Kitabı oku: «Mutter Angelica», sayfa 7

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5. Kapitel
St. Klara

Schwester Angelica verspürte stechende Schmerzen in ihren Knien, als sie gemeinsam mit den anderen fünf Schwestern am 1. Oktober 1946 in John O’Deas Limousine stieg und das Kloster verließ. Mit Schwester Angelica zusammen fuhren noch Mutter Clare, Mutter Luka, Schwester Veronica, die Novizenmeisterin, Schwester Mary vom Kreuz, eine Schwester, die aus einem anderen Orden übergetreten war, sowie Schwester Joanne, eine Postulantin, nach Canton.

Besonders für Mutter Clare war es ein schwerer Abschied. Die dreiundsiebzigjährige Äbtissin ließ Mutter Agnes, ihre beste Freundin, zurück, die sie 1921 im Kloster in Wien kennengelernt hatte. Während der Fahrt ließ die Äbtissin keinerlei Gefühlsregung erkennen, stattdessen hielt sie schon wegen der anderen Schwestern ihren Kopf wie eine Marmorbüste hoch.

Schwester Angelicas neues Heim hatte keine Ähnlichkeit mit ihrer Kammer im Südosten Cantons. Die Villa mit den vierundzwanzig Zimmern lag auf einem üppig bepflanzten Grundstück von sechs Hektar Land in einem vornehmen Viertel an der Market Avenue North, Hausnummer 4200, in Canton. Das Haus des Ehepaars O’Dea mit seinen vielen offenen Kaminen und den aufwendigen Wandvertäfelungen, erbaut im Tudor Stil, war von einem kleinen Wald umgeben, der immer wieder von gepflegten Rasenflächen unterbrochen wurde. Es schien für die Armen Klarissen doch zu protzig. Da musste manches geändert werden.

Als erste Aufgabe wurde die Errichtung einer provisorischen Kapelle im großen Wohnzimmer in Angriff genommen. Die übrige Villa sollte aufgeteilt werden in ein Refektorium, ein Krankenzimmer sowie Arbeits- und Schlafzimmer. Am ersten Abend wurden mehrere Betten nach Art eines Schlafsaals aufgestellt und Bettlaken zwischen die Betten gehängt, damit die Privatsphäre gewahrt blieb. Um keine weiteren Probleme und Schmerzen mit ihren geschwollenen Knien zu bekommen, rollte Schwester Angelica Decken zusammen, legte sie unter ihre Beine und suchte eine bequeme Position im Bett.

Als Angelica am Morgen des 2. Oktober aufwachte, warf sie die Bettdecke zurück und konnte kaum glauben, was sie da sah: „Beide Knie waren wieder normal.“ Die Schwellung war abgeklungen, das Wasser war verschwunden. „Und dies überzeugte die Schwestern nun, dass ich eine Berufung hatte“, erzählte mir Mutter Angelica mit Erstaunen. „Das überzeugte auch Mutter Clare. Und so wartete ich nur noch zwei Monate, bis ich meine Profess ablegte.“ Die rasche Besserung ihrer Knie wurde von Angelica als Zeichen der Gnade Gottes betrachtet, als eine Bestätigung, dass sie in den Orden gehörte und in das Kloster in Canton.

Einstweilen befand sie sich aber noch inmitten ihres kanonischen Jahres. Dieser Zeitabschnitt war besonders dafür bestimmt, sich an die Gepflogenheiten des kontemplativen Lebens zu gewöhnen. In diesem kanonischen Jahr war es der Schwester nicht erlaubt, mit irgendjemand von der Familie oder Freunden und Bekannten Kontakt zu haben.

Da die hausinterne Kapelle immer noch nicht fertiggestellt war, wurden Schwester Angelica und die anderen Nonnen zur St. Peter-Kirche gefahren. Dort besuchten sie die Frühmesse von Monsignore Habig. Gegen Ende des Gottesdienstes erregte ein Angelica vertrautes Hustengeräusch ihre Aufmerksamkeit. „Ich hörte meine Mutter. Und weil ich meine Mutter und ihre Gefühlsausbrüche kannte, wusste ich nicht, was ich tun sollte.“ Schon wieder drängte Rita Rizzos Sorge über Maes Gefühlszustand alle anderen Gedanken beiseite.

Nach dem Schlusssegen gingen die Nonnen hintereinander aus der Kirche, als letzte folgte Schwester Angelica. Aus den Augenwinkeln konnte sie neben den Beichtstühlen eine verwirrt aussehende Mae wahrnehmen. Es war nicht schwer zu erraten, was Mae tun würde. Obwohl es Angelica das Herz zerriss, blieb sie doch der Ordensregel gehorsam, wich den Augen ihrer Mutter aus und blickte stattdessen geradeaus. Mae machte eine Bewegung mit der offenen Hand. Im Gesicht zeigte sich ein flüchtiger Ausdruck der Trauer. Sie bewegte sich jedoch nicht, als Rita an ihr vorbeiging.

Später an diesem Nachmittag bekannte Mutter Clare, dass sie und die anderen Schwestern von Angelicas Zurückhaltung bei der Messe „erbaut“ waren. Dieser Vorfall hatte doch bestätigt, dass die Nonne für die ersten Gelübde bereit war, verschaffte ihr gleichwohl in der Zukunft keine besondere Behandlung.

In den ersten Wochen im Haus der O’Deas ließ Schwester Angelica ihr Badewasser in eine der wuchtigen Wannen mit Füßen einlaufen. Als sie den Hahn zudrehen wollte, zerbrach der Porzellangriff in ihrer Hand und schnitt dabei eine klaffende Wunde zwischen ihren Ring- und Mittelfinger. Mutter Luka legte einen Verband an, um die Blutung zu stillen, doch die rechte Hand schwoll trotzdem an. Da ihre erste Profess gerade erst einige Monate zurücklag, konnte Angelica jetzt an nichts anderes denken als an ihren rechten Ringfinger. Nach der europäischen Tradition wurden die Eheringe im Orden an der rechten Hand getragen.

Am nächsten Tag war Mutter Clare „wütend“ bei den Culpas. Die Culpas, lateinisch für „Schuld, Verfehlung“, waren die besondere Zeit vor den Mahlzeiten, jeweils montags, zu der jede Schwester irgendein Vergehen vor der gesamten Gemeinschaft bekennen musste. Die Äbtissin ordnete dafür eine gerechte Buße an.

„Mutter, ich klage mich an, den Porzellangriff an der Badewanne zerbrochen zu haben“, erklärte Schwester Angelica, auf dem Boden des Refektoriums kniend.

„Ich weiß! Jetzt sind wir gerade ein paar Wochen hier, und Sie machen hier schon alles kaputt“, schimpfte Mutter Clare mit einem starken deutschen Akzent.

Als Schwester Angelica an ihren Tisch zurückkehrte, fing sie ohne Umschweife an zu essen. Eine zu Tränen gerührte, schwer erschütterte Postulantin fragte sie: „Wie können Sie nach all dem überhaupt noch essen?“

Angelica zuckte mit den Achseln und antwortete: „Ich habe Hunger.“

Durch ihre schwere Kindheit hatte Schwester Angelica Vorteile gegenüber ihren Altersgenossinnen: eine dicke Haut und die Fähigkeit, auch in schweren Zeiten standhaft zu bleiben.

Bei der Weihezeremonie in der O’Dea-Villa am 4. Oktober setzte Bischof James McFadden das Allerheiligste in einer Monstranz aus – zur Anbetung in der vorläufigen Kapelle. Von jetzt an sollte das Kloster den Namen St. Klara tragen, zum Gedenken an die hl. Klara von Assisi.

Trotz all seines Prunks war das Haus eigentlich recht klein. Nachdem man es in zwei Hälften aufgeteilt hatte – die Externen wohnten auf der einen, die Schwestern in Klausur auf der anderen Seite des Hauses – bot es nur wenig Raum für eine Nonne, die sich zurückziehen wollte, um Schwestern aus dem Weg gehen zu können, die ihr unangenehm waren.

Schwester Mary vom Kreuz machte ihrem Namen alle Ehre: Sie war eine hochgewachsene, grobknochige Nonne mit breiten Wangenknochen und schönen blauen Augen. Als Bibliothekarin der Gemeinschaft war sie derart herrschsüchtig, dass sich Schwester Angelica darüber ärgerte.

Schwester Angelica war schon immer eine Leseratte gewesen. Sie verschlang mehrere Bände von Johannes vom Kreuz, ebenso von Teresa von Avila, von Bruder Lorenz von der Auferstehung, von Paul vom Kreuz und anderen. Im Kloster St. Klara las sie diese Werke sogar mehrmals und speicherte sie in ihrem fast fotografischen Gedächtnis ab. Da die Bücher bis zum Ende der Woche immer wieder in der Bibliothek abgegeben werden mussten, lernte die Nonne auch, ihre Lesegeschwindigkeit zu beschleunigen.

Schwester Mary vom Kreuz nun hielt die Bibliothek hinter Schloss und Riegel verwahrt. Ihr System gestattete den Nonnen nur, Bücher aus einer Titelliste auszuwählen, die jede Woche neu aufgehängt wurde, doch niemand durfte zu den abgeschlossenen Bibliotheksregalen gehen und die Bücher dort ansehen.

„Das hat mich geärgert“, erzählte Mutter Angelica, als wäre es gerade letzten Mittwoch geschehen. „Mir war nicht klar, warum man nicht einfach ein Buch herausnehmen konnte! Es gibt doch einen großen Unterschied zwischen einem Titel und dem Buch selbst. Wenn man statt eines geistlichen Buches an ein Kochbuch geriet, musste man eine ganze Woche warten, bis man ein anderes bekam. Deshalb habe ich immer gleich drei bestellt und mir ausgerechnet, dass wenigstens ein gutes Buch dabei wäre. Mein italienisches Temperament war immer noch vorhanden.“

Dies sollte nicht das letzte Mal sein, dass Angelica mit Schwester Mary vom Kreuz aneinander geriet.

Es liegt in der Natur des Klosterlebens, dass kleine Mängel übertrieben und unbedeutende Konflikte aufgebauscht werden. Das nahe Beisammensein ausgeprägter und verschiedenartiger Charaktere verwandelte das Kloster St. Klara zu einem Brutkasten von unterdrücktem Ärger und unausgesprochenen Rivalitäten.

Mutter Angelica sagte nachdenklich: „Es war ein Kreuz zu lernen, mit den anderen auszukommen und mit ihnen zusammenzuleben… ein Kreuz zu lernen, die anderen zu lieben. Das Kreuz hieß auch: Wie lebt man mit Menschen zusammen, die das genaue Gegenteil von einem selbst sind und die ganz andere Ansichten haben?“ Einem anderen Biografen erzählte sie: „Ich muss zugeben, manchmal war ich an der Grenze meiner Toleranz angekommen.“

Bürgerkriege und Bürgerrechte

Exzentrische Verhaltensweisen innerhalb der Gemeinschaft führten an dem Tag, an dem Schwester Angelica ihre erste Profess ablegte, zu einer Explosion an Gefühlsausbrüchen. Ein Schneesturm brachte am 2. Januar 1947 Schnee und Eis. Ganz Canton war betroffen, sodass sich die Gäste verspäteten und die Ankunft von Bischof James McFadden verzögert wurde.

Mae Francis, Rhoda Wise und andere Gäste beobachteten durch das provisorische Holzgitter im Wohnzimmer der O’Dea-Kapelle, wie sich die Nonnen auf der Klausurseite versammelten. Schwester Angelica kniete mit fromm geneigtem Kopf an einem Betpult.

Die Ruhe wurde allerdings schon bald gestört, als sich die Chorleiterin, Schwester Mary vom Kreuz, mit der Schwester Organistin über die Spielweise stritt. Langsam eskalierten die Stimmen und die beiden Nonnen gerieten aneinander. Die Organistin weigerte sich zu spielen, Mary vom Kreuz drohte ihr, sie in den Schnee hinauszuwerfen, falls sie nicht spielen würde.

Mutter Angelica erzählte mir: „Und ich saß nun da und versuchte, mich für meine Gelübde zu sammeln. Die Leute mussten gedacht haben, dass wir alle verrückt seien.“

Die Nonnen kehrten wieder auf ihre Plätze zurück, die Organistin spielte wieder ihre trauervolle Melodie, und Mary vom Kreuz kniete sich an ein Betpult an ihrem Platz. Wenige Augenblicke später sauste ein Käfer über den Holzfußboden. Mary vom Kreuz stand auf, hob die Kniebank mit beiden Händen hoch und ließ sie zu Boden fallen in dem Versuch, dem Insekt den Garaus zu machen. Wie eine Verrückte schwang sie den Betstuhl wie einen Presslufthammer mehrmals hin und her und schleuderte ihn und sich selbst auf das Krabbeltier. Die Organistin, die diese Vorführung für eine hinterhältige Kritik an ihrem Orgelspiel hielt, schlug dafür umso stärker in die Tasten. Schwester Angelica konnte es einfach nicht fassen, was sie da sah und dann als „Blödsinn“ bezeichnete. Dann kam der Bischof herein.

Der Bischof war klatschnass und schimpfte über sein Auto, das mehrere Häuserblocks entfernt im Schnee stecken geblieben war. Er bat um frische Socken. Mutter Clare schickte Schwester Angelica, um für ihn ein neues Paar zu holen. Als sie wieder auf ihren Platz am offenen Gitter zurückkam, legte der Bischof eine genau passende Dornenkrone auf Angelicas Kopf.

Während der Feier der Profess sollte der Bischof Mutter Angelica den Professring anstecken. Es gelang ihm jedoch nicht, den Ring über das geschwollene Fingergelenk zu schieben. Deshalb tat er nur so, als ob es ginge und sprach dabei die Worte: „Ich vermähle Dich mit Jesus Christus, dem Sohn des höchsten Gottes.“

„Bei alldem, was hier vor sich ging, dachte ich wirklich, dass mich Jesus nicht lieben würde. Verstehen Sie? … Ich meine, das war wirklich eine geistliche Erfahrung!“, erinnerte sich Mutter Angelica sarkastisch. „Aber so arbeitet Gott nun einmal mit mir zusammen. Wenn ich zurückschaue, dann ist mir immer zuerst etwas zugestoßen, bevor etwas Großes geschah.“

Doch trotz dieser grotesken Atmosphäre, die während der Feier in der Kapelle herrschte, nahm Schwester Angelica ihre ersten Gelübde ernst. In einem nach der Ablegung der Gelübde maschinengeschriebenen Brief an ihre Mutter bezeichnete sie sich und Jesus als „Vermählte“ und als „königliches Paar“. Dieses Paar, so schrieb sie, „möchte gerne seine Dankbarkeit gegenüber seiner Freundin und den Angehörigen des königlichen Hofstaates zum Ausdruck bringen“. Weiter unten schrieb sie: „Die Braut hat den Bräutigam gebeten, Dich mit seinem Frieden und seinem Trost zu erfüllen.“ Sie unterzeichnete den Brief mit „Jesus und Angelica.“

Man spürt, wie freimütig und konsequent Angelica über ihre eigenen Gefühle und die des Messias schrieb. In ihrem Brief kam vor allem ihr starker Glaube, nicht mit einem abstrakten Begriff oder einer Idee vermählt zu sein, sondern mit einer Person, zum Ausdruck. Diese tiefe Überzeugung und die Liebe zu ihrem Bräutigam sollten von nun an all ihre Handlungen leiten. Während ihrer Flitterwochen kam sie ihrem „Bräutigam“ noch viel näher, als sie es jemals für möglich gehalten hätte.

Angelica litt unter einer Reihe von unbedeutenden Krankheiten – Kopfschmerzen, eingewachsenen Fußnägeln und Ähnlichem. Obwohl es sich um banale Unpässlichkeiten handelte, reichten sie doch aus, um sie mürrisch werden zu lassen, wenn Mutter Clare sie dann zur Anbetung für drei Uhr morgens einteilte. Angelica kam widerwillig zur festgesetzten Zeit, „war jedoch nicht gerade glücklich, dort zu sein“. Sie teilte ihren Unmut auch Jesus mit: „Ich habe all diese schmerzhaften Dinge und obendrein noch die Anbetung. Glaubst du etwa, ich bin ein Pferd?“

„Nein, du bist meine Braut“, glaubte sie, Seine Antwort in der Stille zu hören.

„Mein Gott, ich habe das nie wieder zu Ihm gesagt, das können Sie mir glauben!“

Obwohl Mae Francis Rita regelmäßig besuchte, fehlte ihr doch die Tochter zu Hause sehr. Dafür hatte Rita Verständnis. Aus einigen undatierten Briefen aus dieser Zeit geht hervor, dass sich Angelica andauernd Sorgen um ihre Mutter machte. In einem dieser Briefe bat sie Mae inständig: „Fühl‘ Dich nicht einsam, mein Liebes. Ich liebe Dich so sehr. Nur Menschen, die niemanden haben, der sie liebt, können einsam sein. Du dagegen hast Jesus und mich und die Schwestern.“

In einem anderen Brief nahm Schwester Angelica die Rolle der Lehrerin ein und gab Mae geistlichen Rat:

Liebste Mutter,

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht Jesus für eine solch liebende und aufopfernde Mutter Dank sage. Mag auch manchmal Dunkelheit über Dich hereinbrechen, dann geschieht dies doch nur, damit Du nur einmal das ewige Licht umso mehr genießen kannst… Hör nicht auf zu lieben, denn das gefällt Jesus, es ist das einzig Wichtige…

In Liebe,

Schwester Angelica

Nach dem Eintreffen der neuen Postulantinnen waren sie nunmehr dreizehn Schwestern in dem überfüllten Kloster. Um die beengte Wohnsituation zu beheben, sollten neue Gebäude und eine schöne Kapelle angebaut werden.

Die Bautätigkeit brachte Rückschläge mit sich. Bei den Ausschachtarbeiten im März 1950 zerstörte die Baukolonne eine Abwasserleitung, durch die die Hausabwässer entsorgt wurden. Außerdem verrechnete man sich bei der Größe der neuen Gebäude. Im Hof wurde dadurch eine Gruppe von Bäumen unnötigerweise gefällt. Wenn sie auf die vorlaute sechsundzwanzigjährige Nonne gehört hätten, als diese gelegentlich die Blaupausen der Pläne überprüfte, hätten sie diese Fehler vermeiden können. Schwester Angelica schaute häufig bei den Arbeitern vorbei und war dafür bekannt, dass sie sich mit ihnen auf fachliche Dispute einließ. Ab Mai gab es dann niemanden mehr, mit dem sie sich hätte auseinandersetzen können. Durch einen von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik blieben die Bauleute zu Hause. Der Bau kam zum Stillstand. Aus den Kalendereinträgen der Gemeinschaft ist zwar die Enttäuschung der Nonnen über die Verzögerung ihrer Pläne zu entnehmen, doch da gab es bereits ein anderes Projekt, das ihre Stimmung hob.

Das Kloster St. Klara veranstaltete im August sein erstes Treffen zwischen Schwarzen und Weißen. Bischof McFadden zelebrierte auf dem Rasen vor dem Kloster die Messe. Es waren drei Busladungen schwarzer und weißer Pilger aus Cleveland gekommen. Frau Dr. Norma Marcere, eine schwarze Freundin von Mae Francis, organisierte die Veranstaltung, die wahrscheinlich wenig Anklang bei den meisten Nonnen der Gemeinschaft fand. Dennoch betrachteten die Schwestern dieses Treffen als einen Erfolg.

Dass vom Kloster überhaupt eine solche Veranstaltung zu einer Zeit stattfand, in der die Rassenintegration noch ein Tabu war, verdeutlicht die Geisteshaltung, eine Art „Gegenkultur“ des Klosters und seiner Bewohner. Die Schwestern vom Kloster St. Klara verfolgten die Rassenproblematik mit großem Interesse ungeachtet der Tatsache, dass es in der Stadt nur wenige schwarze Katholiken und in der Gemeinschaft keine einzige schwarze Schwester gab. Schwester Angelica war besonders aufmerksam und interessiert, da sie zusammen mit Schwarzen im selben Wohnviertel gelebt und selbst erfahren hatte, wie man auch Italienern gegenüber voreingenommen war.

Zwischen 1950 und 1953 traten eine Reihe junger Aspirantinnen in das Kloster ein in der Hoffnung, der Schwesterngemeinschaft beitreten zu können. Insbesondere drei von ihnen sollten lebenslange Bande mit Schwester Angelica knüpfen.

Elizabeth Olson oder Schwester Mary Joseph, wie sie als Ordensschwester hieß, besaß eine Gelassenheit und ein ungezwungenes Lächeln, das sie bereits im Jahr 1950 beim Überschreiten der Türschwelle bei den Nonnen beliebt machte. Die versierte Schneiderin deutsch-schweizerischer Herkunft widmete sich ganz der Anfertigung der Ordenstrachten, wenn sie nicht gerade beim Gebet war. Ob bei der Arbeit oder in der Freizeit, in der Kapelle oder außerhalb: Schwester Joseph hatte immer einen staunenden Gesichtsausdruck und weit geöffnete Augen, als wären ihr soeben die Engel mit all ihrer Glorie erschienen.

Im Januar 1951 trat Kathleen Myers aus Louisville, Ohio, in das Kloster St. Klara ein. Dieses hübsche Mädchen mit dem schmalen Kinn und breiten Lächeln, bei dem man ihre schönen Zähne sah, hatte etwas Nervöses an sich. Vor ihrem Eintritt ins Kloster hatte Kathleen das College abgeschlossen und in einer Kunsthandlung als Sekretärin gearbeitet. Wäre sie nicht Nonne geworden, hätte sie sich wahrscheinlich weiter mit der Kunst beschäftigt. Nachdem sie den Schleier genommen hatte, wurde sie die Schreiberin, Zeichnerin und Dichterin der Gemeinschaft und sang die erste Sopranstimme. Im Ordensleben wurde sie als Schwester Mary Raphael bekannt.

Raphael hörte Schwester Angelica schon lange, bevor sie sie erstmals zu Gesicht bekam. Sie arbeitete als Externe, das heißt als Schwester, die Botengänge außerhalb des Klosters machte. Sie brachte die Lebensmittel zu einer Art Drehschalter (ähnlich dem Nachtschalter einer Bank), durch den die Waren ohne menschlichen Kontakt in die Klausur gelangen konnten. Raphael hatte gerade einige Lebensmittel in diesen Kasten gelegt, als eine muntere Stimme herausrief: „Ist Gott nicht gut?“ Die Worte hallten wie ein Echo aus dem Gitter und der dahinterliegenden Metalltrommel. „Sie sind die neue Postulantin, nicht wahr? Ist Gott nicht gut?“ Bald sollte sie die Antwort auf diese Frage bekommen mit Hilfe derjenigen, deren Stimme sie gehört hatte.

Evelyn Shinosky, später Schwester Mary Michael genannt, kehrte zum katholischen Glauben zurück, nachdem ihre Eltern aus der katholischen Kirche ausgetreten waren, um sich einer polnischen Splittergruppe anzuschließen. Sie war klein von Gestalt, beherzt und unkompliziert und eine unermüdliche Arbeiterin. Ihr Kochtalent und ihre Hilfsbereitschaft zeichneten sie in der Gemeinschaft aus. Auch heute noch besitzt Schwester Michael mit ihren großen Augenlidern eine unerschütterliche Anmut. Sie beschrieb die Schwester Angelica, die ihr in den frühen Fünfzigerjahren begegnete, als einzigartig und fleißig: „Sie war ungewöhnlich und kümmerte sich um alles.“

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563 s. 22 illüstrasyon
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9783947931774
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