Kitabı oku: «Der Nagel», sayfa 8

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Peenemünde, Donnerstag, 8. Juni 1944, 15:10 Uhr

Der Zug näherte sich dem Bahnhof und verringerte seine Geschwindigkeit spürbar. Wartende Menschen nahmen Gestalt an und Hans konnte Dieter ausmachen, der an einem der Pfeiler lehnte, der mit vielen anderen zusammen das Dach über dem Bahnsteig stützte. Er nahm seinen Koffer aus dem Gepäckfach und sah sich noch einmal um, ob er nichts vergessen hatte. Der Zug wurde langsamer und kam mit einem kräftigen Ruck zum Stehen. Hans fasste nach der Haltestange, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Er stand mit weichen Knien an der Waggontür, als er den Griff nach unten und die Tür nach außen drückte. Wenige Stufen später stand er auf dem Bahnsteig und sah Dieter winkend auf sich zukommen.

»Ich bin so froh, dass du wieder da bist.«

Dieter umarmte seinen Freund. Er drückte ihn und Hans spürte, wie ihm die Umarmung Kraft gab. Das schwammige Gefühl aus seinen Beinen entwich langsam. Ein Freudenschauer durchfuhr seinen Körper und Tränen stiegen ihm in die Augen.

Dieter löste die Umarmung, ließ aber beide Hände auf den Oberarmen von Hans liegen. »Gott sei Dank, du bist wieder da. Du kannst dir gar nicht vorstellen, welches Entsetzen deine Verhaftung hier ausgelöst hat. Niemand konnte sich erklären, warum.«

»Das würde ich auch gerne wissen«, erwiderte Hans. »Ich hoffe, du kannst mir etwas dazu sagen.«

»Jetzt komm erst mal mit.«

Dieter nahm Hans Koffer und sie gingen um das Gebäude herum zum Wagen. Er warf das Gepäckstück auf den Rücksitz. Während der Fahrt erzählte Dieter, was sich in den letzten Tagen alles ereignet hatte. Hans hörte ihm nur halbherzig zu. Er saugte Kraft aus der vertrauten Umgebung und spürte, wie Ruhe und Sicherheit langsam zurückkehrten.

Dieter stoppte den Volkswagen vor dem Kasino.

»Was wollen wir hier?«, fragte Hans verwundert.

»Du wirst sicher Hunger haben. Ich habe eine Kleinigkeit organisiert für dich.«

»Aber ich will jetzt nichts essen«, versuchte Hans zu widersprechen, doch Dieter war schon ausgestiegen und ging um den Wagen herum.

»Komm, steig aus!«, forderte er ihn freundlich auf.

Ohne große Begeisterung stieg Hans aus dem Wagen und Dieter knallte die Fahrzeugtüre hinter ihm zu. Dann ging er forschen Schrittes zum Kasinoeingang und hielt ihm die Tür einladend auf.

»Hereinspaziert und es ist schön, dass du wieder da bist.«

Hans betrat das Kasino. Kaum hatte er den Raum betreten, erkannte er, warum Dieter ihn hergebracht hatte.

»Herzlich willkommen«, schallte es ihm im Chor entgegen und Hans war schlagartig umringt von mehr als einem Dutzend seiner Kollegen, die hier auf ihn gewartet hatten. Ehe er sich versah, hatte man ihm ein Glas Sekt in die Hand gedrückt und er sah eine Gläserfront auf sich zukommen. Ein Freudenschauer lief ihm den Rücken herunter. Er musste sich zusammenreißen, damit er die Fassung behielt. Der Sekt schmeckte scheußlich, aber die Umarmungen der Kollegen und Kolleginnen taten richtig gut.

Das Drücken riss nicht ab und Hans wurde überschüttet mit Fragen über seine Erlebnisse der letzten Tage. Vor allem das Warum? hing schwer im Raum, aber niemand konnte dies beantworten.

Die Tür zum Kasino wurde geöffnet und Generalleutnant Dornberger betrat den Raum. Ein stattlicher Mann mit kurzem Haar, das sich vorne an der Stirn bereits zurückzog. Die Uniform stand ihm prächtig, auch wenn sie einige Flecken aufwies. Vermutlich kam er direkt vom Versuchsgelände, denn auch seine sonst glänzenden Lederstiefel waren mit einer feinen Staubschicht überzogen. Er ging auf Hans zu und streckte ihm die Hand entgegen.

»Herr Friedel. Ich freue mich, dass Sie da sind und ich bin froh, einen meiner besten Mitarbeiter wieder an Bord zu haben.«

Hans spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.

»Vielen Dank, Herr Generalleutnant.«

Im Kasino war es merklich ruhiger geworden. Man spürte deutlich die Spannung im Raum und jeder hoffte endlich eine Antwort aus das Warum? zu bekommen. Doch Dornberger machte keine Anstalten, auf diese Frage einzugehen. Aber er muss doch wissen, was los war? Warum man mich verhaftet hat? ging es Hans durch den Kopf. Er war nahe dran, ihn direkt darauf anzusprechen, doch hielt ihn irgendetwas zurück. Selbst nach seiner Freilassung in Frankreich, als er versuchte mit dem Reichsführer in Berlin Kontakt aufzunehmen, hatte man ihm nichts zu den Gründen nennen können oder wollen. Der Befehl lautete nur: »Kehren Sie zurück nach Peenemünde an ihre Arbeit.«

Er war froh gewesen, dass man ihm den Rückweg über Dresden zugestanden hatte, so konnte er für einen Tag seine Familie besuchen. Elisabeth war in Tränen ausgebrochen, als sie ihn am Flughafen in die Arme schloss. Sie brauchte den gesamten Weg zu ihrer Wohnung, um sich halbwegs zu fangen und vor den Kindern einigermaßen gefasst dazustehen. Elisabeth hatte ihnen nichts von Hans Verhaftung erzählt. Sie selbst hatte in den bangen Tagen schon genug mit sich zu kämpfen gehabt.

»Heute ruhen Sie sich noch aus, morgen brauchen wir Sie dann wieder auf ihrem Posten, Herr Friedel.« Generalleutnant Dornberger drückte ihm noch einmal die Hand. »In einer halben Stunde möchte ich Sie kurz in meinem Büro sprechen. Bis dahin können Sie aber noch etwas feiern.«

Dornberger nickte freundlich, dann verließ er das Kasino.

Der Geräuschpegel stieg langsam an, als die Anwesenden ihre Gespräche wieder aufnahmen. Gläser klirrten und weitere Sektkorken knallten.

»Ich habe mir wahnsinnige Sorgen um dich gemacht.« Eine junge Frau um die Dreißig schob sich zu Hans. Ihre großen, dunklen Pupillen strahlten im hellen Weiß ihrer Augen. Auch sie musste ein paar Freudentränen vergossen haben, denn der Glanz ihrer Augen war leicht getrübt, was ihrer Ausstrahlung aber keinen Abbruch tat. »Ich habe keine Nacht geschlafen, seit ich davon gehört habe«, sagte sie mit einem hoffnungsvollen Lächeln. »Sehen wir uns heute?«

»Ich glaube nicht. Ich muss nachher noch zu Dornberger und heute Abend möchte ich mich einfach nur ausruhen. Vielleicht morgen, einverstanden?«

Die junge Frau nickte mit einem leicht enttäuschten Lächeln auf den Lippen.

»Ich bin so froh, dass das vorbei ist und ich freue mich einfach, euch alle wiederzusehen«, bedankte sich Hans in die Runde.

Als Hans das Büro von Generalleutnant Dornberger betrat, war er innerlich wieder stark angespannt. Er wusste nicht, was ihn erwartete, hoffte aber, dass er endlich mehr über die genauen Gründe seiner Verhaftung erfuhr.

»Du meldest dich dann nachher bei mir, abgemacht?«, hörte er Dieter noch sagen, der ihn gefahren hatte. Auch er wollte natürlich wissen, was vor sich ging.

Hans betrat den Vorraum, in dem ein Tisch voller Unterlagen und Papiere lag. An einem zweiten Tisch saß Dornbergers Sekretärin, die auf einer Schreibmaschine tippte, als er hereinkam.

»Hans, ich bin so froh, dich zu sehen.« Sie nickte ihm freundlich zu. »Du kannst reingehen«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf die Tür. Hans erwiderte ihr Lächeln, klopfte und trat ein.

Generalleutnant Dornberger saß hinter seinem Schreibtisch. Am Fenster waren die Gardinen aufgezogen und gaben einen wunderschönen Blick auf die Landschaft von Peenemünde frei. Dornberger blickte kurz auf, dann sagte er. »Ich bin gleich so weit, nehmen Sie schon mal Platz.« Er zeigte mit seiner Hand auf den Tisch, der in einer Ecke des großzügigen Büros stand und wohl eher für die weniger geschäftlichen Gespräche gedacht war. Hans setzte sich und sein Blick schweifte durch das Arbeitszimmer. Er kannte das Büro von unzähligen Terminen und Besprechungen, doch hatten die Dinge diesmal eine andere Wirkung auf ihn. Dornberger ging noch ein paar Unterlagen durch, dann unterschrieb er ein Blatt Papier und klappte die Mappe zu.

»So.« Er stand auf und kam auf ihn zu. »Wollen Sie einen Kaffee?«

»Nein, danke. Ich möchte heute lieber früh zu Bett gehen und richtig schlafen. Die Nächte in Frankreich waren dahin gehend nicht sonderlich ergiebig.«

»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte der Generalleutnant. »Erzählen Sie mir mal, was genau in Frankreich passiert ist. Das, was man mir bisher mitgeteilt hat, war nicht gerade sehr aufschlussreich.«

Hans überlegte, wo er anfangen sollte. Er entschloss sich, eine Kurzform des Verlaufs seit seiner Ankunft in Lorient wiederzugeben.

»Von Beginn an ging das Gerücht umher, dass bei unserem Sondereinsatz Spionage im Spiel sei. Die SS schnüffelte überall herum, kontrollierte alle Personen und überwachte deren Arbeiten. Es war kaum möglich, einen Schritt ohne Beobachtung zu machen. Das Gerücht erhielt weitere Nahrung, als festgestellt wurde, dass die Steckverbindungen zwischen dem U-Boot und dem Hänger nicht passten. Fritz hat zwar umgehend neue Stecker angefordert, aber aufgrund des engen Zeitplans hat er angefangen, die vorhandenen umzurüsten. Das Boot und die Rakete haben wir planmäßig einsatzbereit gemeldet und am Abend vor dem Auslaufen hat Großadmiral Dönitz vor der versammelten Mannschaft und uns Wissenschaftlern eine Rede gehalten. Direkt danach hat man mich verhaftet.«

»Was hat man Ihnen vorgeworfen?«

»Zuerst einmal hat man mir den Grund meiner Verhaftung nicht genannt. Sie haben mich mitgenommen und verhört. Dutzende Male wurde ich gefragt, ob ich Kontakt mit den Engländern aufgenommen oder Informationen weitergegeben habe.« Hans überlegte. »Keine Ahnung, wie sie auf mich gekommen sind. Ich habe nie ein Wort über das verloren, was wir hier machen. Ich liebe meine Arbeit, die Forschung und Entwicklung neuer Möglichkeiten, den Weltraum zu erobern. Ich habe immer meine ganze Energie in diese Tätigkeit gesteckt und an vielem, was wir bisher erreicht haben, erfolgreich mitgearbeitet.« Hans steigerte sich mit jedem Satz, seine Stimme wurde lauter und die Worte kamen ihm immer schneller über die Lippen. »Tag und Nacht war ich bereit, wenn es darum ging, Probleme zu analysieren, Fehlschläge zu bewerten und die gewonnenen Erkenntnisse in die weitere Entwicklung einfließen zu lassen. Ich war da, wenn man mich gebraucht hat ...«

»Das weiß ich«, unterbrach ihn Dornberger. »Beruhigen Sie sich wieder. Mich müssen Sie nicht überzeugen. Ich weiß sehr wohl, was Sie für uns geleistet haben und ich vertraue Ihnen.« Er stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier, das er Hans reichte. »Dieses Schreiben habe ich am letzten Samstag erhalten. Darin steht, dass Beweise vorliegen, die Sie eindeutig der Spionage verdächtigen und Sie daher zum Schutz des Reichs am Freitagabend verhaftet wurden.«

Hans setzte sich aufrecht und überflog die Zeilen.

»Was das für Beweisstücke sind, steht hier aber nicht.«

»Ich habe sofort den Reichsführer angerufen, weil ich mir sicher war, und es nach wie vor bin, dass es sich dabei um ein Missverständnis handeln musste. Allerdings habe ich ihn erst am Montag erreicht und die Situation mit ihm besprochen. Das erklärt vermutlich auch, warum Sie so lange im Gefängnis waren. Ich habe für Sie gebürgt. Himmler weiß um ihre Verdienste und hat mir versprochen, dass er sich darum kümmern werde. Nicht aber ohne mich noch einmal eindringlich darauf hinzuweisen, dass ich mit meinem Kopf für Sie geradestehe. Zu den Beweisen konnte aber auch er nichts sagen. Vielleicht erfahren wir es noch, womit ich aber nicht rechnen würde. Für mich ist die Sache damit erledigt.« Er beugte sich zu Hans vor und fuhr dann in leicht gedämpftem Ton fort. »Hans, machen Sie in Zukunft ihre Arbeit wie bisher. Denken Sie nicht mehr an das Geschehene. Ich schätze Sie und ihre Kompetenz. Ich weiß, dass Sie loyal sind zu unserem Führer und Vaterland. Wir müssen mehr denn je zusammenhalten und unsere Entwicklung weiterführen. Ich brauche jetzt jeden Mann, damit wir diesen Krieg zu einem baldigen Ende bringen können.« Dann setzte er sich wieder aufrecht. »Und jetzt schlafen Sie mal ordentlich. Ich erwarte Sie dann morgen ausgeruht an ihrem Arbeitsplatz.« Damit stand er auf.

Hans zögerte. Er dachte an die Französin und die beiden Kinder. Er hatte versprochen, sich für sie einzusetzen. Ob er dies gegenüber Dornberger ansprechen sollte? Er entschied sich dagegen. Er kam zu dem Entschluss, dass der geeignete Moment dafür noch nicht gekommen war.

London, Freitag, 9. Juni 1944, 09:50 Uhr

»Gibt es schon was Neues?« Frank war mal wieder einfach so hereingeplatzt.

David sah ihn mit abwesendem Blick entgegen.

Frank verlangsamte den Schritt, zog die Augenbrauen zusammen und sah seinen Chef fragend an. »David?«

David reagierte noch einige Sekunden nicht, dann erwachte er plötzlich zum Leben.

»Wer war darüber informiert, dass Carl geheime Unterlagen im Koffer hatte?« Er warf den Stift auf den Schreibtisch, stand unvermittelt auf und ging durch sein Büro. Die linke Hand in der Hosentasche, den Zeigefinger der Rechten schwang er unablässig vor sich her. »Jemand muss es gewusst haben und hat versucht, Carl samt den Unterlagen aus dem Weg zu räumen. Es gibt Zeugen, die einen Mercedes gesehen haben, der mit hoher Geschwindigkeit dem Volvo gefolgt war.« David gab noch einmal die Fakten wieder, soweit sie ihnen bekannt waren. Das tat er oft, wenn er nachdachte und es half ihm, das weitere Vorgehen festzulegen. »Den Unfall selbst hat leider niemand beobachtet, sodass wir nicht wissen, ob der Mercedes wirklich darin verwickelt war. Da Carl noch nicht vernehmungsfähig ist, können wir bisher nur Vermutungen anstellen. Vieles spricht aber für eine Beteiligung des Wagens an dem Unfall und ist zudem die einzige Spur, die wir haben. Wer könnte in dem Auto gesessen haben?« Er stellte die Frage in den Raum, aber Frank fühlte sich angesprochen.

»Die schwedische Regierung hat mir versichert, dass sie alle Mercedesfahrzeuge im Raum Stockholm überprüft. Davon gibt es zum Glück nicht so viele. Trotzdem braucht das Zeit. Und natürlich kann der Wagen, soweit er bei dem Unfall beschädigt wurde, schon repariert worden sein. Dann blieben nur noch die Werkstätten, die man untersuchen könnte. Und wenn es ein Diplomatenfahrzeug war, kommen wir sowieso nicht dran«, stellte Frank fest.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ein Diplomatenfahrzeug war. Die deutsche Gesandtschaft in Stockholm besitzt zwar einen, aber wenn die Deutschen davon gewusst hätten, dann hätten sie Carl doch bereits in Berlin verhaftet. Dann hätten sie sich einen Dreck darum geschert, ob Carl einen Diplomatenpass besitzt oder nicht. Davon können wir ausgehen.«

»Und was ist mit den Russen?«, warf Frank ein.

David blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu ihm um. »Denen würde ich das zutrauen. Die würden wahrscheinlich alles daransetzen, dass wir die Unterlagen nicht in die Finger bekommen. Damit wären wir ihnen nämlich auf einen Schlag um viele Jahre voraus. Und das würde Stalin gewiss nicht gefallen. Allerdings wundert es mich dann, dass sie die Papiere nicht selbst an sich genommen haben.«

»Soweit ich von den Schweden erfahren habe«, fuhr Frank fort, »müssen unmittelbar nach dem Unfall die ersten Helfer zur Stelle gewesen sein, sodass sie vermutlich deshalb keine Chance hatten, die Koffer an sich zu nehmen. Die mussten sich verdrücken, damit sie nicht erkannt werden. Sonst hätte Stalin einige unangenehme Fragen beantworten müssen. Durch die Nähe zum Flughafen war auch die Flughafenfeuerwehr schnell zur Stelle. Dem Fahrer allerdings konnte niemand mehr helfen, der muss sofort tot gewesen sein.«

»Wie geht es Carl?«, wollte David wissen.

»Er ist schwer verletzt und wird wohl lange brauchen, bis er wieder halbwegs auf dem Damm ist.«

»Guten Morgen.« Ohne anzuklopfen betrat Patrick den Raum. Er war ein lockerer Typ, der sich nur begrenzt um Rücksichtnahme und Anstand kümmerte. Klopfen gehörte auf jeden Fall nicht zu seiner Art. Federnden Schrittes ging er auf die beiden zu und legte David einen Stapel Unterlagen mitten auf den Tisch.

»Da habt ihr den ersten Teil. Hat mich zwei Tage und Nächte gekostet, aus dem Altpapier noch was rauszuholen. Ich hab‘s kopieren lassen, sodass ihr mit den Kopien arbeiten könnt, ohne sie mit Samthandschuhen anfassen zu müssen.«

David griff sich einen Teil vom Stapel und sah ihn flüchtig durch. »Wie sieht‘s aus? Kann man die Informationen noch verwerten?«

»Also, was ihr hier seht, sind Kopien von dem, was noch halbwegs lesbar war. Da sind viele Textdokumente, also Berichte und Ähnliches dabei, einige Zeichnungen und Pläne von Raketen und eine Handvoll Briefe. Ich habe mir die Kopien mal ein bisschen genauer angeschaut, allerdings ist mein Deutsch dann doch nicht so gut. Ob was Brauchbares dabei ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe einen Teil bereits zur Übersetzung gegeben, aber die wird auch ihre Zeit brauchen, da Fachbegriffe zur Raketentechnologie nicht gerade jedem bekannt sind.« Er begann, die restlichen Unterlagen auf dem Schreibtisch auseinanderzuschieben. »Eins ist mir aber aufgefallen. Das wollte ich euch noch zeigen«, sagte er, während er die Papiere durchsah. Das gesuchte Dokument fand er aber nicht. Dann blickte er zu David, der noch einige Kopien in der Hand hielt. Ohne zu fragen, nahm er sie ihm ab und blätterte darin herum. »Da ist es. Schaut euch das mal an.«

David und Frank drängten sich um Patrick, der das Dokument vor Ihnen auf den Schreibtisch legte.

»Das ist die Skizze einer Rakete und die sieht ähnlich aus, wie wir sie in jedem Buch über Raketen wiederfinden. Interessant ist aber das, was hier oben steht.« Er zeigt mit dem Finger auf die obere linke Ecke der Zeichnung. Dort stand der Begriff A10, gefolgt von dem Wort Amerika. »America schreibt man im Deutschen mit k statt mit c«, fuhr Patrick belehrend fort, »der Rest ist gleich, ist also einfach zu verstehen. Ob das nun der Name der Rakete darstellt oder das Ziel, zu dem diese fliegen soll, das herauszufinden wird jetzt eure Aufgabe sein.« Er tippte mit dem Zeigefinger auf das Wort, dann wandte er sich um und wollte zur Tür. »Ach übrigens.« Er blieb kurz stehen. »Ich habe noch einige Dokumente im Labor, die - sagen wir mal - etwas mehr Aufmerksamkeit verlangen. Das wird noch ein bisschen dauern, aber ich denke, da kriegen wir noch was raus. Allerdings bleibt auch ein riesiger Berg mit Asche zurück. Sobald es was Neues gibt, lass ich wieder von mir hören.«

Damit ging er und ließ die Tür offen stehen.

David nahm die Skizze mit der Rakete in die Hand und betrachtete die Überschrift. »A10 Amerika«, sagte er in Gedanken versunken leise vor sich hin.

»Meinst du, die Deutschen haben bereits eine Rakete entwickelt, die bis nach Amerika fliegen kann?«

»Ich weiß es nicht.« David zog die Schultern hoch. »Aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass da was läuft. Wenn die Nazis dazu in der Lage sind, dann haben sie durchaus noch die Möglichkeit, diesen verdammten Krieg zu gewinnen, auch wenn wir mittlerweile einen großen Teil der von Ihnen besetzten Gebiete wieder befreit haben.«

David wurde still und Frank beobachtete ihn. In seinem Kopf arbeitete es, das konnte man ihm ansehen.

Im Büro herrschte absolute Stille, als David unvermittelt sagte: »Ich muss herausfinden, was sie vorhaben.« Und nach einer weiteren Pause ergänzte er: »Und ich werde das verhindern. Das bin ich Kate schuldig.«

Peenemünde, Freitag, 9. Juni 1944, 20:35 Uhr

Hans parkte den Wagen vor einem Haus, das sich nicht sonderlich von den anderen unterschied. Sein Blick streifte über die Häuserfronten in unmittelbarer Nachbarschaft.

Die Siedlung Karlshagen war in den dreißiger Jahren in kurzer Zeit von den Nationalsozialisten errichtet worden. Dabei ging es weniger um die Errichtung individueller Wohnhäuser, hierbei stand klar eine Mischung aus Zweckmäßigkeit, Kosten und Zeit im Vordergrund.

Hans stieg aus und zog den Reisverschluss seiner Jacke nach oben. Es war nicht kalt, durch den böigen Wind aber doch etwas ungemütlich. Dunkle Wolken zogen durch den Himmel und die Sonne nutzte jede Lücke zu einem beeindruckenden Schauspiel. Er ging die Stufen hinauf und blickte direkt in Augenhöhe auf die Hausnummer, deren schwarz lackierte Metallbuchstaben sich von dem braunen Holz der Eingangstür abhoben. Die Klingel befand sich rechts auf Höhe der Türklinke. Hans drückte sie, trat zurück und wartete. Die Vorhänge im Erdgeschoss waren zugezogen. Er vernahm Geräusche aus dem Inneren, kurz darauf wurde die Tür geöffnet.

»Schön, dass du da bist. Komm rein«, sagte die Frau in einer angenehm weichen und verführerischen Stimme.

»Hallo Ilse«, erwiderte Hans ihren Gruß.

Sie trat einen Schritt zurück. Im Flur nahm sie ihm die Jacke ab. »Ich hänge sie dir auf. Du kannst schon mal ins Wohnzimmer gehen.«

»Danke«, erwiderte Hans und ging nach rechts in den Wohnraum. Der Tisch war geschmückt mit drei brennenden Kerzen und einem Blumenstrauß, der vermutlich vor einer Stunde noch auf irgendeiner Wiese geblüht hatte, so frisch wirkte er. Die beiden, im rechten Winkel zueinanderstehenden, Sofas waren mit einem braunen Stoff bezogen, der an manchen Stellen schon etwas abgenutzt war. Dazwischen stand ein kleiner Ecktisch mit einer elektrischen Lampe. Hans sah zum Esstisch vor dem Fenster. Er war mit zwei Garnituren gedeckt, deren Teller verrieten, dass es vor dem Hauptgang noch eine Vorspeise geben musste. Die Gläser deuteten auf einen Rotwein hin. Auch hier brannte eine Kerze.

»Wenn du möchtest, kannst du dich schon mal setzen, ich bringe gleich die Suppe«, sagte die Frau, nahm die beiden Suppenteller vom Tisch und verschwand mit einem Lächeln im Gesicht in der Küche. Hans beobachtete, wie sie den Raum verließ. Ihre weiße Bluse kombiniert mit einem braunen Rock gefiel ihm, doch war ihm das vorwiegend in Braun gehaltene Wohnzimmer zu trist. Lediglich die frischen Blumen brachten etwas farbliche Abwechslung, konnten aber gegen die vielen Brauntöne nicht ankommen. Hans setzte sich an die rechte Tischseite. Auf den Platz, an dem er immer saß, wenn er hier war. Sein Blick führte ihn zum Regal an der Wand, das mit Büchern, Bilderrahmen und mehreren dekorativen Gegenständen gefüllt war.

»Ich hoffe, du hast Hunger mitgebracht.« Die Frau stellte die beiden Suppenteller ab und setzte sich. »Ich wünsche dir einen guten Appetit.«

»Ilse«, sagte Hans, nachdem sie eine Weile stillschweigend gegessen hatten. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh und glücklich ich bin, wieder hier zu sein. Raus aus dem stinkenden Loch in Frankreich. Aber du hättest wegen mir doch nicht gleich so ein Essen kochen müssen.«

»Gerade weil du in einem solchen Loch gesteckt hast, muss ich dir doch was Vernünftiges bieten. Damit du wieder zu Kräften kommst. Und jetzt lass es dir erst einmal schmecken.«

Sie löffelten beide ihre Suppe.

»Willst du mir nicht erzählen, wie es dir ergangen ist?«

Hans legte einen Moment seine Hand auf die ihre, dann erzählte er die gleiche Geschichte, die er tags zuvor bereits Dornberger wiedergegeben hatte. Dabei vermied er es aber, auf die französische Familie einzugehen. Er wollte nicht auf die beiden Kinder zu sprechen kommen, die neben einer ungewissen Zukunft auch keinen Vater mehr hatten. Er wollte Ilse damit nicht belasten.

»Deine Suppe war einfach Weltklasse«, lobte er, als sie aufstand, um die leeren Teller abzuräumen.

»Danke«, erwiderte sie mit einem Aufschlag in der Stimme und verschwand für einige Minuten in der Küche. Das Klappern von Töpfen und Geschirr war zu hören, bevor sie mit zwei dekorativ angerichteten Tellern zurückkehrte. Der Braten mit der Soße duftete verführerisch und in kürzester Zeit war der Raum erfüllt von einem unwiderstehlichen Geruch. Hans schluckte erwartungsvoll.

»Sieht besser aus als das, was wir in Frankreich bekommen haben«, sagte er mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, »und riecht auch besser.«

»Das will ich doch hoffen«. Ilse forderte ihn mit einer Handbewegung auf anzufangen und nahm ihr Besteck in die Hand. Der Hauptgang wurde begleitet von einem französischen Rotwein und einem kurzen Gespräch über den aktuellen Stand der Entwicklung und anstehende Aufgaben. Hans vermied es, zu tief in Details abzutauchen. Er wollte nicht wirklich über die Arbeit sprechen. Es gab so viel anderes, was ihm jetzt wichtiger war. Er wollte die schrecklichen Erlebnisse hinter sich lassen und den Abend einfach nur genießen.

Als er den letzten Bissen geschluckt hatte, lehnte er sich zurück und strich sich zufrieden über den Bauch. »Es war wirklich exzellent.«

»Gern geschehen. Noch eine kleine Tasse Kaffee?«

»Nein, danke. Ich will heute wieder einmal richtig gut schlafen.«

»Das glaube ich dir. Ich bin gleich zurück«, sagte Ilse, stapelte die leeren Teller übereinander und ging damit in die Küche. »Du kannst Dich ja schon mal aufs Sofa setzen«, hörte er sie rufen, dann klapperte wieder Geschirr.

Hans stand auf und ging auf das Regal zu. Er nahm einen Bilderrahmen in die Hand und betrachtete das Foto schweigend.

»Ich vermisse ihn nach wie vor sehr und ich habe immer wieder Nächte, in denen ich Tränen vergieße, wenn ich an ihn denke«, sagte plötzlich Ilse neben ihm.

Hans zuckte zusammen. Er hatte nicht gehört, wie sie aus der Küche zurückgekommen war.

Sie nahm ihm den Rahmen aus der Hand und hielt ihn mit beiden Händen fest. »Es ist jetzt schon bald ein Jahr her seit dem großen Luftangriff. Hätte er nicht helfen wollen und wäre hiergeblieben, wäre er heute noch am Leben. Dieser verdammte Krieg.« Ihre Stimme wurde zittriger.

Er konnte ihren Schmerz nachvollziehen. Er hatte viele Jahre mit Werner zusammengearbeitet und zwischen den Männern hatte sich eine starke Freundschaft entwickelt. Es hatte auch ihn schwer getroffen, als er am Tag nach dem ersten großen Angriff auf Peenemünde im August 1943 vom Tod seines Freundes erfahren hatte. Zu Ilse hatte schon immer eine freundschaftliche Beziehung bestanden und nach Werners Tod war er ein starker und wichtiger Rückhalt für sie gewesen. Er hatte sie überredet, schon bald wieder die Arbeit aufzunehmen. Das würde sie ablenken und ihr besser über die schwere Zeit hinweghelfen, hatte er ihr geraten. Sie war an ihren Arbeitsplatz zurückgekehrt, doch war sie seitdem einigen Dingen gegenüber kritischer eingestellt. Bisher hatte man darüber hinweggesehen, da man dies auf den schlimmen Verlust zurückführte, den sie erlitten hatte.

Hans nahm ihr das Bild ab und stellte es in das Regal zurück. Damit holte er sie aus ihrer Gedankenwelt zurück, in die sie kurzzeitig versunken war.

Sie fing sich überraschend schnell wieder. »Möchtest du noch ein Glas Wein?« Sie drehte sich um und ging an den Tisch, um die halb volle Flasche zu holen.

Hans Blick fiel auf eine freie Fläche im Regal, auf der sich bereits eine feine Staubschicht gebildet hatte. »Was hat hier eigentlich gestanden?«

»Ach, da stand doch immer das Funkgerät von Werner.« Und nach einer kurzen Pause ergänzte sie in Gedanken versunken. »Das war seine große Leidenschaft vor dem Krieg, als er noch ein bisschen Zeit dafür hatte.«

»Und wo ist das Gerät jetzt?«

»Das habe ich Dieter geliehen.«

»Was will denn Dieter damit?« Hans sah sie erstaunt an.

»Das musst du ihn schon selbst fragen. Hier ist dein Wein.« Ilse saß bereits auf dem Sofa und sah Hans auffordernd an. »Kommst du noch ein bisschen zu mir? Lass uns noch einmal anstoßen auf deine gesunde Rückkehr aus Frankreich.« Ilse trank einen Schluck, dann lehnte sie ihren Kopf an Hans Schulter. »Wie geht es Elisabeth und den Kindern?«

Hans erzählte von daheim und wie es Elisabeth ergangen war, während er in Frankreich eingesperrt war. Dann wurde auch er müde. Das viele gute Essen und der schwere Wein taten ihre Wirkung.

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