Kitabı oku: «Der Nagel», sayfa 5

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Lorient, Donnerstag, 1. Juni 1944, 8:10 Uhr

Das Gesicht des Mädchens war komplett von Ruß bedeckt. Wiederholt rieb sie sich in den Augen und verschmierte die schwarze Schicht. Tränenspuren auf beiden Wangen brachten den ganzen Schmerz zum Ausdruck, den sie hatte erfahren müssen. Kraftlos und mit vorgebeugtem Oberkörper saß sie auf dem Boden vor einem Ziegelhaufen und starrte Hans mit verquollenen Augen an. Hinter ihr stiegen noch immer dunkle Rauchschwaden aus den Trümmern auf und verdüsterten die Zukunft des Kindes, die noch nicht einmal richtig begonnen hatte. Ihr Körper zuckte mehrfach, als wolle er sich gegen den Qualm wehren, der mehr Giftstoffe als Sauerstoff enthielt. Ein Wimmern kämpfte sich aus der Kehle der Kleinen, immer und immer wieder.

Hans blieb stehen und sah ihr in die Augen. Der Rauch in der Luft stank erbärmlich und er spürte sofort die giftige Wirkung, die den Sauerstoff umklammerte und nicht mehr freigeben wollte. Er hustete und hielt sich die Hand schützend vor Mund und Nase. Er war wie gelähmt, wusste nicht, was er tun sollte. Sein Blick fiel auf die Hände des Mädchens. Ihre Finger klammerten sich krampfhaft an etwas fest. Er brauchte einen Moment, bis er erkannte, dass die roten Fingernägel nicht zu dem Kind gehörten. Sondern zu dem Arm, der aus dem Trümmerhaufen hinter ihr hervorschaute.

»Komm weiter, Hans«, tönte es von der Seite, aber er reagierte nicht. Bis ihn jemand am Ärmel packte und weiterzog.

»Das Kind«, stammelte er und stolperte über seine eigenen Füße.

»Komm aus dem Gestank raus.« Dieter zog ihn unaufhaltsam weiter und schon einige Meter weiter ließ der stechende Geruch nach.

»Die Mutter liegt ...« Hans war noch immer fassungslos, wandte sich um und sah zurück. Dunkler Rauch hatte jetzt die Stelle eingenommen, an der das Kind gesessen hatte. Er konnte es nicht mehr erkennen, der Rauch war zu dicht.

»Hans, wir können nichts tun. Komm jetzt, wir haben hier eine Aufgabe zu erfüllen.«

»Hast du das Mädchen nicht gesehen? Was soll denn aus ihr werden?«

»Wir können ihr nicht helfen.«

Hans blieb einen Moment fassungslos stehen, dann setzte er Dieter nach.

»Und wenn das dein Kind wäre?«

Jetzt blieb Dieter stehen. Hans schloss auf und sah seinem Freund ins Gesicht. Seine Augen waren gerötet und feucht.

Lag es am Rauch oder war es wegen des Mädchens? Hans wartete auf eine Reaktion. Dieter atmete tief ein und aus. Es vergingen noch ein paar Sekunden, ehe er antwortete.

»Wir sind schon spät dran«, wich er der Situation aus, dann folgte er dem Soldaten, der sie zum Hafen bringen sollte und bereits weit vor ihnen lief. Hans sah ihm nach und schüttelt nur den Kopf. Noch einmal drehte er sich um. Der Rauch hatte sich gelichtet, das Mädchen war verschwunden. Er suchte vergeblich die Umgebung ab. Nichts.

Unsicher wandte er sich um und folgte Dieter in Richtung Hafen.

Die Bunkeranlagen waren bereits von weitem zu erkennen.

Ein riesiger Klotz mit einer Länge von 170 Metern und einer Breite von bis zu 140 Metern erhob sich vor ihnen. Überall im Hafengebiet stiegen von Maschinen, Fahrzeugen und Schiffen Rauchwolken auf. Lastwagen fuhren umher. Sie brachten Ersatzteile und Lebensmittel zu den Bunkern, in denen die schmalen Bootskörper vor dem Auslaufen vollgestopft wurden. Wie in einem Ameisenhaufen wuselten Arbeiter und Soldaten umher.

Die Deutschen hatte sich viel Mühe gegeben, einen großen und autarken U-Boot-Stützpunkt in Lorient zu errichten. Die Infrastruktur war stark ausgebaut worden, Torpedo- und Treibstoffbunker existierten genauso wie eine starke Flak, die alles gegen die Luftangriffe der Alliierten verteidigen sollte.

Mit seinen sieben Boxen enthielt der 23.000 Quadratmeter große Bunker KEROMAN III Platz für dreizehn U-Boote. Er war im Januar 1943 fertig gestellt worden und der Einzige, der das Einlaufen der Boote in die Boxen ohne Aufschleppanlage ermöglichte. Die Boxen waren länger als die der beiden älteren Bunker KEROMAN I und II und somit auch für größere Boote geeignet.

Mit jedem Schritt baute sich die mächtige Bunkerwand weiter bedrohlich vor ihnen auf. Hans war überwältigt von der Größe des Bauwerks. Durch seine wachsende Bewunderung und das vielfältige Treiben vergaß er sogar die Zerstörungen, die er vorhin gesehen hatte. Und verdrängte das Erlebnis mit dem Mädchen.

Kurze Zeit später erreichten sie den Bunkerbereich und folgten dem Schild KEROMAN III Eingang. Eine leichte Brise wehte durch den Hafen, aber erst jetzt bemerkte Hans den Geruch der feuchten, salzhaltigen Meeresluft in der Nase. Erinnerungen an Peenemünde wurden wach. Durch die Nähe zur Ostsee begleitete ihn der typische Meeresgeruch dort bei seiner täglichen Arbeit und er genoss dies ungemein.

Sie betraten den Bunker und die Meeresbrise schlug sofort um in eine Mischung aus Benzingeruch, Schmierstoffe, Gestank von Schweißarbeiten und den Ausdünstungen verschwitzter Körper. Hans rümpfte die Nase.

»Puh, das stinkt ja gewaltig.«

»Wenn man erst mal eine Zeit lang drin ist, gewöhnt man sich daran. Hier geht‘s lang.« Der Soldat deutete mit einer Handbewegung die Richtung und führte sie weiter in das Innere der Anlage.

Der Bunker KEROMAN III hatte in der Mitte eine große Box, die für drei U-Boote ausgelegt war. Sie war komplett für diesen Sonderauftrag reserviert worden. Seit Tagen liefen die Vorbereitungen.

Hans und Dieter waren verantwortlich dafür, dass die auszuführenden Arbeiten den termingerechten Einsatz sicherstellten. Bereits vor einer Woche war ein Trupp ihrer Mitarbeiter nach Lorient geflogen, um alles vorzubereiten. Eine weitere Woche früher war die für diesen Einsatz vorgesehene A4-Rakete verladen und per Eisenbahn auf den Weg nach Frankreich gebracht worden. Die starken Luftangriffe der vergangenen Monate hatten viele der Bahnstrecken und Straßen zerstört. Für die letzten Kilometer nach Lorient musste die Rakete auf Lastwagen verladen werden, da die Eisenbahnlinie kurzfristig nicht mehr repariert werden konnte. Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen hatte sie aber noch rechtzeitig den Hafen erreicht, sodass der eng gesetzte Terminplan bisher gehalten wurde.

Die Luft im hinteren Teil des Bunkers war wirklich schlecht. Was durch die großen Öffnungen am gegenüberliegenden Ende hereinströmte, reichte nicht aus, um gegen den vorherrschenden Mief anzukommen.

Sie gingen an drei Boxen vorbei, die mit U-Booten belegt waren. Von den Seitenwänden strahlten starke Scheinwerfer die stählernen Körper an, doch das dunkle Grau des Metalls, das Schwarz des Wassers und die Betonwände schluckten einen Großteil des Lichts. Vor den hellen Bunkeröffnungen in 140 Metern Entfernung hoben sich die Bootstürme gespenstisch in die Höhe. Überall wurde intensiv gearbeitet, auf mehreren Arbeitsbühnen standen Arbeiter, die die teilweise stark beschädigten Boote reparierten. Zu Hans Überraschung hatten einige der Männer für die Schweißarbeiten nicht einmal Schutzbrillen angezogen. Stimmen und Befehle versuchten, sich über die vielfältigen Arbeitsgeräusche hinwegzusetzen. An jeder Ecke standen SS-Soldaten, die die Anwesenden im Auge behielten.

Die vierte Box war ihre. Sie war deutlich breiter, der Platz für die U-Boote war hier mit fast einhundert Metern aber nur geringfügig länger, als in den anderen.

»Höchste Zeit, dass ihr kommt.«

Oberingenieur Fritz kam ihnen entgegen. Er trug einen verdreckten Blaumann und dicke Schuhe mit glänzenden Stahlkappen. Sein Gesicht war verschmiert, die Augen zierten dunkle Ränder. Mit einer kurzen, ruckartigen Bewegung des Kopfs beförderte er eine lange Haarsträhne nach hinten und klemmte sie mit der Hand hinter sein rechtes Ohr. Er war ein begnadeter Wissenschaftler und Ingenieur, der sein Leben ganz der Arbeit gewidmet hatte. Obwohl er etwas schmächtig gebaut war, konnte er gut zupacken und scheute sich nicht vor körperlichem Einsatz. Er liebte es gleichermaßen, im Büro am Konstruktionsbrett zu sitzen wie auch in der Produktion mit anzupacken, wenn es darum ging, vorhandenen Schwierigkeiten bei der Fertigung auf den Grund zu gehen.

Er schüttelte beiden die Hand.

»Es gibt Probleme«, kam er direkt auf den Punkt. »Einige der Steckverbindungen passen nicht, mehrere Leitungen sind zu kurz und können nicht an die Steuertafel angeschlossen werden. Darüber hinaus hängt überall die SS rum und meint alles überwachen zu müssen. Das nervt gewaltig.«

»Wie kann das sein? Die Stecker und Kabel wurden doch schon unzählige Mal getestet?«

»Ja, bei dem VIIC, weniger bei dem XXI.«

»XXI, ich dachte, die sind noch gar nicht einsatzbereit? Für den Einsatz war doch immer das VIIC vorgesehen.« Hans war überrascht.

»Wir haben es auch erst gestern Nachmittag erfahren und am Abend war es dann schon da. Der Führer hat kurzfristig angeordnet, dass wir mit dem neuen XXI fahren sollen. Also musste das von uns vorbereitete Boot raus aus dem Bunker und dafür kam U-2500. Alles so geheim, dass es keinerlei Informationen zu dem Bootswechsel gab. Zum Glück wurde die Mannschaft auf beiden U-Boot-Typen trainiert, sodass wir damit keine Probleme haben. Nur das mit den Steckverbindungen ist verdammt ärgerlich. Ich habe schon neue Stecker angefordert, nur ob wir die noch rechtzeitig bekommen, konnte mir natürlich keiner sagen. Ansonsten prüfen wir gerade die Kontrolltafeln, in der Hoffnung, dass das Problem nur bei den Steckern liegt. Mittlerweile spricht man schon von Sabotage. Deshalb rennt hier auch so viel SS rum.«

»Wie sieht es mit der Rakete aus?«

»Das Baby ist in Ordnung, haben wir schon durchgecheckt. Es wird morgen auf den Hänger verladen. Der flüssige Sauerstoff und der Äthylalkohol sind auch eingetroffen. Aus Sicherheitsgründen aber noch in getrennten Bunkern untergebracht. Ansonsten läuft alles nach Plan.«

Sie standen auf einer kleinen Plattform. Vor Ihnen erstreckte sich die Box, in der eine große Zahl von Männern mit den Vorbereitungen für den Einsatz beschäftigt waren. Rechts war das neue U-Boot U-2500 festgemacht. Der lange, schlanke Bootskörper mit dem schnittigen Turm hinterließ gegenüber dem älteren Typ VIIC einen modernen und fortschrittlichen Eindruck. Das Boot hatte eine Länge von fünfundsiebzig Metern und war aus insgesamt acht Sektionen zusammengebaut worden. Diese wurden auf verschiedenen Werften in Deutschland gefertigt und anschließend zusammengesetzt. Die Entwicklung dieser neuartigen Boote war notwendig geworden, nachdem die Alliierten die U-Boot-Jagd immer effektiver gestalteten und mit neu entwickelter Technik wie Radar und Unterwasserortungsgeräten ihrem Gegner das Leben schwer machten. Seit etwa einem Jahr waren aus den Jägern endgültig die Gejagten geworden und die Verluste sprunghaft in die Höhe geschnellt, während die Versenkungsziffern immer weiter zurückgegangen waren. Mit diesem neuen Typ war eine wesentlich schnellere und längere Unterwasserfahrt möglich, was die Deutschen in die Lage versetzte, auch unter Wasser die Verfolgung eines Geleitzugs aufzunehmen, ihren Jägern zu entkommen und ungefährdeter die U-Boot-Basen an der Atlantikküste anzufahren.

Hans Blick wanderte nach links zu der schwimmenden Abschussrampe für das A4, die von den Männern einfach nur »Hänger« genannt wurde. Dieser Transport- und Verschussbehälter hatte eine Länge von siebenunddreißig und einen Durchmesser von fünfeinhalb Metern und die enorme Wasserverdrängung von 500 Tonnen. Im Schlepp von U-2500 rechnete man mit einer möglichen Geschwindigkeit von zwölf Seemeilen. Der Hänger war in der Stettiner Vulcanwerft erbaut worden.

Die Idee, dass ein U-Boot tauchfähige Schwimmkörper ziehen konnte, entstand im letzten Jahr und bald darauf ergab sich die Frage, ob es auch möglich sei, das A4 von See her zu verschießen. Eilig wurde das Projekt Schwimmweste aus dem Boden gestampft. Tests in der Ostsee zeigten nur befriedigende Ergebnisse und auch hier lief den Deutschen die Zeit davon. Trotz mehrfacher Überarbeitung des Schwimmkörpers und der Abschussvorrichtung war das Vorhaben noch nicht vollends einsatzreif, als der Befehl des Führers zu diesem Sonderauftrag eintraf.

Die Rakete war im vorderen Teil untergebracht, ebenso die großen Tanks für die flüssigen Treibstoffe. Der Hänger war mit dem Boot durch starke Stahltrossen verbunden, über armdicke, wasserdichte Schläuche wurden die Verbindungen für die Technik hergestellt, die in einer eigenen Steuerwand im ziehenden U-Boot endeten. Diese Anschlüsse wurden aber erst kurz vor dem Abschuss zusammengesteckt, lediglich das Kabel, das für die Steuerung des Hängers benötigt wurde, blieb natürlich ständig mit diesem verbunden.

Sie gingen in eine kleine, zur Bunkerinnenseite verglaste Kabine an der Betonwand. Hier waren ein Schreibtisch und vier Stühle untergebracht, an der Wand präsentierten mehrere offene Schränke eine große Zahl von Ordnerrücken. Auf dem Tisch lagen Pläne eines U-Boots ausgebreitet, neben Detailzeichnungen und Schaltplänen des Hängers.

»Wir prüfen gerade folgende Steckverbindungen.« Fritz beugte sich über die Zeichnungen und wies mit dem Finger auf die entsprechenden Stellen. »Hier, hier und hier. Es ist wichtig, dass keine Probleme auftreten. Wir nehmen jedes einzelne Kabel noch einmal unter die Lupe. Ich habe Anweisung gegeben, dass wir die vorhandenen Stecker des VIIC selbst umbauen auf das XXI. Für den Fall, dass das Werk uns die Richtigen nicht mehr rechtzeitig liefert«, erklärte Fritz den aktuellen Stand. »Ich kann mir das nicht erklären. Fast die Hälfte der Kontakte ist betroffen.«

»Gut gemacht.« Hans stellte die Aktentasche auf einen Stuhl und lehnte sich über den Tisch. Mit beiden Händen stützte er seinen Oberkörper ab. »Wir dürfen uns nicht auf das Werk verlassen. Die Männer sollen alles kontrollieren. Ich will absolut sichergehen. Wie lange wird es noch dauern, bis wir sämtliche Leitungen geprüft und alle falschen Steckverbindungen umgebaut haben?«

»Wenn wir keine weiteren Überraschungen erleben, könnten wir es bis Mitternacht schaffen. Und wenn uns die SS durch ihre Untersuchungen und ständigen Befragungen nicht noch mehr von der Arbeit abhält.«

»Gut. Wenn du irgendetwas brauchst, melde dich rechtzeitig. Wir müssen morgen Mittag Einsatzbereitschaft melden. Also haltet euch ran.«

»Ich werde mir das Ganze gleich mal anschauen«, sagte Dieter. Er nickte Fritz zu.

In dem Moment wurde die Tür geöffnet. Ein Mann im langen Mantel, flankiert von zwei SS-Soldaten in Uniform, betrat unaufgefordert den kleinen Raum.

Fritz beachtete sie nicht. Er packte den großen Schaltplan, rollte ihn zusammen und drückte sich dann an den SS-Männern vorbei nach draußen. Dieter folgte ihm.

»Würden Sie sich bitte ausweisen?«

Ohne eine Regung im Gesicht beobachtete der Mann, wie Hans seinen Pass aus der Jackentasche kramte. Er warf einen Blick darauf, dann gab er ihn an einen der Uniformierten weiter, der den Namen mit seiner Liste verglich.

»Ich bin hier der leitende Ingenieur und verantwortlich für die Einsatzbereitschaft des Boots und der A4-Rakete.«

»Wie erklären Sie sich, dass die Steckverbindungen nicht passen?«, entgegnete der Zivilist, ohne auf Hans Bemerkung einzugehen.

»Ich bin gerade erst darüber informiert worden. Meine Männer sind dabei, diese zu überprüfen und anzupassen.«

Der Mann fixierte Hans. Unentwegt starrte er ihn an, selbst beim Sprechen zeigten seine Augen keine Regung. Er ließ sich Zeit mit seiner nächsten Frage.

»Gibt es jemand unter ihren Männern, dessen Loyalität zu Führer und Vaterland vielleicht etwas weniger stark ausgeprägt ist?«

Hans zögerte, eine leichte Nervosität ergriff ihn.

»Meine Männer sind die besten Ingenieure und Wissenschaftler, die Deutschland zu bieten hat. Sie alle stehen voll hinter ihrer Aufgabe und setzen sich mit ihrer ganzen Kraft dafür ein, dass die Einsatzbereitschaft des Boots fristgerecht gewährleistet ist.«

Hans Puls stieg an. Seine innere Spannung wuchs, ebenso die Nervosität. Er dachte an Fritz Worte und ergänzte mit fester Stimme: »Und jetzt lassen Sie uns bitte unsere Arbeit machen oder wollen Sie dafür verantwortlich sein, wenn wir die Termine nicht einhalten können?«

Lorient, Freitag, 2. Juni 1944, 17:25 Uhr

Der Raum war erfüllt von den Gesprächen der Mannschaft und der Wissenschaftler. Die Männer waren frisch geduscht und eingekleidet, der Dreck der harten Arbeit der letzten Tage war weggewischt. Nun wuchs die Spannung. Bis auf den Kapitän wusste niemand, in welche Richtung sie dieser Sondereinsatz bringen würde. Das endgültige Ziel der A4-Rakete kannte aber selbst der Kommandant noch nicht. Die Zielkoordinaten und der geheime Einsatzbefehl lagen in einem verschlossenen Umschlag, der erst auf See und nach einem vereinbarten Funkspruch aus dem Führerhauptquartier geöffnet werden durfte.

Für Hans hatte dieses Projekt im Dezember 1943 begonnen. Es war genau eine Woche vor Weihnachten gewesen, als Dieter und er zu Wernher von Braun gerufen wurden. Von Braun eröffnete ihnen, dass sie für den nächsten Tag zusammen mit Walter Dornberger nach Berlin beordert waren. Für dreizehn Uhr war eine Besprechung bei Heinrich Himmler angesetzt und die klaren Anweisungen aus der Reichshauptstadt ließen keinen Zweifel an der Brisanz des Termins aufkommen.

Was mochte jetzt wohl auf sie zukommen? In einer Woche war Weihnachten, bereits das Fünfte in diesem Krieg. Hans dachte an seine Kinder und Elisabeth und freute sich auf ein paar Tage mit ihnen. Er hatte viele Fragen beantworten müssen, um die Woche nach den Feiertagen freizubekommen. Es wurde immer schwieriger, Urlaub zu machen. Der Krieg forderte mehr und mehr von jedem Einzelnen und die eng gesetzten Termine waren, wenn überhaupt, nur unter maximalem Einsatz aller zu halten.

In Berlin wartete bereits ein Wagen auf sie, der sie in die Prinz-Albrecht-Straße brachte.

Der Eindruck, den die Hauptstadt machte, hatte nicht mehr das Geringste mit dem zu tun, was sie einmal gewesen war. Eine blühende Stadt, in der das Leben pulsierte. In der sich eine Vielzahl Straßencafés durch die belebten Straßen zogen und Anziehungspunkt der Berliner und ihrer ausländischen Gäste waren. Abends versuchten viele Leuchtreklamen, die Menschen in ihren Bann zu ziehen und zum Besuch eines der angesehenen Theater oder in ein Varieté zu locken. Die Stadt war überzogen gewesen von Hakenkreuzfahnen, die an allen wichtigen Gebäuden und Einrichtungen hingen und rein farblich gesehen, in Kombination mit Bäumen und Grünbereichen deutliche Akzente setzten.

Hans Blick fiel auf eine lange Reihe zerstörter Wohngebäude. Der Luftangriff im vergangenen November war einer der schwersten bisher und Hans war erst beruhigt gewesen, als er mit seiner Mutter telefoniert und erfahren hatte, dass sie unversehrt davongekommen war.

In der Prinz-Albrecht-Straße angekommen, zwängten sie sich aus dem Wagen. Eine Ordonnanz von Himmler wartete am Eingang, führte sie in einen kleinen Raum und bat sie zu warten. In einer Ecke stand eine Kaffeekanne mit frisch gebrühtem Kaffee, mehreren Tassen und einem Kännchen Milch. Der Kaffeeduft erfüllte den gesamten Raum. Hans hatte bereits seine zweite Tasse zu sich genommen, als sich auf der gegenüberliegenden Seite eine Tür öffnete.

»Der Reichsführer lässt bitten«, forderte sie ein Mitarbeiter Himmlers auf. Dem verantwortlichen Leiter Walter Dornberger und dem Technischen Direktor Wernher von Braun folgend, betrat Hans vor Dieter das Zimmer. Himmler saß an seinem Schreibtisch und kam nach einer kurzen Begrüßung auch schnell auf den eigentlichen Grund ihres Treffens.

Er berichtete von der großen Enttäuschung des Führers, der bereits im Sommer den Bau der A10-Rakete befohlen hatte und feststellen musste, dass die Entwicklung weit hinter den geforderten Terminen herhinkte. Natürlich wich Hitler keinen Zentimeter von seiner Forderung ab und der Befehl galt weiterhin, trotzdem musste eine Alternative ins Auge gefasst werden, derer er sich nun annahm. Dann hatte er ihnen eröffnet, durch einen massiven Einsatz der A4-Raketen im kommenden Jahr dem Krieg die entscheidende Wende geben zu wollen. Aus diesem Grund hatte er mit höchster Dringlichkeit die zusätzliche Realisierung der Abschussmöglichkeit auch von See her gefordert und Hans und Dieter dafür die Verantwortung übertragen. Gerade der Verschuss von See her würde ihnen die Option geben, mit einem Täuschungsmanöver die Amerikaner glauben zu lassen, dass die neuen Interkontinentalraketen doch fertig geworden waren. Unabhängig davon sollte die bereits laufende Entwicklung an der A10-Rakete intensiviert werden. Dabei verwies er erneut darauf, dass sie im vergangenen Sommer in der Wolfsschanze für das Projekt die höchste Dringlichkeit erhalten hatten und der Führer bald Resultate sehen wolle. Trotz der vielen Rückschläge befahl er den ersten Testflug der Interkontinentalrakete noch für das Jahr 1944. Auch dafür waren Hans und Dieter verantwortlich. Wie sollen wir denn das alles schaffen? ging es Hans durch den Kopf.

Die Wissenschaftler protestierten energisch, doch Himmler ließ keinen Widerspruch zu. Er wischte die Argumente beiseite und verwies wiederholt auf den Führer. Sie wüssten bereits seit Sommer Bescheid und arbeiteten somit seit einem halben Jahr an der Umsetzung und er sähe keinen Grund, warum dann ein Termin in 1944 nicht realisierbar sein sollte. Er versprach die kurzfristige Bereitstellung weiterer Arbeitskräfte und seinen gesamten Machtapparat einzusetzen, damit sie die maximale Unterstützung bekommen würden.

Obwohl Hans und Dieter mit ihrer Gruppe seit dem erfolgreichen Erstflug eines A4 im Oktober 1942 an der Entwicklung einer zweistufigen Interkontinentalrakete arbeiteten, stellte dieses Projekt doch alles bisher da gewesene bei Weitem in den Schatten. Eine Rakete zu starten, die sich bis zu fünfundachtzig Kilometer in die Atmosphäre schraubte, und eine Reichweite von annähernd dreihundert Kilometern aufwies, war schon eine ungeheure Leistung. Die Forderung, in einer so kurzen Zeit eine interkontinentale Rakete zu entwickeln, die bis nach Amerika fliegen konnte, also eine Entfernung von über 7000 Kilometer überbrücken musste, war der absolute Wahnsinn. Dagegen stellte sich die Anweisung, den Verschuss einer A4-Rakete von See her zu ermöglichen, fast schon als Kleinigkeit dar.

Himmler hielt Wort.

Bereits Mitte Januar 1944 trafen weitere Ingenieure in Peenemünde ein die, so gut es ging, auf die vorhandenen Gebäude verteilt wurden. Dies erschwerte die bisherigen Entwicklungen, denn ihre Einarbeitung und Integration in die laufenden Projekte erforderte einen ungeheuren zusätzlichen Aufwand. In mehreren Sonderzügen kamen unzählige Kriegsgefangene, die sofort zum Bau von Wohn- und Arbeitsgebäuden herangezogen wurden. Gleichzeitig erhöhte die SS ihre Präsenz und mischte sich verstärkt in das Leben und die Arbeit in Peenemünde ein.

Das Ergebnis der Entwicklung eines Schwimmkörpers für den Transport und den Verschuss von See aus schwamm nun im Bunker KEROMAN III neben U-2500 und würde heute Nacht zu seinem Einsatz aufbrechen. Daneben lag eine weitere geheime Neuentwicklung. Das erste der neuen, großen Elektro-U-Boote, das den Schwimmkörper zu dem noch unbekannten Einsatzort bringen sollte. War dies nun der Auftakt zu dem schon lange propagierten und bevorstehenden Endsieg?

Die Mannschaft von U-2500 setzte sich aus Elitesoldaten der deutschen U-Boot-Waffe zusammen. Sie waren nach genau vorgegebenen, strengen Regeln ausgesucht und in den letzten Monaten intensiv ausgebildet worden. Eine Ausbildung, die neben dem alten U-Boot-Typ VIIC auch eine umfangreiche Vorbereitung auf dem neuen Typ XXI beinhaltet hatte.

Endlich war es so weit. Der Einsatz stand unmittelbar bevor und nun konnten auch sie ihren Beitrag zum deutschen Sieg leisten.

Der Saal lag im Erdgeschoss des Kasernengebäudes. Auf langen, dunklen Holzdielen waren einfache Stühle aneinandergereiht worden. Vorne hatte man ein Rednerpult aufgestellt und an die Wand eine riesige Hakenkreuzfahne gehängt. Rechts daneben hing ein gemaltes Porträt von Hitler. Die Fenster waren durch schwere Vorhänge verdeckt, der Raum selbst wurde von den Lampen an der Decke nur unzureichend beleuchtet. Im vorderen Bereich hingen drei provisorisch angebrachte Strahler, die auf die Fahne, das Bild des Führers und das Rednerpult ausgerichtet waren.

Hans hatte gegen vierzehn Uhr die Einsatzbereitschaft des Boots und des Hängers gemeldet. Sie hatten es geschafft, noch in der Nacht alle Umbaumaßnahmen abzuschließen. Am Vormittag war dann eine letzte Gesamtprüfung der technischen Anlage erfolgreich absolviert worden. Obwohl die neuen Stecker noch geliefert wurden, hatten sie sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie auszupacken und zu prüfen. Sie wollten kein Risiko mehr eingehen. Das System funktionierte und das Boot war einsatzbereit. Nur das zählte jetzt.

Hans saß neben seinem Freund. Nervosität und eine innere Spannung hatten von ihm Besitz ergriffen. Unter den Augen hatte er dunkle Ränder, die ihn älter erschienen ließen. Allerlei Gedanken kreisten ihm durch den Kopf. Elisabeth, die Kinder, das Haus in Berlin, in dem er aufgewachsen war, seine Mutter und in einer leichten Unschärfe auch sein Vater, der ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte. Dann sah er sich als Jugendlicher, auf dem Friedhof stehend, vor einem mit Blumen geschmückten Grab. Es war das seines Vaters.

»Achtung!«

Auf einen Schlag verstummten die Gespräche. Für eine Sekunde waren lautes Poltern und das Rutschen von Stühlen auf dem Holzboden zu hören, dann war es still im Raum. Die U-Boot-Männer standen regungslos in wie mit dem Lineal gezogenen Reihen. Auch die Wissenschaftler waren von ihren Stühlen aufgesprungen, nur konnte bei Ihnen nicht von geraden Linien gesprochen werden.

Zwei Marinesoldaten betraten den Raum und stellten sich zu beiden Seiten der Eingangstür auf. Es war totenstill. Durch den Eingang drang das Geräusch von sich nähernden Stiefelschritten. Dann erschien ein mittelgroßer Mann. Er blieb einen Moment im Schatten des Türbogens stehen und die Soldaten neben der Tür nahmen Haltung an. Sein dunkler Mantel schluckte die diesige Beleuchtung fast komplett, sodass die Person selbst kaum zu erkennen war. Doch das Licht reichte aus, um von den Abzeichen und Emblemen der Uniform in einer gespenstischen Weise reflektiert zu werden. Über allem thronte der goldfarbene Reichsadler, darunter das Eichenlaub und die doppelreihigen Lorbeerblätter. Rechts und links leuchteten die Schulterstücke. Der Reverskragen war gerade noch als dunkelblau auszumachen, zu beiden Seiten zierten jeweils vier goldene, übereinander angebrachte Knöpfe die Mantelvorderseite. Am unteren Ende der Ärmel zeugten, für jeden sichtbar, ein breiter und vier schmale Ärmelstreifen mit einem darüber liegenden Stern mit fünf Spitzen von dem hohen Rang, den der Besucher innehatte. Zu guter Letzt war noch ein Teil des goldenen Griffs des Marschallstabs zu erkennen, den er in der rechten Hand trug.

Dönitz ging durch den Saal, der jeden einzelnen seiner Schritte zu verstärken schien. Als er auf Höhe der ersten Reihe angekommen war, trat der Kapitänleutnant vor und legte den rechten Arm an die Mütze.

»Herr Großadmiral. Ich melde die Mannschaft von U-2500 vollzählig angetreten.«

»Danke, Herr Kapitänleutnant«, erwiderte Dönitz und gab ihm die Hand. Dann ging er zum Rednerpult. Die Marineoffiziere, die ihm gefolgt waren, stellten sich versetzt hinter ihn. Sein Mantel war mit kleinen Wassertropfen übersät. Wie es aussah, hatte es draußen zu regnen begonnen.

Dönitz legte die Mütze auf das Pult, dann ließ er seinen Blick über die im Raum versammelten Männer wandern. Hans erschien es, als würde er jeden Einzelnen mustern. Er nahm sich Zeit, dann nickte er und die Männer setzten sich auf ihre Stühle.

Hans war gespannt, aufgeregt und stolz zugleich. Ein Gefühl, das sich immer bei ihm einstellte, wenn er hochgestellte Persönlichkeiten des Reichs traf.

Dönitz hatte das Amt des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine 1943 von Großadmiral Raeder übernommen. Er hatte auf einer kleinen Insel, ganz in der Nähe der KEROMAN Bunker, eines seiner Hauptquartiere mit dem Codenamen Berlin, das er gelegentlich nutzte.

»Männer der deutschen U-Boot-Waffe, deutsche Wissenschaftler und Ingenieure«, begann er. »Als wir im Jahre 1939 den Kampf gegen die Westmächte aufgenommen haben, sind wir mit einer kleinen und beschaulichen U-Boot-Flotte in den Krieg gezogen. Und trotzdem hatte sie damals schon beachtliche Erfolge aufzuweisen. Der Ausbau der U-Boot-Waffe führte dazu, dass wir im letzten Jahr die höchsten Versenkungsziffern innerhalb eines Monats erreicht haben.« Er machte eine kurze Pause, um die Wirkung seiner Worte zu unterstreichen. »Aus dem Krieg, der gegen England und Frankreich begann und mit einem glorreichen Sieg über Frankreich fortgesetzt wurde, ist ein globaler Kampf geworden. Unsere Flotte, allen voran die U-Boote, kämpft heute auf vielen Ozeanen gegen Gegner, die versuchen, Deutschland niederzuringen. Doch dazu wird es nicht kommen. Man muss aber zugeben, auch unsere Feinde haben dazugelernt und neue Abwehrmaßnahmen entwickelt.«

Damit spielt er sicher auf die vielen Misserfolge und Verluste der letzten zwölf Monate an, ging es Hans durch den Kopf.

»So sahen wir uns wiederum gezwungen, neue, schlagkräftigere Boote zu entwickeln, die vor allem in ihren Antriebsmöglichkeiten und der Geschwindigkeit wesentliche Verbesserungen aufweisen. Und wieder haben die Ingenieure eine hervorragende Arbeit geleistet. Mit den neuen Booten werden wir unseren Gegnern zeigen, mit wem sie es hier und heute zu tun haben. Mit ihnen ist auch in getauchtem Zustand die Verfolgung eines Geleitzugs problemlos möglich. Darüber hinaus wurde die Tauchzeit deutlich erhöht. Diese Waffe wird uns die Schlagkraft und Überlegenheit zurückgeben, mit der wir endgültig die Engländer aushungern und den Nachschub über den Atlantik unterbinden können.« Damit legte er eine Pause ein.

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