Kitabı oku: «Mutter Angelica», sayfa 6
Eine äußerst strenge Lebensweise
Am Abend des 15. August 1944 schritt Rita von der Euclid Avenue in Cleveland in die Dunkelheit des Klosters St. Paul von der Ewigen Anbetung hinein. Innen wurde sie angewiesen, sich vor der riesigen Holztüre zur Klausur niederzuknien. Dann öffnete sich das Portal zu ihrem neuen Leben. Dort, auf dem dämmrigen Flur, der durch einige paar Glühbirnen beleuchtet war, standen sich Mutter Mary Agnes, Mutter Mary Clare und die anderen Ordensschwestern in zwei Reihen gegenüber. Die Schleier verdeckten die einzelnen Nonnen. Als Rita sich wieder erhoben hatte, wandten sich die Schwestern dem Innenbereich des Klosters zu und geleiteten sie singend zur Kapelle. Diese Zeremonie mit ihrer Feierlichkeit erschien Rita überirdisch und erfüllte sie mit Staunen. Sie war begeistert. Schon bald sollte sie zu einer Gefangenen der göttlichen Liebe werden, zu einer Franziskanerin vom Allerheiligsten Altarsakrament.
Der französische Orden der Armen Klarissen wurde 1854 von Pater Bonaventure Heurlaut und Joséphine Bouilleveaux (der späteren Mutter Marie de St. Claire) gegründet. Pater Bonaventure, ein eifriger Priester, stellte sich einen religiösen Orden vor, der sich der Anbetung Jesu Christi im Allerheiligsten Altarsakrament widmen sollte. (Gemäß der katholischen Glaubenslehre ist die konsekrierte Hostie, das Sakrament der Eucharistie, das auch „Allerheiligstes Altarsakrament“ oder einfach „Allerheiligstes“ genannt wird, kein Symbol, sondern tatsächlich Leib, Blut, Seele und Gottheit Christi). Pater Bonaventure fehlte jedoch noch eine weibliche Superiorin. Als er die älteste Tochter des Bürgermeisters von Maizières, Joséphine Bouilleveaux, kennenlernte, hatte er seine Gründerin gefunden.
Bouilleveaux war bekannt für ihren starken Willen. Wie auch Pater Bonaventure hörte sie Stimmen und empfing Botschaften von Gott. Gemeinsam gründeten sie am 8. Dezember 1854 in einer Pariser Wohnung den Orden der Schwestern der Unbefleckten Empfängnis. Der Orden verdankt seinen Namen dem Dogma der Unbefleckten Empfängnis, das genau am selben Tag von Papst Pius IX. verkündet worden war. Dieses Dogma legt fest, dass die Jungfrau Maria von der Empfängnis an von jedem Makel und von jeder Sünde bewahrt blieb. Zur Ehre der Jungfrau Maria nannte sich Bouilleveaux jetzt Schwester Marie de St. Claire und weihte sich und alle ihre zukünftigen Töchter der Gottesmutter. Sie bestimmte, dass fortan jede Nonne des Ordens den Namen Maria annehmen sollte.
Schließlich zogen die Schwestern nach Troyes in Frankreich um. Unter dem Patronat des Ortsbischofs errichteten sie dort ein festes Kloster und bezeichneten sich nun als Franziskanerinnen vom Allerheiligsten Altarsakrament. In der Tradition des hl. Franziskus und der hl. Klara von Assisi pflegte der Orden einen starken Glauben und ein kindliches Vertrauen auf Gott in allen Dingen.
Unter der Oberin Mutter Marie de St. Claire bestand die Mission des Ordens in der immerwährenden Danksagung und Anbetung des Allerheiligsten Altarsakraments, um für die Undankbarkeit der Menschheit Gott gegenüber Wiedergutmachung zu leisten. Ein Schritt, der noch eine besonders große Bedeutung für Mutter Angelica bekommen sollte, war die Erhebung des Ordens zu einem Päpstlichen Institut durch Papst Pius IX. am 15. September 1868. Seit dieser Zeit war dieser religiöse Orden nur noch dem Heiligen Stuhl in Rom unterstellt.
Vom Mutterhaus in Frankreich aus wurde von Mutter Marie vom Kreuz ein neues Kloster in Polen und später in Wien in Österreich aufgebaut. Mutter Marie vom Kreuz starb 1906, kurz nachdem sie an der Feier teilgenommen hatte, bei der eine österreichische Nonne namens Schwester Maria Agnes die ewigen Gelübde abgelegt hatte. 1921 überquerte diese Nonne den Ozean und begründete den ersten amerikanischen Zweig des Ordens in Cleveland in Ohio.
Es war dieselbe Nonne, nunmehr Mutter Mary Agnes genannt, die in der Kapelle in Cleveland, deren Decke aus Mahagonibalken gefertigt war, im Sommer 1944 Ritas Versprechen, den Franziskanerinnen beizutreten, entgegennahm.
Im Anschluss an die Zeremonie führte Schwester Veronica, die Novizenmeisterin, die so leise sprach, als würden Engel ihre Gespräche belauschen, Rita in das im zweiten Stockwerk gelegene Noviziat. Hier sollte Rita, abgeschlossen von der größeren Gemeinschaft, als Postulantin herausfinden, ob das klösterliche Leben für sie das Richtige wäre.
Traditionsgemäß war eine Frau in einem Orden sechs Monate lang Postulantin. Nach dieser Zeit wurde sie Novizin, wurde eingekleidet und bekam einen neuen Namen. Noch später, wenn feststand, dass sie das Leben aushielt, erlaubte man der Schwester, die zeitlichen Gelübde abzulegen. Mit Zustimmung der Nonnen, die ihre ewigen Gelübde bereits feierlich abgelegt hatten, wurden die Gelübde dann drei Jahre lang jedes Jahr durch die Anwärterin erneuert. Dann konnten die Schwestern nach sechs Jahren ihre ewigen Gelübde ablegen. Ein solcher Prozess war anstrengend. Rita hatte damit von Anfang an Probleme.
Der normale Alltag im Kloster St. Paul erlaubte nur wenig Abwechslung. Die Nonnen hielten einen strengen Zeitplan ein, um die täglichen Chorgebete zu verrichten. Diese wurden viermal täglich gesungen, zwei Stunden lang wurde Eucharistische Anbetung gehalten, die gemeinsame hl. Messe wurde gefeiert und auch zusammen der Rosenkranz gebetet. Geistliche Lesung, Freizeit, Haushaltsarbeiten und Mahlzeiten rundeten ihren Tagesablauf ab. Alle Tätigkeiten waren streng geregelt, auch das pflichtgemäße morgendliche Aufstehen um 4.50 Uhr. Sobald die Holzklapper morgens im Gang ertönte, musste die Nonne, wie es in der Ordensregel vorgeschrieben war, ihr Ecce adsum („Siehe, hier bin ich, oh Herr, Deinen heiligen Willen in allen Dingen zu erfüllen!“) rufen, sich bekreuzigen und den Boden dreimal zu Ehren der Heiligen Dreifaltigkeit küssen. Beim Waschen musste man sich auf den Boden knien. Diese und andere Regeln wurden strengstens befolgt. Abweichungen waren nicht erlaubt. Wer den hohen Anforderungen nicht gerecht werden konnte, wurde zum Verlassen des Ordens aufgefordert.
Rita trug ein einfaches schwarzes Kleid und eine Mütze und versuchte, sich dem klösterlichen Leben anzupassen. Zu ihren Anfangsaufgaben gehörte es, Fußböden zu reinigen und Hostien zu backen. Schon in den ersten Wochen im Kloster kam sie zu spät zum Gebet und ließ es sich zur Gewohnheit werden, die älteren Schwestern zu stören, indem sie gegen die Klausurtüren rempelte.
Nichts davon entging dem wachsamen Auge von Mutter Agnes. Mit ihrer deutschen Gründlichkeit begann die Äbtissin, Schwester Rita zurechtzustutzen, indem sie der jungen Postulantin eine Reihe von Demütigungen auferlegte, die ihr den Gehorsam beibringen sollten. Bei jeder zufälligen Begegnung mit der Äbtissin musste Rita sofort jede Tätigkeit einstellen, niederknien und das Skapulier der Mutter Oberin küssen. Doch dabei ließ es Mutter Agnes noch nicht bewenden. In Gegenwart der gesamten Gemeinschaft wies die Äbtissin auf Schwester Ritas Vergehen hin, ganz besonders auf die Flatterhaftigkeit, mit der sie jedes Mal zur Türe hereinkam. Zur Buße musste die beherzte Schwester in der Mitte des Refektoriums, wo die Nonnen aßen, niederknien und ein Gebet aufsagen, das mit den Worten begann: „Ich bin nichts, ich kann nichts, ich bin nichts wert. Ich habe nichts außer meinen Sünden.“
„Apfelmus“, sagte Schwester Rita insgeheim manchmal zu sich, nachdem sie diese Litanei beendet hatte. Diese Buße sollte nun „Montag für Montag für Montag“ wiederholt werden, bis die Nonne das Gesagte als Wahrheit anerkannte. Während diese Prüfungen ihre Gefährtinnen zu Tränen rührten, ließ sich Schwester Rita durch sie weder kleinkriegen noch besonders beeindrucken.
„Mein ganzes Leben stand im Zeichen des Überlebens, und ich glaubte, dass dieser Überlebenskampf jetzt einfach nur an einem anderen Ort stattfand“, erzählte mir Mutter Angelica. „Im Kloster hatte ich viel Sicherheit, und ich musste mich um nichts kümmern.“
Doch nach nur einem Monat Aufenthalt im Kloster erkrankte Rita an einer Lungenentzündung. In den Akten des Klosters steht, dass sie „die Erlaubnis bekam, ins Krankenhaus zu gehen“. Einige Zeit später verließ sie nach einer Halsentzündung die Klausur zum zweiten Mal, um sich die Mandeln entfernen zu lassen. Die schwache Gesundheit der Postulantin wurde für ihre Vorgesetzten allmählich ein Grund zur Besorgnis.
Gegen Ende des Monats September 1944 wurde Rita in das Sprechzimmer gerufen. Da es vorgeschrieben war, bei Besuchen von Gästen immer eine Aufsichtsperson bei sich zu haben, kam Rita in Begleitung von Schwester Veronica. Auf der anderen Seite des geöffneten Gitters saß Onkel Nick Gianfrancesco. In seinen tief eingesunkenen Augen war ein Schimmer von Trauer zu bemerken. Er war gekommen, um Rita mitzuteilen, dass Großmutter Gianfrancesco verstorben war und versuchte als Maes Abgesandter, sie zu überreden, nach Hause zurückzukehren. Doch irgendwie fand er nicht die richtigen Worte. Fast eine Stunde lang, während Rita über den neuen gekürzten schwarzen Schleier sprach, den sie gerade erst erhalten hatte, sowie über die Schönheiten des Klosters, weinte Onkel Nick, als wäre er bei einer Beerdigung. Auf Nick Gianfrancesco musste die ungewohnte Umgebung wie ein Gefängnis gewirkt haben.
„Bist du denn hier glücklich?“, fragte er schluchzend.
„Oh ja, Onkel Nick!“
Beruhigt tupfte er sich die Tränen ab und fuhr wieder zurück nach Canton.
Dort konnte Mae Francis Ritas Entschluss noch immer nicht begreifen und akzeptieren. Die erfahrene Äbtissin, die die Familiensituation ganz richtig einschätzte, schrieb an Mae und lud sie ein, das Kloster anlässlich der Feier der Einkleidung einer anderen Schwester zu besuchen. Die Äbtissin beabsichtigte, der Mutter das klösterliche Leben vorzustellen, um langsam ihre ablehnende Haltung zu ändern.
Im November 1944 gab Mae schließlich ihre Ablehnung auf und fuhr nach Cleveland. Sie durfte zwar Mutter Agnes, aber nicht Rita, sehen. Um Maes Enttäuschung ein wenig abzumildern, bemühte sich die Äbtissin „außergewöhnlich um sie“. Mit Güte und Freundlichkeit versuchte sie, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Allmählich ließ Maes Widerstand gegenüber Ritas Berufung nach. Bei ihren Aufenthalten im Kloster bewohnte Mae ein Zimmer außerhalb der Klausur. Sie fühlte sich als Teil der Klosterfamilie und fing langsam an, Ritas Entscheidung zu verstehen.
Während ihrer ganzen Postulatszeit vertiefte sich Rita in geistliche Schriften. Sie studierte einfach alles, angefangen von den Lebensbeschreibungen der Heiligen bis hin zu der Regel ihres Ordens. Diese Werke, gepaart mit „einer äußerst strengen Lebensweise“, formten Rita in ihrer neuentdeckten franziskanischen Spiritualität. Sie passte sich an das Leben hinter den Klostermauern an und bemühte sich, den starken Charakter zu unterdrücken, mit dem sie sich bei ihren Arbeitskollegen und Freunden in Canton so beliebt gemacht hatte. Doch nun kamen Risse zum Vorschein.
Am 28. Dezember, dem Fest der Unschuldigen Kinder, gingen die älteren Schwestern nach oben in das Noviziat, um mit den Postulantinnen und den Novizinnen zusammenzusein. „Meine Güte, bist du ruhig“, sagte eine der Nonnen zu Schwester Rita. „Ja, und ich muss auch nichts bereuen“, gab Rita schlagfertig zurück und spielte auf die im Kloster üblichen Selbstbeschuldigungen an.
Es war für sie eine Herausforderung, die barsche Seite ihrer Persönlichkeit im Zaum zu halten. Dazu kam ein gesundheitliches Problem, das ihr seit Anfang Dezember zusetzte. Dies verstärkte nur noch Schwester Ritas Wunderlichkeit. Durch das ständige Knien während der täglichen Gebetszeiten, bei den Bußübungen und bei diversen Arbeiten sammelte sich Flüssigkeit in Ritas Knien, die anschwollen. Später beschrieb Mutter Angelica sie als „zwei aufgeblähte, mit Wasser gefüllte Pampelmusen“. Sie konnte zwar einigermaßen gehen, doch das Hinknien wurde unmöglich – und Knien war zu dieser Zeit ein wesentlicher Bestandteil des kontemplativen Lebens.
Eine Konferenz der Professschwestern, bei dem über Schwester Ritas Aufnahme in das Noviziat abgestimmt werden sollte, war für Februar 1945 vorgesehen. Doch ihre schlimmen Knie und andere Gesundheitsprobleme machten eine Verschiebung der Abstimmung nötig.
„Damals bedeutete Gesundheit einfach alles“, bemerkte Mutter Angelica. „Wenn man gesund war, war man auch berufen.“
Für den Augenblick war Schwester Ritas Berufung ernstlich gefährdet.
Mehr Sterne
Jeden Freitag wurden die Botschaften, die Rhoda Wise bei ihren schmerzhaften Ekstasen empfing, von ihren Anhängern gierig verschlungen. Wie menschliche Telegrafen verbreiteten ihre Verehrer die wöchentlichen Botschaften weit über die Grenzen Cantons hinaus. Für Gläubige waren es Mitteilungen des Allmächtigen. Mutter Agnes, die Äbtissin des Klosters St. Paul, hielt sich selbst auch für eine solche Gläubige.
Eines Nachmittags, als Schwester Rita noch Postulantin war, wurde sie ins Büro der Äbtissin gebeten.
„Beleidigt dich hier jemand?“, fragte Mutter Agnes besorgt und schaute dabei prüfend durch ihre mit Draht eingefasste Brille.
„Nein, Mutter Oberin.“
„Denk nach“, hakte die Äbtissin mit ihrem abgehackten deutschen Akzent nach. „Beleidigt dich hier irgendjemand?“
„Nein“, erwiderte Schwester Rita. Es klang, als würde sie eines Verbrechens angeklagt, das sie nicht begangen hatte.
„Bist du ganz sicher?“
„Ja, Mutter Oberin.“
„Nun, dann weiß ich auch nicht weiter.“ Mutter Agnes zeigte einen besorgten Gesichtsausdruck.
„Schwester Agnes hatte Frau Wise besucht, als diese die Todesqualen der Passion Christi erlitt, und der Herr sagte zu ihr: ‚Sag‘ Rita, jeder kleinste Kummer wird aus ihrem Herzen getilgt werden. Für jede Beleidigung, jeden Herzenskummer gibt es mehr Sterne.‘“ Weder Schwester Rita noch Mutter Agnes konnten zu dieser Zeit die Botschaft entschlüsseln, doch die Sterne tauchten auf.
Im Frühling 1945, an Ritas zweiundzwanzigstem Geburtstag, besuchte Mae Francis ihre Tochter endlich und konnte mit ihr durch das Fenstergitter im Empfangszimmer sprechen. Sie erzählte von zu Hause, sprach von den Kämpfen, die sie beide überstanden hatten und über das Leben, das Rita gewählt hatte. Mae vermisste ihre Tochter, doch sie erkannte die Sinnlosigkeit, gegen Ritas Berufung anzukämpfen. In einem Tagebucheintrag, den sie noch am selben Abend verfasste, gab sie ihre Tochter frei:
20. April 1945
An den König der Könige im Allerheiligsten Altarsakrament Eure Majestät,
heute übergebe ich Dir meine geliebte Tochter an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag. Ich gebe Dir frohgemut, was Du wolltest und was Du in meine Obhut gegeben hast. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben, als ich sie großzog, so gut ich es konnte. Vergib mir, lieber Herr, heute all die Beleidigungen, die ich Dir angetan habe. Ich danke Dir auch für die tiefe Wunde, die Du in mein Herz gesenkt hast. Ich bitte Dich, schütte an allen Tagen ihres Lebens viele Gnaden und viel Segen über sie aus und segne auch all jene, die Du als ihre Vorgesetzten ausgewählt hast. Ich segne sie auch, denn ich bitte Dich demütig nur um die Brosamen, denn ich weiß, dass Du mich liebst. Ich bitte Dich heute demütig um die Gnade, Dich immer mehr zu lieben und um die Gnade, viele Seelen für Dich zu gewinnen.
Deine Neue Mutter
Nachdem Rita Maes Segen bekommen hatte, sehnte sie sich nach ihrem Hochzeitstag. Monate vergingen, doch die Erlaubnis kam einfach nicht. Mutter Angelica glaubt, sie wäre zumindest bei zwei Anlässen fast aus dem Kloster hinausgeworfen worden. Jeden Monat stellten die Schwestern ihre Hingabe zum klösterlichen Leben wieder infrage. Und jeden Monat war Rita fest entschlossen, ihre Absicht, im Kloster zu bleiben, durchzusetzen und zu verfechten.
Als der erste Jahrestag ihres Eintritts in den Konvent immer näherrückte und ihre Knie wie Melonen angeschwollen waren, beschloss Mutter Agnes, dass der Ortsbischof über ihr Schicksal entscheiden sollte. Normalerweise hätten die Professschwestern bei einer Kapitelwahl entscheiden müssen, ob Rita für das Noviziat geeignet war. Doch in diesem Fall wusste Mutter Agnes wohl, dass Rita die erforderliche Dreiviertelmehrheit nicht bekommen würde, damit sie Novizin werden konnte. Deshalb schritt sie persönlich ein und verschob die Kapitelwahl, indem sie eine Stimme von außerhalb hinzuzog.
Pfarrer Floyd Begin, Beauftragter des Bischofs und späterer Weihbischof von Cleveland, traf Schwester Rita im Sprechzimmer. Er fragte sie, weshalb sie im Kloster bleiben wollte. Rita betonte, dass sie ihrer Berufung folgen wolle und dass sich ihre angeschwollenen Knie zu gegebener Zeit schon bessern würden. Offensichtlich war Pfarrer Begin von ihrer Ernsthaftigkeit beeindruckt. So erlaubte der Bischof Schwester Rita, weitere sechs Monate im Kloster zu bleiben. Während dieser Zeit sollte sie von den Nonnen genauer geprüft werden.
Um ihre Knie zu schonen, benützte Rita sie so wenig wie möglich und ging ihren Verpflichtungen nach. Aber einige der Professschwestern bemerkten doch, dass sich nichts verbesserte.
In dieser sechsmonatigen Probezeit rief Mutter Luka einmal Rita zu sich ins Krankenzimmer. Sie war eine kleine Frau mit einer bedauernden Miene, die vor ihrem Ordensleben Apothekerin gewesen war und nun die Krankenstation betreute. Sie war gebildeter als die anderen Professschwestern, sprach aber Englisch mit demselben deutsch gefärbten starken Akzent.
Mutter Luka warnte sie: „Schwester Rita, Sie müssen sich hinknien, sonst werden Sie nach Hause geschickt.“
„Aber schauen Sie sich doch nur meine Knie an!“, flehte Rita.
„Sie sehen furchtbar aus, aber da kann ich wirklich nichts tun.“ Die alte Nonne hatte Mitleid, blieb aber hart. „Bitte, knien Sie hin!“
Schwester Rita befolgte den Rat. Indem sie ihr Gewicht auf ihre Schienbeine verlagerte, schaffte sie es, während der täglichen Gebetszeiten und auch sonst immer wieder zu knien. Ohne Rücksicht auf die Schmerzen, die sie als Preis ertragen musste, war sie entschlossen, ihren Platz in der Gemeinschaft zu halten.
Ihre Strategie ging auf. Im Oktober 1945 stimmten mehr als drei Viertel der Professschwestern für Schwester Rita, sodass sie den Schleier nehmen und ins Noviziat eintreten konnte.
Später mutmaßte Mutter Angelica: „In meinem Herzen glaube ich, dass Mutter Agnes so handelte, weil sie Frau Wise vertraute und sie gerne mochte. Sie hatte diese Worte ‚je mehr Beleidigungen, desto mehr Sterne‘ gehört. Ich glaube, das war der einzige Grund, warum das Kapitel für mich stimmte und ich die Ordenstracht bekommen konnte.“
Die Hochzeit begann am 8. November 1945. Mae Francis traf früh ein und brachte eine Torte und Blumen mit. Ihre Schwägerin Rose hatte für diesen Anlass ein Hochzeitskleid genäht. Als besondere Würdigung verzichtete Mutter Agnes auf ihr Recht, Ritas Ordensnamen auszusuchen und gewährte Mae diese Ehre. Mae wählte den Namen Angelica, weil Rita nach ihren Worten eine „engelhafte und gehorsame Tochter“ gewesen war.
Bischof Joseph Schrembs war der Zelebrant bei der Einkleidung. Dies verlieh der Feier einen entsprechenden Glanz. Im vorletzten Augenblick erhob sich die Äbtissin mit einer Schere in der Hand, um Ritas letzte Verbindung mit der Welt zu zerschneiden. Ihre braunen Locken fielen auf den Boden der Kapelle. Die Nonnen streiften nun Ritas Hochzeitskleid ab und ersetzten es durch eine braune Kutte, ein Skapulier und einen weißen Schleier. Das heilige Gewand hüllte jeden einzelnen Teil von Rita Rizzo ein, ebenso die Liebe, die sie für ihren Bräutigam empfand. Für Rita war dies keine bloße verstandesmäßige Verbindung, sondern der Beginn eines lebenslangen Bundes – einer innigen persönlichen Erfahrung der Vereinigung mit Jesus Christus. Ihre Mutter, ihr Onkel und die Freunde saßen auf der Seite der Kapelle, die für die Öffentlichkeit zugänglich war. Als eine Art Zeichen der Zustimmung schluchzten sie alle. Wie sie nun hinter dem Gitter stand, sah sie bis auf ihr strahlendes Antlitz aus wie alle anderen.
Rita Rizzo gab es nun nicht mehr. An ihrer Stelle stand jetzt Schwester Mary Angelica von der Verkündigung.
Um dies zu feiern, verbrachte Schwester Angelica den Nachmittag mit ihrer Mutter im Sprechzimmer. Dieses Treffen gab den Anstoß zu dem nachstehenden Brief, der in der darauffolgenden Nacht geschrieben wurde:
An die Mutter der Braut Jesu, meine eigene liebe Mutter,
heute wurde Dir und mir die größtmögliche Ehre zuteil. Es wäre schon eine Ehre, mich mit einem irdischen König zu verheiraten, doch mit dem König der Könige vermählt zu werden, ist eine Ehre, die nicht einmal die Engel erfassen können. Wir werden bis zu dem Tag warten müssen, an dem die Ewigkeit für uns beide anbricht, um zu erkennen, was das bedeutet. Er hätte so viele andere Seelen auf der Welt erwählen können, die weitaus besser sind als ich, doch Seine Augen hat Er auf Dich und auf mich gerichtet. Es ist so, als wäre Er durch eine Wiese mit wunderschönen Blumen gegangen und hätte sich im Vorübergehen viele schöne Blumen angesehen und dann plötzlich innegehalten und ein Blümchen gepflückt, das so schwach war und kaum sein Köpfchen hochhalten konnte. Und dann ging Er weiter, denn Er hatte Seine Wahl getroffen. Es muss so sein, denn niemand auf Erden braucht Ihn jeden Augenblick des Tages mehr, als wir Ihn brauchen. Lass uns daher den Rest unseres Lebens damit zubringen, Ihm zu danken, Ihn zu loben und Ihn zu lieben. Kann irgendein Opfer jemals für uns, da Er uns immer in Seinen Armen hält, zu schwer sein?
Sollten wir nicht mit geistlicher Freude erfüllt sein, wenn wir wissen, dass die liebenden Augen Gottes auf uns ruhen?
Möge mein süßer Bräutigam Dich ganz nahe an Seinem Heiligsten Herzen halten. Es gibt keine Einsamkeit für Dich, wenn Du Seiner süßen Gegenwart und der Deines Engels gewahr wirst.
Noch einmal möchte ich Dir Dank sagen, dass Du mich auf die Welt gebracht hast, dass Du so gut für mich gesorgt hast, für Deine vielen Opfer, für all Deine Liebe und Hingabe, danke für alles. Möge ich mich einer solchen Mutter würdig erweisen. An diesem Tage der Tage bitte ich um Deinen Segen, dass ich zu dem werden möge, wozu Jesus mich bestimmt hat.
Dein Dich liebendes Kind und Braut Jesu,
Schwester Mary Angelica
Das auf das Kloster beschränkte Leben brachte die Unzulänglichkeiten der dort Eingeschlossenen zutage. Die einzelnen Temperamente, der familiäre Hintergrund, die Bildung und die Begabungen unterschieden sich von Schwester zu Schwester so sehr, dass es immer wieder zu Auseinandersetzungen kam. Es wurden Gefühle verletzt und Missgunst gesät. In diesem Mikrokosmos des Lebens bemühten sich die Nonnen, ihre persönlichen Schwächen zum Wohl der Gemeinschaft zu bekämpfen. Schwester Angelica bildete da keine Ausnahme. Um ihren Zorn und ihre schnelle Zunge unter Kontrolle zu halten, war sie zu Bußübungen bereit. Es war jedoch eine strengere Disziplin erforderlich, um ihre Ungeduld zu zügeln, vor allem, wenn sie bestimmten Schwestern begegnete.
„Einmal sagte ich zum Herrn: ‚Egal, was heute passiert, ich werde auf Biegen und Brechen meine Geduld nicht verlieren‘“, erinnerte sich Mutter Angelica. „Und um 9 Uhr kam es dann zum Biegen und Brechen. Ich habe es nicht geschafft. Ich versagte!“
Im Herbst 1945, als bereits Pläne gemacht wurden für ein neues Kloster in New Orleans, rief der Bischof der Diözese Youngstown, James McFadden, Mutter Agnes zu sich. Er hatte einen anderen Vorschlag.
John O’Dea, der im Ruhestand lebende Eigentümer eines Stahlwerks in Canton, wollte sein Haus und seinen Besitz an einen kontemplativen Orden verschenken. John und Ida O’Dea stellten nur eine Bedingung: Im Haus sollte die ewige Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes gehalten werden. Nach reiflicher Überlegung nahm Mutter Agnes das Angebot an, ließ die Pläne für das Kloster in New Orleans fallen und machte sich daran, sechs Nonnen auszuwählen, die sie mit der Neugründung in Canton betrauten wollte. Mutter Mary Clare, die Vizeoberin in Cleveland, sollte Äbtissin des Klosters in Canton und Mutter Luka ihre Stellvertreterin werden.
Die Äbtissin rief Schwester Angelica „von den geschwollenen Knien“ in ihr Büro. Mutter Agnes wandte sich mit ernster Miene an die Nonne und sagte: „Mutter Clare und ich haben eine Entscheidung getroffen.“ Schwester Angelica stellte sich schon die schrecklichsten Dinge vor, wie zum Beispiel: Sie müssen nach Hause zurückkehren. Sie haben keine Berufung. Ihre Gesundheit ist ein Punkt… Die Äbtissin fuhr fort: „Mutter Clare glaubt, dass die Treppen der fünf Stockwerke hier im Haus Ihre Knieprobleme verursachen, sodass wir entschieden haben, Sie in unsere Neugründung nach Canton zu schicken.“
Unter normalen Umständen kamen nur Professschwestern für eine Neugründung infrage, und eine Schwester in ihre Heimatstadt zu versetzen, war streng verboten. Doch dies waren eben keine normalen Umstände. Entweder verbesserte sich Angelicas Zustand, oder sie würde aus dem Ordensleben ausgeschlossen.
Canton sollte demnach ihre letzte Chance sein: die Arena, in der ihre Berufung auf die Probe gestellt und ein abschließendes Urteil gefällt werden würde. Mit Befürchtungen, jedoch im Gehorsam nahm Schwester Angelica die Versetzung an.