Kitabı oku: «Der Nagel», sayfa 6

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»Ihr, die ihr hier vor mir sitzt, werdet die Ersten sein. Ihr seid dazu bestimmt worden, mit einem solchen neuen Boot an die Front zu fahren.«

Erneut machte er eine kurze Pause.

»Doch es ist nicht eure Aufgabe, Schiffe aufzuspüren und zu versenken. Eure Aufgabe ist es, eine Waffe zum Einsatz zu bringen, die die Welt bisher noch nicht gesehen hat. Eine Waffe, die unseren Gegnern das Fürchten lehren und die diesen heldenhaften Kampf unseres Volkes endgültig zugunsten Deutschlands entscheiden wird.«

Er ließ seinen Blick über die Männer schweifen, deren Begeisterung ihn förmlich anzuspringen schien.

»Ihr seid ausgewählt worden, weil ihr zur Elite der deutschen Marinesoldaten gehört und aus tiefster Überzeugung bereit seid, für unseren Führer und unser Vaterland den höchsten Einsatz zu bringen, den ein deutscher Mann bringen kann.«

Hans musste schlucken, als er die Worte hörte.

»Ihr habt die ehrenvolle Aufgabe, heute zu einem besonderen und historischen Auftrag aufzubrechen. Ihr seid ausgewählt worden«, wiederholte Dönitz, »um in dieser Stunde unserem Gegner einen Schlag zu versetzen, der den Kriegsverlauf entscheidend verändern wird. Seit vielen Jahren arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure im ganzen Reich an der Entwicklung von Waffensystemen, die alles bekannte in den Schatten stellen und uns völlig neue Möglichkeiten der Kriegführung eröffnen. Ihnen ist es gelungen, eine Waffe herzustellen, mit der wir in der Lage sind, unsere Gegner so wirkungsvoll zu bekämpfen, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein wird, bis der Sieg in diesem großen Kampf der Sieg Deutschlands ist.«

Dönitz sah jetzt die Wissenschaftler an.

»Ich möchte hiermit meinen Dank und auch den Dank des Führers an diejenigen aussprechen, denen diese Leistung gelungen ist und von denen einige hier anwesend sind.« Er nickte den Ingenieuren zu, dann wandte er seinen Kopf wieder den Soldaten zu. »Die Zeit ist nun gekommen, den entscheidenden Schlag in diesem heldenhaften Ringen Deutschlands auszuführen. Die Augen unseres Führers Adolf Hitler und des ganzen deutschen Volks sind nun auf euch gerichtet. Ihr werdet heute Nacht zu einem Einsatz aufbrechen, auf den noch eure Enkel stolz sein werden. In eurer Hand liegt nun das Schicksal unseres Volkes.«

Er beendete seine Rede mit einem dreifachen »Sieg Heil«, trat einen Schritt zurück und hob seinen Marschallstab kurz an. Dann setzte er seine Mütze auf, wandte sich um und ging auf die Soldaten zu.

Wieder erschallte ein »Achtung« durch den Raum und erneut sprangen die Soldaten und die Wissenschaftler auf.

Der Kapitänleutnant führte seine rechte Hand an die Mütze, als der Großadmiral auf ihn zukam. Dönitz streckte ihm die Hand entgegen.

»Herr Kapitänleutnant, ich wünsche Ihnen und ihrer Mannschaft viel Glück.«

»Danke, Herr Großadmiral.«

Dönitz schüttelte ihm kurz die Hand, dann hob er erneut den Marschallstab, drehte sich um und ging zur Eingangstür zurück. Seine Schritte hallten von der Decke wieder. Die Soldaten neben dem Eingang präsentierten ihr Gewehr. Ohne die geringste Bewegung standen sie sich gegenüber, als der Großadmiral den Raum verließ.

Hans atmete erleichtert aus. Er war wieder unter großer Anspannung gestanden und spürte nun, dass er die ganze Zeit seine Finger in die Handballen gedrückt hatte.

Lautes Stühlerücken ertönte aus dem Hintergrund, als ihm jemand eine Hand auf die Schulter legte. »Na, wie sieht‘s aus. Wollen wir zum Abschied noch einen trinken gehen? Ein bisschen Zeit hab ich noch.«

Hans drehte sich um und blickte in ein lächelndes Gesicht mit einem blauen Auge, das andere war durch eine lange, dicke Haarsträhne verdeckt.

»Ach du, Fritz.«

Hans zögerte. Eigentlich wollte er auf sein Zimmer und packen. Und davor noch bei Elisabeth anrufen.

»Na, komm schon«, forderte ihn Fritz auf. »Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen. Unser Auslaufen wurde um eine Stunde vorverlegt. Zeit für einen kleinen Drink bleibt aber noch.« Er hob seine Schultern, legte den Kopf schief und sah Hans fordernd an.

»Du hast Recht, wer weiß schon, wie die Zukunft aussieht. Vielleicht werfen sie dich ja auch über Bord, wenn sie erst einmal festgestellt haben, wie du wirklich bist.« Hans grinste.

»Wann musst du auf dem Boot sein?«, wollte Dieter wissen.

»Spätestens um neun müssen alle an Bord sein, um elf geht‘s dann los. Man vermutet, dass die Engländer von unserem Auslaufen erfahren haben, daher starten wir eine Stunde früher.«

Hans beneidete Fritz absolut nicht. Fritz ging mit drei weiteren Ingenieuren ebenfalls an Bord des U-Boots und war dafür verantwortlich, dass bei diesem wichtigen Einsatz alles reibungslos über die Bühne ging. Zumindest was die Rakete betraf.

Packen und daheim anrufen kann ich morgen früh auch noch, dachte er, wir fliegen ja erst um elf zurück.

Fritz legte Hans den Arm um die Schulter und drehte sich dann mit ihm zusammen zu den anderen Ingenieuren um.

»Wer geht noch mit?«, fragte er in die Runde. »Einen kleinen zum Abschied?« Das vielfältige Gemurmel unter den Kollegen klang nach allgemeiner Zustimmung.

»Na, dann los«, gab Fritz das Kommando und die Gruppe der Wissenschaftler zog durch den Gang, den vorhin noch Großadmiral Dönitz durchschritten hatte, dem Ausgang entgegen. Außer ihnen war mittlerweile niemand mehr im Raum.

Hans nahm im Augenwinkel wahr, dass zwei dunkle Gestalten aus dem Schatten der Tür traten und stehen blieben. Die Männer trugen beide einen langen Mantel und graue Hüte.

Als sich die Ingenieure der Tür näherten, machte Fritz drei schnelle Schritte und setzte sich so vor die Gruppe, um als Erster durch die Tür zu gehen. Kaum war er durch, trat von der anderen Seite ein großer Mann in den Türrahmen, sodass Hans abrupt stehen bleiben musste und ihn überrascht anstarrte.

Er wurde von hinten angerempelt, fing sich aber schnell wieder und konnte noch verhindern, dass er nicht das Gleichgewicht verlor. Stimmen hinter ihm riefen etwas. Sein Magen drehte sich urplötzlich und nach einem Moment, der ihm ewig lang vorkam, fragte ihn der Mann: »Hans Friedel?«

Eine weitere Windung des Magens ließ einen üblen Geschmack in seinem Mund aufkommen. Er schluckte, um ihn loszuwerden, dann nickte er.

»Sie sind verhaftet!«

London, Freitag, 2. Juni 1944, 19:11 Uhr

»Das gibt‘s doch nicht!«

David knallte den Hörer auf die Gabel. Seit zwei Tagen versuchte er nun, Informationen aus Stockholm zu bekommen. Entweder kam er erst gar nicht zur britischen Gesandtschaft durch oder diese hatten immer noch nichts Neues für ihn. Das Einzige, was man ihm bisher mitteilen konnte, war, dass das Flugzeug mit Carl planmäßig in der schwedischen Hauptstadt gelandet war. Mehr auch nicht. Er ließ sich in seinen Stuhl fallen, nahm einen Bleistift in die Hand und klopfte damit auf den Tisch.

Tock, Tock, Tock.

Was kann da passiert sein?

Tock, Tock, Tock.

Er ging noch einmal alles durch. Carl war planmäßig in Stockholm gelandet. Die Deutschen konnten nichts bemerkt haben, sonst hätten sie ihn nicht ausreisen lassen. Irgendetwas musste schiefgelaufen sein. Die Regierung in Stockholm hatte ihm zugesichert, dass er die Papiere umgehend erhalten würde, sobald sie diese im Außenministerium kopiert hatten. Es gab also nur zwei Möglichkeiten. Carl war ohne die Unterlagen gekommen oder die Informationen waren bei den Schweden und die rückten sie nicht raus. Warum auch immer.

Tock, Tock, Tock.

Sein Blick fiel auf das Foto auf dem Schreibtisch und er betrachtete es einige Sekunden lang.

»Meine Kate«, sagte er leise, beugte sich schwerfällig vor und nahm das Bild in die Hand. Eine hübsche Frau in der zweiten Hälfte der Dreißiger mit langen blonden Haaren lächelte ihn an. Sie saß auf einer Bank am Ufer der Themse und hatte ihren Arm um ein Mädchen gelegt. Er fuhr mit dem Zeigefinger langsam über den Kopf von Kate und dann weiter zu seiner Tochter. »Linda.« Eine Träne rann ihm über die Wange. Wie lange ist es jetzt schon her? überlegte er und rechnete nach. Drei Jahre und drei Wochen. Er schloss die Augen und löste damit weitere Tränen aus, die ihm über das Gesicht liefen.

Es war am 10. Mai 1941 gewesen, beim letzten großen Luftangriff der Deutschen auf die britische Hauptstadt vor deren Angriff im Osten. David war auf dem Heimweg, als sie von den Sirenen überrascht wurden. Das Geheule war noch nicht verstummt, als bereits die ersten Bomben fielen. Gerade als sie in ihr Viertel einbogen, erwischte eine Bombenserie die gesamte Straße. Davids Wagen wurde von der Druckwelle in die Luft gehoben und blieb völlig zerstört auf der Seite liegen. Es gelang ihm, sich aus dem Wrack zu befreien. Er hatte neben mehreren Prellungen nur leichte Schnittwunden abbekommen. Sein Fahrer war halb aus dem Fenster geschleudert und von dem auf die Fahrerseite fallenden Wagen zerquetscht worden. Er musste auf der Stelle tot gewesen sein. David starrte entsetzt auf die Reste eines menschlichen Körpers, die unter dem Auto hervorschauten und in einer riesigen Blutlache lagen.

Dann drehte er, noch ganz benommen, den Kopf in Richtung der Straße, in der er bis vorhin mit seiner Familie gewohnt hatte. Soweit er zwischen dem Rauch und den auf beiden Seiten lodernden Flammen erkennen konnte, stand kein Haus mehr.

Den Mund halb offen, die Augen vor Entsetzen weit geöffnet, durchfuhr es ihn wie ein Blitz.

»Kate«, kam es ihm aus der Kehle. »Kaaaate«, schrie er und rannte los. Er stolperte über die Steine, stürzte, rappelte sich mühsam wieder auf und kämpfte sich weiter durch den beißenden Rauch auf ihr Haus zu. Er stürzte erneut und schlug mit dem Gesicht hart auf der Straße auf. Ihm wurde schwarz vor Augen, der Schmerz in seinem Kopf war grauenvoll, dann verlor er das Bewusstsein.

Er wusste nicht, wie lange er dort gelegen hatte, bis ihm ein stechender Schmerz das Bewusstsein zurückbrachte. Er blieb noch einen Moment regungslos liegen, bevor er langsam die Augen öffnete. Neben ihm lag jemand und sah ihn an. Das Weiß um die Pupille war klar und rein. Das Auge fixierte ihn aus einem ansonsten völlig verkohlten Kopf heraus. Die Haut hatte sich vom Fleisch gelöst und hing in Fetzen herab. An manchen Stellen waren noch die gekräuselten Reste der Haare erkennbar und kleine Rauchfahnen stiegen von dem verbrannten Fleisch auf. Ein entsetzlicher Gestank fuhr ihm in die Nase.

Entsetzt rappelte er sich auf und stolperte hinkend auf den Block zu, indem sie ihre Wohnung hatten. Das Haus stand in Flammen, die obere Hälfte war eingestürzt. Davor entdeckte er zwei Leichen. Er sah sich suchend um, sein Blick glitt über die beiden toten Körper, suchten etwas Vertrautes, etwas, das er kannte und er war erleichtert, als er nichts dergleichen finden konnte. Dunkler Rauch blies ihm ins Gesicht. Seine Augen brannten wie Feuer. Er kniff sie zusammen und fuhr sich mit beiden Händen über sein rußverschmiertes Gesicht, in der Hoffnung, dadurch die Schmerzen etwas zu lindern. Er ging ein paar Schritte weiter, dann sah er zwischen den Rauchschwaden einen alten Mann, der auf dem Boden saß. Der Mann hatte einen großen Sack vor sich liegen. Vermutlich waren darin einige persönliche Dinge, die er retten konnte. David ging auf ihn zu. Beide Augen tränten und er versuchte zu erkennen, ob es der Mann war, der neben ihnen gewohnt hatte. Einer, der immer nett und hilfsbereit gewesen und Kate geholfen hatte, wann immer es notwendig war.

Das Stechen in seinem Oberschenkel wurde stärker. Er zog das Bein nach, als er schlurfend auf den Mann zuging.

Der Alte sah ihn aus einem geschwärzten Gesicht an. Dann ließ er seinen Kopf langsam wieder sinken.

David hatte ihn erkannt, es war William. Sein Blick glitt an ihm herunter, dann blieben seine Augen an einem Armband haften. Das Band kam ihm bekannt vor. Es sah genauso aus wie das, das er seiner Frau zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte. Aber warum trug der Mann das Armband von Kate? Seine Augen folgten den Arm, an dem es befestigt war. Doch der Arm entfernte sich von dem alten Mann und verschwand in dem Sack, der vor ihm lag. Eine düstere Ahnung erschlich David und schnürte ihm die Kehle zu. Ein erstickter Laut verließ seinen Mund, als er sich langsam auf die Knie fallen ließ. William hob erneut den Kopf. Diesmal lief eine Träne über sein rußgeschwärztes Gesicht und zog eine verschmierte, hellgraue Spur nach sich. David streckte die Hand aus. Der Arm, der das Armband trug, war noch warm. Seine Finger glitten über die Haut auf den Sack zu. Doch das war kein Sack, es war nur eine Plane. Seine Finger krallten sich um den Rand des Plastiks und bohrten sich in seinen Handballen. Langsam zog er die Folie zurück und erkannte die blonden Locken, die er so geliebt hatte.

»Kate«, winselte er kaum hörbar. Er zog die Plane zur Seite, bis er den Oberkörper aufgedeckt hatte.

»Neeeeiiiiin!« Der Schrei ging im Fauchen der Flammen unter. Sein Kopf fiel auf Kates Schulter und seine gurgelnden Laute erstickten in den verbrannten Kleidern, die sie am Körper trug.

Nur eine Sekunde später schreckte er hoch und mit dem Namen seiner Tochter auf den Lippen wollte er sich gerade zu William umdrehen, als er spürte, wie sich eine Hand auf seine Schulter legte und die Finger nach Aufmerksamkeit riefen. Er drehte den Kopf und blickte William mit tränenunterlaufenen Augen an. William deutete mit einem Nicken zur Straße. David richtete den Oberkörper auf und wandte sich um. Auf der Straße stand ein Mädchen. Die langen blonden Haare hingen wild um ihren Kopf, die Kleidung war völlig verstaubt.

»Papa?«

Tock, Tock, Tock.

In weiter Ferne vernahm er ein Klopfen, das kräftige Knarren der Holztür seines Büros klang schon deutlich näher und das darauffolgende laute Schließen der Tür holte ihn endgültig aus seinen Gedanken zurück.

»David?«

Frank ging direkt auf den Schreibtisch zu, hinter dem David saß. In der Hand hielt er ein Papier.

»Neue Informationen aus Stockholm.«

»Und?«, fragte David, der noch nicht ganz aus seiner schrecklichen Vergangenheit zurück war, teilnahmslos. Doch nur den Bruchteil einer Sekunde später hatte er begriffen, dass dieses Blatt Papier das war, worauf er seit zwei Tagen wartete und sprang überraschend flink auf.

»Zeig her«, sagte er und strecke Frank fordernd die Hand entgegen.

»Keine guten Neuigkeiten«, sagte Frank, und während David den Inhalt las, sprach er weiter. »Carl hatte einen schweren Unfall. Sie konnten ihn zwar noch aus dem brennenden Fahrzeug ziehen, aber es sieht nicht gut aus. Sein Fahrer konnte nicht mehr gerettet werden und der Wagen brannte völlig aus. Carl hatte zwei Koffer dabei, die beide stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Einen Teil der Unterlagen konnten die Schweden aber vor der endgültigen Vernichtung bewahren.«

»Ist noch irgendwas verwertbar?« David beschlich ein ungutes Gefühl.

»Keine Ahnung«, antwortete Frank. »Mehr wissen wir noch nicht.«

»Ich muss unbedingt mit der britischen Gesandtschaft sprechen.« David ging um den Tisch herum. »Ich muss wissen, wie viel von den Unterlagen noch brauchbar ist. Das ist wichtig. Davon hängt so viel ab.«

»Ich habe schon nachgefragt und die Antwort kam diesmal umgehend. Sie sagten, sie hätten bisher keine weiteren Informationen erhalten und die Schweden wüssten scheinbar auch nicht mehr.«

»Das kann nicht sein«, erwiderte David aufgebracht und mit einer deutlichen Handbewegung gab er Frank zu verstehen, dass er sich damit nicht zufriedengab. »Wenn ein Teil der Papiere gerettet werden konnte, dann kann man daraus auch noch irgendetwas verwerten. Ich will wissen, was da drinsteht.«

David ging wütend in seinem Büro auf und ab. Er dachte nach. Dann blieb er unvermittelt stehen, wandte sich Richtung Frank und ging fingerzeigend auf ihn zu.

»Wir müssen die Papiere haben.« Er sah Frank an. »Ich bin sicher, unsere Spezialisten können da noch was rausholen. Ich brauche diese Unterlagen und ...«. Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort: »... und du wirst sie mir holen.«

Während er dies sagte, streckte er den Arm vor und drückte Frank seinen Finger auf die Brust. Seine Augen leuchteten und sein Blick wirkte entschlossen.

Frank stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als er verstand, worauf David hinauswollte. Sein Mund stand offen, er brachte keinen Ton heraus und starrte David nur an. Es dauerte einige Sekunden, bis er ein krächzendes, lang gezogenes »Ich?« hervorbrachte.

»Na, wer denn sonst?« Mit entschlossenen Schritten und voller Tatendrang ging David um seinen Schreibtisch und setzte sich. Er würde nicht aufgeben. Er sah eine Möglichkeit, seinen Kampf gegen Deutschland weiterführen zu können und wenn auch nur noch ein Teil der Dokumente verwertbar war, so musste man das Maximale daraus machen.

Nach Kates Tod hatte er geschworen, alles daran zu setzen, dass die verfluchten Nazis diesen Krieg verlieren. Dieser Schwur verlieh ihm nun seit über drei Jahren Kraft und Energie, Tag und Nacht dafür zu kämpfen. Nach Kates Tod hatte er seine Tochter zu den Schwiegereltern aufs Land geschickt. Dort war sie sicher und er konnte sich auf seine Arbeit konzentrieren.

Er wusste, dass Frank froh war, als sein Assistent zu arbeiten. Frank war ein überzeugter Brite, war aber niemand, der sich für eine Kampftruppe geeignet hätte. Dafür war er körperlich zu schwach und hatte zudem viel zu viel Angst um sein Leben. Er hatte bereits mehrfach durchklingen lassen, dass er David dankbar war, dass er ihn für sich arbeiten ließ und ihn nicht einer Einsatztruppe überstellte. Auch dass Frank Panik davor hatte, über von Deutschen besetztem Gebiet nach Stockholm zu fliegen, war ihm klar. Aber darauf konnte er jetzt keine Rücksicht nehmen. Er brauchte diese Dokumente und musste sie haben. Hier in London.

»Wir müssen sicher sein, dass uns die Schweden nichts verheimlichen. Wir haben ihre Zusage und die müssen sie einhalten. Ich brauche jemanden, der sich vor Ort um alles kümmert und auf den ich mich verlassen kann. Lass dich nicht abwiegeln. Ich will die Dokumente haben. Und zwar alle. Von mir aus können sich die Schweden Kopien machen so viel sie wollen, aber die Originale will ich. Und das so schnell wie möglich.«

Frank hatte seine Fassung noch nicht ganz wiedergefunden, zumindest aber seinen Mund wieder geschlossen.

»Du fliegst gleich morgen früh«, ergänzte David und Franks Unterkiefer klappte erneut nach unten.

»Morgen schon?«, stammelte er und wurde noch blasser im Gesicht.

»Ich werde alles veranlassen. Pack ein paar Sachen ein, für den Fall, dass du doch einige Tage länger unterwegs bist. Du wirst, soweit möglich, einen Jagdschutz bekommen. Einen Teil der Strecke müsst ihr aber ohne auskommen. So groß ist die Reichweite unserer Jäger nicht.«

»Und wenn uns die Deutschen abschießen, dann haben wir nichts von den Dokumenten«, witterte Frank eine kleine Chance, doch noch um den Flug herumzukommen.

»Das Risiko müssen wir eingehen«, erwiderte David. »Die Deutschen haben genug zu tun an ihrer Ostfront. Viele Jäger sind an den Ärmelkanal abgezogen worden. Es bleiben also nicht mehr allzu viele in Dänemark und Norwegen stationiert«, versuchte ihm David Mut zu machen. »Gut. Wir sehen uns dann morgen um acht Uhr wieder hier. Bis dahin habe ich deinen Marschbefehl fertig. Den Flug werde ich gleich noch im schwedischen Konsulat anmelden. Ich versuche, ihn als diplomatische Reise auszuweisen, dass macht das Ganze dann vielleicht etwas sicherer für dich. Den Rest sprechen wir morgen durch.«

David hob den Telefonhörer ab. »Verbinden Sie mich bitte mit dem schwedischen Konsulat.«

Lorient, Freitag, 2. Juni 1944, 20:10 Uhr

»Was wollen Sie denn hören?«

Langsam reichte es Hans. Verärgert schlug er mit der Faust auf den Tisch. »Ich kann nichts anderes sagen, als ich jetzt schon ein halbes Dutzend Mal erzählt habe. Ich habe keinen Kontakt ins Ausland und auch mit niemandem über meine Arbeit gesprochen. Geschweige denn irgendwelche Unterlagen weitergegeben. Wie kommen Sie nur auf so etwas?«

Hans verzog das Gesicht, als erneut ein stechender Schmerz durch seine Leiste fuhr.

»Wir haben unsere Informationen.«

Sein Gegenüber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er zog eine weitere Zigarette aus der offenen Packung und zündete sie in aller Seelenruhe an. Der Qualm wirbelte um die Lampe auf dem Tisch. Hans drehte den Kopf. Er konnte den Gestank nicht ausstehen. Auch deshalb waren die letzten Stunden für ihn so schlimm gewesen. Die Luft wurde immer schlechter. Der Aschenbecher auf dem Tisch war fast voll. Der Rauch zum Schneiden dicht.

Er hustete, dann griff er zu seinem Glas Wasser. Ich darf nicht so viel trinken, ermahnte er sich. Wer weiß, wie lange ich noch hier sitzen muss. Das Sprechen fiel ihm immer schwerer, aber der Druck seiner Blase bereitete ihm inzwischen wesentlich mehr Probleme. Bloß nicht in die Hose machen, solange es geht. Er rutschte auf dem Stuhl umher, doch die Schmerzen wurden nicht weniger.

Die Tür öffnete sich. Ein SS-Mann kam herein und flüsterte Hans Gegenüber ins Ohr. Der erhob sich und verließ den Raum. Hans schaute ihm nach und spürte für einen Moment einen Hauch Frischluft in der Nase. Er sog diesen gierig ein, doch es reichte nicht einmal für einen tiefen Atemzug.

Nun saß er alleine am Tisch und sah ausdruckslos in das milchige Licht, das den Qualm kaum durchdringen konnte. Seine Augen brannten, der Hals war trocken. Er hatte mittlerweile jedes Zeitgefühl verloren.

Als sich die Tür endlich wieder öffnete, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Eine Ewigkeit, in der der Druck und die Schmerzen in seiner Blase schier unerträglich geworden waren. Mit aufeinander gepressten Zähnen und schmerzverzehrten Augen sah er den Mann an.

»Kommen Sie mit!«, sagte die Silhouette in der Tür in einem Ton, der nicht erkennen ließ, was ihm bevorstand. Er konnte ebenso entlassen, wie vor das nächste Erschießungskommando geführt werden.

Für einen kurzen Moment erschienen ihm Bilder von Elisabeth und seinen Kindern vor Augen. Dann stand er auf und wollte sich strecken. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn und mit einem halb unterdrückten Stöhnen nahm er sofort eine nach vorne gebückte Haltung ein, um sich Erleichterung zu verschaffen. Langsam schleppte er sich zur Tür. Der Mann trat zur Seite und ließ ihn nach draußen. Er hob den rechten Arm und zeigte den Gang hinunter.

»Da entlang«, ergänzte er in der gleichen ausdruckslosen Stimmlage von vorhin und ging voraus. Er beachtete Hans nicht weiter.

Er weiß, dass ich in meinem Zustand sowieso nicht fliehen kann, dachte Hans und ohne auf seine Umgebung zu achten, setzte er schlurfend und mit schmerzverzerrtem Gesicht einen Fuß vor den anderen. Als er endlich die nächste Ecke erreicht hatte, vernahm er nur noch die Worte des Mannes. »Die erste Tür rechts. Ich warte hier.«

»Danke.«

Hans verschwand in der Toilette und wollte die Tür hinter sich abschließen. Der Schlüssel fehlte. Er dachte nicht weiter darüber nach, ließ hastig seine Hose herunter und setzte sich. Wogen der Erleichterung durchfuhren ihn.

Als seine Blase leer war, blieb er sitzen und überlegte. Wo war er? Er hatte nicht die leiseste Ahnung. Warum hatte man ihn verhaftet? Was wollten diese Männer von ihm? Sie sprachen von Spionage, Kontakten ins Ausland und Informationen, die er angeblich weitergegeben haben soll. Wie kamen sie nur auf so etwas? Er stellte beide Ellenbogen auf die Oberschenkel und legte den Kopf in die Hände. Wenn ich hier sitzen bleibe, erfahre ich nicht, was man von mir will, sagte er sich schließlich. Mit einem Seufzer stand er auf und zog die Hose hoch.

Draußen wurde er bereits erwartet, und ehe Hans etwas sagen konnte, ging der Mann zielstrebig auf ihn zu.

»Kommen Sie mit!«

Wieder ließ der Ton des Mannes keine Rückschlüsse zu. Jetzt ging er neben Hans. Er überragte ihn um eine Kopflänge und zog bei den Türen instinktiv den Kopf ein. Diesmal achtete Hans auf die verschiedenen Räume und Gänge. Das Gebäude musste älter sein. Auf den Böden lagen lange Holzdielen, von denen manche kräftig knarrten. Die Zimmer waren höher als gewöhnlich und an der Decke mit Stuck versehen. Viele waren mit Tapeten ausgestattet, die überhaupt nicht zu der von den Deutschen neu eingebrachten Einrichtung passten. In den Räumen standen jeweils mehrere Schreibtische und auf jedem mindestens ein Telefon. Überall liefen Drähte und Kabel am Boden entlang und steuerten auf einen Schacht am Ende des Flurs zu, in dem sie nach unten verschwanden. Fast alle Arbeitsplätze waren besetzt und es wurde eifrig telefoniert.

Sie gingen einen Gang entlang, an dessen Ende sich eine große, doppelflügelige Holztür befand, vor der zwei Soldaten Aufstellung bezogen hatten. Einer der Flügel stand offen und ließ einen Blick nach draußen zu. Er sah den vorderen Teil eines Wagens. Weiter hinten eine Hecke, die das Areal umgrenzte. Sie gingen noch ein Stück, dann hob der Mann den linken Arm und wies Hans an, einer Treppe, die sich hinter einem im Bogen gemauerten Durchgang befand, zu folgen. Hans zögerte kurz, doch der Blick seines Begleiters war eindeutig.

Die Stufen führten nach unten und die Temperatur nahm spürbar ab. Sie kamen in einen langen unterirdischen Raum, dessen Decke sich in leichten Bogenformen, auf mehreren Stützpfeilern stehend, durch den Raum zog. Ein Weinkeller, dachte Hans im ersten Moment. Doch je weiter sie durch den Mittelgang gingen, desto mehr offenbarte sich ihm die tatsächliche Verwendung dieses Untergeschosses. Alle Durchgänge zu beiden Seiten waren mit Eisengittern versperrt. Hans warf einen Blick in den Raum zu seiner Rechten. Eine einfache Schlafmöglichkeit auf der einen Seite, auf der anderen befand sich ein Stuhl, das war alles. Der Keller wird als Gefängnis genutzt, ging es ihm entsetzt auf und ein ungutes Gefühl beschlich ihn.

Fast unmerklich wurde er langsamer. Sein Begleiter behielt seinen Schritt bei und bekam dadurch einen kleinen Vorsprung. Nach ein paar Metern drehte er den Kopf, und ohne dass er ihn direkt ansah, wusste Hans sofort, was er ihm sagen wollte. Er beeilte sich und war einen Moment später wieder mit dem Mann gleichauf, der zielstrebig die nächste Zelle auf der linken Seite ansteuerte. Er blieb davor stehen und schien zu überlegen. Hans warf einen Blick durch die teilweise schon verrosteten Eisenstäbe. Auch sie enthielt ein Bett, auf dem eine zusammengeknüllte, graue Decke lag. Am Kopfende des eisernen Bettgestells stand ein einfacher Holzstuhl. Wie in der anderen auch. Seine Augen wanderten über den Boden und entdeckten rotbraune Flecken auf den Steinen. An der Wand waren ebenfalls welche, aus denen eine rötliche Flüssigkeit in langen, nach unten verjüngenden Bahnen der Schwerkraft nachgegeben hatte. Blut, dachte Hans und Unwohlsein ergriff ihn. Für einen Moment sah er seinen Begleiter an, dann drehte er sich um und der Blick fiel in die gegenüberliegende Zelle. Der Raum war belegt und zu seiner Überraschung mit einem Offizier der deutschen Wehrmacht. Der Mann saß auf dem Bett, die Mütze lag auf dem Stuhl daneben. Die Jacke war halb aufgeknöpft, der obere Hemdkragen geöffnet, die Krawatte hing über der Lehne. Hans hatte bei seiner Arbeit in Peenemünde fast täglich mit Offizieren zu tun, sodass er die Uniformen und Rangabzeichen gut kannte. Den Rang, den dieser Gefangene hatte, konnte er allerdings nicht genau erkennen. Er hätte auf einen Major getippt. Hans schnürte es die Kehle zu. Jetzt sperren sie schon die eigenen Offiziere ein. Panik breitete sich aus und er verspürte das Verlangen, loszurennen. Sein Blick fixierte den Offizier, der ihn ausdruckslos anstarrte, dann wanderten seine Augen den langen Gang zurück, durch den sie gekommen waren. Der Drang abzuhauen, wuchs. Sein Herzschlag wurde schneller und er spürte jeden Pulsschlag im Kopf. Seine Hände fingen an zu schwitzen und die ersten Schweißperlen rannen seine Stirn hinunter. Er musste etwas unternehmen.

Plötzlich packte ihn eine starke Hand am Oberarm und zog ihn mit. Sein Begleiter hatte es sich wohl anders überlegt und eine andere Zelle für ihn ausgewählt. Hans stolperte über seine eigenen Füße. Doch der eiserne Griff hielt ihn mühelos fest, sodass er nach dem Ordnen seiner Beine das Gleichgewicht wiederfand. Der Mann zog ihn eine Zelle weiter, blieb dort vor einer verrosteten Eisentür stehen und zog einen Schlüsselbund hervor. Das Geräusch der aneinanderstoßenden Schlüssel hallte eigenartig von den Wänden wieder. Die Hand an Hans Oberarm lockerte ihren Griff, dann gab sie ihn komplett frei. Hans rieb sich die schmerzende Stelle. Er vernahm das Drehen des Schlüssels und das Öffnen des Schlosses. Mit einem verwirrenden Knarren ging die Tür auf und ein fast schon freundlich klingendes »Bitte schön« forderte ihn zum Eintreten auf.

Hans betrachtete den Boden, auf dem Staubflusen und Dreck von einem lange zurückliegenden Putztermin zeugten. Er hob seinen rechten Fuß und setzte ihn langsam in die Zelle. Sein linker folgte, dann blieb er stehen und drehte sich um. Mit einem lauten Knacken wurde das Eisentor abgeschlossen. Dann fummelte der Mann den Schlüssel aus dem Schloss, steckte ihn wieder in seine Hosentasche und ohne noch einmal aufzublicken, ging er den Gang entlang, den Hans vorhin vor Panik zurücklaufen wollte. Seine Schritte hallten in unterschiedlichen Tonlagen von den gewölbten Wänden wieder, bis der Mann die Treppe erreicht hatte und verschwunden war.

Die totale Stille verunsicherte Hans. Langsam drehte er sich um. Er nahm gerade noch wahr, dass in dieser Zelle zwei Betten standen, dann blieb sein Herz für einen Augenblick vor Schreck stehen. Auf dem rechten Bett saß eine Frau. Ihr Oberkörper lehnte an der Wand und in ihrem Schoß lag ein blondes Mädchen, das von dem neuen Zellengenossen noch nichts bemerkt hatte, denn es schien fest zu schlafen. Die Frau fuhr dem Kind in langsamen, gleichmäßigen Bewegungen über den Kopf. Misstrauisch musterte sie ihn mit ihren dunklen Augen. Offenbar versuchte sie, ihn einzuschätzen, dann drehte sie ihren Kopf und rief in einem leisen aber doch bestimmten Ton: »Daniel!« Es dauerte etwa zwei Sekunden, dann wiederholte sie den Namen noch einmal: »Daniel!« Diesmal hob sie ihre Stimme etwas an. Obwohl sie für normale Umstände nicht laut gesprochen hatte, kam es Hans in der Stille wie ein Schrei vor. Er verstand nicht, was sie meinte. Dachte sie etwa, er wäre Daniel?

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