Kitabı oku: «Briefe an Ludwig Tieck 4», sayfa 17
Rambach, der mir heut wieder eine vortreffliche Stelle aus seinen Syrakusern (Ist: Hiero und seine Familie genannt) vorgelesen hat (Bernhardi, mit mir, haltens für sein vollendetstes Werk), fragte mich heut auch, ob ich nichts für mich schriebe? Ich habe keine lebendige Aufmunterung; die Hälfte meiner Seele ist von mir gerissen! Und meine Zeit wird von oft nicht würdigen Dingen und Zerstreuungen besetzt. Ach! die Jurisprudenz! Wann werde ich mich überwinden können, nur mein Gedächtniß mit der Terminologie, Definition, Distinktion u. s. w. zu bemühen! Was ist das Römische Recht für ein seltsam Gewebe von Worten und Worten und Worten, womit die einfachsten Sachen umsponnen sind! Und was führt ein Richter für ein Amt! Eine Begebenheit, die Herzen zersprengen und Köpfe wahnsinnig machen kann, eine Sache der Leidenschaft, der menschlichen Seele, wie sieht er sie an? Er sucht unter den verschiedenen barbarischen Namen, welche die Römer den Klagen gegeben haben, den aus, der für den Fall paßt; und nun wird das Uhrwerk aufgezogen; es geht seinen Gang und läuft ab. Es ist grade so, als wenn der Knabe, der rechnen lernt, auf seinem schematisch aufgesetzten Einmal Eins oben 4 an der Seite 5 aufsucht, und mit beyden Fingern zusammenfährt, bis er auf 20 trifft. Ehe diese Sache zu Ende ist, sind schon 100 neue eingelaufen: das Räderwerk geht immer und ewig, – jene Menschen trotzen aller menschlichen Empfindung, nähren sich von Blut und Thränen; – o man kann sich das Bild sehr schrecklich machen! – Aber freilich sprech ich wohl etwas einseitig. Ich selbst indeß mag nie Richter, nie ein großer Jurist seyn. —
Du bist von mir immer das aufrichtigste Urtheil gewohnt gewesen. Dies und nichts mehr mag die Einleitung dazu seyn, daß ich Dir gestehe, in Deinem Adalbert und Emma, das ich heut Abend durchgelesen habe, wenig Vortreffliches gefunden zu haben. Das meiste ist (ich spreche immer von Dir, und in Vergleichung mit dem was Du vermagst) sehr gewöhnlich, und trägt die deutlichsten Spuren der Flüchtigkeit an sich. Warum müssen doch Leute wie Du, so schnell schreiben! Die Züge, die Du an 10 verschiedenen Orten unter 100 weniger schönen hinwirfst, könnten, zusammengestellt, Meisterstücke geben! Wenn doch mehr vollkommene, wenigstens mehr ausgearbeitete Werke erschienen. – Doch dies paßt hier nicht. – Im Ganzen bleib’ ich hartnäckig bey meinen Gedanken, daß das Charakteristische des Ritterkostums im ganzen Geiste nicht so recht dargestellt ist. Aber darüber ein andermal. Dann kommts mir so vor, als wenn nicht die einzelnen Umstände unter Deiner Hand sich Dir dargeboten und sich zu Deinem Zwecke hingeneigt hätten, sondern, als wenn Du sie immer selbst hättest zusammenholen und zum Ziele bringen müssen. Ich meyne, man sieht zu sehr immer das Bedürfniß des Verfassers; es ist alles zu schwach. Auch sind Deine Schilderungen Dir zu häufig entfahren. Ich könnte Dir viel Belege und Beyspiele zeigen, aber das ist zu weitläuftig. Die Schilderung, wie Emma ihren Adalbert nach und nach vergißt, und Friedrich hingegen das Gegentheil, ist sehr gut. Aber dadurch daß Emma nachher gleich zwischen Wilhelm, den sie zum erstenmale sieht, und Adalbert, einen ehemaligen wahren Geliebten, dessen Gedächtniß in ihrer Seele schlummert, gleich eine so grelle Vergleichung anstellt, ist höchst widrig. Die einzige ächt genievolle Stelle, die mir sich aufgedrungen hat, ist die Schilderung von Adalbert’s Hinreiten zur Friedens-Burg, am Ende: diese ist sehr erschütternd. Die Idee in den letzten Versen am Ende ist sehr artig. Die Stelle: Als er am Morgen aufwachte, war Adalbert und sein Versprechen, sein Erster Gedanke: ist ganz aus der menschlichen Seele geschöpft.
Sonnabend. Gestern Abend hab’ ich Deiner Schwester den neuen Theil des Stücks ganz vorgelesen und mich über ihre Urtheile sehr gefreut. Sie stimmten fast durchaus mit den meinigen überein. Sie sagte sehr richtig bey jener widrigen Stelle: Eine neue heftige Leidenschaft verlischt gänzlich die Erinnerung der alten. In Löwenaus Entschuldigung vor sich selbst sind auch viel wahre und schöne Stellen, nur zerstreut.
Meinen herzlichen Gruß an Deinen Burgsdorf. Wißmann läßt Dich grüßen. Ich freue mich unendlich auf Ostern und auf die Zeit nach Ostern! Ich bestelle Dir noch eine Stube und eine Kammer? – Schreib mir bald, mein liebster, einziger Tieck und bleib’ gesund.
W. H. Wackenroder.
XI
Dienstag.
Mein lieber, bester Tieck!
Unsre Briefe haben sich begegnet, und mit ihnen unsre Seelen. Sollte mein etwas dickleibiges Schreiben ja das Unglück gehabt haben geöffnet zu werden? Nun, was thuts! Was wird man gelacht haben über meine gereimte Verzweiflung, die ich Dir geschickt habe!
Es trägt sehr viel zu meinem Vergnügen, ja zu meinem Leben bey, daß ich Dich in Göttingen so glücklich weiß. Möchte sich das nie ändern, so lange Du dort bist, und möchtest du eine eben so schöne Zukunft erwarten und finden, wenn ich Dich in meine Arme wieder aufnehmen werde. Ich freue mich schon darauf, wie Du mir in Erlangen den Shakespeare erklären wirst. Da ich wenig geistvollen Umgang habe, so thue ich itzt auch, so viel ich auf gute Weise kann. Du hast vielleicht schon aus meiner neulichen Anführung aus einem altdeutschen Gedichte, ersehen, womit ich mich jetzt beschäftige. Ich höre beym Prediger Koch, der in der That ein äußerst gelehrter, kenntnißreicher und eifrig thätiger Mann ist, ein Kollegium über die allgemeine Literatur-Geschichte, vornehmlich über die schönen Wissenschaften unter den Deutschen. Da hab’ ich denn manche sehr interessante Bekanntschaft mit altdeutschen Dichtern gemacht und gesehn, daß dies Studium, mit einigem Geist betrieben, sehr viel Anziehendes hat. Ich habe mir auch einige Stücke abgeschrieben und schmeichle mir jetzt öfters mit der (wenn auch kindischen, doch ergötzenden) Hoffnung, einmal in dem Winkel mancher Bibliothek, Entdeckungen in diesem Fach zu machen, oder wenigstens es durch kleine Aufklärungen zu erweitern. Schon Sprache, Etymologie und Wortverwandschaften (besonders auch das Wohlklingende der alten Ostfränkischen Sprache) machen das Lesen jener alten Ueberbleibsel interessant. Aber auch davon abstrahirt, findet man viel Genie und poetischen Geist darin. Du wunderst Dich vielleicht, wie ich auf diese Sachen falle; allein Beschäftigung ist jetzt das Beßte für mich, und zu gelehrt werd’ ich wahrlich nicht werden.
Nächst diesem aber hab’ ich noch ein anderes Lieblingsstudium, was ich, wär’ ich an dem Orte wo Du bist, mit ganzer Seele umfassen würde, und das ist die Archäologie. Ich beneide Dich: wie wollte ich die Göttinger Bibliothek nutzen! Besiehst Du etwa auch dies oder jenes große Werk darin über alte Kunst, so gieb mir doch Nachricht davon. – In Erlangen hoff’ ich meinen Lieblingsneigungen aber mit wahrerer Muße nachhängen zu können, als hier.
Ein paar Neuigkeiten. Im 2ten Stück des 110ten Bandes der Allgemeinen deutschen Bibliothek hab’ ich ganz vor Kurzem Rambachs Theseus auf Kr. recensirt gelesen. Man hat ihm nur etwa 1½ Seite gegönnt, und darauf stand weiter nichts, als: daß der Plan schlecht sey, daß man lange nicht so holprige, unmusikalische Verse gesehn, und daß die Schreibart in Prosa höchst affektirt sey. Die beyden letzten Punkte waren mit einigen Beispielen belegt. Wieder eine Bestätigung meines Urtheils. – Moritz hatte neulich geheirathet. Siede (der abscheuliche Mensch) ist mit Moritz’s Frau davongegangen? aber man hat sie eingeholt, und Siede sitzt im Arrest. – Bey Moritz fällt mir noch eins ein. Sage mir, erkläre mir, wie kommt es, daß er, allem Anschein nach, jetzt einen so sonderbaren Charakter annimmt: schon seit einiger Zeit hab’ ich von glaubwürdigen Leuten gehört, daß er sich gegen den Grafen Herzb. auf der Akademie mit der kriechendsten Schmeicheley bezeigen soll. Das ist mir doch noch ein wenig unerklärbarer, als daß er Grammatiken schreiben konnte. Erkläre mir, wenn Du kannst, ich bitte Dich recht sehr, diese räthselhafte Erscheinung an Deinem Zwillingsbruder. Das Faktum darfst Du in der That nicht bezweifeln.
Ueber Adalbert und Emma hast Du mein Urtheil. Natürlich wars nur ein flüchtiger Aufsatz, wie Du nun auch sagst. Daß Emma verächtlich wird, scheint Dir also doch auch so fehlerhaft? Nun wir sind ja immer einig. Deine Schwester wußte mir, als ich’s ihr vorlas, zu meinem Vergnügen viele Parallelstellen aus Deinen älteren Gedichten anzuführen. – Ueber Burgsdorfs Stück hab’ ich Deinen Auftrag bestellt. Warum wirft er’s um? – Und warum verläßt Du Deine arme Anna B. im Tode? frag’ ich Dich sehr ernstlich. Es sollte mir sehr leid thun, wenn der Gegenstand das Interesse für Dich verlohren hätte!
Was urtheilst Du von meinen neulichen Bruchstücken einer Theorie des Umgangs? Es liegt mir etwas daran, es zu wissen. Ich könnte noch manche Nachträge dazu machen, weil in der Eil mir nicht alles beygefallen ist, meine Meynung ganz auseinanderzusetzen und sie gegen mehr als Eine Seite für Einwürfe zu sichern. Z. B. daß mein Vorschlag freilich nur das letzte Refugium ist und es auch sein Widriges hat, wenn man sich etwas dumm oder vielmehr zurückhaltend stellt; daß in Gesellschaft mehrerer Menschen von ganz verschiednem Werth man freilich nicht so ganz offen seine Liebe und Neigung dem einen Theil bezeugen kann, wenn man seine Rolle gegen den andern nicht verpfuschen, und das Reizende eines stundenlangen interessanten Umgangs, durch die unangenehmen Folgen erkaufen will, die bey dem nachher immer fortgesetzten Umgang mit jenen andern die Umwandelung des Charakters und das Bloßgeben seiner wahren Gesinnungen nach sich ziehn. Mir fällt noch ein Beyspiel ein. Wenn ich einmal von Erziehung spreche und mit allem Eifer das Abgeschmackte der gewöhnlichen Erziehung bestreite, behaupte, daß es ein Gift für Kinder ist, wenn man sie im 4ten Jahre schon mit Strenge zur Schule treibt, sie mit Kenntnissen aller Art vollpfropft, und zu Hause will, daß sie die Zeit so vernünftig eintheilen, und mit ihren Sachen so ökonomisch umgehen sollen wie, – ein vielleicht bald 70jähriger Herr Arnoldi bey uns; – wenn ich mich in dergleichen Diskurse mit Lebhaftigkeit (und ohnedem kann ichs nicht) einlasse, – so erzählt mir den Augenblick darauf mein Herr V. daß er auch seit dem 4ten Jahre in die Schule gegangen ist, mit der größten Trockenheit (denn irgend etwas, was er weiß oder denkt, doch wissen ist das rechte Wort, das würde ihm unmöglich, – was sag’ ich! ich glaube er würde krank, wenn er es bey sich behielte – ), genug ich bin dann, zumal wenn meine Aeltern dabey sind, aufs Maul geschlagen. Ists nun hier nicht hundertmal besser, wenn ich sage: „Ich halte eine gute Erziehung für äußerst schwer und weiß nicht, wie ich sie am Besten einrichten sollte.“ Und was vergebe ich denn da meinen eigenthümlichen Meynungen? Was schiebe ich mir denn aus Höflichkeit oder Gefälligkeit für Grundsätze unter, deren ich mich zu schämen hätte? – Ich weiß durchaus keine andre Methode als die meinige. Daß sie die bequemste ist und ich sie deswegen schätze, darfst Du wahrlich nicht glauben; denn es würde mir oft weit leichter seyn, mich der drückenden Last meiner Gedanken und Empfindungen zu entladen, als sie in mir zu unterdrücken. – Doch ich will erst Deine Einwürfe gegen das was ich schon gesagt habe, hören, ehe ich mehr sage. Du wirst verzeihen, daß ich so weitläuftig in dieser Sache bin: ich wünschte, daß wir uns auch über diesen Punkt einmal einverständigten, unsre gegenseitigen Meynungen mit einander mischten und in Eine Masse kneteten, die künftig alsdann ein Eigenthum von uns beyden würde, wie wir es schon öfters bey andrer Gelegenheit gemacht haben.
Die übertriebene Reizbarkeit meiner Nerven, für die ich keinen Namen habe, und auf die ich in der That nicht stolz seyn darf, ist mir bey jenem Umgange auch sehr zur Last. Jedem andern würde ich Räthsel sprechen, aber Du wirst in meine Seele eindringen, wenn ich Dir sage, daß der bloße Anblick eines Menschen wie – mir im eigentlichen Verstande wehe thut, mir Schmerzen macht. Blos ihn ansehen, macht meine Brust so beklemmt, daß ich nicht frey Athem hohlen kann. Ja was mehr ist, ich kann ihn kaum ansehen, ohne in mir die unbehaglichste Empfindung des Widerwillens und der Abneigung zu fühlen; eine Empfindung, die gewiß, öfter wiederholt, einen nachtheiligen Einfluß hat, den Kopf abstumpft und – das Herz verdirbt. Jede Fröhlichkeit, jede Liebe, jede Zuneigung veredelt uns, ist selber Tugend; jedes Gefühl, wovon Haß die Wurzel ist, verschlechtert und erniedrigt uns. Dies sind Grundsätze, von denen ich itzt vollkommen überzeugt bin. Auch verstehe ich itzt ungleich mehr, als sonst, was Du mir einst sagtest: daß der Anblick eines schönen und ausdrucksvollen Gemähldes, ja der Genuß des Schönen in allen schönen Künsten, ganz unmittelbar das Herz veredelt und die Seele erhebt. Ich fühl’ es so deutlich, wenn ich nur Dein Gesicht ansehe, so bin ich gut, aber sein Gesicht, das verstimmt ganz und gar die harmonischen Saiten meiner Seele.
Noch eine Probe meiner Reizbarkeit mußte ich neulich erfahren. Des Abends ward bey Tische aus einer neuen Seereise, die rührende Geschichte eines Schiffskapitäns erzählt, der von seinen rebellirenden Leuten auf ein Boot ausgesetzt, und mit der größten Lebensgefahr und unter allaugenblicklicher Furcht vor Hunger zu sterben mit wenigen seiner treuen Gefährten von Otaheiti nach England zurückgekommen war. Dies machte mich so mißmüthig, daß ich gleich zu Bette gieng. Ich hatte eine Empfindung, als wenn mir vor mir selber ekelte, daß ich hier so ruhig und glücklich säße; es war mir, als hätt’ ich Unglück mit Gold erkaufen können, und meinen Körper geißeln und kasteien. Dabey kam ich aber nachher auf die Idee, diese Empfindung in eine Ode zu bringen, und überhaupt, eine ganz eigne Art von Oden einzuführen: Eine Art, die ich lyrische Gedichte κατ’ ἐξοχην nennen würde, und die immer meine Lieblingsgattung gewesen sind. Es sollen treue Gemählde der Empfindung und Leidenschaft seyn, ganz individuell und ganz nach der Natur gemalt. Sie sollen den ächten, wahren Ausbruch der Leidenschaft darstellen, ihren Keim, ihre Quelle andeuten, auf ihre Folgen führen und so dazu dienen, Menschen Menschenherzen kennen zu lehren, Menschen Menschen zu erklären und zu entdecken, und Menschen vor Menschen zu vertheidigen. Sie sollen zeigen, wie der Glückliche und Unglückliche durch das Uebermaaß seiner Empfindung zu Verbrechen geleitet werden kann; sie sollen den kältesten Hörer erwärmen und mit sich fortreißen, daß er am Ende selbst erschrickt, wohin er sich gestürzt sieht, aber eben dadurch aufs Fühlbarste lerne, wie er von empfindenden Menschen urtheilen soll. Einige Oden von Stollberg sind ganz in diesem Charakter. Schillers Oden sind die unerreichbaren Muster dieser Gattung. Sieh dagegen Ramlersche Oden an, und – horazische! Der Leser ist immer außerhalb der Welt des Dichters, und kann nur Kritik des Plans anwenden. Wie anders ist das dort? Man mag nachher freilich auch den Dichter als Dichter betrachten und bewundern, man mag seinen Plan analysiren: allein, was ist dies auch für ein Plan? Kein Plan! es ist der feurige Strom der Leidenschaft, der wie die Lava vom Aetna ströhmt, wo nicht die Frage ist, warum diese Welle auf jene folgt, warum jene größere alle kleineren vor sich verschlingt! wo in der Natur, im Original alles Beweisen der Vollkommenheit des Stücks liegt! Hier muß man ganz zur Person der Ode werden, ganz selbst empfinden, selbst Dichter seyn. Bey Ramler hingegen muß man seinen Scharfsinn anstrengen, um die künstliche und ausstudierte Kombination seiner Ideen und klugen Gedanken zu fassen und zu schätzen. Ich hoffe, Du wirst mich ganz so verstehen, wie ich mich selbst verstehe. – Die Ode, die ich Dir neulich schickte, sollte ein kleiner Versuch in dieser Art seyn. In der, wovon ich Dir vorher sagte, wollte ich die Empfindung eines Menschen schildern, der von dem tausendfachen Elend der Menschheit bey eigener Zufriedenheit so niedergedrückt wird, daß er sich in einsame Wüsten stürzt, und in wahnsinniger Schwärmerey auf die Idee kommt, sich allerley Pönitenzen aufzulegen. Sollte eine solche Ode nicht ein helles Licht auf jene schwärmerischen Eremiten des Mittelalters werfen, und den Weg, wenigstens Einen Weg zeigen, auf welchem die Menschen zu Handlungen kommen, die den meisten so widersinnig und abgeschmackt scheinen, daß sie jene für ganz vernunftlose, fast nicht zur Menschheit gehörende Wesen halten? nicht zeigen, daß es grade das Gefühl ihrer Menschheit war, die sie zu ihren paradoxen Ideen leitete? Ich habe schon mehr dergleichen Entwürfe im Kopf, aber bis itzt, bey tausend Hindernissen und Störungen noch ganz unmöglich Zeit gehabt, einen auszuführen. – Was meine kleinen lyrischen Gedichte überhaupt betrifft, so sind sie alle mehr empfindungs- als gedankenvoll, weil sie mir weit mehr lyrisch auf jene Art, als auf diese scheinen, und diejenigen, (welche die meisten sind,) die ein Ausbruch meiner eigenen individuellen Empfindung waren, werden einen Beitrag zur Geschichte meines Geistes ausmachen.
Als Juristen, wenn ich je einer werden sollte, wird meine Empfindsamkeit mir auch eine wahre Bürde seyn. Ein paar Abende hat mir mein Vater Akten eines kleinen Prozesses gezeigt und sie mich ganz durchlesen lassen. Es ist wahr, zur rechten Darstellung der Hauptumstände des Faktums, zur Beurtheilung desselben, und zur Anwendung der Gesetze darauf, gehört eine gewisse Kritik, die allerdings den Verstand beschäftigt und schärft, wenigstens bey etwas schwierigen Sachen. Und alle Kritik ist, wie ich jetzt ganz wohl einsehe, eine schätzbare und liebenswürdige Thätigkeit des Geistes. Aber abgerechnet, daß sie in der Jurisprudenz oft höchst unsicher ist, daß ihre Freiheit durch positive Gesetze, Gewohnheiten und tausend Kleinigkeiten eingeschränkt wird, und daß es kein sehr tröstlicher Gedanke seyn kann, sich mit seinem guten Gewissen allein zu beruhigen, und gänzlich ungewiß zu seyn, ob man, weil der Mensch nicht allwissend ist, und Prozesse doch ein Ende haben müssen, wirklich nach der Gerechtigkeit entschieden, oder, getäuscht, wer weiß wie viel Menschen unglücklich gemacht habe: – das alles abgerechnet, ist es schon eine mir äußerst widrige Aussicht: daß ich meinen kalten Verstand brauchen soll, wo Herzen gegeneinander stoßen; daß ich das Feuer der Leidenschaft mit Wasser ersticken, – den Knoten des mannigfaltig verschlungenen Interesses so vieler zerhauen, – einen Vorfall, über den ich, wenn ich ihn auf der Bühne dargestellt sähe, von dem innigsten Mitleid durchdrungen, in Thränen zerflöße, einen solchen Vorfall – wie eine Variante einer gemeinen Leseart ansehen, und überlegen, ausrechnen soll, ob er in den Zusammenhang paßt oder nicht. Freilich ist eine Jurisprudenz im Staate nöthig; freilich ist es nöthig, daß der Richter, (ich kann nicht anders sprechen, weil ich durchaus nicht sehe, wie das Gegentheil seyn könnte), daß er menschliche Empfindung verläugnen, und sich zu einem kalt die Handlungen der Menschen abwägenden Wesen über die Menschheit erhöhen muß; freilich! – Nur ich! – Und, um wider auf Kritik zurückzukommen, so gestehst Du mir gewiß leicht ein, daß sie nicht das edelste Bestreben, und das höchste Verdienst des Menschen seyn kann. Sie besteht immer nur in Vergleichung, Zusammensetzung und Trennung dessen, was schon da ist, im Verwandeln des schon existirenden. Nur Schaffen bringt uns der Gottheit näher; und der Künstler, der Dichter, ist Schöpfer. Es lebe die Kunst! Sie allein erhebt uns über die Erde, und macht uns unsers Himmels würdig. —
Mein Freund Schuderoff hat uns wieder geschrieben. Die Freude über eine Braut, die ein äußerst liebenswürdiges Mädchen seyn muß, hat ihn in einen ausgelassenen Taumel von Freude versetzt. Er schreibt mit der muthwilligsten Laune. Er will uns mit offenen Armen erwarten, und gar nicht einmal mit 14 Tagen zufrieden seyn. Wir werden göttlich bey ihm leben.
Schreib mir, wenn Du kannst, litterarische und archäologische Neuigkeiten und Alterthümer, – von den Göttinger Gelehrten Etwas u. s. w. Forkels Geschmack thut mir leid. – Bleib gesund. Keinen Augenblick länger Zeit! Grüß Burgsdorf! Schreibe bald.
W. H. Wackenroder.