachgeholt.
Hans verzog seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. Dieter hatte ja Recht. Ihnen waren bedeutende Durchbrüche in der Raketentechnologie gelungen. Ihre Hauptaufgabe bestand in der Entwicklung des Aggregats 4, auch wenn in den letzten zehn Monaten darauf aufbauend eine Weiterentwicklung dieser zu einer zweistufigen Interkontinentalrakete in den Fokus gerückt war. Trotzdem teilte er Dieters Euphorie nicht in gleichem Maße. Auch wenn er ebenfalls sehr in seiner Aufgabe aufging, so plagten ihn in der letzten Zeit doch vermehrt Zweifel. Nicht an der Arbeit an sich, sondern daran, dass die Ergebnisse und Erfolge ihrer Mühen keiner friedlichen Verwendung zugeführt wurden.
»Mach doch nicht so ein Gesicht, Hans. Auf unserem Gebiet sind wir anderen Nationen um Jahre voraus. Du kannst wirklich stolz sein auf das, was wir erreicht haben.« Dieter boxte ihm leicht an den Oberarm. »Alles klar?«
Ein lautes Knacken war aus der Bordsprechanlage zu hören und der Pilot meldete sich. »Wir überfliegen gleich die französische Grenze.«
Hans drehte sich wieder zum Fenster, blickte nach unten und sah einen breiten Fluss, dessen Wasser im Schein der Sonne glitzerte.
Das ist der Rhein. Gleich verlasse ich zum ersten Mal Deutschland, dachte er und bekam erneut das mulmige Gefühl im Magen. Er musste unweigerlich an Elisabeth denken. An seine Kinder. An den Krieg und all das Leid, das er mit sich gebracht hatte. An die vielen Toten und Verletzten. An seine Arbeit, deren Ergebnis nun zu seinem ersten Einsatz kommen sollte. An seine Arbeit, deren Ergebnis jetzt den Krieg zugunsten Deutschlands entscheiden sollte.
London, Mittwoch, 31. Mai 1944, 09:35 Uhr
»Meine Herren! Lassen sie uns beginnen.«
Winston Churchill saß auf seinem Stuhl am Kopf des Tisches. An der Wand hing eine Uhr, deren schwarze Zeiger auf dem weißen Ziffernblatt zeigten, dass der angesetzte Beginn der Besprechung bereits überschritten war. Die Anwesenden setzten sich auf ihre Plätze.
Es klopfte, die Tür wurde geöffnet und David Petrie, gefolgt von seinem Assistenten Frank, betrat den Raum. Er nickte dem britischen Premier zu. »Mr Churchill, meine Herren. Bitte entschuldigen Sie die Verspätung.« Er ließ seinen Blick kurz durch den Raum schweifen und erfasste die anwesenden Personen. Dann ging er zu einem freien Stuhl und setzte sich. Frank folgte ihm und nahm neben ihm Platz.
Eine nervöse Spannung lag in der Luft. Es war warm und stickig und der Geruch von kaltem Rauch stieg den Männern in die Nase.
»Meine Herren«, begann der Premierminister. »Ich habe das heutige Treffen kurzfristig angesetzt, um mit ihnen über eine Situation zu sprechen, die aus Sicht der amerikanischen Regierung von höchster Bedeutung ist und auf die mich Roosevelt persönlich angesprochen hat. Eine Angelegenheit, die große Auswirkungen auf unsere Allianz haben und somit auch einen entscheidenden Einfluss auf den weiteren Kriegsverlauf gegen Deutschland mit sich bringen kann.«
Mit einer kurzen Pause unterstrich er seine Worte.
»Es ist uns gelungen, in der letzten Zeit Funksprüche aufzufangen und zu entschlüsseln, die unsere bisherigen Befürchtungen über neue Geheimwaffen der Deutschen bestätigt haben. Darüber hinaus sind uns Informationen zu Waffensystemen zugespielt worden, von deren Existenz wir bisher nur sehr wenig wussten. Wir können somit auch nicht sagen, inwieweit diese zutreffen und eine Gefahr für uns darstellen.« Nach einer weiteren Pause fuhr er fort. »Mr David Petrie arbeitet als verantwortlicher Leiter des MI5 eng mit Mr Travis vom Bletchley Park zusammen. Er wird uns nun über den aktuellen Stand informieren.«
David war überrascht, dass Churchill ihm das Gespräch so schnell übergab. Er hatte mit etwas mehr Zeit bis zu seinem Auftritt gerechnet. Er räusperte sich, dann trat er vor die große Weltkarte und nahm den Zeigestock in die Hand. Er ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, die ihn erwartungsvoll anstarrten.
»Vor über zwei Jahren«, begann er, »haben wir erfahren, dass die Deutschen an einer neuen Waffe arbeiten. Dabei handelt es sich um unbemannte Raketen, deren Entwicklung im Wesentlichen auf der Halbinsel Usedom in der Nähe von Peenemünde stattfindet.« Er drehte sich zur Karte und wies mit dem Zeigestock auf den Ort an der Ostsee. »Umfangreiche Recherchen und Aufklärungsarbeiten konnten dies bestätigen.«
Er ging auf die andere Seite der Karte und stand jetzt vor dem östlichen Teil Europas. Den Stock hielt er nach wie vor in seiner rechten Hand und ließ die Spitze wiederholt in seine Linke fallen, während er fortfuhr.
»Die Deutschen arbeiten in Peenemünde mit einer großen Zahl von Wissenschaftlern an dieser Technologie und wir nehmen an, dass sie sogar Kriegsgefangene zum Bau der Raketen einsetzen. Die uns vorliegenden Informationen deuten alle auf einen weit fortgeschrittenen Entwicklungsstand hin. Zudem haben wir aus Polen Überreste einer dort abgestürzten Rakete erhalten, was unsere Vermutungen bestätigte. Aus diesem Grund haben wir in der Nacht zum 18. August 1943 mit knapp 600 Maschinen einen ersten Luftangriff auf Peenemünde und die dortigen Einrichtungen geflogen.« Er blickte kurz zu Marshall Harris herüber, dann fuhr er fort. »Der Angriff selbst hat die Deutschen in ihrer Arbeit leider nicht sonderlich behindert, wie die Luftaufklärung ergeben hat.«
Er ging einen Schritt auf die Anwesenden zu.
»Innerhalb der letzten Monate wurden uns Dokumente und Unterlagen zugespielt, die technische Informationen und grobe Pläne der neuen Rakete zeigen. Da ihnen diese bekannt sein dürften, will ich die nur kurz in ein paar Punkten zusammenfassen. Sie kann einen Sprengsatz von 1600 Pfund über eine Entfernung von etwa 180 Meilen transportieren. Das bedeutet, dass London in ihrer Reichweite liegt. Im internen Sprachgebrauch der Nazis wird sie als Aggregat 4, kurz A4, bezeichnet. Auch wenn im letzten Jahr mehrfach in der deutschen Propaganda von einem bevorstehenden Einsatz neuer Geheimwaffen die Rede war, so ist der bis heute nicht erfolgt. Es ist aber unumstritten, dass die Raketen existieren und somit eine unmittelbare Gefahr für uns darstellen.«
Marshall Harris, der Oberkommandierende der britischen Luftstreitkräfte, rutschte auf seinem Stuhl in eine aufrechtere Position, dann warf er ein.
»Und das wollen Sie uns glauben machen? Angeblich tauchen immer wieder neue Informationen und Dokumente auf. Doch bis heute wurde noch keine Rakete eingesetzt. Wenn das so weitergeht, haben die Deutschen ihr Ziel, uns unter Druck zu setzen, erreicht. Und das, ohne eine einzige Geheimwaffe einzusetzen.«
David spürte, wie ihm das Gespräch aus der Hand glitt, bevor er überhaupt auf den wesentlichen Grund des heutigen Treffens zu sprechen gekommen war. Deshalb fuhr er mit einer klaren und deutlichen Stimme fort, ohne auf den Einwand von Harris weiter einzugehen.
»Nach einer ausgiebigen Prüfung aller uns vorliegenden Fakten sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass eine Bedrohung durch eine solche neue Waffe besteht und es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis diese eingesetzt wird. Sie haben übrigens alle die entsprechenden Auswertungen vor sich liegen.«
Einige der Anwesenden beugten sich nach vorne und blätterten raschelnd in den Unterlagen.
»Aber das ist nicht der Grund, weshalb wir heute hier zusammengekommen sind.« Er trat einen Schritt zurück und wartete ab, bis er sich der vollen Aufmerksamkeit aller sicher war. »Mittlerweile liegen uns neue Informationen vor, die besagen, dass die Deutschen eine noch größere Rakete entwickelt haben, die von Deutschland aus ...«, er drehte sich zu der Weltkarte um, legte die Spitze des Zeigestocks auf Berlin und fuhr dann fort: »... bis nach New York oder Washington fliegen kann.« Er fuhr mit dem Stock über den Atlantik und tippte auf die amerikanische Hauptstadt. »Und dass der Einsatz dieser Raketen unmittelbar bevorsteht. Diese rasen mit einer so hohen Geschwindigkeit auf uns zu, dass eine Abwehr durch Flugzeuge oder Artillerie ausgeschlossen ist. Wir würden also einem solchen Angriff absolut wehrlos gegenüberstehen.«
David konnte ein deutliches Erstaunen in den Gesichtern der Männer, selbst bei Churchill, erkennen.
»Und Sie glauben das wirklich?«
Marshall Arthur Harris, der Verantwortliche für die britischen Bombenangriffe auf die deutschen Städte und Industrieanlagen, meldete sich erneut zu Wort.
Die Anwesenden wandten sich ihm zu.
»Glauben Sie allen Ernstes, dass die Deutschen heute in der Lage sind, eine Rakete zu bauen und abzuschießen, die bis nach Amerika fliegen kann? Und das, obwohl bisher noch nicht eine Rakete an irgendeinem Kriegsschauplatz dieser Welt eingesetzt wurde?«
Er stand auf und ging zu der Weltkarte. Er legte einen Finger auf Deutschland und fuhr fort. »Von Berlin bis nach Washington sind es ...«, Harris stockte und überlegte kurz, dann fuhr er fort, »... annähernd 5500 Meilen.« Er ging an der Karte entlang und zeigte, wie Mr Petrie zuvor, auf die amerikanische Hauptstadt. Danach wandte er sich wieder den Anwesenden zu. »Wenn es solche Raketen wirklich gäbe, müssten die umfangreich getestet werden. Und dazu gehören auch Versuche über große Entfernungen. Dabei passieren Unfälle, die Geschosse steuern in falsche Richtungen, stürzen unerwartet ab und vieles mehr. So etwas lässt sich nicht komplett geheim halten.« Marshall Harris holte zweimal tief Luft, dann fuhr er fort: »Mich würde interessieren, wie weit unsere Entwicklungen auf diesem Gebiet sind. Könnten wir eine solche Waffe in Kürze zum Einsatz bringen? Wie realistisch sind solche Meldungen überhaupt?«
Harris wandte sich an Duncan Sandys, einen der Herren in Zivil.
Mr Sandys trug einen schwarzen Anzug mit einer dunklen Krawatte. Sein Haar wies auf der Stirn bereits Ansätze von Geheimratsecken auf, aber unabhängig davon war er mit seinen sechsunddreißig Jahren ein gut aussehender Mann und gleichzeitig Churchills Schwiegersohn. Als parlamentarischer Sekretär im Versorgungsministerium hatte er Zugriff auf eine große Zahl britischer Wissenschaftler und trug eine Mitverantwortung für die gesamte Forschung und Entwicklung der Waffensysteme. Als Kommandant eines Versuchsraketenregiments besaß er einerseits militärische Erfahrung und darüber hinaus das entsprechende Know-how in der Raketentechnik. Nach einer schweren Verwundung bei einem Autounfall vor drei Jahren kam er nach London und Churchill gab ihm einen Ministerposten in seiner Regierung. Seit dem letzten Jahr war er zudem Vorsitzender eines Ausschusses für die Verteidigung gegen Flieger und Raketen im Kriegskabinett. Sandys war auf Vorschlag der Stabschefs mit der Untersuchung der Raketengefahr beauftragt worden. Dass er seit Mitte der dreißiger Jahre Churchills Schwiegersohn war, hatte mit der Entscheidung nichts zu tun gehabt.
Sandys, der auf eine Stellungnahme vorbereitet war, zog ein Foto aus seinen Unterlagen und hob es hoch.
»Was sie hier sehen können, ist unsere am weitesten entwickelte Rakete. Sie hat bei weitem nicht die Ausmaße, wie wir sie bei der deutschen Rakete vermuten, ebenso nicht die Reichweite. Darüber hinaus haben wir nicht nur bei der Steuerung und dem Antrieb noch massive Probleme.« Er atmete tief aus. »Um es kurz zu machen. Es ist uns nach aktuellem Entwicklungsstand und den mir bekannten Schwierigkeiten in den nächsten Jahren nicht möglich, eine Rakete fertig zu stellen und zum Einsatz zu bringen, die den Atlantik überquert und dann noch das anvisierte Ziel treffen kann.«
Ohne den Anwesenden Zeit zu geben, auf die Ausführungen von Mr Sandys zu reagieren, übernahm David wieder das Gespräch. »Auch wenn unsere Entwicklungen hier bei Weitem nicht so vorangeschritten sind, so bin ich der Überzeugung, dass die aus Deutschland vorliegenden Informationen der Wahrheit entsprechen.«
Marshall Harris meldete sich erneut zu Wort. »Man kann also sagen, dass die Deutschen unserem Stand um ein Vielfaches voraus sind. Zumindest, wenn die Angaben stimmen.«
Mr Mc Douglas, der Vertreter der amerikanischen Regierung, rückte seinen Stuhl zurecht und zog so die Aufmerksamkeit der anderen auf sich.
»Premierminister, Marshall Harris, verehrte Herren«, begann er.
Marshall Harris wollte gerade mit seinen Ausführungen fortfahren, hielt dann aber doch inne.
»Als Vertreter der amerikanischen Regierung und im persönlichen Auftrag von Mr Roosevelt möchte ich hier noch einmal auf das Gefahrenpotenzial hinweisen, das von der Rakete der Deutschen ausgeht. Auch wenn Sie, Marshall Harris, an der möglichen Existenz einer solchen Waffe zweifeln, so ist meine Regierung sehr besorgt über diese Situation. Wir sind, nach eingehender Prüfung des uns vorliegenden Materials, wie Mr Petrie auch, zu der Überzeugung gekommen, dass hier eine neue, reale, absolut ernst zu nehmende Bedrohung vorliegt, die durchaus weitreichende Auswirkungen auf den zukünftigen Kriegsverlauf haben kann. Nach aktuellem Stand ist es wohl tatsächlich so, dass die Deutschen uns gegenüber auf diesem Gebiet einen großen Vorsprung haben. Einen Vorsprung, den wir auch bei größtem Einsatz in den nächsten Jahren nicht aufholen können.«
Er machte eine kurze Pause, und sofort fiel ihm Harris ins Wort.
»Mr Mc Douglas. Wie es aussieht, haben die Deutschen eine Rakete entwickelt, A4 heißt sie, wenn ich mich richtig entsinne, die in der Lage ist, London zu erreichen. Das scheint sicher zu sein, auch wenn sie bisher nicht eingesetzt wurde. Gut. Aber das würde eine Gefahr für unser Land darstellen. Jetzt wird von einer größeren Rakete gesprochen, die angeblich die Vereinigten Staaten bedroht. Wie kommen Sie an diese Informationen?«
»Seit einiger Zeit«, mischte sich nun auch Edward Travis, der Verantwortliche aus dem Bletchley Park in die Diskussion mit ein, »fangen wir in unregelmäßigen Abständen Funksprüche aus Deutschland auf. Darin wird von neuen, großen Raketen gesprochen, deren Einsatz unmittelbar bevorstehen soll. Wir wissen aber nicht, von wem sie stammen. Sie tragen keinen offiziellen Charakter, sind sehr kurz gehalten und nicht mit dem Enigmacode verschlüsselt, den die Deutschen nach wie vor für sicher halten. Und nutzen eine Verschlüsselung, wie wir sie heute in jedem Buch nachlesen können. Mir scheint es, dass uns jemand aus Deutschland Informationen zukommen lassen will. Und da derjenige keine Chiffriermaschine zur Verfügung hat, verwendet er einen einfachen Code, den er irgendeinem Lehrbuch entnommen hat, um wenigstens nicht in absoluter Klarschrift zu senden.«
»Wissen Sie denn, woher diese Funksprüche kommen?«, wollte General Spaatz, der Oberbefehlshaber der strategischen Luftstreitkräfte der Vereinigten Staaten in Europa, wissen.
»In den Mitteilungen gab es dazu nie eine Andeutung. Eine genaue Lokalisierung war schwierig, wir konnten lediglich feststellen, dass sie teilweise aus dem Großraum Berlin beziehungsweise dem Umfeld mit einem Radius von bis zu sechzig Meilen kamen.«
»Glauben Sie, dass es sich hierbei um einen Trick handeln könnte?«, fragte Churchill.
»Ausschließen können wir das natürlich nicht. Trotzdem würde ich die Chance, dass es sich um jemanden handelt, der vielleicht aus einer Widerstandsgruppe kommt und uns mit Informationen versorgt mit fünfzig Prozent einstufen«, gab David zurück.
»Gibt es denn schon irgendwelche brauchbaren Informationen, Fotos unserer Aufklärer oder etwas, was die Existenz solcher Raketen glaubhaft bestätigt?« Churchill richtete dabei seinen Blick auf General Francis, Chef der britischen Flugaufklärung.
»Wir haben in den letzten Monaten intensive Aufklärung betrieben, zum einen, um festzustellen, ob es überhaupt neue Spuren im Zusammenhang mit der feindlichen Raketenentwicklung gibt, zum anderen natürlich für die bevorstehende Invasion in Frankreich. Aufgefallen ist uns dabei aber nur eins. Speziell an der französischen Küste und einer Küstenlinie in Holland und Belgien haben die Deutschen in den letzten Monaten lange Rampen erstellt. Die sind in ihrer Ausrichtung fast alle auf die britische Insel, in der Masse auf den Großraum London ausgerichtet. Wir wissen noch nicht genau, was sie vorhaben, doch kann es sich dabei nicht um Anlagen für die neuen Raketen handeln, da die Rampen nach England zeigen. Soweit wir wissen, werden die großen Raketen senkrecht gestartet. Alle anderen Auswertungen haben nichts Neues erbracht. Wir haben natürlich seit einiger Zeit umfangreiche Maßnahmen ergriffen, um gegen einen möglichen Angriff gerüstet zu sein. Im Einzelnen sind dies eine weitere Ballonsperre an der Peripherie Londons, davor haben wir den bestehenden Flakgürtel verstärkt und dann haben wir ja noch unsere Jäger.«
Es klopfte an der Tür und Churchills Sekretär trat ein, in der Hand ein Stück Papier.
»Eine Nachricht für Mr Petrie«, sagte er knapp.
Churchill nickte, der Mann ging zu David und übergab ihm das Blatt. Im Raum war es absolut ruhig, während dieser die Nachricht las.
David sah auf. In seinem Gesicht lag ein Lächeln. »Meine Herren«, sagte er. »In ein paar Tagen kann ich ihnen alles über die neue Rakete der Deutschen erzählen. Alles, was sie wissen wollen.«