Kitabı oku: «Die Chancengesellschaft», sayfa 3

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Eigentlich hätte Henkel nach Sindelfingen und Böblingen zurückkehren müssen, aber wieder weiß er einen Zufall zu nutzen und landet als Country General Manager in Ceylon. 1969 hilft dann alles Sträuben nichts mehr, er muss nach Deutschland zurückkehren, erhält aber eine interessante Aufgabe. Er soll in München ein weltweit operierendes Beratungszentrum für die Fertigungsindustrie aufbauen. Mit seinen Mitarbeitern entwickelt Henkel ein Konzept, das COPICS genannt wird. Es soll als Basis für die Anwendungsentwicklung in der Fertigungsindustrie dienen. Er stellt es der Konzernmutter in den USA vor und empfiehlt, COPICS zu programmieren. Die Software sollte dann in den IBM- Computern eingesetzt werden.

IBM, noch ganz eine weltweit führende Hardware-Company, lehnt das ab, steht auf dem Standpunkt, die Kunden sollten sich die Anwendungen selbst programmieren. Ein Riesenfehler, kommentiert Henkel die Ablehnung. Er kann sich nicht durchsetzen.

Vier seiner Kollegen machen sich daran, auf eigene Rechnung Standardanwendungen zu entwickeln. Sie werden SAP-Milliardäre. Henkel ist zwar über die Konzernmutter frustriert, steht auch auf dem Sprungbrett, aber hat nicht den Mut, sich wie seine Kollegen selbstständig zu machen. Das Risiko ist ihm zu groß. Er hat bereits zu viel bei IBM zu verlieren. Kein anderer IBM-Manager ist in jungen Jahren so weit gekommen wie er. Außerdem hat er Familie mit Frau und Tochter.

Ein sozialer Aufsteiger ist Henkel nicht. Er ist in einer großbürgerlichen, gut situierten Hamburger Kaufmannsfamilie aufgewachsen, die zunächst in einer Villa in einem besten Hamburger Stadtteile und dann in einer herrschaftlichen Wohnung lebt. Er ist ein Bildungs- und Karriere-Aufsteiger. Er ist ein besonders cleverer Unternehmer seines Lebens, immer auf der Suche nach Chancen voranzukommen, sei es bei der Aufnahme in die Akademie, bei der Bewerbung bei IBM, beim Job im IBM-Pavillon in New York, in Indien und in Ceylon. Er hat eine Nase für Chancen, findet sie und nutzt sie entschlossen, mit einem starken Selbstvertrauen und einem Schuss Kühnheit. Von Typologien, wie sie Persönlichkeitsforscher bilden, hält Henkel nichts. Er erkennt sich aber in gleich drei Persönlichkeitstypen wieder: in dem Wettkampf-Typ, der besser als andere sein will; im ergebnisorientierten Typ, den gute Leistungen zu noch besseren motivieren, und in dem wachstumsorientierten Typ, der aus Fehlern und Rückschlägen lernt. Fehler habe er immer wieder gemacht, bekennt Henkel und zu verlieren, habe er nie gelernt. „Ich entdecke die Fehler anderer Leute“, sagt er, „weil ich mich darin selbst wieder erkenne. Das bezieht sich auf fast alles: auf Eitelkeit, Gefallsucht und Pingeligkeit“.

Auch sein nächstes Karriereziel hat der IBM-Nachwuchsmanager schon bestimmt. Er will Leiter einer IBM-Geschäftsstelle in Deutschland, am liebsten in seiner Vaterstadt Hamburg werden. Im Spaß sagt er gegenüber Freunden, er wolle einmal IBM-Generaldirektor von Deutschland werden. Noch erscheint das wie ein Traum.

Mancher seiner Vorgesetzten hat bereits seine schützende Hand über Henkel gehalten, sein großer Mentor wird Kaspar Cassani. Der Schweizer ist in diesen Jahren Vizepräsident der IBM-Europa in Paris. Henkel und Cassani kennen sich aus einer Zusammenarbeit in einer Taskforce. Auch hat Henkel Cassani bei einer Präsentation von COPICS in München beeindruckt. „Er schien geradezu einen Narren an mir gefressen zu haben“, schreibt Henkel in seinen Erinnerungen.

Eine entscheidende Weichenstellung kündigt sich an. Cassani beginnt den zehn Jahre jüngeren Henkel zu fördern, holt ihn zu sich nach Paris und betraut ihn damit, sein Sorgenkind, die Telefonanlage IBM 3750, die ein Flop zu werden droht, zu einem Erfolg zu führen. Henkel gelingt dies. Er rechtfertigt das Vertrauen, das Cassani in ihn gesetzt hat und wird zum Director of Operations befördert. In seinen Erinnerungen zeichnet Henkel von Cassani das Bild einer großen, bescheidenen Persönlichkeit, eines vorbildlichen, ehrgeizigen, zuweilen allerdings auch etwas rechthaberischen und zu selten lobenden Managers. Für Henkel wird Cassani beides: sein Vorbild und sein Vorgänger als Chef der IBM- Europa.

Neben Griechenland und dem Nahen Osten gehört auch Afrika zu dem neuen Verantwortungsbereich des Directors of Operations in Paris. 1978 klettert Henkel in der IBM-Hierarchie nach oben, wird Director of Operations für eine Reihe mitteleuropäischer Länder. Henkel reüssiert mit dem Konglomerat aus über 80 Ländern, für das er zuständig ist. Es ist vom Umsatz und Ertrag bedeutender als Deutschland. Er ist zu dieser Zeit bereits Vicepresident IBM-Europe. Cassani, mittlerweile Europa- Chef der IBM, gerät unter Druck. Die Konzernmutter akzeptiert nicht, dass in Deutschland weniger verdient wird als in anderen Ländern, erwartet, dass die Ergebnisse besser werden. Sie will Aktionen sehen. Cassanis Aktion liegt darin, der Zentrale Henkel als Troubleshooter für die IBM-Deutschland zu empfehlen. Henkel startet in Stuttgart als stellvertretender Vorsitzender, nach kurzer Einarbeitungszeit wird er Chef. IBM gewinnt unter Henkels Führung die an Nixdorf verlorenen Marktanteile zurück, klettert auf Platz fünf der in Deutschland meist geschätzten Unternehmen und auf Platz drei der am besten gemanagten Unternehmen. Nur im Wettbewerb mit SAP bleibt IBM zweiter Sieger. Bei den immer preiswerter werdenden PC spürt IBM den schärfer gewordenen Wettbewerb. Einen langfristig folgenschweren Fehler macht Henkel, als er an dem IBM-Betriebssystem OS2 festhält und Bill Gates abblitzen lässt, der ihn bei einem Besuch in Stuttgart bewegen will, Windows zu übernehmen.

Friedrich Wilhelm Sparberg, der aus dem in dem Konzern wenig geachteten Finanzbereich zum Chef der IBM-Deutschland aufgestiegen ist, wird 1985 von der US-Zentrale in Armonk ersetzt. Die deutschen Umsatz- und Ertragszahlen sind hinter den weltweiten IBM-Ergebnissen zurückgeblieben. Diese schlechteren Ergebnisse spiegeln allerdings zum großen Teil nur die deutschen Standortnachteile wider. Henkel meint in der Rückschau, es sei etwas unfair gewesen, Sparberg dafür verantwortlich zu machen. Er wolle auch nicht von sich behaupten, er sei besser gewesen als die Manager in der zweiten Reihe hinter Sparberg. Aber er habe einen guten Ruf in der Zentrale gehabt. Man habe ihm zugetraut, wieder Schwung in die IBM-Deutschland zu bringen.

Henkel macht die deutschen Standortnachteile, die hohen Lohn- und Lohnzusatzkosten, die hohen Steuern, die Mitbestimmung, die starren Flächentarifverträge, die 35-Stunden-Woche zu seinem Top-Thema. Henkels öffentliche Kritik über nicht mehr akzeptable Steuerlasten hat Erfolg. Stoltenberg, damals Finanzminister, sorgt dafür, dass durch ein Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA, die IBM und andere Firmen, auch deutsche Firmen mit Niederlassungen in den USA, von hohen, doppelt zu zahlenden Steuern befreit werden. In einer nervenzehrenden Auseinandersetzung mit der IG Metall erreicht er, dass IBM aufgrund einer Ausnahmegenehmigung den Vier-Megabit-Chip in Baden-Württemberg an sieben Tagen in der Woche produzieren darf. Die deutschen Standortnachteile kann Henkel jedoch nicht beseitigen. Er muss ein IBM-Werk umstrukturieren, drei andere aus Kostengründen schließen.

Die IBM-Zentrale räumt Henkel als Deutschlandchef große Freiheiten ein. Ohne Rückversicherung tritt er aus dem Arbeitgeberverband aus, verlegt den juristischen Sitz der deutschen IBM wieder nach Berlin, strukturiert das Werk in Hannover um. Die IBM-Europa steht hinter ihm, die Mitarbeiter sind wieder motiviert und die Wiedervereinigung sorgt für eine Sonderkonjunktur. Das ist ein Glücksfall für ihn. Die blendenden Ergebnisse werden Henkel gutgeschrieben. Mit hanseatischem Understatement hält er in seinen Erinnerungen fest: „Unter den gegebenen Voraussetzungen fiel der Erfolg allerdings so leicht, dass selbst Mickymaus als Chef der IBM Deutschland ihn hätte erzielen können“.

Das Deutschland-Geschäft boomt, aber der IBM-Konzern insgesamt gerät in eine Krise. Die Aktionäre machen dafür den damaligen IBM- Chef John Akers verantwortlich. Henkel befürchtet, mit Akers einen wichtigen Verbündeten zu verlieren.

Er erhält das Angebot, Vorstandschef eines weltweit renommierten deutschen Großunternehmens zu werden. Der Vertrag enthält jedoch eine Klausel, eine Art Maulkorberlass, die Henkel nachdenklich stimmt. Seine Ankündigung, möglicherweise die IBM zu verlassen, alarmiert die Zentrale. IBM-Boss Akers verspricht, Henkel bald zum Chef der IBM Europa zu ernennen. Henkel entschließt sich, bei IBM zu bleiben und dem deutschen Unternehmen abzusagen.

Lou Gerstner, Akers Nachfolger an der IBM-Spitze, löst das Versprechen ein, Henkel zum Chef der IBM Europa zu befördern. Henkel trägt nun die Verantwortung für neunzigtausend Mitarbeiter. Gerstner dramatisiert nach Henkels Einschätzung die Krise der IBM durch eine riesige Abschreibung, aber er zerschlägt die IBM nicht, wie es viele Analysten erwarten, sondern führt eine neue, zentralisierte Organisationsstruktur ein, die der Globalisierung besser entspricht. Henkel muss diese vertikale, hierarchische Verantwortungsstruktur, die die Länderchefs entmachtet, in Europa durchsetzen. Anders als Gerstner es in seinem Memoiren darstellt, habe er diese neue Struktur nicht boykottiert, sondern nur einige Auswüchse nicht mitgemacht. Dies habe ihm Gerstner jedoch als Obstruktion ausgelegt, wehrt sich Henkel gegen die Boykottvorwürfe.

Nach einundeinhalb Jahren ist die IBM so umstrukturiert, dass Henkel in der Produktion nichts mehr zu sagen hat. Immer mehr Entscheidungen laufen an ihm vorbei, werden im IBM-Hauptquartier in Armonk getroffen. Henkel fragt sich, was er in Paris, in der IBM-Europa-Zentrale eigentlich noch macht. Immer öfter schaut ihm jemand aus der Zentrale über die Schulter, immer häufiger muss er kurzfristig an Meetings und Präsentationen in Armonk teilnehmen. Henkels großes Reich der Freiheit schrumpft zu einem Kleinstaat. Henkel: „Ich glaube, ich habe schon einmal auf jedem Sitz in jeder Concorde gesessen“. Seine eigenen Termine kann er immer seltener wahrnehmen. Das erste Mal in seiner IBM- Karriere ist er unglücklich. Das merkt man ihm an. Es macht ihm zu schaffen, dass das Bild des mächtigen IBM-Europa-Chefs der Realität immer weniger entspricht.

An einem Frühlingstag im Jahre 1994, Henkel sitzt in einem Meeting in Armonk, wird er aus der Sitzung herausgerufen, um einen wichtigen Anruf entgegen zu nehmen. Tyll Necker, damals zum dritten Mal Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, ist am anderen Ende der Leitung. Henkel und Necker kennen sich von vielen Gelegenheiten. Necker sitzt auch im Aufsichtsrat der IBM-Deutschland. Er fragt Henkel, ob dieser sich vorstellen könne, sein Nachfolger zu werden. Henkel ist überrascht und amüsiert, nennt das zunächst eine reichlich verrückte Idee, bittet um Bedenkzeit und verspricht eine Antwort in einer Woche. Schließlich hat er bislang noch nie eine Funktion in einem Verband innegehabt und war zudem noch Manager einer amerikanischen Firma. Andererseits ist weithin bekannt, dass Henkel einer der härtesten Kritiker der deutschen Standortschwächen ist. Er hat auch schon Vorträge vor BDI-Gremien gehalten.

Henkel vermutet, dass ihn Edzard Reuter, der damalige Daimler-Benz- Chef, bei Necker ins Spiel gebracht hat. Reuter hätte ihn gern als DASA-Chef in seinen Konzern geholt, schätzte seine internationale Erfahrung und seinen Mut, die Standortschwächen beim Namen zu nennen. Allerdings ist Necker bei seinem Angebot an Henkel nicht mehr so frei wie es scheint. Es spricht einiges dafür, dass Necker auf Vorschlag des damaligen BDI-Hauptgeschäftsführers von Wartenberg das Präsidentenamt bereits dem Chef der Hamburger Holsten-Brauerei und Präses der Handelskammer Hamburg, Klaus Asche, angeboten hatte. Das weiß aber Henkel nicht. Er ruft Necker nach einer Woche an und sagt zu, wundert sich jedoch darüber, dass eine freudige Reaktion Neckers ausbleibt. Necker hatte wohl gehofft, interpretiert Henkel Neckers Verhalten, dass er von selbst absagen oder die Botschaft erhalten würde, die Präsidentschaft laufe auf einen anderen zu. Das geschieht aber nicht. Im Gegenteil, Henkel hat schon die Zentrale in Armonk von dem ehrenvollen Angebot unterrichtet und eine Auseinandersetzung mit Gerstner in Kauf genommen. Die Trennungsgespräche mit der IBM-Mutter verlaufen für Henkel enttäuschend. Es bleiben ihm nur ein Teil seiner angesammelten Optionen und die für IBMer übliche Pension. Zugleich legt IBM Wert darauf, dass er seinen Sitz im Aufsichtsrat der deutschen IBM und im Beirat der IBM-Europa behält. Das Ausscheiden bei IBM ist für den 1. Januar 1995 vereinbart, damit er sich im November 1994 der Wahl zum BDI- Präsidenten stellen kann.

Schon seit einigen Wochen hat Henkel keinen Kontakt zu Necker. Eines Morgens traut er seinen Augen nicht. Die Wirtschaftswoche verkündet, Neckers Nachfolger sei gefunden. Klaus Asche werde für die BDI-Präsidentschaft kandidieren. Necker habe gehofft, kommentiert Henkel die peinliche Situation, das Problem würde sich von selbst lösen: „Sein Fehler war, keine schlechten Nachrichten übermitteln zu können“.

Bei IBM zu bleiben, wäre für Henkel nur mit einem Gesichtsverlust möglich gewesen. Eine solche Blamage will er vermeiden und so nimmt er die Herausforderung einer Kampfkandidatur an. Es gelingt ihm, sich der Findungskommission des BDI, die den neuen Präsidenten ausguckt, vorzustellen. Die Kommission lehnt Henkel ab, aber er weiß, dass die eigentliche Vorentscheidung von den sieben BDI-Vizepräsidenten getroffen wird.

Auch für den Bundeskanzler Helmut Kohl ist es nicht gleichgültig, wer an der Spitze des BDI steht. Er hat sich häufig über Necker geärgert und befürchtet vom Regen in die Traufe zu kommen, wenn sich der BDI für Henkel entscheiden sollte. Henkel erfährt, wie das Kanzleramt zugunsten Asches und gegen ihn in dem Findungsprozess interveniert. „Die Zeit von Juni bis September 1994“, schreibt Henkel in seinen Memoiren, „war vermutlich die härteste Zeit meines Lebens. Ich hatte die Stelle aufgegeben, auf die ich jahrzehntelang hingearbeitet hatte, und mich im Gegenzug zum Spielball eines mir unzugänglichen Gremiums gemacht, das über mein Schicksal entschied.“

Henkel sucht einige Vizepräsidenten auf, die er gut aus seiner IBM-Zeit kennt. Er gewinnt schließlich unter den Vizepräsidenten eine Mehrheit. Diese kippt das Votum der Findungskommission und schlägt mit einer Mehrheit von einer Stimme Henkel als BDI-Präsidenten vor. Asche erfährt durch Necker erst davon, als er von einer Kreuzfahrt aus Asien zurückkehrt. Der Bauereichef ist empört, zieht seine Kandidatur zurück. Die Mitgliederversammlung wählt Henkel mit 95 Prozent der Stimmen. Nach seiner Wahl durch die Mitgliederversammlung sucht Henkel Asche auf und spricht sich mit ihm aus. Er bleibt für sechs Jahre Präsident des BDI. Hundert Prozent der Stimmen erreicht er auch bei den folgenden Wahlen nicht.

Der Kampf um das Ehrenamt des BDI ist für ihn eine Frage der Selbstachtung gewesen. Die mit dem Amt verbundene Chance, in Deutschland etwas zu bewegen und Reformen anschieben zu können, haben ihn gereizt. Keiner konnte ihn mehr zum Rapport bestellen. Henkel genießt die Freiheit, die Aufgabe macht ihm Spaß. Der BDI wird sein Hobby. Als Ziel, für das er häufig bis in die Nacht arbeitet, nennt Henkel „die wettbewerbsfähige Gesellschaft“, die Verbesserung der Konkurrenzfähigkeit Deutschlands. Dafür nimmt er 14- bis 16-stündige Arbeitstage in Kauf. Dafür setzt er sich auch nach seinem Ausscheiden aus dem BDI-Spitzenamt als Präsident der Leibniz-Gemeinschaft in den Jahren von 2001 bis 2005 und immer wieder in Talkshows ein. Er zieht eine positive Bilanz seines BDI-Hobbys. Er habe manchen Unsinn verhindert, einige Reformen erreicht, aber es bleibe noch vieles zu tun. Henkels wichtigstes Anliegen bleibt sein Eintreten für ein effektiveres politisches Entscheidungssystem.

Die Wissenschaftsorganisation „Leibniz-Gemeinschaft“ hat Henkel zum Abschied überrascht. Sie hat den „Hans-Olaf-Henkel-Preis für Wissenschaftspolitik“ ausgelobt und eine neue, in den Bergen Sulawesis lebende Schmetterlingsart nach ihm benannt, die „Bracca olafhenkeli“. Die Flügel des schönen Falters fallen durch ein Leopardenmuster auf. Das Muster könnte eine Anspielung auf Eigenschaften Henkels sein: Leoparden sind wegen ihrer Stärke und ihres Mutes in vielen Kulturen zum Symbol für Krieger und Herrscher geworden.

Hans-Olaf Henkel hat nach seinem 55zigsten Lebensjahr seine Ehrenämter, das Präsidentenamt beim BDI, das Präsidentenamt bei der Leibniz-Gemeinschaft und die Null-Euro-Honorar-Professur an der Universität Mannheim zu seinem Beruf gemacht, er hat für seine „Hobbys“ gelebt. Ein „workaholic“ ohne Zeit für die Familie, für die von ihm geliebte Jazzmusik, für das Schachspielen und das eigene Segelboot ist er nie gewesen.

Sein kostbares Jazzarchiv zählt mehr als 500 Vinylscheiben. Einige stammen noch aus der Zeit, als er 16 Jahre alt war, für Nat King Cole und Earl Bostic schwärmte und für seine Freunde in seiner Wohnung einen Jazz-Salon, das „Studio 48“, einrichtete und ein Jahr später durch die Jazzlokale auf St. Pauli zog. Fasziniert von einer Beatle-Muse lässt er sich damals von der Angebeteten zu einer Pilzkopf-Frisur überreden. Bald tragen auch die auf der Reeperbahn spielenden Beatles diese Frisur. Henkel ist dem Jazz treu geblieben. Seit März 2008 lädt er jeden Sonntag auf Jazz-Radio 101,9 von 12 bis 13 Uhr zum „Jazzbrunch“ ein. Die Sendung ist beliebt, nicht nur wegen Henkels gutem Musikgeschmack. Manche hören sie nur wegen der Zwischentöne, wegen Henkels Frozzeleien und frechen Sprüche.

Andrea Nahles

Die Vorarbeiterin der SPD

„Ich gehe optimistisch in jeden Tag“

Abtauchen gibt es für Andrea Nahles nicht. Nach einer langen Wahlnacht stellt sie sich im Morgenmagazin des 28. September 2009 den Fragen des ARD-Korrespondenten. Die SPD hat 11,2

Prozentpunkte verloren. Sie ist auf 23,03 Prozent abgestürzt. Es ist das schlechteste Ergebnis bei einer Bundestagswahl, eine historische Niederlage. Für Andrea Nahles ist die Chance vertan, Bildungsministerin in einer von Frank-Walter Steinmeier geführten Regierung zu werden. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende versucht gar nicht erst, das Ergebnis schönzureden, spricht von einem massiven Vertrauensverlust, aber auch der festen Absicht, das Vertrauen zurück zu gewinnen. Sie prophezeit, dies werde kein Sprint sondern ein Mittelstreckenlauf. Der Optimismus, der sie auszeichnet, ist an diesem Morgen nach der Wahlniederlage verhalten, das Lächeln durchzogen von Nachdenklichkeit und Entschlossenheit. Das Ergebnis sei kein Signal für ein „Weiter so“, sagt Frau Nahles in das Mikrofon des Reporters. Mehr nicht. Über die nun anstehende Erneuerung der SPD will sie zunächst hinter verschlossenen Türen sprechen.

Trotz der erdrutschartigen Verluste der SPD zieht Andrea Nahles 2009 wieder in den Bundestag ein. Die rheinland-pfälzische SPD hatte sie auf den sicheren Platz 1 ihrer Landesliste gesetzt. Denn den Wahlkreis Ahrweiler, in dem sich Andrea Nahles wieder um ein Direktmandat beworben hat, gewinnt auch 2009 Mechthild Heil von der CDU. Zwar hat Mechthild Heil über vier Prozent weniger Erststimmen als bei der Bundestagswahl 2005 erhalten, aber Andrea Nahles hat gegenüber 2005 elf Prozentpunkte eingebüßt und nur noch 24,9 Prozent der Erststimmen gewonnen. Einen kleinen Nahles-Bonus gibt es im Wahlkreis 199 dennoch, denn mit nur 21,9 Prozent hat die SPD bei den Zweitstimmen noch schlechter abgeschnitten.

Hätten sich die Bürger im gesamtem Wahlkreis Ahrweiler so entschieden wie die Wähler in Weiler, der Heimatgemeinde von Andrea Nahles, wäre ihr das Direktmandat sicher gewesen. Andrea Nahles gewinnt in Weiler 54 Prozent der Erststimmen, doppelt so viel wie die SPD Zweitstimmen. Rechnet man den zwei Kilometer entfernt gelegenen Ortsteil Niederelz hinzu leben 532 Einwohner in der Gemeinde.

Den Heimvorteil in Weiler verdankt Andrea Nahles der Bodenständigkeit der Familie Nahles und ihrer Heimattreue, vielleicht auch ein wenig dem Fest, zu dem sie das ganze Dorf auf ihren Hof eingeladen hat. Vater Nahles hat den alten Backes auf ihrem Hof angeheizt, Andrea Nahles und ihre Mutter backen herrlich duftendes Brot und Kuchen, die von ihrem Vater destillierten Obstbrände sorgen für beste Stimmung. Andrea Nahles wohnt auf dem über 250 Jahre alten Bauernhof ihrer Urgroßeltern mütterlicherseits. Ihr Vater, der Maurermeister Alfred Nahles, hat ihn restauriert und modernisiert. Auf dem nahen Reiterhof steht ihr Pferd „Siepke“, ein großer schwarzer Friese mit buschiger Mähne.

Die Familie Nahles engagiert sich im Dorf. Der Vater hat den Kirchenchor gegründet und lange geleitet, ihr jüngerer Bruder hat die Orgel in der Kirche gespielt, heute sitzt ihre Cousine auf der Orgelbank. Andrea Nahles Mutter, eine Ex-Finanzangestellte, ist im Verwaltungsrat der Pfarrgemeinde und für deren Kasse zuständig.

Andrea Maria Nahles wächst in einem gut katholischen Elternhaus auf. Sie besucht die Zwergschule im Ort, in der ein Lehrer die erste und die zweite Klasse zusammen in einem Raum unterrichtet, wird Messdienerin und arbeitet in einer ökumenischen Jugendgruppe mit.

Nach der Grundschule wechselt sie auf die Realschule, obwohl sie eine Gymnasialempfehlung hat. Die Eltern trauen es sich finanziell nicht zu, die Tochter und ihren Sohn gleichzeitig auf das Gymnasium zu schicken. Das traditionelle Rollenbild im Kopf, entscheiden sie, dass Andreas Bruder das Gymnasium besuchen, die Tochter auf die Realschule gehen und eine Banklehre beginnen soll. Der Bruder besucht das Gymnasium und macht später als Arzt Karriere.

Andrea Nahles bleibt bis zur zehnten Klasse auf der Realschule. Ihre Realschullehrer setzen sich dafür ein, dass sie auf das Gymnasium wechselt. Sie nimmt noch auf der Realschule an Vorbereitungskursen teil, verbessert unter anderem ihr Englisch, und geht mit fünf anderen Schülern auf das Gymnasium. Statt die Spätwechsler zu ermutigen, legen es einige Gymnasiallehrer darauf an, die ehemaligen Realschüler vorzuführen. Ein Deutschlehrer nimmt Andrea Nahles sechs Wochen immer wieder dran, um zu beweisen, dass Realschüler wenig können. Das Bloßstellen gelingt jedoch nicht. In Deutsch ist Andreas Nahles ein Ass. „Es war wirklich übel. Statt die Durchlässigkeit zu fördern, erwartete mich zunächst eine Kette von Entmutigungen.“

Sie muss zudem in der Zeit des Wechsels von der Realschule auf das Gymnasium viele Wochen wegen eines Sehnenabrisses im Krankenhaus verbringen. Die Hälfte ihrer Gymnasialzeit kann sie nur mit Krücken gehen. Obwohl schon der Übergang auf das Gymnasium und die körperlichen Beeinträchtigungen viel Kraft erfordern, übernimmt sie noch die Chefredaktion der Schülerzeitung „Morjen“. Einmal findet eine Redaktionssitzung bei ihr im Krankenhaus statt. Sie macht ein gutes Abitur. Alle fünf ehemaligen Realschüler liegen mit ihren Abiturnoten im oberen Drittel.

Zweifel, ob sie das Abitur schafft, hat Andrea Nahles nicht gehabt. Aber von ihrer Selbstwirksamkeit ist sie nicht einhundertprozentig überzeugt. In ihrem kurz nach der Bundestagswahl 2009 erschienen Buch „Frau, gläubig, links. Was mir wichtig ist“ wirbt sie für eine „Kultur des Zweifels“. Im Gespräch sagt sie: „Ich bin immer von Selbstzweifeln geprägt gewesen, habe sie mir aber nicht anmerken lassen. Ich habe jedoch einen guten Antritt, überwinde Zweifel und entscheide schnell. Diese Entscheidungsstärke zeichnet mich aus. Ich stehe auch zu meinen Entscheidungen, selbst wenn sie sich als falsch erweisen“. Dieses Verhalten hat sie von klein auf gelernt. In der Nahles-Familie gibt es kein „Vertun“, was man angefangen hat, muss man, so gut es geht, zu Ende bringen. Halbe Sachen macht Andrea Nahles nicht. Für sie gilt immer „volle Kraft voraus“. Sie ist wie ihr Vater ein Energiebündel. Vorsicht und exaktes Planen hat sie von der Mutter gelernt, die Wert darauf legt, ihre Kinder früh zur Selbstständigkeit zu erziehen.

Einen der wichtigsten Werte der Familie Nahles lebt die Großmutter vor: ein starkes Arbeitsethos. Sie führt die sechsjährige Andrea an Aufgaben und Pflichten in der Familie heran und bereitet sie darauf vor, dass das Leben kein Zuckersch lecken ist.

Ihr starkes Interesse an der Geschichte sensibilisiert Andrea Nahles schon in der Schule für die Politik. Hinzu kommt der Einfluss der Ökobewegung. Als in Kaiseresch und Mayen, im Umkreis von 15 Kilometern zu Weiler, gleich zwei Müllverbrennungsanlagen gebaut werden sollen, engagiert sich die Siebzehnjährige in einer vom BUND für Umwelt und Naturschutz koordinierten Bürgerinitiative. Beide Anlagen werden nicht gebaut. Andrea Nahles erkennt, dass man mit Argumenten und Mehrheiten in den Stadträten etwas verändern kann.

Mit 18 Jahren tritt Andrea Nahles 1988 der SPD bei. Der Zufall will es, dass die SPD in diesem Jahr 125 Jahre alt wird. Wenige Wochen später gründet sie in Weiler einen SPD-Ortsverein.

Als Grund für ihren Eintritt in die SPD nennt Andrea Nahles ihren Gerechtigkeitssinn. Die Gesellschaft sei 1988 in dem über viele Jahrzehnte von der CDU regierten Rheinland-Pfalz noch sehr hierarchisch strukturiert gewesen. Wer zu den „besseren Leuten“ gehören wollte, habe Unternehmer oder ein hohes Tier in der CDU sein müssen.

Andrea Nahles arbeitet neben der Schule als freie Mitarbeiterin der Rheinzeitung. Sie will damals noch Journalistin werden. Durch ihre freie journalistische Tätigkeit erhält sie Einblick in die Kommunalpolitik und in die Arbeit der Parteien. Sie gewinnt den Eindruck, für junge Frauen wie sie, die Ehrgeiz haben und etwas bewegen wollen, sei kein Platz in der Union. Diese von ihr empfundene Situation in der Union verletzt für sie die Chancengerechtigkeit der Geschlechter, eine von ihr immer wieder gemachte Erfahrung. Hinzu kommt die Überzeugung, solidarisch helfen zu müssen, wenn andere auf Unterstützung angewiesen sind, so wie es ihre Mutter tut, als sie die Vormundschaft für eine blinde Tante übernimmt.

Gerechtigkeit üben heißt für Andrea Nahles aber vor allem, Partei zu ergreifen für die Benachteiligten und Wehrlosen, für Schüler, die von anderen gemobbt werden oder für einen Schüler aus einer sozial schwachen Familie, der von den Lehrern nicht gefördert sondern besonders schlecht behandelt wird. Solche Vorfälle werden in der Familie Nahles diskutiert und als ungerecht gebrandmarkt. Wenig Sympathie gibt es in der Familie für jene, die arbeiten könnten, aber es nicht tun. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird auch die spätere Politikerin Andrea Nahles immer ablehnen.

Nach dem Abitur am Gymnasium in Mayen studiert Andrea Nahles ab 1990 an der Bonner Universität Politik, Philosophie und Germanistik. Als sie Bundesvorsitzende der Jungsozialisten wird und eine 60-Stunden-Woche hat, muss sie das Studium zunächst ruhen lassen. Sie schließt es aber trotz der Doppelbelastung ab, als Magistra Artium bei dem Germanisten und Literaturwissenschaftler Professor Jürgen Fohrmann, dem späteren Rektor der Universität. Der Titel ihrer Magisterarbeit lautet: „Über die Funktion von Katastrophen im Serien-Liebesroman“. Sie sei insofern für ihre Arbeit in der SPD gut vorbereitet gewesen, sagt sie mit einem verschmitzten Lachen, weil Katastrophen in den Beziehungen zwischen Parteimitgliedern auch immer wieder vorkommen. Auch das konzeptionelle Denken, das vernetzte Denken in systemischen Zusammenhängen habe sie im Studium gelernt. Dieses strukturierte Denken, das gute Gefühl für Menschen und für Situationen habe ihr in der politischen Arbeit sehr geholfen. Die 2004 angefangene Promotion über „Walter Scotts Einfluss auf die Entwicklung des historischen Romans in Deutschland“ kann sie nicht beenden. Die vorgezogene Bundestagswahl 2005 kommt dazwischen. Sie entscheidet sich gegen eine universitäre Laufbahn und für eine politische Karriere. „Mich drängt es, etwas zu bewegen und zu gestalten.“

Einen Masterplan für ihre politische Karriere hat Andrea Nahles nicht. Durch die Gründung des Ortsvereins in Weiler werden die Untergliederungen des Jungsozialisten und der Landespartei auf sie aufmerksam. Nahles wird schnell stellvertretende Kreisvorsitzende, dann Kreisvorsitzende der Jusos in Mayen-Koblenz, 1992 stellvertretende Juso-Landesvorsitzende. Mit 23 Jahren führt sie ab 1993 den Landesverband der Jusos. Sie will für zwei Jahre Landesvorsitzende bleiben, um danach ihr Studium zu beenden. Im Mai 1995 gibt sie deshalb den Landesvorsitz der Jusos auf. Aber es kommt anders. Im Mai tagt auch der Juso-Bundeskongress in Gera. Der Juso-Vorsitzende Thomas Westphal wird mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen gewählt, die Wahl wird erfolgreich angefochten. Thomas Westphal, der knapp gewählte neue Vorsitzende, verzichtet bei der fälligen Wahlwiederholung auf eine erneute Kandidatur.

Nun suchen die Delegierten einen Kandidaten, der nicht in die Strömungskämpfe involviert ist, am besten eine Frau. Das trifft nur auf Andrea Nahles, die ehemalige Landesvorsitzende aus Rheinland-Pfalz zu. Andrea Nahles erbittet sich eine Bedenkzeit von zwei Wochen, denn eigentlich will sie ihr Studium beenden. Sie entschließt sich jedoch zu kandidieren, weil die Jusos in einer schweren Krise stecken. „ Es ist ein Zufall der Geschichte, dass ich Juso-Bundesvorsitzende geworden bin. Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, hätte ich damals „Nein“ gesagt.“ Auf Andrea Nahles stürmt ein „Hurrikan“, eine gewaltige Arbeitslast zu. Gleich am ersten Tag nach ihrer Wahl erhält sie zwanzig Interviewanfragen. An einen schnellen Abschluss des Studiums ist nicht zu denken. Aber sie steht zu ihrer Entscheidung.

Sie schließt als Juso-Vorsitzende eine strategische Allianz mit dem Vorsitzenden der IG Metall-Jugend. Beide organisieren in Frankfurt eine „Kohl-muss-weg“-Kampagne, an der sich 40 000 Jugendliche beteiligen. Die Zusammenarbeit konzentriert sich auf das Thema Ausbildung und Arbeit. Es wird Andrea Nahles politisches Kernthema. Ihre Rede auf dem außerordentlichen Jugend-Parteitag der SPD 1996 bringt für sie den Durchbruch in der Partei. Oskar Lafontaine überlässt ihr die Hauptbühne. Er hat Andrea Nahles Rede, bevor sie diese hält, gelesen, ungeachtet der darin auf ihn enthaltenen Angriffe für gut befunden und trotz der Einwände des damaligen SPD-Bundesgeschäftsführers Franz Müntefering auf die Hauptrede verzichtet. Die „Welt“ schreibt, die Nachwuchspolitikerin nutzt die Gelegenheit und liest den in die Jahre gekommenen Enkeln gehörig die Leviten. „Erst habt ihr die Alten überrannt – so weit okay – und dann habt ihr aus Konkurrenzangst die Jungen über Jahre hinweg einfach weggebissen.“ Für solche Sätze gibt es stürmischen Applaus.

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