Kitabı oku: «Briefe an Ludwig Tieck 3», sayfa 29
Schöll, Adolf
Geboren 1805 zu Brünn, aus einer daselbst in hoher Achtung stehenden Familie. Er lebte längere Zeit in Berlin, befreundet mit den besten jener Gelehrten, Dichter und Künstler, welche während der dreißiger Jahre gesellig wie geistig vereint, fest zusammenhielten.
Seit 1843 befindet er sich in Weimar, als Direktor Großherzoglicher Kunstinstitute. Er ist Verfasser mehrerer anerkannter Schriften über tragische Poesie der Griechen, über Sophokles &c. und Herausgeber werthvoller Beiträge zur Goethelitteratur.
Berlin, d. 7t. März 1839.
Hochverehrter Herr Hofrath!
Seit der Ausflug nach Dresden und Besuch bei Eduard Bendemann, den ich mit einigen Freunden auf den Dezember vorigen Jahrs festgesetzt hatte, durch die damalige Krankheit der jungen Bendemann vereitelt ward, war es immer meine Absicht, Ihnen, verehrter Herr Hofrath, wenigstens schriftlich einen Besuch zu machen. Nur großer Mangel an Muße ist schuld, daß dies erst jetzt geschieht. Die schönen Tage im Oktober, an welchen ich Sie sehen und hören durfte, haben mich in innige Bewegung gesetzt, die Erinnerung mich auf der ganzen Reise und hierher zurückbegleitet. Wär’ ich einige Jahre jünger: ich hätte einen Entschluß ausgeführt, der sich seitdem als Wunsch mir immer vorstellte, hätte mein Zelt in Dresden aufgeschlagen, um die neuere Literatur gehörig zu studiren, und dabei Rath und Licht von Ihnen mir zu erbitten. Nun seh’ ich ein, daß ich meine Studien auf die Antike beschränken muß, da ich nur für diese einige Mittel erworben und vollauf zu thun habe, um sie mir im Zusammenhang vorzustellen und endlich eine menschlichklare Geschichte der griechischen Poesie zu schreiben. Nicht als ob ich glaubte, dies sei möglich ohne Kenntniß der wahren Größen und Entwicklungen moderner Poesie; ich stärke an Genuß und Betrachtung der letzteren mich und mein Verständniß so oft und so viel mir möglich; nur muß ich mich an das Bedeutendste und unmittelbar Zugängliche halten, nach dem Maße der Zeit, die mir das Fach, worin ich einmal gerathen bin, übrig läßt. Ich lese immerfort mit meinen Freunden in Shakspeare und in unsern Deutschen. Das Erste, was ich nach meiner Zurückkunft las, war Liebes Leid und Lust. Wie sehr hätt’ ich gewünscht, es von Ihnen zu hören! Daß ein solches Spiel nur Shakspears Witz hervorbringen konnte, ist keine Frage, und wer es ohne Ergötzen lesen kann, hat dies gewiß seinem eigenen Temperament zuzuschreiben. Nur scheint mir, um ganz genossen zu werden, fordert es mehr Vertrautheit als irgend ein anderes Shakspear’sches Lustspiel. Schon bei der ersten Lectüre hatt’ ich das erfahren, daß ich hier nicht so schnell, wie in den andern, die Mimik der Sprecher, die gegenseitigen Blicke, die persönlichen Accente mitempfand. Es kommt wohl daher, weil das Ganze ein Witz über den Witz ist und die Handelnden selbst nicht sowohl für bestimmte Handlungen als für die Form des Handelns interessirt sind. In den andern Lustspielen, wo Lagen, Affekte, Zwecke sichtbarer und handgreiflicher sind, versteht man natürlich leichter die damit bedingten persönlichen Farben und Stimmungen. Hier, wo die Helden damit anfangen sich einen Charakter geben zu wollen und dann zu dem Spiele verführt werden, wo stets gleichartige Waffen so rasch wechseln, ist der ganze Boden mehr ideal und es wird schwerer, in dem so reichen und beweglichen Dialog gleich die physiognomischen Unterschiede stets bestimmt mitzufühlen und festzuhalten. Um so mehr fühlte ich, wie viel lebendiger, von Ihnen vorgelesen, mir alles werden, wie sehr der Genuß sich verfeinern würde. Kommt doch beim Kunstgenuß, zumal im Lustspiel, alles darauf an, daß im Moment selbst die Bestimmtheit, in der ungehemmten Flüchtigkeit der Folge das Licht enthalten sei, welches kein zerlegendes Verständniß ersetzen kann, und welches schon verliert, wenn es nur langsamer als nach dem natürlichen Puls des Gedankens einleuchtet. – Hernach lasen wir das Wintermährchen, „Was Ihr wollt,“ „Troilus und Cressida.“ Um nicht Schwelger zu werden, wollten wir etwas von der leichteren Kost aus Göthe’s Werken wählen. Unglücklicherweise ergriff ich die „Wette,“ die mir noch unbekannt war. Wir wußten wirklich nicht, ob wir über dieses Nichts lachen oder weinen sollen. Tags darauf bracht ich den Fortunat, den wir in wenigen Vorlesungen vollendet und uns von unserem Kleinmuth trefflich erholt haben. Nach diesem köstlichen Gedicht lasen wir auch den Zerbino, wobei wir uns recht heimlich und behaglich fühlten. Welch ein Contrast zwischen dieser Dichtung und der modernen Poesie der Beschwerden und Beschwerlichkeiten von Byron bis Bulwer. Nachdem es dahin gekommen ist, daß man glauben muß, der Mensch habe sich die Poesie erfunden, um sich mit Herzzersplitterungen oder mit psychologisch-criminalisch-publicistischen Aufgaben zu quälen, ist es ein wahrer Trost und Erholung, sich in einer so klaren Landschaft zu bewegen mit einem so harmlos geistreichen Witz, der frei von diesem expressement ist und von dieser philisterhaften Ernsthaftigkeit, die vielmehr in seiner Welt selbst gemüthlich und bequem wird. Dieser eigenthümliche milde Lebensgenuß, das in seiner Selbstironie so liebenswürdige Kindische, wie es nicht nur im alten König sich geradezu ausspricht, sondern gleichsam in einem feinen Aether die ganze Dichtung durchlüftet und leise wärmt, dies ist der süße Hauch poetischer Ingenuität, der auch die lächerlichen und abgeschmackten Personen mit einer freundlichen Humanität überkleidet und das rein Poetische so natürlich wiegt, wie die Luft den Kelch einer Blume. Dies wird jetzt nicht mehr gefunden, wo der Dichter gleich in sich mit der Angst anfängt, vielleicht nicht bedeutend oder nicht frappant genug zu sein. Die Leute haben keine Zeit mehr, um sich auf den Genius zu verlassen. Darum schwatzen sich die Einen halbtodt darüber, daß sie erst eine Zeit machen wollen, die Andern suchen den Genius herabzusetzen, wie alle Lumpe durch Schimpfen die Gleichheit herzustellen suchen. Auch Ihre jüngste Novelle in der Urania hat mich durch diese reine Heiterkeit, diese seelige Erhebung über die Materialität entzückt und belustigt. Es ist ein köstlicher Muthwille, dieser geheime Staatsstreich, daß die Treppe so allmählig die Treppe herauf geschafft wird, fast wie ein in sich selbst zurückgehender Hegel’scher Begriff. Und mich dünkt, mit großer, sicherer Feinheit sind Personen, Bedingnisse und die ganze kleine Welt in einem und demselben idealen Humor gehalten. Nach dem Zerbino haben wir Göthe’s Tasso gelesen. Bei Göthe finde ich etwas, das genau mit seiner großen Bedeutung als Dichter zusammenhängt, und wodurch er mir doch manchmal etwas beengend, manchmal sogar lächerlich werden will – ich weiß nicht, ob ich es recht bezeichne, wenn ich es den Aberglauben an die Form als solche nenne. So scheint mir, daß in seinen späteren Gedichten zum Theil ganz verschiedene Charaktere etwas von ihm selbst haben, etwas leise Pedantisches, indem sie besondern Fleiß auf etwas Unbedeutendes, Kleinliches zu legen scheinen. In seinem Tasso, den ich immer sehr bewundert habe, gemahnt es mich auch darnach; nur paßt es eben hier ganz, um dem glänzenden Boden diejenige Unheimlichkeit zu geben, die fast an die Stelle des Tragischen tritt. Bei alledem vermiss’ ich eine tragische Erschöpfung, in der man sich ausleiden und auf ein Letztes kommen könnte. Die Selbstgeständnisse der Prinzessin sind für mich das Höchste, rein tragisch und hinnehmend schön. Tasso scheint mir doch etwas zu schwach, man empfindet seine Verirrung nicht immer als eine menschlich-nothwendige, sondern zuweilen, mein’ ich, erscheint er als ein speziell kranker Mensch, ein psychologisches Phänomen, das man vor sich hat und mit dem man nicht genug sympathisirt, um in seinen Untergang hineingezogen zu werden. Hernach bin ich wieder versucht, seinen Wahnsinn selbst, den er doch am Schluß in sehr wohlgesetzten Worten referirt, für mehr gemalt als entwickelt zu halten. In Antonio find’ ich mich auch nicht ganz zurecht. Am Ende soll er doch ein nobler Mann sein; ein paar mal aber spricht er wahre Gemeinheit mit großer Naivetät aus. Wäre es nicht vortheilhaft gewesen, ihn etwas einseitiger und zugleich mit einer bestimmteren Mannesart zu charakterisiren? zumal er zu seiner Empfehlung für das Gefühl des Zuschauers ohnehin das voraus hat, daß er der Einzige ist, der sich gegenüber allen Mithandelnden ganz geben kann, wie er ist. Dieses Letztere, daß die Leute, ohne in irgend einer kräftigen Spannung gegen einander zu stehen, doch immer so vorsichtsvoll auftreten müssen, macht allerdings auf mich eine große, mit Göthe zu sprechen, dämonische Wirkung. Man athmet immerfort das Bewußtsein, wie schwach der Mensch, wie überaus zart die Blume geselliger Anmuth sei, ja, als ob das Schönste, was das Leben in sich faßt, nicht zur Sonne reifen dürfte, ohne zum Häßlichsten zu werden. Ich halte es aber für ein bloßes Surrogat des Tragischen, und das zeigt sich mir auch darin, daß der endliche Ausbruch, der diese ängstliche Schönheit der Verhältnisse zerreißt, mehr eine Unanständigkeit und Häßlichkeit, als etwas wahrhaft Furchtbares, durch tiefen Widerspruch Vernichtendes ist. Eine eigene Stärke in diesem Element des Unheimlichen, Beengenden, in der stillen Qual der Unfreiheit find’ ich auch parthieenweise in andern Dichtungen von Göthe. Es ist die Welt der Meinung, nicht die Natur selbst, worin die Kämpfe geschehen, und darin ist Göthe unendlich modern, ob er schon für einen Griechen gelten soll, und sich selbst gehalten haben mag. – Mit den griechischen Tragikern hab’ ich wieder viel zu thun gehabt (denn die Lesegenüsse sind nur auf die Stunde nach Tisch beschränkt, Morgens und Abends bin ich philologischen Dienstgeschäften unterthan). Das Schlimmste ist hier, daß wir uns häufig die Schaugerüste erst herstellen oder bauen müssen, um in diese Theater zu sehen, und bei diesem Bänkeschlagen hält man sich leicht so lange auf, daß es darüber nicht zur Vorstellung selbst kommt, ja Viele halten diese Knechtsarbeit für die Sache selbst. Ich habe die beiden Oedipus und Antigone mehrmals durchgelesen und das Verhältniß der drei Stücke hin und her überlegt. Wäre nicht der Oedipus in Kolonos: so würd’ ich mir nicht getrauen, hier eine Trilogie zu sehen. Denn der Oedipus König kann ohne Nachtheil als Tragödie für sich betrachtet werden, und von der Antigone läßt sich nicht nur dasselbe behaupten, sondern es ist, bei Voraussetzung der Trilogie, auffallend, daß nirgends die so entgegenkommenden Motive des „Oedipus in Kolonos“ ausdrücklich aufgenommen werden. Wie natürlich wäre es, daß Antigone sagte, der Bruder habe selbst ihr die Sorge für seine Reste vermacht; wie dies wirklich im Oedipus Kolonos geschieht? Ebenso möchte man erwarten, daß es der Dichter in dem letzten Stück bestimmt hervortreten ließe, wie Oedipus in dem harten Fluche, den er über den Sohn aussprach, auch den Segen zu nichte gemacht hat, den er doch für die Tochter vorbehalten wollte. Auf ähnliche Weise sollte das Schicksal Kreons als Erfüllung der Verwünschung erscheinen, die er sich von Oedipus in der vorhergehenden Handlung zuzog. – Kehrt man aber die Sache um und sieht auf den „Oedipus in Kol.,“ so bereitet dieses Drama in jeder Hinsicht die Handlung der „Antigone“ vor, und entspricht in seinen Voraussetzungen eben so genau dem Ausgang des „König Oedipus.“ Schon dies ist insofern von Gewicht als die Oedipus-Fabel in Mythen und Dramen sonst sehr verschiedenartig gestaltet wurde, und Sophokles schwerlich zu dieser zusammenpassenden Form der besondern Fabelstücke gekommen wäre, hätte er nicht den Zusammenhang beabsichtigt. Dazu kommt meine feste Ueberzeugung, daß der „Oedipus in Kol.“ für sich allein keine Befriedigung gewähren konnte, da er, isolirt betrachtet, wahrlich nicht die milde Verklärung und Vergötterung ist, die man in ihm hat sehen wollen, sondern von einem schauerlich harten Geist durchweht, von dem düstern Geist der Erinnyen, in deren Hain Oedipus seinen Gastsitz nimmt und gleich Anfangs tiefer in diesen Bezirk hineingeräth als die Eingebornen für zuläßig halten. In der Art, wie Oedipus selbst mit Kreon, noch mehr, wie er mit seinem Sohne verfährt, kann ich nur den alten überstrengen, zornmüthigen Oedipus sehen, keine Rechtfertigung desselben, sondern seine Schuld noch an der Schwelle des Todes, die seiner ursprünglichen genau verwandt ist. Ursprünglich, als er den unbekannten Vater erschlug, glaubte er, nur gerechte Rache zu üben und eröffnete mit diesem Jähzorn unbewußt eine Reihe von Gräueln. Bei Entdeckung dieser irrte sein Zorn hin und her, bis er gegen sich selbst sich kehrte. Jetzt in der Verbannung kehrt er sich wieder gegen die, welche ihn verlassen haben, was nicht so einfach und ausschließlich ihre Schuld ist, wie er es darstellt. Er verflucht sie wild und roh – kein Grieche hielt dies für recht – und indem er wieder nur gerechte Rache zu nehmen glaubt, stiftet er den bittern Untergang auch der treuen Tochter, die er so innig geliebt, so ganz seines Segens würdig erkannt, so herzlich gesegnet hat. – So fordert, meiner Ansicht nach, dieses Stück „die Antigone,“ die erst das Gleichgewicht herstellt, und in der Heldin das Verderben des ganzen Hauses zu einer sittlichen Verklärung bringt. Da nun aber in der Antigone, wie sie uns vorliegt, die Rückbeziehung auf Oedipus nicht in so bestimmtem Sinne hervorgehoben ist, als man unter diesem Gesichtspunkt erwarten sollte: so glaube ich, daß sie nicht für den Oedipus Kol., dieser aber für sie gedichtet worden. Es ist Ueberlieferung, daß die Antigone 441 v. Ch. gegeben worden, der Oedipus Kol. aber kurz vor Sophokles Tode (35 Jahre später) gedichtet sei. So denk’ ich, die Antigone gehörte ursprünglich zu einer andern Tetralogie; gegen Ende seines Lebens wollte sie Sophokles einer andern Gruppe anschließen. Für diese neue Composition dichtete er den Oed. Kol., fing an, die Antigone umzuarbeiten, starb aber darüber. Diese Vermuthung einer beabsichtigten Umarbeitung der Antigone wird theils dadurch unterstützt, daß am Ende dieses Drama Lücken bemerklich sind (Stellen, glaub’ ich, die, weil speziell bezüglich auf die ältere Composition, getilgt sind), theils durch die Ueberlieferung, daß Sophokles an einem langen Satze der Antigone mitten im Lesen gestorben sei. – Es wäre mir sehr viel werth, zu wissen, ob Sie, verehrter Herr Hofrath, mir darin Recht geben, daß die Antigone nicht deutlich genug auf den Oedipus Kol. zurückbezogen sei. Als ich den letzteren las, war ich entflammt, so durchaus Alles auf die folgende Handlung (Antigone) gerichtet und berechnet zu sehen. In dieser selbst aber war ich erstaunt, fast gar keinen Ausdruck des Zusammenhangs, als die Worte des Eingangs und einige wenige Rückblicke mehr allgemeiner Art anzutreffen, immer nicht so, um dem Zweifler schlagende Beweise des wirklichen Zusammenhangs zu geben. Zur Fortsetzung meines Buchs hab’ ich verschiedenes Neue gearbeitet. Am ersten Bande hat mich’s unglücklich gemacht, daß er außer den Schreibfehlern, auch so viele Druckfehler hat. Die letzten fünf Bögen, und die umgedruckten ersten zwei, hab’ ich nicht selbst corrigirt; so hat ein guter Freund, dem ich die Correctur aufbürdete, viele fatale Druckfehler zugelassen. Als ich bei meiner Rückkunft das Buch in diesem Zustande fand, war mir sehr leid, daß es Ihnen schon in derselben Gestalt überschickt war; um alles gern hätt’ ich vorher die sinnentstellenden Fehler in Ihrem Exemplar corrigirt. Und ich kann auch jetzt mich nicht enthalten, diesen Zeilen ein Druckfehler-Verzeichniß beizulegen, wornach Sie vielleicht von einem Abschreiber den Text emendiren lassen.
Nun darf ich aber nicht länger Ihre Geduld, hochverehrter Herr Hofrath, ermüden! Ihr Herr Bruder befindet sich so wohl und munter, wie immer, er will Ihnen nächstens ausführlich schreiben, sobald er das Gewünschte besorgt haben wird, wie er sich angelegen sein läßt.
Gott erhalte Sie gesund, mein innigst verehrter Herr Hofrath! und in der Frische, die ich, so oft ich Sie sah, bewundert habe! Ich wünschte sehr, Ihnen und den verehrten Ihrigen freundlich empfohlen zu sein, und bleibe
Ihrdankbarer AnhängerA. Schöll.
Lössel, der dramatische Dichter in spe et metu, brachte mir, als er hörte, daß ich Ihnen schreibe, beigeschlossenen Brief.